Zwischen Falsafa und Fundamentalismus. Maimonides in seiner Zeit und heute


Magisterarbeit, 2009

137 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


2
%LVPLnOOKL DUUD¨PQL DUUD¨ªP
0DWWKLDV 6WXPSI
Islamwissenschaft Mtr.N. 4312233
Betr
.
: Prof.
Dennerlein/B. Jokisch
Försterweg
100c
SoSe 2009
22525 Hamburg
Jüdisch-Islamische
Studien
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LQ VHLQHU =HLW XQG KHXWH
Fragestellung
:
Wie
war
das
damalige
Verhältnis
der
Jüdischen
Philosophie
und
des
Judentums
zum
Islam
im
Allgemeinen
sowie
zur
islamischen
Philosophie
im Besonderen, und wie ist es heute?
________________________

3
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in seiner Zeit und heute
Inhalt:
Einleitung
- Vorbemerkung,
Aufbau und
Thema der Arbeit
S.
4
- Kurze Vorstellung der
Person des
Maimonides (M s Ibn Maim n, RaMBa M)
- Vorstellung
der
untersuchten Primärquellen
.
S. 9
- Kurze Geschichte und Beschreibung der jüdischen mittelalterlichen Philosophie S.
12
A. Die jüdische mittelalterliche
Philosophie in ihrer Zeit
1. Das Verhältnis der jüdischen Philosophie zum Islam und zur islamischen
Philosophie S.
29
1.1. Die allgemeine Haltung des mittelalterlichen Judentums zum Islam
1.2. Gemeinsamkeiten zwischen jüdischer und islamischer Philosophie im Mittelalter
S.
38
1.3. Hauptunterschiede S.
42
2. Das Kit b al-Far
·i und Maimonides
'
Konzept eines Jüdischen Staates
S.
49
2.1. Der Inhalt des Kit b al-Far
·i
2.2. Erläuterungen zu einzelnen Mi
¬wot und Aussagen in anderen halakhischen Werken
S.
52
3.
Maimonides
'
Haltung zum Islam und zur islamischen Philosophie
S.
82
3.1. In seinen philosophischen und halakhischen Schriften und seinen Iggerot
3.2. Biographischer Hintergrund und Einbettung in die Zeitumstände
S.
89
B. Die Rezeption der Werke des Maimonides durch den modernen Jüdischen
Fundamentalismus (seit `67)
1 Jüdischer Fundamentalismus ­ Definition und kurze Geschichte
S.
100
1.1. Definition
1.2. Geschichte und wichtigste Gruppierungen
S.
109
2. Die Maimonides-Rezeption des Jüdischen Fundamentalismus
2.1. Die Rezeption des ,Halakhischen Staatskonzepts'
des Maimonides durch
fundamentalistische Gruppierungen
S.
117
¥
Anhang: Eine mögliche Interpretation der Maimonidischen Philosophie
S.
126
Hebräische Wortliste
S.
131
Quellen/Literatur
S.
135
____________________________

4
Einleitung
Vorbemerkung
:
Die Originalsprachen der in dieser Arbeit bearbeiteten Primärquellen sind u.a.
Arabisch
(größtenteils ursprünglich in hebräischer Schrift) und
Hebräisch. Die Umschrift der Worte aus
diesen beiden Sprachen folgt im Wesentlichen den Regeln der Deutschen Morgenländischen
Gesellschaft (DMG):
D h
die Umschrift der hebräischen Buchstaben entspricht der der
analogen arabischen Buchstaben,
z.B.
=
z,
=
¨,
=
¬,
=
s. Das ohne Punkt gebe ich
mit kh, das
ohne Punkt
durch
v
wieder.
Die Alphabete entsprechen sich wie folgt:
¾
(
J
)
Zur Wiedergabe der arabischen Buchstaben ,
,
,
,
,
,
und mit hebräischen
Buchstaben
(bei der Wiedergabe judäo-arabischer Texte) dienen , , , , , ,
u
.
.
-
Lediglich im Deutschen bereits allgemein gebräuchlich gewordene Worte wie etwa Koran, Islam,
Thora etc
.
werden nicht jedes Mal in der wissenschaftlichen Transkription wiedergegeben.
,FK EHUVHW]H GLH MXGlRDUDELVFKHQ XQG KHEUlLVFKHQ 7H[WH DXV GHQ 3ULPlUTXHOOHQ VRZHLW LFK GLH
RULJLQDOVSUDFKOLFKHQ =LWDWH HEHQIDOOV ZLHGHUJHEH MHZHLOV QHX LQV 'HXWVFKH $XV GHU 6HNXQGlUOLWHUDWXU
EHUQRPPHQH 7H[WSDVVDJHQ QXU GHXWVFK ZLHGHUJHJHEHQ ]LWLHUHQ GDJHJHQ GLH hEHUVHW]XQJHQ LQ
GLHVHQ :HUNHQ OHGLJOLFK LQ GHU 5HFKWVFKUHLEXQJ DQJHSDVVW VLQG DOVR QLFKW DXV GHQ 2ULJLQDOTXHOOHQ
GLUHNW EHUVHW]W
Thema und Aufbau der Arbeit
:
Die Arbeit soll aus zwei Hauptteilen A und B bestehen. Hauptteil A befasst sich mit
mittelalterlicher jüdischer Philosophie im Allgemeinen und den philosophischen und
halakhischen Werken des Maimonides im Besonderen.
Teil B befasst sich dagegen mit modernem jüdischem Fundamentalismus ab der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Weitere Einzelheiten sind der vorangestellten Gliederung zu entnehmen.
Die Verknüpfung zwischen beiden Hauptteilen bzw. Themenbereichen wird durch die
Rezeption der Werke des Maimonides durch zeitgenössische jüdische Fundamentalisten
hergestellt, die diese u.a
.
zur Stützung ihrer Forderung nach einem halakhischen Staat (einer
auf dem jüdischen Religionsgesetz, der Halakha (
) beruhenden Staatsordnung) einsetzen.
Es folgt ein Anhang mit einer Liste hebräischer Begriffe
etc.
______________________________

5
Kurze Vorstellung der Person des
Maimonides
1
'ass der wohl bekannteste jüdische Philosoph des Mittelalters, Moses Maimonides (
1135-
1204
), als Thema für diese islamwissenschaftliche Arbeit gewählt wurde, hat den Grund, dass
Maimonides wie wohl nur wenige jüdische Einzelpersönlichkeiten einen gewaltigen Einfluss
auf das jüdisch-islamische Verhältnis ausgeübt hat und z.T. durch seine Wirkungsgeschichte
noch immer ausübt. Die Gründe für diese große Wirkung sind darin zu suchen, dass
Maimonides nicht nur ein Philosoph (wofür er in der nichtjüdischen Welt vor allem bekannt
ist), sondern auch ein herausragender Halakhist
war ­ und zwar ein ganz außergewöhnlich
systematischer Denker auf diesem Feld, dessen Hauptwerk auf dem Gebiet der Halakha (des
jüdischen Rechts), die Misne
Tora (
hebr
.
,,Wiederholung der Thora"), dementsprechend auch
nach logischen Kriterien gegliedert und nach Themengebieten geordnet ist.
Dies ist deshalb eine große Ausnahme, weil es ansonsten vielfach üblich war, dass die Werke
jüdischer Rechtsgelehrter entweder als Kommentare bzw. Superkommentare früherer Werke
angelegt waren bzw.
in ihrem Aufbau der Anordnung der Ordnungen und Traktate des
Talmud
folgten (was einen sehr unübersichtlichen Aufbau bedingt).
2
Zudem ist Maimonides
eine der ganz wenigen Autoritäten, die sich ausführlich mit den mit einem jüdischen
Staatswesen zusammenhängenden halakhischen Fragen beschäftigt haben. Diese Fragen
waren seit der Zerstörung des Zweiten Tempels nicht mehr von praktischer Bedeutung, und in
den üblichen Rechtswerken, die sich häufig aus Antworten (T
e
suvot)
3
auf Rechtsfragen
zusammensetzten, wurden in erster Linie Fragen bezüglich der aktuell praktizierbaren
halakhischen Vorschriften behandelt.
[Dies sind ­ gemäß Maimonides' Sefer ha-Mi
¬wot (Buch der
Gebote)
­
nur etwa 260 der insgesamt 613 Gebote und Verbote der Thora
.
]
Maimonides nahm nun das Ansinnen auf sich, eine umfassende Darstellung ­ nach
verständlichen Kriterien gegliedert ­ der Gesamtheit der Gebote der jüdischen Religion, wie
sie in Schriftlicher und Mündlicher Thora offenbart und dargelegt seien, vorzulegen. Er
äußerte sich sowohl in den beiden halakhischen Werken Sefer ha-Mi
¬wot und Misne
Tora als
auch in verschiedenen kleineren Sendschreiben (Iggerot) auch recht ausführlich zum Thema
Islam; und zwar ohne dass diese Stellen lediglich vereinzelt in unübersichtliche Sammlungen
von T
e
suvot zu allen möglichen Themenbereichen eingestreut wären wie bei vielen anderen
halakhischen Autoritäten. Nicht zuletzt aufgrund der immensen Strahlkraft, die der Name
,,RaMBaM" wegen der durch ihn ausgelösten Revolutionierung des jüdischen Denkens im
1
Basierend u.a.
auf der Einleitung
von Johann Maier in Mose ben Maimon,
Führer der Unschlüssigen (Übers.
Adolf
Weiss),
Hamburg 1995, Grözinger, Jüd.
Denken, S.
431ff. sowie dem Artikel in der Encyclopedia Judaica, MAIMONIDES, MOSES.
2
Dieser radikale Bruch mit den üblichen Gepflogenheiten trug
nicht unerheblich zu dem Widerstand gegen die Person und
Anschauungen
des
Maimonides durch traditionalistischen
Kreise bei,
zumal
er in seiner
halakhischen Darstellung meist
auf
die Zitierung von der Mehrheitsposition abweichender rabbinischer Meinungen verzichtete.
3
Diese waren in ihrer Funktion analog einer islamischen Fatw .

6
jüdischen Bewusstsein gewonnen hat,
ist deshalb seine Wirkungsgeschichte auch zu den
Themenbereichen ,,Islam" und ,,Jüdischer Staat" eine bedeutende.
Durch den Nahostkonflikt und den in seinem Verlauf entstandenen jüdischen
Fundamentalismus
hat die Verbindung dieser beiden Themenbereiche eine ganz neue,
zur
Zeit des Maimonides so nicht existente Brisanz erlangt
(die ich im Hauptabschnitt B.
meiner Arbeit behandeln möchte).
Maimonides
'
Wichtigkeit in diesen Punkten ist nun
wegen der auch heute noch unverändert großen Ausstrahlung seines Namens
4
eine nicht
geringe, wobei die ausgeübte Wirkung wegen seiner rationalistischen Tendenzen
bis zu einem
gewissen Grad eine zwiespältige ist:
Einerseits ist eine gegen extrem irrationale religiöse
Tendenzen gerichtete Rezeption, andererseits seine Heranziehung durch Fundamentalisten zu
beobachten. Dabei wird eine Kombination beider Aspekte keineswegs notwendigerweise als
Widerspruch empfunden, vielmehr kann ersterer Punkt dazu dienen, einen zivilisatorisch hoch
stehenden Charakter der jeweiligen fundamentalistischen Anschauungen apologetisch zu
untermauern (
so z.B. auch zur Demonstration der behaupteten totalen Gegensätzlichkeit zum ­
philosophische Gedanken radikal ablehnenden ­ islamisch-wahhabitischen Fundamentalismus
).
,,Maimonides" ist die griechische Form des Namens (
die Bedeutung ist ,,Sohn des Maimon"
),
wie sie bei seinen christlichen Rezipienten üblich wurde. Im jüdischen Kontext ist diese
Namensform dagegen
gebräuchlich, sondern entweder der volle Name ,,(Rabbi) Mose
ben Maimon" oder aber die (wie für bekannte rabbinische Gelehrte üblich) Abbreviatur
,,RaMBaM"
(
), die aus den Anfangsbuchstaben des erwähnten vollen Namens
zusammengefügt ist. Andere nach demselben Prinzip gebildete bekannte Kürzel sind z.B.
,,RaMBaN"
für Rabbi Mose ben Na
¨man (Nachmanides) oder ,,Ra
S
I
" für Rabbi Slomo ben
J
L¬aqi (Raschi), den bekannten Bibelkommentator. Der Name ,,Mose ben Maimon" ist
wiederum die hebräisierte Form des arabischen Namens M s Ibn Maim n , den er aufgrund
des Beinamens seines Vaters erhielt (der Beiname ,,Maim n" nahm schließlich fast den
Charakter eines ,,Familiennamens" an, da auch der Sohn und der Enkel des RaMBaM dessen
Amt als Führer der ägyptischen Judenheit fortführten und bekannte Gelehrte mit diesem
Beinamen wurden).
Die Bedeutung des Namens ,,Maim n" hat mit der Glück verheißenden
,,rechten Seite" (
) zu tun.
Auf die Einzelheiten der Biographie des RaMBaM werde ich erst in späteren Kapiteln
eingehen (
besonders
A.
3.2.
),
daher hier nur die elementarsten Grundinformationen.
4
Wegen dieses extrem hohen Ansehens seines Namens scheuen sich heute selbst in einer dezidiert ,,antimaimonistischen"
Traditionslinie stehende Bewegungen wie etwa die chassidische Chabad-Bewegung nicht, ihre Argumentation mit Zitaten
des RaMBaM
zu begründen.
(Außerdem existiert die fromme Legende, Maimonides habe sich im Alter der Kabbala zu-
gewandt.)

7
Geboren vermutlich
1135
im
andalusischen
Córdoba, verließ
er
das islamische
Spanien
im
Alter
von
etwa 13 Jahren mit seiner Familie. Die Familie siedelte zunächst auf das
maghrebinische Festland über und unternahm nach einigen Jahren eine Pilgerreise zu den
jüdischen heiligen Stätten nach Palästina, das damals von den Kreuzrittern besetzt war. Aus
diesem Grund hielten sie sich dort nicht länger als einige Monate auf, sondern siedelten sich
im (anfangs
noch f
®imidischen, später dann
·ayy bidischen) Ägypten an (ca
.
1165). Die
rabbinische Ausbildung erhielt Maimonides anscheinend von seinem Vater. Später (nach dem
Tod des Vaters und Bruders) übte er die Tätigkeit eines Leibarztes für den Wesir des
ägyptischen
«ul® ns ­ des berühmten Saladin («al ¨
ud-d n) ­ aus, führte zusätzlich eine
allgemeine Arztpraxis und nahm darüber hinaus die Stellung eines Führers der gesamten
ägyptischen Judenheit und des Vertreters derselben am Hof des
«ul® ns ein. Diese Tätigkeiten
übte er bis zu seinem Tode in Fustat
(Alt-Kairo) 1204 aus. Nebenher verfasste er zudem noch
seine zahlreichen Schriften:
Sein philosophisches Hauptwerk ist der ,,Führer der Verwirrten" (Dal la al-
§
·ir n). Vorher
verfasste er bereits auf Arabisch einen Kommentar zur Misna (dem hebräischen Teil des
Talmud, der als Tradition sinngemäß durch mündliche Überlieferung auf Offenbarung an
Mose am Sinai zurückgeführt wird
5
). Dieser Kommentar trägt auf Arabisch den Namen Kit b
as-Sir
÷ (Buch der Leuchte). Im Besonderen im Kommentar zum Abschnitt X (
§
äleq) des
Traktats Sanhedrin
nimmt er eine dogmatische Zusammenstellung der jüdischen Glaubens-
lehren vor, enthaltend die sog. 13 Iqq rim
(
Glaubensgrundsätze
)
. Diese sind heute in einer
stark verkürzten hebräischen Version Teil des jüdischen Gebetbuchs.
Die beiden wichtigsten halakhischen Werke sind die schon erwähnte hebräisch verfasste
Misne Tora (auch Jad ha-
¨azaqa, die ,,Starke Hand" genannt ­ die Buchstaben des Wortes
Jad, und , bilden das Zahlzeichen für ,,14", die Zahl der Abschnitte, in die das Werk
eingeteilt ist) und das ursprünglich arabisch geschriebene ,,Buch der Gebote" (
arab
. Kit b al-
Far
·i,
hebr
. Sefer ha-Mi
¬wot). In ersterem behandelt er thematisch gegliedert sämtliche
talmudischen Gesetze, wobei er allerdings jeweils nur die von ihm favorisierte Entscheidung
anführt (ein schwerwiegender Kritikpunkt), im ersten Teil, dem Sefer
ha-Madda
(Buch der
Erkenntnis) nimmt er u.a.
eine systematische Darstellung der fundamentalen Lehren der
Thora nach seinem Verständnis vor.
Das Sefer ha-Mi
¬wot enthält dagegen eine exakte Auflistung der 248
positiven Gebote sowie
der 365 negativen Verbote der Thora (zusammen 613) gemäß der Auffassung des RaMBaM
samt der Beschreibung ihres Inhalts.
5
In ihrer Funktion ist die Misna damit der islamischen sunna analog, tatsächlich haben beide Begriffe sogar dieselbe
Wortbedeutung.

8
'iejenigen Abschnitte (Ge-
und Verbote) dieses Werkes, die für das Verhältnis zu
nichtjüdischen Religionen (besonders dem Islam), den Tempelkult sowie den Aufbau eines
Jüdischen Staates von Bedeutung sind, sollen als eine der Hauptgrundlagen für die
Untersuchungen im Abschnitt A.
2.
dienen, wobei gegebenenfalls der arabische Urtext und die
(ungleich einflussreichere) hebräische Übersetzung verglichen werden
sollen.
Die
medizinischen Schriften
und einige kurze Abhandlungen (z.T. unklarer Authentizität)
sind für die hier untersuchte Thematik von keinem bzw. geringem Belang. Dagegen sind das
erste (
s.o.
,
die Abschnitte
+LONKRW $YRGD = UD
und
+LONKRW 7HäXYD) sowie das letzte Buch (Sefer
Sof
H
®im;
enthält das Kapitel ,,Königs- und Kriegsrecht"
+LONKRW
0HODNKLP X0LOFKDPRW) der
Misne Tora für das Thema von bedeutendem Interesse. Letztlich hat Maimonides auch noch
einige kürzere Sendschreiben (Iggerot) verfasst, die bezüglich des Verhältnisses zum Islam
von großer Bedeutung sind:
Iggeret ha-S
e
mad (Brief über den Abfall
[zum Islam]
) sowie
Iggeret T man (Brief nach Jemen). Dasselbe gilt für einige seiner T
e
suvot (Responsen).
_________________________
Hier eine nach der wahrscheinlichen Abfassungszeit geordnete chronologische Liste der
erwähnten Werke
6
:
1160/64 Iggeret ha-S
e
mad
1158-68
Misna-Kommentar
(K.
as-Sir
÷)
1172 Iggeret T man
zw
.
1170/80
Kit b al-Far
·i (1172?)
1170-80
Misne Tora
1180-91 Dal la al-
§
·ir n
1191
Ma
·amar Te¨ijjat ha-M tim
(Traktat über die Auferstehung)
_________________________
6
Nach der Einleitung
von Johann Maier
in: Mose ben Maimon,
Führer der Unschlüssigen (Übs.
Adolf
Weiss), Hamburg
1995, S.
LXXI. Es existieren bei anderen Autoren z.T. auch leicht abweichende Datierungsvorschläge.

9
Vorstellung der untersuchten Primärquellen
Die wichtigste im ersten Teil
(A.) dieser Arbeit bearbeitete Primärquelle ist das arabische
Original des Sefer ha-Mi
¬wot, des Buches der Gebote (
arab
.
Kit b al-Far
·i
).
Maimonides
schloss eine erste Fassung des Buches der Gebote vermutlich etwa im Jahre 1170 ab. An
dieser Fassung orientierte sich eine erste hebräische Übersetzung von Abraham Ibn
§
asdai,
die der berühmte Bibelkommentator und Kabbalist Nachmanides (R. Mose ben Na
¨
man
Gerondi RaMBaN) bei seinen Einwendungen gegen dieses Werk heranzog.
In späteren Jahren (bis ca. 1180) unternahm Maimonides jedoch eine Revision des arabischen
Textes, offenbar um ihn mit seinem halakhischen
Hauptwerk
Misne Tora
abzustimmen.
Diese revidierte Fassung wurde zur Grundlage zweier weiterer hebräischer Übersetzungen,
von denen diejenige von Mose Ibn Tibbon später in der jüdischen Welt eine ,,klassische"
Stellung von weitaus größerer Bekanntheit als das arabische Original erreichte. Aufgrund
verschiedener Mängel dieses Textes (stilistischer Art sowie im Laufe der Zeit angehäufte
Textfehler) erarbeitete der jemenitische Rabbiner Josef Q fi
¨
eine neue hebräische Über-
setzung aus dem jüdisch-arabischen Original (das im Yemen noch ausgiebige Verwendung
gefunden hatte, was auch für die israelisch-jemenitische Gemeinschaft gilt).
8
Diese Über-
setzung, der er handschriftliche Manuskripte zugrundelegte, veröffentlichte er 1964 Seite an
Seite mit dem jüdisch-arabischen Originaltext für das Zentrum des Rav Kook. Diese modern-
hebräische Übersetzung hat seither in Israel (vor allem in Nachdrucken nur des hebräischen
Textes) weite Verbreitung gefunden. Der Rabbiner Charles B.
Chavel legte 1940 (1967
2
) die
Übersetzung von Ibn Tibbon seiner englischen Übersetzung
9
zugrunde, die ebenfalls für diese
Arbeit herangezogen wurde. Es soll von mir an einigen wenigen inhaltlichen Schlüsselstellen
auch ein Vergleich des jüdisch-arabischen Originals mit der hebräischen Übersetzung vor-
genommen werden.
Eine neuere Auflage des genannten Werkes von R. Josef Q fi
¨
von 1971 dient als die
hauptsächliche Primärquelle für diese Arbeit
10
. Als zusätzliche Quelle dient die primär
hebräisch verfasste Misne Tora in einer deutsch-hebräischen Fassung, herausgegeben von E.
Goodman-Thau und Chr. Schulte
11
für das 1
.
Buch (Sefer ha-Madda ), sowie im hebräischen
Original für den letzten Teil des 14. Buches (Sefer
ha-Sof
H
®im:
,,Königs- und Kriegsrecht",
7
Wörtlich:
Buch der
5ã . Es existiert auch eine Variante des Titels .LWE Dv
j
DUnL .
8
Vgl.
Bohnen,
Michael J.: Introduction of Rabbi Yosef Kapach to his edition of
Moses Maimonides
'
Mishneh
Torah,
2002.
9
Rabbi Moshe ben Maimon (R
AMBAM
­ Maimonides), The Commandments. The 613 mitzvoth of the Torah elucidated in
English, Translated by Rabbi C. Chavel, Brooklyn, New York 1967.
10
Rabbi Moshe Ben Maimon
(Maimonides), Sefer Hamitzvot.
Book of Commandments, Arabic Original With New
Translation And Commentary By Rabbi Joseph Kafih, Jerusalem 1971.
11
Maimonides, M.: Mischne Tora ­ Das Buch der Erkenntnis. Hrsg.
v.
E. Goodman-Thau u.
Christoph Schulte.
Berlin 1994.

10
hebr. Hilkhot M
e
lakhim u-Mil
¨amot)
12
. Bei einigen Gelegenheiten wird ferner noch auf
Maimonides
'
philosophisches Hauptwerk Dal la al-
§
·ir n (Arab
.
Original
13
sowie d.
deutsche Übers. von A.
Weiss) zurückgegriffen.
$OV HLQH ZHLWHUH MGLVFKDUDELVFKH 3ULPlUTXHOOH ]LHKH LFK GDV DO.LW E DO¥D]DU YRQ -
H
KXGD
+DOHZL KHUDQ EHVVHU XQWHU GHP KHEUlLVFKHQ 7LWHO 6HIHU KD.X]DUL EHNDQQW
14
Das Buch der Gebote bzw.
Kit b al-Far
·i
ist ursprünglich in Judäo-Arabisch
abgefasst. So
bezeichnet man die spezifisch jüdischen Dialekte des mittelalterlichen Arabisch. Sie zählen
zum so genannten Mittelarabisch, d.h. erreichten nicht ganz das Niveau des klassischen
Hocharabisch. Vielmehr wiesen sie auch dialektale Elemente, Hyperkorrekturen etc. auf. Das
jüdische Arabisch Ägyptens dieser Zeit wies ­ wohl wegen der zahlreichen Flüchtlinge aus
al-Andalus und dem Ma reb (wie auch Maimonides selbst) ­ mehr maghrebinische Elemente
auf als das muslimische Arabisch Ägyptens.
15
Das Jüdisch-Arabische wurde üblicherweise
mit hebräischen Buchstaben geschrieben. Das gilt auch für das vorliegende Werk. Lediglich
seine medizinischen Schriften ­ die unter anderem auch für seine muslimischen Kollegen
bestimmt waren ­ schrieb Maimonides in arabischer
Schrift und auf Hocharabisch.
Die Gründe für diese Verwendung der hebräischen Schrift für die jüdisch-arabische Literatur waren
hauptsächlich
zwei: Der erste war, dass man einen möglichst großen jüdischen Leserkreis erreichen
wollte, und die meisten Juden waren im Arabischen nur mit hebräischen Buchstaben fließend literat.
Dies war so
aufgrund der Verwendung der hebräischen Schrift für Gebete, Thoralesungen etc. im
jüdischen Gottesdienst, mit der die meisten Juden somit von Kindheit an vertraut waren, während
ihnen fließende Sprachkenntnisse in der Hebräischen Sprache selbst häufig abgingen. Solche besaßen
sie nur im Arabischen. Damit besaß der durchschnittlich gebildete Jude der arabischen Welt fließende
Sprachfähigkeiten im Arabischen kombiniert mit Kenntnis des hebräischen Alphabets. An dieser
Situation orientierte sich auch Maimonides bei der Abfassung seiner Werke. Der zweite Grund war,
dass man vermeiden wollte, dass sich muslimische Apologeten aus jüdischer Literatur mit
Informationen über die jüdische Religion versorgten, um diese dann zu polemischen Angriffen und
Aufstachelung gegen diese heranzuziehen. -
'as Sefer ha-Mi¬wot enthält eine Auflistung der 613 Jüdischen Gebote ­ eingeteilt in Positive
Gebote (Mi
¬wot Asé; 248) und Negative Gebote (Mi¬wot Lo·-Ta asé; 365)
16
. Das ergibt
zusammen die Zahl
613
(als Akronym Taryag).
12
Nach: Misne
Tora leha-RaMBaM, hrsg. von Mechon Mamre, Jerusalem 2007. Zu diesem Buch existiert eine englische
Übersetzung von Abraham M. Hershman, The Code of Maimonides. Book Fourteen, The Book of Judges, New Haven 1949.
13
S. Munk, Jerusalem 1929
(Arabisch in hebr.
Schrift).
14
Ha-Levi,
Judah: Kit b al-radd wa-´l-dal l f
´l-d n al-dhal l
(Al-Kit b al-Khazar ), Ed.
by David Baneth,
Jerusalem 1977.
15
Dokumentiert ist dies vor allem durch die Funde in der
.DLURHU *HQL]D. Vgl. das einleitende Kapitel in Norman Stillman,
The Language and Culture of the Jews of Sefrou, Morocco, Manchester 1988; sowie Joshua
Blau, The
emergence and
linguistic background of Judeo-Arabic, Oxford 1965.
16
In zahlreichen Editionen der Misne
Tora ist als Teil der
Einleitung
(
+DTGDPD)
ebenfalls die Kurzform einer
Auflistung der 248 positiven und 365 negativen
0L¬ZRW enthalten (ohne Erläuterungen).

11
Zu zahlreichen Geboten und Verboten werden sodann noch längere Erläuterungen und
Kommentare gegeben. In der jüdischen Bibeldeutung ist die Erklärung sehr beliebt, dass das
hebräische Wort Tora einen Zahlenwert von 611 besitzt (
=
400
,
=
6
,
=
200
,
=
5
). Dazu
würden noch die ersten beiden der 10 Worte in Exodus 20 kommen, die direkte Göttliche
Rede
darstellen würden
17
.
So erreicht man die Zahl
613. Diese Erklärung gibt Maimonides
auch in seiner Darstellung der 1. Mi
¬wa seiner Auflistung der Positiven Mi¬wot, des Gebotes:
,
+ %,1 '(5
(
:,*( '(,1
*
277 '(5
,
+ ',+ $86 '(0
/
$1'
*37(1 +(5$86*()¶+57 +$%( HWF ([
Die Zahl 248 soll nach einer talmudischen Erklärung (
Makkot 23b
) der Zahl der Glieder des
menschlichen Körpers entsprechen, während die Zahl 365 die Anzahl der Tage des
Sonnenjahres ist.
18
So umfassen die Gebote der Thora nach dieser Deutung gleichsam den
ganzen Menschen zu allen
Zeiten.
Vorbilder und Nachwirkung
19
:
Maimonides war zwar nicht der erste, der versuchte, eine Zusammenstellung sämtlicher 613
Gebote der Thora vorzunehmen, ein Vorläufer in dieser Hinsicht waren insbesondere die
Halakhot G
e
dolot von Sim
H
on Kairo
(
oder
Kayyara).
20
Auch stellten Ibn Gabirol und andere
synagogale Dichter Auflistungen in poetischer Form zusammen. Allerdings waren diese
Versuche verglichen mit Maimonides
'
Werk noch inkonsequent und unsystematisch, u.a.
da
sie auch Gebote rabbinischen Ursprungs aufnahmen.
-
'HU EHUKPWH .DEEDOLVW XQG %LEHONRPPHQWDWRU 5 0RãH EHQ 1D
¨
PDQ 1DFKPDQLGHV NULWLVLHUWH
YHUVFKLHGHQH 0L
¬
ZRW LQ 0DLPRQLGHV
'
:HUN XQG IRUPXOLHUWH HLJHQH $OWHUQDWLYHQ VR DXFK HLQH 3RVLWLYH
0L
¬
ZD PLW GHP ,QKDOW GDV /DQG ,VUDHO ]X HUREHUQ GLH IU DOOH =HLWHQ JHOWHQ ZUGH 3RV 0L
¬
ZD
4
Das Sefer ha-Mi
¬wot wurde in den Jahrhunderten nach Maimonides zum Vorbild mehrerer
ähnlicher Kompendien der 613 Gebote
(in hebräischer
Sprache), insbesondere des Sefer
Mi
¬wot ha-Gadol (SeMaG)
von Moses von Coucy ­ es ist sehr viel ausführlicher in der
rabbinischen Diskussion der einzelnen Mi
¬wot als Maimonides
'
Werk ­ sowie des (
anonymen,
vermutlich aber von R. Aharon Ha-Lewi aus Barcelona verfassten
) Sefer
ha-
§
inukh, das die Mi
¬wot
entsprechend der Reihenfolge ihrer Erwähnung in der Thora anordnet.
Beide sind inhaltlich
stark von Maimonides
'
Werk abhängig.
___________________________
17
I
CH BIN
...und
D
U SOLLST NICHT HABEN
...
(andere Götter vor Mir; Ex 20,
).
18
Vgl. auch Misne Tora, (Schluss
d.)
Einführung.
19
Vgl. C. Chavel, Rabbi M. ben Maimon, The Commandments (Vol.
1), S. viii-xiv und 263.
20
Siehe
Günter Sternberger, Einführung in die Judaistik, S. 103.

12
Kurze Geschichte und Beschreibung der jüdischen
mittelalterlichen Philosophie
Die jüdische Philosophie des Mittelalters ist ein Zweig der
mittelalterlichen Philosophie im
Allgemeinen, die gewisse fundamentale Gemeinsamkeiten teilt.
Die mittelalterliche
21
Philosophie (
arab
.
falsafa) kann man einteilen in die europäisch-
christliche Philosophie in lateinischer Sprache, die byzantinische bzw
.
orthodoxe Philosophie
in griechischer Sprache, die islamische Philosophie in arabischer Sprache und letztendlich die
jüdische Philosophie in
arabischer und
hebräischer Sprache.
(Außerdem existierte im
islamischen Raum auch eine christliche Philosophie, deren Hauptsprache ebenfalls das Arabische
war.)
Die Hauptgemeinsamkeiten aller dieser erwähnten Strömungen und Zweige sind das
gemeinsame Fußen auf der griechisch-hellenistischen Philosophie der Antike und gewisse
grobe Züge eines Weltbilds, das auf der ptolemäischen Kosmologie ­ kugelige Sphären mit
der Erde im Zentrum ­ und einer neoplatonischen Verschmelzung von Platonismus und
Aristotelismus beruhte
22
, wobei mal das platonische, mal das aristotelische Element
dominierte. Dementsprechend lässt die mittelalterliche Philosophie sich unabhängig von der
Einteilung in christliche, jüdische und
islamische
auch in
platonische
und
aristotelische
unterteilen. In der christlichen Philosophie dominierte im Allgemeinen das aristotelische
Element
23
. In jenen späteren Strömungen der islamischen Philosophie, die eine enge
Verschmelzung mit dem
«
fismus (also islamischer Mystik) eingingen, dominierte dagegen
deutlich stärker der neoplatonische Zug. Dies ist im Wesentlichen die Form, in der die
islamische Philosophie bis heute überlebt hat. In der Zeit der klassischen islamischen
Philosophie
(von al-F r b bis Ibn Rusd) gab es in der jüdischen Philosophie dagegen sowohl
Vertreter, die eher als platonische Philosophen, als auch solche, die als eindeutig
aristotelische Philosophen bezeichnet werden können.
'er geographische Raum, in dem die mittelalterliche Philosophie beheimatet war, erstreckte
sich von Spanien
(al-Andalus) im Westen bis Mittelasien im Osten sowie von Nordafrika im
Süden bis
Schottland im Norden, umfasste also die islamische und die christliche Welt.
21
Unter ,,Mittelalter" verstehe ich hier die Periode des europäischen Mittelalters, also etwa von der Zeit der Völker-
wanderung bis zur Reformation.
Die für die vorliegende Arbeit interessante Zeit endet etwa mit dem Beginn des
europäischen Spätmittelalters.
22
Einen prägnanten Ausdruck findet diese Verschmelzung in der pseudepigraphischen Schrift der ,,Theologie des
Aristoteles", die bis zu Thomas v. Aquin für ein echtes Werk des Aristoteles gehalten wurde, während es in Wahrheit aus
Auszügen aus den Enneaden des Plotin (204-269 n.d.Z.) besteht. -
Eine für die mittelalterliche Philosophie einigermaßen charakteristische und darum meist in der einen oder anderen Form
vorhandene Vorstellung ist z.B. der typisch neoplatonische Gedanke der Emanation.
23
Am deutlichsten auf dem Höhepunkt der lateinisch-christlichen Philosophie, der Hochscholastik.

13
Mit einer gewissen Berechtigung kann die mittelalterliche Philosophie damit m.E. als ein
,,kulturübergreifendes" Phänomen betrachtet werden
24
, bzw. als ein solches, das das
Vorhandensein eines gemeinsamen größeren, die sich feindlich gegenüberstehenden politisch-
religiösen
Lager
einschließenden
Kulturraums
anzeigt.
Die jüdische Philosophie des Mittelalters zeigt sehr viel mehr Gemeinsamkeiten mit der
islamischen
Philosophie als mit der christlichen, deshalb wird auf letztere im weiteren Verlauf
der Arbeit nicht näher eingegangen. Ein Grund für diese größeren Gemeinsamkeiten sind die
religiösen Übereinstimmungen betreffs des Monotheismus zwischen den beiden Religionen,
ein anderer die historische Abhängigkeit der jüdischen von der islamischen Philosophie und
die gemeinsam gebrauchte Sprache (das Arabische) und Terminologie bzw. die Zugehörigkeit
zur gleichen kulturellen Umwelt (damals lebte die überwältigende Mehrheit der weltweit
vorhandenen jüdischen Bevölkerung im Gebiet des Islam). Eine so strenge gesellschaftliche
Separation wie im europäischen Raum zwischen Christen und Juden war außerdem im
islamischen Raum zwischen Muslimen und Juden nicht vorhanden (dies galt beiderseitig).
25
Die Vorgeschichte
26
der jüdischen Philosophie beginnt im antiken Alexandria mit den
jüdisch-hellenistischen Philosophen Aristobulos (2.
Jhdt
.
v.d.Z.) und
Philon
(ca. 20 v
.
- 50
n.d.Z.). Aristobulos gilt als Aristoteliker, während Philon zu den Vorläufern des Neo-
platonismus zu rechnen ist. Von ersterem sind nur vereinzelte Zitate überliefert, während
letzterer eine überaus einflussreiche Wirkungsgeschichte bei den Kirchenvätern und damit im
antiken christlichen
Neoplatonismus
hatte. Vermittelt über letzteren haben seine Gedanken
somit indirekt auch (ohne dass sein Name nach mir bekanntem heutigem Kenntnisstand den
Muslimen bekannt gewesen wäre) einen starken Einfluss auf die islamische Philosophie
ausgeübt. Im antiken rabbinischen Judentum wurde Philon wegen des damaligen Kultur-
konflikts zwischen
jüdischer und griechisch-hellenistischer Lebensauffassung hingegen nicht
rezipiert.
Der eigentliche Beginn der jüdischen mittelalterlichen Philosophie
27
liegt damit am Ende des
9. Jahrhunderts mit Dawid al-Muqammi
¬
und Sa adya Ga
·on (Sa d al-Fayy m , ca.
882-942).
Beide sind eher als jüdisch-mu tazilitische Mutakallim n (Theologen) als als Philosophen zu
bezeichnen, doch hat das arabisch geschriebene Hauptwerk von Sa adya, das Kit b al-
·Am n t wa´l-I tiq d t (
hebr
. Sefer ha-
·Emunot
we
ha-De ot) eine äußerst starke Wirkung auf
24
Vgl. dazu die Darstellung in: Hist
ory
of Jewish Philosophy (Routledge Hist.
of World Philosophies, Vol. 2), S. 83ff.
25
Vgl. die Ausführungen von
Mark R.
Cohen
in Unter Kreuz und Halbmond. Die Juden im Mittelalter, München 2005, S.
132ff.
26
Vgl. Simon/Simon, Geschichte der jüdischen Philosophie, Leipzig 1999, S. 32-49.
27
Der folgende Abriss
(
bis S.
20
) orientiert sich im Wesentlichen an der Darstellung von H. Simon/M. Simon, Geschichte der
jüdischen Philosophie, S. 62-242.

14
spätere philosophische Anschauungen ausgeübt. Deshalb ist es gerechtfertigt, ihn in dieser
Darstellung zu besprechen (
siehe auch weiter unten, S
.
22
I.
).
Sa adya hatte die Stellung eines Schulhaupts der rabbinischen Akademie im irakischen
Sura,
das Ga
·onat, inne. Der Hauptgegner, gegen den sich seine Argumentation vor allem richtete,
war die jüdische antirabbinische Gruppierung der Karäer (
DUDE.
al-Qar
·iyy n). Diese lehnte
den Talmud
ab und war darum eine Bedrohung für das rabbinische Judentum. Bezüglich der
theologischen Grundpositionen unterschieden sich beide Schulen dagegen nur in den
Einzelheiten (beide waren der mu tazilitischen Richtung zuzurechnen). Sa adya war u.a. auch
der Verfasser einer arabischen Bibelübersetzung
-
ie jüdische Philosophie in der islamischen Welt hatte sich historisch entwickelt, indem
jüdische Gelehrte ­ etwa in den intellektuellen Zirkeln ­ mit den Schriften und Anschauungen
der muslimischen
Theologen und Philosophen in Berührung gekommen waren und daraufhin
das Judentum in analoger Weise gedeutet hatten
28
Das ist im Zusammenhang mit den
Übersetzungstätigkeiten aus dem Griechischen und Syrischen am Kalifenhof der Abb siden
im 9. Jhdt. in Bagdad zu sehen, durch die wiederum die Ausformung der muslimischen
Anschauungen in Theologie und Philosophie entscheidend mitgeprägt worden war. Bei
dieser Ausformung hatte die muslimische Theologie (Kal m) einen gewissen zeitlichen
Vorsprung vor der Philosophie (Falsafa).
Dies ist eine denkbare Erklärung dafür, dass die frühesten Vertreter des philosophischen
Denkens, Dawid al-Muqammi
¬ und Sa adya Ga·on, noch stärker vom Kal m als von
eigentlichen philosophischen Anschauungen geprägt waren. In der ersten Zeit des
Abb sidenkalifats (bis 848) wurde die mu tazilitische (die Willensfreiheit und menschliche
Eigenverantwortlichkeit betonende) Variante des Kal m noch vom abb sidischen Staat
protegiert, weshalb es auch diese
(und nur diese) Richtung des Kal m war, die im Judentum
rezipiert wurde (
zumal sie der Grundlinie der Jüdischen Religion recht gut zu entsprechen schien
).
Sa adya war ein Zeitgenosse des al-F r b , des
zweiten großen muslimischen Philosophen
nach dem gut eine Generation früheren
al-Kind . Letzterer hatte besonders beim Thema der
Schöpfung noch nicht die später als typisch für die Philosophie geltenden Vorstellungen
(Emanation) ausgebildet,
was auch für Sa adya zutrifft.
Doch schrieben etwa in dem Zeitraum zwischen al-Kind und al-F r b offenbar auch eine
ganze Reihe anonymer Autoren, die durch pseudepigraphische (häufig großen Namen der
griechischen Antike zugeschriebene) Werke sukzessive zur Verbreitung bzw. Bekanntheit der
28
Ein weiterer Faktor war die schon erwähnte Provokation durch die Bewegung der Karäer, die den Rabbinismus auch mit
rationalistischen Argumenten und Methoden angriff, so dass die Notwendigkeit entstand, diese aufzugreifen.

15
später dann klassischen Emanationsvorstellung betrugen. Die beschriebene historische
Abhängigkeit in der Entstehung erklärt auch die inhaltlichen Übereinstimmungen mit den
muslimischen Vorläufern.
-
Neuplatonische Philosophen waren Ji
¬
¨
aq Jisraeli
29
und Salomo
Ibn
Gabirol (S
H
lomo ben
G
H
virol), der Autor des Werkes M
e
qor
§
ayyim
(,,Lebensquell"). Dieses nur noch in hebrä-
ischer und lateinischer Übersetzung vorhandene Werk weist starke Parallelen zu einem
pseudepigraphischen muslimisch-philosophischen Werk, dem Buch der Fünf Substanzen von
Pseudo-Empedokles (Bendaklis)
auf.
Letzteres wurde außer von Ibn Gabirol auch noch von
einem anonymen muslimischen Autor rezipiert, der ein bekanntes Buch über Magie unter
dem Namen des al-Ma
÷r ® (Pseudo-Ma÷r ® )
verfasste, in dem auch philosophische
Abschnitte enthalten sind. Das Buch der Fünf Substanzen
(obwohl kein ursprünglich
jüdisches Werk) liegt ebenfalls nur noch in hebräischer Übersetzung vor.
Ein weiterer bedeutender neoplatonischer Philosoph war Ba
¨
y Ibn Paquda, der Autor des
ursprünglich arabisch geschriebenen Torat
§
ovot ha-Levavot (,,Lehre von den Pflichten der
Herzen";
arab
.
al-Hid ya
·il Far ·i al-Qul b), das von J
e
huda Ibn Tibbon ins Hebräische
übersetzt wurde. Es hat als ein Werk über moralische Unterweisung im philosophisch-
ethischen Sinne große Popularität erlangt, auch da es auf provokative Gedankengänge
verzichtet. Es ist deutlich von islamischer Mystik (ta
¬awwuf) beeinflusst. Unter dem Namen
des Ba
¨
y Ibn Paquda wurde auch ein (mit hoher Wahrscheinlichkeit) pseudepigraphisches
Werk
Ma n an-Nafs (Bedeutungen der Seele) verbreitet.
(V H[LVWLHUW LP DUDELVFKHQ 2ULJLQDO
XQG LQ KHEUlLVFKHU hEHUVHW]XQJ *HUDGH ZHJHQ VHLQHV ZHQLJ RULJLQHOOHQ ,QKDOWV NDQQ HV DOV
,QGLNDWRU GLHQHQ ZHOFKH $QVFKDXXQJHQ GDPDOV ]XP $OOJHPHLQJXW ]lKOWHQ
Auch Josef Ibn
«
addiq (
gest
1149) wirkte wie Ba
¨
y Ibn Paquda als rabbinischer Richter im
islamischen Spanien (al-Andalus). Er verfasste ein Werk neoplatonischen Inhalts mit dem
Titel ,,Mikrokosmos" (
hebr
.
Sefer ha
-
Ol m
ha
-
qa
®an).
Berühmt ist Avraham Ibn Ezr (
vermutl
1089-1164)
vor allem für seine Bibelkommentare,
die in Rabbinerbibeln zusammen mit dem Raschi-Kommentar neben dem Bibeltext ab-
gedruckt sind, und in denen er u.a. erste Ansätze der Bibelkritik äußert
Seine philosophischen
Anschauungen sind ebenfalls dem Neoplatonismus zuzurechnen. Er verfasste unter anderem
auch eine poetische hebräische Bearbeitung und Erweiterung von Ibn S n s Allegorie
§
ayy
Ibn Yaq
µ n
30
(
hebr
.
§
ay ben
Meqi
¬).
-
29
Arzt in
Qairu n
für den F
®
imiden
Ubayd All h; seine philosoph.
Schriften sind nur noch in hebr.
Übersetzung erhalten.
30
Nicht zu verwechseln mit Ibn
ufails gleichnamigem Roman.

16
J
e
huda Halewi (ca
.
1085-1141) kann nicht im eigentlichen Sinne als Philosoph bezeichnet
werden, er äußerte sich lediglich in seinem Werk al-Kit b
al-
¥
azar recht ausführlich zum
Thema
Philosophie ­ war also philosophisch gebildet ­, wobei er ähnliche Anschauungen wie
al- az l ­ etwa in
Tah fut al-Fal sifa ­ vorträgt,
dessen Werke er offensichtlich kannte.
Lediglich die literarische Form ist eine gänzlich andere, da das K
.
al-
¥
azar ein Werk in
Romanform
ist:
Der Inhalt besteht aus fiktiven Dialogen zwischen einem Rabbi
(
)
und dem König der
Khazaren, der aufgrund der Argumente des ersteren zum Judentum konvertiert, nachdem die
Argumente eines Philosophen sowie eines Christen und eines Muslims ihn nicht hatten
überzeugen können.
Der
(fiktive)
Philosoph, von der Konfessionszugehörigkeit her doch wohl
ebenfalls Muslim, wird hier von Halewi also ausdrücklich nicht als solcher definiert. Dies
zeigt
klar ­ ebenso wie die dem Philosophen in den Mund gelegten Anschauungen ­, das
Gedankengut von al- az l , der die Standpunkte der Philosophen als mit der Zugehörigkeit
zum Islam nicht vereinbar dargestellt hatte
(siehe
S. 27
I
.)
. Zudem hat Halewi im Judentum
wirkungsgeschichtlich eine ähnliche Rolle wie al- az l
im Islam bei der Zurückdrängung
philosophischen Gedankenguts durch den
orthodoxen Traditionalismus gespielt, wobei in
beiden Religionen bei diesem Kampf die Orthodoxie ein Bündnis mit weiten Teilen der
Mystik einzugehen suchte (im Judentum der Kabbala, im Islam dem
«
fismus)
31
.
Von Beruf war Halewi wie viele philosophisch Gebildete Arzt. (Typische Berufe für
Philosophen in der islamischen Welt waren Arzt, Astronom, Richter oder auch Wesir). Auch
sein Buch wurde von J
e
huda Ibn Tibbon ins Hebräische übersetzt (dessen Sohn
Samuel der
Übersetzer der arabischen Werke des Maimonides wurde, s
.
u.). Der volle Titel des arabischen
Originals lautet:
¿
¿
(Kit b ar-radd wa´d-dal l f ´d-d n
a
- al l
;
Buch der Verteidigung und des Beweises für die verachtete Religion). Eine nähere
Besprechung des Inhalts der erwähnten Stellen folgt weiter unten
.
-
Der erste typische aristotelische Philosoph von Bedeutung im Judentum war Avraham Ibn
D ud (ca. 1110-1180). Sein philosophisches Hauptwerk ist das Buch Der Erhabene Glaube
(
hebr
. ha-
·Emuna ha-rama). Das arabische Original ist verloren. Inhaltlich ist das Werk an die
Anschauungen von Ibn
S n
(Avicenna,
ca
.
980-1037)
angelehnt
.
Er war einer der
wesentlichen jüdischen Vorläufer des Maimonides (Mose ben Maimon, M s Ibn Maim n ,
1135-1204) und zählt zu denjenigen Philosophen, mit denen dessen Werke die größten
inhaltlichen Übereinstimmungen aufweisen.
31
Andererseits
kam
es
in
beiden
Religionen
auch
zu
Synthesen von
Philosophie
und
Mystik
(Beispiele
im
Judentum
sind
Mose
Narboni und der Kabbalist Avraham Abu´lafja; vgl.
zu letzterem K.
E.
Grözinger, Jüdisches Denken (Bd.
2), S.
334ff.).

17
Dazu zählt im Weiteren der muslimische Philosoph
al-F r b (ca.
870-950); auch
Ibn B
÷÷a
(Ab Bakr Ibn
a
¬-
«
·i ) wird von ihm ausdrücklich als Vorbild gewürdigt. Es bestehen ferner
gewisse Parallelen zwischen den Anschauungen des Maimonides und denen seines
muslimischen Zeitgenossen Ibn Rusd (
ODW. Averroes,
1126-1198). Wie groß diese genau sind
und ob diese nicht z.T. nur in die Aussagen des Maimonides hineininterpretiert worden sind,
wird weiter unten zu diskutieren sein.
Maimonides scheint ebenso wie der muslimische Philosoph Ibn
ufail (1116-1186) auf die
Kritik al- az l s an den Philosophen reagiert zu haben, da beide in den Punkten, aufgrund
derer letzterer die Philosophen zu Ungläubigen
(kuff r) erklärte, von den Lehren ihrer
muslimischen Vorgänger abwichen
32
.
Maimonides musste sich natürlich als Jude im Gegensatz zu seinen muslimischen Kollegen
von diesem Verdammungsurteil al
-
az l s nicht so
unmittelbar bedroht fühlen
33
, empfand
aber wahrscheinlich wie dieser auch einen Widerspruch zwischen den Positionen der
Philosophen und den Aussagen der Offenbarung. Er hielt also entweder al- az l s
Standpunkte für sachlich nicht unberechtigt oder wollte analogen Argumenten von Seiten
konservativer jüdischer Gelehrter vorbeugen. Solche wurden ja dann tatsächlich im Gefolge
J
e
huda Halewis auch vorgebracht und gipfelten eine Generation später in der (zweiten) sog.
,,Maimonidischen Kontroverse", in der Maimonides und seinen Anhängern ,,averroistische"
Anschauungen vorgeworfen wurden (1230
-
32).
Unter ,,Averroismus"
34
versteht man ­ vereinfacht formuliert ­ Auffassungen von der Art, es
gäbe
philosophische Wahrheit für die eingeweihte geistige Elite und
für die breite
Masse
(Vulgus) bestimmte ,,exoterische" religiöse Wahrheit, die u.a
.
den Zweck habe, erstere
Wahrheit von den zu ihrem Verständnis Unfähigen fern zu halten. Dieser Masse der
Ungebildeten müsse man erstere Wahrheit unbedingt vorenthalten, weil sie ihr wegen
ihres mangelnden Auffassungsvermögens durch Erzeugung von Verwirrung und damit
Werteverlust
nur zu schaden vermöge.
Gemäß den extremeren averroistischen Standpunkten läuft
dies (zumindest laut den Behauptungen ihrer Gegner) darauf hinaus, dass die ,,religiöse Wahrheit"
nichts als ein Trugbild ohne tatsächlichen Wahrheitsgehalt
sei.
Tatsächlich hatten manche seiner späteren Anhänger Maimonides
'
Hauptwerk Dal la al-
§
·ir n in dem
Sinne
interpretiert, dieser habe in
Wahrheit eins
zu
eins diese
Standpunkte
vertreten, die er nur durch exoterisch anders lautende Formulierungen verschlüsselt habe.
32
Dies sind:
Die Ewigkeit der Welt, die Frage der Providenz Gottes (betreffs der Einzeldinge) und gewisse Fragen des
Lebens nach dem Tode (Körperliche Auferstehung oder Unsterblichkeit der Seele).
33
Jedenfalls nach seiner Übersiedlung nach Ägypten; im Machtbereich der Almohaden u.U. sehr wohl.
34
Siehe
dazu
Hayoun,
Maurice-Ruben:
Der Averroismus in der philosophischen Tradition des Judentums,
Frankfurt/M.
2000.

18
Diese Interpretation leistete sodann den traditionalistischen Gegnern Vorschub, Maimonides
und seine Anhänger als Abtrünnige zu exkommunizieren und ihre Schriften zu verbieten.
Spätere
(
hebräisch
schreibende
)
aristotelische
Philosophen
im
Judentum
waren
Ji
¬
¨
aq
Albalag,
der
sich stark
auf Averroes
stützende Standpunkte vertrat,
und Sem
®ov Ibn Falaqera (ca.
1225-
1290), der einen Kommentar zu Maimonides
'
Dal la verfasste, in den er viele averroistische
Anschauungen einflocht (wofür er später hart kritisiert wurde, so von
§
asdai Crescas).
,Q GHQ
-DKUHQ XQG NDP HV ]XP GULWWHQ XQG YLHUWHQ 0DLPRQLGLVFKHQ 6WUHLW LQ
GHQHQ YRQ 6HLWHQ GHU H[WUHPVWHQ 7UDGLWLRQDOLVWHQ GLH $QVFKDXXQJ YHUWUHWHQ ZXUGH GDVV EHUHLWV
GLH EORH /HNWUH GHV SKLORVRSKLVFKHQ :HUNHV GHV 0DLPRQLGHV XQDEKlQJLJ YRQ VHLQHU
,QWHUSUHWDWLRQ PLW $EIDOO YRP *ODXEHQ JOHLFK]XVHW]HQ VHL
-
Lewi ben Gerson
(RALBA G;
1288-1344) aus Südfrankreich verfasste sein philosophisches
Hauptwerk Mil
¨
amot ha-Sem (,,Kriege des Herrn") bereits auf Hebräisch, ein Zeichen dafür,
dass sich die philosophische Gelehrsamkeit u.a. als Folge des Niedergangs der Philosophie
im Islam vom islamischen
in den christlichen Raum verlagerte.
Gleiches gilt für Josef
Kaspi
(ca.
1279-1340), der sehr zugespitzte averroistische Positionen
vertrat. Er ist ein typischer Vertreter für die oben erwähnte averroistische Maimonides-
Interpretation.
Bezüglich des Verhältnisses zur islamischen Philosophie ist Mose Narboni (1300-1362) aus
dem provençalischen Narbonne von großer Bedeutung, da er einen ausführlichen hebräischen
Kommentar zur hebräischen Übersetzung von Ibn
ufails (s.o
.
) philosophischem Roman
§
ayy
Ibn Yaq
µ n verfasste. Letzterer enthält im ersten Teil eine allegorische Beschreibung der
autodidaktischen Entwicklung des Menschen zur höchsten Erkenntnis und im zweiten Teil
eine Schilderung der Unfähigkeit der Anhänger der offiziellen Religion, die Gleichheit dieser
Erkenntnis mit den symbolischen Ausdrucksformen ihrer Religion zu erfassen
35
.
Die die Hauptfigur aufziehende
,,Gazelle"
36
(al- az l)
im Roman ist möglicherweise ein Symbol
für die Rolle der Schriften al- az l s im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung. Diese, die sich sehr
konsequent gegen taql d und für eigene Urteilsfindung aussprachen, waren in Spanien bei Gebildeten
(z.T
.
auch
Juden)
sehr beliebt und
scheinen häufig als
Einstieg bzw
.
Zwischenstadium bei der geistigen
Entwicklung vom strikt der Tradition Verhafteten zum angehenden Philosophen gedient zu haben
37
.
-
Auch Mose
Narboni verfasste einen Kommentar zur Dal la
(
hebr
.
Môreh N
H
vukhim) des
Maimonides im Sinne des Averroes sowie Kommentare zu den Werken des letzteren selbst
35
Ibn
ufail, 'HU 3KLORVRSK DOV $XWRGLGDNW §D\\ ,EQ DTµQ, Hamburg 2004, S. 98ff.
36
Ibn
ufail, §D\\ ,EQ DTµQ, S. 25ff.
37
Vgl. die Darstellung in: Griffel, Frank: Apostasie und Toleranz im Islam. Die Entwicklung zu al- az l s Urteil gegen die
Philosophie und die Reaktionen der Philosophen, Leiden 2000, S.
401ff.

19
(s.o
.
),
ferner eine Kommentierung von
al- az l s
Maq
¬id
al-Fal sifa
38
und eine Über-
setzung des Tadb r al-Mutawa
¨¨
id
des
Ibn B
÷÷a
.
-
ier eine chronologische Abfolge der erwähnten jüdischen Philosophen im Vergleich mit der
zeitlichen Einordnung der für die klassische islamische Philosophie bedeutenden Gestalten:
al-Kind (Musl
.
) - ca
.
873
Ji
¬
¨
aq Jisraeli
~
855-955
Dawid al-Muqammi
¬
Ende
9
.
Jhdt.
al-F r b (Musl
.
) ca
.
870-950
Sa adya Ga
·on 882-942
Ibn S n (Musl
.
) 980-1037
I
¦w n a¬-¬af ·
(Musl
.
) um 980
Salomo Ibn Gabirol 1021-1058
Ba
¨
y Ibn Paquda - ca
.
1080
al- az l (Musl
.
) 1058-1111
Ibn B
÷÷a (Musl
.
) -1139
J
e
huda Halewi 1085-1141
Avraham bar
§
iyya
39
1065-1143
Josef Ibn
«addiq -1149
Avraham Ibn Ezr 1089-1164
Avraham Ibn D ud 1110-1180
Ibn
ufail (Musl
.
) 1116-1186
J
e
huda Ibn Tibbon
(Übs
.
) 1120-1190
Ibn Rusd (Musl
.
) 1126-1198
Mose ben Maimon 1135-1204
Samuel Ibn Tibbon 1165-1232
Sem
®ov Ibn Falaqera
1225-1290
Ji
¬
¨
aq Albalag
Ende
13
. Jhdt.
Josef Kaspi 1279-1340
Lewi ben Gerson 1288-1344
Mose Narboni 1300-1362
38
,,Die Ziele der Philosophen", erstmals ins Hebräische übersetzt von
-L¬
¨
DT $OEDODJ
39
Astronom; Autor des neoplatonischen Heg
on ha-nefes,
%HWUDFKWXQJ GHU 6HHOH

20
Etwa um diese Zeit endete die Beschäftigung mit den Originalquellen der islamischen
Philosophie, da die Kenntnis des Arabischen bei der breiten Mehrheit der Juden endgültig
abgerissen war (da diese nun im christlichen Raum lebte).
40
Die Tradition ­ im Bündnis mit
der Kabbala, in deren Gestalt neoplatonisches Gedankengut überlebte
­
setzte sich auf breiter
Front weitgehend gegen die Philosophie durch
41
.
Im christlichen Spanien, der
Provence und im Italien der beginnenden Renaissance kam es
zu
einer
Art Nachleben der Philosophie in
§ Sprache, doch in zunehmend
konservativerer Form in immer deutlicherer Abgrenzung zu averroistischen Positionen;
Vertreter sind beispielsweise
§
asdai Crescas (1340-1410), Josef Albo (1380-1444;
Verf. des
Sefer ha- Iqq rim) sowie Ji
¬
¨
aq Abravanel (1437-1508)
Inhaltlich zog man sich in etwa auf
die schon von
Sa adya vertretenen Standpunkte ­ im Besonderen im Punkt der
ã
und
(
.
§
idus
=
)
­
zurück.
__________________________________________
Nun zu einer knappen inhaltlichen Beschreibung der jüdischen Philosophie.
unächst werde ich
Sa adyas
System inhaltlich kurz darstellen, danach komme ich zu den im
engeren Sinne neoplatonischen Vorstellungen, wobei ich auf die Konzeptionen Ji
¬
¨
aq
Jisraelis exemplarisch für den Neuplatonismus etwas näher eingehen werde. Danach folgt
eine kurze
Darstellung der elementarsten Grundzüge der aristotelischen Philosophie, während
ich deren nähere Einzelheiten erst später im Zusammenhang mit der Person des Maimonides
besprechen werde. Letztlich werde ich noch einige Stellen aus
-
+
al-Kit b
al-
¥
azar , in denen er seinen fiktiven Philosophen zu Wort kommen lässt, anhand des
arabischen Textes im Vergleich mit den
Anschauungen
al- az l s darstellen.
Doch zuvor einige Ausführungen über die jüdische Philosophie im Allgemeinen:
Entgegen den Befürchtungen ihrer traditionalistischen Gegner kann jüdische Philosophie
keineswegs so ohne weiteres mit einer libertinistischen Vernachlässigung der jüdischen
Gebote gleichgesetzt werden. Im Gegenteil war der größte jüdische Philosoph, Maimonides,
gleichzeitig auch Gesetzesgelehrter und Richter und damit ein strikter Befolger der Halakha
.
(Gleiches gilt auch für einige andere jüdische Philosophen, und bekanntermaßen war selbst
40
Als Folge sowohl der fortschreitenden Reconquista als auch des zunehmend intoleranteren Klimas in der islamischen Welt
gegen Philosophie. Die entsprechenden Werke wurden von nun an praktisch nur noch in hebräischer Übersetzung studiert.
41
=XU =HLW GHU $XINO¾UXQJ ZXUGH GLHVH ]ZDU DUWLIL]LHOO ZLHGHUEHOHEW GRFK LQ HLQHP DQGHUHQ .RQWH[W ZHLWJHKHQG RKQH GLH
¢ ' GLH VLH P( LP NXOWXUHOOHQ .RQWH[W GHV LVODPLVFKHQ 0LWWHODOWHUV EHVHVVHQ KDWWH (vgl.
z.B.
David Blumenthal, Maimonides
'
Intellectualist Mysticism, in: Studies in Medieval Culture, 10
/1977). Dieser kulturelle
Hintergrund wird auch in Hist
ory
of Jewish Philosophy, Ed. D. Frank/O. Leaman, Ch. 6 (The Islamic social and cultural
context,
by
Steven M.
Wassermann) ab S. 98 lebendig beschrieben (siehe besonders den isr q -Hintergrund auch von Juden).

21
Averroes
(Ibn
Rusd), das
Schreckgespenst
jedes
Traditionalisten, gleichzeitig ein
islamischer Rechtsgelehrter
und m likitischer Q
al-qu t
(
Oberrichter
)
.)
Die Philosophen bemühten laut eigenen Angaben sich lediglich,
Vernunftgründe für die
jüdischen Gebote und Glaubensüberzeugungen anzugeben bzw. sie in einer Form zu
interpretieren, die mit der Vernunft
vereinbar
war.
Problematischerweise verankerte Maimonides das takf r
-
Prinzip
42
der islamischen Theologie in Form
des vorher im Judentum kaum gebräuchlichen
43
Begriffs kôfer
(
) bzw. arab. k fir im Judentum
44
:
Im Zusammenhang mit der Formulierung seiner 13 Glaubenssätze ( Iqq rim) bezeichnete er die von
gewissen Punkten dieser Doktrinen Abweichenden als kôferim, also als Ungläubige, ­ womit er u.U.
den später gegen ihn und sein Werk erhobenen Vorwürfen ungewollt selbst die entscheidende Waffe
lieferte.
-
Der zentrale Punkt ­ wie im Judentum generell ­ ist die Göttliche Einheit, die den
unbestrittenen
Kern
jüdischer Überzeugung bildet. Die Vorstellung der jüdischen Philo-
sophen von der Göttlichen Einheit (
hebr
Ji ud) ist eine solche, bei der zum Göttlichen ­ nur
durch negative Aussagen (was Es nicht ist
45
) beschreibbaren Wesen ­ keine von diesem
Wesen
unterschiedenen Attribute hinzutreten. Auch ist die Vorstellung von einem freien
Willen des Menschen zum Guten oder Bösen allgemeiner
jüdischer
Konsens (was auch für
die Philosophen gilt). Beide Punkte unterscheiden die jüdische Auffassung deutlich von der
im sunnitischen Islam zur Vorherrschaft gelangten Doktrin (da sie eher mit der Mu tazila
übereinstimmen).
Die Philosophen interpretieren ferner alle von Gott in anthropomorphistischer Weise
redenden Stellen in Bibel und Tradition konsequent im übertragenen Sinne.
Ein weiterer Kernpunkt ist die Wichtigkeit der Thora und die besondere Rolle der biblischen
Prophetie und der jüdischen Gebote. uch die jüdischen Philosophen bemühten sich ebenso
wie andere jüdische Geistesströmungen, einen Platz in ihrem Weltbild für die besondere Rolle
der Thora und der Wichtigkeit
ihrer
Befolgung
durch
Israel
zu
reservieren. Sie vertraten
dabei meist die These, dass Israel insofern eine Sonderrolle zukomme, dass bei diesem
zusätzlich zu der für alle Menschen möglichen philosophischen Erkenntnis der Wahrheit
durch logische Interpretation der Welt des Weiteren noch ein prophetisches Element
42
Arab
.
: Das
b=XP 8QJO¾XELJHQ (UNO¾UHQn als Waffe im Argumentationskampf mit gegnerischen Standpunkten.
Möglicherweise war hier (wie in späteren Kapiteln erläutert) ein gewisser almohadischer Einfluss wirksam.
43
Obwohl bereits im Talmud verwendet
(Sanh 39), ist er dort kein so prominentes Schlagwort wie später im mittelalterlichen
Diskurs,
sondern tritt in der Bedeutung weit hinter den Begriffen
PLQ (Häretiker,
Judenchrist/Gnostiker) und
HSLTRURV
(Epikuräer, Hellenist) zurück.
44
Siehe Karl E.
Grözinger, Jüdisches Denken (Bd.1), S. 431ff.
45
Dies bezeichnet man als Negative Theologie (einer der ersten bekannten Vertreter war Philon von Alexandria).
Maimonides war ebenfalls ein herausragender Vertreter dieses Ansatzes.

22
fakultativ
hinzutrete, dass
also die
Prophetie ­ seit der Zeit der Erzväter ­ auf
Israel
beschränkt sei.
(
Dies ist möglicherweise u.a. auch als eine apologetische Abwehrhaltung gegen die
Ansprüche des Christentums und des Islam zu interpretieren.)
Sa adya führt aus, dass sich Vernunft und die biblische Offenbarung nicht wirklich
widersprechen könnten.
Israel wird also durch die biblische Tradition
(
u
.
a
.)
dasselbe gelehrt,
zu dem die Philosophen (seien sie Juden oder Nichtjuden) durch ihre Erkenntnis auch
kommen.
Nun zu den weiteren Anschauungen Sa adyas
:
46
Für
Sa adya ist der Punkt von großer Bedeutung, dass die Schöpfung sich
(anders als nach
den Vorstellungen der meisten späteren neoplatonischen und aristotelischen Philosophen)
nicht
als ewiger Emanationsakt, sondern als ein einmaliger Schöpfungsakt in der Zeit und
aus dem Nichts ereignet habe (so versteht er das hebräische Verbum barâ
·
DUDE.
). Er
erhebt dies zu einem Glaubensartikel und bemüht sich, diesen Satz durch logische
Argumentation zu beweisen: Aus der räumlichen Endlichkeit und der Zusammengesetztheit
der Himmel und der irdischen Welt ergebe sich, dass diese geschaffen sein müssen (I,
3
). Laut
ihm existieren
YLHU
Quellen der Erkenntnis (in ihrer Funktion vergleichbar den U
¬ l al-fiqh
des islamischen Rechts):
1. Die sinnliche Wahrnehmung;
2.
Die Vernunft ( aql), die fähig ist,
Gut und Böse zu
erkennen;
3. Die durch diese aus 1. abgeleitete notwendige Schluss-
folgerung;
4.
Zuverlässige Tradition (
),
d.h. Schriftliche und Mündliche Thora
(Misna).
Die Gebote der letzten Quelle seien eingeteilt in Vernunftgebote
( aql yy t) und Gehorsams-
gebote (sam yy t). Die ersteren, die für die menschliche Vernunft einsichtig seien, hätten
primär mit ethisch richtigem Handeln (Gut und Böse) zu tun, während für zahlreiche der
letzteren die menschliche Vernunft keinen einsichtigen Grund erkennen könne
(obwohl auch
sie einen ­ Gott bekannten ­ wohltätigen Sinn besäßen). Diese letzteren müssten deshalb aus
Gehorsam gegen den göttlichen Willen
befolgt werden. Zahlreiche Gebote der ersten Kate-
gorie würden dagegen, da auch durch die menschliche Einsicht,
nicht nur die Offenbarung,
auffindbar, sinngemäß auch in den Rechtsordnungen der Nichtjuden praktiziert.
-
Weiterhin diskutiert Sa adya die Problematik des Verhältnisses Gottes zu seinen
Eigenschaften. Er kommt zu dem Ergebnis der Identität der göttlichen Eigenschaften mit dem
göttlichen Wesen (
t), also von Wesensattributen (¬if t t yya). Dies ist dasselbe Ergebnis
wie in der islamischen Mu tazila.
46
Geschöpft im Wesentlichen aus:
Karl Erich Grözinger, Jüdisches Denken.
Theologie ­ Philosophie ­ Mystik. Bd
.
1
Vom
Gott
Abrahams
zum
Gott
des
Aristoteles,
Frankfurt/Main
2004,
S
.
362ff.;
ferner
Johann
Maier,
Geschichte
der
jüdischen Religion,
Berlin 1972, S
.
267ff.
sowie der englischen Übersetzung des
Sefer ha-'Emunot we
ha-De ot
von
Samuel Rosenblatt, Saadia Gaon. The Book of Beliefs and Opinions,
New Haven/London 1955.

23
n den weiteren Kapiteln seines Buches Sefer ha-·Emunot we ha-De ot weist Sa adya Kritik
von muslimischer
47
und karäischer Seite an der Authentizität von Thora und rabbinischer
Tradition zurück und entwirft schließlich im Schlusskapitel eine auf dem mittleren Weg
zwischen Askese und Genuss beruhende Ethik (ein im Mittelalter geläufiges Thema).
-
Zu den Charakteristika der neoplatonischen Philosophie im Judentum gehört die stufenweise
Folge der Emanation (
.
ãefa
,,Überfluss") mit der irdischen Materie als der niedersten
Stufe. Über die Rückkehr von der Leiblichkeit
zum Geistigen verläuft demgegenüber die
Umkehrung der von oben nach unten verlaufenden Emanation im Sinne des Aufstiegs zu Gott
von unten nach oben. Diese Abkehr von der Leiblichkeit soll durch eine Kombination von
seelischer Läuterung und philosophischem Erkenntnisgewinn erfolgen (dies bedingt eine
gewisse Körperfeindlichkeit und Neigung zum Asketismus, dieser Zug hat jedoch die
Verschmelzung der neoplatonischen Philosophie mit der ähnliche Tendenzen aufweisenden
Mystik im Judentum wie im Islam begünstigt).
-
ls erste Stufe
48
(die z.T. ­ etwa von
Ji
¬
¨
aq Jisraeli ­ als durch eine Schöpfung
aus
dem
Nichts
hervorgebracht
bezeichnet
wird) wird vielfach eine Zweiheit von (himmlischer)
,,Erster Materie" und ,,Erster Form" angenommen, die zusammen den ,,Universalen Intellekt"
(
al-
)
aql al-kull
( )
konstituieren. Von diesem gehen sodann die weiteren Stufen der Emanation
aus: zuerst die Allseele (an-nafs
al-kull yya), dann die Natur (
®ab a), die Welt der Sphären,
bis hin zur (irdischen)
Materie als
unterster
Stufe.
Ji
¬
¨
aq Jisraeli beschreibt die Schöpfung (in einem dem Aristoteles zugeschriebenen Kapitel
über die Elemente
;
sog. Mantua-Text) wie folgt
49
:
[
...
] ,,Der Anfang aller Wurzeln sind zwei einfache Substanzen:
Die erste von ihnen ist die
0 (ha-jesod ha-ri'son), welche die Form empfängt, die
bei den Philosophen als Wurzel der Wurzeln bekannt ist.
Sie ist die erste Substanz, die in sich selbst besteht und die Veränderung empfängt. Die
zweite
ist die
£ ) (ha-¬ura ha-geramit). die bereit ist, die [erste] Substanz zu
überkleiden. Sie ist die vollkommene Weisheit und der reine Glanz und das klare Strahlen,
die, wenn sie sich mit der ersten Materie verbindet, den
(sekhel) und seine Form
hervorbringt (toledet), denn er [der Intellekt] ist aus ihnen zusammengesetzt.
47
Er argumentiert
(III.
Abschnitt) gegen die muslimische Vorstellung des ,,
QDV¦"
(Abrogation).
48
Nach:
Karl
Erich
Grözinger,
Jüdisches
Denken.
Bd
.
1,
S.
488-553
sowie J. Maier,
Geschichte
der
Jüd
.
Religion,
S.
271ff.
Diese Systeme sind u.a. erkennbar von den Ras 'il I
¦w n a¬-¬af ' (den sog. (SLVWHOQ GHU /DXWHUHQ %UÖGHU), einem Gemein-
schaftswerk von den Ism
liten nahe stehenden philosophisch geprägten
«³ILV, beeinflusst.
49
K. E. Grözinger, Jüd. Denken, S. 504f.

24
Nachdem der Intellekt, seine Form und sein Glanz, hervorgebracht war, da funkelte von ihm
ein Glanz und ein Strahlen
[
...
], und daraus wurde die
(ha-nefes ha-
m
H
dabberet
50
) hervorgebracht, aber ihr Glanz und ihr Strahlen war geringer, deshalb ist diese
Seele unwissend und braucht Unterweisung und Erinnerung [
DXI DQDORJH :HLVH VRGDQQ GLH
(ha-nefes ha-behemit)
XQG GLH
(ha-nefes ha-¬oma
¨
at)].
Als die vegetative Seele hervorgebracht war, da funkelte von ihr ein Glanz und Strahlen [
...
],
und daraus wurde die
+
(ha-raqi a) [d.h.
die
Sphären
[
ha-galgalim
]
] hervor-
gebracht. Ihr Glanz und ihr Strahlen war aber geringer als der Glanz aller Vorangestellten und
darum ist sie ein Körper, dessen Bewegung die vollkommene und einfache Kreisbewegung ist,
da sie ihr Schöpfer, sein Name sei gesegnet, für die Aufgabe eingesetzt hat, das Entstehen und
Vergehen
in dieser Welt zu verursachen." [
...
]
Die aristotelischen Philosophen bezeichnet man auch als Peripatetiker (nach der Wandelhalle
der Philosophischen Akademie in Athen), der arabische Begriff dafür lautet mas
· yy n.
Typische Vertreter der mas
· -Philosophie sind nach klassischem arabischen Verständnis
Aristoteles
(
·Aris® ® l s)
selbst, sein bekanntester antiker Kommentator Alexander
von
Aphrodisias (
2
.
/3
.
Jhdt
.
n.d.Z
.
),
sodann al-F r b , Ibn S n und Ibn Rusd.
Von den arabisch
schreibenden Juden kommen noch Ibn D ud und M s Ibn Maim n
( )
hinzu, von denen
letzterer als Arzt und Philosoph
auch eine gewisse Bekanntheit unter muslimischen
Gebildeten besaß.
Werke aller Genannten wurden auch ins Hebräische und von diesem z.T.
weiter ins
Lateinische
übersetzt, wobei besonders die Werke von
Aristoteles,
Ibn S n (
.
Avicenna),
Ibn Rusd
(
.
Averroes) und Maimonides sowohl im Hebräischen als auch im Lateinischen
eine immense Wirkung entfalteten
.
51
Besonders die fünf genannten mittelalterlichen
Vertreter zeigen in ihrem Weltbild zahlreiche fundamentale Gemeinsamkeiten.
52
Diese liegen
besonders in der Kosmologie sowie in ihrem Verständnis des Prophetentums
Bezüglich der Kosmologie bestehen diese Gemeinsamkeiten in der Annahme von 10 (bzw
.
9)
immateriellen Intellekten, die als Beweger der himmlischen Sphären (der Fixstern- sowie der
Planetensphären)
dienen ­ bzw. was den untersten angeht, in seiner Funktion als Aktiver
Intellekt als Regent der Welt des Werdens und Vergehens (unserer irdischen Welt) und Geber
ihrer
Formen
fungiert.
Auch ist er diejenige Kraft, die den menschlichen potentiellen Intellekt
über den aktuellen Intellekt
zum erworbenen Intellekt entwickelt.
50
,,Sprechende Seele", eine Übersetzung des arabischen Terminus an-nafs an-n
®iqa.
51
Ibn D ud dagegen ist vermutlich (es besteht eine gewisse Unsicherheit) mit dem unter dem latinisierten Namen
$
bekannten Übersetzer identisch (vgl. Bachmann/Fidora, Juden, Christen und Muslime,
Darmstadt 2004, S. 10ff.).
52
Die folgende Darstellung orientiert sich u.a. an Grözinger, Jüdisches Denken (Bd.
1), S.
401ff. und der Einleitung in Ibn
ufail, §D\\ ,EQ DTµQ.

25
Die Stufenleiter dieser Intellekte sieht so aus
53
,
dass von der Ersten Ursache (Gott) ein
Intellekt hervorgebracht wird
(der sog
.
Erste Intellekt, al- aql
al-
·auwwal
54
). Dieser denkt
(erkennt) den Einen (Gott) und bringt dadurch den Zweiten Intellekt
hervor.
Außerdem denkt
der Erste Intellekt sich selbst
und bringt dadurch den (ätherischen) kugelförmigen Körper der
obersten Sphäre hervor, als deren Beweger er
dient.
Welche diese oberste Sphäre genau ist, darüber bestand in der peripatetischen Philosophie
eine gewisse Uneinigkeit, doch hat sich seit al-F r b die Auffassung größtenteils
durchgesetzt, das dies eine Sphäre ohne Himmelskörper sei, die sich in 24 Stunden einmal
vollständig drehe, zur Hälfte hell und zur Hälfte dunkel sei, und so den Wechsel von Tag und
Nacht verursache.
Der immaterielle Zweite Intellekt denkt sodann den Einen (Gott) und bringt dadurch den
Dritten Intellekt
hervor, sowie sich selbst und bringt dadurch den Körper der zweiten Sphäre
(nach verbreiteter Meinung die Fixsternsphäre) hervor, deren Beweger er wird. Dies setzt sich
nach demselben Schema fort: Der Dritte Intellekt wird der Beweger der Saturnsphäre, der
Vierte Intellekt der Beweger der Jupitersphäre, der Fünfte der der Marssphäre, der Sechste der
der Sonnensphäre, der Siebte der der Venussphäre, der Achte der der Merkursphäre und der
Neunte der der Mondsphäre, die der irdischen Welt am nächsten ist. Ähnlich wie in der
neuplatonischen Philosophie ist es auch hier so, dass die Intellekte und ihre Sphären nach
unten immer unvollkommener und dunkler werden, je näher sie der irdischen Welt des
Werdens und Vergehens ( lam al-ka n wa´l-fas d) kommen
55
.
Auf den Neunten Intellekt, also den Beweger der Mondsphäre, folgt nun der Aktive Intellekt
(al- aql al-fa
l)
und dieser ist damit der Zehnte Intellekt, dessen Sphäre sozusagen die ja
ebenfalls kugelförmige Erde ist,
die er regiert.
Nach Josef
Albo, Sefer
ha- Iqq rim (
2.
B., Kap.
11
) ist der Intellekt
der Mondsphäre
selbst der
Aktive
Intellekt, anscheinend folgend Ibn Rusd.
Er bringt keinen weiteren kosmischen himmlischen Intellekt hervor, sondern den
menschlichen Intellekt, welcher dadurch von der Erde zum Himmel aufsteigt und sich als
Endziel mit dem Aktiven Intellekt vereinigt
,
was mit der Unsterblichkeit gleichzusetzen ist.
Besonders Ibn S n unternahm es, recht detailliert die koranische Terminologie in Analogie
zu den Elementen dieser Metaphysik zu setzen.
Im Anschluss daran wurde üblicherweise
etwa der Aktive Intellekt mit Gabriel (
öibr l) identifiziert, der nach muslimischer Auffassung
53
U.a.
nach:
Richard Walzer, Al-F r b on the Perfect State,
Oxford
1985, Section
II,
Chapter
3,
;
sowie Joseph Albo, Sefer ha- Ikkarim, Ed. by Isaac Husik, Philadelphia 1946, Vol. II, Chapter 11 (S. 59ff.).
54
Genau genommen bezeichnet al-F r b in dem genannten Abschnitt Gott als den ,,Ersten"
(al-'auwwal), den unmittelbar
von ihm ausgehenden Intellekt als ,,Zweiten", den wiederum aus diesem emanierten als ,,Dritten" usw.
55
Das ,,Zunehmen und Abnehmen" des Mondes ähnelt dem Zyklus des ,,Werdens und Vergehens" der irdischen Welt.

26
den Übermittler der prophetischen Offenbarung
an
Mu
¨ammad
darstellt. Maimonides führte
bis zu einem gewissen Grad dasselbe mit Begriffen der biblischen und talmudischen
Terminologie
durch.
56
Die weiteren Sphärenintelligenzen wurden ebenfalls mit Engeln
identifiziert. Da die
beobachtbaren Bewegungen der Planeten nicht mit einfachen Kreisbahnen um die Erde zur
Deckung zu bringen waren, nahm man zum Teil zusätzliche Nebensphären samt ihren
Bewegern an (also untergeordnete Engel, die für die Bewegung der Himmelskörper auf
Epizyklen verantwortlich sein sollten)
57
, so dass man je nach Standpunkt insgesamt auf bis zu
50
Sphären und Nebensphären und ihre zugehörigen Beweger kam.
Dieses Weltbild war also thematisch mit dem Fachgebiet der Astronomie verknüpft (weshalb
einige Philosophen auch gleichzeitig den Beruf des Astronomen ausübten), und wegen der
Annahme, dass Gott seinen Willen an die kosmischen Intelligenzen (Engel) delegiere, boten
sich auch astrologische Deutungen an
58
.
Die Erste Ursache
(Gott) stellt nach der beschriebenen Metaphysik eine nicht differenzierbare
Einheit dar, auch eine Einheit von Denken ( aql), Denker ( qil) und Gedachtem (ma q l).
Das gilt für die hervorgebrachten Intellekte nicht mehr:
Zwar könne aus dem Einen
(Gott)
auch nur Eines hervorgehen, doch stelle jener Erste Intellekt bereits nicht mehr eine Einheit
dieser drei dar: Dadurch, dass er Gott denkt (also
qil ist), bringe er die Zweite Intelligenz
als Abbild hervor, dadurch, dass er sich selbst denkt (also ma q l ist), bringe er die Sphäre
hervor.
Nach unten nimmt so Stufe um Stufe der Charakter der Vielheit immer mehr zu; auf
diese Weise wird erklärt, wie unsere Welt der Vielheit aus der göttlichen Einheit hervorgehen
kann.
Das beschriebene System gilt im Wesentlichen auch für die jüdischen Vertreter des
Aristotelismus
wie
Avraham Ibn D ud
(
·Emuna rama, Buch I,
Kap. 8
).
(Weitere Einzelheiten
bezüglich der Anschauungen der jüdischen Aristoteliker und der Besonderheiten gegenüber der
islamischen Philosophie folgen in den Abschnitten A.1.2. und A.1.3.)
Ähnlich beschreibt es auch J
e
huda Halewi
(polemisch) in seinem al-Kit b al-
¥
azar
(Sefer
ha-Kuzari)
in Ma
·amar
IV,
25 und V,
14, wo er es zu widerlegen sucht.
56
Etwa in seinem Führer der Verwirrten (Dal la al-
§ 'ir n), sowie in der Misne Tora, J
e
sod ha-Tora, Kap. 2-4, S.
55-85
der Ausgabe von E. Goodman-Thau (Das Buch der Erkenntnis, Berlin 1994).
57
Dies stellte man sich im Prinzip so vor, dass auf der Sphäre, die von einer der 9 Intelligenzen bewegt werde, eine weitere
kleine kugelförmige Sphäre aufsäße, die sich durch die Drehung der großen Sphäre kreisförmig auf dieser bewege,
während
der Planet wiederum auf der kleinen Nebensphäre säße und sich auf dieser (durch ihre von der untergeordneten Intelligenz
verursachten Drehung) kreisförmig bewege, also insgesamt auf einem Epizyklus (oder
z.T. auch auf einer solchen Neben-
sphäre wieder eine weitere, noch untergeordnetere Sphäre, auf der dann erst der Planet säße usw.); vgl. J
e
sod ha-Tora 3.
58
Wie etwa bei Lewi ben Gerson (,,Gersonides"), Mil
¨amot ha-Sem.

27
Nun einige Zitate aus Ma
·amar I,1
59
desselben Werkes zur Dokumentation der Überein-
stimmungen mit der Bewertung der Philosophen durch
al- az l :
:
:
(Da sprach zu ihm [
dem König der Khazaren
] der Philosoph:)
·
·
.
.
Und ebenso ist er
[
Gott
] gemäß den Philosophen erhaben über die
Kenntnis der Einzelwesen, denn sie
wandeln sich mit den Zeiten;
und es gibt im Wissen Gottes keine Veränderung.
[...]
.
.
Ja,
und er hat niemals einen Menschen erschaffen, denn
die Welt ist ewig (ohne
Anfang),
nie entstand ein Mensch anders als durch einen Menschen vor ihm.
[...]
.
.
Und der Vollkommene, es verbindet sich mit ihm eine Art von göttlichem Licht, genannt der Aktive Intellekt,
mit ihm verbindet sich sein
passiver Intellekt zu einer Verbindung der Einswerdung, bis die Person als jener
Aktive Intellekt erscheint.
[...]
.
.
Und
diese
Stufe
ist
das
äußerste,
ersehnte
Ziel für den
Vollkommenen Menschen,
nachdem seine Seele,
gereinigt
von den Zweifeln, die Wissenschaften gemäß ihren wirklichen Wahrheiten erfasst hat, so dass sie wie ein Engel
wird und sich auf der untersten Stufe der von den Körpern getrennten Engelhaftigkeit befindet; und sie ist die
Stufe des Aktiven Intellekts, und er ist ein Engel, dessen Stufe unterhalb des über die Sphäre des Mondes
gesetzten Engels ist;
und sie sind von der Materie losgelöste Intellekte,
ewig zusammen mit der Ersten
Ursache,
nicht fürchtend den Untergang auf ewig.
-
(
·
· ·
)
...
und das ist sein Paradies und das ewige Bleiben in ihm.
(
V
,
10)
59
Nach: Ha-Levi, Judah: Kit b al-radd wa-´l-dal l f ´l-d n al-dhal l (Al-Kit b al-Khazar ), Edited by David Baneth, Prepared
for publication by Haggai Ben-Shammai, Jerusalem 1977, S.
[
3
]
ff. (transkribiert ins arab.
Alphabet und neu übersetzt).

28
(rkennbar finden sich in diesen Ausführungen dieselben drei Punkte wieder, mit denen
al-
az l
u.a.
in Tah fut al-fil sifa seinen
Vorwurf der ,,Ungläubigkeit"
(kufr) der Philosophen
begründet
60
:
,,Gottes Unkenntnis der Einzeldinge" (
÷uz·iyy t
­ der Partikularia),
die ,,Ewigkeit (Anfangslosigkeit) der Welt",
sowie die körperlose ,,Unsterblichkeit der Seele" im Gegensatz zur koranischen Vorstellung
der körperlichen Auferstehung und Unsterblichkeit.
Dabei ist es m.E. plausibler, dass Halewi die Zuschreibung dieser Lehren zu den Philosophen
direkt von
al- az l übernommen hat
61
, als dass er sie tatsächlich aus den Schriften der
Philosophen selbst geschöpft hätte;
ein Hinweis darauf ist die polemische Zuspitzung
besonders der ersten beiden Punkte und die Gleichheit der Ziele mit al- az l in der
Zurückweisung
62
der Philosophie zugunsten der traditionalistischen religiösen Standpunkte.
Wie aus IV
,
12-13
deutlich wird (,,Aber sie [
Muslime und Christen
] sind euch näher als die
Philosophen?" ­ ,,Ebenso weit entfernt wie der Gelehrte des Religionsgesetzes (
) von
dem so
genannten Philosophen (
)."), betrachtete Halewi die Philosophen eindeutig als
eine eigene Gruppe neben Juden, Muslimen und Christen.
Eine solche Unterscheidung wird für die Frage der Beurteilung der islamischen Philosophen durch
Maimonides in einem späteren Kapitel noch von Bedeutung sein.
-
Zusammenfassung
Wie im Islam auch lässt sich die jüdische Philosophie grob in einen neuplatonischen und
aristotelischen Zweig unterteilen (auch inhaltlich sind diese den entsprechenden islamischen
Strömungen ähnlich). Abermals wie im Islam entwickelten sich auch im Judentum starke
Vorbehalte vor allem gegen die aristotelische Philosophie. Als Bündnispartner bei der
Verteidigung des Traditionalismus wurde dabei vielfach auf die Mystik zurückgegriffen.
60
Vgl.
Tah fut al-fil sifa, Ed. Duny , S. 307-309; zitiert in
Frank
Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam, S. 269.
61
Vgl. D. Frank/O. Leaman (Ed.), History of Jewish Philosophy, London/New York 1997, S.
135.
62
Diese entwickelt er ausführlich etwa in IV, 25 und V, 14.
Ende der Leseprobe aus 137 Seiten

Details

Titel
Zwischen Falsafa und Fundamentalismus. Maimonides in seiner Zeit und heute
Hochschule
Universität Hamburg  (Asien-Afrika-Istitut)
Veranstaltung
Magisterprüfung in Islamwissenschaft
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
137
Katalognummer
V357896
ISBN (eBook)
9783668428003
ISBN (Buch)
9783668428010
Dateigröße
1478 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Fragestellung: Wie war das damalige Verhältnis der Jüdischen Philosophie und des Judentums zum Islam im Allgemeinen sowie zur islamischen Philosophie im Besonderen, und wie ist es heute?
Schlagworte
Islam, Judentum, Mittelalterliche Philosophie, Fundamentalismus
Arbeit zitieren
Matthias Stumpf (Autor:in), 2009, Zwischen Falsafa und Fundamentalismus. Maimonides in seiner Zeit und heute, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/357896

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