Islam in der Schule. Herausforderungen und Chancen (Französich Oberstufe Gymnasium)


Examensarbeit, 2016

108 Seiten, Note: 15


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

I Der Islam als gesellschaftlicher Gegenstand
2 Deutschland und der Islam - Zahlen, Fakten, aktuelle Situation
2.1 Deutschland - das neue Einwanderungsland?
2.2 Definition Migration
2.3 Der Islam in Deutschland
2.3.1 Muslime in Deutschland
2.3.2 „Muslimische Infrastruktur“ in Deutschland
2.4 Integration und Exklusion von Muslimen in Deutschland
2.4.1 Integration muslimischer Menschen in Deutschland
2.4.2 Diskriminierung muslimischer Migranten (im Vergleich zu Migranten anderer Religionszugehörigkeiten)
2.4.3 Der Islam in den Medien

II Der Islam in der Schule
3 Lehrwerksanalyse
3.1 Lehrwerke Französisch
3.2 Lehrwerke Spanisch
3.3 Zusammenfassung
4 Betrachtung der Kerncurricula
4.1 Kerncurriculum Hessen Französisch für die Oberstufe
4.2 Kerncurriculum Hessen Spanisch für die Oberstufe
4.3 Vergleich mit anderen Bundesländern
4.4 Zusammenfassung
5 Unterrichtsentwurf
5.1 Die Lerngruppen- und Bedingungsanalyse
5.2 Tabellarischer Überblick
5.3 Sachanalyse
5.4 Kompetenzformulierung und Stundenziele
5.5 Unterrichtsbetrachtung
5.5.1 Didaktische Analyse und Begründung
5.5.2 Curriculare Begründung
5.5.3 Methodische Analyse
5.6 Stundenreflexion
5.7 Feedback der Lerngruppe
5.8 Alternative Umsetzungsmöglichkeiten des Unterrichts
6 Herausforderungen und Chancen
7 Fazit

Literaturverzeichnis

Tabellen und Abbildungsverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

„Es sind die vorgefassten Meinungen, die es den Völkern so schwer ma- chen, einander zu verstehen, und die es ihnen so leicht machen, einander zu verachten.“1

Romain Rolland hat bereits zu seinen Lebzeiten in Worte gefasst, was uns auch noch ein Jahrhundert später beschäftigt. Er nennt es die vorgefassten Meinungen, die eine Annäherung an fremde Kulturen erschweren und eine geringe Wertschätzung des Anderen zur Folge haben.

Bedingt durch die schnell fortschreitende Globalisierung wird von den Völkern der Gegenwart jedoch genau das Gegenteil erwartet. Die weltweite Verflech- tung in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen bewirkt ein Zu- sammenwachsen der Kontinente: Ländergrenzen verschmelzen und Kulturen durchmischen sich. Diese Tatsache erfordert im Alltag eine zunehmende inter- kulturelle Kompetenz2, um in Momenten der kulturellen Überschneidung ange- messen agieren zu können. Auch in Deutschland ist im Hinblick auf die Bevöl- kerung eine besondere kulturelle Vielfalt geboten, die auf die etwa 16 Millionen Bürger3 mit Migrationshintergrund4 zurückzuführen ist5. Da ein Großteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund Muslime sind, wird auch der Islam6 immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

Bestehende Stereotype und Vorurteile gegenüber Muslimen haben eine lange Tradition und werden unter anderem durch die mediale Berichterstattung be- stärkt. Obwohl auf politischer Ebene mit der Initiation der Deutschen Islam Konferenz (DIK) im Jahr 2006 ein Grundstein für den Dialog zwischen Musli- men und weitestgehend christlich geprägten Deutschen gelegt wurde, bestehen weiterhin große Diskrepanzen, die sich nicht selten in islamfeindlichen Haltun- gen äußern.

Doch wie lassen sich die Vorurteile und Einstellungen gegenüber Muslimen überwinden? Der Schule als gesellschaftliche Institution wird im Hinblick auf diese Frage eine besondere Bedeutung zugeschrieben, da ihr ein Bildungs- und Erziehungsauftrag beigemessen wird7. Darunter fällt laut §2 des Hessischen Schulgesetzes auch die Vermittlung interkultureller Kompetenzen, um „Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen und somit zum friedlichen Zusammenleben verschiedener Kulturen beizutragen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten“8.

Die Thematisierung fremder Kulturen im schulischen Kontext ist dementspre- chend essentiell, um die Schüler diesbezüglich zu sensibilisieren, sie aufzuklä- ren und bestehende Vorurteile zu überwinden, denn eine häufige Ursache für Vorteile gegenüber fremden Religionen besteht vor allem im „Halbwissen“.

Die vorliegende Arbeit lässt sich in zwei Bereiche (I und II) untergliedern. Der erste überwiegend theoretische Teil verfolgt den Zweck, den Islam als gesell- schaftlichen Gegenstand zu betrachten, um herauszuarbeiten, weshalb eine Be- handlung des Islams in der Schule überhaupt notwendig ist. Die Darstellung der Migrationsbewegungen in Deutschland in den vergangenen Jahrhunderten soll erörtern, ob Deutschland die Funktion eines Einwanderungslandes erst gegen- wärtig angenommen hat (Kapitel 2.1). Im Zuge der Klärung dieser Frage wird näher auf die Gastarbeiteranwerbung in den 1950er Jahren eingegangen, worin sich auch die Anfänge des Islams in Deutschland widerspiegeln. Zur besseren Verständlichkeit wird anschließend definiert, was unter dem Begriff der Migra- tion zu verstehen ist und darauf aufbauend in Kapitel 2.3 ein direkter Bezug zu den in Deutschland lebenden Muslimen hergestellt.

Ein Schwerpunkt liegt in diesem Zusammenhang auf der Entwicklung der mus- limischen Infrastruktur, die sich innerhalb der letzten Jahrzehnte entfaltete. Im Fokus von Kapitel 2.4 stehen schließlich die Integration und die Kehrseite die- ser Medaille, die Exklusion muslimischer Menschen in Deutschland sowie die Darstellung des Islam in den Medien.

Der erste Teil stellt folglich die theoretische Grundlage dieser Arbeit dar, indem der Leser einen Einblick in die Entwicklung des Islams in Deutschland bis in die Gegenwart erhält. An diese Grundlage soll im zweiten Teil „Der Islam in der Schule“ angeknüpft werden, der sich im Wesentlichen damit befasst, die Potentiale der fremdsprachlichen Fächer Spanisch und Französisch der gymna- sialen Oberstufe bezüglich ihrer Integrationsfähigkeit des Islams zu untersu- chen.

In einem ersten Schritt wird dazu in Kapitel 3 eine Lehrwerksanalyse der be- sagten Fächer durchgeführt. Diese bezieht sich lediglich auf Lehrwerke der Un- ter- und Mittelstufe, da in der Regel im Oberstufenunterricht kein Lehrwerk mehr herangezogen wird. Die Analyse soll dementsprechend aufweisen, inwie- fern in den anfänglichen Lernjahren eine erste Auseinandersetzung in Hinblick auf den Islam geleistet wird. Mit der anschließenden Betrachtung der Kerncur- ricula (Kapitel 4) für die Oberstufe wird das Ziel verfolgt, die vorhandenen An- knüpfungspunkte für eine Thematisierung des Islams hervorzuheben. Auf Grundlage der aus dem theoretischen Teil gewonnenen Erkenntnisse sowie der Untersuchungsergebnisse der Lehrwerke und Kerncurricula, wurde im fünften Kapitel ein Unterrichtskonzept entwickelt, durchgeführt und kritisch reflektiert. Die Ergebnisse der Untersuchungen sowie der Unterrichtsdurchführung werden in Kapitel 6 zusammengeführt und unter dem Aspekt der Herausforderungen und Chancen diskutiert.

Die Arbeit schließt mit einer gebündelten Darstellung der aufgegriffenen Inhalte ab (Kapitel 7). Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf die Potentiale des Fremdsprachenunterrichts in der Oberstufe in Bezug auf die Integration des Is- lams gelegt werden.

I Der Islam als gesellschaftlicher Gegenstand

2 Deutschland und der Islam - Zahlen, Fakten, aktuelle Situa- tion

In Deutschland sind seit Jahrhunderten Menschen aus der ganzen Welt zu Hause. Viele haben erst in den letzten zwei bis drei Jahren hier einen Zufluchts- ort gefunden und versuchen sich nun, ein neues Leben aufzubauen. Oftmals be- herrschen die Zugezogenen die deutsche Sprache nicht, kleiden sich anders und ein Großteil von ihnen hat eine andere als die christliche Konfession9. Diese neue Erscheinung stellt für viele Deutsche etwas Fremdes dar und kann dazu führen, ein Gefühl der Angst hervorzurufen. Woran liegt es, dass Ausländer - und vor allem Muslime - in Deutschland gegenwärtig immer öfters zum Gegen- stand von Diskussionen gemacht werden, obwohl sie schon seit der Anwerbung von ausländischen Arbeitermigranten in den 1950er Jahren in Deutschland an- sässig sind.

Besonders in den vergangenen Jahren wurde der Islam noch im Zuge der Terroranschläge und aktuell durch die Flüchtlingsströme in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Gleichwohl ist zu beachten, dass der Islam keine neue „Erscheinung“ in Deutschland ist, wie die nähere Betrachtung seiner Entwicklungsgeschichte in den folgenden Kapiteln darlegen wird.

2.1 Deutschland - das neue Einwanderungsland?

Deutschland ist ein beliebtes Einwanderungsland. Dies zeigt sich nicht erst durch die verstärkten Einwanderungsströme in den vergangenen Jahren10. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass bereits im 17. Jahrhundert Hugenotten nach Deutschland emigrierten, nachdem „eine systematisch geplante Anwerbung im Jahre 1685 durch den Kurfürsten von Brandenburg“ initiiert wurde (Norren- brock 2008, S.15). Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871, mit der auch Erfindungen neuer Technologien einhergingen, wurden zunächst Ar- beiter aus den umliegenden und später auch aus den weniger wohlhabenden, ländlichen Regionen rekrutiert, um somit der steigenden Nachfrage an Arbeits- kräften besonders in den Kohlebergwerken, Stahl- und Eisenhütten gerecht zu werden (vgl. ebd., S.15ff.). Dabei handelte es sich überwiegend um „die gesun- den, kräftigen und ledigen Männer aus dem ehemaligen Polen […]. Auch tüch- tige Männer aus den russisch und österreich-ungarisch regierten Teilen Polens wurden angeworben“ (ebd., S.16). Bis zum ersten Weltkrieg lebten mehr als 1 Millionen ausländische Wanderarbeiter im Deutschen Reich und während des Krieges wurden weitere Arbeiter angeworben und Kriegsgefangene zur Arbeit in Deutschland gezwungen (vgl. Bade 2010, S.149f.).

Neben der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte, dominierte die „transat- lantische Massenauswanderung“ (ebd., S.146) das 18., 19. und Anfänge des 20. Jahrhunderts. Bis 1914 sind etwa 5,5 Millionen Deutsche in die USA ausgewan- dert. Die Motive für das Verlassen des Heimatlandes waren häufig Armut und Arbeitslosigkeit, die auf das schnelle Bevölkerungswachstum zurückzuführen waren (vgl. ebd., S.146f.).

Für die Zeit des Ersten Weltkrieges und danach wird in der Literatur sogar von dem „Jahrhundert der Flüchtlinge“ (Hanewinkel 2015, S.2) gesprochen. In den Jahren 1922/23 flüchteten circa 600.000 Russen in die Weimarer Republik. Da ihnen eine restriktive Integrationspolitik sowohl rechtliche als auch wirtschaftliche Unterstützung verweigerte, zog ein Großteil dieser Flüchtlinge weiter nach Paris oder New York (vgl. Bade 2010, S.154f.).

Auch Hundertausende Juden fanden in der Weimarer Republik ein Zuhause. Wenige Jahre später wurden diese jedoch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wieder aus Deutschland vertrieben. Bis 1939 waren es etwa 247.000 (von insgesamt 500.000) Juden, die in anderen Ländern Schutz gesucht hatten (vgl. Bade 2010, S.155).

Bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges lebten schließlich etwa zwei Millionen aus dem Ausland stammende Arbeiter sowie Flüchtlinge in Deutschland (vgl. Norrenbrock 2008, S.16). Diese Zahl vervierfachte sich im Laufe der Kriegs- jahre, da das NS-Regime auf Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene zurück- griff. In den 1940er Jahren bis zum Kriegsende flohen etwa 14 Millionen Deut- sche in Richtung Westen. Wenige Jahre später (1953) wurde ihre Aufnahme in Deutschland als Aussiedler durch das Bundesvertriebenengesetz geregelt, in- dem man den Vertriebenen das Recht auf die deutsche Staatsangehörigkeit zusprach (vgl. Bade 2010, S.147, 153).

Als sich Deutschland von den Folgen des Zweiten Weltkrieges allmählich erholt hatte und ein starkes wirtschaftliches Wachstum erlebte, wurde eine staatlich organisierte Anwerbung von Gastarbeitern veranlasst und in diesem Rahmen 1955 der erste Vertrag mit Italien unterzeichnet, „in dem die Anwerbung italie- nischer Arbeiter geregelt wurde“ (ebd., S.17). In den darauf folgenden Jahren wurden weitere solcher Gastarbeiterverträge mit Spanien, Griechenland, Portu- gal, dem ehemaligen Jugoslawien, Tunesien und Marokko sowie der Türkei un- terzeichnet (vgl. ebd., S.17).

Die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte ab Mitte der 50er Jahre hat in den Folgejahren zu einem regelrechten Einwanderungsboom nach Deutschland geführt. Während im Jahre 1960 etwa 40.000 Zuzüge verzeichnet werden konnten, waren es fünf Jahre später innerhalb eines Jahres 70.000 und im Jahre 1970 etwa 100.000 Zuzüge in die Bundesrepublik Deutschland (Statistisches Bundesamt 2002, ent. aus Cortina, K et al. 2003, S. 668).

Die folgende Abbildung 2 veranschaulicht die wachsenden Gesamtbevölke- rungs- und Ausländerzahlen von 1961 bis 1989 auf dem früheren Bundesgebiet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Gesamtbevölkerungs- und Ausländerzahlen von 1961-1989 in Deutschland, Sta- tistisches Bundesamt 2002, S.26f.

Die Einwanderer der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg werden in der Regel in (drei) Gruppen untergliedert11. Es handelt sich dabei in erster Linie um Arbeits- migranten, Flüchtlinge und Aussiedler12. Die oben genannten Zahlen machen deutlich, dass Deutschland seit jeher für viele Menschen einen Zufluchtsort dar- stellt, was sich zum einen durch die geographische Lage in Mitteleuropa, zum anderen aber auch durch die wirtschaftliche Stabilität erklären lässt. In diesem Kontext sollte dennoch nicht unerwähnt bleiben, dass neben der vielen Millio- nen Menschen, die (aus den Anwerbeländern) nach Deutschland kamen - bis 1973 ca. 14 Millionen - aufgrund der Weltwirtschaftskrise in den 1970er Jahren auch eine beträchtliche Zahl von circa elf Millionen wieder in ihre Herkunfts- länder zurückkehrte (vgl. Norrenbrock 2008, S.17).

Dem 2016 erschienen Datenreport13 des Statistischen Bundesamtes (und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung) ist zu entnehmen, dass zwi- schen 1950 und 2014 etwa 9,4 Millionen (Saldo der Zu- und Fortzügen im be- sagten Zeitraum) Zuwanderer in Deutschland verzeichnet wurden. Der größte Anteil, mit 3,6 Millionen Zuwanderern, immigrierte dabei zwischen 1960 und 1975 nach Deutschland. Zwischen 1985 und 1995 waren es ungefähr 2,7 Milli- onen und knapp zwei Millionen Menschen kamen zwischen 2010 und 2014.14 Im Laufe der Jahre haben sich die Ursachen für die Migration nach Deutschland immer wieder verändert. In den 1980er Jahren waren es überwiegend Asylbe- werber und später (ab 1990) Spätaussiedler aus Osteuropa, die nach Deutsch- land kamen. Von Bedeutung ist auch die Europäische Union, innerhalb deren Grenzen die Bürger von einer Niederlassungsfreiheit profitieren, was dazu führte, dass viele Bürger osteuropäischer sowie von der Euro-Krise betroffener (südeuropäischer) Staaten in den letzten Jahren nach Deutschland immigrier- ten15.

Dass momentan viele Tausende Flüchtlinge aus dem Nahen Osten in Deutsch- land Zuflucht suchen, erweckt den Anschein, als habe Deutschland die Funktion eines neuen Zuwanderungsland erhalten. Die Frage, ob Deutschland diese Rolle eingenommen hat, kann anhand der im vorliegenden Kapitel dargestellten Zah- len eindeutig verneint werden. Im geographischen Gebiet des heutigen Deutsch- lands gab es bereits vor mehr als 300 Jahren starke Zuwanderungsströme und auch im 19. und 20. Jahrhundert lassen sich ähnliche migratorische Verände- rungen im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland aufzeigen. Daraus resultiert, dass die aktuelle vermehrte Zuwanderung keine neue Erscheinung ist. Es handelt sich vielmehr um ein Phänomen, dem oftmals unterschiedliche Zu- wanderungsmotive zugrunde lagen/liegen und das in ähnlichen Abstufungen bereits mehrfach die deutsche (Einwanderungs-) Geschichte prägte.

Abschließend wird mittels der folgenden Abbildung16 eine Bilanz über die Wanderung17 in der Bundesrepublik Deutschland von 1950 bis 2015.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Wanderungsbilanz in Deutschland von 1950-2015.

2.2 Definition Migration

Nachdem im vorausgehenden Kapitel mehrmals die Bezeichnungen „Migration“ beziehungsweise „Migrant“ gewählt wurden, soll an dieser Stelle eine Definition des Begriffs gegeben werden.

Bei Betrachtung der Fachliteratur (Treibel 2008) hinsichtlich dieser Thematik wird deutlich, dass von Migration die Rede ist, wenn Menschen auf unbegrenzte Dauer außerhalb ihres Heimatlandes leben beziehungsweise ein Wohnortwech- sel stattfindet. Migration bedeutet einerseits einen räumlichen Wechsel und an- dererseits einen Wechsel in eine neue Gesellschaftsgruppe (vgl. S.21). Die So- ziologin Annette Treibel (ebd., S.21, 19) definiert Migration schließlich als:

[…] auf Dauer angelegte[n] beziehungsweisedauerhaft werdende[n] Wechsel in eine andere Gesellschaft beziehungsweise in eine andere Region von einzelnen oder meh- reren Menschen“ und betont zugleich, dass „Flucht und Vertreibung als Formen er- zwungener Wanderung […] bei diesen allgemeinen Begriffs-Bestimmungen mit ein- geschlossen [sind].

Wie dieser Prozess des Wechsels von der eigenen in eine neue, fremde Gesellschaft abgesehen von der theoretischen Definition in der Praxis aussieht, wird in den folgenden Kapiteln am Beispiel der muslimischen Einwanderer in Deutschland beleuchtet.

2.3 Der Islam in Deutschland

2.3.1 Muslime in Deutschland

In Deutschland lebten im Jahr 2009 zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime (Haug et al. 2009, S.11)18. Sie machen circa 5% der deutschen Bevölkerung19 aus. Diese Daten wurden im Rahmen des Projekts „Muslimisches Leben in Deutschland“ (Haug et al. 2009), das vom Bundesamt für Migration und Flücht- linge (BAMF) 2008 initiiert und durchgeführt wurde, erhoben. Ziel war es, ge- naue Kenntnisse über die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime und die Struktur dieser Bevölkerungsgruppe zu erhalten. In diesem Kontext wurden Themen wie die Religionszugehörigkeit, Gläubigkeit, religiöse Praxis sowie Verhaltensweisen im Alltag und die soziale Integration zum Gegenstand des Projekts gemacht (vgl. Haug et al. 2009, S.21). Aus der genannten Studie geht hervor, dass knapp die Hälfte der muslimischen Bevölkerung in Deutschland - zwischen 2,5 und 2,7 Millionen - Muslime türkischer Herkunft sind, was einen Anteil von über 60% (der Muslime) darstellt. Den übrigen Anteil machen die ursprünglich aus Osteuropa stammenden Personen (ca. 14%), die aus dem Na- hen Osten (8%), aus Nordafrika (7%) und zuletzt aus anderen Ländern wie zum Beispiel dem Iran (8%) aus (ebd., S.12f.)20. Die nach Deutschland immigrierten Muslime stammen aus etwa 40 unterschiedlichen Ländern stammen, weshalb ihre religiösen Ausprägungen untereinander stark differieren können (vgl. Spen- len 2013, S.28f.).

Bei Betrachtung der Konfessionszugehörigkeiten wird deutlich, dass die sunni- tische Glaubensrichtung mit mehr als zwei Dritteln die dominierende ist. Den zweitgrößten Anteil mit rund 13% machen die Aleviten, gefolgt von den Schii- ten (ca. 7%) und sonstigen Glaubensgruppen (weniger als 3%) aus. Abgesehen von türkischen Muslimen, von denen etwa 70% Sunniten sind, gehören nur we- nige der alevitischen Konfession an, wohingegen die aus dem Iran stammende muslimische Bevölkerung deutlich überwiegend (ca. 80%) schiitisch ist (vgl. Becher / El-Menouar 2014, S.44). Zur Veranschaulichung soll die folgende Ab- bildung 3 „Muslime nach Glaubensrichtung (in %)“ entn. aus Haug et al. 2009, S.97 dienen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Muslime nach Glaubensrichtung in Deutschland in %.

Aus der Tatsache, dass die in Deutschland lebenden Muslime aus etwa 40 ver- schiedenen Herkunftsländern stammen, resultiert das in Abbildung 3 zu erkennende breite Spektrum an Glaubensrichtungen. Es sollte demnach stets bedacht werden, dass Islam nicht gleich Islam bedeutet und nicht alle Muslime die gleiche Glaubensauslegung haben.

2.3.2 „Muslimische Infrastruktur“ in Deutschland

Dr. Peter Kurz beschreibt im Rahmen einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2007, dass der Islam durch die Gastarbeiteranwerbung, insbesondere türkischer Männer, in den 1960er Jahren seinen Weg nach Deutschland fand. Er erklärt, dass es zunächst keine „muslimische Infrastruktur“21 gab und türkischmuslimische Dachverbände erst Ende der 1970er Jahre ins Leben gerufen wurden. Bis dato fand die islamische Religionspraxis weitestgehend im Verborgenen - „in sog. Hinterhofmoscheen“ (ebd., S.5) statt und weckte nur wenig Interesse auf Seiten der deutschen Bevölkerung.

In Lemmen (2002, S. 26) wird ein Fokus auf die Entwicklung religiöser Ein- richtungen in Deutschland gelegt und geschildert, dass im Anschluss an den Anwerbestopp 1973 „an vielen Orten zahlreiche Vereine als Träger von neuen Moscheen“ entstanden. Die Gründe liegen vor allem darin, dass viele Türken im Zuge der Gastarbeiteranwerbung vorerst nur auf begrenzte Zeit nach Deutschland gekommen waren, sich mit der Einführung des Anwerbestopps aber „für einen dauerhaften Verbleib und für den Nachzug ihrer Ehegatten und Familienangehörigen entschieden“ (ebd., S.26). Womit „zwangsläufig verbun- den [war], dass sich wichtige Aspekte der Religionsausübung von der Heimat ins Gastland verlagerten und somit neue Relevanz gewannen“ (ebd., S.26).

Jørgen Nielsen (1995, S.153) ergänzt außerdem, dass die Anwesenheit [muslimischer] Frauen und Kinder zu intensiven Kontakten zu der Gesellschaft, in der sie lebten [führte] und demzufolge schließlich „große Bereiche der traditionellen Kulturen in Frage gestellt [wurden]“. Die muslimischen Einwanderer erachteten es insofern als erforderlich religiöse Institutionen zu gründen, um an ihren religiösen Tradition festzuhalten (vgl. ebd., S.153).

In diesem Zuge entstanden seit den 70er Jahren muslimische Gemeinden, Ver- eine und Organisationen, die als Träger von Moscheen anerkannt werden und sich für die Interessen und Werte der muslimischen Gesellschaft einsetzen (vgl. Lemmen 2002, S.25).

Die aktuelle Zahl der türkischen, marokkanischen oder albanischen (Moscheen- ) Gemeinden wird hierzulande momentan auf knapp 2600 geschätzt, wohinge- gen etwa 150 repräsentative Moscheen, mit Minarett und Kuppel ausgestattet, existieren22. Hinzu kommt, dass viele Moscheen in ursprünglich anders genutz- ten Gebäuden Einzug hielten, wie zum Beispiel 2012, als in Flörsheim ein ehe- maliger Supermarkt zu einer Moschee umfunktioniert wurde (vgl. Nienaber, B./ Reich, A. 2015, S.48). Gegenwärtig können somit etwa 2750 Moscheen in Deutschland verzeichnet werden, von denen knapp 450 keinem Verband ange- hören. Im direkten Vergleich dazu: Es gibt etwa 45.000 christliche Kirchen und 130 Synagogen23.

Während die Kirche durch den Staat finanzielle Unterstützung erfährt, ist in Bezug auf die Moscheen zu erwähnen, dass die einzelnen Verbände in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle spielen. Es ist anzunehmen, dass die Finanzierung zum einen über Spendengelder und zum anderen aus Geldern aus dem Ausland getragen wird, da in vielen Moscheen, vor allem in den etwa 1000 Moscheen des größten islamischen Dachverbandes DITIB, Imame angestellt sind, die aus der Türkei gesandt und bezahlt werden24.

Die Deutsche Islamkonferenz (DIK), die im September 2006 von Dr. Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen wurde, beabsichtige die Förderung des auf lange Dauer angelegten Dialogs um Religions- und Gesetzesfragen zwischen dem deutschen Staat und den dort ansässigen Muslimen. Der ehemalige Bundesin- nenminister betonte in diesem Rahmen, dass es in erster Linie darum gehe „die Zukunft miteinander zu gestalten“25. Aktuell kooperieren zehn islamische Dachverbände mit der DIK, darunter unter anderem die 1984 in Köln gegrün- dete ‚Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.‘ (DITIB), der ‚Zentralrat der Muslime in Deutschland‘ (ZMD) oder auch die ‚Islamische Ge- meinschaft der Schiitischen Gemeinden in Deutschland‘ (IGS)26. Das gemeinsame Ziel der Verbände, die zu einem Großteil herkunftslandbezo- gen ausgerichtet sind, ist, dem Islam in Deutschland eine ebenbürtige Stellung auf religiöser Ebene einzuräumen, das heißt eine Gleichstellung mit der christ- lichen Kirche zu erlangen. Des Weiteren verfolgen die Verbände die Absicht, an islamischen Traditionen festzuhalten und diese auszuleben, wozu unter an- derem auch der Bau von Moscheen und Friedhöfen sowie die Anerkennung is- lamischer Festtage als gesetzliche Feiertage zählt und versuchen islamischen Religionsunterrichts in deutschen Schulen durchzusetzen (vgl. Spenlen 2013, S.34f.).

Aus dieser Darstellung geht hervor, dass sich über die Jahrzehnte eine gut ent- wickelte „muslimische Infrastruktur“ geformt hat, die den muslimischen Bür- gern in Deutschland dazu verhilft, an kulturellen und religiösen Praktiken fest- zuhalten und ihre Belange auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene ein- zufordern.

2.4 Integration und Exklusion von Muslimen in Deutschland

Betrachtet man die Bedeutungsübersicht des Duden hinsichtlich der Integration, resultiert daraus, dass es sich auf soziologischer Ebene um die „Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Einheit“ (Duden 2011, S.923) handelt.

Der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble betont in Bezug auf die Integration, dass es nicht die Aufgabe der eigenen Wurzeln bedeute, sondern vielmehr, das Gefühl Teil einer Gemeinschaft zu sein27.

Im Rahmen dieses Kapitels sollen sowohl die Situation der Integration als auch ihre Kehrseite - die Exklusion und Segregation muslimischer Menschen - unter die Lupe genommen werden. In diesem Zusammenhang spielt auch die mediale Berichterstattung eine bedeutende Rolle, indem diese einem breiten Publikum Informationen über globale Ereignisse übermittelt, die mit islamischen Aspekten in Zusammenhang stehen.

2.4.1 Integration muslimischer Menschen in Deutschland

Das vorausgehende Kapitel (2.3.2) erörtert, dass Muslime seit ihrer Ankunft in den 60er Jahren mittlerweile eine gut ausgebaute Infrastruktur in Deutschland erlangt haben. Dennoch mangelt es ihnen vor allem an Akzeptanz und einer endgültigen Integration von Seiten der nicht-muslimischen Gesellschaft, wie im weiteren Verlauf zum Ausdruck gebracht wird.

Dr. Kurz28 erläutert, dass es „zynischerweise […] die Terroranschläge des 11. September [waren], die dem Islam eine breite öffentliche Aufmerksamkeit er- öffneten“ und kritisiert, dass seitdem eine negative Haltung „die öffentliche Wahrnehmung des Islam dominiert“ (S.5). Auch die unzähligen Konflikte, die aufgrund von Bauvorhaben von Moscheen entstehen und thematisiert werden, zeugen von einer mangelnden Akzeptanz, Skepsis sowie Ignoranz gegenüber dem Islam und seinen Glaubensanhängern und führen zwangsläufig zu einer wenig zufriedenstellenden Integrationssituation (vgl. Schmitt 2003, S.88f.)

Während 2006 im Rahmen einer Befragung von knapp 500 türkischen Musli- men ab 14 Jahren in Deutschland zum Vorschein kam, dass sich etwa 60% von ihnen als Muslime in Deutschland akzeptiert fühlen, vertraten zum gleichen Zeitpunkt etwa die Hälfte der Teilnehmer, dass sich das Verhältnis zwischen ihnen und anderen Bevölkerungsgruppen zum Negativen gewandt habe (vgl. Brettfels/ Wetzels 2007, S.27).

Haug et al. (2009) haben dennoch zutage gebracht, dass die Mehrheit der Mus- lime in den Bereichen der strukturellen und kognitiven sowie der sozialen und identifikatorischen Integration gut eingegliedert ist. Unter struktureller Integra- tion verstehen sie die Indikatoren Schulbildung im Herkunftsland sowie in Deutschland, aber auch die Stellung im Beruf und unter anderem die Einkom- mensquelle. Die kognitive oder auch kulturelle Integration misst sich überwie- gend an den Sprachkenntnissen in Bezug auf das Hörverständnis, die Schreib- und Sprechfähigkeiten sowie die Lesekompetenzen. Die soziale Integration be- zieht sich auf die Mitgliedschaften in deutschen Vereinen und in solchen des Herkunftslandes, aber auch auf die interethnischen Kontakte in der Familie und in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz und im Freundeskreis. Letztere, die identifikatorische oder emotionale Integration steht unter anderem im Zusammenhang mit dem Indikator Verbundenheit mit Deutschland und mit dem Herkunftsland sowie die Verbundenheit mit dem Wohnort (vgl. Haug et al. 2009 S.208f.).

Ein geringer Anteil von ca. 20% der aus muslimisch geprägten Herkunftsländer Stammenden (überwiegend türkischstämmige Aleviten) weist lediglich im Rah- men der strukturellen Integration Defizite auf. Von Bedeutung ist auch die Er- kenntnis, dass insgesamt Muslime schlechtere Integrationswerte in den oben ge- nannten Bereichen erzielen als Menschen anderer beziehungsweise keiner Re- ligionszugehörigkeit aus der gleichen Herkunftsregion. Jedoch lassen sich die Defizite auf Seiten der muslimischen Menschen nicht verallgemeinern, so dass je nach Region mal bessere und mal weniger gute Werte als Nicht-Muslime er- reichen werden (vgl. ebd., S.332ff.).

Çakir (2014) weist resümierend darauf hin, dass „für die angezeigten Integrati- onsdefizite nicht die islamische Religion, sondern […] vielmehr die spezifische politische Situation der jeweiligen Herkunftsländer und die Anwerbe- und In- tegrationspolitik der Bundesregierung verantwortlich gemacht werden muss“ (S.269).

Zentrale Ergebnisse der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ haben auch für die zukünftige Integrationspolitik relevante Aspekte herausgearbeitet, so dass man zu der Erkenntnis kam, dass sich in den Debatten um Integration auch die Vielfalt des muslimischen Lebens widerspiegeln soll, die ebenso von Menschen kleinerer Herkunftsgruppen (z. B. aus Südosteuropa) geprägt wird. Insgesamt soll zunehmend Integration durch Bildung stattfinden, indem die kommunikativen Fertigkeiten im Rahmen von Integrationskursen besser geför- dert werden. Was die hohe Quote von Schulabgängern ohne erreichten Ab- schluss sowie der geringe Anteil von Abiturienten betrifft, sollen die „bereits öffentlich intensiv diskutierten Ansätze zur Förderung der vorschulischen, schu- lischen und außerschulischen Bildung von Migranten konsequent umgesetzt werden“ (Haug et al., 2009, S.18f.).

Die Gesamtsituation der Integration muslimischer Menschen in Deutschland lässt sich demnach als verbesserungsfähig einschätzen. Um auf lange Sicht eine Verbesserung der Migrationssituation zu bewirken, bedarf es an Aufklärung und Wille, sowohl auf Seiten der Gesellschaft als auch in der Politik. Es ist notwendig sich der Problematik annehmen zu wollen, der muslimischen Minderheit in Deutschland eine akzeptable Lebensgrundlage zu schaffen, die auf der Akzeptanz der Gesamtbevölkerung ruht.

Um der negativen Konnotation bezüglich der Integrationssituation muslimi- scher Menschen in diesem Kapitel dennoch etwas entgegenzuwirken, sollen ab- schließend die Worte Çakirs (2014) Erwähnung finden, dass wider aller Annah- men und Vorurteile „unter MuslimInnen eine große Bereitschaft zur sozialen und gesellschaftlichen Partizipation vorhanden ist“, wie aus verschiedenen Stu- dien hervorging (S.270). Darauf aufbauend gilt es nun den Dialog zwischen Muslimen und ihren Skeptikern zu suchen, um Problembereiche und Differen- zen zu beheben.

2.4.2 Diskriminierung muslimischer Migranten (im Vergleich zu Migranten anderer Religionszugehörigkeiten)

Nicht erst seit den Terroranschlägen des 11. September 2001, aber dadurch mitunter verstärkt, bestehen Vorurteile gegenüber Muslimen, die sich in Ängsten, Misstrauen und Vorbehalten äußern. In der Fachliteratur (Çakir 2014, Klug 2010, Spenlen 2013) ist mitunter sogar von Islamophobie die Rede, wenn diese Ablehnung extreme Richtungen einschlägt. Doch was versteht man unter Isla mophobie und wie hat sie sich etabliert? Dieses Kapitel soll Aufschluss über diesen Begriff und seine Hintergründe verschaffen.

Mit geschätzten vier Millionen Muslimen ist der Islameine in Deutschland weit verbreitete Religion und dennoch mangelt es ihm an Akzeptanz von Seiten der nicht-muslimischen Gesellschaft. Die Wissenschaftlerin Naime Çakir (2014) spricht von einer „Grundskepsis, die sich im Zuge entsprechender publizisti- scher Aufbereitungen bisweilen hin zu islamophoben Positionen steigert“. Der Islam wird als Bedrohung der eigenen Kultur und als „unvereinbar mit freiheit- lich-demokratischen Prinzipien“ erachtet und erschwert auf diese Weise vielen muslimischen Bürgern die Integration, da ihre Erscheinung von einem allge- meingültigen „Feindbild Islam“ (ebd., S.8) geprägt ist . Islamophobie versteht sich folglich als Angst und Feindlichkeit bis hin zum Hass gegenüber Muslimen und der Religion selbst (vgl. Engelmann 2010, S.37).

Diese Auffassung wird auch von Petra Klug (2010) geteilt, die sich in „Feind- bild Islam?“ mit der bestehenden Ablehnung gegenüber Muslimen auseinander- setzt. Sie nennt drei verschiedene Begründungszusammenhänge für diese Ab- lehnung. Muslime werden oftmals als Migranten wahrgenommen, haben zudem eine andere Konfessionszugehörigkeit und weil sie „generell Religion als Thema […] ins öffentliche Bewusstsein rücken“, werden sie als etwas Fremdes und Bedrohliches erachtet (S.22).

Die Kategorisierung, die in Bezug auf Muslime oft vorgenommen wird, lässt sich auf die Tatsache zurückführen, dass Menschen dazu neigen, das Fremde im Verhältnis zum Eigenen zu sehen und - meist negativ - zu bewerten. Entschei- dend für diese Bewertung sind unterschiedliche Faktoren29, die die Fremdwahr- nehmung subjektiv beeinflussen (vgl. Bolten 20125, S.79f.). Çakir (2014) ist sich der wachsenden Skepsis und den sich verschärfenden Vor- urteilen gegenüber Muslimen bewusst und versucht die Ursachen dieser gegen- wärtigen islamfeindlichen Haltungen zu erläutern, die insbesondere die Gene- ration der Nachkommen ehemaliger Gastarbeiter betrifft. Die Muslime, die ei- gentlich als Gastarbeiter auf begrenzte Dauer (wie Saisonarbeiter oder Touris- ten) nach Deutschland gekommen waren, erhielten laut Çakir den Status eines "Niemand" und wurden demnach nicht als Bedrohung der "Leitkultur" wahrge- nommen (ebd., S.142). Ähnlich sieht das auch Hüttermann (2011), der be- schreibt, dass der Gastarbeiter damals die Rolle des „Zuwanderers“ beziehungs- weise des „peripheren Fremden“ eingenommen habe und der Deutsche ihm ge- genüber als der „Alteingesessene“ und „gastgebende Platzanweiser“ agierte (vgl., S.40).

Verschärft wurde diese Haltung dadurch, dass Gastarbeiter zunächst die „in der Regel […] ungeliebten, meist schlecht bezahlten, mit wenig Sozialprestige ver- sehenen harten Tätigkeiten“ erledigten (Çakir 2014, S.142). Dies änderte sich durch die allgemeine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, beispielsweise mit der Einführung der 40-Stunden Woche oder mit der Ausdeh- nung des Jahresurlaubs, welche sich schließlich positiv auf die Situation der Gastarbeiter auswirkte, die nach und nach besser bezahlte Tätigkeiten ausüben konnten und Arbeitsverträge auf unbefristete Zeit erhielten (vgl. Korte 1984, S.262f.).

Çakir (2014, S.143) spricht sogar von der „Karriere“ des Gastarbeiters, dem der Aufstieg vom Aushilfspersonal zum Stammpersonal gelang, und fasst zusammen, dass „der Gastarbeiter als der ehemalige marginalisierte Fremde in vielen Lebensbereichen immer mehr zum erlebbaren Konkurrenten“ wurde […] und „nun nicht mehr länger der Fremde [war], den man durch die Kunst der [Verleugnung] als den absoluten Fremden ignorieren konnte“.

In dem Werk „Verheimatet“ von Havva Gülcan Ayvalik (2011), das sich mit Einzelschicksalen türkischer Gastarbeiter beschäftigt, wird die damalige Situation für die Gastarbeiter wie folgt beschrieben:

Anfang der 80er Jahre wurden die Familien zusammengeführt und die kultu- rellen Unterschiede zwischen der Aufnahmegesellschaft und den ‚Neuan- kömmlingen‘ traten deutlicher hervor. In den Städten entstanden Siedlungen mit überwiegend Menschen aus der Türkei und die ersten Unternehmen von Migranten wurden gegründet. Anstatt auftretende Probleme zu lösen, mitei- nander in den Dialog zu treten, diese Menschen zu fördern und zu unterstüt- zen, hat man es vorgezogen keine soziale Verantwortung zu übernehmen. Diese Menschen hatten ihre Heimat verloren, es wurde verlangt, dass sie auch ihre Identitäten verlieren (S.8).

Die Situation der Gastarbeiter hat sich folglich im Verlauf der letzten Jahre verändert: Ihre Arbeitsbedingungen und damit auch ihre Lebensbedingungen haben sich verbessert. Ihre Kinder besuchten deutsche Schulen und erfuhren auf diese Weise „bildungsbezogene und soziokulturelle Prägungen“, sie forderten „selbstbewusst ihre Rechte“ ein und hatten von nun Anteil an „gesellschaftspolitisch relevanten Entscheidungen“ (Çakir 2014, S.144).

Daraus lassen sich weitere Ursachen und Begründungen für die weitverbreitete Skepsis und Vorbehalte gegenüber muslimischer Menschen ableiten, die „nicht aus Deutschland wegzugehen gedenken, sondern zunehmend für sich beanspru- chen, Deutsche und teilweise gleichermaßen bekennende MuslimInnen mit Macht- und Anerkennungsansprüchen zu sein“ (ebd., S.144f.). Hüttermann (2011) hat sich in diesem Zusammenhang mit der Problematik aus- einandergesetzt, weshalb Gruppen, die aus islamisch geprägten Herkunftslän- dern vergleichsweise häufiger Opfer von Diskriminierung beziehungsweise Stigmatisierung werden als Ausländer aus christlich geprägten Ländern. Laut ihm handelt es sich um Konflikte, die im Rahmen des Integrationsprozesses stattfinden, weil „Alteingesessene“ nicht gerne auf „formelle wie informelle Pri- vilegien verzichten und Zugewanderte sich nicht auf ewig mit ihrer sozialen Randstellung abfinden“ (S.57).

Es ist zudem als problematisch anzusehen, dass die türkischen Gastarbeiter, an- ders als ihre spanischen, griechischen oder italienischen Gleichgesinnten, nicht nur als eine Art Randgruppe nach Deutschland kamen, die nicht die gleichen kulturellen und religiösen Prägungen wie Deutsche teilten, sondern sich zusätz- lich in den 1960en Jahren in bestimmtem Produktions- und Siedlungsstätten in großer Zahl ansiedelten. Ein weiterer Nachteil für die muslimischen Migranten war die Tatsache, dass die übrigen Gastarbeiter „eine vergleichsweise bessere Vorbildung und dem damit verbundenen Wissen um die Bedeutung von Bildung für das beruflich-soziale Vorankommen ihrer Kinder“ mitbrachten (ebd., S.58). Alle genannten Aspekte haben schließlich zur Folge, dass der Islam als das Fremde in unserer Lebenswelt erachtet wird. Er wird als eine fremde Bedrohung wahrgenommen, die sich aufgrund seiner wachsenden Anhängerschaft in Deutschland mehr und mehr in unserer eigenen Kultur etabliert und auf diese Weise „sukzessive die Bereitstellung exkludierender Maßnahmen“ hervorruft (Çakir 2014, S.208).

Die Aktualität zeigt, dass die Bevölkerung mit muslimischen Wurzeln es ge- schafft hat, sich über Generationen immer mehr der deutschen Lebensart in vie- len Bereichen so anzupassen, dass sich eine „Angleichung von beruflichen Qua- lifikationen und entsprechend veränderte[n] habituelle[n] Eigenarten abzeich- net“ (ebd., S.208).

Zum Leidwesen der Muslime bietet gerade ihr Fortschritt eine neue Angriffs- fläche für sogenannte Islamkritiker, die bemüht sind „ethnisch-kulturelle Un- vereinbarkeiten mit der eigenen Leitkultur hervorzuheben und entsprechende, darauf bezogene Ausgrenzungsmechanismen moralisch wie rechtlich zu recht- fertigen“ (ebd., S.208). Sie richten ihre Blicke demnach auf negativ konnotierte Elemente wie das Schächten, die Beschneidung von Jungen oder das Tragen des Kopftuchs (vgl. ebd., S.208).

Vor allem Letzteres steht immer wieder im Fokus der Aufmerksamkeit, dringt sogar in Ansätzen bis zu den Nachrichten durch und führt dadurch oft zur Dis- kriminierung seiner Trägerinnen. Das Kopftuch wird oftmals als eine Provoka- tion und Demonstration des Andersseins von der deutschen Gesellschaft aufge- fasst und führt zur Stigmatisierung all ihrer Trägerinnen und zu dem Vorwurf, dass sie sich der westlichen Prägungen nicht annehmen wollen (vgl. Auernhei- mer 2001, S.43). Çakir (2014, S.208) betont in diesem Zusammenhang, dass „dieses grenzsichernde Bemühen stets dann mit besonderer Vehemenz einsetzt, wenn das Eigene einem größeren Bedrohungspotenzial ausgesetzt zu sein scheint“. Ein aktuelles Beispiel ist durch die steigende Zahl an Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte gegeben. Die Tagesschau berichtete im Januar 2016 rückblickend auf das vergangene Jahr von 924 gewalttätigen Übergriffen auf Behausungen, in denen Flüchtlinge untergebracht sind. Im direkten Vergleich: in 2014 waren es 199 Übergriffe30.

Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es ähnliche Phänomene und Mecha- nismen, wie man sie derzeit beobachten kann, bereits gegeben hat. Die kritische und feindliche Haltung gegenüber den Muslimen sowie dem Islam ist über die Jahre in unserer Gesellschaft herangewachsen (vgl. Spenlen 2013, S.99). Dass dabei auch die Medien eine entscheidende Rolle gespielt haben und gegenwär- tig immer noch dazu beitragen das islamfeindliche Bild zu verstärken, wird im nächsten Kapitel dargelegt.

Abschließend sollen noch die Auswirkungen und Folgen von Diskriminierung skizziert werden. Einen Überblick bietet Uslucan (2012), indem er schildert, dass Diskriminierungserfahrungen einer gelingenden Integration im Wege ste- hen und schlimmstenfalls zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können. Diese äußern sich durch die Erfahrung täglicher Diskriminierungen31 auf lange Sicht in einer Minderung der Lebenszufriedenheit.

Im schulischen Bereich kann Diskriminierung mitunter zum Ausbremsen von Bildungskarrieren führen, was weitreichende Auswirkungen auf die Lebensgestaltung der Betroffenen mit sich führt (S.12f.).

Angesichts dieser Tatsachen wird deutlich, welche Dringlichkeit die Auseinan- dersetzung mit der Diskriminierung von Zuwanderern hat, um dem Problem entgegenwirken zu können und ausländerfeindliche Tendenzen auf lange Sicht einzudämmen.

2.4.3 Der Islam in den Medien

Zeitungsartikel mit Überschriften wie „Muslimische Migranten müssen sich besser anpassen“32 oder „Das Gift der muslimischen Intoleranz“33 sind gegen- wärtig keine Seltenheit. Die wachsenden Flüchtlingszahlen und vermehrt ge- stellten Asylanträge in Deutschland schüren die seit den Terroranschlägen von 2001 oder aktuellen IS-Anschlägen bestehende Angst vor dem Islam. Hinzu kommen provokante Coveraufmachungen34 auf populären Zeitschriften, die den Islam in ein schlechtes Licht und unter terroristischen Generalverdacht stellen35. Gleiches geschieht in abendlichen Talkshows, in denen Muslime sich zu Wort melden dürfen, zu Themen, die bereits von Vorurteilen (Kopftuch, Rolle der Frau, et cetera) geprägt und negativ konnotiert sind. Erschreckend in diesem Kontext ist hingegen, dass der „Islam als Religion und eigentliches Thema […] in den Massenmedien kaum [vorkommt]“ (Schiffer, S.2013, S.123). Vielmehr werden im Rahmen der Islamberichterstattung negative Ereignisse oder As- pekte -Anschläge, Ehrenmorde oder Kopftuch als Zeichen für die Unterdrü- ckung der Frau - zum Gegenstand der Diskussion gemacht (Engelmann et al. 2010, S.9).

Es liegt also auf der Hand, dass das „Islambild der Medien ein eigenes Kon- strukt“ ist, welches sich durch immer wiederkehrende (fälschliche) Thematisie- rung in den Köpfen der Zuschauer beziehungsweise Leser verfestigt. Studien dazu belegen sogar, dass Medien eine antiislamische Haltung des Publikums hervorrufen/begünstigen (vgl. Schiffer 2013, S.123f.). Dieses Phänomen lässt sich dadurch erklären, dass die mediale Berichterstattung eine nicht zu unter- schätzende Einflussgröße in Bezug auf die Herausbildung eines islamfeindli- chen Bildes darstellt. Denn sie nimmt eine gewisse Funktion von Wissensver- mittlung in der Gesellschaft ein. Oftmals wird diese Rolle (des Wissensvermitt- lers) zu Gunsten einer gewissen Sensationslust ausgenutzt und somit eine Tat- sache verzerrt oder überspitzt dargestellt (vgl. Engelmann et al. 2010, S.12). Eine Studie des Sachverständigenrates für Migration und Integration deutscher Stiftungen (SVR)36, die dieser Tatsache auf den Grund zu gehen versuchte, kam zu der Erkenntnis, dass sowohl Deutsche (70%) als auch Muslime (74%) die Meinung vertreten, Letztere seien in den Medien überwiegend negativ darge- stellt. Interessant ist ebenso, dass auch Zuwanderer aus Osteuropa sowie Perso- nen ohne Migrationshintergrund sich einig über die inadäquate Darstellung von Einwanderern in den Medien sind. Vor allem Menschen aus der Türkei oder arabischen Herkunftsländern werden demnach häufig zu Opfern der zu negati- ven Darstellung von Zuwanderern in den Medien wie Abb. 4 veranschaulicht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Zu negative Darstellung von Zuwanderern in den deutschen Medien aus der Sicht verschiedener Gruppen.

Engelmann (2010) bringt die Problematik in Bezug auf das Islambild in den Medien auf den Punkt, indem sie kritisiert, dass zu häufig Berichterstattung über eine Minderheit betrieben wird, ohne die Chance der direkten Kommunikation mit den Betroffenen in Erwägung zu ziehen. Sie ist der Meinung, dass es eines anerkannten und dauerhaften Korrektivs bedarf, um das negative Islambild zu revidieren (vgl. S.9, 13).

Betrachtet man abschließend die Entwicklung des Islam als gesellschaftlichen Gegenstand, lässt sich erkennen, dass er in Deutschland fest verankert ist. Mehr als vier Millionen muslimische Gläubige tragen seit Jahrzehnten dazu bei und fordern sich ihre Rechte ein. Sie wollen Anerkennung und Gleichberechtigung auf allen Ebenen und gleichzeitig ihre kulturellen und traditionellen Praktiken aufrechterhalten. Dass diese Haltung in der christlich geprägten Gesellschaft oftmals auf Unbehagen stößt, wurde in den vorausgehenden Kapiteln erörtert. Da der theoretische Teil dieser Arbeit sich überwiegend mit den Muslimen aus- einandersetzt, die unter mangelnder Akzeptanz leiden und häufig zu Opfern von Diskriminierung werden, soll dennoch nicht unerwähnt bleiben, dass es auch eine Kehrseite der Medaille gibt. Die Tatsache, dass es ebenso muslimische Gläubige gibt, die eine fundamentalistische Glaubensauslegung des Islam ha- ben, ist nicht von der Hand zu weisen. Zahlreiche Terrorakte des IS, die in den letzten Jahren verübt wurden und bei denen unzählige Zivilisten ums Leben ka- men, belegen dies. Gleichwohl gilt aber auch zu sagen, dass es ebenfalls in der christlichen Welt Akte des Terrors gab (RAF oder IRA). Terrorismus ist dem- nach kein muslimisches Phänomen. Abschließend lässt sich sagen, dass eine gewisse Skepsis und kritische Betrachtung eines Sachverhaltes als angemessen zu erachten sind - gleichwohl ob es sich um den Islam oder eine andere Religion handelt.

In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass nicht alle Muslime die gleichen Ansichten bezüglich der Auslegung ihres Glaubens haben und eine voreilige Pauschalisierung viele Millionen Muslime zu Unrecht verurteilt. Der vorliegende Theorieteil hat dementsprechend vielmehr den Zweck verfolgt, ei- nen groben Überblick über die Entwicklung sowie über die aktuelle Situation des Islam in Deutschland zu liefern, als eine Haltung für oder wider Muslime auszudrücken.

II Der Islam in der Schule

Die vorausgehenden Kapitel haben sich mit dem Islam als Gegenstand unserer heutigen Gesellschaft auseinandergesetzt und dabei in den Fokus gerückt, dass Muslime schon seit mehr als 60 Jahren nach Deutschland immigrieren und so- mit einen Teil unserer Gesellschaft darstellen. Trotz der erwähnten und anhal- tenden Probleme hinsichtlich ihrer Integration und Anerkennung ist seit dem viel passiert: Die Muslime in Deutschland haben eine gut ausgebaute muslimi- sche Infrastruktur entwickelt, was unter anderem anhand der anerkannten isla- mischen Dachverbände auf politischer Ebene oder der zahlreichen Moscheen an den Tag gelegt wird. Ein weiteres Indiz dafür, dass von Seiten der Politik und (Teilen der) Gesellschaft ein Streben nach einem friedvollen Zusammenleben zwischen Deutschen und Muslimen besteht, ist der Einzug des Islamunterrichts in deutsche Schulen37.

In Bezug auf die Schule stellt der Islam, abgesehen vom islamischen Religions- unterricht, aber auch für andere Fächer eine relevante Thematik dar, weil er seit vielen Jahrzehnten in Deutschland verwurzelt ist und somit dafür sorgt, dass die Anzahl an interkulturellen Begegnungen im Alltag steigt. In der Regel sind es die gesellschafts- beziehungsweise sozialwissenschaftlichen Fächer wie Politik und Wirtschaft oder auch Geschichte, in denen ein Augenmerk auf diese Welt- religion und seine Glaubensanhänger sowie aktuelle sie betreffende Gescheh- nisse gerichtet wird.

Als Institution der und für die Gesellschaft wird Schule von Interessen geleitet, die von gesellschaftlicher Bedeutung sind. Grundsätzlich soll Schule die Anfor- derungen und Erwartungen von Staat und Gesellschaft erfüllen, weshalb ihr in Hintz/ Pöppel/ Rekus (1993) drei Funktionen zugewiesen werden: Erste ist die Qualifikationsfunktion. Diese umfasst die Vermittlung von Fertigkeiten, Kennt- nissen und Schlüsselqualifikationen38 die für das zukünftige Leben der Schüler in Beruf und Gesellschaft als essentiell erscheinen. Zweite Funktion ist die der Selektion, die die Schüler bezüglich ihrer Leistungen unterschiedlichen Schul- laufbahnen und damit einhergehend Lebenschancen zuordnet. Letztere ist die Integrationsfunktion, die beabsichtig den Schülern gesellschaftlich erwünschte Verhaltensweisen durch die Vermittlung von Einstellungen und Haltungen nahezubringen. Dazu zählen unter anderem ein Maß an Fleiß und Sorgfalt sowie Respekt im Umgang mit Menschen (vgl., S.118f.)39.

[...]


1 Romain Rolland (1866-1944), französischer Schriftsteller, 1915 Nobelpreis für Literatur.

2 Unter interkultureller Kompetenz versteht man „die Fähigkeit eines Individuums […], über die eigenen kulturellen Grenzen hinaus zu treten und mit Menschen unterschiedlicher sprachlicher und kultureller Herkunft in Interaktion zu treten„ (Wolff 2016, S.9).

3 Es sei darauf hingewiesen, dass aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet wird. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

4 Es ist die Rede von einem Migrationshintergrund, wenn eine Person selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.

5 Darunter fallen etwa 7,2 Millionen Ausländer und 9,2 Millionen Deutsche mit Migrations- hintergrund. Letztere umfassen knapp 2,5 Millionen Eingebürgerte sowie 3 Millionen Spät- aussiedler sowie mehr als 3 Millionen Kinder (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Datenreport 2016 - Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, S.218).

6 Der Begriff umfasst sowohl die Religion als auch den Kulturraum (vgl. Schneiders 2012, S.11).

7 Vgl. Hessisches Schulgesetz.

8 Ebd., §2, S.14.

9 Die Webseite „Pro Asyl“ nennt die häufigsten Vorurteile gegenüber Ausländern. Siehe dazu https://www.proasyl.de/thema/rassismus/fakten-gegen-vorurteile/.

10 Vgl. Statistisches Bundesamt. Bevölkerung mit Migrationshintergrund- Ergebnisse des Mik- rozensus 2015. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/Migra- tionIntegration/Migrationshintergrund2010220157004.pdf?__blob=publicationFile.

11 Weitere Einwandergruppen, die aus unterschiedlichen Gründen nur eine weniger beträchtli- che Bedeutung innehaben und deshalb nicht immer Erwähnung finden, sind 1) die Einge- wanderten aufgrund von EU-Binnenmigration, 2) die Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Staa- ten, die sich für einen begrenzten Zeitraum in Deutschland aufhalten, 3) die zugewanderten Fachkräfte, die über eine Green-Card verfügen, und zuletzt 4) ausländische Studierende (vgl. Schulz/Kaempf 2005/20062, S.427f.).

12 „Zwischen 1950 und 1992 kamen etwa 2,8 Mio. Aussiedler in die Bundesrepublik, die aus Fürsorge- und Schutzgründen ein Recht auf Zuzug, auf die deutsche Staatsangehörigkeit und Anspruch auf Eingliederungsleistungen hatten.“ (ebd., S.20).

13 Statistisches Bundesamt. Datenreport 2016. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Datenreport/Downloads/Datenre- port2016.pdf?__blob=publicationFile.

14 Vgl. ebd. S.224.

15 Vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 430 vom 17.12.2013 „Migration hat eine lange Tradition“ https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilun- gen/2013/12/PD13_430_122.html.

16 Mediendienst Integration. https://mediendienst-integration.de/migration/wer-kommt-wer- geht.html.

17 Subtrahiert man von den Eingewanderten die Zahl der Ausgewanderten, resultiert als Bilanz der Wert in Abb. 2.

18 Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Zahlen nicht mehr den eigentlichen aktuell hier lebenden Muslimen gerecht werden. Eine aktuelle Studie hierzu (“Muslimisches Leben in Deutschland 2016“) ist aktuell in Erarbeitung und wird in Kürze veröffentlicht. Für die Gegenwart wird von einem sehr ähnlichen Wert ausgegangen, was sich dadurch er- klären lässt, dass der Zensus von 2011 die gesamte Zahl der Ausländer in Deutschland nach unten korrigierte (vgl. Statistisches Bundesamt. https://www.destatis.de/DE/Methoden/Zen- sus_/Zensus.html.

19 Pew Research Center - “The Future of the Global Muslim Population” (2011), ent. aus http://www.zeit.de/gesellschaft/2015-01/islam-muslime-in-deutschland.

20 An dieser Stelle ist es als problematisch zu erachten, dass die genannten Zahlen auf einer in 2009 durchgeführten Erhebung beruhen, weshalb aktuelle Flüchtlingsströme nicht miteinbe- zogen sind.

21 Friedrich- Ebert- Stiftung (2007). Diskriminierung und Intoleranz gegenüber Muslimen. http://library.fes.de/pdf-files/bueros/stuttgart/06069.pdf, S.5f.

22 Vgl. Deutschlandfunk. „Moscheen in Deutschland. Fromm, unauffällig- und gefährlich?“ http://www.deutschlandfunk.de/moscheen-in-deutschland-fromm-unauffaellig-und-gefaehr- lich.724.de.html?dram:article_id=361983.

23 Vgl. Zeit Online. Zeitgeschehen. „Muslime in Deutschland. Das ist eine Moschee“. http://pdf.zeit.de/2016/30/muslime-in-deutschland-moschee-glauben-staat.pdf.

24 Vgl. Deutschlandfunk. „Moscheen in Deutschland. Fromm, unauffällig- und gefährlich?“.

25 Deutsche Islam Konferenz. Von einer Initiative zu einem gemeinsamen Weg. http://www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/DIK/1UeberDIK/DIK06-09/Rueck- schau/rueckschau-node.html.

26 Deutsche Islam Konferenz. Die Verbände in der DIK. http://www.deutsche-islam-konfe- renz.de/DIK/DE/DIK/1UeberDIK/DIK2014Teilnehmer/dik2014teilnehmer-node.html

27 Dr. Wolfgang Schäuble. Migration, Integration und Religion. (20.5.2008) http://www.wolf- gang-schaeuble.de/migration-integration-und-religion/.

28 Friedrich-Ebert-Stiftung. Diskriminierung und Intoleranz gegenüber Muslimen. http://library.fes.de/pdf-files/bueros/stuttgart/06069.pdf.

29 Bolten (20125 ) führt in diesem Zusammenhang näher aus, dass der Fremdheitsbegriff relativ und subjektiv definiert wird, wenn „fern“ und „fremd“ in seiner geographischen Bedeutung verstanden wird. Auch das Wechselspiel zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung sind maßgeblich entscheidend, was wir über den anderen vermuten und annehmen, beziehungsweise, was der andere von uns erwartet und annimmt (vgl. 79ff.). Im Rahmen einer Studie „ sind international tätige Manager gebeten worden, Entfernungen von der Hauptstadt ihres Landes zu verschiedenen Städten der Welt zu schätzen. Das Ergeb- nis war verblüffend: Städte, die aus eigener Erfahrung oder aus Sekundärerfahrungen (Me- dien, Kollegen) besser bekannt waren, wurden kilometerbezogen viel „näher“ eingeschätzt als eher unbekannte Städte, die dementsprechend erheblich „ferner“ angesiedelt wurden“ (S.80).

30 Siehe dazu Tagesschau vom 13.01.2016. Gewalt gegen Flüchtlinge. Deutlich mehr An- schläge auf Asylbewerberheime. https://www.tagesschau.de/inland/anschlaege-asylunter- kuenfte-bka-101.html.

31 Nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln reagierten Clubbesitzer in Freiburg und gaben bekannt, dass sie von nun an keinen Flüchtlingen mehr Zutritt zu ihren Lokalitäten gewähren werden. http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/angst-vor- uebergriffen-zutrittsverbot-fuer-fluechtlinge-in-freiburger-discos-14030326.html.

32 Welt. https://www.welt.de/debatte/kommentare/article155260658/Muslimische-Migranten muessen-sich-besser-anpassen.html.

33 Frankfurter Allgemeine. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/integration/schule- und-integration-das-gift-der-muslimischen-intoleranz-1594843.html.

34 „Das hat nichts mit dem Islam zu tun. Doch! Glaube und Gewalt: Warum Muslime ihre Re- ligion jetzt erneuern müssen - und wie die Freiheit zu verteidigen ist“. http://mee- dia.de/2015/02/17/cover-check-focus-punktet-am-kiosk-mit-islam-kritischem-titel/.

35 Vgl. ebd.

36 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Muslime in der Mehrheitengesellschaft: Medienbild und Alltagserfahrungen in Deutschland.

37 Hessen ist das erste Bundesland, das den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunter- richt auf der Grundlage von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes im Schuljahr 2013/14 ein- geführt hat (s. Hessisches Kultusministerium. Bekenntnisorientierter islamischer Religions- unterricht. https://kultusministerium.hessen.de/schule/weitere-themen/bekenntnisorientierter- islamischer-religionsunterricht).

38 Zum Beispiel Kooperationsbereitschaft oder Teamfähigkeit.

39 Die Auffassung, dass die Integrationsfunktion die Haupt- und wesentliche Erziehungsaufgabe der Schule sei, ist mitunter weit verbreitet (vgl. ebd.)

Ende der Leseprobe aus 108 Seiten

Details

Titel
Islam in der Schule. Herausforderungen und Chancen (Französich Oberstufe Gymnasium)
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
15
Autor
Jahr
2016
Seiten
108
Katalognummer
V366725
ISBN (eBook)
9783668456082
ISBN (Buch)
9783668456099
Dateigröße
3966 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
islam, schule, herausforderungen, chancen, französich, oberstufe, gymnasium, unterrichtsentwürfe, islambild, einwanderung
Arbeit zitieren
Ann Wagner (Autor:in), 2016, Islam in der Schule. Herausforderungen und Chancen (Französich Oberstufe Gymnasium), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/366725

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