Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession. Implikationen für das Konzept der Gemeinwesenarbeit


Bachelorarbeit, 2015

80 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. EINLEITUNG
A.1. Relevanz des Themas
A.2. Materiallage
A.3. Motivation
A.4 Aufbau

B. MENSCHENRECHTE
B1. Der Ausgangspunkt: Die Würde des Menschen
B2. Eine Annäherung an den Begriff der „Rechte“
B3. Menschenrechtsdokumente
B4. Kritische Gedanken
B5. Definitionsversuch Menschenrechte
B6. Menschenrechte und Soziale Arbeit

C. SOZIALE ARBEIT ALS MENSCHENRECHTS-PROFESSION
C1. Begriffliche Auseinandersetzung
C2. Geschichte
C3. Menschenrechtsprofession – befürwortende Positionen
C3.1 Silvia Staub-Bernasconi
C3.2. Andere deutschsprachige Befürworter_innen
C3.3 Jim Ife
C3.4 Die weitere internationale Szene
C4. Menschenrechtsprofession - Kritische Stimmen
C4.1 Im deutschsprachigen Raum
C4.2 International
C5. Exkurs: Der Capability Approach
C6. Diskussion und persönliche Stellungnahme

D. GEMEINWESENARBEIT
D1. GWA - Eine Einführung
D2. Gemeinwesenarbeit und Community Development. Eine Verhältnisbestimmung.
D3. Aktuelle Herausforderungen
D4. Gemeinwesenarbeit und Menschenrechte

E. SOZIALE ARBEIT ALS MENSCHENRECHTS-PROFESSION IM KONZEPT GEMEINWESENARBEIT
E.1 Zur Relevanz Sozialer Arbeit als Menschenrechts-profession für die Gemeinwesenarbeit
E.2. Implikationen des Selbstverständnisses Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession für die Gemeinwesenarbeit
E.2.1 Bedeutung der Perspektive Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession für Fachkräfte der Sozialen Arbeit in der GWA
E.2.2. MR als Gegenstand der Arbeit im Gemeinwesen
E.2.3. GWA aus der Perspektive der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession als Brücke zum globalen Zusammenhang
E.3. Zusammenfassung und persönliche Stellungnahme

F. SCHLUSSBEMERKUNGEN

G. LITERATURVERZEICHNIS

Dezember 2015

“Where, after all, do universal human rights begin? In small places, close to home - so close and so small that they cannot be seen on any maps of the world. Yet they are the world of the individual person; the neighbourhood he lives in; the school or college he attends; the factory, farm, or office where he works. Such are the places where every man, woman, and child seeks equal justice, equal opportunity, equal dignity without discrimination. Unless these rights have meaning there, they have little meaning anywhere. Without concerted citizen action to uphold them close to home, we shall look in vain for progress in the larger world."

– Eleanor Roosevelt[1]

A. EINLEITUNG

Eleanor Roosevelts Worte, welche dieser Thesis voran gestellt wurden, stellen eine Verbindung zwischen dem einzelnen Menschen und den Menschenrechten dar, wie sie auch für diese Thesis relevant ist. Nur wenn Menschenrechte im Kleinen, vor Ort, für die Menschen eine Bedeutung entfalten, sind sie wirklich realisiert. Die Orte des Alltags und die Menschen, welche diese gestalten, sind für die Realisierung von Menschenrechten daher von zentraler Bedeutung.

Die Sphären des Kleinen, des Alltags und des Gemeinwesens[2]sind Sphären, in denen auch die Soziale Arbeit tätig ist. In ihrem Selbstverständnis als Menschenrechtsprofession zieht sie explizit die Verbindung zu Menschenrechten und nimmt eine aktive Rolle in der Realisierung von Menschenrechten ein (vgl. Kapitel C). Doch was genau bedeutet es für die Soziale Arbeit, Menschenrechtsprofession zu sein? Und wie kann sie diesen Anspruch umsetzen?

Anhand des Konzeptes der Gemeinwesenarbeit soll dargestellt werden, was es bedeuten könnte, Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession für die Arbeit im Gemeinwesen auszuformulieren und in der alltäglichen Praxis umzusetzen. Welche Implikationen ergeben sich aus der Perspektive[3]der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession für das Konzept Gemeinwesenarbeit? Und kann diese Perspektive dazu beitragen, dass Menschenrechte in den kleinen Orten Nahe unserer Zuhause, von denen Roosevelt spricht, eine Bedeutung entfalten? Die vorliegende Thesis versucht auf diese Fragen Antworten zu finden.

A.1. Relevanz des Themas

Die Idee, Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession zu fassen, wird bereits seit einigen Jahren diskutiert (vgl. Kapitel C1). Die Relevanz des Themas hat dabei in den letzten Jahren nicht abgenommen – im Gegenteil. Ein immer stärker werdender Ökonomisierungsdruck in der Sozialen Arbeit, welcher auch in der Gemeinwesenarbeit zu spüren ist, stellt die Profession vor neue Herausforderungen (vgl. Kapitel C3 und D3). Diesem Druck standzuhalten und weiterhin nahe am Menschen und seinen Bedürfnissen zu bleiben ist nicht einfach. Soziale Arbeit im Allgemeinen und die Gemeinwesenarbeit als Teil Sozialer Arbeit im Spezifischeren müssen hier einen Standpunkt finden, um ihren Ansprüchen als Menschenrechtsprofession gerecht zu werden.[4]

Immer größeren Einfluss hat die Zunahme globaler Krisen: Klimatische Veränderungen, kriegerische Auseinandersetzungen und korrupte, unterdrückende Regime führen dazu, dass inzwischen ca. 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind. Im Sommer 2014 waren damit erstmals mehr Menschen auf der Flucht als nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl. UNHCR 2015, S.2ff). Dazu kommt ein kriselndes Finanzsystem, welches für die Zukunft untragbar ist. Die Auswirkungen dieser globalen Krisen sind immer mehr auch ganz lokal zu spüren – in der gestiegenen Arbeitslosigkeit in einem Stadtteil aufgrund des Abbaus von Arbeitsplätzen infolge der Finanzkrise; im Bau eines Flüchtlingswohnheims in direkter Nachbarschaft, um der gestiegenen Zahl Geflüchteter gerecht zu werden; in der zunehmenden Privatisierung von Leistungen, welche bislang der Sozialstaat bereitstellte, und damit z.B. dem Verkauf von Sozialwohnungen an profitorientierte Unternehmen. An diesen Beispielen wird deutlich, dass nicht nur für eine international agierende Soziale Arbeit die Auseinandersetzung mit globalen Themen von Belang ist. Sie betreffen mehr und mehr auch die Arbeit vor Ort und werden zu einem wichtigen Thema auch für die Gemeinwesenarbeit.

Um angesichts dieser Herausforderungen handlungsfähig zu bleiben, wird die Suche nach einer normativen Basis, wie die Menschenrechte sie bieten können, notwendig. Eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession für die Gemeinwesenarbeit wird damit unabdingbar. Welche Implikationen sich für die Gemeinwesenarbeit (GWA) ergeben und was diese wiederum für die Praxis bedeuten, soll in dieser Thesis beleuchtet werden.

A.2. Materiallage

Der Gegenstand dieser Thesis beinhaltet mehrere Themenbereiche, welche schließlich zusammengeführt werden. Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession ist eine Perspektive, welche von verschiedenen Wissenschaftler_innen[5]der Sozialen Arbeit diskutiert wird. Hierzu ist sowohl deutschsprachige als auch internationale Literatur in großer Auswahl vorhanden, sodass eine Darstellung der Diskussion unmöglich alle vorhandenen Positionen berücksichtigen kann[6]. Eine Auswahl einiger Positionen und Streitpunkte ist also erfolgt, welche in Kapitel C genauer begründet wird.

Auch das Thema Gemeinwesenarbeit bietet eine große Auswahl an Literatur, sowohl international unter Begriffen wieCommunity Work, Community OrganisingoderCommunity Development, als auch national. Hier wurde der Fokus auf die nationale bzw. deutschsprachige Literatur gelegt. Die Bedeutung von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession für die Gemeinwesenarbeit wurde unter Berücksichtigung der deutschen Verhältnisse formuliert und ist daher zunächst für den deutschsprachigen Raum interessant. Ein Rückgriff auf internationale Literatur fand zum Thema der Gemeinwesenarbeit in Bezug auf Jim Ifes Definition von Community Development statt (vgl. ebd. 2010), welches für die spätere Zusammenführung von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession und GWA in Kapitel E von Bedeutung ist.

Die Materiallage bezüglich der Bedeutung von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession für die Gemeinwesenarbeit ist dürftig. Explizit als Hauptthema wird diese im deutschsprachigen Raum in keinem wissenschaftlichen Aufsatz und auch keiner sonstigen, der Verfasserin bekannten, Publikation aufgegriffen. Etwas fündiger wird man in der allgemeineren Verbindung von Ethik bzw. Werten und Gemeinwesenarbeit. Hier liegen nach Heinz Lynen van Berg (2010), welcher selber einen Artikel zu Werte und Gemeinwesenarbeit veröffentlicht hat, zwei weitere wissenschaftliche Artikel vor (vgl. ebd., S.266). Insgesamt erfährt das Thema der Bedeutung Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession für die Gemeinwesenarbeit im deutschsprachigen Fachdiskurs kaum Beachtung. Um dennoch Anregungen für die Verbindung von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession und Gemeinwesenarbeit zu erhalten, wurden mehrere Publikationen des Australischen Sozialarbeitswissenschaftlers Jim Ife herangezogen. Seine Überlegungen zu Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession und zu der Verbindung von Gemeinwesenarbeit und Menschenrechten bieten viele neue Anregungen, welche bis heute kaum Eingang in die ohnehin nur vereinzelt stattfindende Auseinandersetzung in Deutschland gefunden haben.

A.3. Motivation

Die Motivation diese Thesis zu Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession und ihre Implikationen für die Gemeinwesenarbeit zu wählen, entstand während eines Auslandssemesters der Verfasserin im Wintersemester 2014/15 in Utrecht (Niederlande). Die dortige Auseinandersetzung mit Community Development, Menschenrechten und den Ideen Jim Ifes hinterließen einen bleibenden Eindruck. Zurück in Deutschland stellte sich die Frage, ob diese Ideen wirklich umsetzbar seien und wenn ja, wie dies geschehen könne. Außerdem schien der Gedanke reizvoll, eine internationale Perspektive in den deutschen Diskurs der Gemeinwesenarbeit einzubringen.

Hinzu kam der Wunsch, ein Thema für die Bachelorarbeit zu wählen, welches die Möglichkeit eröffnen würde, tiefer in die Begründung Sozialer Arbeit einzusteigen. Die Perspektive Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession und die Arbeit Staub-Bernasconis faszinierten die Verfasserin vom ersten Semester an. Nun bot sich mit der Bachelorarbeit die Möglichkeit in diese Richtung genauer hinzusehen. Die Verfasserin erhoffte sich dadurch tiefer zu verstehen, was Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession beinhaltete, um diese Position in Zukunft mit Überzeugung vertreten zu können, oder aber auch sie berechtigt und informiert ablehnen zu können.

Die aufgezeigten Themenfelder zu vereinen erschien spannend. In dieser Thesis wurde dabei das Augenmerk auf die Menschenrechte gelegt, welche als kraftvolle Idee eine enorme Anziehungskraft auf die Verfasserin ausübten. Diskurse um Soziale Arbeit als Profession werden daher in dieser Thesis nur wenig betrachtet. Vielmehr geht es um die Bedeutung der Idee der Menschenrechte für die Profession der Sozialen Arbeit und um die sich daraus ergebenden Implikationen für die Gemeinwesenarbeit als ein professionelles Konzept derselben.

A.4 Aufbau

Die vorliegende Bachelorthesis ist in sechs Kapitel aufgeteilt, denen sich das Literaturverzeichnis anschließt. Die Kapitel B bis E sind dabei nochmals in Unterkapitel (B1, B2, etc.) aufgeteilt. An die Einleitung schließen sich Kapitel B Menschenrechte, Kapitel C Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession und Kapitel D Gemeinwesenarbeit an. Diese liefern Hintergrundinformationen sowie vertieftes Wissen zu den jeweiligen Themenbereichen. Eine detaillierte Begründung des Kapitelaufbaus erfolgt dabei zu Beginn der Kapitel, daher wird hier nur ein kurzer Abriss erfolgen, um den Roten Faden der Thesis herauszustellen.

In Kapitel B wird zunächst die Idee der Menschenrechte näher betrachtet. Begonnen wird mit einer Auseinandersetzung mit dem Begriff der Menschenwürde (Kapitel B1) und dem Begriff der Rechte (Kapitel B2). Dass Rechte nicht nur in Gesetzen festgeschrieben bestehen, ist eine wichtige Erkenntnis dieses Unterkapitels. Darauf folgt eine Betrachtung bestehender Menschenrechtsdokumente (Kapitel B3). Eine Auseinandersetzung mit kritischen Stimmen geschieht in Kapitel B4. Diese ist von großer Wichtigkeit, da nur nach einer sorgfältigen Abwägung der Vor- und Nachteile von Menschenrechten entschieden werden kann, ob diese für die Soziale Arbeit nutzbar sind. Eine für die Soziale Arbeit nutzbare Definition der Menschenrechte wird schließlich als Synthese der Gedanken dieses Kapitels entwickelt (Kapitel B5). In Kapitel B6 wird dann die Verbindung von Menschenrechten und Sozialer Arbeit aufgezeigt und es werden einzelne Fragestellungen aufgeworfen, welche in Kapitel C genauer untersucht werden.

Kapitel C beinhaltet eine in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession. Diese kann als eine der beiden Kernthemen dieser Thesis angesehen werden. Das Kapitel teilt sich auf in sechs Teile. Zunächst erfolgt eine begriffliche Einordnung der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession und ein kurzer Abriss der Geschichte der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession, welche die Grundlage für die darauf folgenden Unterkapitel bilden. Diese gehen näher auf verschiedene Diskussionspunkte bezüglich Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession ein, wobei internationale Perspektiven miteinbezogen werden. Der Capability Approach zeigt in Kapitel C5 eine zusätzliche Möglichkeit, Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession zu begründen. Im Kapitel C6 werden die Erkenntnisse des Kapitels diese schließlich zu einer Diskussion zusammengeführt.

Kapitel D befasst sich mit der Gemeinwesenarbeit. Zunächst wird der Begriff als solcher definiert, sowie wichtige Punkte zur Geschichte der Gemeinwesenarbeit und seiner Einordnung in den Theoriezusammenhang der Sozialen Arbeit angesprochen. In einem Abgleich des Konzeptes der Gemeinwesenarbeit mit Community Development nach Ife in Kapitel D2 wird deutlich, wie diese zu einander im Verhältnis stehen. Aktuelle Herausforderungen in der Gemeinwesenarbeit in Kapitel D3 zeigen auf, wo die Perspektive Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession im Konzept der Gemeinwesenarbeit unterstützend wirken könnte. Kapitel D4 ist als Überleitung zu Kapitel E zu verstehen.

Die Auseinandersetzungen in den Kapiteln B, C und D münden schließlich in das Kapitel E. Hier wird zunächst die Relevanz der Perspektive Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession nochmals aufgegriffen, bevor Implikationen der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession für das Konzept der Gemeinwesenarbeit mit dem dann zur Verfügung stehendem Wissen herausgearbeitet werden.

B. MENSCHENRECHTE

Um herauszufinden, welche Bedeutung Menschenrechte und das Selbstverständnis Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession für die Gemeinwesenarbeit haben können, ist es wichtig nachzuvollziehen, was die Idee der Menschenrechte beinhaltet. Diese ist alles andere als unproblematisch und soll in den nachfolgenden Unterkapiteln genauer betrachtet werden.

Die Unterkapitel münden in Kapitel B5 in den Versuch einer Definition des BegriffesMenschenrecht. In den vorangehenden Unterkapiteln spielt dieser zwar bereits eine zentrale Rolle, bliebt aber unscharf. Erst nach der Betrachtung der verschiedenen Aspekte, welche die Definition und den Gebrauch des Begriffes Menschenrecht beeinflussen, ist eine Definition schließlich in Kapitel B5 möglich.

B1. Der Ausgangspunkt: Die Würde des Menschen

Die Würde des Menschen[7]wurde im Laufe der Geschichte vielfach definiert. Allgemein kann unterschieden werden zwischen Definitionen, welche auf einem autonomen oder heteronomen Menschenbild basieren. Dazu kommen Überlegungen zur Begründung der Menschenwürde aus dem systemischen Paradigma heraus (vgl. Mührel/Röh 2013; Staub-Bernasconi 2006).

Definitionen von Menschenwürde, welche das Bild eines autonomen Menschen als Ausgangspunkt nehmen, konzentrieren sich auf den Menschen als selbstbestimmtes Individuum. Sie begründen seine Würde in seiner Einzigartigkeit und Selbstzwecklichkeit. Auch Kants berühmte Auseinandersetzungen mit der Würde des Menschen gehen von einem autonomen Menschenbild aus (ebd., S.96f).

Auf einem heteronomen Menschenbild basierende Definitionen der Menschenwürde beschreiben die Verleihung dieser durch äußere Gegebenheiten (Tiedemann 2006, zit. nach Mührel/Röh 2013, S.94f). Hierzu gehören religiöse Menschenwürdedefinitionen, wie sie im jüdisch-christlichen Bild der Gottesebenbildlichkeit beschrieben werden[8](vgl. Mührel/Röh 2013, S.95).

Die Betrachtung des Menschen sowohl als Individuum als auch in seinen gesellschaftlichen und sozialen Strukturen zeichnet das systemische Paradigma aus. Menschenwürdedefinitionen aus diesem Menschenbild heraus betonen den Zusammenhang zwischen gegebenen Strukturen und den Fähigkeiten des Individuums, seine Würde zu verwirklichen. Die Erreichung von Menschenwürde wird hier in der Befriedigung von Bedürfnissen gesehen (vgl. Staub-Bernasconi 2006, S.280ff).[9]

Den im Rahmen dieser Thesis berücksichtigten Auffassungen von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession liegen verschiedene Menschenbilder zu Grunde. Daher werden auch die Auffassungen von Menschenwürde innerhalb dieser Thesis differieren. Die Anerkennung der Menschenwürde als wichtiges und schützenswertes Merkmal spielt in den meisten Auseinandersetzungen mit Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession eine zentrale Rolle (vgl. u.a. Staub-Bernasconi 2006; Mührel/Röh 2013).[10]Die Auseinandersetzung mit dieser und den dahinterstehenden Menschenbildern, erlaubt es, verschiedene Positionen in Bezug auf Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession nachzuvollziehen.

B2. Eine Annäherung an den Begriff der „Rechte“

Anschließend an den Begriff der Menschenwürde soll nun eine der Begriff derRechtenäher beleuchtet werden. Diese dient dazu, verschiedene Auffassungen von Menschenrechten in der Auseinandersetzung mit Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession in Kapitel C differenzieren und einordnen zu können.

Staub-Bernasconi (2006) nennt zwei verschiedene Auffassungen von Recht. Sie bezieht sich auf Bunge 1998 und beschreibt zunächst die Auffassung von Recht als „ein Normensystem, das vorschreibt, welche Ansprüche geschützt werden, was erlaubt, obligatorisch, verboten ist“ (ebd., S.286). Hier setzt Recht als legale Entscheidungsgrundlage eine herrschende soziale Ordnung durch (vgl. ebd.).

Als zweite Auffassung von Recht nennt sie Recht als Ressource und Instrument für den sozialen Wandel und soziale Reformen. Dabei könne eine Veränderung von ‚oben‘ oder ‚unten‘ angestrebt werden. Staub-Bernasconi beschreibt als Beispiel für eine Veränderung von ‚unten‘, wenn „das Recht, die Verfassung oder die UNO-Kommissionen (…) von Einzelnen wie sozialen Bewegungen angerufen werden“ (ebd., S.286f), also einen institutionalisierten Weg der Rechtsdurchsetzung.[11]

Diese Auffassung von Recht schließt an die von Ife identifizierte Tradition von Menschenrechten als Verantwortung des Staates an, welche er „state obligations tradition“ (ebd. 2010, S.74) nennt. Hier geht man davon aus, dass Rechte nur bestehen, wenn sie durch staatliche Einflussnahme gesichert, geschützt oder umgesetzt werden. Dies kann in Form von staatlicher Gesetzgebung, aber auch in Form von Sozialprogrammen eines Wohlfahrtsstaates geschehen (vgl. Ife 2012³, S.15).

Doch nicht nur durch niedergeschriebenes Recht können Menschenrechte nach Ife eingefordert werden. Er unterscheidet noch zwei andere Auffassungen von (Menschen-) Rechten. Zum einen die Auffassung von Menschenrechten alsnatürlichenRechten. Hier wird davon ausgegangen, dass Menschen mit bestimmten unveräußerlichen Rechten geboren werden (vgl. ebd., S.73f). Diese Denktradition hat ihren Ursprung sowohl in der Aufklärung, als auch in religiösen Kontexten. Menschenrechte als natürliche Rechte können daher sowohl aus einem autonomen wie aus einem heteronomen Menschenbild heraus begründet werden.

Als dritte Position identifiziert Ife die Tradition derkonstruiertenRechte, welche die Grundlage seiner Überlegungen zu Menschenrechten bildet. Diese Tradition geht davon aus, dass Menschenrechte tagtäglich in der gesamten Gesellschaft neu konstruiert und mit Bedeutung versehen werden, sich also in einem ständigen Wandel befinden (vgl. Ife 2010, S.76f).

Die Ausführungen von Staub-Bernasconi und Ife zeigen verschiedene Zugänge zum Begriff des Rechts und der (Menschen-)Rechte, die bei genauerem Hinsehen jedoch Übereinstimmungen vorweisen. Dabei kann auch die erste Auffassung von Staub-Bernasconi nach Bunge, bei der Recht als Normensystem gesehen wird, mit Ifes Gedanken in Verbindung gebracht werden, wie nun dargestellt werden soll.

(Soziale) Normen sind nach Popitz (1975) allgemeine Regeln menschlichen Verhaltens, welche in einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe gelten und dort die Chance haben Zustimmung und Gehorsam zu finden (vgl. ebd. zit. nach Tödt 1977, S.82). Damit wird deutlich, dass in der Auffassung von Recht als Normensystem anerkannt wird, dass Recht, und damit auch die sich daraus ergebenden Rechte, konstruiert sind. Hier besteht also eine Parallele zu der von Ife vertretenen Auffassung von Rechten als konstruiert. Was Ife als konstruierte Rechte beschreibt, benennt Staub-Bernasconi nach Bunge mit Normen. Gerade die Formulierung als Rechte jedoch ermöglicht eine Perspektive auf die Menschenrechte, die für die Soziale Arbeit und besonders für die Gemeinwesenarbeit von großer Bedeutung ist.

B3. Menschenrechtsdokumente

Verschiedene religiöse und philosophische Texte beschäftigten sich schon vor Jahrhunderten, teilweise sogar Jahrtausenden, mit den Rechten und Pflichten der Menschheit (vgl. Ife 2012³, S.78f; Lauren 2003, S.11). Hierzu gehören zum Beispiel König Hammurabi von Babylon, der Rechte für Schwächere in der Gesellschaft schon 1780 BC proklamierte und auch Rechte formulierte, denen selbst er als Herrscher sich beugen musste, oder Cyrus, Gründer des Persischen Reiches, der 589 BC eine Charta an Rechten formulierte, unter ihnen Bewegungsfreiheit, Religionsfreiheit und einige soziale und ökonomische Rechte (vgl. Lauren 2003, S.12f).

Neuere Beispiele für die Manifestierung von Menschenrechten sind die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1776 und die im Rahmen der Französischen Revolution formulierte Menschenrechtserklärung von 1789 (vgl. Staub-Bernasconi 2013a, S.205). Diese Aufzählung zeigt, dass die Idee der Menschenrechte und ihrer schriftlichen Festhaltung durchaus keine Erfindung des Globalen Nordens[12]ist, sondern dass Vorstellungen über das Zusammenleben schon immer und überall die Menschen beschäftigten. Diese Erkenntnis ist für diese Thesis insofern von Bedeutung, als sie den Vorwurf des Eurozentrismus der Menschenrechte abschwächt und damit ihre universelle Gültigkeit stärkt. Nur als universell gültige Rechte können die Menschenrechte letztendlich die Schlagkraft entfalten, die sie brauchen um als Grundlage für die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession zu dienen.[13]

Die wohl bekannteste und heute bedeutsamste Manifestation von Menschenrechten ist dieAllgemeine Erklärung der Menschenrechte(AEMR), welche 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde (vgl. ebd., S.206). So kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bezeichnete die „Universal Declaration of Human Rights“ einen ernst gemeinten Schritt der Weltgemeinschaft, moralische Prinzipien für die moderne Welt zu formulieren und damit der Menschlichkeit in der Moderne eine wichtige Rolle zuzusprechen (vgl. Ife 2010, S.78f).

Die AEMR war zunächst jedoch nur eine Erklärung. Die darin erhaltenen Rechte wurden erst nach und nach mit der Ausarbeitung verschiedener Konventionen konkretisiert und damit für Bürger_innen der unterzeichnenden Staaten einklagbar. Da diese Ausarbeitung in Zeiten des Kalten Krieges geschah, wurden zunächst zwei Konventionen erarbeitet, der „Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“[14]und der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte“. Diese wurden später von weiteren Pakten ergänzt, welche die Rechte bestimmter Zielgruppen nochmals aufgreifen (vgl. Libal/Harding 2015, S.5). Auch wenn die AEMR als richtungsweisendes Dokument wichtig ist, entwickeln die Menschenrechte doch erst in den Konventionen ihre Schlagkraft. Auf Europäischer Ebene ist zudem dieEuropäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheitenvon Bedeutung.

Der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ und der „Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ werden oft als erste und zweite Generation der Menschenrechte genannt (vgl. Ife 2010, S.113; Spatscheck 2008, S.8). Ende des zwanzigsten Jahrhunderts kam aus dem asiatischen Raum vermehrt Kritik an dieser Zweiteilung auf. Zudem wurde die Einführung kollektiver Rechte gefordert (vgl. Ife 2010, S.113). Diese werden heutzutage als dritte Generation der Menschenrechte betrachtet und beinhalten Menschenrechte wie das Recht auf Entwicklung, Frieden oder eine saubere Umwelt. Sie wurden bis heute jedoch kaum in internationalen Verträgen konkretisiert (vgl. Krennerich 2009, S.5).

Auch Kritik aus islamisch geprägten Ländern resultierte in der Verabschiedung neuer Menschenrechtsdokumente. Darunter fallen die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Islam“ des Islamrates für Europa von 1981 und die „Kairoer Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte im Islam“ der Islamischen Konferenz von 1990. Beide Deklarationen stellen die Sharia, das islamische Recht, über die Menschenrechte. Zudem betonen auch sie kollektive Rechte viel stärker, als die AEMR und ihre Konventionen (vgl. Duncker 2009, S.1). Die Auseinandersetzung der Sozialen Arbeit mit dem Islam wird aufgrund der steigenden Zahl islamischer Menschen in Deutschland an Bedeutung zunehmen. Gerade aus der Perspektive Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession heraus wird es wichtig, sich auch mit der islamischen Diskussion um die Menschenrechte auseinanderzusetzen.

Im weiteren Verlauf dieser Thesis wird häufig die Formulierung von Menschenrechten von ‚unten‘, also von den Menschen selbst, im Mittelpunkt stehen. Diese Perspektive ist gerade für die Gemeinwesenarbeit relevant. Gleichwohl haben die im internationalen Recht verankerten formalen Menschenrechtsdokumente eine enorme Bedeutung. Sie zeigen, dass Menschenrechte nicht nur formlose Hüllen sind, sondern die Möglichkeit bieten, auf globaler wie lokaler Ebene Veränderungen zu bewirken, sei es konkret in ihrer gesetzliche Durchsetzung oder auch nur durch ihren programmatischen Charakter. Gleichzeitig zeigen Konventionen wie die 2009 von Deutschland ratifizierte Behindertenrechtskonvention, dass gesellschaftlicher Wandel auch zur Entwicklung von Menschenrechtsdokumenten führen kann.

B4. Kritische Gedanken

Die Idee der Menschenrechte ist heute international anerkannt und grundsätzlich positiv bewertet werden (vgl. u.a. Oberlies 2015, S.6), eine Auseinandersetzung mit kritischen Stimmen ist dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, unerlässlich. Kritik an den Menschenrechten wird bezogen auf ganz unterschiedliche Kriterien geäußert, von denen nun eine Auswahl vorgestellt werden soll.

Viele Kritiker, besonders solche aus dem Globalen Süden, beziehen sich auf den Ursprung der Menschenrechte und werfen ihnen Eurozentrismus bzw. Neo-Kolonialismus vor (vgl. Aziz 1999 zit. nach Ife 2012³, S.8; Mutua 2002). Die im Kapitel B3 aufgeführten Menschenrechtsdokumente zeigen, dass Vorstellungen von menschlichen Rechten und menschlicher Würde nicht ausschließlich als Produkt des Globalen Nordens gesehen werden können.

Ein interessantes Gegenargument zu dieser Kritik bietet auch Joas (2011), der die Entstehung von Menschenrechtsideen als Reaktion auf kulturelle Traumata weltweit sieht. Seiner Meinung nach sind Menschenrechte nicht bloß Konstrukte, sondern generieren sich aus einer Vielzahl negativer geschichtlicher Erfahrungen, deren Wiederholung vermieden werden sollte (vgl. Hundeck 2013, S.40). Auch aus dieser Perspektive sind Menschenrechte also kein Produkt des Globalen Nordens.[15]

Gleichwohl ist die heute gültige AEMR eine Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg. Der Entstehungshintergrund des Dokuments ist damit von traumatischen Erfahrungen und gesellschaftlichen Bedingungen des Globalen Nordens geprägt. Dies sollte im Umgang mit den Menschenrechten kritisch reflektiert werden, wenn diese universell, also für alle Menschen, gelten sollen.

Als Entstehungshintergrund kann damit u.a. die Aufklärung gelten, welche von den gesellschaftlichen Bedingungen des Globalen Nordens geprägt ist. Sie bezeichnet

„eine ideengeschichtliche Epoche in Europa ([…] 17./18. Jahrhundert), in der sich Vernunft (Rationalität), ihr richtiger Gebrauch und vernunftbegründete Ordnungen als Maßstab menschlichen Strebens und wissenschaftlicher Forschung durchsetzten. Politisch-philosophisch begann sich das Ideal des rational handelnden Subjektes […] durchzusetzen.“ (Klein/Schubert 2011 zit. nach bpb o.J.)

Die Subjektbetonung schlug sich auch in der AEMR nieder, welche vorrangig die Rechte des Individuums sichert. Mit Gesellschaftsstrukturen in Ländern des Globalen Südens ist dieser Gedanke oft nur schwer vereinbar. Dagegen könnte argumentiert werden, dass der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, sowie die noch kaum international konkretisierten kollektiven Rechte[16], auch Gesellschaften mit einem kollektiveren Fokus berücksichtigt. So ist in der Berücksichtigung aller drei Generationen der Menschenrechte durchaus ein Gleichgewicht gegeben zwischen individuellen und kollektiven Rechten[17]. Dass dieses Gleichgewicht faktisch nicht besteht, da Konventionen nicht anerkannt werden oder nur in Bruchteilen bestehen, ist ein Thema für die Soziale Arbeit, welches in Kapitel B6 und im weiteren Verlauf der Thesis immer wieder aufgegriffen wird.

Die Einteilung von Menschenrechten in drei Generationen kann zudem kritisch gesehen werden. Die erste Generation ist in Menschenrechtsdebatten am präsentesten und hat damit scheinbar mehr Gewicht als die ihr folgenden Generationen (vgl. Spatscheck 2008, S.8). Damit wird aber gerade ein eurozentrischer Blick auf die Menschenrechte verstärkt. Ife, der die Meinung vertritt, dass jedes Menschenrecht als individuelles und kollektives Recht gesehen werden muss, schlägt eine ganz neue Ordnung vor. Er kritisiert die Einordnung in Generationen, welche auf geopolitischen Gegebenheiten vor 1990 fußen, und schlägt eine Einteilung von Rechten in sieben Dimensionen vor:

- zivile und politische Rechte,
- Überlebensrechte,
- ökonomische Rechte,
- soziale Rechte,
- kulturelle Rechte,
- Umweltrechte sowie
- spirituelle Rechte.

Hierbei betont er, dass die Grenzen zwischen den Dimensionen niemals endgültig festgelegt werden könnten (vgl. ebd. 2010, S.114ff). Diese Einteilung ist vor allem für die Arbeit mit Menschenrechten in der Gemeinwesenarbeit interessant und wird im Kapitel E nochmals aufgegriffen. Zu Bedenken ist jedoch auch, dass die Einteilung in drei Generationen die Logik bestehender Menschenrechtsdokumente der Vereinten Nationen (UN) berücksichtigt. Diese Dokumente sind für die Umsetzung von Menschenrechten von zentraler Bedeutung und sollten zwar aufgrund ihrer nicht gleichberechtigten Beachtung kritisiert werden, zeigen jedoch zugleich auf, an welchen Punkten noch Entwicklungsbedarf besteht.

Eine weitere Kritik an den Menschenrechten und besonders an denen der sogenannten dritten Generation, ist, dass sie zu den Menschenrechten der ersten Generation im Widerspruch stehen (vgl. Briskman 2007, S.96). Die Gegenüberstellung von Menschenrechten ist in der Tat schwierig. Staub-Bernasconi schlägt vor, in solchen Situationen abzuwägen und Kompromisse einzugehen (vgl. ebd. 2006, S.282). Ein Argument gegen die Beachtung einzelner Menschenrechte oder einer der drei Konventionen ist diese Kritik allerdings nicht.

Die hier genannten, keineswegs vollständigen, Kritikpunkte zeigen, dass Menschenrechte durchaus umstrittene Konstrukte sind. Die Konkretisierungsversuche in Form der AEMR und ihrer Konventionen zeigen jedoch, dass eine global anerkannte Formulierung von Grundsätzen für menschenwürdiges Leben möglich ist. Wichtig ist, die AEMR und ihre Konventionen wirkliche als solche zu sehen - nämlich als Versuche der Konkretisierung von Menschenrechten – die in ihre Kontext gesellschaftlicher Bedingungen und Machtverhältnisse betrachtet werden müssen[18].

B5. Definitionsversuch Menschenrechte

Die Überlegungen dieses Kapitels sollen nun in einem Definitionsversuch des BegriffsMenschenrechtmünden und so diesen Begriff für die noch folgenden Kapitel der Thesis eindeutiger und klarer werden lassen.

Im Verlauf dieses Kapitels wurde aufgezeigt, dass Menschenrechte durchaus verschieden definiert werden können und selbst international festgesetzte Definitionen von Menschenrechten umstritten sind. Es kann unterschieden werden zwischen zwei Definitionen von Menschenrechten:

- Menschenrechte als „auf Verfassungs- und Gesetzesrang erhobene Rechte“ (Staub-Bernasconi 2006, S.268), also gesetzeswirksame Normen
- Menschenrechte als sich ständig im Wandel befindende konstruierte Normen, die in unserem Alltag wirksam sind und dort ihre Kraft entfalten (vgl. Ife 2010, S.76).

Beide Definitionen müssen jeweils im Rahmen ihres gesellschaftlichen und historischen Kontextes gesehen werden. Die genauen Inhalte der Menschenrechte können daher nie objektiv festgesetzt werden, sie sind vielmehr als ein fortwährender Prozess zu verstehen (vgl. Oberlies 2015, S.7).

Obgleich selbst innerhalb der Sozialen Arbeit verschiedene Meinungen bezüglich dessen bestehen, was Menschenrechte sind, soll nun eine Kerndefinition des Begriffes versucht werden, an die sich weitere deskriptive Definitionen, je nach Kontext, anschließen können[19].

Menschenrechte werden im Rahmen dieser Thesis definiert als

Realisierbare Rechte, die einen Menschen vor etwas schützen oder ihm ermöglichen etwas zu realisieren, das weltweit, über kulturelle und andere Differenzlinien hinweg, als für ein menschenwürdiges Leben notwendig erachtet wird und dabei nicht in Widerspruch zum menschenwürdigen Leben anderer steht.[20][21]

[...]


[1]Zu dt.: “Wo aber beginnen letzten Endes universelle Menschenrechte? An kleinen Orten, nahe unseres Zuhauses – so nahe und so klein, dass sie auf keiner Weltkarte gefunden werden können. Und dennoch sind sie die Welt der individuellen Person; die Nachbarschaft, in der sie lebt; die Schule oder die Universität, welche sie besucht; die Fabrik, der Hof oder das Büro, in dem sie arbeitet. Solche Orte sind es, an denen jeder Mann, jede Frau und jedes Kind gleiche Gerechtigkeit, gleiche Chancen und gleiche Würde ohne Diskriminierung suchen. Wenn diese Rechte dort keine Bedeutung haben, haben sie auch anderswo wenig Bedeutung. Ohne engagierten Einsatz von Büger_innen, diese nahe unserer Zuhause hochzuhalten, werden wir vergebens Fortschritte in der weiteren Welt suchen.“ (Roosevelt 1958 zit. nach UN o.J.; eigene Übersetzung)

[2]Zur Definition von Gemeinwesen siehe Kapitel D1.

[3]Zum Gebrauch des Begriffes Perspektive in dieser Thesis siehe Kapitel C1.

[4]Zum Verhältnis von Sozialer Arbeit und GWA siehe Kapitel D1.

[5]Um klarzustellen, dass Menschen aller Geschlechter angesprochen werden, wird in der gesamten vorliegenden Thesis die Endung „_innen“ mit sogenannter ‚gender gap‘ genutzt (vgl. hierzu auch S_he 2003 zit. nach Gender Institut Bremen o.J.).

[6]Hierbei ist außerdem die beschränkte Bearbeitungszeit zu bedenken.

[7]Unabhängig von der Würde des Menschen muss darauf hingewiesen werden, dass alleine der BegriffMenschproblematisch und sozial konstruiert ist, näheres hierzu bei Ife (2010, S.69ff)

[8]Staub-Bernasconi beschreibt das heteronome Menschenbild in Zusammenhang mit soziozentrischen Ethiken als Menschenbild, welches den Menschen als von seinen Strukturen abhängig und dem Gemeinwohl untergeordnet beschreibt (vgl. ebd. 2006, S.269). Diese Bedeutung von heteronom ist in der Definition von Menschenwürde nur insofern interessant, als dass das systemische Paradigma in seiner Definition von Menschenwürde Elemente dieser Definition vom Menschen als fremdbestimmt mit Elementen des autonomen Menschenbildes vereint.

[9]Zu Bedürfnissen siehe auch Kapitel C3.1 Silvia Staub-Bernasconi und C5. Exkurs: Der Capability Approach.

[10]Ife beispielsweise begründet die Menschenrechte nicht in der Menschenwürde, sondern in der (kollektiven) Erreichung vollkommener Menschlichkeit (i.O. full humanity), welche nur in Gemeinschaft möglich ist. Damit vertritt er noch am ehesten ein heteronomes Menschenwürdeverständnis.

[11]Dass durchaus noch ganz andere Möglichkeiten bestehen, Recht von ‚unten‘ als Ressource zu nutzen, um individuelle oder kollektive Rechte durchzusetzen, soll im Rahmen dieser Thesis deutlich werden.

[12]Die Begriffe „Globaler Norden“ und „Globaler Süden“ werden als wertfreies Begriffspaar genutzt, welches nicht geographische Unterscheidungen aufzeigt, sondern auf Benachteiligungen und Privilegien aufmerksam macht. Um sie von geographischen Bezeichnungen zu unterscheiden, wird die Großschreibung genutzt (vgl. glokal 2012, S.4f)

[13]Mehr zu Menschenrechten und Eurozentrismus vgl. Kapitel B4.

[14]Die hierunter fallenden Rechte werden im weiteren Verlauf der Thesis als WSK-Rechte benannt.

[15]Die Gedanken Joas‘ sind auch für die Begründung Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession interessant und werden in Kapitel C3.2. nochmals betrachtet.

[16]Zu den schon vorhandenen Dokumenten gehören u.a. die Stockholmer Deklaration der UN Konferenz zur menschlichen Entwicklung von 1972 und die Rio Deklaration verabschiedet auf der bekannten UN Konferenz zu Umwelt und Entwicklung von 1992

[17]Dieses Gleichgewicht zu erreichen sollte dabei als Ziel gesehen werden – eine übermäßige Betonung kollektiver Rechte birgt die Gefahr eines kulturellen Relativismus, der eine unkritische Betrachtung von Menschenrechtsverletzungen zulässt (vgl. Briskman 2007, S.99).

[18]Dass auch auf UN-Ebene Menschenrechte wandlungsfähig sind zeigt eindrucksvoll die schon erwähnte UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen von 2006, welche vor einigen Jahrzenten wohl nicht denkbar gewesen wäre

[19]Zur Unterscheidung von Kerndefinition und deskriptiver Definition am Beispiel des Coachings siehe Neukom 2009,S.124ff.

[20]Zur Definition von Gemeinwesen siehe Kapitel D1.

[21]Realisierbarwird hier in Abgrenzung zu unmöglich gesehen. Es ist z.B. unmöglich, dass Recht auf ein Haus am Mittelmeer zu realisieren, da nicht genug Land zu Verfügung steht, dass dieses Recht jemals für alle Menschen umgesetzt werden könnte. Realisierbar bedeutet deswegen nicht, dass es einfach ist, diese Rechte durchzusetzen, aber es ist theoretisch möglich. Staub-Bernasconi nutzt daher den Begriff der Realutopie (vgl. Staub-Bernasconi 2013a, S.214).

Ende der Leseprobe aus 80 Seiten

Details

Titel
Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession. Implikationen für das Konzept der Gemeinwesenarbeit
Hochschule
Evangelische Fachhochschule Freiburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
80
Katalognummer
V358360
ISBN (eBook)
9783668434349
ISBN (Buch)
9783668434356
Dateigröße
1037 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Menschenrechtsprofession, GWA, Menschenrechte, Soziale Arbeit, Jim Ife, Staub-Bernasconi, Capability Approach, Gemeinwesenarbeit
Arbeit zitieren
Sophie Brandes (Autor:in), 2015, Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession. Implikationen für das Konzept der Gemeinwesenarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/358360

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