Bedeutsamkeit des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Gesundheitsmanagements in Bezug auf Zeitarbeiter aus Sicht der Entleihunternehmen

(K)eine Zweiklassengesellschaft im Betrieb


Masterarbeit, 2016

117 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung und Problemstellung

2 Zielsetzung

3 Gegenwärtiger Kenntnisstand
3.1 Arbeitsschutz und betriebliches Gesundheitsmanagement
3.1.1 Belastungen und Ressourcen in der Arbeitswelt
3.1.2 Definitionen und Abgrenzungen von Arbeitsschutz, betrieblicher Gesundheitsförderung und betrieblichem Gesundheitsmanagement
3.1.3 Gründe zur Einführung eines BGM
3.2 Atypische Beschäftigung
3.2.1 Definition, Entwicklung und Merkmale atypischer Beschäftigung
3.2.2 Atypische Beschäftigung und Prekariat
3.3 Zeitarbeit
3.3.1 Zeitarbeit in Deutschland
3.3.2 Gesetzliche Regelungen zum Arbeitsschutz in der Zeitarbeit
3.3.3 Studien zur volks- und betriebswirtschaftlichen Relevanz des Instrumentes Zeitarbeit
3.3.4 Belastungen und Beanspruchungen in der Zeitarbeit
3.3.5 Arbeits- und Gesundheitsschutz für Zeitarbeiter aus Sicht der Entleihunternehmen
3.3.6 Umsetzung von Arbeits- und Gesundheitsschutz für Zeitarbeiter in Entleihunternehmen anhand verschiedener Projekte

4 Methodik
4.1 Fragestellung
4.2 Untersuchungsdesign
4.2.1 Qualitative empirische Sozialforschung
4.2.2 Das Interview als Erhebungsinstrument
4.2.3 Das qualitative Leitfadeninterview
4.2.4 Das Experteninterview
4.3 Untersuchungsablauf
4.3.1 Deduktive Kategorienbildung
4.3.2 Entwicklung des Interviewleitfadens
4.3.3 Inhaltlicher Aufbau des Leitfadens
4.3.4 Rekrutierung der Stichprobe
4.3.5 Durchführung der Interviews
4.4 Aufbereitung des qualitativen Datenmaterials
4.4.1 Kurzprofil Unternehmen A
4.4.2 Kurzprofil Unternehmen B
4.4.3 Kurzprofil Unternehmen C
4.4.4 Kurzprofil Unternehmen D
4.4.5 Kurzprofil Unternehmen E
4.4.6 Erste Gegenüberstellung der Unternehmen
4.4.7 Dokumentation der Interviews
4.5 Auswertung der Daten
4.5.1 Die qualitative Inhaltsanalyse
4.5.2 Auswertung der gewonnenen Daten anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring

5 Ergebnisse
5.1 Ergebnisse zur Beantwortung der 1. Unterfrage
5.1.1 Wirtschaftliche Aspekte
5.1.2 Rechtliche Aspekte
5.1.3 Demografisch/strukturelle Aspekte
5.1.4 Beantwortung der 1. Unterfrage
5.2 Ergebnisse zur Beantwortung der 2. Unterfrage
5.2.1 Fallbezogene Ergebnisse zur 2. Forschungsfrage
5.2.2 Beantwortung der 2. Unterfrage
5.3 Ergebnisse zur Beantwortung der 3. Unterfrage
5.3.1 Fallbezogene Ergebnisse der 2. Unterfrage
5.3.2 Beantwortung der 3. Unterfrage
5.4 Beantwortung der Forschungsfrage

6 Diskussion und kritische Reflexion
6.1 Einbettung der Ergebnisse in die Literatur
6.2 Kritische Reflexion der Untersuchung
6.3 Qualitäts- und Gütekriterien
6.4 Ausblick

7 Zusammenfassung

8 Literaturverzeichnis

9 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
9.1 Abbildungsverzeichnis
9.2 Tabellenverzeichnis

Anhang

Anhang 1: Anschreiben zur Rekrutierung von Interviewpartnern

1 Einleitung und Problemstellung

Die Arbeitswelt befindet sich aktuell in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Der Wandel ist durch die fortschreitende Globalisierung und den internationalen Wettbewerb, den demographischen Wandel sowie die Entwicklung von einer Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungs- und Kommunikationsgesellschaft geprägt. So vielschichtig wie die Auslöser des Wandels in der Erwerbsarbeit sind auch die Folgen für Unternehmen und Belegschaft (Siemund, 2013; Bauer & Braun, 2014).

Um am Markt bestehen zu können, sind Unternehmen gezwungen, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Flexibilität gilt in diesem Zusammenhang als wesentlicher Erfolgsindikator, um die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Schmicker et al. (2013, S. 6-7) konstatieren unterschiedliche Ansätze der Flexibilität. So lässt sich Flexibilität über technische Verbesserungen und neuartige Finanzinstrumente, aber auch durch flexiblen Personaleinsatz erreichen.

Der flexible Personaleinsatz, welcher durch den Ausbau atypischer, flexibler Beschäftigungsformen realisiert werden kann, spielt für die Unternehmen eine herausragende Rolle, um auf die sich verändernden Marktbedingungen und schwankenden Konjunkturen reagieren zu können (Schmicker et al., 2013; Hüther, 2012; Bellmann, 2014). Atypische Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit, befristete Tätigkeiten, geringfügige Beschäftigungen oder Zeitarbeit, gewinnen auf dem Arbeitsmarkt zunehmend an Bedeutung.

Die Zeitarbeit stellt durch ihre Dreiecksbeziehung zwischen Verleiher, Entleiher und Arbeitnehmer eine besondere Form der atypischen Beschäftigungen dar. Seit ihrer gesetzlichen Zulassung 1972 hat sie sich als feste Größe auf dem deutschen Arbeitsmarkt etabliert. Im Dezember 2015 gab es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA, 2016) insgesamt 50.500 Verleihbetriebe, von denen 11.100 ihren Schwerpunkt in der Arbeitnehmerüberlassung hatten. 951.000 Menschen waren zu diesem Zeitpunkt in der Zeitarbeit tätig. Trotzdem wird das Instrument nach wie vor kontrovers diskutiert. Einerseits bietet die Zeitarbeit Menschen, die aus der Erwerbslosigkeit kommen, eine Chance wieder in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, andererseits wird die Zeitarbeit häufig zu den prekären Arbeitsformen gezählt. Dies begründet sich durch viele Faktoren, wie einer hohen Arbeitsplatzunsicherheit und einem vergleichsweise geringen Gehalt (Promberger, 2012).

Zeitgleich mit den erhöhten Flexibilitätsanforderungen in der Arbeitswelt nimmt das Thema Gesundheit einen immer höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft ein. Da die Arbeitswelt einen wichtigen Faktor für das Wohlergehen und die Gesundheit eines Menschen darstellt, kommt ihr dabei eine besondere Rolle zu. Auch aus Unternehmenssicht steigt zu Zeiten des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels die Relevanz einer gesunden Belegschaft sowie der Werbung und Bindung von gut ausgebildeten Mitarbeitern. Aus unterschiedlichen Motiven investieren viele Unternehmen deshalb über den gesetzlich geregelten Arbeitsschutz hinaus mit der Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter und verbessern somit gleichzeitig ihre Attraktivität am Arbeitsmarkt (Hardege & Zimmermann, 2014; Bellmann, 2014).

Zeitarbeiter werden in den Entleihunternehmen oftmals als Hilfsarbeiter eingesetzt und arbeiten an Arbeitsplätzen mit hohen körperlichen Anforderungen. Neben den erhöhten körperlichen Belastungen im Vergleich zu anderen Beschäftigten wirken auch eine Reihe spezieller psychischer Belastungen auf die Gesundheit der Zeitarbeiter ein. Sie müssen sich ständig an neue Arbeitsplätze, Organisationsstrukturen, Kollegen und Vorgesetzte anpassen. Weiterhin herrscht in der Branche eine sehr hohe Arbeitsplatzunsicherheit. Rechtlich gesehen sind sowohl das Verleih-, als auch das Entleihunternehmen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Zeitarbeiter zuständig. Die praktische Umsetzung der geteilten Verantwortung erweist sich jedoch oftmals schwierig. Da die Zeitarbeiter im Verleihunternehmen selten vor Ort sind, scheint eine Einbindung der Zeitarbeiter in das Arbeitsschutzsystem und das betriebliche Gesundheitsmanagement des Entleihunternehmens die praktikabelste Lösung zu sein. Auch der Grundsatz der Gleichbehandlung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), Fassung vom 03.02.1995, zuletzt geändert am 18.07.2016) verlangt, dass Zeitarbeiter für die Zeit des Einsatzes in gleichem Maße wie die Stammbelegschaft in den Arbeitsschutz und das betriebliche Gesundheitsmanagement einbezogen werden.

Faktisch zeigt sich hier jedoch ein anderes Bild. Mangelhafte Unterweisungen und fehlende Ansprechpartner deuten auf eine unzureichende Integration der Zeitarbeiter in das Arbeitsschutzsystem und das betriebliches Gesundheitsmanagement der Entleihunternehmen hin (Ahlers, 2014; Bellmann, 2014; Beutler, Langhoff, Hauber, Sell, Krietsch & Schubert, 2011; Sczesny, Jasper, Schmidt, Bode & Horn, 2008; Siemund, 2013). Hieraus ergibt sich die Frage, inwiefern die Integration von Zeitarbeitern in den Arbeitsschutz und das betriebliche Gesundheitsmanagement aus Sicht der Entleihunternehmen relevant ist, obwohl die Arbeitskräfte nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden und im Krankheitsfall schnell ersetzbar sind?

2 Zielsetzung

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Bedeutsamkeit des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Gesundheitsmanagements in Bezug auf Zeitarbeiter aus Sicht der Entleihunternehmen darzustellen. In diesem Zusammenhang wurde folgende Forschungsfrage entwickelt: „Welche Aspekte beeinflussen die Entscheidung für oder gegen die Integration von Zeitarbeitern in das Arbeitsschutzsystem und das betriebliche Gesundheitsmanagement von Entleihunternehmen?“.

Die Relevanz der Thematik geht aus dem aktuellen Kenntnisstand (vgl. Kapitel 3) hervor. In diesem erfolgt eine theoretische Annäherung an den Gegenstand anhand einschlägiger Literatur. Zunächst wird der Zusammenhang zwischen Arbeit und Gesundheit sowie die allgemeine Bedeutung von Arbeitsschutz und betrieblichem Gesundheitsmanagement herausgearbeitet. Anschließend wird das Instrument der Zeitarbeit, als eine Form der atypischen Beschäftigung, näher beleuchtet. Anhand vorangegangener Studien zum Thema Zeitarbeit wird speziell auf die Belastungs- und Beanspruchungssituation in dieser Beschäftigungsform eingegangen. Die Studien zeigen auffällig hohe Belastungen in der Zeitarbeit (vgl. Kapitel 3.5.4) einhergehend mit einer teilweise mangelhaften Integration der Arbeiter in den Arbeitsschutz (AS) und das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) (Siemund, 2013; Sczesny et al., 2008). Da bislang kaum wissenschaftliche Studien zur Sicht der Entleihunternehmen auf die Integration der Zeitarbeiter in AS und BGM existieren, ist es nicht möglich, die Forschungsfrage anhand vorhandener Modelle und Theorien zu überprüfen und einen Vergleich zu vorangegangenen Studien zu ziehen. Aus diesem Grund ist die vorliegende Masterarbeit als explorative Studie zu betrachten, welche einen ersten qualitativen Einblick in die Thematik geben soll.

Aufbauend auf theoretischen Annahmen, welche sich aus dem aktuellen Kenntnisstand ergeben, wird eine qualitative Untersuchung durchgeführt. Um einen möglichst tiefen Einblick in die Thematik zu bekommen und die Forschungsfrage bestmöglich beantworten zu können, werden in diesem Zusammenhang ausgewählte Experten verschiedener Unternehmen, die Zeitarbeiter einsetzen, leifadengestützt interviewt (vgl. Kapitel 4). Die Ergebnisse der Interviews werden in Kapitel 5 präsentiert und mit der Literatur verglichen. Abschließend werden sowohl der Studienaufbau und -ablauf sowie die Ergebnisse diskutiert und anhand der Gütekriterien qualitativer Forschung reflektiert (vgl. Kapitel 6).

Die Studie erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Sie soll neue, wesentliche Erkenntnisse auf einem weitgehend unerforschten Gebiet liefern, welche als Grundlage für weitere Forschung dienen können.

3 Gegenwärtiger Kenntnisstand

3.1 Arbeitsschutz und betriebliches Gesundheitsmanagement

3.1.1 Belastungen und Ressourcen in der Arbeitswelt

Arbeit bedeutet in der heutigen Gesellschaft nicht nur Existenzsicherung, sondern spielt auch eine herausragende Rolle bei der Identitätsbildung jedes Einzelnen. Durch die zentrale Stellung, die der Arbeit damit zugeschrieben wird, ist sie auch für die psychische und körperliche Gesundheit von großer Bedeutung (Kaluza, 2015). Der aktuelle Strukturwandel der Arbeitswelt ist geprägt von fortschreitender Globalisierung, rasanter Zunahme von Kommunikations- und Informationstechnologien sowie dem demographischen Wandel. Internationale Märkte sowie Konkurrenz, Kunden und Belegschaften fordern ein marktgerechtes Handeln der Unternehmen. Um auf dem internationalen Markt bestehen zu können, bedürfen die Unternehmen ständiger Veränderung. Diese geht unter anderem mit einer zunehmenden Vielfalt an Beschäftigungsmodellen einher. Die Bedeutung der Flexibilität, sowohl in formalen Arbeitsverträgen, als auch in Arbeitsinhalten, Arbeitsorten und Arbeitszeiten, steigt stetig an (Rigotti & Mohr, 2011).

Für den Einzelnen bedeutet dies Konkurrenzkampf, Arbeitsplatzunsicherheit, erhöhte Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen sowie Zeitdruck, hohe Arbeitsmengen, wenig soziale Unterstützung und geringen Handlungsspielraum. In der Arbeitswelt findet damit ein Wechsel von körperlichen zu vermehrt psychischen Belastungen statt. Die zunehmende Flexibilisierung, die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses sowie steigende Arbeitsplatzunsicherheit sind als Risikofaktoren für die psychische Gesundheit zu betrachten, da sie das menschliche Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Einfluss auf das eigene Leben gefährden (Deci & Ryan, 2008; Ryan & Deci, 2000, zitiert nach Rigotti & Mohr, 2011). Eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung ist unter anderem durch einen Belastungs-Erholungszyklus ohne Beeinträchtigung der Erholung gekennzeichnet. Dabei spielen insbesondere die längerfristige Planung und Umsetzung von längeren Erholungsphasen eine wichtige Rolle. Dies wird in Zeiten der Flexibilisierung zunehmend schwerer. Die Folgen sind unübersehbar. Fehlbeanspruchungen und hohe Krankenstände, aber auch Präsentismus kennzeichnen den Arbeitsalltag (Kaluza, 2015; Rau, 2011). Dies wirkt sich unmittelbar auf die Leistungsfähigkeit und Produktivität der Mitarbeiter und damit auf den Unternehmenserfolg aus (vgl. Kapitel 3.3.2).

Mittlerweile existieren eine Reihe von Arbeitsstress-Modellen, von denen die zwei bedeutsamsten im Folgenden kurz erläutert werden.

Anforderungs-Kontroll-Modell

Das Anforderung-Kontroll-Modell (vgl. Abb. 1), entwickelt von Karasek und Theorell betrachtet das Zusammenspiel aus quantitativer Arbeitsanforderung und Handlungs- und Entscheidungsspielraum. Nach Karasek und Theorell entsteht arbeitsbedingter Stress insbesondere bei Arbeitsplätzen mit hohen quantitativen Arbeitsanforderungen bei gleichzeitig niedrigem Handlungs- und Entscheidungsspielraum (Karasek & Theorell, 1990, zitiert nach Kaluza, 2015, S. 38/39).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Anforderungs-Kontroll-Modell nach Karasek und Theorell (modifiziert nach Kaluza, 2015, S. 39)

Modell beruflicher Gratifikationskrisen

Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen (vgl. Abb. 2) von Siegrist konzentriert sich auf die Balance zwischen persönlicher Anstrengung und Leistung auf der einen und den Belohnungen auf der anderen Seite. Belohnung ist in diesem Fall nicht rein materiell zu sehen, sondern zeichnet sich neben der finanziellen Perspektive auch durch Anerkennung, Wertschätzung oder Arbeitsplatzsicherheit aus. So führt nach Siegrist (1996, zitiert nach Kaluza, 2015, S. 40) die Kombination aus hoher Verausgabung und niedriger Gratifikation zu arbeitsbedingtem Stress.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Modell beruflicher Gratifikationskrisen nach Siegrist (modifiziert nach Kaluza, 2015, S. 41)

Für beide Modelle existieren Studien, die belegen, dass Personen, die arbeitsbedingtem Stress in besonderem Maße ausgesetzt sind, also zur jeweiligen Risikogruppe gehören, ein deutlich höheres Risiko für kardiovaskuläre und depressive Erkrankungen aufweisen (Kaluza, 2015, S. 38-40).

Gesundheitsförderliche Wirkung von Arbeit

Trotz negativer Einflüsse, die Arbeit mit sich bringen kann, ist die gesundheitsfördernde Wirkung von Arbeit nicht zu vernachlässigen. Arbeit erfüllt eine Reihe von psychosozialen Faktoren, wie Existenzsicherung, Lern- und Erfolgserfahrungen, Struktur oder auch sozialen Austausch, sodass die Teilnahme am Berufsleben insgesamt als positiv für die Gesundheit zu bewerten ist (Rigotti & Mohr, 2011). Laut Robert Koch Institut (RKI) (2003) weisen Langzeiterwerbslose insgesamt einen schlechteren Gesundheitszustand auf als Erwerbstätige.

3.1.2 Definitionen und Abgrenzungen von Arbeitsschutz, betrieblicher Gesundheitsförderung und betrieblichem Gesundheitsmanagement

Arbeitsbedingte Erkrankungen verursachen Kosten für das betroffene Unternehmen sowie für das Gesundheitssystem und bringen individuelles Leid. Aus diesen Gründen haben der Arbeitsschutz, die betriebliche Gesundheitsförderung und das betriebliche Gesundheitsmanagement das gemeinsame Ziel, die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen. Die Begriffe werden häufig synonym verwendet, müssen jedoch trotz einiger Überschneidungen und gemeinsamer Zielsetzung unterschieden werden.

Arbeitsschutz (AS)

Schon bei der Betrachtung organisatorischer und rechtlicher Rahmenbedingungen werden Unterschiede zwischen Arbeitsschutz (AS) und betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF), beziehungsweise betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) deutlich. Der AS ist rechtlich verpflichtend und basiert auf der im Grundgesetz (Artikel 2 Abs. 2) festgehaltenen Menschenwürde, auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Bamberg, Ducki & Metz, 2011a). Er wird definiert als die „Abwehr von Unfallgefahren und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zum Schutz vor arbeitsbedingten Verletzungen (Arbeitsunfällen) und arbeitsbedingten Erkrankungen (Berufskrankheiten und andere arbeitsbedingte Erkrankungen) sowie zugleich eine solche menschengerechte Gestaltung und ständige Verbesserung der Arbeit, dass diese insgesamt den körperlichen und geistigen Leistungsvoraussetzungen des Organisationsmitgliedes entspricht und auf Bewahrung von Leben und Gesundheit in Verbindung mit der Berufsarbeit abzielt“ (DIN SPEC 91020, 2012).

Die 1989 von der Europäischen Union festgelegte Rahmenrichtlinie für erweiterten Arbeits- und Gesundheitsschutz über „die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit“ ist 1996 mit dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) in nationales Recht umgesetzt worden.

Das Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG) enthält sowohl die Pflichten des Arbeitsgebers als auch der Arbeitnehmer und Behörden, welche zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten dienen (ArbSchG Fassung vom 07.08.1996, zuletzt geändert am 31.08.2015). Maßnahmen des AS im Sinne dieses Gesetzes sind Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit (§ 2 Abs. 1 ArbSchG). § 5 Abs. 2 des ArbSchG regelt die Beurteilung der Gefährdungen am Arbeitsplatz und darauf folgende Implementierung entsprechender Maßnahmen. Die Gefährdungsbeurteilung inklusive psychischer Gefährdungen ist somit verpflichtender Teil des AS.

Ergänzt wird die Regelung des AS durch das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG, Fassung vom 12.12.1973, zuletzt geändert am 20.04.2013). Das Gesetz zum Schutz und zur Förderung der Gesundheit in der Arbeitswelt regelt die Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit. Es bestimmt deren Aufgaben und verpflichtet sie zur Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat. Zusätzlich fordert das ASiG die Einrichtung eines Arbeitsschutzausschusses und regelt dessen Zusammensetzung (Bamberg et al., 2011a; ASiG).

Betriebliche Gesundheitsförderung

Unter Betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF) werden nach DIN SPEC 91020 (2012) „Maßnahmen des Betriebes unter Beteiligung der Organisationsmitglieder zur Stärkung ihrer Gesundheitskompetenzen sowie Maßnahmen zur Gestaltung gesundheitsförderlicher Bedingungen (Verhalten und Verhältnisse), zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden im Betrieb sowie zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit“ verstanden. Die BGF orientiert sich an den Leitlinien der Ottawa Charta, welche 1986 bei der ersten internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung entwickelt wurde sowie der Luxemburger Deklaration des Europäischen Netzwerks für betriebliche Gesundheitsförderung. Die Ottawa Charta bezieht sich auf Gesundheitsförderung in Lebenswelten. Sie fordert eine Stärkung des eigenen Gesundheitspotentials durch Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit und aktive Beteiligung an diesem Prozess (World Health Organisation (WHO), 2009).

Gesundheitsförderung und damit auch BGF stellt mithin eine Ergänzung zu gesundheitsbezogenen Maßnahmen des Arbeitsschutzes dar. Allerdings kann es sich dabei laut DIN SPEC 91020 (2012) „auch um punktuelle, zeitlich befristete Einzelmaßnahmen handeln, ohne dass damit notwendigerweise ein Betriebliches Gesundheitsmanagement eingeführt wird.“ Die BGF ist nach dieser Definition Teil des BGM und sieht insbesondere eine aktive Förderung der Gesundheit im Sinne der Primärprävention vor (Bamberg, Ducki & Metz, 2011b).

Auch die Luxemburger Deklaration, welche das Ziel der Verbesserung von Wohlbefinden und Gesundheit am Arbeitsplatz verfolgt, sieht die aktive Beteiligung der Betroffenen zur Stärkung persönlicher Kompetenzen als wichtigen Schlüsselfaktor. Zusätzlich sollen die Arbeitsorganisation und –bedingungen optimiert werden. Im Sinne der Luxemburger Deklaration sind vier Aspekte maßgeblich für den Erfolg betrieblicher Gesundheitsförderung verantwortlich, welche der Definition betrieblichen Gesundheitsmanagements sehr nahe kommen:

1. Partizipation

Die BGF sollte für alle Mitglieder des Unternehmens zugänglich sein.

2. Integration

Die BGF sollte bei allen wichtigen Entscheidungen und in allen Unternehmensbereichen berücksichtigt werden

3. Projektmanagement

Maßnahmen und Programme der Gesundheitsförderung sollten systematisch durchgeführt werden.

4. Ganzheitlichkeit

Die Aufmerksamkeit sollte nicht nur auf Risikoreduktion und Ausbau von Schutzmaßnahmen, sondern ebenso auf die Stärkung von Gesundheitspotentialen gelegt werden. Außerdem ist eine Kombination von verhaltens- wie verhältnispräventiven Maßnahmen anzustreben (ENWHP, 1997, zuletzt geändert 2014).

Betriebliches Gesundheitsmanagement

Das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) wird definiert als „systematische sowie nachhaltige Schaffung und Gestaltung von gesundheitsförderlichen Strukturen und Prozessen einschließlich der Befähigung der Organisationsmitglieder zu einem eigenverantwortlichen, gesundheitsbewussten Verhalten“ (DIN SPEC 91020, 2012).

BGM bezieht sich demnach nicht ausschließlich auf die Implementierung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen im Betrieb, sondern berücksichtigt mehrere Zieldimensionen. Unter Einbeziehung betriebswirtschaftlicher Ziele werden im BGM gesundheitsbezogene Maßnahmen geplant, adressiert, organisiert, untereinander abgestimmt, durchgeführt und bewertet. Dies kann auch bedeuten, Maßnahmen der Gesundheitsförderung aus betriebswirtschaftlichen Gründen einzustellen, was eine gesundheitsbezogene Relevanz hat, jedoch nicht gesundheitsförderlich wirkt (Kaminski, 2013).

Laut Kaminski (2013, S. 25) handelt es sich erst dann um ein echtes BGM, wenn „das Streben nach Gesundheit im Betrieb zur gleichwertigen Aufgabe wie das Streben nach Null-Fehler in der Produktionslinie weiterentwickelt wird“.

BGM schließt neben gesundheitsförderlichen Interventionen ein breites Spektrum an Prozessen und Strukturen ein, welche sich auf normativer, struktureller und operativer Ebene abspielen. Die normative Ebene umfasst die Zielkonzeption, die Entwicklung eines Leitbildes sowie die Schwerpunktsetzung. Auf struktureller Ebene werden Strukturen und Prozesse geschaffen, die die Umsetzung eines BGM ermöglichen, während die operative Ebene sich mit der konkreten Konzipierung, Abstimmung und Realisierung der Maßnahmen beschäftigt (Bamberg et al., 2011b).

Die 2012 entwickelte DIN SPEC 91020 ermöglicht es Organisationen, ihre betrieblichen Rahmenbedingungen, Strukturen und Prozesse so anzulegen, dass das Arbeitssystem und die Organisation gesundheitsgerecht und leistungsfördernd gestaltet und die Mitarbeiter zu gesundheitsförderndem Verhalten befähigt werden. Mit dem Ziel, in einem von Wandel geprägten Arbeitsumfeld durch BGM nachhaltigen Erfolg zu erreichen, geht die DIN SPEC 91020 über die rechtlichen Verpflichtungen des AS hinaus und stellt konkrete Anforderungen an die oberste Leitung der Organisation hinsichtlich der Durchführung und Steuerung eines BGM (DIN SPEC 91020, 2012).

Die Ziele und Inhalte von AS, BGF und BGM überschneiden sich in großen Teilen. BGF und BGM fördern aktiv die Gesundheit und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz und legen ihren Schwerpunkt dabei auf das Empowerment und die Mitbestimmung der Betroffenen. Der AS dagegen richtet sich eher an die Verminderung von Risiken und den Schutz vor Gefährdungen.

Die drei Teilbereiche werden im Folgenden nicht als einzelne Disziplinen, sondern als sich ergänzende Teilbereiche gesehen. Im Verlauf der Arbeit werden BGF und BGM zusammengefasst, der AS wird auf Grund seiner rechtlichen Verpflichtung gesondert betrachtet.

3.1.3 Gründe zur Einführung eines BGM

Viele Unternehmen haben das Wohl der Mitarbeiter in ihrem Unternehmensleitbild verankert. Das Engagement der Unternehmen zur Verbesserung der Gesundheit der Belegschaft ist jedoch nicht nur dem wohltätigen Charakter zuzuordnen, sondern vielmals gut kalkuliert. Gesunde Mitarbeiter sparen Kosten, sind motivierter und leistungsfähiger, aus diesem Grund setzen immer mehr Unternehmen auf die Förderung der Mitarbeitergesundheit und engagieren sich über die gesetzlich festgehaltenen Vorschriften hinaus (Kaminski, 2013; Hardege & Zimmermann, 2014). Trotzdem spielen auch rechtliche Aspekte, insbesondere im Bereich AS eine wichtige Rolle, um die Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern. Der Handlungsbedarf zur Einführung eines BGM wird im Folgenden näher erläutert, wobei eine Einteilung in rechtliche, wirtschaftliche und demografische Aspekte erfolgt.

Rechtliche Aspekte

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA, 2016) erstellt eine jährliche Hochrechnung der Lohnkosten (Produktionsausfälle) und Kosten für den Verlust an Arbeitsproduktivität (Bruttowertschöpfungsausfälle) durch Arbeitsunfähigkeit. Nach diesen Berechnungen lagen die Kosten für Produktionsausfälle im Jahr 2014 bei 57 Milliarden Euro, die Bruttowertschöpfungsausfälle bei 90 Milliarden Euro. Die Kosten, welche durch Arbeitsunfähigkeit entstehen, trägt nicht allein der Betrieb. Vielmehr werden sie, beispielsweise über das solidarisch aufgebaute Gesundheitssystem in Deutschland, von der gesamten Gesellschaft getragen. Um die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten im Betrieb zu verbessern, wurden auf staatlicher Ebene verschiedene Gesetze festgeschrieben. Zentrales Gesetz für den betrieblichen Arbeitsschutz ist das ArbSchG, welches durch das ASiG ergänzt wird (vgl. Kapitel 3.2).

Bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen innerhalb eines Jahres schreibt §84 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX) ein betriebliches Eingliederungsmanagement vor. Im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements werden Lösungen erörtert, die Arbeitsunfähigkeit des betroffenen Mitarbeiters zu überwinden und Leistungen sowie Hilfen besprochen, die erneuter Arbeitsunfähigkeit vorbeugen, um den Arbeitsplatz möglichst zu erhalten.

Anders als der gesetzlich geregelte Arbeitsschutz ist die betriebliche Gesundheitsförderung für Unternehmen freiwillig. Die Krankenkassen sind allerdings nach §20b des Sozialgesetzbuches V (SGB V) verpflichtet, Leistungen zur Gesundheitsförderung in Betrieben zu fördern und zu unterstützen. Hierbei arbeiten sie mit den zuständigen Unfallversicherungen und den für den Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörden zusammen.

Wirtschaftliche Aspekte

Zusammenfassend kann der Arbeit eine gesundheitsförderliche Wirkung zugewiesen werden (vgl. Kapitel 3.1). Arbeit bedeutet Existenzsicherung, Teilhabe am sozialen Leben, Identitätsbildung und vieles mehr. Trotzdem existieren im Arbeitsleben eine Fülle von Faktoren, welche gesundheitsschädlich wirken können (vgl. Kapitel 3.1). Zwar tragen die Unternehmen die Kosten für krankheitsbedingte Ausfälle nicht allein, trotzdem kommen Fehlzeiten die Unternehmen teuer zu stehen. Eine Vielzahl von Studien belegt mittlerweile den ökonomischen Nutzen von betrieblicher Gesundheitsförderung. Insbesondere für die zumeist ausgewählten Zielgrößen Krankheitskosten und krankheitsbedingte Fehlzeiten ist ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis nachweisbar. Der IGA-Report 28 zieht elf relevante Reviews in die Betrachtung mit ein, welche einheitlich belegen, dass die betriebliche Gesundheitsförderung ökonomisch rentabel für die Unternehmen ist. Die Aussagen zum ökonomischen Nutzen allgemein stützen sich dabei auf Metaanalysen von Chapman (2012), Steinke & Badura (2011), Cancelliere et al. (2011) sowie Baicker et al. (2010). Einige der einbezogenen Studien beziehen zusätzlich zu den Krankheitskosten und den krankheitsbedingten Fehlzeiten die Produktivität in ihre Betrachtung mit ein. Hier ist jedoch ein deutlicher Mangel an entsprechenden Methoden zur Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Gesundheit und Produktivität erkennbar (Initiative Gesundheit und Arbeit, 2015). Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat in ihrer Broschüre „Mit Sicherheit mehr Gewinn - Wirtschaftlichkeit von Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit“ eine Kosten-Nutzen-Tabelle von Gesundheit und Sicherheit (Demmer, 1992, zitiert nach BAuA, 2007, S. 19) abgebildet (s. Tab. 1).

Tab. 1: Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen von Gesundheit und Sicherheit (modifiziert nach Demmer, 1992, zitiert nach BAuA, 2007, S. 19)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1 stellt die betriebswirtschaftlich relevanten Aspekte von Gesundheit und Sicherheit dar. Bereits 1992 betrachtet Demmer (1992, zitiert nach BAuA, 2007) neben dem direkten (Krankheitskosten und krankheitsbedingte Fehlzeiten) und indirekten (Produktivität) Nutzen von betrieblicher Gesundheitsförderung den nicht monetarisierbaren Nutzen. Dieser bezieht sich beispielsweise auf die Arbeitszufriedenheit, die Motivation, das Wohlbefinden, das Betriebsklima sowie die Arbeitsmoral, die Kommunikation und auf Kompetenzen zur Stressbewältigung. Diese sogenannten „weichen“ Faktoren tragen ebenfalls in einem hohen Maße zum Erfolg eines Unternehmens bei. Neben einer Erhöhung der Produktivität (Lück, Eberle & Bonitz, 2008) spielen das Human- und Sozialkapital eine große Rolle für das Image des Unternehmens und schaffen Wettbewerbsvorteile. Sowohl harte als auch weiche Faktoren zeigen demnach Handlungsansätze für die Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements auf.

Demografische / strukturelle Aspekte

Der demografische Wandel stellt die Unternehmen vor neue Herausforderungen und ist ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Entscheidung, die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter zu stärken. Die Erwerbstätigkeit älterer Menschen nimmt immer weiter zu. Waren 2005 noch 28 Prozent der 60 bis 64jährigen erwerbstätig, so gingen 2014 bereits 52 Prozent dieser Altersgruppe einer Erwerbstätigkeit nach. Im Alter zwischen 65 und 69 arbeiteten 2014 immerhin noch 14 Prozent, wohingegen 2005 nur sechs Prozent dieser Altersgruppe einer Beschäftigung nachgingen (Statistisches Bundesamt, 2015).

Während ältere Arbeitnehmer früher als Belastung galten, wächst ihre Bedeutung zu Zeiten des demografischen Wandels und des damit einhergehenden sinkenden Arbeitskräftepotentials enorm. Verstärkt wird dies durch den zunehmenden Fachkräftemangel (Urbach & Ahlemann, 2016). Auf politischer Ebene ist eine Neuorientierung beispielsweise durch den Wechsel von Frühverrentungen hin zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit („Rente mit 67“) sichtbar (Hüther & Naegele, 2013). Tendenziell kann mit zunehmendem Alter ein Anstieg von Belastungen und Beschwerden beobachtet werden (Zok, 2010; Burr, Kersten, Kroll & Hasselhorn, 2013). Dies verschärft die Herausforderungen für Unternehmen, die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter möglichst lange zu erhalten.

Burr et al. (2013) untersuchen den Zusammenhang zwischen Alter, Gesundheit und Berufsgruppen. Sie konstatieren, dass zwischen den verschiedenen Erwerbsgruppen große gesundheitliche Unterschiede bestehen. Die Unterschiede steigen mit zunehmendem Alter. Insbesondere sind ältere Beschäftigte mit geringer Qualifikation und manuellen Tätigkeiten von einem schlechten Gesundheitszustand betroffen.

Neben der steigenden Bedeutung des Erhalts der Arbeitsfähigkeit bis zur Rente aus Arbeits- und Fachkräftemangel bietet die Beschäftigung älterer Mitarbeiter weitere Vorzüge. Ältere Mitarbeiter spielen eine herausragende Rolle im Sozialkapital des Unternehmens. Sie verfügen über langjährige Erfahrung im Unternehmen, strahlen Gelassenheit aus und übernehmen oftmals mediatisierende Tätigkeiten (Kistler, Ebert, Guggemos, Lehner, Buck & Schletz, 2006). Eine langfristige Verfügbarkeit des Personals, geringer werdende Frühverrentungsmöglichkeiten sowie der Erhalt von Wissen und Erfahrung im Unternehmen zeigen die Bedeutung für die Investition der Unternehmen in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter auf. Diese sollte jedoch nicht erst im Alter beginnen. Wird rechtzeitig in die Gesundheit der Mitarbeiter investiert, ihnen Wertschätzung und Vertrauen entgegengebracht, so wird die Selbstwertschätzung der Beschäftigten gefördert. Dies begünstigt einen schonenden, nachhaltigen Umgang mit der eigenen Gesundheit. Idealerweise wirkt so ein Zusammenspiel aus betrieblicher Gesundheitsförderung und individuellem Gesundheitsbewusstsein (Kistler et al., 2006).

Der Ansporn der Unternehmen, in die Sicherheit und Gesundheit seiner Beschäftigten zu investieren, ist also vielfältig und oftmals aus einem Zusammenspiel mehrerer Faktoren begründet. Die nachfolgende Tabelle (Tab. 2) stellt die Handlungsansätze überblicksartig dar.

Tab. 2: Handlungsansätze für ein BGM (eigene Darstellung, modifiziert nach Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement, 2010)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.2 Atypische Beschäftigung

Das vorherrschende Beschäftigungsverhältnis in den 1920er bis 1980er Jahren war in Deutschland das Normalarbeitsverhältnis. Auch heute dominiert diese Beschäftigungsform weiterhin, allerdings gewinnen atypische Beschäftigungsverhältnisse zunehmend an Bedeutung und drohen damit typisch zu werden.

3.2.1 Definition, Entwicklung und Merkmale atypischer Beschäftigung

Atypische Beschäftigung definiert sich aus einer Abgrenzung gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis, beziehungsweise dessen zentralen Eigenschaften.

Normalarbeitsverhältnisse sind gekennzeichnet durch eine Vollzeittätigkeit oder eine Teilzeittätigkeit mit mehr als 20 Wochenarbeitsstunden, einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis, der Integration in die sozialen Sicherungssysteme, sowie der Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis.

Atypische Beschäftigungsverhältnisse werden dementsprechend durch Befristung, Teilzeitbeschäftigung mit 20 oder weniger Stunden, Zeitarbeitsverhältnis oder geringfügigem Beschäftigungsverhältnis gekennzeichnet und inkludieren neben Teilzeitbeschäftigungen und geringfügige Beschäftigungen auch befristete Beschäftigungen sowie die sogenannte Zeitarbeit, auch Leiharbeit oder Arbeitnehmerüberlassung genannt (Statistisches Bundesamt, 2008).

1994 lag der Anteil atypisch Beschäftigter bei rund 14%, seitdem ist er auf 21,5% im Jahr 2014 gestiegen, die Zahlen sind jedoch seit 2011 leicht rückläufig. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass im Jahr 2014 von den 35,9 Millionen Erwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren, die sich nicht mehr in Bildung oder Ausbildung befanden (sogenannte Kernerwerbstätige), rund 24,5 Millionen Personen in einem Normalarbeitsverhältnis und etwa 7,5 Millionen in einem atypischen Arbeitsverhältnis beschäftigt waren. Am häufigsten vertreten ist hier die Teilzeitbeschäftigung mit maximal 20 Wochenstunden (4,9 Millionen Personen), gefolgt von befristeten Arbeitsverhältnissen (2,5 Millionen Personen) und geringfügigen Arbeitsverhältnissen (2,3 Millionen Personen). Ein Zeitarbeitsverhältnis hatten im Jahr 2014 etwa 700.000 Personen (Bundeszentrale für politische Bildung, 2016).

Personen, welche atypisch beschäftigt sind, weisen bestimmte Merkmale in besonderer Häufigkeit auf. Insgesamt kann festgehalten werden, dass Personen mit keinem oder niedrigem Berufsabschluss häufiger atypisch beschäftigt sind als Personen mit hoher beruflicher Qualifikation. Mehr als ein Drittel der Erwerbstätigen ohne anerkannte Berufsausbildung waren 2014 atypisch beschäftigt (36%). Im Gegensatz dazu machte der Anteil unter allen Erwerbstätigen gut ein Fünftel (21%) aus. Hochqualifizierte Erwerbstätige waren im gleichen Jahr nur zu 14 % atypisch beschäftigt. Dabei waren sie meist befristet oder in Teilzeit bis 20 Wochenstunden beschäftigt, während sich Geringqualifizierte in allen Formen atypischer Beschäftigung überdurchschnittlich häufig wiederfinden lassen. Werden zusätzlich das Alter und die Staatsangehörigkeit betrachtet, so lässt sich konstatieren, dass der Anteil atypisch Beschäftigter in der Gruppe der jungen Arbeitnehmer mit niedriger beruflicher Qualifikation und einer Herkunft aus Nicht-EU-Staaten am höchsten ist (40% im Jahr 2007).

Noch heute ist die atypische Beschäftigung geprägt von einem Frauenüberschuss. Fast 40% der abhängig beschäftigten Frauen befanden sich im Jahr 2007 in einer atypischen Beschäftigung, während der Anteil der atypisch Beschäftigten unter den Männern bei 14% lag (Bundeszentrale für politische Bildung, 2016; Statistisches Bundesamt, 2008).

3.2.2 Atypische Beschäftigung und Prekariat

Durch die Veränderungen des Arbeitsmarktes wächst, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, die Anzahl atypischer Beschäftigungen. Bewegt sich die Arbeit damit an den riskanten prekären Rand der Gesellschaft (Promberger, 2012)?

Atypische Beschäftigungsverhältnisse gehen für die Beschäftigten nicht selten mit einer Verminderung von Sicherheiten, vermehrten Risiken sowie erhöhten Ansprüchen an Flexibilität, Mobilität und Anpassungsfähigkeit einher. Unsicherheiten und fehlende Stabilität wirken oftmals als Belastung auf die Beschäftigten, selten wird dies als Chance wahrgenommen.

Prekäre Arbeitsverhältnisse

Es existiert bislang keine einheitliche Definition, welche Arbeitsverhältnisse als prekär gelten und welche nicht. Unterschiedliche Merkmale lassen jedoch auf das Vorliegen prekärer Arbeitsbedingungen schließen. Zu den wichtigsten Faktoren zählen geringe Löhne, welche dauerhaft nicht zur alleinigen Existenzsicherung ausreichen sowie Beschäftigungsinstabilität und damit einhergehende Arbeitsplatzunsicherheit. Weiterhin sind gesundheitsschädliche Arbeitsplatzbedingungen, verminderte Integration und Identifikation zu nennen (Siemund, 2013).

Eine Studie von Brehmer und Seifert (2008) untersucht auf Datenbasis des Sozio-ökonomischen Panels, ob atypische Beschäftigungsverhältnisse größere soziale Risiken bergen als das Normalarbeitsverhältnis. Dabei wurden befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung und Leiharbeit dem Normalarbeitsverhältnis gegenübergestellt und auf die Merkmale Lohn, Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung und Beschäftigungsstabilität hin analysiert. Insgesamt bekräftigen die Ergebnisse die Annahme, dass atypische Beschäftigungen vermehrt mit sozialen Risiken einhergehen als Normalbeschäftigungen. Insbesondere niedrigere Löhne sind bei allen Gruppen der atypisch Beschäftigten zu verzeichnen. Bei den befristeten Beschäftigungsverhältnissen sowie den Zeitarbeitsverhältnissen kommt zusätzlich der Faktor des Risikos der Beschäftigungsstabilität hinzu. Teilzeitkräfte und geringfügig Beschäftigte hingegen haben oftmals verminderten Zugang zu Weiterbildungsangeboten.

Jedoch kann dies nicht verallgemeinert betrachtet werden. Insgesamt bestehen Unterschiede zwischen den einzelnen Formen atypischer Beschäftigung. Keineswegs sind diese per se prekär und Normalarbeitsverhältnisse sind nicht zwangsläufig frei von Prekariat (Brehmer & Seifert, 2008).

Auch das Statistische Bundesamt (2008) kommt zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen atypischen und prekären Arbeitsverhältnissen besteht, diese jedoch nicht gleichzusetzen sind. Zusätzlich zu den oben genannten Kriterien sind bei der Einstufung als prekär die persönlichen Lebensumstände zu berücksichtigen. Auch die eigene Einschätzung, ob ein Arbeitsverhältnis als prekär eingeschätzt wird, ist individuell sehr unterschiedlich (Siemund, 2013). Das empirische Ausmaß der atypischen und prekären Beschäftigung ist demnach noch nicht abschließend geklärt (Promberger, 2012).

3.3 Zeitarbeit

In den folgenden Kapiteln wird zunächst das Instrument der Zeitarbeit definiert und die Entwicklung sowie der aktuelle Stand in Deutschland aufgezeigt (Kapitel 3.5.1). Die gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz in der Zeitarbeit finden in einem gesonderten Kapitel Platz (Kapitel 3.5.2). Anschließend werden drei Studien zum Thema Zeitarbeit in Deutschland vorgestellt, welche die volks- und betriebswirtschaftliche Relevanz des Instrumentes Zeitarbeit untersucht haben, um die Bedeutung des Instrumentes für die Entleihunternehmen darzustellen (Kapitel 3.5.3). Belastungen und Beanspruchungen für Zeitarbeitnehmer werden herausgearbeitet (Kapitel 3.5.4), bevor abschließend der Arbeits- und Gesundheitsschutz für Zeitarbeiter aus Sicht der Entleihunternehmen dargestellt wird (Kapitel 3.5.5) und die ersten umgesetzten Projekte vorgestellt werden (Kapitel 3.5.6).

3.3.1 Zeitarbeit in Deutschland

Eine besondere Form der atypischen Beschäftigung stellt die Arbeitnehmerüberlassung dar. Anstelle des Begriffes „Arbeitnehmerüberlassung“ werden häufig die Synonyme „Zeitarbeit“ oder „Leiharbeit“ verwendet. Leiharbeit ist der juristisch korrekte Begriff und beschreibt den „Verleih“ der Arbeitskraft. Zeitarbeit hingegen bezieht sich auf die zeitlich begrenzte Dauer der Arbeitseinsätze in den Entleihunternehmen und wird von Personaldienstleistern und Arbeitnehmern bevorzugt (Rigotti & Galais, 2011). In dieser Arbeit werden die drei Begriffe „Arbeitnehmerüberlassung“, „Leiharbeit“ und „Zeitarbeit“ synonym verwendet.

Die Zeitarbeit wird definiert als „betriebliche Überlassung von Beschäftigten an Dritte zum Zweck der Arbeitsleistung in sämtlichen Branchen (außer Bauhauptgewerbe). Entleiher ist das Unternehmen, das den Zeitarbeitsbeschäftigten entleiht und somit die Arbeitskraft nutzt, Verleiher das Unternehmen, das den Beschäftigten verleiht“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), 2014a, S. 5).

Vertragliche Besonderheiten der Zeitarbeit, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

Vertraglich unterscheidet sich die Leiharbeit in ihren Rechten und Pflichten nicht von anderen Arbeitsverträgen, mit dem Unterschied, dass das Verleihunternehmen, also der Arbeitgeber, berechtigt ist, seine Mitarbeiter an Dritte zu überlassen (Bundesagentur für Arbeit (BA), 2015). Die Zeitarbeit ist demnach charakterisiert durch eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Verleihunternehmen, dem Entleihunternehmen und dem Zeitarbeitnehmer (Promberger, 2012). Der Vertrag wird zwischen Verleihunternehmen und Arbeitnehmer geschlossen, die Leistung jedoch im Entleihunternehmen erbracht, welches den Verleiher für den Einsatz der Arbeitskraft bezahlt (Promberger, 2012). Der Verleiher übernimmt sämtliche Sozialleistungen als Arbeitgeber. Verleiher und Entleiher sind gemeinsam für den Arbeitsschutz zuständig (BMAS 2014a).

Insbesondere in Zeiten längerfristigen Marktungleichgewichtes ist die Nachfrage nach Zeitarbeitskräften hoch. Neben der oben erwähnten Dreiecksbeziehung wird die Zeitarbeit von einigen kritisch zu betrachtenden Merkmalen geprägt. So ist trotz gesetzlich verankerter Regelungen (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), Fassung vom 03.02.1995, zuletzt geändert am 18.07.2016) (vgl. Tabelle 3) das Einkommen der Leiharbeiter im Verhältnis zur Stammbelegschaft meist geringer. Oftmals verfügen diese zusätzlich über weniger Aus- und Weiterbildungsbeteiligungen als dies in anderen Bereichen üblich ist. Zusätzlich sind die Arbeitsverhältnisse der Leiharbeiter sind in der Regel von kurzer Dauer, was ein deutlich höheres Risiko gegenüber anderen Branchen birgt, gekündigt zu werden (Promberger, 2012).

In Deutschland brauchen Unternehmen, die als Verleihunternehmen agieren möchten, eine Berechtigung der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Seit 1972 ist die Arbeitnehmerüberlassung gesetzlich durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelt. Dieses wurde seither mehrfach modifiziert. Tabelle 3 stellt die wichtigsten Änderungen des Gesetzes seit 1972 übersichtsartig dar (BA 2015, 2016). Am 21. Oktober 2016 wurden weitere Gesetzesänderungen verabschiedet. Die Überlassungshöchstdauer wird ab dem 1. Januar 2017 auf 18 Monate beschränkt, allerdings bestehen hier weiterhin Ausnahmeregelungen für tarifgebundene Unternehmen und Unternehmen, die dem Geltungsbereich eines Tarifvertrags unterliegen. Des Weiteren wird eine Verpflichtung zum Equal Treatment nach neun Monaten festgesetzt: Den Zeitarbeitern müssen nach neun Monaten Arbeitseinsatz im selben Unternehmen, dieselben Arbeitsbedingungen vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihbetriebes gewährleistet werde (Henning, 2016). Grundsätzlich sind die Verleihunternehmen verpflichtet, alle Arbeitgeberpflichten, inklusive der Einhaltung von Arbeitsrecht- und Arbeitsschutzvorschriften, zu erfüllen. Soweit nicht anderweitig im Tarifvertrag geregelt, sind sie weiterhin verantwortlich, den Leiharbeitern die im Entleihbetrieb geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen zu garantieren (§3 Abs. 1). Eine detailliertere Beschreibung der Rechte und Pflichten der Ver- und Entleiher, insbesondere zum Thema Arbeitsschutz und Integration, wird in den nachfolgenden Kapiteln gegeben.

Tab. 3: Reformen und Änderungen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung (modifiziert nach BA, 2016)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Entwicklung der Zeitarbeit in Deutschland

Die Statistik zur Arbeitnehmerüberlassung wurde 2016 umgestellt. Das neue Verfahren ermöglicht es, diese in die Beschäftigungsstatistik zu integrieren. Damit wird ein direkter Vergleich zwischen den Strukturen der Zeitarbeiter und allen Beschäftigten ermöglicht (BA, 2016).

Anzahl und Struktur der Verleihbetriebe

Gleichzeitig mit der gesetzlichen Zulassung der Leiharbeit im Jahr 1972 wurde die Statistik der Arbeitnehmerüberlassung eingeführt. Diese gibt für das Jahr 2003 14.405 Verleihbetriebe, für das Jahr 2008 22.600 Verleihbetriebe an. Diese Daten differieren deutlich zu denen der Beschäftigungsstatistik der BA, welche 2003 7.207 und 2008 15.700 Verleihbetriebe zählt. Die Differenz ist maßgeblich dadurch begründet, dass die BA nur diejenigen Verleihbetriebe erfasst, die ihren wirtschaftlichen Schwerpunkt in der Arbeitnehmerüberlassung haben, die Statistik der Arbeitnehmerüberlassung zählt Betriebe mit Haupt- und Nebenzweck im Verleihgewerbe (Promberger, 2012). Trotz unterschiedlicher Datensätze ist in beiden Statistiken ein deutlicher Anstieg der Anzahl der Verleihbetriebe erkennbar. Insbesondere die Anzahl der größeren Verleihbetriebe, die ihren Hauptzweck in der Arbeitnehmerüberlassung haben, hat sich von 2003 bis 2008 stark erhöht. Trotzdem ist die Verleihbranche hauptsächlich mittelbetrieblich strukturiert, so betreut ein Disponent zwischen 20 und 50 Zeitarbeiter. Um mindestens das Gehalt des Disponenten zu erwirtschaften, liegt die Grenze einer rentablen Betriebsgröße bei mindestens 20 dauerhaft im Einsatz befindlichen Leiharbeitern (Promberger, 2012).

Anzahl der Zeitarbeiter

Auch die Dokumentation der Anzahl der Zeitarbeiter ist nicht immer einheitlich, lässt jedoch trotzdem einen ungefähren Vergleich zu. Waren 1993 im Schnitt etwa 114.000 Zeitarbeiter beschäftigt, so hatte sich diese Zahl bereits nach fünf Jahren verdoppelt. Im letzten Jahr (2015) lag die Zahl der Zeitarbeitnehmer mit 951.000 bei knapp einer Million. Die Entwicklung der Branche ist in hohem Maß von der wirtschaftlichen Situation sowie von rechtlichen Änderungen abhängig. So war, trotz insgesamt steigender Tendenz der Leiharbeiterzahlen, zu Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 ein deutlicher Einbruch zu sehen. Mit der Änderung der Hartz-Gesetze hingegen erfuhr die Branche einen deutlichen Aufschwung.

Der Anteil der Zeitarbeit an der Gesamtbeschäftigung beträgt knapp drei Prozent, wobei der Anteil an den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen deutlich höher ist als der an den geringfügigen Beschäftigungen. Das Gros der sozialversicherungspflichtigen Leiharbeitsverhältnisse sind Vollzeitbeschäftigungen (740.000 im Dezember 2015). Dem standen zum gleichen Zeitpunkt 141.000 teilzeitbeschäftigte Leiharbeitnehmer gegenüber. Relativ gesehen wächst die Zahl der Teilzeitbeschäftigungen jedoch entsprechend der Tendenz aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen auch in der Leiharbeit stärker als die der Vollzeitbeschäftigungen (BA, 2016).

Charakteristika der Zeitarbeitsbranche

Die Zeitarbeitsbranche ist von einer sehr hohen Dynamik geprägt. So wurden im zweiten Halbjahr des Jahres 2015 691.000 neue Arbeitsverhältnisse zwischen Zeitarbeitnehmern und Verleihunternehmen begründet, dies sind sechs Prozent mehr als im zweiten Halbjahr des Vorjahres. Gleichzeitig wurden 717.000 Arbeitsverträge beendet, was einen Anstieg von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Bei Beendigung der Arbeitsverhältnisse waren 31% der Leiharbeiter weniger als einen Monat, 23% zwischen einem und drei Monaten und knapp die Hälfte der Leiharbeiter 3 Monate und länger bei dem Verleihunternehmen beschäftigt. Das Risiko aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung heraus arbeitslos zu werden ist in der Branche der Arbeitnehmerüberlassung demnach überdurchschnittlich hoch. Gleichzeitig ist Zeitarbeit jedoch als Chance zu betrachten in das Berufsleben einzusteigen. 68 Prozent der oben genannten neuen Arbeitsverträge wurden mit Personen begründet, die vorher ohne Beschäftigung waren, jede elfte Beschäftigungsaufnahme von Personen, die vorher ohne Beschäftigung waren, fand in der Zeitarbeit statt (BA, 2016).

Leiharbeit ist also kontrovers zu betrachten – zum einen bietet diese Form der flexiblen Beschäftigung Chancen für Arbeitslose, Berufseinsteiger sowie Berufsrückkehrer in das Arbeitsleben einzusteigen, zum anderen ist durch die hohe Dynamik das Risiko arbeitslos zu werden überdurchschnittlich hoch. Auch aus gesellschaftlicher und politischer Sicht gibt es Kontroversen. Insbesondere für Arbeitsmarktpolitiker birgt die Leiharbeit Hoffnung, Gewerkschaften betrachten diese eher als Bedrohung (Promberger, 2012).

Merkmale der Zeitarbeitnehmer

Geschlecht

Im Gegensatz zum Frauenüberschuss bei der Gesamtheit atypischer Beschäftigungen (vgl. Kapitel 3.4.1) bilden in der Zeitarbeit die Männer die Mehrheit. Insgesamt waren im Dezember 2015 69% der Zeitarbeiter männlich, bei den Beschäftigten insgesamt ist das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen. Der hohe Männeranteil begründet sich hauptsächlich aus dem, trotz des Strukturwandels, vorrangigen Einsatzbereich von Zeitarbeitern in der Branche Verkehr und Logistik, eine Branche, in der die Beschäftigung von Männern dominiert (BA, 2016).

Alter

Die Zeitarbeit hat auch für junge Menschen eine Bedeutung beim Einstieg in das Arbeitsleben. Dies erschließt sich aus der Betrachtung der Altersstruktur von Zeitarbeitern im Vergleich zu allen Beschäftigungen. So ist fast die Hälfte aller Zeitarbeiter jünger als 35 Jahre, während der Anteil unter allen Beschäftigungen etwa ein Drittel ausmacht. Unter den älteren Arbeitnehmern spielt die Zeitarbeit eine geringere Rolle, nur jeder achte Zeitarbeiter ist 55 Jahre oder älter, während bei allen Beschäftigten jeder Fünfte in dieser Altersgruppe liegt (BA, 2016).

Qualifikation

Wie unter allen atypisch Beschäftigten ist auch unter den Leiharbeitern der Anteil derer mit geringem Bildungsniveau vergleichsweise hoch (vgl. Kapitel 3.4.1.). Während 16 % aller Beschäftigten keinen Berufsabschluss besitzen, sind es unter den Leiharbeitern 26%. Akademiker sind mit neun Prozent unter den Leiharbeitern entsprechend selten vertreten (16% bei allen Beschäftigten). Mehr als die Hälfte der Leiharbeiter ging im Dezember 2015 einer Helfertätigkeit nach, insgesamt lag der Anteil der Helfertätigkeiten bei etwa 20%. Umgekehrt war der Anteil der Fachkräfte und derer, die in Experten- oder Spezialistentätigkeiten beschäftigt waren, entsprechend gering (BA, 2016).

Staatsangehörigkeit

Auch die Staatsangehörigkeit scheint in der Leiharbeiterbranche eine Rolle zu spielen. Fast jeder vierte Leiharbeitnehmer besitzt eine ausländische Staatsangehörigkeit, damit ist der Ausländeranteil in dieser Branche mehr als doppelt so hoch wie bei allen Beschäftigten (BA, 2016).

Mit Ausnahme der Geschlechterverteilung entsprechen die Merkmale der Zeitarbeitnehmer in ihrer Gesamtheit also denen der atypisch Beschäftigten insgesamt.

Merkmale der Entleihbetriebe

2008 nutzte laut Promberger (2012) etwa 3,5 Prozent der Betriebe das Instrument der Zeitarbeit. Andere Studien geben hier wesentlich höhere Werte an. So konstatiert eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH (IW Köln, 2011) beispielsweise eine Nutzung des Instrumentes Zeitarbeit in 50% der Unternehmen. Insbesondere große Unternehmen setzen vermehrt auf diese Art der Flexibilisierung. So waren 2008 in nur 2,4% der Kleinbetriebe, jedoch in mehr als 50% der Großbetriebe mit über 500 Mitarbeitern, Zeitarbeiter beschäftigt (Promberger, 2012). Laut IW Köln (2011) beschäftigten in den Jahren 2007 bis 2010 sogar 84% der Großunternehmen Zeitarbeiter. Neben dem Verbreitungsgrad spielt die Nutzungsintensität der Zeitarbeiter eine große Rolle. Sie gibt an, „welcher Anteil der Gesamtbelegschaft eines Betriebes aus Leiharbeiter/inne/n besteht“ (zitiert nach Promberger, 2012, S. 117). Eine Nutzungsintensität von unter fünf Prozent wird als gering, eine Nutzungsintensität von mehr als 20 Prozent als intensiv eingestuft (Promberger, 2006, zitiert nach Sczesny et al., 2008). Die durchschnittliche Nutzungsintensität liegt je nach Quelle bei neun (Lehmann, Gantz & Eichel, 2012) beziehungsweise vier Prozent (IW Köln, 2011).

Branchen

In der Datenerhebung im Dezember 2015 arbeiteten knapp drei von zehn Leiharbeitnehmern in Berufen, die dem Bereich Verkehr, Logistik, Sicherheit und Reinigung zuzurechnen sind. 28 Prozent waren im Bereich Metall und Elektro tätig, sowie 12 Prozent in übrigen Fertigungsberufen und der Landwirtschaft. Die Anteile der übrigen Tätigkeitsfelder bewegen sich im einstelligen Bereich (BA, 2016).

Gründe für die Nutzung der Zeitarbeit

Die Gründe für den Einsatz von Leiharbeitern sind vielfältig. Teilweise werden Zeitarbeitskräfte über Jahre im selben Entleihunternehmen beschäftigt, sodass diese bereits mit einem kostengünstigen flexiblen Personaleinsatz kalkulieren (Siemund, 2013). Laut einer Machbarkeitsstudie, welche im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin durchgeführt wurde (Sczesny et al., 2008), ist der Einsatz von Zeitarbeitern eine Form der Personalpolitik. Zum einen kann der Personalbedarf flexibel an die Auftragslage angepasst werden, zum anderen werden die Lohnkosten reduziert sowie eventuelle Entlassungen der Stammbelegschaft vermieden. Siemund (2013) betont zusätzlich die Umgehung von Rekrutierungskosten sowie die Risikovermeidung durch Fehlzeiten und Minderleistungen als ausschlaggebende Faktoren.

Verschiedene Studien (Flex4Work I, FlexPro, IW Köln und Flex4Work II, zitiert nach Lehmann, Gantz & Eichel, 2012, S. 54), welche im folgenden Kapitel kurz dargestellt werden, zeigen einheitlich, dass der Ausgleich von Nachfrageschwankungen gefolgt von der Beseitigung kurzfristiger Personalengpässe und einer Verringerung des Beschäftigungsrisikos aus Unternehmenssicht an erster Stelle stehen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass aus Unternehmenssicht die Flexibilität sowie der ökonomische Nutzen in Form von Kostenreduzierung wichtige Gründe für den Einsatz des Instrumentes „Zeitarbeit“ bilden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 117 Seiten

Details

Titel
Bedeutsamkeit des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Gesundheitsmanagements in Bezug auf Zeitarbeiter aus Sicht der Entleihunternehmen
Untertitel
(K)eine Zweiklassengesellschaft im Betrieb
Hochschule
Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement GmbH
Note
1,1
Autor
Jahr
2016
Seiten
117
Katalognummer
V357902
ISBN (eBook)
9783668441125
ISBN (Buch)
9783668441132
Dateigröße
1169 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bedeutsamkeit, arbeitsschutzes, gesundheitsmanagements, bezug, zeitarbeiter, sicht, entleihunternehmen, zweiklassengesellschaft, betrieb
Arbeit zitieren
Johanna Roth (Autor:in), 2016, Bedeutsamkeit des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Gesundheitsmanagements in Bezug auf Zeitarbeiter aus Sicht der Entleihunternehmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/357902

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