Der deutsche Thronstreit von 1198. Welche Rolle spielten Papst Innozenz III. und seine Bulle "Venerabilem"?


Hausarbeit, 2016

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Doppelwahl und der deutsche Thronstreit von

2. Die Wahlanzeigen
2.1 Die Wahlanzeige Ottos IV
2.2 Die Wahlanzeige Philipps von Schwaben
2.3 Vergleich der beiden Wahlanzeigen

3. Die Rolle Papst Innozenz’ III. im deutschen Thronstreit von
3.1 Innozenz’ zögerliche, strategische Entscheidung für Otto IV
3.2 Die Bulle Venerabilem
3.3 Der Weg zur Kaiserkrönung Ottos IV

Schlussbemerkung

Quellen- und Literaturverzeichnis

Antiplagiatserklärung

Einleitung

Die Königswahl von 1198 und der damit in Zusammenhang stehende Thronstreit zwischen Philipp von Schwaben[1] und Otto IV. von Braunschweig[2] nimmt eine besondere Stellung in der Geschichte des Mittelalters ein.[3] Der Historiker Bernd Schneidmüller vertritt die Auffassung, dass „die Doppelwahl 1198 mit allen ihren Umständen als Wendepunkt der Reichsgeschichte betrachtet“[4] werden müsse. Daher macht es Sinn, diesen wichtigen Teil der mittelalterlichen Geschichte näher zu betrachten. Dies soll in der vorliegenden Arbeit geschehen. Herausgearbeitet werden soll, welche Rolle Papst Innozenz III. bzw. die an ihn gerichteten fürstlichen Wahlanzeigen und seine Bulle ‚Venerabilem‘ im deutschen Thronstreit von 1198 spielten.

In einem ersten Schritt sollen die historischen Begebenheiten, die zur Doppelwahl und zum Thronstreit führten, erläutert werden.

In einem zweiten Schritt wird der Fokus zunächst auf die Wahlanzeige Ottos IV., dann auf die Philipps von Schwaben gelegt, um danach die beiden Wahlanzeigen miteinander zu vergleichen. In einem dritten Schritt wird die Rolle Papst Innozenz’ III. auf dem Weg Ottos zur Kaiserkrönung dargelegt, wobei zuerst Innozenz’ zögerliche, strategische Entscheidung für Otto IV. diskutiert, danach seine Bulle Venerabilem analysiert wird.

Bei den dieser Arbeit zugrunde gelegten Quellen handelt es sich primär um die Wahlanzeigen von Otto IV. und von Philipp von Schwaben sowie um die Bulle Venerabilem von Innozenz III. Berücksichtigt wurden aber auch der Rundbrief Innozenz III. zur Königswahl aus dem Jahre 1200 und verschiedene Register über die Reichsfrage.

1. Die Doppelwahl und der deutsche Thronstreit von 1198

Der Tod Heinrichs VI., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, im Jahre 1197 verursachte eine komplizierte Erbfolgesituation,[5] die im Folgenden kurz umrissen werden soll. Heinrichs Sohn Friedrich wurde bereits 1196 in Frankfurt von einer Gruppe von Fürsten zum Mitkönig gewählt und war zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters erst drei Jahre alt. Er lebte bei seiner Mutter Konstanze, Erbin des sizilianischen Reiches, die Heinrich VI. 1186 geheiratet hatte. Um es Friedrich zu ermöglichen, in beiden Reichen als König eingesetzt werden zu können, mussten verschiedene erb- und verfassungsrechtliche Gegebenheiten berücksichtigt werden.[6] Während Friedrich 1198 zum König von Sizilien gekrönt wurde, da die Erbfolge deutlich war, befürchtete Heinrich noch zu Lebzeiten, dass die Fürsten seinen Sohn nicht zum König und infolgedessen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wählen würden. Daher nahm er 1195 den Fürsten einen Eid ab, ihn nach seinem Tod zum König zu wählen. Im Gegenzug versprach er, zu einem Kreuzzug aufzubrechen. Alle Fürsten außer dem Erzbischof Adolf von Köln legten den Eid ab. Dennoch lehnten es die Fürsten zunächst ab, Friedrich noch zu Lebzeiten seines Vaters zu dessen Mitkönig zu wählen. Dies veranlasste Heinrich, einen Erbreichsplan auszuarbeiten, dessen Gegenstand eine „Neuordnung des Verhältnisses der Fürsten zu Königtum und Reich“[7] war. Auf der einen Seite gestand der Plan den weltlichen Fürsten die vollständige Erblichkeit der Lehen, auch deren Töchtern, zu. Darüber hinaus sicherte dieser geistlichen Fürsten zu, auf die Nutzung der Regalien verzichten zu dürfen. Auf der anderen Seite forderte Heinrich als Gegenleistung den Verzicht auf das Wahlrecht der Fürsten und die Zustimmung zum Erbrecht. Dadurch erhoffte sich Heinrich, die Herrschaft der Staufer in einem unio regni ad imperium, einem Zusammenschluss des Königreichs Sizilien und des Heiligen Römischen Reichs, zu sichern. Der Erbreichsplan scheiterte, da sich, geführt von Erzbischof Adolf von Köln, eine wachsende Zahl von Fürsten von Heinrichs Plan abwandte. Dennoch wurde, nachdem Heinrich ihnen Zugeständnisse gemacht hatte, Friedrich 1196 zum Mitkönig gewählt.

Die römische Kirche empfand diese Entwicklungen, die den Weg zu einem möglichen Zusammenschluss der Reiche ebneten, als Gefahr für das Patrimonium Petri, da es, wenn dieser Fall tatsächlich einträte, von Norden und Süden von einem staufischen Großreich eingekesselt sein würde. Nach dem Tod Kaiser Heinrichs VI. sollte ein neuer König gewählt werden, da Heinrichs dreijähriger Sohn Friedrich „selbst noch der Lenkung bedürfe und daher nicht selbst lenken könne.“[8]

Zeitgleich fand im Heiligen Römischen Reich eine Polarisierung zwischen Staufern und Welfen bzw. deren jeweiligen Unterstützer statt.[9] Der Staufer Philipp von Schwaben,[10] der Onkel Friedrichs, welcher der Sohn Heinrichs VI. ist, wollte das deutsche Königtum für eben diesen Friedrich als Stellvertreter freihalten. Die ihn unterstützenden pro-staufischen Fürsten jedoch bevorzugten es, dass er sich selbst zum König wählen lassen sollte, was dann auch 1198 geschah.[11]

Parallel dazu wählten 1198 die pro-welfischen Fürsten in Köln, geführt vom Erzbischof von Köln, den Welfen Otto von Braunschweig zum König. Da er der Neffe von Richard Löwenherz war und sowohl Bernhard von Sachsen als auch Berthold von Zähringen nicht kandidieren wollten, galt er als der einzige adäquate Gegenkandidat zu Philipp von Schwaben. Die Krönung Ottos fand in Aachen am 12. Juli des Wahljahres statt und wurde vom Erzbischof von Köln mit nachgebildeten Insignien durchgeführt. Dies bedeutet, dass Otto, gemäß der Tradition der Königserhebungen, durch die richtige Person und am richtigen Ort, aber mit den falschen Insignien gekrönt wurde.

Philipp von Schwaben wurde ungefähr zwei Monate später, am 8. September 1198, mit den richtigen Insignien in Mainz gekrönt.[12] Der Koronator Philipps jedoch, der Erzbischof von Tarentaise, entsprach, genauso wie der Krönungsort Mainz, nicht der Krönungstradition.[13] Diese Elemente der Königswahl und der Krönung sollten aufgrund der Doppelwahl zu wichtigen Streitpunkten werden, die zur Folge hatten, dass – wie eingangs erwähnt – eine „Präzisierung des Wesens einer Wahlmonarchie“[14] stattfand.

Im Zuge der Doppelwahl und des daraus resultierenden Thronstreits zwischen Staufern und Welfen übersandten beide Parteien Wahlanzeigen an den Papst, um diesen entscheiden zu lassen, wer zum Kaiser gekrönt werden solle.[15] Dem neu gewählten Papst Innozenz III., der das Papsttum als wichtigste Macht in der Welt ansah,[16] kam die Rolle als Schiedsrichter in diesem Fall sehr gelegen: Dadurch bekam er die Möglichkeit, sich gegen eine Umschließung des Patrimonium Petri durch die Staufer einzusetzen.[17] Dabei spielte Innozenz‘ Rekuperationspolitik eine große Rolle, bei der es um die territoriale Rückgewinnung und Erweiterung des Patrimonium Petri ging.[18]

2. Die Wahlanzeigen

Die welfische und die staufische Wahlanzeige sind sehr verschieden. Sie reflektieren unterschiedliche Auffassungen der Rolle des Papstes bei der Königserhebung. Darüber hinaus geben sie zu erkennen, dass die fürstliche Anhängerschaft bzw. Wählerschaft Philipps von Schwaben in Rang und Zahl deutlich die von Otto von Braunschweig überstieg.[19] Deswegen war Otto sehr auf die Unterstützung des Papstes angewiesen, um eine Chance auf den Kaiserthron zu haben. Innozenz III. ließ jedoch, wie sich in Kapitel 3.1 zeigen wird, zwei Jahre verstreichen, ehe er zum Thronstreit Stellung nahm, da die Unsicherheit bezüglich des Ausgangs des Thronstreits seine Position stärkte.[20]

Die beiden Wahlanzeigen wurden jeweils durch die beiden Parteien instrumentalisiert, um dem Papst die Legitimität der Wahl aufzuzeigen. Im Folgenden soll zunächst Ottos, dann Philipps Wahlanzeige betrachtet werden.

2.1 Die Wahlanzeige Ottos IV.

Ottos Wahlanzeige wurde um 1198 verfasst.[21] Der Verfasser scheint, aufgrund seiner Wortwahl, ein Westeuropäer bzw., genauer gesagt, ein Westdeutscher gewesen zu sein.[22] Die Wahlanzeige wurde von dem einflussreichen Erzbischof Adolf von Köln und einigen Adligen, Äbten und Bischöfen, die sich in seinem Einflussbereich befanden, unterzeichnet.[23] Diese hielten es, so argumentieren sie in der Wahlanzeige, nach dem Tod Heinrichs für notwendig, über den Nachfolger des Königs zu verhandeln. Bei den Verhandlungen zur Wahl seien die Ehre der Kirche und der Friede des Volkes zentrale Entscheidungspunkte gewesen.[24] Daher hätten sie Otto, den frömmsten Verehrer des christlichen Glaubens, getreuesten Vogt der römischen Kirche, gerechtesten Beachter richterlicher Gewalt und Abkömmling eines alten Königsgeschlechts, richtig und rechtmäßig gewählt.[25] Weiter ist in der Wahlanzeige zu lesen, dass Otto in Aachen, wo schon Karl der Große residierte, vom Kölner Erzbischof gekrönt wurde und dass die Fürsten ihm ihre Treue geschworen haben.[26] Aufgrund seines Glaubens an das Gottesgnadentum habe Otto durch einen Eid versichert, die Rechte der Heiligen Römischen Kirche zu wahren, das römische Volk sowie die Bistümer zu schützen[27] und auf das Spolienrecht[28] zu verzichten.[29] Zusätzlich beziehen sich die Verfasser der Wahlanzeige auf Ottos Vater, Heinrich Herzog von Sachsen, der die kirchlichen Weisungen immer befolgt habe, und bitten darauf den Papst um die Erlaubnis zur Kaiserkrönung Ottos.[30] Die Wahlanzeige wird mit der Bitte an Innozenz III. geschlossen, er solle den Gegnern Ottos mit Kirchenstrafen drohen.[31]

2.2 Die Wahlanzeige Philipps von Schwaben

Die in Speyer verfasste Wahlanzeige der Anhänger Philipps von Schwaben ist datiert auf das Jahr 1199 und wurde von zahlreichen Fürsten unterzeichnet. Zu diesen gehörten auch die Erzbischöfe von Trier, Magdeburg und Besançon, die Bischöfe von Freising, Konstanz, Regensburg, Augsburg, Eichstätt, Speyer, Worms, Hildesheim, Fulda, Brixen sowie die Äbten vom Tegernsee, Hersfeld und Ellwangen, zudem der König von Böhmen, die Herzöge von Meranien, Bayern, Sachsen, Österreich, Lothringen, die Markgrafen von Mähren, Brandenburg und Ronsberg sowie weitere Anhänger Philipps.[32] Außerdem hätten, gemäß der Wahlanzeige, zahlreiche weitere Adlige und hochrangige Geistliche durch Briefe und Gesandte Philipp ihre Treue geschworen.[33] Die Vielzahl an aufgelisteten Unterstützern soll den Papst als quantitatives Argument überzeugen. Allerdings handelt es sich bei einem Großteil der Personen lediglich um kleine, unwichtige Adlige und Äbte. Das Wahlrecht sei ein originäres Fürstenrecht,[34] Philipp sei durch eine große Anzahl von Befürwortern auf den römischen Thron gewählt worden.[35] Es gäbe hinsichtlich der Abstammung, des Ansehens, der Führung des Reiches und des Schutzes der Kirche keinen besseren Kandidaten als ihn.[36] Darüber hinaus lassen die Verfasser verlauten, dass Papst Innozenz III. nicht die Rechte des Reiches verletzen solle, indem er den Welfen Beistand gewähre, sondern den Staufern Gunst und guten Willen entgegenbringen solle. Im Gegenzug würden sie die Rechte der Kirche schützen.[37] Außerdem solle Innozenz III. dafür sorgen, dass die Wahl Ottos, die die Anhänger Philipps als ungerecht und boshaft ansähen, nicht gegen die rechtmäßige Wahl Philipps siegen werde.[38] Die Wahlanzeige wird mit der Ankündigung abgeschlossen, dass Philipp nach Rom zur Kaiserkrönung (imperatura) ziehen werde.[39] Bemerkenswerterweise wurde weder erwähnt, dass Philipp aus der richtigen Familie stammte, noch dass er mit den richtigen Reichsinsignien gekrönt wurde.

2.3 Vergleich der beiden Wahlanzeigen

Die beiden Wahlanzeigen unterscheiden sich deutlich voneinander und beinhalten zwei unterschiedliche Kaiservorstellungen.

Den größten Gegensatz der welfischen Wahlanzeige zur staufischen Wahlanzeige besteht darin, dass die Verfasser den Papst um Bestätigung der Wahl und Zustimmung zur Kaiserkrönung bitten:[40]

„Wir hielten es daher für angebracht, Euch, Heiliger Vater, ergebenst zu bitten, Ihr möchtet […] in väterlicher Güte geruhen, seine Wahl und Weihe kraft Eurer Vollmacht zu bestätigen und der Kaiserkrönung zuzustimmen.“[41]

Außerdem wird in der Anzeige auf die Forderungen des Papstes eingegangen.[42] Der Verzicht auf das Spolienrecht beispielsweise war eine wichtige Zusage Ottos an Innozenz und passte zu dessen Rekuperationspolitik, denn dadurch konnte die Kirche ihre Position weiterhin auch geografisch halten und ausbauen. Ottos Aussage, auf das Spolienrecht zu verzichten, ist eine Wiederholung seines Versprechens, das er Innozenz in einem Brief bereits früher im Jahr 1198 gegeben hatte.[43]

Boshof weist darauf hin, dass sich die Welfen von vornherein päpstliche Rechtspositionen zu Eigen machten, um Innozenz in seinem Selbstverständnis zu bestätigen und so seine Unterstützung für sich zu gewinnen.[44] Für die schwächere Partei, die Welfen, die 1199 mit dem Tod von Ottos Onkel Richard Löwenherz ihren mächtigsten Unterstützer verloren hatte,[45] lag es generell nahe, zu versuchen, den Papst als verbündeten Richter und Entscheider zu gewinnen, während die stärkere Partei, die Staufer, kaum Vorteile durch eine päpstliche Intervention zu erwarten hatte, da sich Philipp gegen die Rekuperationspolitik des Papstes in Mittelitalien einsetzte.[46]

Die Wahlanzeige von Philipp ging im Vergleich zur welfischen relativ spät beim Papst ein, was mit der als gering empfundenen Bedeutung der Rolle des Papstes erklärt werden könnte.[47] Insgesamt wirkt der Ton der staufischen Wahlanzeige auf den Leser um einiges selbstbewusster und bestimmter als die Wortwahl in Ottos Anzeige.[48] Der Verfasser der staufischen Wahlanzeige, in der deutlich gemacht wird, dass die (staufischen) Fürsten die Rechte des Königs und des Reiches auch gegenüber der Kurie verteidigen würden und in einem beinahe drohendem Tonfall einen Romfeldzug ankündigen[49] war nicht Philipp selbst, sondern vermutlich sein Kanzleinotar.[50] Schneidmüller fasst treffend zusammen: „im Vergleich werden die unterschiedlichen Erwartungen an Innocenz III. und das andere Selbstverständnis der staufischen Partei deutlich.“[51] Im Gegensatz zu den Welfen zeigten die Staufer keine Bereitschaft für Zugeständnisse gegenüber dem Papst und sahen die Entscheidungsmacht über das Einsetzen in das Königtum und damit in die Kaiserstellung bei den Fürsten liegen. Sie sahen sich deswegen nicht angewiesen auf die Anhörung von Gottes Gnaden und baten den Papst nicht um eine Bestätigung der Wahl, sondern legten ihm ihre Vorstellungen vor, was „eine machtvolle Demonstration des staufischen Reichsgedanken darstellt.“[52]

Dieser staufische Reichsgedanke, der in den Augen des Papstes eine Demütigung gewesen sein musste, da er in seinem Selbstverständnis für sich das Recht vorbehalten sah, über den rechtmäßigen König und dessen Krönung zum Kaiser zu entscheiden, beruht auf der von Philipps Vater Friedrich Barbarossa geprägten staufischen Kaiseridee, welche besagt, dass die Krönung nur eine Zeremonie sei, zu der der Papst verpflichtet sei.[53] Anhand der staufischen Wahlanzeige wird also deutlich, dass Philipp das Ziel seines Vaters verfolgt und sich für eine Ebenbürtigkeit zwischen Kaisertum und Papsttum einsetzt.[54]

3. Die Rolle Papst Innozenz’ III. im deutschen Thronstreit von 1198

3.1 Innozenz’ zögerliche, strategische Entscheidung für Otto IV.

Papst Innozenz III. zögerte seine Stellungnahme zum deutschen Thronstreit lange heraus.[55] Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die unklare Situation im Heiligen Römischen Reich, die aus der Doppelwahl resultierte, die Macht des Papstes vergrößerte und durch die Verzögerung das vom Papst befürchtete und von den Staufern geplante unio regni ad imperium verhindert bzw. zumindest aufgeschoben werden konnte.[56] Die erste Reaktion seitens des Papstes auf die Wahlanzeigen erfolgte im Jahr 1200 in Form eines Rundbriefs zur Königswahl, adressiert an die weltlichen und geistlichen Fürsten Deutschlands. Darin riet er den Fürsten, sich zu einigen. Innozenz III. entschied sich noch nicht direkt für einen Kandidaten, ließ aber verlauten, dass er in Philipp von Schwaben keinen geeigneten Kandidaten sehe. Dies begründete er mit Philipps Abstammung und dessen Exkommunikation im Jahr der Wahl.[57] Falls sich die Fürsten nicht einigen würden, würde er die Entscheidung fällen.[58] Darüber hinaus erwähnt Innozenz III. in dem Brief die Elemente, die die Königswahl und die Königskrönung legitimieren: den traditionellen Krönungsort Aachen, den Erzbischof von Köln als Koronator und die echten Insignien.[59] Am Ende des Jahres 1200 gab Innozenz dann schließlich in einer geheimen Rede vor dem Konsistorium seine Entscheidung bekannt.[60] Zu Beginn dieser Rede führte er zunächst aus, warum der Papst zur Approbation berechtigt sei. Hierfür nahm er Bezug auf die Vorstellung der translatio imperii.[61] Außerdem, und dieser Grund hängt mit der translatio imperii zusammen, habe er das Recht, den Gewählten zu prüfen, da der von den deutschen Fürsten gewählte König später durch den Papst die Kaiserwürde erlange.[62] Im nächsten Teil der Rede lässt Innozenz seine Entscheidung verlauten: Er befürwortet Otto IV., da er aufgrund seiner Abstammung und seiner Eignung für dieses Amt passend sei. Dass, wie aus den Wahlanzeigen hervorging, Philipp eine größere Anzahl an Wählern gehabt habe, falle nicht ins Gewicht.[63] Die Staufer kommen für ihn nicht in Frage: Der junge Friedrich, der Sohn Heinrichs VI., sei zu jung, um das Amt zu bekleiden, und Philipp sei aufgrund seiner Abstammung aus einem genus persecutorum ecclesiae, einem Geschlecht von Verfolgern der Kirche, und wegen des gegen ihn verhängten Kirchenbanns ungeeignet.[64]

[...]


[1] Philipp von Schwaben war der jüngste Sohn Kaiser Friedrich Barbarossas und dessen Gemahlin Beatrix von Burgund und wurde 1177 in Oberitalien geboren. Ursprünglich war er für eine geistliche Laufbahn bestimmt und trat 1189 als Propst des Aachener Marienstifts auf, wurde aber 1193 durch seinen Bruder Heinrich VI. wieder in den weltlichen Stand zurückgeführt. Mehr zu Philipp beispielsweise in: Schütte, Bernd: König Philipp von Schwaben, Itinerar-Urkundenvergabe-Hof (Monumenta Germaniae Historica, Schriften, Bd. 51), Hannover 2002.

[2] Otto IV. wurde wahrscheinlich 1175/76 in Braunschweig geboren und ist der Sohn von Heinrich dem Löwen, Herzog von Sachsen und Bayern, und dessen Frau, der englischen Königstochter Mathilde. Mehr zu Otto beispielsweise in: Hucker, Bernd Ulrich: Kaiser Otto IV. (Monumenta Germaniae Historica, Schriften, Bd. 34), Hannover 1990.

[3] Vgl. Miethke, Jürgen/Bühler, Arnold: Kaiser und Papst im Konflikt. Zum Verhältnis von Staat und Kirche im späten Mittelalter, Düsseldorf 1988, S. 26; Engels, Odilo: Die Staufer, Stuttgart 2010, S. 140; Mamsch, Stefanie: Kommunikation in der Krise. Könige und Fürsten im deutschen Thronstreit (1198-1218), in: Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster (Rh. 10/ Bd. 14), Münster 2012, S. 20; Goez, Elke: Papsttum und Kaisertum im Mittelalter, Darmstadt 2009, S. 80; Keller, Hagen: Zwischen regionaler Begrenzung und universalem Horizont. Deutschland im Imperium der Salier und Staufer 1024 bis 1250, Frankfurt am Main/Berlin 1990, S. 426.

[4] Schneidmüller, Bernd: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung (819-1252), Stuttgart/Berlin/Köln 2000, S. 242.

[5] Vgl. Eickels, Klaus von: Otto IV. (1198-1218) und Philipp (1198-1208), in: Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519), herausgegeben von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, München 2003, S. 273.

[6] Vgl. Rogge, Jörg: Die deutschen Könige im Mittelalter. Wahl und Krönung, Darmstadt 22011, S. 33.

[7] Ebd., S. 34.

[8] Althoff, Gerd: Kontrolle der Macht. Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter, Darmstadt 2016, S. 285.

[9] Vgl. Mamsch, Stefanie (2012), S. 55.

[10] Ein Sohn Friedrich Barbarossas.

[11] Vgl. Mamsch, Stefanie (2012), S. 45.

[12] Vgl. Rogge, Jörg (2011), S. 37.

[13] Aachen wäre der gewohnheitsmäßige Krönungsort gewesen und der Erzbischof von Köln der richtige Koronator.

[14] Schneidmüller, Bernd (2000), S. 242.

[15] Vgl. Rexroth, Frank: Deutsche Geschichte im Mittelalter, München 2005, S. 77; Goez, Elke (2009), S. 80; Stürner, Wolfgang: Dreizehntes Jahrhundert. 1198-1273, in: Handbuch der deutschen Geschichte (Bd. 6), herausgegeben von Wolfgang Reinhard, Stuttgart 102007, S. 77.

[16] Vgl. Schneidmüller, Bernd: Die Kaiser des Mittelalters. Von Karl dem Großen bis Maximilian I., München 2006, S. 82; Gropper, Gerald (2002), S. 15; Csendes, Peter: Philipp von Schwaben. Ein Staufer im Kampf um die Macht, in: Gestalten des Mittelalters und der Renaissance, herausgegeben von Peter Herde, Darmstadt 2003, S. 58f.

[17] Vgl. Gropper, Gerald (2002), S. 17; Csendes, Peter (2003), S. 56f.

[18] Vgl. Rogge, Jörg (2011), S. 38.

[19] Vgl. Engels, Odilo (2010), S. 143.

[20] Vgl. Keller, Hagen (1990), S. 429.

[21] Vgl. Schneidmüller, Bernd (2000), S. 246.

[22] Vgl. Ebd.

[23] Vgl. Wahlanzeige Ottos IV. an Papst Innozenz III. (1198) (hier zitiert nach: Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, ausgewählt und übersetzt von Lorenz Weinrich, in: Ausgewählte Schriften zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, herausgegeben von Rudolf Buchner, Darmstadt 1977, S. 323.)

[24] Vgl. Ebd., S. 319.

[25] Vgl. Wahlanzeige Ottos IV. an Papst Innozenz III. (1198), S. 321.

[26] Vgl. Wahlanzeige Ottos IV. an Papst Innozenz III. (1198), S. 321.

[27] Vgl. Ebd.

[28] Spolienrecht: Bezeichnet den von weltlichen oder geistlichen Oberen (Kaiser, König, Papst, Bischöfe u.a.) gestellten Anspruch auf den Nachlass der Kleriker (gegen deren Testierfreiheit). Auf das Spolienrecht verzichteten sowohl Otto IV und Philipp von Schwaben als auch Friedrich II. Siehe: Puza, Richard: Spolienrecht, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. VII, München 1997, Sp. 2131 – 2132.

[29] Vgl. Wahlanzeige Ottos IV. an Papst Innozenz III. (1198), S. 321.

[30] Vgl. Ebd., S. 323.

[31] Vgl. Ebd.

[32] Vgl. Wahlanzeige Philipps von Schwaben an Papst Innozenz III. (1199) (hier zitiert nach: Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, ausgewählt und übersetzt von Lorenz Weinrich, in: Ausgewählte Schriften zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 32, herausgegeben von Rudolf Buchner, Darmstadt 1977, S. 324f.)

[33] Vgl. Ebd., S. 327.

[34] Vgl. Schneidmüller, Bernd (2006), S. 82.

[35] Vgl. Wahlanzeige Philipps von Schwaben an Papst Innozenz III. (1199), S. 325

[36] Vgl. Wahlanzeige Philipps von Schwaben an Papst Innozenz III. (1199), S. 325.

[37] Vgl. Ebd., S. 327.

[38] Vgl. Ebd.

[39] Vgl. Ebd.

[40] Vgl. Keller, Hagen (1990), S. 429.

[41] Wahlanzeige Ottos IV. an Papst Innozenz III. (1198), S. 323.

[42] Vgl. Ebd.

[43] Vgl. Der exakte Wortlaut des Briefes und der damit einhergehende frühe Verzicht Ottos IV. auf das Spolienrecht ist einsehbar im Register über die Reichsfrage Nr. 3: Brief König Ottos an den Papst (1198 nach Juli 12), in: Tangel, Georgine: Das Register Innocenz’ III. über die Reichsfrage 1198-1209 (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 95), Leipzig 1923, S. 12.

[44] Vgl. Boshof, Egon: Innozenz III. und der deutsche Thronstreit, in: Papst Innozenz III. – Weichensteller

der Geschichte Europas, interdisziplinäre Ringvorlesung an der Universität Passau, 5.11.1997 – 26.5.

1998, Stuttgart 2000, herausgegeben von Thomas Frenz, S. 56.

[45] Vgl. Boshof, Egon (2000), S. 56; Rogge, Jörg (2011), S. 39.

[46] Vgl. Ebd.

[47] Vgl. Csendes, Peter (2003), S. 81.

[48] Vgl. Keller, Hagen (1990), S. 429.

[49] Vgl. Csendes, Peter (2003), S. 82.

[50] Vgl. Csendes, Peter (2003), S. 82.

[51] Vgl. Schneidmüller, Bernd (2000), S. 246.

[52] Ebd.

[53] Vgl. Ebd.; siehe auch Appelt, Heinrich: Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas, in: Friedrich Barbarossa, herausgegeben von Gunther Wolf, Darmstadt 1975, S. 215.

[54] Vgl. Weinfurter, Stefan: Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500, München 2008, S. 115; Keller, Hagen (1990), S. 391.

[55] Vgl. Schneidmüller, Bernd (2006), S. 82; Goez, Elke (2009), S. 81.

[56] Vgl. Gropper, Gerald (2002), S. 17.

[57] Vgl. Innozenz III.: Rundbrief zur Königswahl (1200) (hier zitiert nach: Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, ausgewählt und übersetzt von Lorenz Weinrich, in: Ausgewählte Schriften zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, herausgegeben von Rudolf Buchner, Darmstadt 1977, S. 328-330.)

[58] Vgl. Kempf, Friedrich: Der „Favor Apostolicus“ bei der Wahl Friedrich Barbarossas und im Thronstreit (1198-1208), in: Friedrich Barbarossa, herausgegeben von Gunther Wolf, Darmstadt 1975, S. 111f.

[59] Vgl. Innozenz III.: Rundbrief zur Königswahl (1200), S. 328f.

[60] Vgl. Boshof, Egon (2000), S. 57.

[61] Vgl. Schneidmüller, Bernd (2006), S. 82.

[62] Vgl. Boshof, Egon (2000), S. 58.

[63] Vgl. Rogge, Jörg (2011), S. 39.

[64] Vgl. Rexroth, Frank (2005), S. 249; Boshof, Egon (2000), S. 58; Goez, Elke (2009), S. 81.

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Details

Titel
Der deutsche Thronstreit von 1198. Welche Rolle spielten Papst Innozenz III. und seine Bulle "Venerabilem"?
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Seminar für Mittelalterliche Geschichte)
Veranstaltung
Die mittelalterliche Königswahl. Formen, Faktoren und Entwicklungen
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
20
Katalognummer
V358185
ISBN (eBook)
9783668432277
ISBN (Buch)
9783668432284
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thronstreit, 1198, Innozenz, Wahlanzeigen, Bulle, Venerabilem
Arbeit zitieren
David Schneider (Autor:in), 2016, Der deutsche Thronstreit von 1198. Welche Rolle spielten Papst Innozenz III. und seine Bulle "Venerabilem"?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/358185

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