Leseprobe
Einleitung
1. Einleitung
1.1. Vorgehensweise
1.2. Hypothese
1.3. Forschungsstand
2. Begriffsklärung
2.1. Gemeinschaft vs. Gesellschaft
2.2. Individuum vs. Gesellschaft
2.3. Menschliches Handeln
2.4. Eigentum – Sondereigentum
3. Ludwig von Mises – Praxeologie
3.1. Apriorische Wissenschaft
3.2. Rationales, teleologisches und kausal bedingtes Handeln
3.3. Oberste Prämisse: absolute Wertfreiheit subjektiver Urteile
4. Gesellschaft bei Ludwig von Mises
4.1. Arbeitsteilung und Mannigfaltigkeit des Menschen
4.2. Vernunft und Wille des Menschen
4.3. Sondereigentum
4.4. Kooperation statt Kampf
5. Analyse
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1.Einleitung
„Gesellschaft ist Zusammenwirken und Zusammenhandeln, das im Erfolg des Partners ein Mittel zum eigenen Erfolg sieht.“ (Ludwig von Mises, 1940: 139).
Menschliches Handeln ist nach Ludwig von Mises die sinnhafte Antwort des Subjekts auf seine Umwelt (vgl. Mises 1940: 11) und basiert auf subjektivenWerturteilen und individuellem Eigennutz. Ziel des Handelns ist immer die Aufhebung „der Unvollkommenheit und des Unbefriedigtsein[s]“ (Mises 1940: 65). Oben angeführtes Zitat scheint auf den ersten Blick genauso paradox wie Mises‘ „Reichtumsgestaltung aller Glieder der Gesellschaft“ (Mises 1940: 260) mittels der Entscheidungen der Verbraucher am Markt.In meiner Hausarbeit werde ich der Frage nachgehen, wie ein ziel- und zweckbewusstes Handeln einzelner Individuen in Kooperation mit anderen, ebenso ziel- und zweckorientierten Individuen, zum Wohlstand und zur Entwicklung einer Gesellschaft beitragen kann?
1.1. Vorgehensweise
Im ersten Schritt werde ich in Kapitel 2 eine Definition und Klärung der für diese Arbeit relevanten Begriffe vornehmen. In Kapitel 3 gebe ich eine kurze Einführung in Mises’ Praxeologie, seiner Theorie vom Handeln. Im Hauptteil meiner Arbeit werde ich Mises’ Begriff von Gesellschaft in seinen wichtigsten Punkten ausführen (Kapitel 4) und im Anschluss, in Kapitel 5, in Gegenüberstellung zu relevanten Positionen aus Soziologie und Sozialphilosophie bringen.Mit meinen Schlussfolgerungen werde ich im Kapitel 6 meine Hausarbeit abschließen.
1.2. Hypothese
Ausgehend von Mises’ Praxeologie, die den Einzelnen als Subjekt mit seinenauf individueller Wertsetzung basierender Einzelentscheidungin den Fokus nimmt, vertritt die soziologische Sichtweise oder die kritische Herangehensweise der Sozialphilosophie naturgemäß eine Gegenposition zu Mises’ Gesellschaftsbegriff. Kann bei Mises überhaupt von einer Gesellschaft gesprochen werden, wenn die oberste Prämisse des Subjekts Eigennutz und individuelle Bedürfnisbefriedigung ist? Muss nicht von einer bloß kurz- bis mittelfristige Interessensgemeinschaft ausgegangen werden?
1.3. Forschungsstand
Ludwig von Misesist der dritten Generation derÖsterreichischen Schule der Nationalökonomie zuzurechnen. In akademischen Kreisen blieb er ein Außenseiter und trat vehement gegen den deutschen Historismus eines Werner Schmollers undgegen den historischen Materialismus der Marxistenein.In Österreich galt er als der „Chefanalyst[...] für Wirtschaftsfragen der [Wiener Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie]“ (Ebeling 2008: 7). Anerkennung für seine Arbeit wurde Mises erst in den USA zuteil, z. B. mit dem DistinguishedFellow Award 1969 (Margit v. Mises 1978: IX).Die Finanzkrise 2009 und die Frage nach alternativen ökonomischen Ansätzen mag ein Auslöser für die Wiederentdeckung Ludwig von Mises’ Werk sein. Eugen Maria Schulak und Herbert Unterköfler legten 2009 mit Die Wiener Schule der Nationalökonomie eine umfangreiche Einführung und Entwicklungsgeschichte dazu vor. Peter Koslowski attestierte Mises bereits mehr als zwei Jahrzehnte früher „erhebliche Bedeutung für die Begründung einer Ethischen Ökonomie“ (Koslowski 1988: 16), dem auch Hans-Hermann Hoppe in Die Österreichische Schule und ihre Bedeutung für die moderne Wirtschaftswissenschaften (1996) zustimmte. Das Mises’ Institut (mises.org) in Alabama/USA und das Ludwig von Mises Institut Deutschland e.V. (misesde.org) führen seine Arbeit mit Seminaren, Diskussionsforen und Veröffentlichungen seiner Literatur fort. In Erinnerungen von Ludwig v. Mises (Mises 1978)gewinnen wir Einblicke über die Hintergründe und Motive der wissenschaftlichen Arbeit von Mises, dessen universitäre Lehrtätigkeit durch „Agitation der Etatisten und Sozialisten“ (Mises 1978: 70) stets verhindert wurde.Explizit für das Thema dieser Hausarbeit habe ich folgende Literatur herangezogen: Die Probleme gesellschaftlicher Kooperation hat Mises bereits in Gemeinwirtschaft (1922), in Liberalismus (1927), in Kritik des Interventionismus (1929) behandelt und finden sich in seinem abschließendem Werk Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens (1940) wieder (vgl. Mises 1978: 75). Seine Vorlesungen, die unter dem Titel Vom Wert der besseren Idee (1983) zusammen gefasst wurden, verdeutlichen die Einfachheit und Klarheit seiner Gedanken zu komplexen wirtschaftlichen Themen.
2. Begriffsklärung
Die folgende Begriffsklärung soll für Klarheit und Eindeutigkeit der in meiner Arbeit verwendeten Begriffe sorgen.
2.1. Gemeinschaft vs. Gesellschaft
Der Begriff Gesellschaft ist nach wie vor ein „vieldeutiger sozialphilosophischer Begriff, der dem Umfang nach vom bloß räumlichen Beisammensein zweier Personen bis zur Gesamtheit aller zwischenmenschlichen Beziehungen der Menschheit schlechthin reichen kann“ (Pannier,2008: 211). Die Begriffe Gemeinschaft (engl. community) und Gesellschaft (engl. society) werden bis Mitte des 19. Jahrhunderts synonym als Gegenbegriffe zum Staat verwendet. Erstmit der sich ausdifferenzierenden Soziologie als Gesellschaftswissenschaft kommt es zu einer „nachhaltigen terminologischen Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft“ (Gubatz, 2008: 66).Trotz verschiedener theoretischer Ansätze (deskriptiv, analytisch, normativ) liegen dem Begriff Gesellschaft der „mitgedachte Moment der Gemeinsamkeit zugrunde“ (Ganslandt, 2008: 113), auch wenn die Klassiker wie Weber, Durkheim und Simmel eine grundlegende Differenz zwischen kollektivistischen und individualistischen Gesellschaftstheorien manifestieren. Neben dem Werturteilstreit gehört die Frage, welche „Aussagen über kollektive Phänomene auf Aussagen über die beteiligten Individuen“ (ebd.) zurückführbar sind, zu den noch ungelösten philosophischen Problemen (vgl. Hoff-Bergmann 2008, Ganslandt 2008).
Ferdinand Tönnies verwies bereits 1887 auf den problematischen synonymischen Gebrauch beider Begriffe in der deutschen Sprache und kommt zu folgender Definition: Jedes auf „gegenseitiger Bejahung“ (Tönnies 1887: 3) beruhendes Verhältnis ist eine „Einheit in der Mehrheit oder Mehrheit in der Einheit“ (ebd.), ist eine Verbindung oder Gruppe, in diesich die Einzelnen gewollt und nach individuellen Fähigkeiten mittels gegenseitigen„Förderungen, Erleichterungen [und] Leistungen“ (ebd.) einbringen. Diese Verbindung „wird [...] als reales und organisches Leben begriffen“ (ebd.) und ist bei Tönnies der Begriff der Gemeinschaft. Gesellschaft zeichnet hingegen eine „ideelle und mechanische Bildung“ (ebd.) aus und ist für ihn die „Öffentlichkeit, die Welt“ (Tönnies 1887: 4). Oder noch treffender formuliert: „Gemeinschaft ist alt,Gesellschaft neu, als Sache und Namen.“ (Tönnies 1887: 5).
2.2. Individuum vs. Gesellschaft
Die Differenzierung in kollektivistische und individualistische Theorien der Gesellschaft sagt auch etwas über die Position aus, von der Gesellschaft wissenschaftlich bearbeitet wird: Bottom-up–vom Individuum –oder Top-down – von der Gesellschaft –ausgehend. Dieser in manchen Theorien zur Feindschaft entwickelten Dichotomie der beiden Begriffe tritt Norbert Eliasentgegen. Er plädierte in Die Gesellschaft der Individuen für eine andere, von Antinomie und Ideologie freie Sichtweise: Die Gesellschaft und das Individuum bedingen einander. Die Trennung in Individualität und „gesellschaftliche Bedingtheit“ (Elias 1987: 90) des Menschen sind „nichts als zwei verschiedene Funktionen der Menschen in ihrer Beziehung zueinander“ (ebd.: 91). „Die Gesellschaft ist nicht nur das Gleichmachende und Typisierende, sondern auch das Individualisierende“ (ebd.: 90). Für diese Arbeit soll folgendes Zitat aus Ausgangsbasis für die Begriffe Individuum und Gesellschaft dienen:
„Jede menschliche Gesellschaft besteht aus einzelnen Individuen, und jedes menschliche Individuum wird menschlich nur, wenn es zu handeln, zu sprechen, zu fühlen lernt in Gesellschaft von anderen. Die Gesellschaft ohne Individuen, das Individuum ohne Gesellschaft ist ein Unding.“ (Elias 1987: 108f).
Daraus ergibt sich der Begriff Individuum für den einzelnen, „autonomen, sich selbst regierende[n Menschen]“ (Elias 1987: 210), der sich von anderen Individuen in seinen besonderen Fähigkeiten, erworbenen Kenntnissen und gesammelten Erfahrungen unterscheidet.
2.3. Menschliches Handeln
Menschliches Handeln unterscheidet sich zu Reflexen, Trieben und passivem Geschehenlassen dadurch, dass es immer eine bewusste, auf freier Willensentscheidung basierende Aktivität des Handelnden ist. Der Handelnde wählt sein Ziel und die zur Zielerreichung angemessenen Mittel. In der Philosophie ist die Frage nach der Zweck-Mittel-Relation bereits seit Aristoteles immer wieder zentrales Thema, wie auch die Frage nach der Verantwortlichkeit des Handelnden aus der ethischen Perspektive (vgl. Prechtl 2008, Tesak 2003,Lumer 2010, Aristoteles 2012).Die subjektivistische Wertlehre nach Carl Menger und Eugen Böhm von Bawerk legte die Grundeinstellung, dass menschliches Handeln nicht zwischen wirtschaftlichem und nicht-wirtschaftlichem Handeln unterscheidet (vgl. Mises 1978: 81).
2.4. Eigentum – Sondereigentum
Im Bürgerlichen Gesetzbuch wird Eigentum als Sache definiert, über die der Eigentümer,„soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen“ (§903 BGB) kann.Diese Formulierung leitet sich vom napoleonischen Code Civil und dessen „privatistisch-individualistisch“ (Ganslandt, 2005: 284) geprägten Eigentumsbegriff als Resultat der Errungenschaften der Französischen Revolution ab und steht im Zusammenhang mit der „Durchsetzung des modernen bürgerlichen Verfassungsstaates gegen das feudalistisch-absolutistische Gesellschafts- und Staatsgefüge“ (ebd.). Zurückgehend auf die Naturrechtstheorie, dessen „Fundament das Eigentum erwerbende Individuum ist“ (ebd.), bleibt der „sachrechtliche Eigentumsbegriff als wesentliche Voraussetzung der modernen Verkehrsgesellschaft“ (ebd.).Das Zustandekommen von Eigentumsrechten erklären mit unterschiedlichen Ansätzen Grotius‘ Okkupationstheorie, LockesArbeitstheorie, Rousseaus Legaltheorieund Kants Persönlichkeitstheorie – alle basierend auf dem Ideal des Gesellschaftsvertrages(vgl. Ganslandt 2005: 284f; Blume 2003: 311f). Bei Hegel wird das Privateigentum „zur Bedingung der Möglichkeiten individueller Freiheit“ (Ganslandt, 2005: 285) und er erkennt darin die Möglichkeit des Fortschrittes der individuellen Freiheit (vgl. ebd.).
Die rechtliche Verfügungsgewalt ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit der tatsächlichen Herrschaft über das Eigentum, oder anders formuliert: „Das Recht kennt Eigentümer und Besitzer“ (Mises 1922: 13).
Der Terminus Sondereigentum an den Produktionsmittel steht in der „soziologischen und nationalökonomischen Betrachtung [für] jenes Haben der Güter, das die wirtschaftlichen Zwecke der Menschen erfordern“ (Mises 1922: 13) und unterscheidet sich somit von dem des Rechts (vgl. ebd.).Selbst im deutschen Grundgesetz ist der rein eigennützliche oder egoistische Gebrauch des Eigentum eingeschränkt worden, da dieser „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ (GG, Art. 4 (2)) solle.
Im nächsten Schritt werden ich einen kurzen Abriss über Mises’ Theorie des allgemeinen menschlichen Handelns, der Praxeologie,mit Fokus auf den Apriorismus und der Wertfreiheit seiner Theorie geben und im Anschluss seinen Gesellschaftsbegriff darlegen.
3. Ludwig von Mises –Praxeologie
Die Besonderheit der Österreichischen Schule der Nationalökonomie ist, dass sie „eine Lehre vom wirtschaftlichen Handeln und nicht eine Lehre vom wirtschaftlichen Gleichgewicht, vom Nichthandeln“ (Mises 1978: 21) ist. Mises will,aufbauend auf den Ergebnissen Mengers und Böhm-Bawerks und auf der Suche nach den besseren Argumenten gegen die vorherrschende ökonomische Lehre,zu einer „Letztbegründung der Ökonomik“ (Mises 2016) kommen und versuchte mit der Praxeologie menschliches Handeln - ausgehend vom Handeln am Markt –bis auf dessen Grundstruktur eines allgemeinen Handelns frei zu legen. Unabhängig vom wirtschaftlichen Kontext, unabhängig von Bedürfniskategorien oder psychologischen Motivationen kommt er zu dem Ergebnis, dass Handeln nur den Zweck hat, subjektives Unbefriedigtsein durch individuelles Handeln in einen Zustand mit geringerem Unbefriedigtsein zu verändern (vgl. Mises 1940: 66). Für Mises ist die „epistemologische Eigenart der Nationalökonomie“ (Mises 1978: 82) wesentlich und eine Unterscheidung des menschlichen Handelns in rationales oder ökonomisches oder soziales oder ethischessui generisnicht gegeben (vgl. Mises 1978: 82).Dernicht von Anfang an verwendeteBegriff „Praxeologie“ sollte die Grenze zur Soziologie als historische Geisteswissenschaft besser markieren (vgl. Mises 1978: 82).
Im Folgenden sollen die wesentlichen Merkmale Mises‘ Praxeologie, der Apriorismus, das rational-teleologisch-kausale Handeln und die Wertfreiheit subjektiver Werturteile im Detail ausgeführt werden.
3.1. Apriorische Wissenschaft
Mises stellte sich den von Methode und Forschungstechnik unabhängigen Grundfragen der Wirtschaftstheorie: „Woher stammen diese Sätze, was ist ihre Tragweite, in welchem Verhältnis stehen sie zur Erfahrung und zur ‚Wirklichkeit‘?“ (Mises 1978: 80). In der Wissenschaft gehen jeder Aufstellung von Gleichungen und Kurven, auch in der mathematischen Ökonomie, nicht-mathematische Überlegungen voraus(vgl. Mises 1978: 36), d.h. wir erkennen als handelnde Menschen das Wesen des Handelns aus unserem Wissen, das uns vor aller Erfahrung – apriori – gegeben ist (vgl. Mises 1940: 17). Die Gründe und Motive für das Handeln des Einzelnen sind verschieden und variieren, die Grundstruktur des Handelns– und nur die hat Mises im Fokus –bleibt davon jedoch unberührt. Der Apriorismus in Mises’ Praxeologie meint nicht die absolute, vom Menschen unabhängige Wahrheit sondern jene Wahrheit innerhalb des menschlichen Denkvermögens (vgl. Mises 1940: 17).
[...]
- Arbeit zitieren
- Martina Wirth (Autor:in), 2017, Gesellschaft bei Ludwig von Mises. Arbeitsteilung und der Wille zur Kooperation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/366679
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