Sprache als Problem in der Schule am Beispiel Orthographie


Seminararbeit, 2002

18 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sprache als Problem in der Institution Schule
2.1. Deutsch für Migrantenkinder
2.2. Probleme des Erlernens der Orthographie
2.3. Das Entwicklungsmodell der Rechtschreibung aus heutiger Sicht

3. Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS)

4. Historie der Orthographie
4.1. Zeittafel zur Orthographiegeschichte ab 1700

5. Schlussbemerkung

Literatur

1. Einleitung

Der Titel dieser Arbeit lautet „Sprache als Problem in der Schule“. Würde man alle Problemfelder, die mit und um Sprache herum in der Schule entstehen, beschreiben wollen, so wäre der Umfang gewaltig. Von daher will ich mich auf die Orthographie, die geschriebene Sprache als ein Problemfeld in der Schule beschränken.

„Die deutsche Rechtschreibung ist ein wahres Schulkreuz: denn wenn man die Zeit, die dafür aufgewendet wird, den Ärger, den sie Eltern und Lehrern bereitet, die Tränen, die um ihretwillen vergossen werden, summieren könnte, man würde erschrecken über das Unheil, das dieser Unterrichtsgegenstand anrichtet“[1]

Die Klagen über das Schulkreuz Rechtschreibung sind alt, wie das obige Zitat von Kosog (1912) belegt. Der historische Wandel innerhalb der Orthographie ist, gerade im Hinblick auf unser 2-semstriges Seminar interessant und soll hier ebenfalls kurz beleuchtet werden. Schreibt man über Orthographie als Problem, so ist man sehr schnell auch bei der Lese- und Rechtschreibschwäche, landläufig Legasthenie genannt, angekommen. Auch dieses Problemfeld möchte ich hier streifen.

Generell gilt natürlich, daß Sprache immer ein Problem ist, gleich ob in der Institution Schule oder außerhalb. Weil Sprache nie eindeutig ist, immer eine Doppel- , eine Mehrfachdeutung zulässt. So können Missverständnisse entstehen, die dann zum Problem führen, gleich ob in geschriebener oder gesprochener Sprache.

2. Sprache als Problem in der Institution Schule

2.1. Deutsch für Migrantenkinder

Da Sprache immer ein Problem ist, verwundert es nicht, dass in den Schulen des heutigen Deutschland, mit ihrem hohen Migrantenanteil gerade die deutsche Sprache und deren Erlernen als Problem empfunden wird. In einer Stadt wie Frankfurt am Main, in der ca. 50% aller Grundschüler Migranten sind, scheint gerade das Erlernen der Orthographie ein immer größer werdendes Problem darzustellen. Gerade wenn mehrsprachige Kinder, wie die meisten an deutschen Schulen, in Deutschland geboren und mit zwei Sprachen zugleich aufgewachsen sind, ihre Mehrsprachigkeit also lebensweltlich ist, können sie nicht nur im Mündlichen zwischen den beiden Sprachen wechseln;[2] im Schriftlichen tun sie es auch, häufig jedoch unbemerkt. Mehrsprachige Schulanfänger verfügen also am Schulanfang oft nicht über unterschiedliche Wahrnehmungsstrukturen für ihre zwei Sprachen und Schriften. Das bedeutet für den deutschen Schrifterwerb: sie nehmen spezifische Strukturen des Deutschen nicht wahr.[3] Hierzu vielleicht ein kurzes Beispiel: Wie können mehrsprachige Schriftlerner die spezifische Struktur des Deutschen wahrnehmen? Viele Schriftkundige meinen, dass sie die Endbuchstaben <d> in Hund, das <g> in Berg und das <b> in Laub als solche hören könnten, obgleich <d>, <g> und <b> im Auslaut verhärtet werden zu /t/, /k/ und /p/. Ursache hierfür ist, dass Schrift den Gegenstand Sprache, den sie repräsentiert, mit Strukturen überzieht:[4] wir meinen beim Sprechen zu „hören“, was wir in Schrift gesehen haben.

Man würde nun also vermuten, dass Rechtschreiblernen unter den Bedingungen von Mehrsprachigkeit, aufgrund der Konturierung des Deutschen entsprechend langsam oder problematisch verliefe. Überprüfen lässt sich dies an der Lernbeobachtung „Schreiben“, bei der alle Kinder von November der 1. Klasse bis zum Februar der 2. Klasse fünfmal einzelne ungeübte Wörter aufgeschrieben haben.[5]. Erstaunlicherweise sind die mehrsprachigen Kinder trotz der ungünstigeren Bedingungen am Schulanfang schon bei der 1. Lernbeobachtung nach 3 Schulmonaten im Schreiben etwa gleich gut wie die einsprachigen Kinder. Und die durchschnittliche Anzahl richtiger Grapheme liegt bei mehrsprachigen Kindern auch zu jedem der anderen Beobachtungszeitpunkte kaum niedriger als bei den einsprachigen. Damit bestätigt sich, dass schwache Lernvoraussetzungen am Schulanfang durch Unterricht kompensiert werden können.

2.2. Probleme des Erlernens der Orthographie

Zahlreiche Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass es sich beim Erlernen der Rechtschreibung nicht um mechanische Prozesse des Einprägens handelt, sondern um eine Denkentwicklung, die zweierlei bedeutet:

1. Einsichten in Funktion und Aufbau unserer Schrift und in die Prinzipien unserer Orthographie zu gewinnen und

- Strategien zum Lernen und Behalten auszubilden (Wie übe ich richtig? Was tue ich, wenn ich nicht weiß wie ein Wort geschrieben wird?)

Diese Lernprozesse finden nicht schlagartig von heute auf morgen statt, sondern die Kinder entwickeln in der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand allmählich Zugriffsweisen oder Strategien, die dem Lerngegenstand Orthographie immer besser angepasst werden.[6]

Man kann den diversen wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema folgendes entnehmen:

- Schreiben ist nicht - wie oft angenommen wurde - eine bloße Umsetzung von gesprochener Sprache in geschriebene Sprache.
- Schreiben ist nicht einfach Umsetzung von Bewußtseinsinhalten, sondern von sprachlich ausgeformten Gedankengängen[7]
- Schreiben ist nicht auf die graphomotorische Komponente zu reduzieren, sondern wird von Einheiten gesteuert, die im Gedächtnis gespeichert sind. Es kann sich hier um optische Wortbilder, um Kenntnisse von Wort- und Satzstrukturen, um grammatische Regeln, um Phonem-Graphem-Beziehungen u.a. handeln.[8]

Schon allein die Grundvoraussetzung, Bedeutung und Klang von Sprache zu trennen ist für Kinder schwierig, weil sie einen anderen Zugang zur Sprache haben und Wörter auf die Bedeutung und den Handlungszusammenhang beziehen. „Geburtstag heißt Geburtstag, weil man dann Geschenke bekommt“; Kuh ist ein längeres Wort als Piepvögelchen, „weil sie größer ist“. Und auf die Frage: „Hör genau hin. Womit fängt Auto an?“; gibt es auch Kinderantworten wie: „Mit einer Stoßstange“[9]

Aber nicht nur die Abstraktion vom Handlungs- und Bedeutungskontext und die Konzentration auf die lautliche Seite der Sprache sind wichtige Voraussetzungen zum Erwerb der Schriftsprache, sondern weitere sprachanalytische Leistungen wie:

- die Gliederung semantischer Einheiten in Wörter (Wortkonzept)

Jeder erwachsene Schriftkundige weiß, dass in einem Satz alle Redeteile aufgeschrieben und zwischen den Wörtern Lücken gelassen werden. Es ist viel zu wenig bekannt, dass SchulanfängerInnen normalerweise diese Einsicht fehlt. Kinder gliedern Sätze zunächst in Bedeutungseinheiten und können sie noch nicht in Wörter gliedern, deshalb fällt es ihnen anfänglich schwer, Lücken zwischen den Wörtern zu lassen.[10]

- die Fähigkeit, den kontinuierlichen Sprechfluss innerhalb eines Wortes in einzelne Segmente zu zergliedern (Phonembewusstsein und Lautanalyse)

Wir haben den fälschlichen Eindruck, dass wir beim Reden einzelne Laute hintereinander sprechen oder beim Zuhören einzelne Laute nacheinander wahrnehmen, weil wir uns am vorgestellten Schriftbild orientieren. Die Lautanalyse für Kinder ist generell schwierig, weil beim Reden die einzelnen Laute miteinander verschmolzen werden. „Die Silbe und nicht der Einzellaut bildet die artikulatorische Grundeinheit. D.h., dass innerhalb der Silbe benachbarte Laute sich gegenseitig beeinflussen; die abstrakten, auf der Ebene der Sprachstruktur wohl unterschiedenen Phoneme verschmelzen auf dem Wege der Realisierung in der Artikulation gewissermaßen miteinander. Man kann es an sich selbst beobachten: Artikuliert man das Wort blasen, so nimmt die Zunge, schon bevor der Verschlußlaut, der am Anfang steht, realisiert wird, die Stellung zur Artikulation des Folgelauts ein. Daher ist die Zungenstellung bei der Artikulation des Wortes Boot vom Beginn an eine andere“[11]

- die Fähigkeit, diesen Lautsegmenten die entsprechenden Schriftzeichen zuzuordnen (Kenntnis der Phonem-Graphem-Zuordnung sowie orthographischer Regeln).

Die von den Lernenden zu meisternde Schwierigkeit besteht darin, dass es keine Eins-zu-eins-Zuordnung von Lauten und Schriftzeichen gibt. Einerseits sind die Schriftzeichen unterschiedlich komplex, denn sie können aus einem (a), zwei (ah) oder drei Buchstaben (sch, ieh) bestehen, andererseits gibt es eindeutige Grapheme, die ein Phonem repräsentieren. (wie <d> für /d/ und /t/ in Hand, <b> für /b/ und /p/ in Stab)

[...]


[1] Kosog, O: Unsere Rechtschreibung und die Notwendigkeit ihrer gründlichen Reform. Leipzig 1912, S. 3

[2] Gogolin, I.: Muttersprache Zweisprachigkeit. In: Pädagogische Beiträge, H.12/1987, S. 26-30

[3] Zimmer, D.E.:: Drei Arten von Zweisprachigkeit. In: Balhorn, H./Brügelmann, H. (Hrsg.): Jeder spricht anders. Lengwil 1989, S. 95-97

[4] Coulmas, F.: Über Schrift, Frankfurt 1981

[5] Dehn, M. und Hüttis-Graff, P.: Wie Kinder Schriftsprache erlernen - Ergebnisse aus Langzeitstudien in Rechtschreiben lernen in den Klassen 1-6, Grundlagen und didaktische Hilfen, Valtin R. (Hrsg.)2000, Frankfurt/M.

[6] Valtin, R.: Ein Entwicklungsmodell des Rechtschreibenlernens in Rechtschreiben lernen in den Klassen 1-6, Grundlagen und didaktische Hilfen, Valtin R. (Hrsg.)2000, Frankfurt/M.

[7] Kainz, F.: Psychologie der Sprache 1967, Stuttgart

[8] Nerius, D.: Deutsche Orthographie, VEB Leipzig, 1989, S. 281

[9] Valtin, R.: Ein Entwicklungsmodell des Rechtschreibenlernens in Rechtschreiben lernen in den Klassen 1-6, Grundlagen und didaktische Hilfen, Valtin R. (Hrsg.)2000, Frankfurt/M., S. 17

[10] vgl. auch Valtin, R.: Ein Entwicklungsmodell des Rechtschreibenlernens in Rechtschreiben lernen in den Klassen 1-6, Grundlagen und didaktische Hilfen, Valtin R. (Hrsg.)2000, Frankfurt/M., S. 17

[11] Andresen, H.: Was Menschen hören können, was sie lernen können, zu „hören“, und was sie glauben, zu hören. Reflexionen über die Bedeutung der Lautstruktur des Deutschen für den Schriftspracherwerb. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST). Beiheft 7, 1983

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Sprache als Problem in der Schule am Beispiel Orthographie
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Proseminar: Einführung in die Sprachwissenschaft (historisch) I
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
18
Katalognummer
V3660
ISBN (eBook)
9783638122597
Dateigröße
395 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Als Hauptproblem von Sprache in der Schule wird hier auf Orthographie unter verschiedenen Gesichtspunkten eingegangen (Migrantenkinder, Legasthenie, Entwicklungsmodelle der Rechtschreibung etc.) 182 KB
Schlagworte
Sprache, Problem, Schule, Beispiel, Orthographie, Proseminar, Einführung, Sprachwissenschaft
Arbeit zitieren
Silke Mühl (Autor:in), 2002, Sprache als Problem in der Schule am Beispiel Orthographie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3660

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