Die Hermeneutik des Zeugnisses von Paul Ricœur in Bezug zur theologischen Wissenschaftslehre von Jürgen Werbick


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

17 Seiten


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Leseprobe


Inhalt

0. Einleitung

1. Bestimmung der Voraussetzungen und der Problemstellung

2. Diskussion der Zeugnisbegriffe
2.1 Ricœurs Zeugnisbegriff
2.2 Werbicks Zeugnisbegriff

3. Vergleich der Hermeneutik Ansätze
3.1 Die Hermeneutik des Zeugnisses nach Ricœur
3.2 Versuch einer Synthese der Hermeneutiken

4. Fazit

Literatur

0. Einleitung

In der folgenden Arbeit soll der Versuch unternommen werden, den Aufsatz über „Die Hermeneutik des Zeugnisses“ von Paul Ricœur, einigen Ausschnitten aus der „Einführung in die theologische Wissenschaftslehre“ von Jürgen Werbick gegenüberzustellen. Die Ausschnitte aus dem Werk von Jürgen Werbick werden dabei so gewählt, dass in diesen ebenfalls die Thematik der Hermeneutik von ± in diesem Fall freilich ± christlichen Zeugnissen behandelt wird. Das Vorgehen zum Vergleich und zur Diskussion der beiden verschiedenen Gedankengänge von Werbick und Ricœur gestaltet sich dabei folgendermaßen.

Eingangs erfolgt eine Bestimmung der Grundvoraussetzungen, bei der die Argumentationsbasis für das weitere Vorgehen erarbeitet wird. Darauf aufbauend gilt es in einem zweiten Schritt eine Analyse und Diskussion über die jeweiligen Zentralen Zeugnisbegriffe zu führen und diese herauszuarbeiten. Im letzten Teil dieses Dreischrittes sollen schließlich die Hermeneutiken beider Autoren auf Basis der zuvor erarbeiteten Voraussetzungen betrachtet und skizziert werden um schließlich einen Vergleich und eventuell sogar eine Synthese beider Argumentationen aufzuzeigen.

Interessant scheint der Vergleich der Gedankengänge des Philosophen Ricœur und des Theologen Werbick aus mehreren Gründen. Zum einen bezieht sich Werbick in vielen seiner Arbeiten, wie auch in der hier genannten, auf Werke von Ricœur. Werbick stellt in diesen des Öfteren Verbindungen zu den Argumentationsstrukturen des Philosophen her, um eigene Gedankengänge aufzubauen, zu stützen und zu verifizieren. Aus dieser Perspektive erhält die Frage nach den Gemeinsamkeiten sowie den Unterschieden der Gedankengänge beider Autoren ein weiteres Spannungselement. In einem letzten Punkt ist die Frage nach einer Hermeneutik des Zeugnisses auch deshalb interessant, da es für einen Philosophen sicherlich ein gewisses Wagnis darstellt, eine Hermeneutik zu entwickeln, die sich auf eine Problematik bezieht, welche eher im Feld juristischer bzw. theologischer Auseinandersetzungen zu verorten ist. Wie und ob dieser Versuch gelingt, diese Frage gilt es im Folgenden zu beantworten.

1. Bestimmung der Voraussetzungen und der Problemstellung

Für Paul Ricœur, wie auch für Jürgen Werbick, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von der Innerlichkeit, also der einem Zeugnis zugrundeliegenden Erfahrung, und der Äußerlichkeit des Zeugnisses, der Handlung in der und durch die das Zeugnis mittelbar gemacht wird.1 Wie lassen sich diese beiden dem Zeugnis wesentlichen Momente miteinander verbinden? Die Möglichkeiten die sowohl Ricœur wie auch Werbick entwickeln um die Dialektik des Zeugnisses aufzulösen sollen im Folgenden skizziert werden. Vorausgehend dafür scheint eine Bestimmung der Argumentationsstruktur beider Autoren hilfreich zu sein.

Ricœur unterscheidet zunächst zwischen dem Zeugnis dem die Erfahrung des Absoluten zugrunde liegt und Zeugnissen, durch die historische oder juristische Sachverhalte geschildert werden sollen.

Wenn das Zeugnis ein Philosophisches Problem sein soll und nicht nur, wie wir noch zeigen werden, ein juristisches oder historisches, dann insofern als das Wort sich nicht darauf beschränkt, die Erzählung eines Zeugen zu bezeichnen, der berichtet, was er gesehen hat, sondern sich auf Worte, Werke, Handlungen, Lebensgeschichten bezieht, die als solche im Herzen der Erfahrung und der Geschichte eine Intention, eine Inspiration, eine Idee bezeugen, die die Erfahrung und die Geschichte überschreiten. Das philosophische Problem | des Zeugnisses ist das Problem des Zeugnisses vom Absoluten; besser: des absoluten Zeugnisses vom Absoluten.2

Ricœur, welcher sich in dieser ersten Problematisierung auf Jean Naberts Werk „Le désir de Dieu“ bezieht, gliedert nun, und so kommen wir zur eingangs formulierten Dialektik des Zeugnisses zurück, sein Vorgehen in drei Überlegungen. Erstens sei zu zeigen, ob die Idee des Absoluten mit einer Erfahrung des Absoluten verbunden werden könne, zweitens stelle sich die Frage inwiefern eine solche Erfahrung kommunikabel sei und drittens wäre zu klären, wie ein solches Zeugnis schließlich Interpretiert werden könne.3

Werbick hingegen unternimmt bereits in seiner Einleitung den Versuch die bestehende Diskrepanz zwischen der Erfahrung und dem Zeugnis des „wahren Absoluten“ aufzulösen, indem er die Erfahrung des einen Gottes als etwas jedem Menschen in irgendeiner Weise potentiell zugängliches beschreibt.

Die Glaubensbeziehung ist nach christlichem Verständnis eine Liebesbeziehung, die in dem, was sie zuinnerst ausmacht, nicht unbeteiligt von außen beurteilt werden kann. Aber sie ist eine Beziehung, die von vielen geteilt werden kann, ja ihrer Intention nach allen Menschen zugänglich ist. Alle können sich in dieser Beziehung einfinden und sollen in ihr die Erfüllung ihres Menschseins finden.4

Die Kluft zwischen der Erfahrung und dem Zeugnis wird durch die Annahme, jeder Mensch sei zur Erfahrung des „wahren Absoluten“ fähig somit schon fast überwunden, da in diesem Fall nicht mehr die Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung, sondern nur noch die Frage nach der Möglichkeit der Vermittlung der Erfahrung gestellt werden muss.

Die Glaubensperspektive öffnet sich >>nach außen<< und öffnet sich damit auch der argumentativen Vermittlung, da sie sonst gar nicht frei übernommen werden könnte. Die Wahrheit des Glaubens bezieht die Menschen auf den einen Gott. Und es müssen gute Gründe dafür namhaft gemacht und geprüft werden können, ob es der >>wahre<< Gott ± das >>wahre Absolute<< ± ist; ob die Zeugnisse verlässlich sind, die so von ihm sprechen.

In dieser Hinsicht könnte dem Theologen Jürgen Werbick eine gewisse Befangenheit vorgeworfen werden, da unter Berücksichtigung der christlichen Schöpfungs- und Gnadenlehre, die Möglichkeit für die Erfahrung göttlicher Gnade als eine jedem Menschen gegebene und somit als universale, menschliche Eigenschaft anzunehmen ist. Denn in christlicher Betrachtung muss immer auch die Universalität der Möglichkeit zur Erfahrung der Gnade Gottes vorausgesetzt werden, wenn Gott vorausgesetzt wird.5 Oder um mit Karl Rahner zu sprechen „das übernatürliche Existential“, der Ruf Gottes in jedem Menschen ist als Angebot Gottes zur Gemeinschaft mit ihm immer schon Apriori gegeben.6 Werbick hätte, um in dieser Hinsicht „unbefangen“ einen wissenschaftstheoretischen Diskurs in der Theologie zu beginnen, die Frage nach dem Absoluten an sich erst einmal ungeklärt lassen können.

Im Vergleich dazu sichert sich Ricœur schon auf den ersten Seiten seines Werkes dagegen ab, die Frage nach dem Absoluten leichtfertig abzutun. Er tut dies zu Beginn seiner Problemstellung indem er feststellt in welcher Art von Philosophie die Frage nach dem Zeugnis überhaupt eine Sinnvolle darstelle. Und zwar in einer Philosophie, für die die Frage nach dem Absoluten überhaupt erst eine Sinnvolle Frage sei.7 Mit dieser Einschränkung relativiert Ricœur aber ein Stück seines Wahrheitsanspruches, was Werbick hingegen tunlichst vermeiden will, da es ihm ja gerade um den Wahrheitsanspruch einer Theologie geht, die ihrem Glauben an den und somit auch dem einen Gott an sich affirmativ gegenüber steht. An dieser Stelle könnte gefragt werden, ob die Theologie nicht vielleicht sogar mehr gewinnen als verlieren würde, sollte sie eine gewisse Ungewissheit um das Sein Gottes vertreten. Eine Ungewissheit die keinesfalls eine Ahnungslosigkeit sein müsste. Werbick und Ricœur sind sich dieser Überlegung, wie aus dem Folgenden ersichtlich wird, ohne Zweifel Bewusst.

Bei den >>Meistern des Verdachts<< in die Schule zu gehen, kann nach Ricœur nicht heißen, dem Verdacht einfach Recht zu geben und an die Stelle der Glaubens- Gewissheit die Unglaubens-Gewissheit zu setzen, die sich mit der kritischen Entlarvung dessen, was der Glaube eigentlich ist, ihrer überlegenen Position hinreichend vergewissert hätte. Wo der Zweifel zur negativen Gewissheit wurde, ist er nicht mehr Zweifel; wo der Verdacht sich definitiv bestätigt hätte, wäre er nicht mehr nur Verdacht.8

Doch geht es zum einen Werbick in seiner Wissenschaftslehre gerade um den Versuch aufzuzeigen, dass der Glaube als Gott bejahender Glaube rational und plausibel zu denken ist und zum anderen beschäftigt sich Ricœur mit der Hermeneutik des Zeugnisses vom Absoluten, sodass für ihn die Frage nach dem Absoluten an sich in dieser Abhandlung eine untergeordnete Rolle spielen kann. Kommen wir also zurück zur Hermeneutik des Zeugnisses.

2. Diskussion der Zeugnisbegriffe

Im Vorausgehenden haben wir gezeigt, dass Werbick wie auch Ricœur die Bedingung der Möglichkeit von menschlicher Erfahrung entweder des Absoluten oder des Göttlichen für ihr weiteres Vorgehen in irgendeiner Weise voraussetzen. Diese Annahme stellt keinen Wahrheitsanspruch des Absoluten auf, sie klärt lediglich die Perspektive aus welcher sich der Thematik genähert werden soll. Im Folgenden gilt es auf dieser Basis zuerst die Zeugnisbegriffe beider Autoren zu diskutieren um die letztliche Kernfrage der Hermeneutik des Zeugnisses hinreichend bearbeiten zu können.

2.1 Ricœurs Zeugnisbegriff

Ricœur entwickelt seinen Zeugnisbegriff unter Berücksichtigung von drei Bedeutungsebenen. Erstens beschreibt Ricœur die >>quasi empirische<< Bedeutung die dem Zeugnis zukommt. „Jemand bezeugt, was er gesehen oder gehört hat, […]. >>Quasi-empirisch<< ist diese Dimension deshalb, weil das Zeugnis nicht das Geschehen selbst, sondern den Bericht darüber darstellt.“9 Zweitens besitzt das Zeugnis eine >>quasi-juridische<< Dimension, da es zu einer Urteilsbildung beiträgt. Es ist folglich dort notwendig ein Zeugnis abzulegen, wo es irgendeinen Streit gibt.10

So ist das Zeugnis Teil einer Argumentation, die in der Mitte zwischen Diskussion und Entscheidung liegt. Wir treffen dabei auf eine typische >>Äußerlichkeit<< des Zeugnisses gegenüber dem Urteilsprozess, insofern dieser Prozess von Ereignissen abhängt, die ein anderer gesehen hat. Und deshalb hängt einiges nicht nur vom Inhalt des Zeugnisses, sondern auch von der Qualität des Zeugen ab.11

Schließlich formuliert Ricœur die dritte Bedeutungsebene des Zeugnisses, welche von Veronika Hoffmann als die >>quasi-martyriologische<< Ebene bezeichnet wird und die sich auf die Relation zwischen dem Zeugen und dem Akt des Bezeugens bezieht.12

[...]


1 Vgl. Ricœr, Paul: Die Hermeneutik des Zeugnisses, in: Veronika Hoffmann (Hg.), An den Grenzen der Hermeneutik. Philosophische Reflexionen über die Religion, Freiburg 2008, 7-40, 7-10. Vgl. auch: Werbick, Jürgen: Einführung in die Theologische Wissenschaftslehre, Freiburg i.Br. 2010, 9-18.

2 Ricœr, Paul: Die Hermeneutik des Zeugnisses, 7f.

3 Vgl. Ricœr, Paul: Die Hermeneutik des Zeugnisses, 7-10.

4 Werbick, Jürgen: Einführung in die Theologische Wissenschaftslehre, 16.

5 Vgl. Müller, Gerhard Ludwig: Gnadenlehre I. Anfänge bis Mittelalter (= Texte zur Theologie, Abteilung Dogmatik 7,1A), Graz, Wien, Köln 1996, 25-27; 98-100.

6 Vgl. Roth, Ulli: Gnadenlehre (=Gegenwärtig Glauben Denken 8), Paderborn 2013, 70-73.

7 Vgl. Ricœr, Paul: Die Hermeneutik des Zeugnisses, 7f.

8 Werbick, Jürgen: Was zeigt der Verdacht? Paul Ricœurs Relecture der Religionskritik, in: Stefan Orth / Peter Reifenberg (Hg.), Poetik des Glaubens. Paul Ricœur und die Theologie, Freiburg 2009, 29-43, 32.

9 Hoffmann, Veronika: Offenbarung denken? Paul Ricœurs Begriff des Zeugnisses, in: Stefan Orth / Peter Reifenberg (Hg.), Poetik des Glaubens. Paul Ricœur und die Theologie, Freiburg 2009, 67-87, 77.

10 Hoffmann, Veronika: Offenbarung denken? Paul Ricœurs Begriff des Zeugnisses, 77.

11 Hoffmann, Veronika: Offenbarung denken? Paul Ricœurs Begriff des Zeugnisses, 77.

12 Hoffmann, Veronika: Offenbarung denken? Paul Ricœurs Begriff des Zeugnisses, 77.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Hermeneutik des Zeugnisses von Paul Ricœur in Bezug zur theologischen Wissenschaftslehre von Jürgen Werbick
Hochschule
Universität Münster  (Katholisch-Theologische Fakultät)
Autor
Jahr
2015
Seiten
17
Katalognummer
V359100
ISBN (eBook)
9783668440425
ISBN (Buch)
9783668440432
Dateigröße
665 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zeugnis, Hermeneutik, Jürgen Werbick, Paul Ricœur
Arbeit zitieren
Christoph Jagstaidt (Autor:in), 2015, Die Hermeneutik des Zeugnisses von Paul Ricœur in Bezug zur theologischen Wissenschaftslehre von Jürgen Werbick, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/359100

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