Genderless. Ein neuer Trend der Mode- und Lifestyle-Industrie


Bachelorarbeit, 2017

114 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung

2 Geschlechtslosigkeit als Thema der Modetheorie und Geschlechterforschung
2.1 Das Unbehagen der Geschlechter - Judith Butler
2.2 Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen - Donna Haraway
2.3 Angezogen: Das Geheimnis der Mode - Barbara Vinken
2.4 „Wenn Frauen Männerkleider tragen“ - Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte - Gertrud Lehnert
2.5 Ist Mode queer? - Gertrud Lehnert, Maria Weilandt
2.6 Zusammenfassung

3 Der Megatrend „Gender Shift“ – ein Zeichen der postmodernen Gesellschaft
3.1 Die abnehmende gesellschaftliche Bedeutung des Geschlechts
3.2 Geschlechtslosigkeit in der Kunst
3.3 Geschlechtslosigkeit in den sozialen Medien
3.4 Zusammenfassung

4 Genderless als Thema der Lifestyleindustrie
4.1 Autobranche – Individualität als Alleinstellungsmerkmal
4.2 Parfumbranche - Genderfree
4.3 Kosmetikbranche – Aufzeigen von kultureller Geschlechterkonstruktion
4.4 Zusammenfassung

5 Genderless als Thema der Mode
5.1 Genderless als Thema von High Fashion
5.2 „Unisex“ als Mode für die Massen
5.3 Zusammenfassung

6 Schluss

7 Ausblick

8 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: David Beckham, Gillette Werbekampagne, 2004 (Foto: Gillette, Quelle: http://i.telegraph.co.uk/multimedia/archive/00686/beckhamgillette1_686611n.jpg (Stand:18.12.2016))

Abbildung 2: Kühne Werbekampagne: „Gurken Madl und Gurken Bub“, 2014 (Foto: Carl Kühne AG, Quelle: http://www.zukunftsinstitut.de/fileadmin/user_upload/Trend_Update/Gendernomics/02_10 015168_696684703759109_5151455181466328834_n.png (Stand:18.12.2016))

Abbildung 3: Lalla K. R., Fotostrecke „Gender Studies“, 2011 (Foto: Bettina Rheims,

Quelle: Rheims, B. (2014): Gender Studies, Göttingen., S. 48)

Abbildung 4: Kael T. B. I. , Fotostrecke „Gender Studies“, 2011 (Foto: Bettina Rheims,

Quelle: Rheims, B. (2014): Gender Studies, Göttingen., S. 52)

Abbildung 5: „Watch That Man III“, David Bowie, 1973 (Foto: Masayoshi Sukita,

Quelle: Prange, O. (2016): David Bowie: 1947-2016, Zürich., S. 24)

Abbildung 6: Lady Gaga als „Cyborg“, Screenshot aus dem Lady Gaga Mu-sikvideo: „You and I“, 2011 (Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=X9YMU0WeBwU (Stand:18.12.2016))

Abbildung 7: Lady Gaga als „Jo Calderone“, Screenshot aus dem Lady Gaga Musikvideo: „You and I“, 2011 (Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=X9YMU0WeBwU (Stand:18.12.2016))

Abbildung 8: Initiative D21: „Anteil der Internetnutzer in Deutschland in den Jahren 2001 bis 2016“, 2016 (Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/13070/umfrage/entwicklung-derinternetnutzung-in-deutschland-seit-2001/ (Stand:18.12.2016))

Abbildung 9: Pey via Instagram, 2016

(Foto: Pey, Quelle: https://www.instagram.com/p/BBkpKe_JKVK/?taken-by=peey (Stand:18.12.2016))

Abbildung 10: Riccardo Simonetti, 2016 (Foto: Gene Glover, Quelle: http://fabulousricci.com/kolumne-von-angekratzten-egos-und-unangenehmen-partybekanntschaften/ (Stand:18.12.2016))

Abbildung 11: Stav Strashko, Screenshot aus dem Toyota Werbespot: „Toyota Auris“, 2012 (Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=yD94CV7kLHE

(Stand:18.12.2016))

Abbildung 12: Eliot Summer und Lucie van Alten, Mercedes-Benz Werbespot: „Burning Desire“, 2016 (Foto: Christian Larson, Quelle: https://www.mercedesbenz.com/de/mercedes-benz/lifestyle/fashion/burning-desire/ (Stand:18.12.2016))

Abbildung 13: Calvin Klein Werbekampagne: „ck2“, Puerto Rico, 2015 (Foto: Ryan McGinley, Quelle: https://s.yimg.com/uu/api/res/1.2/KxAkUuNwBbvXD929v5hXqg-/aD0xNjUwO3c9MTI3NTtzbT0xO2FwcGlkPXl0YWNoeW9u/http://media.zenfs.com/en_ US/News/US-AFPRelax/ck2_ad_85x11_i.2989f181627.original.jpg (Stand:18.12.2016))

Abbildung 14: Screenshot aus dem Shiseido Werbespot: „High School Girl?“, 2015 (Quelle: Yanagisawa, S. (2015): „High School Girl“, 2:27 Minuten, Werbeclip Shiseido, 2015, on-line unter: https://www.youtube.com/watch?v=5n3Db6pMQ-8 (Stand:18.12.2016))

Abbildung 15: Conchita Wurst und Jean Paul Gaultier, Jean Paul Gaultier Haute Couture Modenschau, Herbst / Winter, 2014 (Foto: Pascal le Segretain,

Quelle: http://www.gettyimages.de/fotos/conchita-wurst-jean-paulgaultiti-er?excludenudity=true&family=editorial&page=5&phrase=conchita%20wurst%20jean%2 0paul%20gaultier&sort=best#license (Stand:18.12.2016))

Abbildung 16: Madonna, Blond Ambition Tour, 1990 (Foto: Frans Schellekens, Quelle: http://media.gettyimages.com/photos/24th-july-singermadonna-performs-live-on-stage-at-feyenoord-stadium-picture-id113713611?k=6&m=113713611&s=594x594&w=0&h=_DXuCXTKOh84wCh_fAtiTo F1OKHI0XY8ced5gYfvCaY= (Stand:18.12.2016)).

Abbildung 17: Jean Paul Gaultier Modenschau: „Et Dieu Créa l’Homme“, Frühjahr / Sommer 1985 (Foto: Patrice Stable, Quelle: https://www.jeanpaulgaultier.com/wpmedia/uploads/2015/12/031.jpg (Stand:18.12.2016))

Abbildung 18: Gucci Herrenmodenschau, Herbst 2015 (Foto: Yannis Vlamos, Quelle: http://www.vogue.com/fashion-shows/fall-2015-menswear/gucci/slideshow/collection#1 (Stand:18.12.2016))

Abbildung 19: Gucci Herrenmodenschau, Herbst 2015 (Foto: Yannis Vlamos, Quelle: http://www.vogue.com/fashion-shows/fall-2015-menswear/gucci/slideshow/collection#4 (Stand:18.12.2016))

Abbildung 20: Gucci Werbekampagne, Herbst / Winter 2015 (Foto: Glen Luchford, Quelle: http://theimpression.com/wp-content/uploads/gucci-ad-advertisement-campaign-fall2015-the-impression-01.jpg (Stand:18.12.2016))

Abbildung 21: J. W. Anderson Herrenmodenschau, Herbst 2013 (Foto: Yannis Vlamos, Quelle: http://j-w-anderson.com/wp/wp-content/uploads/2014/06/JWA_MAW13_005640x960.jpg (Stand:18.12.2016))

Abbildung 22: Esprit x Opening Ceremony „Unisex-Werbekampagne“, Herbst 2016 (Foto: Charlotte Wales, Quelle: http://www.esprit.com/mobileresources/data/images/specials/opening-ceremony/Content_01.jpg (Stand:18.12.2016))

Abbildung 23: Esprit x Opening Ceremony „Unisex-Werbekampagne“, Herbst 2016 (Foto: Charlotte Wales, Quelle: http://www.esprit.com/mobileresources/data/images/specials/opening-ceremony/Content_05_hires.jpg (Stand:18.12.2016))

Abbildung 24: Niklas und Toni Garrn, Closed „Unisex-Werbekampagne“: „EQL“, Herbst / Winter 2016 (Foto: Closed, Quelle: https://www.closed.com/out/closed/src/media/gallery/eql/161006-gallery-eql-10.jpg (Stand:18.12.2016)).

Abbildung 25: Andrej Pejic, HEMA Werbekampagne: „mega push-up beha“, 2011 (Foto: Wendelien Daan, Quelle: https://fashionstraightup.files.wordpress.com/2011/12/hema-andrejpejic.jpg (Stand:18.12.2016))

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Seit einiger Zeit lässt sich eine Entwicklung in unserer Gesellschaft feststellen, die der Bedeutung des Geschlechts von Mann und Frau immer weniger Aufmerksamkeit schenkt und somit das Überbrücken der Geschlechtergrenzen und die Etablierung alternativer Lebenskonzepte in der Gemeinschaft zulässt.[1]

Schon im Jahr 2003 prognostizierte das Zukunftsinstitut folgende Umstände für 2015: „In einer androgynen Gesellschaft wird jeder einzelne Mensch mehr und mehr sein persönliches Potenzial leben können, ohne von den traditionellen Formen des Frau- bzw. Mannseins gefangen zu sein.“[2] Im Jahr 2015 angekommen sieht der Chefredakteur des Zukunftsinstituts Thomas Huber die vorangegangene Zukunftssicht wie folgt bestätigt: „Gesellschaftliche codierte Rollen lösen sich endgültig von einer historisch bedingten Verbindlichkeit.“[3] Darüber hinaus fügt er hinzu: „Das Geschlecht, in das man geboren wurde, wird ebenso zur Verfügungsmasse des Lebensdesigns wie das Alter, der Beruf und die Lebensweise.“[4] Diese gesellschaftliche Veränderung wirkt sich auf unterschiedlichste Bereiche aus, wie die Politik, das Marketing oder die Wirtschaft. Daran anlehnend unterliegen die Menschen selbst durch das Aufbrechen von festgelegten Normen immer weniger dem Determinismus der Gesellschaft und vielfältige Lebensmodelle etablieren sich.[5]

Das Zukunftsinstitut hat durch ihre Trendstudie zu dem Megatrend „Gender Shift“ aus dem Jahr 2015 einen wichtigen Ansatz zur Darstellung dieser gesellschaftlichen Entwicklung geschaffen. Trotz dieser Auseinandersetzung ergibt sich die Problemstellung, dass bisher unbeantwortet bleibt, welches modische Potenzial der Megatrend aufzeigt und ob sich dieser schon in der Modebranche etabliert hat oder dies in Zukunft noch tun wird. Auch wenn erste Untersuchungen bezüglich der Auswirkungen auf das Marketing unternommen wurden, stellt sich im Zusammenhang mit dem modischen Potenzial die Frage wie die Lifestyleindustrie in der Praxis auf den Wandel der Gesellschaft reagiert und ob sich dieser hier durchsetzt.

1.2 Zielsetzung

Vor dem Hintergrund dieser Problemstellung verfolgt die Arbeit daher das Ziel aufzuzeigen, in welcher Form eine Orientierung der Mode- und Lifestyleindustrie an dem zuvor genannten gesellschaftlichen Wandel stattfindet. Unter dem Trendtitel „Genderless“, der Geschlechtslosigkeit impliziert und sich speziell mit der Mode- und Lifestylebranche beschäftigt, findet somit eine detaillierte Analyse statt, um den Einfluss des Trends in diesen Gebieten zu untersuchen.

Darauf aufbauend sollen die folgenden Leitfragen in den einzelnen Kapiteln beantwortet werden: Welche Bereiche sind von dem Trend „Genderless“ betroffen und wie erfolgt dessen Umsetzung? Welche Auswirkungen hat die Trendentwicklung auf die Gesellschaft der Zukunft? Wie sieht die aktuelle gesellschaftliche Stellung von alternativen Lebensentwürfen aus, wie die von Transsexuellen oder Homosexuellen? Welche Rolle spielen zeitgenössische Vorreiter, Kunst und das Internet in Form von sozialen Medien für den Trend „Genderless“? In welcher Form spiegelt sich die zunehmende Geschlechtslosigkeit in den Produkten der Lifestyleindustrie und deren Vermarktung wieder? Warum setzen immer mehr Modehäuser auf geschlechtsübergreifende Mode und wie drückt sich dies in den Kollektionen und der Inszenierung dieser aus? Um die Beantwortung dieser Fragestellungen zu erreichen, werden als Grundlage in dem ersten Kapitel „Geschlechtslosigkeit als Thema der Modetheorie und Geschlechterforschung“ unterschiedliche Mode- und Geschlechtertheorien vorgestellt. Dabei fokussiert sich diese Ausarbeitung auf die Werke „Das Unbehagen der Geschlechter“ von Judith Butler, „Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen“ von Donna Haraway, „Angezogen: Das Geheimnis der Mode“ von Barbara Vinken, „Wenn Frauen Männerkleider tragen“ von Gertrud Lehnert und „Ist Mode queer?“ von Gertrud Lehnert und Maria Weilandt. In einem weiteren Schritt wird unter dem Kapitel „Der Megatrend „Gender Shift“ – ein Zeichen der postmodernen Gesellschaft“ die Gesellschaft mit Blick auf den hier behandelten Trend „Genderless“ analysiert. Dieser Bereich ist weiter untergliedert in die Themen „die abnehmende gesellschaftliche Bedeutung des Geschlechts“, „die Geschlechtslosigkeit in der Kunst“ und „die Geschlechtslosigkeit in den sozialen Medien“. Im darauffolgenden Kapitel „Genderless als Thema der Lifestyleindustrie“ findet eine Auseinandersetzung mit der Autobranche, der Parfumbranche und der Kosmetikbranche statt, die anhand verschiedener Beispiele untersucht werden.

Schließlich befasst sich diese Arbeit nach dem Hauptthema der Lifestyleindustrie mit dem zweiten Hauptthema der Modeindustrie unter dem Titel „Genderless als Thema der Mode“. Hierbei findet eine Untergliederung in das Segment der „High Fashion“ und der „Unisex-Mode“ statt. Anhand dieser werden einerseits die Mode und Inszenierung der Designer Jean Paul Gaultier, Alessandro Michele und J.W. Anderson und andererseits der Modemarken Esprit in Kooperation mit Opening Ceremony, Closed und dem Kaufhaus HEMA analysiert. Zudem werden die unterschiedlichen Kapitel jeweils mit einer kurzen Zusammenfassung abgeschlossen, um dem Leser einen Überblick über die Kernaussagen des Textes zu schaffen. Im Schlusskapitel werden die wichtigsten Ergebnisse der gesamten Arbeit aufgeführt und ein Rückschluss auf die in der Einleitung gestellten Fragen genommen. Im anschließenden Ausblick wird eine Zukunftsprognose aufgestellt, die den „Trend Genderless“ und dessen Auswirkungen porträtiert.

2 Geschlechtslosigkeit als Thema der Modetheorie und Geschlechterforschung

In diesem Teil der Arbeit werden zunächst unterschiedliche Theorien bezüglich der Mode und des Geschlechts untersucht, die als Forschungsgrundlage der Analyse des Trendthemas „Genderless“ dienen und auf die auch im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung in den verschiedenen Kapiteln zum Trend Rückschluss genommen werden soll.

2.1 Das Unbehagen der Geschlechter - Judith Butler

Im Jahr 1991 hat die Schriftstellerin und Geschlechtsforscherin Judith Butler innerhalb der Gender Studies ihr Werk „Gender Trouble“, im Deutschen „Das Unbehagen der Geschlechter“, veröffentlicht und damit für viel Aufruhr in der damaligen Gesellschaft gesorgt. Der Fokus in ihrer Publikation liegt auf dem Thema Geschlecht, weshalb besonders das erste Kapitel ihres Buches „Die Subjekte von Geschlecht/ Geschlechtsidentität/ Begehren“ in dieser Arbeit eine wichtige Rolle spielt. In diesem Kontext liefert sie neue Denkanstöße und stellt bisherige Annahmen und Theorien in Frage. Zunächst geht sie darauf ein, dass zwischen dem anatomischen Geschlecht „sex“[6] und der Geschlechtsidentität „gender“[7] unterschieden wird und beide Faktoren unabhängige Komponenten darstellen. Darüber hinaus erläutert sie, dass die Geschlechtsidentität nicht durch das Geschlecht bestimmt ist und aus ihr resultiert, da sie kulturell konstruiert ist und dadurch das Geschlecht mittels der Geschlechtsidentität vielseitig interpretiert werden kann.[8]

Des Weiteren wird innerhalb Butlers Theorie die Binarität der Geschlechter thematisiert, die ausschließlich von der Zweigeschlechtlichkeit in der Gesellschaft ausgeht und sich auf den Mann und die Frau mit dem jeweiligen männlichen und weiblichen Geschlecht beschränkt. Jedoch lehnt Butler diese Annahme ab und geht zudem davon aus, dass ein Individuum zu Mann oder Frau werden kann - unabhängig vom ausgehenden Geschlecht. Auch die Begrenzung auf exakt zwei mögliche Geschlechtsidentitäten sieht sie kritisch.

Ein weibliches oder männliches, anatomisches Geschlecht setzt somit nicht die Geschlechtsidentität einer Frau oder eines Mannes voraus.[9]

Die Autoren Candace West und Don H. Zimmermann schließen sich dieser Annahme in ihrem Aufsatz „Doing Gender“ an und stützen die These, dass die Geschlechtsidentität nicht an das natürliche Geschlecht gebunden ist, sondern tagtäglich durch die performative Handlung des Menschen produziert und ausgedrückt wird.[10]

Die Grundlage für Butlers Behauptungen bildet die Sprache in Form von wissenschaftlichem Diskurs, die laut der Autorin unsere Vorstellungen des Geschlechts produziert unter Einfluss von Politik und Gesellschaft und sich dabei performativ ausdrückt. Darüber hinaus stellt sie die Unterscheidung von dem anatomischen Geschlecht und der Geschlechtsidentität in Frage und stellt die These auf, dass das Geschlecht genauso wie die Geschlechtsidentität kulturell konstruiert sein könnte und infolgedessen dieser gleichen würde und keine Differenz zwischen den beiden Komponenten bestehe. Wenn Geschlecht und Geschlechtsidentität sozial konstruiert sind, diene die Geschlechtsidentität nicht ausschließlich der kulturellen Zuschreibung an ein vorbestimmtes anatomisches Geschlecht. Denn diese hat die Funktion eines Produktionsapparats, durch den die Geschlechter selbst konstruiert werden. Zudem verfügt sie über diskursive und kulturelle Mittel durch die das natürliche Geschlecht gebildet wird, was vordiskursiv, also vor der Entstehung der jeweiligen Kultur passiert. Butler sagt zudem aus, dass die zwei Geschlechter in ein vordiskursives Feld verlagert werden müssen, wenn ein Erhalt der Binarität der Geschlechter gewährleistet werden soll. Das Erstellen des Geschlechts findet somit vordiskursiv statt durch die Geschlechtsidentität, die Butler als „kulturellen Konstruktionsapparat“[11] betitelt.[12]

Darauf aufbauend hinterfragt die amerikanische Schriftstellerin Butler, inwiefern der Prozess der kulturellen Konstruktion der Geschlechtsidentität aus dem anatomischen Geschlecht heraus stattfindet. Die Annahme einer konstruierten Geschlechtsidentität ist laut Butler determiniert durch die Bedeutungen der Geschlechtsidentität, hinsichtlich der unterschiedlich anatomischen Körper. Diese agieren als passive Empfänger unter Einfluss eines festen kulturellen Gesetzes. Des Weiteren lässt sich hier die Schriftstellerin Simone de Beauvoir hinzuziehen, die in ihrem Werk „Das andere Geschlecht“ durch das Zitat „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“[13] Butlers These der konstruierten Geschlechtsidentität unterstützt. Das Individuum entscheidet somit laut ihrer Aussage selbst über die eigene Geschlechtsidentität und kann diese frei wählen.[14]

Beauvoir erläutert ihre These, indem sie verdeutlicht, dass der Prozess zur Frau oder zum Mann unter den Zwängen der Gesellschaft passiert, aber nicht abhängig vom natürlichen Geschlecht des Menschen ist. Der Körper des Menschen ist nach ihrer Auffassung eine Situation und somit unter kulturellem Einfluss erschaffen. Butler kommt unter Einbezug von Beauvoirs Ansichten zu dem Entschluss, dass das natürliche Geschlecht nicht vordiskursiv sein kann und setzt Geschlecht mit Geschlechtsidentität gleich.[15]

Unser Körper stellt eine Konstruktion dar und funktioniert als ein passives Instrument, in dem er kulturelle Bedeutungen annimmt und erst dadurch seine Existenz ausbildet.[16] Die Geschlechtsidentität entsteht dabei performativ mittels Sprache und Aktion und produziert die Identität des Individuums.[17]

2.2 Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen - Donna Haraway

Die Schriftstellerin Donna Haraway hat im Jahr 1995 ihr Werk „Die Neuerfindung der Natur – Primaten, Cyborgs und Frauen“ veröffentlicht. Der Grund für den Bezug auf Haraways Theorie in dieser Bachelorarbeit sind die von Haraway aufgefassten „Cyborgs“, die „kybernetische Organismen“[18] darstellen. Es handelt sich um die Kreuzung von Maschine und Organismus, die teils der realen Gesellschaft und teils der Fiktion entsprechen.[19]

Das heutige Bild und die situative Lage unserer Gesellschaft und Körper wird laut Haraway anhand der fiktiven „Cyborgs“ versinnlicht.[20] Der in dieser Arbeit angesprochene Titel „Genderless“ findet in Form der „Cyborgs“ Anklang, die in einer „Post-Gender-Welt“[21] leben, in der die Stellung des Geschlechts zweitrangig ist. Schlagwörter wie „Patrialität, Ironie, Intimität und Perversität“[22] charakterisieren das Geschöpf der „Cyborg“, die zudem für die Opposition, die Unschuld steht. Darüber hinaus vermischen sich anhand dieser Gestalt die Grenzen zwischen Mensch und Tier.[23] Somit werden Natur und Kultur dekonstruiert und neu gestaltet im Sinne der Epoche der Postmoderne.[24] Wie schon zuvor erwähnt, sind auch die Maschine und die damit verbundene Technologie wichtige Bestandteile der von Haraway ins Leben gerufenen „Cyborg“. Der technologische Einfluss zeigt sich im Vernetzen der „Cyborg“ mit „Dingen, Gegenständen, Maschinen, Personen und einer globalisierten Umwelt“.[25] Der innovative Charakter der „Cyborg“ wird zudem dadurch hervorgehoben, dass sie unvollkommen ist und die unterschiedlichen Komponenten „Geist und Körper, Tier und Mensch, Natur und Kultur, Männer und Frauen, primitiv und zivilisiert“[26] vermischt und neu interpretiert. Darüber hinaus stellt Haraway einen Bezug zu den 1980er Jahren her, die durch essenzielle Veränderungen in der Gesellschaft, Wirtschaft und Technologie geprägt waren. Die damalige Industriegesellschaft hat sich zu einer Informationsgesellschaft entwickelt. Hier werden das Vernetzen und die Kommunikation in der Gesellschaft, der Arbeitswelt und der Politik aufgefasst, die durch neue Technologien ermöglicht werden. Dadurch entsteht laut Haraway ein Netzwerk, das durch die „Cyborgs“ gestaltet wird.[27]

2.3 Angezogen: Das Geheimnis der Mode - Barbara Vinken

Auch die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken hat sich in ihrem im Jahr 2014 veröffentlichten Werk „Angezogen: Das Geheimnis der Mode“ mit den Auswirkungen der Geschlechterrollen von Mann und Frau in der Mode auseinandergesetzt. Dabei thematisiert sie, dass sich die Bekleidung von Männern und Frauen schon seit Jahren immer mehr angeglichen hat und nicht mehr eine klare Trennung der Geschlechter bewirkt. Zusätzlich legen nicht nur Frauen, sondern auch die Männer von heute zunehmend mehr Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild als in der Vergangenheit. Des Weiteren stützt sie ihre These durch eine neue Form der geschlechtslosen Models, die der Gesellschaft die neuen Trends der Modewelt präsentieren. Hierzu nennt sie einige Beispiele, wie das transsexuelle Model Andreja Pejic, das vor seiner geschlechtsangleichenden Operation zur Frau noch Andrej Pejic hieß und mit einem anatomisch männlichen Geschlecht durch sein androgynes Äußeres weibliche als auch männliche Bekleidung in der Werbung als auch auf dem Laufsteg präsentierte.[28]

Obwohl hier ein Vermischen der Vorstellungen von Mann und Frau deutlich wird, möchte die Autorin des Buches deutlich machen, dass die Einteilung in das Geschlecht Mann oder Frau nicht durch die vorherrschende Entwicklung und neuen Einflüsse in der Mode aufgehoben wird. Gerade durch das Aufheben traditioneller, stereotypischer Ansichten und das Kombinieren von männlichen und weiblichen Geschlechtsvorstellungen durch beispielsweise Vorreiter wie Andreja Pejic entsteht nach Vinken eine starke erotisierende Wirkung. Sie widerlegt zudem die Annahme, dass wir Menschen durch eine geschlechtsneutrale Mode zu Transsexuellen würden, indem sie aussagt, dass bei dieser Form von Mode und Darstellung das Prinzip des „Doing Gender“[29], wie nach West und Zimmermann, eine wichtige Rolle spielt, das nicht das anatomische Geschlecht repräsentiert, sondern in künstlicher Art und Weise in Erscheinung tritt, indem - wie schon zuvor genannt - die gegensätzlichen Stereotype Mann und Frau aufeinanderprallen. Infolgedessen kritisiert sie den „Unisex-Trend“ in der Bekleidungsbranche, der Geschlechtsneutralität fokussiert und die Geschlechterbinarität in den Hintergrund stellt. Ihr Hauptaugenmerk liegt in der Herangehensweise des „Unisex“, der für die Frau mehr Möglichkeiten eröffnet, da sie sich an der Kleidung der männlichen Garderobe, wie Hemden, Pullovern und T-Shirts bedienen kann, was dem Mann im Gegenzug nicht gestattet wird. Der Mann in Kleidern der Frau wird gesellschaftlich nicht akzeptiert und belächelt, daher ist laut Vinken der „Unisex-Trend“ nur seitens der Frau möglich.[30]

Die Autorinnen Gertrud Lehnert, Alicia Kühl und Katja Weise schließen sich der Ansicht an, dass „Unisex-Mode“ für Frauen und auch Männer eine Illusion sei, da Männer, die weiblich codierte Bekleidung tragen, in der Realität oft gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind.[31]

Des Weiteren bezieht Vinken sich auf typische Merkmale weiblicher und männlicher Mode in der Moderne, die sich grundlegend unterscheiden, da Frauen ihr Geschlecht durch das Zusammenspiel von Haut und Stoffen inszenieren, indem sie ihren Körper und ihre Figur betonen und erotisierend zur Schau stellen. In der größtenteils schlichten, männlichen Mode erfährt dies jedoch kaum Beachtung. Die Grenzen zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit werden in der Mode somit klar deutlich, dennoch erkennt Vinken zudem den angestrebten Trend des „Unisex“, der sich nach ihrer Ansicht nur in der Frauenmode äußert, indem weibliche Merkmale reduziert werden und Einflüsse aus der Männermode übernommen werden.[32] Dieser Prozess stellt jedoch besonders in der Epoche der Moderne nicht die Erotik der Frau in den Hintergrund, obwohl Kleidungstücke, wie der Smoking kombiniert mit dem Hemd in Form der Bluse in der Frauenmode, die Weiblichkeit zu minimieren scheinen. Vinken sieht die erotische Wirkung gerade in der Übertragung des Männlichen in das Weibliche, wodurch neue sinnliche Körperzonen, wie die nackten Beine oder auch die versteckten Brüste, unter der leicht durchsichtigen Bluse unter dem Smoking beispielsweise bei Yves Saint Laurent die Aufmerksamkeit des Betrachters erlangen.[33]

Somit konnte sich der „Unisex-Trend“ nach Vinken nicht durchsetzen, da die Übernahme der männlichen Garderobe in die Frauenmode die Erotik der Frau fördert und die Geschlechterdifferenz hervorhebt.[34] Die Frau, die sich viel mit Themen wie Schönheit und ihrem Äußeren auseinandersetzt, entspricht der Norm und dem antizipierten Bild der Gesellschaft. Außerdem stehen im Rahmen der Frauenmode das Begehren und die Erotik im Vordergrund. Dies zeigt sich in Bekleidung, die viel Haut und die Betonung der Figur hervorhebt. Der Mann wiederum, der viel Zeit in das Aussehen der eigenen Person investiert und eng anliegende Kleidung bevorzugt, wird oft als weiblich oder homosexuell kategorisiert. Vinken sieht dieses Phänomen ebenfalls als Aspekt des „Doing Gender“[35], was sich verstärkt durch die Kleidung ausdrückt, welches das Individuum trägt.[36] Jedoch erläutert Vinken, dass auch die Männermode sich in den letzten Jahren verändert hat und sich ebenfalls teilweise an der Frauengarderobe bedient. Dabei nennt sie die von dem Designer Hedi Slimane hervorgerufenen „ Dior Boys“[37], die anhand eng anliegender Anzüge ein neues, androgynes Bild des Mannes verkörpern.[38]

2.4 „Wenn Frauen Männerkleider tragen“ - Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte - Gertrud Lehnert

Im Jahr 1997 hat die Autorin Getrud Lehnert das Buch „Wenn Frauen Männerkleider tragen – Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte“ publiziert. Direkt zum Einstieg ihres Werkes bezieht sie sich auf einen Deodorant-Werbespot des Drogerieherstellers Axe, in dem eine Frau das Deodorant ihre Partners benutzt, das durch den Slogan „Axestrictly for men“[39] laut Axe aber nur den Mann adressiert.[40] Daraufhin erfährt sie aufgrund ihres Duftes sehr auffallende Reaktionen von weiblichen Passantinnen in der Stadt, die sich von ihr angezogen fühlen. Lehnert beschreibt dieses Beispiel als Besonderheit, da hier entgegen der sonst üblichen bildlichen Darstellung von Geschlechterwechsel der Fokus auf die Reaktion der Menschen im Film gelegt wird, auf die der Beobachter aufmerksam werden soll.[41]

Zudem sagt die Autorin aus, dass die Voraussetzung für solch eine Art von Werbespot kulturelle Gegebenheiten innerhalb der Gesellschaft sein müssen, die sich mit Themen, wie Transvestismus, Geschlechtsidentität oder Sexualität, auseinandersetzen. Darüber hinaus erklärt Lehnert, dass die Binärität der Geschlechter und die Differenz zwischen Mann und Frau, als auch die Sexualität eine große Rolle spielen müssen, damit dieser Geschlechtertausch viel Aufmerksamkeit bei den Zuschauern bewirkt. In Anbetracht des Geschlechtswechsels zieht sie als Beispiel die Schriftstellerin George Sand hinzu, die im 19. Jahrhundert ebenfalls für viel Aufruhr in der damaligen Gesellschaft sorgte, da sie durch das Tragen von Männerkleidung als äußerst provokant galt. Im Vergleich zu damals haben sich die Einflüsse männlicher Kleidung in den heutigen Damenkollektionen etabliert und erzeugen kein Gefühl mehr der Verkleidung oder Provokation. Darüber hinaus geht Lehnert auf den Begriff der Verkleidung ein und macht zunächst deutlich, dass in jedem Umfeld, in dem sich das jeweilige Individuum befindet, die Kultur das Bild der Geschlechter und der sozialen Gruppen prägt und ihnen Erkennungsmerkmale zuweist. So können sich Geschlechter beispielsweise durch Kleidung, Frisur, Düfte oder Körpersprache voneinander abgrenzen und dadurch wird ihr Geschlecht wie auch nach der Theorie von Judith Butler sozial konstruiert.[42]

Im weiteren Verlauf des Buches greift sie den schon zuvor erwähnten Werbespot von Axe wieder auf. Gertrud Lehnert erläutert dem Leser, dass die thematisierte homosexuelle Anziehungskraft als unnatürlich empfunden wird und dadurch wird vermittelt, dass Heterosexualität der Norm in der Gesellschaft entspricht.[43]

Die Geschlechterbinärität, bestehend aus Mann und Frau, findet laut Lehnert jedoch Freiraum in Form von Mode, die Grenzen überschreitet und weibliche und männliche Komponenten miteinander kombiniert. Hierbei tritt die Verkleidung durch Mode in den Vordergrund, die ein Spiel mit den sexuellen und sozialen Identitäten zulässt.[44]

Daran anlehnend stimmt Lehnert der Annahme der Geschlechterforscherin Judith Butler zu, dass das männliche und weibliche Geschlecht konstruiert seien und betont dabei die

Mode, die als Treiber und Produzent des Geschlechterunterschieds durch abgrenzende Codes und Zeichen agiert.[45] Die Vorstellungen von Mann und Frau sind somit künstlich hervorgerufen und sind zudem nicht fest geschrieben, da sie speziell in der Mode stets variieren und geschlechtsspezifische Symbole neu gedeutet werden.[46] Die Konstruktion des Geschlechts erklärt Lehnert zusätzlich anhand der „Maskerade“, die sich durch das bewusste Darstellen einer bestimmten Geschlechtsidentität definiert und auch das Vermischen und Überschreiten der fest gelegten Geschlechter zulässt. Dem Individuum steht es innerhalb der Verkleidung frei, sich nach Belieben auszudrücken. Wenn es sich beispielsweise mit dem Bild der Frau identifiziert, aber anatomisch ein Mann ist, verhilft die „Maskerade“ zur Umsetzung des individuellen Selbst.[47]

2.5 Ist Mode queer? - Gertrud Lehnert, Maria Weilandt

Die beiden Modetheoretikerinnen Gertrud Lehnert und Maria Weilandt haben im Oktober 2016 ihr neues Werk „Ist Mode queer?“ herausgegeben. Das Buch umfasst mehrere Beiträge verschiedener Autorinnen, die sich mit dem Thema „queer“ auseinandersetzen. Bevor sich die Autorinnen der Beantwortung der Frage „Ist Mode queer?“ widmen, definiert Gertrud Lehnert die Mode selbst als Teil des „klassischen wie des neoliberalen Kapitalismus“[48]. Des Weiteren findet die Realisierung der Mode in der stetigen Verbreitung neuartiger Konsumgüter statt, die bei den Konsumenten Empfindungen der Begierde als auch der Ablehnung hervorrufen. Das Geschlecht spielt hier eine entscheidende Rolle und wirkt sich auf jede Form der Mode, egal ob im Hochpreis- oder Niedrigpreissegment aus. Daraus schließt die Autorin, dass der Begriff „Queerness“ hier eindeutig ausgegrenzt wird. Dennoch ist „queere“ Mode möglich, wenn Mode als Dynamik des Wandels angesehen wird.[49]

Die Ursprünge der „Queer Theory“ sind in den USA zu verorten. Im Jahr 1990 hat sich die „Queer Theory“ im Rahmen eines akademischen Konzeptes auf Grundlage der „Lesbian and Gay Studies“ herausgebildet. Die Bezeichnung „Queer“ fokussiert sich auf die „LSBTTIQ-Gemeinschaft“[50], die für „lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender intersexuell und queer“[51] steht. Die Heteronormativität, die sich auf Mann und Frau beschränkt, wird abgelehnt, da hier individuelle Identitäten und Lebensstile im Vordergrund stehen. „Querness“ legt sich nicht fest und eröffnet somit vielfältige Möglichkeiten.[52] Laut der Autorin Engel befasst sich die „Queer Theory“ mit der Existenz von Geschlecht, Körper und Sexualität, unabhängig von dem Konzept der Zweigeschlechtlichkeit.[53] Die ständige dynamische Weiterentwicklung dieser Faktoren ermöglicht Beständigkeit und das Potenzial der „Querness“ in der Mode anhand von Praktiken. Um das „Queere“ in der Modewelt durchzusetzen, müssen alte Geschlechterkonzepte überdacht und neu formuliert werden. Die Modeindustrie besteht grundsätzlich aus Damen- und Herrenkollektionen, die neben den unterschiedlichen Körperformen, durch den Vertrieb und durch weit verbreitete, kulturelle Vorstellungen von der Geschlechterteilung hervorgerufen werden. Dennoch findet eine Kombination beider Extreme statt, was besonders in den Kollektionen im „High Fashion“ Gebiet zum Ausdruck kommt. Diese Kleidungsstücke werden jedoch oft stark inszeniert und beabsichtigen Provokation, um den zuständigen Marken Aufmerksamkeit zu bescheren. Diese Mode ist jedoch oft kaum kommerziell. Im Markt der Massenmodeanbieter wird dahingegen weniger mit geschlechtsspezifischen Zeichen experimentiert. Eine Variante stellt die „Unisex-Mode“ dar, die sich laut Lehnert seit einiger Zeit wieder im Modemarkt bemerkbar macht.[54] Sie erwähnt zudem, dass unsere Körper und Kleidung durch sich stets verändernde Zeichen neu erotisiert werden, dabei werden aber die zwei Ideale von Mann und Frau konsequent aufrechterhalten. „Querness“ scheint durch seine Andersartigkeit aus dem bekannten Schema der Gesellschaftsstruktur zu fallen, wird jedoch gleichzeitig in der Kultur integriert, um ihre Beständigkeit zu gewährleisten. Im Zuge dieser Feststellung sieht Lehnert „Querness“ als „Dynamik innerhalb eines Kontinuums“[55] anstatt in Gegensätzen und in Ausgrenzung.[56]

Die Autorin Rosi Braidotti schließt sich in ihrem Buch „Posthumanismus“ dieser Annahme an und thematisiert eine posthumane Lebenswelt mit der Funktion eines „Natur-KulturKontinuums“[57], das die gegenwärtige gesellschaftliche Situation hinterfragt und sozial konstruierte Differenzen ausschließt.[58] Natur und Kultur stellen keine Gegensätze dar, sondern vermischen durch fortschreitende Wissenschaft und Technik.[59] Diesem Ansatz folgt Lehnert in „Ist Mode queer?“ und sieht unsere aktuelle gesellschaftliche Situation als kritisch an, da Kultur und Natur sich widersprechen und das „Andere“, ebenfalls natürliche, wie „Queerness“ und Homosexualität ausgrenzt. Ein Kontinuum ist somit eine mögliche Lösung, um Grenzen und Gegensätze zwischen Geschlechtern und Identitäten zu überbrücken. Die Umsetzung in der Praxis und im diskursiven Rahmen soll dabei unter dynamischen und aufgeschlossen Bedingungen passieren.[60] So lässt sich auch ein Bezug zu Haraways ins Leben gerufenen „Cyborgs“ herstellen. Die „Cyborgs“ sind „kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie Fiktion“[61] und stellen daher auch ein Kontinuum dar. Künstlich gesetzte Grenzen zwischen Mann und Frau oder Natur und Kultur werden aufgebrochen.[62] Innerhalb des Werks „Ist Mode queer?“ widmet sich die Autorin Weilandt den regelmäßig stattfindenden Modenschauen der Modehäuser, die performativ die produzierte Kleidung vorführen. Die zweimal im Jahr stattfindenden Präsentationen sollen ein bestimmtes Lebensgefühl hervorbringen. Die Modepose des Models intendiert hierbei die Projizierung eines speziellen Images auf die jeweilige Marke. Während dieser performativen Vorstellungen wird die Bekleidung nach Weilandt erst zur Mode.[63] Auch Lehnert stützt diese These in ihrem im Jahr 2013 veröffentlichten Buch „Mode, Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis“. Sie sagt, dass sich Mode nicht nur durch Kleidungsstücke und dazugehörige Accessoires zusammensetzt, sondern hauptsächlich durch die Inszenierung der Träger in Kombination mit dem Design der Bekleidung, aber auch im Diskurs und im aktiven Handeln entsteht. Die neuen Moden werden einem vielfältigen Publikum aus Einkäufern, Journalisten und Experten der Branche präsentiert. Dadurch werden die neuen Trends publiziert und erhalten mehr Bekanntheit.[64] Des Weiteren werden in diesem Buch „queere“ Beispiele aus der Mode, Musik und Kunst genannt, mit denen sich diese Arbeit in einem späteren Teil auseinandersetzen wird. Der Autor Friedrich Weltzien behandelt innerhalb der Publikation „Ist Mode queer?“ die „Queer Theory“ im Hinblick auf den „Posthumanismus“. „Queerness“ beinhaltet laut Weltzien das Streben nach Selbstbestimmtheit des Individuums. Dabei hängen seinen Annahmen stark mit den vorher genannten Theorien von Rosi Braidotti und Donna Haraway zusammen.[65]

Kleidung hat nach seiner Ansicht die Funktion sich auszudrücken, zu kommunizieren und festgelegte Machtverhältnisse hervorzubringen. Des Weiteren werden durch Bekleidung Geschlecht, Identität und Begierde verdeutlicht und spiegeln die Persönlichkeit der bekleideten Person wieder und verschmelzen dabei miteinander.[66] Durch den performativen Charakter der Mode findet die Produktion des „Ichs“ statt und im Kontext des Posthumanismus bildet sich die Identität aus dem Zusammenschluss von Biologie des Menschen und Mode heraus. Diese Mixtur aus Kleidung und Mensch symbolisiert nach Weltzien die Vorstellung von „Cyborgs“.[67] Die Autorin Jana Scholz hat sich wie Weltzien ebenfalls zur Fragestellung „Ist Mode queer?“ geäußert. Dabei schreibt sie über eine „Diskontinuität“ zwischen dem anatomischen Geschlecht, der Geschlechtsidentität, Sexualität und Begierde. Diese Faktoren bedingen sich nach ihrer Auffassung nicht zwingend, sondern können unabhängig voneinander existieren. Somit bejaht sie die Hybridität der Geschlechter, welche besonders in der Mode und der Kunst Ausdruck findet. Die Autoren Leroy und Bullough schließen sich in ihrem Buch „Cross Dressing, Sex and Gender“ mit dem Wort „Gender-Bending“ den Feststellungen von Jana Scholz an. In dem folgenden Zitat erklären sie die Intention hinter „Gender-Bending“: „Gender-bending emphasizes not so much traditional kinds of cross dressing but a confusion of costume whereby the illusion of assuming the opposite sex is not intended to convince the viewer of authenticity but to suggest ambiguity. Since it also involves women as well as men, the viewer could not be certain whether the person was a man or woman.“[68] Es entspricht daher nicht dem klassischen Verständnis von „cross dressing“, das eine Verbindung zum gegensätzlichen Geschlecht zulässt. Der zentrale Aspekt ist die Betonung von Mehrdeutigkeit oder auch Hybridität, die außerdem Verunsicherung bei dem Betrachter verursacht, da eine Unterscheidung zwischen Mann und Frau kaum möglich ist.[69]

2.6 Zusammenfassung

Nach der ausführlichen Untersuchung der Geschlechts- und Modetheorien in Anbetracht des Trends „Genderless“ konnten wichtige Kernaussagen der einzelnen Theorien ermittelt werden. So spielt Butlers Annahme der konstruierten Geschlechtsidentität eine wichtige Rolle für die folgende Bearbeitung. Zu der Möglichkeit Geschlechtsidentität vielseitig interpretieren zu können, schließen sich die „Cyborgs“ von Donna Haraway an, die in einer „Post-Gender-Welt“ leben und sich durch eine Hybridität auszeichnen. Laut Vinken stellt zudem die „Unisex-Mode“ eine Utopie dar, was Anlass gibt, in dem modefokussierten Kapitel „Genderless als Thema der Mode“ darauf Bezug zu nehmen. Das Prinzip des „Doing Gender“ nach West und Zimmermann, wodurch sich Geschlecht performativ erzeugen lässt, verknüpft Vinkens Ideen mit denen von Gertrud Lehnert in „Wenn Frauen Männerkleider tragen“, da diese die „Maskerade“ thematisiert, die ein Spiel mit den Geschlechtsidentitäten, besonders durch Mode, zulässt. Der Höhepunkt der Infragestellung des Geschlechts findet sich in Weilandts und Lehnerts Theorie wieder, da „queere“ Mode, definiert durch Kontinuität und Hybridität, durch performatives Handeln mit geschlechtsspezifischen Zeichen experimentiert und keine eindeutige Zuordnung der Geschlechter zulässt.

3 Der Megatrend „Gender Shift“ – ein Zeichen der postmodernen Gesellschaft

In diesem Teil der vorliegenden Ausführung liegt der Schwerpunkt auf dem gesellschaftlichen Aspekt, bei dem zunächst historische Entwicklungen bis hin zur aktuellen Epoche der Postmoderne beleuchtet werden. Eine weitere Vertiefung findet anhand des Megatrends „Gender Shift“ statt, aus dem sich der Trend „Genderless“ ableitet. Letztlich werden auch die gesellschaftlichen Felder der Kunst und sozialen Medien mit dem Augenmerk der Geschlechtslosigkeit analysiert.

3.1 Die abnehmende gesellschaftliche Bedeutung des Geschlechts

3.1.1 Rechtliche und gesellschaftliche Entwicklungen

Damit die Etablierung des „Genderless-Trends“ in unserer heutigen Gesellschaft möglich ist, mussten besonders Frauen und Homosexuelle in der Vergangenheit für eine gleichberechtigte Position in der Gesellschaft kämpfen. Im Jahr 1949 wurde zwar im Grundgesetz die Gleichberechtigung von Mann und Frau festgelegt, dies hatte jedoch wenig mit der Realität zu tun, was sich zum Beispiel in dem veralteten Ehemodell und ungleichen Arbeitsbedingungen zeigte, was die Frauen dazu veranlasste, besonders in der zweiten Frauenbewegung zum Schluss der 60er Jahre für gleiche Chancen und Rechte zu kämpfen.[70] Die Frauen schlossen sich zusammen, bildeten feministische Gemeinschaften und Verbände und gingen demonstrativ in der Öffentlichkeit gegen ihre Unterdrückung und gesetzliche Vorschriften, wie den Paragraph 218, vor, der die Abtreibung des Kindes mit Gefängnis bis hin zur Todesstrafe sanktionierte.[71] Im Jahr 1974 wurde die Strafe erstmals abgeschafft und durch eine noch umstrittene Fristenregelung der Abtreibung innerhalb der ersten 12 Wochen der Schwangerschaft ersetzt.[72] Erst 1995 setzte sich diese Regelung fest durch unter der Bedingung dies mittels einer ärztlichen Behandlung durchzuführen. Auch gesetzliche Änderungen im Ehe- und Familienrecht in 1976 und die gesetzliche Gleichberechtigung im Arbeitsleben im Jahr 1980 revolutionierten die Stellung der Frau im Gesellschaftssystem.[73]

Wie die Frau musste sich der homosexuelle Mann seine gesellschaftliche Akzeptanz erkämpfen, was sich in einer Homosexuellenbewegung deutlich machte. Hier wurde besonders der Paragraph 175 angefochten, der schon seit 1872 homosexuelle Handlungen mit dem Gefängnis bestrafte und zur Zeit des Nationalsozialismus tausende Tode bewirkte. 1968 gingen die homosexuellen Männer und Frauen ebenfalls öffentlich gegen ihre Diskriminierung durch den Staat vor und forderten unter Anderem eine Abschaffung des Paragraphen 175, der 1957 in der „Deutschen Demokratischen Republik“ schon liberalisiert wurde, aber erst im Jahr 1969 in der „Bundesrepublik Deutschland" und letztlich 1994 aus dem Strafgesetzbuch entfernt wurde. Im Jahr 2001 zeigte sich ein weiterer Fortschritt durch die „eingetragene Lebenspartnerschaft“[74] für homosexuelle Paare in Deutschland. Dennoch ist bis heute im Gegensatz zu vielen anderen Ländern und der USA die gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland nicht erlaubt.[75]

Der Trend „Genderless“ spricht jedoch nicht nur heterosexuelle und homosexuelle Menschen an, sondern alle Lebensmodelle, wie auch Individuen, die „transsexuell“ oder „transgender“ sind oder aber sich für kein Geschlecht entscheiden möchten und selbstbestimmt ihren persönlich präferierten Lebensstil ausleben möchten. Doch diese Freiheit musste sich ebenso über Jahrzehnte etablieren. Im deutschen Staat wurde erstmals das „Transsexuellengesetz (TSG)“ am 01.01.1981 erlassen, durch das für Betroffene eine Änderung des Vornamens und des Personenstands möglich ist. Darin ist festgelegt, dass ein Mensch, der sich in dem eigenen Geschlecht unwohl fühlt und sich eher mit dem Gegenstück identifizieren kann, diese Ansicht drei Jahre stringent vertreten haben muss, um die Möglichkeit zu erhalten, einen neuen Namen anzunehmen. Um auch durch die Justiz als Persönlichkeit des anderen Geschlechts eingetragen zu werden, ist eine Geschlechtsumwandlung notwendig mit dem Zusatz, dass eine Fortpflanzung durch das alte Geschlecht unmöglich ist.[76] Durch diese Voraussetzungen ist es der jeweiligen Person also nicht gestattet nur durch die innere Überzeugung gesetzlich als das andere Geschlecht anerkannt zu werden. Operative Maßnahmen sind zwanghaft notwendig, um neben der psychischen Einstellung auch physisch der Anatomie einer Frau oder eines Mannes zu entsprechen.

Nach der Einordnung der ICD-10, „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“ der Weltgesundheitsorganisation „WHO“ (World Health Organization) lässt sich Transsexualität innerhalb des Bereichs „F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“[77] unter der Sparte „F64 Störungen der Geschlechtsidentität“[78] kategorisieren. In allgemeiner Kritik steht die Kategorisierung „F64.1 Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen“[79]. Inhaltlich geht es um den Menschen, der sich mit der Kleidung des gegensätzlichen Geschlechts bekleidet, um sich in einem zeitlich begrenzten Zustand zur Frauen- oder Männerwelt zugehörig zu fühlen. Auch sie werden ebenfalls als Mensch mit einer gestörten Geschlechtsidentität diagnostiziert. Transsexualität wird hier ausgeschlossen und ist lediglich in Verbindung mit einer Geschlechtsumwandlung von Relevanz.[80]

Dennoch zeigt sich ein Fortschritt bei „intersexuellen“ Menschen, die bei der Geburt nicht eindeutig als Mann oder Frau einzuordnen sind, da sie beide Geschlechtsorgane besitzen oder aber, dass sie ein eindeutiges natürliches Geschlecht besitzen, jedoch eine Vielzahl an oppositionellen Geschlechtshormonen aufweisen. Am 1. November 2013 wurde durch das „Personenstandsgesetz“ festgelegt, dass die Elternteile bei der Geburt des intersexuellen Kindes sich nicht mehr für ein Geschlecht entscheiden müssen und das Neugeborene ohne

Geschlecht registriert werden kann. Des Weiteren haben sich die Richtlinien bezüglich des Reisepasses geändert. In der Kategorie, wo zuvor die Option zwischen „F“ und „M“ für weiblich und männlich gegeben war, besteht nun die Wahlmöglichkeit „X“, die eine Existenz ohne eindeutige Geschlechtszugehörigkeit zulässt.[81] Letztlich sind die transsexuellen Individuen auch heute noch in ihrer Wahlfreiheit durch Gesetze und Rechte eingeschränkt, die als widersprüchlich im Vergleich zu der Vielfalt an Lebensmodellen erscheinen, die heutzutage existieren. Die heutige Situation hat sich im Vergleich zur Vergangenheit größtenteils deutlich verbessert, aber dennoch ist dies nicht eine globale Tatsache, da Länder wie Indien und Uganda im Jahr 2013 und 2014 ihre Strafen für Homosexualität verschärft haben und auch Russland 2013 ein „Gesetz gegen Homosexuellen-Propaganda“[82] eingeführt hat, was die Homosexuellen aus der Gesellschaft ausschließt und zur bedrohten Randgruppe macht.[83]

3.1.2 Postmoderne und Metrosexualität

Der hier behandelte Trend „Genderless“ lässt sich in die aktuelle Epoche der Postmoderne einordnen. Diese um 1980 entstandene Zeitströmung geht aus der Zeit der Moderne heraus und unterscheidet sich von dieser durch eine Pluralität von Stilen und Strömungen in Bereichen der Gesellschaft, Kunst, Mode und Architektur. Der postmoderne Charakter unterstützt hierbei Diversität im Gesellschaftssystem und analysiert und dekonstruiert bestehende Normen und Werte und setzt diese neuartig und individuell zusammen.[84] Ein postmodernes Beispiel, in dem das Zweigeschlechtermodell aufgebrochen wird und neu interpretiert wird, ist der metrosexuelle Mann, der sich an weiblichen Einflüssen orientiert und für sein männliches Geschlecht neu erfindet.

Der Begriff der „Metrosexualität“ beschreibt einen neuen Typ Mann, der sich laut des Beitrags „Beckham’s Style Kicks! Die metrosexuellen Körperbilder der Jugendidole“ der Autorin Birgit Richard in dem Werk „Cool Hunters“ im Jahr 2004 etabliert hat. Dabei ist die männliche Zielgruppe von 20 - 40 Jahren betroffen. In diesem Männerbild findet sich laut der Schriftstellerin eine Verbindung aus heterosexuellen und homosexuellen Körperidealen wieder. Für die Durchsetzung dieses Männerideals sieht sie unter anderem die Medien als einen wichtigen verantwortlichen Faktor an, da speziell durch Werbekampagnen für männliche Pflegeartikel, wie Rasierer oder auch Herrenunterwäsche, der neue Mann angepriesen wird. Der metrosexuelle Mann vereint in der Idealisierung seines Körpers Bilder der Weiblichkeit und der Männlichkeit und dadurch macht sich die soziale Konstruktion von den beiden Geschlechtern besonders deutlich. Diese Marketingmaßnahme spricht dennoch nicht nur den homosexuellen, sondern auch den heterosexuellen Mann an.[85] Eine Leitfigur dieses neuen Männertyps ist der britische Fußballspieler David Beckham. Durch sein Wirken in dem männlich behafteten Fußballsport, seiner Heterosexualität und seiner Rolle als Vater und Ehemann dient er auch für den Heterosexuellen als Identifikationsfigur. Als „metrosexuell“ charakterisieren ihn dabei seine lackierten Nägel, häufig wechselnde Frisuren oder Ohrstecker aus Brillanten.[86]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: David Beckham, Gillette Werbekampagne, 2004 (Foto: Gillette)

Das Vereinnahmen von weiblichen Merkmalen findet jedoch kombiniert mit dem typisch Männlichen statt. Beckham, der unter anderem für einen Rasierer des Unternehmens Gillette wirbt (siehe Abbildung 1), demonstriert einen makellosen, haarlosen Körper. Dennoch zeigt er sich durch seine Muskeln betont männlich, wodurch die Erotik des Mannes unterstützt wird.[87] Der Trend der Metrosexualität vereint somit die Eigenschaften der Postmoderne, indem sie typisch männlichen und weiblichen Geschlechtsidentitäten dekonstruiert und durch erneute Konstruktion unter Verbindung beider Extreme unterschiedliche Männerideale zulässt und dessen Diversität in den Vordergrund stellt. Das freie Handeln losgelöst von den Regeln der Gesellschaft und das Überschreiten der Geschlechternormen ist ein grundlegendes Prinzip des „Genderless“-Trends, der das Geschlecht in den Hintergrund stellt.

3.1.3 Der Megatrend „Gender Shift“

Der hier behandelte Megatrend „Gender Shift“ basiert auf der gleichnamigen Trendstudie „Gender Shift“, die im Jahr 2015 von dem Zukunftsinstitut herausgegeben wurde. Laut dem Zukunftsinstitut ist dabei ein Megatrend durch eine Halbwertszeit bestimmt, die mindestens in einem Zeitraum von 25 – 30 Jahren liegen muss.[88]

In dieser Studie wird ein Wandel unserer bisher stark männlich geprägten, gesellschaftlichen Struktur thematisiert, in der zunehmend eine Integration der Weiblichkeit stattfinden wird, wodurch eine Art Androgynität in der Gesellschaft entsteht, die dem Individuum immer mehr Freiraum gibt, die eigene Persönlichkeit unabhängig von der tradierten Rolle des männlichen oder weiblichen Geschlechts auszuleben.[89] Ausdruck findet diese Veränderung besonders in der Mode- und Lifestyleindustrie, was in der nachfolgenden Arbeit noch weiter anhand einzelner Beispiele erläutert wird. Dieser Entwicklung geht der Megatrend „Female Shift“ voraus, der die Emanzipation der Frauen weltweit dokumentiert hat. Die neue Frau losgelöst von ihrem alten Rollenbild ebnet damit den Weg für den nachfolgenden Megatrend „Gender Shift“, der nicht nur die Frau, sondern auch die Befreiung des Mannes aus den Zwängen seiner anhaftenden Funktion im Gesellschaftssystem begutachtet.[90] Letztlich betrifft die Neuentwicklung alle Menschen, unabhängig vom weiblichen oder männlichen Geschlecht oder der sexuellen Orientierung, wie zum Beispiel heterosexuell, homosexuell oder transsexuell. Das Zukunftsinstitut prognostiziert, dass „Gender Shift“ sich auf politischer, kultureller und wirtschaftlicher Ebene langfristig durchsetzen wird.[91] Dabei liegt der Fokus auf der Geschlechtsidentität, die sich immer stärker verschieben und individualisieren wird.[92]

Des Weiteren wird die Trendbewegung durch folgende Schwerpunkte beeinflusst: „Sex Design, Emannzipation, Ungendering Work, Sexualität der Dinge, Netzfeminismus und Global Shift“. All diese Aspekte beschäftigen sich mit der zurücktretenden Stellung des Geschlechts. Die vereinzelten Faktoren „Sex Design, Emannzipation, Sexualität der Dinge und Netzfeminismus“ stellen eine hohe Relevanz für die nachfolgende Bearbeitung dar und werden daher nun genauer beleuchtet.

Der erste Einflussfaktor „Sex Design“ beschreibt laut der Autorin Anja Kirig ein Bild der Zukunft, in der es jedem Individuum selbst überlassen ist, für welches Geschlecht es sich entscheidet.[93] Daher sind nach der Theorie von Kirig Identität und Geschlecht frei wählbar und können in Zukunft immer neu interpretiert werden, wodurch die sexuelle Identität an Wichtigkeit verliert. Die Identifikation mit dem Mann oder Frau kann somit auch zeitweise wechseln, wodurch sich letztendlich die Grenzen zwischen Mann und Frau vermischen, aber gleichzeitig auch die Zweigeschlechtlichkeit erhalten bleibt.[94] Hier lässt sich eine Verbindung zu Judith Butler herstellen, die sagt, dass das biologische Geschlecht und Geschlechtsidentität unabhängig voneinander agieren.[95] Dieser Prozess der Dekonstruktion alter Geschlechterbilder bezeichnet nach Kirigs Auffassung unsere aktuelle, gesellschaftliche Situation, die jedoch der „Retraditionalisierung“[96] jener Individuen gegenübersteht, für die nur die bereits vorhandene Zwei-Geschlechter-Ordnung existiert.[97] Den Widerstand gegen das „Sex Design“ versteht die Autorin als den Wunsch nach Sicherheit, der durch das Aufheben der Geschlechternormen gefährdet wird.[98]

Die „Emannzipation“ spezialisiert sich, wie der Begriff schon vorwegnimmt, in diesem Fall nicht auf die Frau, sondern auf den Mann. Dieser gibt tradierte Werte auf und befreit sich von seinem angehafteten Stereotyp in der Gesellschaft. Nach dem „Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ stehen die neuen Männer für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein und plädieren für ein vielfältiges Bild des Mannes.[99]

Die Männerrolle steckt zudem laut der Trendforscherin Muntschick in einer Krise, da die Frauen, hervorgehoben durch den Megatrend „Female Shift“, in zuvor rein männliche Gebiete, wie die Arbeitswelt oder in typisch männliche Tätigkeiten eingedrungen sind und sich diese angeeignet haben. Damit ist das Rollenbild des Mannes nicht mehr als einzigartig anzusehen und grenzt sich nicht mehr klar von der Frau ab. Die Grenzen werden hier deutlich vermischt und besonders die Medien versuchen dem entgegenzuwirken, indem sie in kurzen Zeitabständen einen neuen, trendigen Männertyp ins Leben zu rufen versuchen, wie zum Beispiel den metrosexuellen Mann. Dabei stellt die mediale Inszenierung eine Vielzahl an Erwartungen an den Mann in der Realität, der versucht, den stets wechselnden Idealen zu entsprechen.[100]

Der Sozialwissenschaftler Stefan Hirschauer fasst die überspitzte Anhäufung von Anforderungen an den Mann mit der Folge von „wachsenden Klassifikationsproblemen“[101] und letztlich „unrichtigen Männern und Frauen“[102] zusammen. Es besteht somit die Schwierigkeit, Frauen und Männer eindeutig einzuordnen, da sie beide einer Vielfalt von Eigenschaften entsprechen sollen. In der Zukunft stehen schließlich anstatt der Geschlechterdebatte und dem Erhalt des Stereotypen die Individualisierung des Menschen und die angestrebte Gleichstellung von Mann und Frau an erster Stelle.[103]

Die Autorin Muntschick hat sich in dem Text „Die Sexualität der Dinge – Die Zukunft des Marketing jenseits von Geschlechterklischees“ mit der Umstrukturierung des Marketings befasst, welche den Megatrend des „Gender Shift“ erneut stützt. Das Gendermarketing, das spezifisch Produkte für Mann und Frau herstellt, wird im Zuge des Verblassens der Geschlechterrollen an Verbindlichkeit verlieren.[104]

Ein Beispiel der stereotypischen Vermarktung stellt das Unternehmen Kühne dar (siehe Abbildung 2), das ihre eingelegten Gurken einmal für die Frauen als „Gurken Madl“ im rosa designten Gurkenglas und für den Mann als „Gurken Bub“ im blauen Gurkenglas bewirbt mit dem Unterschied der „knackig und kräftigen“ Gurken für den Mann und der „knackig & lieblichen“ Gurken für die Frau. Nach Muntschick entfernt sich diese Methode immer mehr von der realen Lebenswelt der Konsumenten, da die im Gender Marketing benutzten Farben, Design und Geschmack nicht auf das genetische Geschlecht zurückzuführen sind und auch vielfältige Lebensstile außerhalb von dem typischen Männlichen und Weiblichen nicht mitinbegriffen sind, die sich individuell entfalten wollen. Die Allgemeinheit der beworbenen Produkte ist heutzutage nicht mehr nur für den Mann oder nur für die Frau relevant, da beide Parteien sich in den gleichen Lebensbereichen bewegen und dementsprechend gleiche Gebrauchsgegenstände benötigen.[105]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Kühne Werbekampagne: „Gurken Madl und Gurken Bub“, 2014 (Foto: Carl Kühne AG)

[...]


[1] Vgl. Huber (2015), S. 5.

[2] Huber (2015), S. 4.

[3] Huber (2015), S. 4.

[4] Huber (2015), S. 5.

[5] Vgl. Kelber / Kirig / Muntschick (2015a), S. 9.

[6] Butler (1991), S. 22.

[7] Butler (1991), S. 22.

[8] Vgl. Butler (1991), S. 22.

[9] Vgl. Butler (1991), S. 23.

[10] Vgl. West / Zimmermann (1987), S. 126.

[11] Vgl. Butler (1991), S. 24.

[12] Vgl. Butler (1991), S. 24.

[13] Beauvoir (1968), S. 265.

[14] Vgl. Beauvoir (1968), S. 265.

[15] Vgl. Beauvoir (1968), S. 48.

[16] Vgl. Butler (1991), S. 26.

[17] Vgl. Butler (1991), S. 49.

[18] Haraway (1995), S. 33.

[19] Vgl. Haraway (1995), S. 33.

[20] Vgl. Haraway (1995), S. 34.

[21] Haraway (1995), S. 35.

[22] Haraway (1995), S. 35.

[23] Vgl. Haraway (1995), S. 35.

[24] Vgl. Haraway (1995), S. 51.

[25] Mertlitsch (2016), S.143.

[26] Mertlitsch (2016), 144.

[27] Vgl. Haraway (1995), S. 60.

[28] Vgl. Vinken (2014), S. 31.

[29] Vinken (2014), S. 32.

[30] Vgl. Vinken (2014), S. 32.

[31] Vgl. Lehnert /Kühl / Weise (2014), S. 27f.

[32] Vgl. Vinken (2014), S. 37.

[33] Vgl. Vinken (2014), S. 41.

[34] Vgl. Vinken (2014), S. 158.

[35] Vinken (2014), S. 168

[36] Vgl. Vinken (2014), S. 168.

[37] Vinken (2014), S. 169.

[38] Vgl. Vinken (2014), S. 169.

[39] Lehnert (1997), S. 9.

[40] Lehnert (1997), S. 9.

[41] Vgl. Lehnert (1997), S. 9.

[42] Vgl. Lehnert (1997), S. 10.

[43] Vgl. Lehnert (1997), S. 11.

[44] Vgl. Lehnert (1997), S. 13.

[45] Vgl. Lehnert (1997), S. 26.

[46] Vgl. Lehnert (1997), S. 27.

[47] Vgl. Lehnert (1997), S. 36.

[48] Lehnert / Weilandt (2016), S. 7.

[49] Vgl. Lehnert / Weilandt (2016), S. 7.

[50] Lehnert (2016), S. 21.

[51] Lehnert (2016), S. 21.

[52] Vgl. Lehnert (2016), S. 21.

[53] Vgl. Engel (2009), S. 19.

[54] Vgl. Lehnert / Weilandt (2016), S. 9.

[55] Lehnert (2016), S. 22

[56] Vgl. Lehnert (2016), S. 22

[57] Bradotti (2014), S. 8.

[58] Vgl. Bradotti (2014), S. 8.

[59] Vgl. Bradotti (2014), S. 9.

[60] Vgl. Lehnert (2016), S. 23.

[61] Haraway (1995), S. 33.

[62] Vgl. Haraway (1995), S. 33.

[63] Vgl. Weilandt (2016), S. 45

[64] Vgl. Lehnert (2013), S. 15.

[65] Vgl. Weltzien (2016), S. 129.

[66] Vgl. Weltzien (2016), S. 130.

[67] Vgl. Weltzien (2016), S. 131.

[68] Bullough (1993), S. 245.

[69] Vgl. Scholz (2016), S. 165.

[70] Vgl. Sommerhoff (1995), S. 29 f.

[71] Vgl. Sommerhoff (1995), S. 34 f.

[72] Vgl. Sommerhoff (1995), S. 38.

[73] Vgl. Sommerhoff (1995), S. 43 f.

[74] bpb: Bundeszentrale für politische Bildung (2014).

[75] Vgl. bpb: Bundeszentrale für politische Bildung (2014).

[76] Vgl. Vetter (2007), S. 307.

[77] Vetter (2007), S. 266.

[78] Vetter (2007), S. 266.

[79] Vetter (2007), S. 266.

[80] Vgl. Vetter (2007), S. 265f.

[81] Vgl. Bubrowski (2013).

[82] bpb: Bundeszentrale für politische Bildung (2014).

[83] Vgl. bpb: Bundeszentrale für politische Bildung (2014).

[84] Vgl. Loschek (2007a), S. 223.

[85] Vgl.Richard (2004), S.245.

[86] Vgl.Richard (2004), S.247.

[87] Vgl.Richard (2004), S.248 f.

[88] Vgl. Zukunftsinstitut (2015).

[89] Vgl. Huber (2015), S. 5.

[90] Vgl. Kelber / Kirig / Muntschick (2015a), S. 7f.

[91] Vgl. Kelber / Kirig / Muntschick (2015a), S. 9.

[92] Vgl. Kelber / Kirig / Muntschick (2015a), S. 12f.

[93] Vgl. Kirig (2015a), S. 18.

[94] Vgl. Kirig (2015a), S. 31.

[95] Vgl. Butler (1991), S. 23.

[96] Kirig (2015a), S. 30.

[97] Vgl. Kirig (2015a), S. 32.

[98] Vgl. Kirig (2015a), S. 32.

[99] Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2014), S. 62.

[100] Vgl. Muntschick (2015a), S. 39ff.

[101] Hirschauer (2013), S. 169.

[102] Hirschauer (2013), S. 169.

[103] Vgl. Muntschick (2015a), S. 43f.

[104] Vgl. Muntschick (2015b), S. 70.

[105] Vgl. Muntschick (2015b), S. 77f.

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Genderless. Ein neuer Trend der Mode- und Lifestyle-Industrie
Hochschule
AMD Akademie Mode & Design GmbH
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
114
Katalognummer
V358173
ISBN (eBook)
9783668450257
ISBN (Buch)
9783960950769
Dateigröße
3090 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mode Gender Trend
Arbeit zitieren
Konstantin Kröber (Autor:in), 2017, Genderless. Ein neuer Trend der Mode- und Lifestyle-Industrie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/358173

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Genderless. Ein neuer Trend der Mode- und Lifestyle-Industrie



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden