Der Erziehungsbegriff der Gegenwart. Vergleich Wolfgang Brezinka und Friedrich W. Kron


Hausarbeit, 2016

14 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zum Grundbegriff der Erziehung

3. Erziehung als Beeinflussung psychischer Disposition (Wolfgang Brezinka)

4. Erziehung als symbolische Interaktion (Friedrich W. Kron)

5. Kritik Krons an Brezinkas Erziehungsdefinition

6. Vergleich der beiden Definitionsversuche

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Erziehung ist ein Begriff pädagogischen Handelns. In der alltäglichen Praxis wird das Wort Erziehung häufig genutzt, ohne eine genauere Definition zu kennen. Wenn jemand fragt, was darunter verstanden wird, lautet die Antwort meistens: „Kindern etwas beibringen“. Aber was heißt das, Kindern etwas beibringen? Was wird Kindern beigebracht, wer überhaupt bringt Kindern etwas bei und wie bringt man Kindern etwas bei? Anhand der vorliegenden Arbeit „Der Erziehungsbegriff der Gegenwart - Vergleich Wolfgang Brezinka und Friedrich W. Kron“ sollen grundlegende Probleme einer solchen Definition geklärt werden. Dazu wird zunächst die Herkunft des Begriffes geklärt und weitere Definitionen von anderen Erziehungswissenschaftlern aufgeführt. Des Weiteren werden zur Veranschaulichung Brezinkas und Krons Definitionen analysiert und anschließend verglichen. Ersterer ist ein Vertreter der empirischen Erziehungswissenschaft. Seine Definition ist durch fünf Bestimmungen geprägt. Kron gehört der kritischen Erziehungswissenschaft an. Sein Erziehungsbegriff baut auf Brezinkas auf und erweitert diesen durch vier Gedankengänge. Diese Arbeit wird keine Ausarbeitung einer eigenen Definition. Sie wird lediglich einen kleinen Überblick über die Vielschichtigkeit des Begriffes der Erziehung bieten.

2. Zum Begriff der Erziehung

Im alltäglichen Sprachgebrauch ist unter pädagogischem Handeln die geplante Abfolge von Maßnahmen gemeint, die zur Folge hat, dass Kinder und Jugendliche, die von ihren Eltern oder Lehrern gewünschte Verhaltensweisen umsetzen und diese somit zu Erziehungsmaßnahmen werden. Im Großen und Ganzen bezeichnet der Begriff des pädagogischen Handelns jegliche Form erzieherischer Tätigkeiten. „Handeln ist allgemein ein bewusstes und willentliches menschliches Tun, das auf die Gestaltung der Wirklichkeit gerichtet ist; der Handelnde verfolgt dabei bestimmte Ziele und hat dafür bestimmte Motive.“1 Pädagogisches Handeln ist auch soziales Handeln, da es sich auf die Veränderungen von Menschen bzw. von menschlichen Verhältnissen und Bedingungen bezieht. „Soziales Handeln ist immer wechselseitiges Handeln, d.h. am Handeln anderer orientiert.“2 Eine Form sozialen Handelns ist die Erziehung. Das Wort ››Erziehung‹‹ ist auf das althochdeutsche Wort irziohan (herausziehen) zurückzuführen und bedeutet, „jemandes Geist und Charakter bilden und seine Entwicklung fördern“. Laut Dolch wird an das Wort ››ziehen‹‹ erinnert, welches so viel bedeutet wie „‘auf etwas unter Anwendung von Kraft derart einwirken, daß es von einer Lage oder Befindlichkeit in eine dem Einwirkenden irgendwie näher seiende andere, bessere oder richtiger, erwünschter erscheinende gebracht wird.‘“3 Es ist das älteste Wort und eine zentrale Kategorie der Pädagogik. Kulturelles Wissen und kulturelle Fähigkeiten sind nicht genetisch bedingt, sondern werden einem durch Erziehung vermittelt, was auf die Notwendigkeit der Erziehung verweist. 4 Der Begriff der Erziehung wurde schon von vielen Wissenschaftlern, Theoretikern und Philosophen definiert. Doch bis heute ist es keinem gelungen, eine genaue und einheitliche Definition zu formulieren. Im Folgenden sind vier verschiedene Definitionen von Erziehung aufgeführt:

1. Wilhelm Dilthey: „Erziehung… besteht nur in der Abstraktion für sich. Diese Abstraktion ist freilich unvermeidlich für ihre Theorie“5
2. Hermann Giese>über Menschen, in der Regel bestimmter Erwachsener (Eltern, Lehrer) über bestimmte Kinder und Jugendliche. Dieses Gewaltverhältnis rechtfertigt sich zunächst einmal durch die Notwendigkeit der Fürsorge. Solange das Kind nicht selbstständig handeln und sein Leben nicht selbst verantworten kann - und in dem Maße, wie es dies nicht kann - muss jemand an seiner Stelle handeln und es zur Not auch zwingen, dem zu folgen”6
3. Emile Durkheim: „Erziehung ist die Einwirkung, welche die Erwachsenengeneration auf jene ausübt, die für das soziale Leben noch nicht reif sind. Ihr Ziel ist es im Kinde gewisse physische, intellektuelle und sittliche Zustände zu schaffen und zu entwickeln, die sowohl die politische Gesellschaft in ihrer Einheit als auch das spezielle Milieu, zu dem es bestimmt ist, von ihm verlangen”7
4. Immanuel Kant: „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht.“8

Im Lexikon steht die Definition: „Erziehung ist die planmäßige Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen, i. w. S. die Gesamtheit aller Bestrebungen, Vorgänge, Tätigkeiten usw., die den Erziehungsvorgang absichtlich oder unabsichtlich beeinflussen.“9 Durch die oben genannten Definitionen wird deutlich, dass der Begriff der Erziehung sehr vielschichtig und durch viele verschiedene Faktoren geprägt ist. Durch die verschiedenen Ansätze und Erklärungsversuche wird es problematisch, eine eindeutige und einheitliche Definition zu finden. Im Allgemeinen lässt sich über die Erziehung sagen, dass der Grundgedanke darin besteht, dass Menschen sich in ihrer Entwicklung gegenseitig beeinflussen. Der Erwachsene versucht den Heranwachsenden zur Selbstständigkeit, zu erwünschten Verhaltensmustern und somit zur Sicherung der Kultur und des Fortbestandes der Gesellschaft zu erziehen. Der Educand (Gerundiv vom lateinischen ››educandus‹‹ = der Zu-Erziehende; einer, der erzogen werden soll)10 soll sich in seiner Lebenswelt zurechtfinden können. Dabei soll aber die selbstständige Entfaltung der Persönlichkeit nicht außer Acht gelassen werden.

Der Erziehungsbegriff der Gegenwart wird folgend, anhand von zwei differentiellen Auffassungen erörtert. Die erste Definition stammt von Wolfgang Brezinka, welcher der empirischen (von griech. empeiría, Erfahrung, Erfahrungswissen‘) und wertneutralen Erziehungswissenschaft angehört. Er sieht die Erziehung als Beeinflussung psychischer Dispositionen. Die zweite Definition stammt von Friedrich W. Kron, welcher Erziehung als symbolische Interaktion sieht.11 Er ist ein Vertreter der kritischen Erziehungswissenschaft.

3. Erziehung als Beeinflussung psychischer Disposition (Wolfgang Brezinka)

Wolfgang Brezinka, geboren am 09. Juni 1928 in Berlin, ist ein deutsch-österreichischer Erziehungswissenschaftler. Er absolvierte Lehrtätigkeiten an den Universitäten Würzburg und Innsbruck, sowie an der Universität Konstanz. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter einer empirisch - wertneutralen Erziehungswissenschaft.

Der Ansatz seines Versuches, eine Definition für den Erziehungsbegriff zu finden, beginnt wie folgt: „Unter den vielen Handlungen, die Menschen ausführen, gibt es auch solche, die als ‚Erziehen‘ bezeichnet werden. Wodurch unterscheidet sich erzieherisches handeln von anderen Handlungen? In erster Linie durch den Zweck, den der Handelnde verfolgt. Erzieherisches Handeln ist auf Mitmenschen gerichtet; es ist mitmenschliches oder soziales Handeln.“12 Brezinkas Analyse von dem Begriff Erziehung ist deshalb so wichtig, weil er sich bei dem Versuch, eine Definition für Erziehung zu finden, an das Verfahren einer Begriffsexplikaton (vom lateinischen ››explicare‹‹ = auseinanderlegen, erklären, klarlegen) hält. „Eine Begriffsexplikation hat den Zweck, einen mehr oder weniger unexakten Begriff durch einen präziseren Begriff zu ersetzen, der in einen systematischen Zusammenhang mit anderen relativ präzisen Begriffen steht.“13 Hierfür stellt er vier Forderungen auf: der Begriff muss dem üblichen Begriff ähnlich sein, seine Merkmale müssen exakt bestimmt sein, er muss „fruchtbar“ sein und so einfach wie möglich.14 Dieses Verfahren ist beschreibend (deskriptiv) und empirisch und baut auf Bedeutungsanalysen auf.15 Brezinka weist darauf hin, dass die „Mehrdeutigkeit und Vagheit“ einiger pädagogischer Ausdrücke zu Missverständnissen in deren Interpretation führen kann. 16 Hierfür existieren aber verschiedene Verwendungsregeln. „Für mehrdeutige Ausdrücke bestehen mehrere Verwendungsregeln nebeneinander. Bei vagen Ausdrücken sind die Regeln ihrer Verwendung unvollständig festgelegt, so daß ein mehr oder weniger großer Spielraum für Vermutungen darüber, was sie bedeuten könnten, vorhanden ist.“17 Für Brezinka sind genaue Definitionen von Termini sehr wichtig. Der Begriff der Erziehung ist für ihn einer der wichtigsten Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft. Sein Erziehungsbegriff ist durch folgende fünf Bestimmungen geprägt. In der ersten Bestimmung beschreibt er, dass Erziehung eine bestimmte Form sozialen Handelns sei. Handeln ist ein absichtsvolles, zweckgerichtetes Tun, was bedeutet, dass es ein Verhalten ist. Aber nicht alles Verhalten ist gleich ein Handeln, z.B. schlafen, blinzeln, atmen. In seiner Definition bedeutet soziales Handeln, ein Handeln mit Intention auf andere Menschen gerichtet. Laut Brezinka sind in dem Fall Tätigkeiten, wie das Malen eines Bildes oder das Bauen eines Baumhauses keine sozialen Handlungen.18 Die zweite Bestimmung besagt, dass eine Kopräsenz von zwei Menschen unterschiedlicher Positionen für eine soziale Handlung nötig sei. Die des Erziehers (Erzieher subjekt) und die des Educanden (Erzieher objekt). Daraus lässt sich schließen, dass Brezinka soziales Handeln als ein asymmetrisches und hierarchisches Verhältnis sieht.19 In der dritten Bestimmung wird das kausale Ursache-Wirkungs- Verhältnis erläutert, welches erzieherisches Handeln als Ursache und deren Wirkung beim Zögling entspricht. „‘Ohne ein Kausalverhältnis zwischen Erzieher und Zögling‘ lässt sich Erziehung gar nicht denken.“20 Bei der vierten Bestimmung bezieht sich Brezinka, bei der oben genannten Wirkung, nicht nur auf das äußere und beobachtbare Verhalten, sondern auch auf das Innere, die Persönlichkeit. Brezinka versteht Erziehung als eine Beeinflussung der psychischen Dispositionen. Im Mittelpunkt steht die Gesamtheit der psychischen Dispositionen, wie Fähigkeiten, Haltungen und Einstellungen, welche „eine relativ dauerhafte Bereitschaft zum Vollzug bestimmter Erlebnisse oder Verhaltensweisen“ 21 haben. 22 Die fünfte und somit letzte Bestimmung beschreibt die Zwecksetzung. Für Brezinka orientiert sich erzieherisches Handeln an bestimmten Wertordnungen. Der Erzieher versucht den Educanden zu einer möglichst ähnlichen „Idealvorstellung“ zu erziehen. Zusammenfassend lässt sich in der letzten Bestimmung sagen, dass Brezinka sich bei seiner Definition der Erziehung an ein wertorientiertes bzw. an ein Normen ausgerichtetes Handeln orientiert.23 Durch die fünf aufgezählten Bestimmungen lässt sich nun eine neue Definition formulieren: „ Unter Erziehung werden Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Disposition anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten. “ 24 Er verweist hierbei darauf, dass das Wort Persönlichkeit als Synonym für ››psychische Dispositionen‹‹ verwendet werden darf.

Wie oben schon erwähnt, existieren viele verschiedene Ansätze von Definitionsversuchen für den Erziehungsbegriff. Brezinkas Definition bildet die Grundlage für die Definition von Friedrich W. Kron, dessen Theorie im Folgenden erläutert werden soll.

4. Erziehung als symbolische Interaktion (Friedrich W. Kron)

Friedrich W. Kron ist im Gegensatz zu Brezinka eher unbekannt. Er ist, wie Klaus Mollenhauer, der in Fachkreisen einen höheren Bekanntheitsgrad hat, ein Vertreter der kritischen Erziehungswissenschaft. Kron bringt in seinem Text gute Ansätze und Überlegungen über den Begriff der Erziehung an, die Brezinka logisch und einfach gegenübergestellt werden können. Er unterscheidet in seiner Definition zwischen Enkulturation und Sozialisation auf der einen und Erziehung auf der anderen Seite. Dabei sind die ersten beiden Begriffe „Kunstbegriffe“ und Erziehung ein Alltagsbegriff. Sie unterscheiden sich in der „Differenz von Sozial werdung und Sozial machung25. Sozialwerdung ist ein Teil der Enkulturation und Sozialisation, welchem der Zögling ständig unterliegt. Dadurch wird er „gesellschaftlich-kulturell Handlungsfähig“ gemacht.26 Sozialmachung ist ein Begriff der Erziehung und beschreibt den Prozess, „in dem es speziell um persönlichkeitsbildende und reflexive, von dem handelnden Individuum selbst bestimmte Lernvorgänge, geht“. 27 Kron erweitert Brezinkas Definition um vier Gedankengänge. Sein wichtigster Punkt ist das „Rollenmodell“. „Rollenhandeln‘ heißt alles Handeln in einem sozialen Kontext, in dem die Handelnden bestimmte Positionen einnehmen und mit Hilfe gegenseitiger Verhaltenserwartung interagieren.“28 Erzieher und Zögling unterliegen unterschiedlichen Rollen, die meist an Erwartungen geknüpft sind, die sie wechselseitig aneinander richten. In der Familie, im Freundeskreis, im Verein u.a. unterliegt man verschiedenen Rollen, mit verschiedenen Erwartungen, welche beim „Nicht- Erfüllen“ entsprechende Konsequenzen bzw. Folgen mit sich bringen. Kron sagt in seinem Buch, dass die „im Regelfall durch Tradition und Konvention sowie durch eingespielte Regeln (z.B. in der Familie) ausdrücklich gemachter Regelwerke (z.B. in den Schulordnungen der Schulen)“ 29 die wechselseitigen Erwartungen sind. Die Theorie, auf die sich Kron bezieht, heißt deshalb „symbolischer Interaktionismus“, weil dieses wechselseitige Handeln durch Sprache und andere Symbole vermittelt wird.30 Der nächste Schritt erklärt die Differenz zwischen dem Erzieher und dem Zögling.

[...]


1 Giesecke 1997, S.21

2 Giesecke 1997, S.21

3 Dolch, 1961, S.49

4 Vgl. Bernhard, 2014, S.21

5 Zitat in Brezinka, 1981, S. 34

6 Giesecke, 1994, S.70

7 Durkheim, 1972, Erziehung und Soziologie, S.57

8 Kant, 1983, S. 699

9 Bertelsmann, 1957, S.481

10 Vgl. Brezinka, 1981, S.12

11 Vgl. Kron, 1994, S.54

12 B S. 42 Metha

13 Vgl. S.48 b

14 Vgl. S 95 Brezinka

15 Vgl. S 32 b

16 Vgl S. 23 b 17 S. 24 b

18 Vgl Koller S. 49

19 Koller S. 50

20 Brezinka, 1978, S. 43

21 Brezinka, 1978, S.43

22 Vgl. Koller, 2008, S. 51

23 Vgl. Koller, 2008, S. 53

24 Brezinka 1978, S.45; Hervorhebung im Original

25 Koller, 2008, S.56

26 Vgl. Kron, 1994, S.55

27 Vgl. Kron, 1994, S.55

28 Zitat von Mollenhauer in Kron, 1994, S.56

29 Vgl. Kron, 1994, S.57

30 Vgl. Koller, 2008, S.58

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Der Erziehungsbegriff der Gegenwart. Vergleich Wolfgang Brezinka und Friedrich W. Kron
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Pädagogik)
Note
2,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
14
Katalognummer
V356789
ISBN (eBook)
9783668425651
ISBN (Buch)
9783668425668
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Brezinka, Kron, Erziehung
Arbeit zitieren
Isabella Schmid (Autor:in), 2016, Der Erziehungsbegriff der Gegenwart. Vergleich Wolfgang Brezinka und Friedrich W. Kron, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/356789

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