Textlose Bilderbücher als Erzählanlass für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache


Examensarbeit, 2016

64 Seiten

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Das Bilderbuch
1.1 Das textlose Bilderbuch
1.2 Erscheinungsformen/Genres
1.2.1 Das Wimmelbilderbuch
1.2.1.1 Rotraut Susanne Berner
1.2.1.2 Ali Mitgutsch
1.2.1.3 Thé Tjong Khing
1.2.2 Das Spielbilderbuch

2. Zum Erwerb narrativer Strukturen
2.1 Zur narrativen Entwicklung von Kindern
2.2 Der entwicklungspsychologische Ansatz
2.3 Die high-point Analyse
2.4 Der Story-Grammar-Ansatz
2.5 Die schematheoretische Methode

3. Erzählen im Kontext
3.1 Zum Begriff des Erzählens
3.2 Erzählformen und ihre Definitionen
3.2.1. Nonfiktive Erzählungen
3.2.2 Fiktive Erzählungen
3.2.3 Visuelle Vorlage
3.2.4 Sprachliche Vorlage
3.3 Textstimulus und Erzählanlass

4. Mehrsprachigkeit als Gegenstand des Deutschunterrichtes
4.0.1 Deutsch als Muttersprache (DaM)
4.0.2 Deutsch als Zweitsprache (DaZ)
4.0.3 Deutsch als Fremdsprache (DaF)
4.1 Erfassung sprachlicher Qualifizierung
4.1.1 LiSe-DaZ
4.1.2 HAVAS
4.2 Vergleichbare Instrumente zur Erfassung von Erzählfähigkeit
4.2.1 DO-BINE
4.2.2 DO-FINE
4.3 Narration im Fremdsprachenunterricht: Annäherungen an das Bildverstehen

5. Theoretische und praktische Überlegungen zur Erzählförderung: Praxis- und Bildungsplanbezug

Fazit

Literaturverzeichnis/Internetquellen

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

„One Picture is Worth A Thousand Words.“

Dieses Zitat veröffentlichte Fred R. Barnard 1921 in einer Fachzeitschrift der Werbebranche Printers’ Ink um für den Gebrauch von Bildern und Werbeaufdrucken in Straßenbahnen zu werben. Heutzutage ist dieses Metapher kaum mehr aus unserem alltäglichen Sprachgebrauch wegzudenken und hat sich als gängiges Sprichwort manifestiert. Aber was genau leistet ein Bild im Gegensatz zu Worten in geschriebener oder gesprochener Sprache? Welche Emotionen erzeugen visuelle Impulse beim Rezipienten und wie kann ein Bild den Betrachter in (s)eine ganz individuelle persönliche Gefühlswelt versetzen? Sagt ein Bild wohlmöglich wirklich mehr aus als tausend Worte, da Worte vielleicht wie Goethes Faust einst sagte „Schall und Rauch“ sind, eine flüchtige Erscheinung, die Versinnbildlichung von Vergänglichkeit? Diese und viele weitere Sprichwörter, welche wir im umgangssprachlichen Gebrauch nutzen, sind in vielerlei Hinsicht interpretier- und auslegbar. Viele dieser Redewendungen scheinen jedoch das Bild bezüglich seines Ausdrucksvermögens dem gesprochenen und geschriebenen Wort überzuordnen. Aus dem Blickwinkel der Sprache betrachtet, könnte man ebenso behaupten, das Bild böte den Input, setze das Fundament, damit sich Sprache entwickeln kann. Das Bild könnte sozusagen als Nährboden sprachlicher Äußerungen dienen.

Meine intrinsische Motivation, mich innerhalb meiner wissenschaftlichen Zulassungsarbeit mit genau dieser Thematik zu beschäftigen möchte ich kurz anhand meiner persönlichen Situation erläutern:

Seit vier Jahren arbeite ich parallel zum Studium in dem caritativen Betreuungskonzept „Schülerzeit Plus“ an Freiburger Schulen. In diesem Kontext betreue ich fast täglich eine Vielzahl an Kindern deutscher- und nichtdeutscher Muttersprache im Alter von sechs bis zwölf Jahren, gehe mit ihnen zum Mittagessen, unterstütze sie bei den Hausaufgaben und gestalte kleine Freizeitaktivitäten. Eine neue Dimension dieser Tätigkeit eröffnete sich jedoch Anfang des Jahres aufgrund des immensen Zustroms an -meist syrischen- Flüchtlingskindern, die es innerhalb unserer Betreuung zu integrieren und bestenfalls zu fördern galt. Die Grundfrage, die ich mir zu dieser Zeit am häufigsten stellte, war, wie ich es schaffe, die zum Teil schwer traumatisierten, in einer völlig konträren Gedankenwelt befindlichen Kinder, mit der deutschen Sprache und Kultur auf ungezwungene, spielerische Art und Weise in Kontakt zu bringen, ohne sie zu überfordern und schlimmstenfalls eine Stagnation oder Restriktion im Spracherwerb hervorzurufen? Meine schnelle und ungefilterte Antwort auf all diese Fragen lag förmlich in der Bücherecke. In dieser Situation erinnerte ich mich an ein Hauptseminar im Fach Deutsch, in welchem wir uns gemeinsam mit unserem Dozenten Herrn A. an der Pädagogischen Hochschule Freiburg mit dem Erzählmedium Bilderbuch beschäftigten. Der Fokus lag hierbei auf der Kategorie des Wimmelbilderbuchs. Genau diese Form von Bilderbuch zog ich als Werkzeug heran, um auf einer- wenn schon nicht sprachlichen- doch zumindest gedanklich-emotionalen Ebene, mit meinen neuen „Schützlingen“ zu interagieren. Der deutsche Philosoph W. Benjamin formulierte diese Gedanken einst: „Mit illustrierten Büchern entstehen die Worte durch Bilder. In einem stillen, inneren und sehr persönlichen Prozess spricht der Leser die Worte der Geschichte in sich selbst aus“ (Büchereizentrale Schleswig-Holstein).

Aus diesem intuitiven Gedankengang entwickelte sich meine ganz persönliche Motivation und die damit verbundene zentrale Fragestellung dieser wissenschaftlichen Hausarbeit, ob und inwiefern Bilderbücher als zentrales Medium für die Erzählentwicklung von Kindern die Deutsch als Zweitsprache erlernen, relevant, hilfreich und zielführend sein können. Um diese komplexe Fragestellung innerhalb der vorliegenden Arbeit beantworten zu können, sind im weiteren Verlauf folgende, inhaltlich aufeinander aufbauen Teilaspekte, relevant: Der Gegenstand des Bilderbuches bildet in seinen vielschichtigen Erscheinungsformen das Fundament dieser Arbeit und führt den Leser in den Themenkomplex dieser Arbeit ein. Darauf aufbauend folgt eine Einführung zum Erwerb narrativer Strukturen anhand verschiedener Ansätze, die folglich im Kapitel des kontextuellen Erzählens ihre Berechtigung finden. Die Thematik der Text-Bild-Interpendenz wird im Verlauf dieser Arbeit immer wieder Gegenstand sein und vergleichend beleuchtet werden. Anknüpfend geht die Arbeit der Frage nach, inwiefern das Medium „Bilderbuch“ auch ohne Text erzählerische Fähigkeit vorweisen kann, indem es sogar zum Erzählen einladen und motivieren kann. Der Bezug zum Zweitspracherwerb, der bereits innerhalb des Titels dieser Arbeit aufgeführt ist, wird im Kapitel der Mehrsprachigkeit im unterrichtlichen Kontext genauer untersucht.

Um versprachlichte Gespräche überhaupt evaluieren zu können, bedarf es objektiver Messkriterien, die das sprachliche Niveau des Kindes, mit- und ohne Migrationshintergrund, zum Zeitpunkt des Schulantritts systematisch erfassen können. Hierzu werden weiteren Verlauf der Arbeit einige Verfahren aufgeführt, die sich mit dem Konsens der Sprachstandserhebung und der Narrationsfähigkeit von Kindern auseinandersetzen. Abschließend folgen einige Überlegungen zur Förderung von Erzählfähigkeit auf theoretischer und praktischer Ebene unter Berücksichtigung des Bildungsplanes, wodurch die Realisierbarkeit meiner Überlegungen innerhalb des schulischen Kontextes überprüft werden soll.

Damit verfolgt die vorliegende Arbeit das Ziel, eigene, aus der Alltagspraxis gewonnene Erfahrungen in einen wissenschaftlichen Kontext zu stellen. Durch die Frage nach dem Potential von Bilderbüchern für den Spracherwerb von Kindern mit Migrationshintergrund soll zudem eine aktualitätsbezogene, zukunftsorientierte Überprüfung der Anwendbarkeit aktueller Forschungsergebnisse stattfinden.

1. Das Bilderbuch

Jens Thiele bezeichnet das Bilderbuch allgemein als „eine spezielle Untergattung der Kinderliteratur, die in der Regel 30 Buchseiten nicht überschreitet und sich durch eine enge Wechselbeziehung von Bild und Text auszeichnet“ (Thiele 2003b: 71). Der Begriff des Bilderbuches als Printmedium, zeichnet sich, so wie wir ihn heutzutage verwenden, durch einen spezifischen Adressatenbezug aus. Es richtet sich daher vorwiegend an Kleinkinder, die sich im Vorschulalter befinden und demnach noch nicht lesen können (vgl. Süss 2000: 104). Im „Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur“(1977) ist folgende Definition zum Eintrag „Bilderbuch“ zu finden: „Schon bald nach Erfindung des Buchdrucks verwendeter Begriff zur Bezeichnung jedes mit Bildern versehenen Buches, später Begriffserweiterung durch die Zuordnung dieses Buchtyps zu einer bestimmten Altersgruppe der Literaturkonsumenten“ (Künnemann/Müller 1977: 159).

Im Hinblick auf die Omnipräsenz neuer elektronischer Medien, die fortlaufend und unaufhaltsam auf dem Markt erscheinen, stellt sich allerdings die Frage, ob das klassische Bilderbuch überhaupt noch einen festen Bestandteil im Kinderalltag darstellt. Es scheint manchmal so, als würde das Bilderbuch per se, durch die vielfältigen audiovisuell-medialen Verknüpfungen in Form von Verfilmungen, Vertonungen, Kreierung von scheinbar adäquaten Computerspielen, in denen sich Kinder sogar als Protagonisten voll und ganz in die Erzählung einfinden können, in den Schatten gestellt. In dieser Form der Auseinandersetzung mit Literatur besteht jedoch die Gefahr, dass sich Kinder nicht mehr auf die reine Erzählung, wie sie in einem Bilderbuch existiert, fokussieren können, sondern lediglich eine rein oberflächliche Auseinandersetzung mit der Thematik stattfindet. Im Zentrum steht dann nicht mehr das Verstehen der Erzählung an sich, sondern eher die Figur und deren Umfeld, die Konzentration auf die eigentliche Aussage rückt demnach in den Hintergrund (vgl. Rychener 2011:17). Das zum Verweilen, Stöbern und Schmökern einladende Blättern in Bilderbüchern wird jedoch, -im Gegensatz zu reizüberflutenden Aneinanderreihungen komplexer, flimmernder Bilder, in Form von Computer und Film noch immer von Klein und Groß geschätzt. (ebd.) Diese Relevanz des Bilderbuchs als eigenständige Literaturgattung anerkannt zu werden, wird von Hans Adolf Halbey hervorgehoben, da die Bebilderung in anderen Gattungen der Kinderliteratur, durch den dominierenden, meist größeren Textanteil, eine eher untergeordnete Rolle spielt. „Wer die Bilderbücher nicht achtet, wer seinem Kind nicht anhand der Bilderbücher zeigt, wie unbeschreiblich reich und bewunderungswürdig unsere Welt auch ist, macht ihnen das Lesenlernen und Lebenlernen schwer“ (Halbey 1997: 21).

Im Bilderbuch steht in aller Regel das Bild hierarchisch über dem Text. Hierbei ist anzumerken, dass im Folgenden bewusst der Begriff des Bildes anstelle der Illustration gewählt wird, da die Bedeutung des Bildes hier weit über eine den Text nur erläuternde oder kommentierende Funktion hinaus geht (ebd.). Im Bilderbuch findet demnach, im Gegensatz zum illustrierten Buch, in welchem das Bild lediglich als Zugabe oder Ergänzung des Textmaterials dient, keine derartige Hierarchisierung statt. Bild und Text stehen hier in einer harmonisch-kommunikativen, wechselseitigen Beziehung und werden gleichwertig betrachtet (vgl. Thiele 2011: 223). Über diese charakteristische Text-Bild-Interpendenz äußert sich Gudrun Hollstein (1999: 11) folgendermaßen: „Das gelungene narrative Zusammenspiel von Bild und Text, wobei sich jedes Medium seiner spezifischen erzählerischen Möglichkeiten bedient, stellt ein wesentliches Qualitätsmerkmal eines Bilderbuches dar.“ Der Ansatz von Aron Kibédi Vargas, der den Begriff der „visuellen Narrativität“ aus der historischen Höhlenmalerei hervorbringt, beschreibt, dass Bilder ebenso erzählerische Fähigkeiten mit sich bringen, um über die gesprochene Sprache hinaus zu kommunizieren und eigene Gedankengänge, sowie Ideen wortwörtlich „aufzuzeichnen“. (Winkler 2013:35) Dass das Bild also weitaus mehr Raum und Bedeutung beansprucht, als lediglich zu „untermalen“, sogar innerhalb eines kommunikativen Aktes einen wesentlichen Part als Medium einnimmt und somit „zur Veranschaulichung realer oder auch fiktiver Sachverhalte(…)“ dient, ist längst bekannt (Sachs-Hombach 2003: 77).

Die Besonderheit der Text-Bild-Beziehung hebt auch Thiele hervor und beschreibt sie als charakteristisch für das Bilderbuch. Das Bild im Buch kann unterschiedlich verankert sein. So ist der monoszenische Bildaufbau, (Wortherkunft aus dem Griechischen; mónos = einzig, allein) geprägt von Einzelszenen, dargestellt in Momentaufnahmen, die im „klassischen Bilderbuch“ vertreten sind. Das Pendant stellt damit der pluriszenische Bildaufbau dar, (Wortherkunft aus dem Lateinischen; plures, plura = mehrere), der mindestens zwei, meist jedoch mehrere Handlungsmomente widerspiegelt (vgl. 1.2.1). Aus dem wechselseitigen Zusammenspiel von textlicher und bildlicher Narration im Bilderbuch ergibt sich die Gesamtaussage: „Erst in der Verzahnung und Durchdringung beider Ebenen entwickelt sich die spezifische Sprache des Bilderbuches“ (Thiele 2011: 224) .

Die Erzählungen selbst laufen im Bilderbuch meist chronologisch ab. Einzelne lineare Handlungsbestandteile werden durch Bild und Text aneinandergereiht. Wenn eine weitere Erzählebene zur ursprünglichen Handlungsebene hinzukommt, wie etwa eine Traum- oder Fantasiesequenz, wird der chronologische Verlauf hierdurch nicht unterbrochen. „Auch wenn die Traumebene […] in zeitliche und räumliche Ferne führt, fügt sie sich als Fantasieexkurs in die Chronologie der Gesamterzählung ein“ (Thiele 2003: 77).

Thiele bestimmt drei verschiedene Erscheinungsformen wechselseitig auftretender Text- Bild-Beziehungen. Die Text-Bild-Parallelität liegt vor, wenn die Erzählung gleichermaßen aus Text und Bild besteht. Eine Doppelung liegt nicht vor, vielmehr untermauern und erweitern sich beide Erzählstränge gegenseitig und wirken aufeinander ein. Eine Verflechtung, ein sogenannter „geflochtener Zopf“ ergibt sich, wenn beide Teile ineinander verschlingen und abwechselnd den Handlungsstrang formen und entwickeln. Die dritte Erscheinungsform ist die kontrapunktische Beziehung zwischen Text und Bild, die meist im Widerspruch zueinander stehen. Diese Gegensätzlichkeit regt die Neugierde an und triggert eine Auseinandersetzung mit beiden Positionen, wodurch die eigentliche Kernaussage erst dann erkannt werden kann (ebd.: 224-226). Die verbreitete Annahme, dass das Bilderbuch nur als Unterhaltungsmedium im Umgang mit Kindern angesehen wird, ist aufgrund der Komplexität und Vielfalt an Gestaltungs-und Interpretationsmöglichkeiten also keineswegs fundiert. Mittlerweile existiert eine Reihe anspruchsvoller Bilderbücher mit doppeltem Adressatenbezug, die neben dem Kind auch den erwachsenen Leser explizit als Adressaten ansprechen. Erwachsene haben hierbei eben nicht mehr nur die Rolle der impliziten Mitrezipienten, die eine Erzählung für Kinder bewerten und als Vermittler und Übersetzer fungieren, sie sollen vielmehr aktiv teilhaben und werden dazu angehalten mitzugestalten- und zu interpretieren (vgl. Ewers 2000: 120-122).

1.1 Das textlose Bilderbuch

Bilderbücher ohne Worte, sogenannte textlose Bilderbücher bilden eine Sonderform in der Gattung der Kinderliteratur. Nach den vorhergehenden Ausführungen, stellt sich die Frage, inwiefern hier eine Erzählung, ohne eine Wechselbeziehung aus Text und Bild, obgleich symmetrisch, komplementär oder gar ambivalent, überhaupt möglich ist.

„Alles Nicht-Visuelle, insbesondere Sinnzusammenhänge, die innere Welt der Gedanken, Gefühle und Vorstellungen der Figuren und vor allem deren Rede, bleibt im Gegensatz zum verbalen Erzählen jenseits des direkten Darstellungsbereichs und kann allenfalls indirekt, durch indexikalisches

Andeuten im Gesichtsausdruck, in Blicken und Gestik der Figuren […] angedeutet werden.“ (Wolf 2002: 54)

Aus narratologischer Sicht betrachtet, mag dies nun lückenhaft, gar unzureichend klingen, aus dem Blickwinkel des bildnerischen Erzählens betrachtet, jedoch als charakteristisches Merkmal und Spezifikum dienen. In der Bildnarration wird die Erzählung nicht durch einen Erzähler- auf verbaler Ebene- vermittelt, sondern erfolgt laut Definition „mimetisch“, die Rezipienten sind also angehalten das „Unsichtbare“ dem „Sichtbaren“ zu ergänzen. (McCloud 2007: 100ff.) Kathrin Dammann-Thedens erläutert die Spezifika des bildnerischen Erzählens in der expliziten Darstellung bestimmter Aspekte auf rein visueller Ebene, wie beispielsweise das Aussehen von Figuren, Räumen, und Umgebungen in erzählten Sphären, die nicht verbalisiert, das heißt in das Medium Sprache transponiert werden müssen. (Wolf 2002: 100ff.) Bilder können also eine bildimmanente Narration besitzen, was bedeutet, dass ein Bild in sich erzählerisch sein kann. Das Bild per se kann also komplexe narrative Zusammenhänge, einen Handlungsverlauf sowie simultan stattfindende Ereignisse widerspiegeln und begreifbar machen. (Uhlig 2014: 11)

1.2 Erscheinungsformen/Genres

Ein Bilderbuch kann in den verschiedensten Formen auf dem Markt erscheinen, ob mit, ohne, oder nur partiellen Textpassagen, groß- oder kleinformatig, mit bunt- oder schwarzweißer Bebilderung, 10 oder 30 Seiten. Die textlosen Bilderbücher, die charakteristisch von wenig bis gar keinem Text begleitet werden (vgl. 1.2.1), sind selbst nochmals in verschiedene, für das Genre typische Kategorien zu untergliedern. Davon werden die folgenden drei innerhalb dieser Arbeit exemplarisch aufgeführt:

1.2.1 Das Wimmelbilderbuch

Das Wimmelbilderbuch, eine Form des textlosen Bilderbuches besteht aus vielen verschiedenen Einzelszenen und ist somit durch einen pluriszenischen Bildaufbau geprägt (vgl. 1.). „Alles ist in ständiger Bewegung, jeder tut etwas, das man benennen und deuten kann“. (Peetz/Liesenhoff 1996: 46) Das „klassische“ Bilderbuch hingegen, wird vom monoszenischen Bildaufbau bestimmt, das heißt es wird lediglich eine Momentaufnahme eines Augenblicks festgehalten.

Genau diese Vielfalt und Diversität an verschiedenen Szenerien weckt die Lust am Entdecken. Das Auge schweift von der einen zur nächsten Szene und tastet die Bildoberfläche Stück für Stück ab. Der Betrachter1 ist somit im Stande eigene Verknüpfungen und Beziehungen herzustellen und dadurch eigene Erzählstränge zu konstruieren. Da die Bilder mehr Fragen aufwerfen, als Antworten zu geben, (bspw.: Wohin fährt die Frau mit dem Fahrrad, was verkauft der Mann auf dem Markt?) ist der Leser voll und ganz auf sich gestellt, um diese aufkommenden Fragen mit Kreativität beantworten zu können. Der eigenen Kreativität wird hierbei also viel Spielraum gelassen (Oetken 2008: 59).

Diese Vielfalt von Begebenheiten, die von dauerndem Rhythmus und Dynamik geprägt sind, erfordern gleichzeitig sehr viel Geduld und Zeit, um mit dem Buch voll und ganz verschmelzen zu können. Man könnte fast sagen, dass nach gewisser Zeit der Auseinandersetzung ein „sich Versenken“ stattfindet (vgl. ebd.: 60). Nicht ohne Grund hat Ali Mitgutsch (vgl. Kap. 1.2.1.2). in seinen Werken oftmals ein Format größer als DIN A4 gewählt. Denn die narrative Fülle, die ein solches Werk mit sich bringt, erfordert ausreichend Platz um sich in seiner ganzen Pracht präsentieren zu können. Die Kinder sollten sich mit dem Buch so vereinen können, dass es Ihnen im wahrsten Sinne des Wortes möglich wird, ins Geschehen eintauchen zu können. (Oetken 2008: 59) Des Weiteren spielt der Perspektivwechsel dabei, inwiefern der Leser in die Thematik des Bilderbuches einsteigen kann, eine große Rolle. Zum einen existiert eine face-to-face-Ebene, welche den Einstieg „in medias res“ (aus dem lat.: In Mitten des Geschehens, direkt zur Sache) ermöglicht. Der Leser fühlt sich also mittendrin, als Teil der Geschichte. Eine andere Möglichkeit der Darstellung ist jene der Vogelperspektive. Diese wurde erstmals durch Stephan Baumann im Jahr 2000 populär, indem er ein Wimmelbilderbuch zur Thematik des Reisens publizierte. Der Betrachter fühlt sich hierbei wie im Flugzeug und kann somit alles von oben überblicken (Oetken 2008: 62).

Hauptthema vieler Wimmelbilderbücher ist immer wieder die alltagsbezogene Realität. Für Kinder ist dies deshalb so ansprechend und spannend, da sie in ihrer ganz persönlichen, realen und kindlichen Welt abgeholt werden und sich mit dem Erlebnisraum identifizieren können.

Der semantische Aspekt als Lernfortschritt im Spracherwerb ist ebenso von großer Bedeutung. So lernt das Kind beispielsweise durch verschiedenste Umweltveränderungen differenzierte Begriffe für neue aber auch alte, bereits bekannte Dinge kennen. In späteren Gesprächssituationen kann das Kind nun jene gelernten Begriffe aus seinem mentalen Lexikon abrufen und anwenden. Scheerer-Neumann (2003: 514) spricht bei diesem „Abgleichen“ mit dem mentalen Lexikon, von der Dekodierung des Inhalts.

Angesichts dieser Vielfalt im Umgang mit Wimmelbilderbüchern lässt sich behaupten, dass diese längst nicht mehr nur als Abendlektüre in Kinderzimmern oder dem Zeitvertreib in Wartezimmern von Kinderarztpraxen dienen.

Ein Wimmelbuch kann durch seine Masse, Komplexität und Vielfalt an Abbildungen im großen Format im ersten Moment vielleicht überfordern. Doch genau dieser Aspekt des Sichzeitnehmens und Fokussierens auf viele verschiedene Details, stärkt die Konzentration in hohem Maße. Vor allem ist diese besondere Art der Literaturbegegnung für Nicht- bzw. Wenig-Leser geeignet, da es das eigene Entdecken, das heißt eine Begegnung mit dem Buch im Rahmen der je eigenen Möglichkeiten zulässt (Hering 2007:25).

1.2.1.1 Rotraut Susanne Berner

Rotraut Susanne Berner ist seit 1977 freischaffend tätig und etablierte sich „als eine der bekanntesten und erfolgreichsten zeitgenössischen Illustratorinnen und Buchgestalterinnen“ (Internationales biographisches Archiv 2009). Die gebürtige Stuttgarterin studierte in ihrer Wahlheimat München Grafikdesign an der dortigen Fachhochschule. Sie veröffentlichte im Jahre 2003 das „Winter-Wimmelbuch“, das in den Jahren 2004 und 2005 durch seine Fortsetzungen „Frühlings-Wimmelbuch“, „Sommer-Wimmelbuch“ und „Herbst- Wimmelbuch“ sozusagen zu einem Jahreszeitenwimmelbuch in vier Bänden komplementiert wurde, in denen Kinder sich fortentwickelnde Geschichten entdecken und verfolgen können. Ihr „Winter-Wimmelbuch“ wurde auf die Focus-Bestenliste „Die besten 7 Bücher für junge Leser“ des Jahres 2003 gesetzt.

Im Jahre 2008 folgte wegen der großen Nachfrage ein fünftes Wimmelbilderbuch aus derselben Reihe mit dem Titel „Nacht-Wimmelbuch“ (vgl. Oetken 2008: 63).

Im Gegensatz zu Ali Mitgutsch, der sich vor allem auf die vordergründig realistische und doch sehr behütete Landschaftsgestaltung beschränkt, entwickelt Rotraut Susanne Berner die Wimmelbücher vor allem im narrativen Sinn weiter (vgl. ebd: 64). Als Charakteristika ihrer Illustrationen gelten zum einen die schwarze Konturlinie, mit welcher sie Figuren und Gegenstände umreißt, sowie die Vorliebe für die Farbe Rot. Ihr lesendes Publikum begeistert sie mit ihren hintersinnigen, heiter-naiven, fantasievollen Darstellungen. Die einzigartige Bildsprache der Illustratorin sei "völlig unverwechselbar", so die Süddeutsche Zeitung.

Berner wurde mehrfach mit dem Deutschen Literaturpreis ausgezeichnet, 2006 sogar mit dem auf 10.000 Euro dotierten Sonderpreis in Bezug auf ihr geleistetes Gesamtwerk. Berner habe „neue Maßstäbe der Illustration und Gestaltung“ gesetzt, so die bewertende Jury. (Internationales biographisches Archiv 2009)

1.2.1.2 Ali Mitgutsch

Ali Mitgutsch galt schon vor seinem Wimmelbilderbuch-Debüt als talentierter und angesehener Bilderbuch-Künstler. In den Jahren 1960 („Pepes Hut“), 1961 („Ulus abenteuerliche Reise zum Nordlicht“) und 1962 („Nico findet einen Schatz“) war er Teil der Auswahlliste des renommierten Deutschen-Jugendliteratur-Preises. Jedoch erlangte er erst im Jahre 1969 mit seinem ein Jahr zuvor veröffentlichten Buch „Rundherum in meiner Stadt“, die höchste Auszeichnung für Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland. Er wurde durch das völlig neue Konzept seines pluriszenisch gestalteten Bilderbuchs zum Vorreiter einer neuen Bilderbuchgeneration. (Oetken 2008: 58).

Alfons Mitgutsch, so sein bürgerlicher Namen, wurde am 21. September 1935 in München geboren, wo er auch heute noch wohnt. Ali, wie er von seiner Familie auf Grund seiner schwarzen, lockigen Haare genannt wurde, war in seiner Kindheit ein Einzelgänger und lernte schnell, sich eine Fantasiewelt zu erschaffen. Nach der Hauptschule begann er eine Ausbildung als Lithograph, die er jedoch abbrach, da er eine Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker anstrebte. Ein Lektor, der seine Entwürfe begutachtete, gab ihm dann den Anstoß, Kinderbücher zu entwerfen. Er habe sich immer Bücher gewünscht, „die so groß sind, dass man sich hineinlegen kann“ (Mitgutsch 1969) Mit seinem preisgekrönten Wimmelbilderbuch „Rundherum in meiner Stadt“ gelang ihm dann der endgültige Durchbruch - insgesamt wurden mittlerweile über 1,3 Millionen Exemplare von dem 1968 veröffentlichten Buch verkauft (Münchhausen 1987). Insgesamt veröffentlichte Mitgutsch über 70 Bücher, Poster und Puzzles die Wimmelbildern zum Gegenstand hatten (Ravensburger.de 2010).

Obwohl mittlerweile einige Künstler ebenfalls Wimmelbilderbücher gestalten, bleiben die von Ali Mitgutsch entworfenen Bilderbücher dennoch besonders und einzigartig. Seine Darstellungen zeigen eine vitale, detailreiche und vielseitige Welt, die explizit eine Alltagswelt verkörpert (Oetken 2008: 61). Die Alltagssituationen, die zum Beispiel in „Rundherum in meiner Stadt“ (Mitgutsch 1969) gezeigt werden, könnten Teil jeder gewöhnlichen Kinder- und Erlebniswelt sein, obwohl Mitgutsch ganz bewusst auf jegliche Art von sozialen Schattenseiten von Kindheit, wie Gewalt, Not, oder Armut verzichtet. So bleiben seine Illustrationen trotz ihrer Vielfältigkeit und ihrem Realitätsbezug dennoch eine idyllische Abbildung (vgl. Oetken 2008: 62).

1.2.1.3 Thé Tjong Khing

Der niederländische Illustrator Thé Tjong-Khing erzählt mit seinem Wimmelbilderbuch „Die Torte ist weg!“, das zuerst unter dem niederländischen Originaltitel „Waar is de taart“? erschien, ebenfalls fortlaufende Geschichten. Aber anders als bei Mitgutsch und Berner, wird in dem im Jahre 2004 veröffentlichtem Buch kein realistisches Alltagsgeschehen abgebildet. Thé Tjong-Khings Bildraumgestaltung reduziert sich auf absurd-überdrehte Erzählstränge, die konsequent von Seite zu Seite temporeich weitererzählt werden (vgl. Oetken 2008: 62)

Schon früh entdeckte der am 4. August 1933 in Indonesien geborene Thé Tjong-Khing seine Leidenschaft für das Zeichnen, so begann er ein Kunststudium in Bandung, welches er ab dem 23. Lebensjahr in Amsterdam fortsetzte. Seit 1971 ist er als freier Illustrator tätig und zeichnet vor allem Kinderbilder, da es ihn nach eigener Aussage „glücklich [macht], für Kinder zu zeichnen.“ (Moritzverlag 2013)

In seinem ersten Wimmelbuch erzählt er von zwei Ratten, die eine lecker aussehende Torte gestohlen haben und mit ihrer Beute flüchten. Eine rasante Verfolgungsjagd durch surrealistische Wälder, liebliche Flusslandschaften und hohe Berge liefert die Hauptgeschichte, jedoch erleben verschiedene (Neben-) Charaktere, wie Affen, Chamäleons, Bären und Frösche mit ihren eigenen kleinen Geschichten eigene Abenteuer, die es zu entdecken gilt (vgl. Thé Tjong-Khing 2004).

Nachdem Thé Tjong-Khing für sein Werk „Die Torte ist weg!“ mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde, ergänzte er die Reihe mit zwei weiteren Bänden „Picknick mit Torte“ (2005) und „Geburtstag mit Torte“ (2010). (Tjong-Khing 2013). Insgesamt haben die „Torten-Bücher“ in Deutschland eine Auflage von 75.000 Exemplaren (Moritzverlag 2013).

1.2.2 Das Spielbilderbuch

Die Norm eines Buches ist scheinbar, dass es einen Rücken, zwei Deckel und dazwischen eine unbestimmte Anzahl an Seiten zum Weiterblättern hat. Dass diese Seiten aber nicht zwangsläufig nur den Auftrag haben, zum Lesen und Betrachten aufzufordern, sondern durch vielartige Papierspielereien zum Manipulieren anregen können und damit Spielcharakter bekommen, „gehört zu den reizvollen Abweichungen vom Normaltyp Buch.“ (Krahe, 2002: 11) In der Literatur werden diese auch als „Aktionsbücher“, „Handlungsbilderbücher“ und „Bewegliche Bilderbücher“ bezeichnet. Neben der Tätigkeit des Betrachtens und Lesens, stimuliert diese Art des Buches eine ganz andere „Technik“, die vom Rezipient genutzt werden kann. So kann beispielsweise durch das Aufklappen einzelner Bildsegmente eine vom Leser neue Bildkulisse kreiert werden, durch Aufziehen- und schieben neue, im Buch mit eingearbeitete Bildmaterialien entdeckt werden oder zum „haptischen Lesen“ animiert werden. Im Gegensatz zum „klassischen Bilderbuch“ bleibt es bei dieser Art der Bilderbuchbegegnung nicht nur beim Träumen, Betrachten und Nachdenken, sondern das Geschehen wird durch das Einbeziehen sowie das aktive Eingreifen des Lesers in das Geschehen erlebbar gemacht. Der hier häufig verwendete Begriff „Pop-up“ bezeichnet eine populäre Gattung, in der sich das Spiel-Bilderbuch sukzessive von der zweidimensionalen Bildoberfläche zur Dreidimensionalität entwickelt. (Hollstein/Sonnenmoser 2006: 284) „In der Kinderliteratur gibt es wohl kaum eine Gattung, in der das Spiel eine so perfekte Symbiose mit Wort und Bild eingegangen ist wie in den Spielbüchern.“ (Blöcker 1988: 102) Warum die Kategorie des Spielbilderbuches in der Kinder- und Jugendliteratur oftmals ein Schattendasein führt, obwohl die Motivation, Rezipienten schon im frühen Kindesalter mit Sprache auf solch spielerische Art und Weise vertraut zu machen, äußerst groß sein könnte, erklärt (sich) Heitmann (1996:47) nur so, dass es möglicherweise „vielfach nicht genügend bekannt ist oder aber nur unzureichend in seinen Möglichkeiten ernst genommen wird.“

2. Zum Erwerb narrativer Strukturen

Die schematheoretischen Ansätze der Forschung (nach Bartlett 1932) versuchen, gewisse Schemata die sich in jeder Erzählung wiederfinden lassen, zu bestimmen, mit dem Ziel, den Funktionen, Schemata und Konstitutionsprozessen, welche Erzählungen in unserer konversationellen Wirklichkeit erzeugen, auf den Grund zu gehen. Diese Forschungsansätze bringen zugleich drei Kriterien hervor, „die eine Erzählung als sprachliche Einheit definieren (Toolan 1988): a) Sie bildet eine zusammenhängende Einheit von Sätzen (Kohäsion); b) Sie besitzt ein spezifisches übergeordnetes Schema; c) Sie ist in die kommunikative Situation eingebettet.

2.1 Zur narrativen Entwicklung von Kindern

Bei der analysierenden Betrachtung von Erzählungen vier- bis neunjähriger Kinder beobachtete Karmiloff-Smith (1979,1981), dass Kinder verschiedentliche Phasen von Erzählentwicklung beispielsweise in Bezug auf die Verwendung von Pronomina durchlaufen. Innerhalb der ersten Phase werden Pronomina rein deiktisch verwendet und haben somit keinen Bezug auf zuvor gebrauchte Wörter. (Hickmann 1985, 1987) Ein Beispielsatz soll diese Thematik verdeutlichen: „ Ich sitze am Tisch und esse einen Keks. Er ist kaputt.“ Das Pronomen „er“ im zweiten Satz bezieht sich hier nicht wie von einem erwachsenen Rezipienten verstanden und interpretiert auf ein im Satz zuvor verwendetes Nomen, sondern auf den realen, außersprachlichen Gegenstand „Tisch“. Das Kind lernt erst im Laufe der Zeit die intralinguistisch korrekte Verwendung von Pronomen, die dann nämlich auf ein im Satz vorangestelltes Wort referieren. Wie diese Entwicklungsstufe seitens des Kindes vollzogen wird, formuliert Hickmann vage, indem sie vermutet „that it might be from earlier deictic uses of referring expressions that children learn to use the very same form to organize discourse relationships when refering to entities and events that are not present in the nonlinguistic context of discourse“ ( 1985: 243) Innerhalb der zweiten Phase verwenden Kinder innerhalb ihrer Erzählungen ein thematisches Subjekt. Diese Strategie bezeichnet Karmiloff-Smith als „themtic subject strategy“. Diese „Hauptfigur“ hat sozusagen das Vorrecht auf die Bezeichnung durch Pronomen. Alle anderen Akteure sind mit Nominalformen belegt. Die rein deiktische Verwendung von Pronomen trifft auf dieser zweiten Stufe also nicht mehr zu. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber nicht, dass Pronomina in anaphorischer Art und Weise eingebunden werden. Es handelt sich eher um einen Zwischenzustand. Das Pronomen gleicht sozusagen einer „Nullstelle“, da es keine alternative Konnotation zulässt. In der dritten Phase wird der Sinn für den anaphorischen Gebrauch von Pronomen geschärft. Die bisweilen scheinbar manifestierte Position des thematischen Subjekts kann nun auch auf weitere Objekte transferiert werden. Damit wird die narrative Struktur wesentlich begünstigt und erweitert. (Becker 2011: 14)

Innerhalb einer umfassenden Studie zu Kohärenzfähigkeit „The acquisition of narratives“ bei Kindern und Erwachsenen berief sich Bamberg (1987) ebenfalls auf die Theorie des thematischen Subjekts. Er untersuchte den sprachlichen Gebrauch von Nominal- im Gegensatz zu Pronominalformen innerhalb von Erzählungen in drei verschiedenen Altersstufen. Unter einer Nominalform versteht er einen Artikel (sowohl bestimmt als auch unbestimmt) in Kombination mit einem Nomen, als Pronominalform bezeichnet er alle Artikel, Pronomen, Demonstrativpronomen, sowie die Nullstelle. Laut Bamberg gibt es neben der „thematic subject strategy“ noch weitere Formen auf einen Protagonisten hinweisen zu können und sich thematisch zu beziehen.

a) In der Strategie des lokalen Kontrastes ist das „hier und jetzt“ ausschlaggebend für den Sinn der Erzählung, es wird kein Augenmerk auf funktionale Kriterien gelegt. Bsp.: „Der lebt in einem Haus. Der hatte einen Frosch“ (Becker 2011: 15).
b) Innerhalb der Nominalstrategie wird auf die Verwendung von Pronomen gänzlich verzichtet. Bsp.: „Der Junge wohnt in einem Haus. Der Junge hat einen Frosch. Der Frosch wohnte in einem Glas“ (ebd.).
c) Die anaphorische Strategie zeichnet sich durch den Wechsel der Referenz durch Pronominalform und Nominalform aus. Bsp.: „Der Junge lebte in einem Haus. Er hatte einen Frosch. Der Frosch lebte in einem Glas“ (ebd.).

Die ersten beiden Strategien finden sich laut Bamberg im Erzählverhalten von Kleinkindern, die sich im Alter zwischen zwei und vier Jahren befinden, letztere anaphorische Strategie findet sich in seinen Anfängen bereits in der Alterskategorie fünf- bis sechsjähriger und dominiert schließlich bei den neun- bis zehnjährigen. Im Gebrauch von Erwachsenen spiegelt sich die anaphorische Strategie wider.

[...]


1 Die im Verlauf dieser Arbeit verwendete männliche Form von Betrachter/Rezipient/Leser/Erzähler/Schüler usw. beinhaltet pars pro toto, soweit nicht explizit gekennzeichnet, auch das weibliche Geschlecht.

Ende der Leseprobe aus 64 Seiten

Details

Titel
Textlose Bilderbücher als Erzählanlass für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau  (Deutsche Sprache und Literatur)
Jahr
2016
Seiten
64
Katalognummer
V356840
ISBN (eBook)
9783668464018
ISBN (Buch)
9783668464025
Dateigröße
1076 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erzählen, DaZ, Bilderbücher, Erzählanlass
Arbeit zitieren
Anonym, 2016, Textlose Bilderbücher als Erzählanlass für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/356840

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