Das Motiv der Beseelung in Friedrich de la Motte-Fouqués "Undine"


Hausarbeit, 2015

27 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

Die Figur der Undine vor ihrer Beseelung

Der Akt der Beseelung

Die Figur der Undine nach ihrer Beseelung

Fazit

Literaturverzeichnis

Wie Seelʼ und Leib sind Perlʼ und Muschel eins,

Doch ist es eine Einheit nur des Scheins.

Erst wenn gesprengt die Hülle, offenbart

Die Perle ganz den Lichtglanz ihres Seins. -

Friedrich Martin von Bodenstedt,

Aus dem Nachlaßdes Mirza Schaffy,

3. Buch der Sprüche 1

Einleitung

Die Undine gilt als eines der gelungensten Werke von Friedrich de la Motte-Fouqué. Christliche Motive und insbesondere die Beseelung des Wassermädchens Undine durch den Ritter Huldbrand spielen eine tragende Rolle für die Handlung des Märchens. Deshalb befasst sich diese Hausarbeit damit, wie die Figur der Undine vor und nach ihrer Beseelung beschrieben wird. Außerdem soll insbesondere auch auf den Akt der Beseelung an sich eingegangen werden, der stark an den Sündenfall erinnert. Doch inwieweit entspricht das im Märchen verwendete Seelenmotiv überhaupt christlichen Vorstellungen? Warum kann die beseelte Undine nicht mehr so agieren wie zuvor? Welche Verschiebungen werden durch die Beseelung ausgelöst? Diese Fragen sollen im Folgenden beantwortet werden.

Die Figur der Undine vor ihrer Beseelung

Die noch unbeseelte Undine wird - ganz Wasserfrau - neckend und kichernd, einen Wasserschwall verursachend, in die Handlung eingeführt. Das Fischerpaar, das sie bei sich aufgenommen hat, ist über ihr kindisches Wesen entsetzt. Insbesondere Undines Pflegemutter leidet darunter, von Undine „kein kluges Wort [zu] hören, und statt bei wachsendem Alter Hülfe im Haushalte zu finden, immer nur dafür sorgen [zu] müssen, daß uns ihre Thorheiten nicht vollends zu Grunde richten“.2 Außergewöhnlich ist auch, dass sie sich, anstatt wie Huldbrand es erwartet, nicht schüchtern von dem Neuankömmling abwendet. Im Gegenteil, sie tritt zutraulich näher, spielt mit seiner Kette und spricht ihn mit „Du schöner Freund“ an.3 Die mehrfachen Zurechtweisungen ihrer Pflegeeltern ignoriert Undine vollkommen “This behaviour, and the disapproving reaction of her adoptive parents, show that Undine’s socialization is incomplete at best”4, reüssiert Eleanor E. Ter Horst treffend. Als das Fischerpaar sich weigert, Undines Willen zu erfüllen, springt diese sogar zornig auf, tritt „das zierliche Füßchen heftig gegen den Boden“ und flieht hinaus in den Schutz der Natur. Hierbei fällt auf, dass sich nur Huldbrand und der alte Fischer um das Mädchen sorgen, während ihre alte Pflegemutter sich unbeschwert zur Ruhe begibt: „die Hausfrau, die sich Undinens Flucht und Gefahr bei weitem nicht so zu Herzen nahm, als ihr Mann, [war] bereits zur Ruhe gegangen“5. Die beiden Männer hingegen vermochten „an fast gar nichts andres zu denken […] als an Undinen“6.

Es bleibt ein Rätsel, weshalb sie den Männern trotz ihrer Ichbezogenheit, die manchmal gar als Herzlosigkeit aufgefasst werden kann, derart liebenswert erscheint. Dies Auslösen heftiger Emotionen, ohne dass ein bestimmter Anlass besteht - ja entgegen des eigentlichen Verhaltens der Frau - wirkt zauberisch. Die Wasserfrau entfacht im Mann plötzlich Gefühle, obgleich sie keine sichtbaren Verführungskünste anwendet. Sie zieht den Mann an, auch wenn sie ihn nicht lockt. Sie löst irrationales Handeln aus, dies macht sie unheimlich, sogar bedrohlich.7

Diese Bedrohlichkeit wird Huldbrand allerdings erst viel später so wirklich bewusst. Zuvor vermag seine brennende Leidenschaft zu Undine alle aufkommenden Verunsicherungen hinwegzuschwemmen. Vielleicht lässt sich das erklären durch die Faszination, die die Menschen schon immer vor dem Wasser verspürt haben. Es spendet Leben, kann aber bisweilen auch gefährlich und sogar todbringend sein.

Weil ihr ganzes Denken vom Wassermädchen Undine beherrscht ist, reden die beiden im Folgenden darüber, wie Undine zum Fischerpaar kam. Der Fischer beschreibt die damals noch junge Undine als wunderschönes Mädchen, das sie aus „seeblauen Augenhimmeln immerfort lächelnd anstarrte“8. Ein bekanntes Sprichwort lautet: „Die Augen sind der Spiegel der Seele“. Undine besitzt aber zu diesem Zeitpunkt noch keine Seele, weshalb ihr Inneres nur die Natur, welche ja ihr ganzes Wesen ausmacht, in Form von See und Himmel widerzuspiegeln vermag. Die Verbindung von See und Himmel könnte aber auch eine Verbindung ihrer Herkunft und Gott, sowie den Wunsch nach ewigem Leben andeuten. Das würde Undines spätere Beseelung bereits hier vorab aufgreifen. Außerdem weiß Undine, trotz mangelnder Seele, dass „sie eine Kreatur sei, zu Gottes Preis und Freude geschaffen“9. Vogel schränkt allerdings ziemlich treffend ein, dass „ihre Widerstandskraft gegen die Enge christlichen Wohlverhaltens […] dort, wo sich die Fischersleute ihrem Willen nicht beugen wollen, ungebrochen“10 ist. Schon in jungen Jahren gelingt es ihr deshalb, sogar Männer der Kirche zu bezirzen, um ihren Willen durchzusetzen:

Die Kleine stand so hübsch geschmückt und holdseelig vor uns, daß dem Priester alsbald sein ganzes Herz vor ihr aufging, und sie wußte ihm so artig zu schmeicheln, und mitunter so drollig zu trotzen, daß er sich endlich auf keinen der Gründe, die er gegen den Namen Undine vorräthig gehabt hatte, mehr besinnen konnte. Sie ward denn also Undine getauft, und betrug sich während der heiligen Handlung außerordentlich sittig und anmuthig, so wild und unstät sie auch übrigens immer war.11

Mona El Nawab sieht Undines Taufe als ersten Schritt in Richtung einer Adaption von christlichen Werten und Normen und damit in Richtung Gesellschaft an.12 Sie kann deshalb als Voraussetzung für die spätere Hochzeit mit Huldbrand und im Zuge dessen auch für Undines Beseelung erachtet werden. Hierbei kommt die Frage auf, ob Undine ihr bisweilen christliches Verhalten bloß vortäuscht, um an ihr Ziel, den Erhalt einer Seele, zu gelangen. Vogel würde diese Frage wohl bejahen, wenn er sagt: „Unbeseelt, wie sie noch ist, fehlt ihr zwar die Möglichkeit der Einkehr in Gott, dies hindert sie jedoch nicht am religiösen Gehorsam, denn sie ahnt wohl, dass - wenn überhaupt - nur dieser ihr die Integration in die Menschenwelt verschafft.“13 Außerdem merkt er an, dass Wassergeister sonst laut Volksglauben in der Regel eine starke Abwehrhaltung gegenüber kirchlichen Handlungen hegen. Die einzige Ausnahme bilden da die Wasserfrauen, die Hoffnung auf eine Mahrtenehe14 mit einem Menschen hegen15. Auch Schmitz-Emans kritisiert:

[Die] Beseelung Undines wird von den Wassergeistern auch keineswegs angezettelt, um damit die Wasserwelt dem christlichen Himmel näher zu rücken, sondern aus Prestigegründen: Weil beseelte Wesen in der Hierarchie der Natur als höherstehend gelten16.

Für mich schließt jedoch das eine das andere nicht aus. Vielleicht stehen beseelte Wesen in der Hierarchie der Natur höher, da sie auch in der christlichen Hierarchie nach oben gerückt und somit Gott und dem ewigen Leben ein Stück näher gekommen sind.

Verführerisch agiert Undine auch als erwachsenes Mädchen noch einmal, als Huldbrand sie inmitten des reißenden Baches findet. Diese Szene erinnert sehr an das typische Sirenenmotiv, nur dass Undine hier, ganz anders als üblich, den betörten Huldbrand vor dem Ertrinken bewahrt, anstatt ihm den Tod zu bringen:

Da rief es neben ihm mit anmuthiger Stimme: trau‘ nicht, trau‘ nicht! Er ist tückisch, der Alte, der Strom! - […] Bist du nicht wirklich da, gaukelst Du nur neblicht um mich her, so mag auch ich nicht leben, und will ein Schatten werden, wie Du, Du liebe, liebe Undine! Dies rief er laut und schritt wieder tiefer in den Strom. - Sieh‘ dich doch um, ei sieh‘ Dich doch um, Du schöner, bethörter Jüngling!17

Als Grund für Undines mangelnde Sirenenhaftigkeit führt Monika Schmitz-Emans an, dass Undine als Botin für das verlorene Goldenen Zeitalter angesehen werden kann, als Verkörperung der Natur, von der sich der Mensch entfremdet hat, mit der er sich aber trotzdem wieder vereinen will.18 Doch um diesen Wunsch, der auch Huldbrand bewegt, gerecht zu werden, muss Undine ein gutes Wesen sein, wenn sie auch vor Seelenerhalt noch etwas launisch ist.

Bei ihr angekommen, umschlingt er dann „inbrünstig küssend, die schmeichelnde Schöne“19, die sich das gefallen lässt, obwohl sie Huldbrand bisher kaum kennt. Für Matthias Vogel bedeutet dieses Verhalten mehr als nur die Unbefangenheit der Jugend, es lässt sich vielmehr erklären durch eine in der Wasserwelt üblichen „unbewussten Existenz [wie] vor dem Sündenfall.“20 Auf dieses Motiv soll aber erst im folgenden Kapitel genauer eingegangen werden.

Der Fischer zeigt sich über das Verhalten der beiden dann auch brüskiert, macht sich aber in erster Linie Sorgen um seine Pflegetochter. Ungeachtet der Qual des Fischers stimmt Undine ein Lied an:

Aus dunst’gem Thal die Welle,

Sie rann und sucht‘ ihr Glück;

Sie kam in’s Meer zur Stelle,

Und rinnt nicht mehr zurück.21

Undine kommt vom lateinischen „unda“ und bedeutet Woge oder Welle.22 Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass Undine sich mit der Welle aus ihrem Lied identifiziert. Sie als kleine Welle ist bereit, im Meer, also in etwas Größerem aufzugehen.23 Und das wird sich ja in ihrer irreversiblen Beseelung durch Huldbrand auch noch erfüllen. Durch die Bedeutung von „Undine“ wird auch verständlich, warum Undine ihren Namen bei der Taufe unbedingt durchsetzen wollte. Er ist ein Teil von ihr, bezeichnet ihr Element.

„Der alte Fischer weinte bitterlich in ihr Lied, aber es schien sie nicht sonderlich zu rühren.“24 Undine ist komplett gleichgültig dem Kummer ihres Pflegevaters gegenüber. Erst als Huldbrand sie darum bittet, dem Flehen des Fischers nachzugeben, kehrt sie, wenn auch langsam und zögerlich, schließlich zu ihrem Pflegevater zurück. Allerdings auch nur unter der Bedingung, dass „der alte Mann da drüben“, wie sie ihn nennt, ihr ihren Willen lässt.25 So kaltherzig sie auf die Gefühle von Menschen reagiert, so sehr trauert sie jedoch um den Tod von Tieren:

„Brachte er [Huldbrand] nun seine Beute zurück, so unterließ Undine fast niemals, ihn auszuschelten, daß er den lieben, lustigen Thierchen oben im blauen Luftmeer26 so feindlich ihr fröhliches Leben stehle; ja sie weinte oftmals bitterlich bei dem Anblick des todten Geflügels. Kam er aber dann ein andermal wieder heim, und hatte nichts geschossen, so schalt sie ihn nicht minder ernstlich darüber aus, daß man nun um seines Ungeschicks und seiner Nachlässigkeit Willen mit Fischen und Krebsen vorlieb nehmen müsse.“27

Dies lässt sich dadurch erklären, dass die unbeseelte Undine ein Kind der Natur ist und sich somit den die Natur repräsentierenden Tieren näher fühlt, als den von der Natur entfremdeten Menschen. Außerdem wird hier knapp das in anderen Nixen-Werken ausführlicher behandelte Motiv der Schutzfunktion der Wassergeister gegenüber den Lebewesen ihres Elements sichtbar.28

Des Weiteren neigt Undine dazu, ihren Gefühlen unvermittelt und heftig Ausdruck zu verleihen. Dies zeigt sich insbesondere, als sie Huldbrand vor lauter Eifersucht in die Hand beißt, als dieser von ihrer Nebenbuhlerin Bertalda erzählt: „Undine hatte ihre Perlenzähne scharf in seine Finger gesetzt, und sah dabei recht finster und unwillig aus.“29 Auf diese fast schon befremdlich wirkende Wildheit folgt plötzlich das andere Extrem: Sie sieht ihm „freundlich wehmüthig in die Augen und flüsterte ganz leise: Ihr macht es auch danach. - Dann verhüllte sie ihr Gesicht“30. Dieses schamhafte Verhalten erinnert schon fast an ihr Betragen nach der Hochzeitsnacht. Da dies zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht an einem Erkenntnisgewinn durch Seelenerhalt liegen kann, benutzt Undine diese ungewohnte Schüchternheit wohl eher gezielt, um Huldbrand für sich zu gewinnen. Lea Talijančić geht sogar so weit, zu behaupten, dass Undines „Unbändigkeit, Tollpatschigkeit und Verlegenheit, eigentlich als ein Zeichen ihrer mangelnden sozialen Entwicklung, bzw. ihrer mangelnden Seele, zu deuten sind. Sie ist seelenlos und befindet sich daher immer noch in einer frühen Entwicklungsstufe, in der sie keine klare Geschlechtsidentität zeigt.“31 Ich wäre eher geneigt, zu sagen, dass Undines Wechselhaftigkeit von ihrer Herkunft, ihrem Element zeugt. Sie ist genauso unberechenbar und wechselhaft wie die See.

[...]


1 Lautenbach, 2015, S. 35.

2 Fouqué, 1999, S. 11f.

3 Vgl. Fouqué, 1999, S. 12.

4 Ter Horst, 2011, S. 306.

5 Fouqué, 1999, S. 16.

6 Fouqué, 1999, S. 17.

7 Vogel, 1989, S. 156.

8 Fouqué, 1999, S. 19.

9 Fouqué, 1999, S. 20.

10 Vogel, 1989, S. 156.

11 Fouqué, 1999, S. 20f.

12 El Nawab, 1993, S. 17.

13 Vogel, 1989, S. 157.

14 Unter einer Mahrtenehe versteht man die Verbindung eines Menschen mit einem überirdischen weiblichen Wesen in menschenähnlicher Gestalt.

15 Vgl. Vogel, 1989, S. 157.

16 Schmitz-Emans, 2003, S. 114.

17 Fouqué, 1999, S. 23.

18 Schmitz-Emans, 2003, S. 111.

19 Fouqué, 1999, S. 24.

20 Vogel, 1989, S. 156.

21 Fouqué, 1999, S. 25.

22 El Nawab, 1993, S. 17.

23 Vgl. Vogel, 1989, S. 158.

24 Fouqué, 1999, S. 25.

25 Vgl. Fouqué, 1999, S. 25.

26 Auch hier wird in einer Verbindung von Wasser und Himmel die kommende Beseelung angedeutet.

27 Fouqué, 1999, S. 36.

28 Vgl. Vogel, 1989, S. 161.

29 Fouqué, 1999, S. 27.

30 Fouqué, 1999, S. 28.

31 Talijančić, 2013, S. 21.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Das Motiv der Beseelung in Friedrich de la Motte-Fouqués "Undine"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
27
Katalognummer
V358949
ISBN (eBook)
9783668433472
ISBN (Buch)
9783668433489
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Undine, Seele, Fouqué
Arbeit zitieren
Nadine Fischer (Autor:in), 2015, Das Motiv der Beseelung in Friedrich de la Motte-Fouqués "Undine", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/358949

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