Ebola als Bedrohung für die regionale und globale Sicherheit

Framing von Virus-Pandemien als Legitimationsstrategie in der Krisenpolitik der WHO


Masterarbeit, 2016

80 Seiten, Note: 2,3

Ronja Maus (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Forschungsfrage und Forschungsdesign
1.2 Empirische und theoretische Relevanz
1.3 Literaturlage

2. Theorie
2.1 Metatheoretisches Fundament
2.2 Das erweiterte Sicherheitsverständnis
2.3 Kopenhagener Schule
2.3.1 Versicherheitlichungstheorie
2.3.2 IOs als versicherheitlichende Akteure
2.3.3 Erweiterung um den Threat Politics-Ansatz

3. Methode
3.1 Diskursanalyse als Instrument der konstruktivistischen Forschung
3.2 Eigene Vorgehensweise
3.3 Kritische Reflexion des Ansatzes

4. Versicherheitlichung von Globaler Gesundheit in der Vergangenheit an den Beispielen SARS und H1N1
4.1. SARS-Pandemie 2002/2003
4.2. H1N1-Pandemie 2009/2010

5. Kontext: Umgang der WHO mit der Infektionskrankheit Ebola
5.1 Überblick über Ebolafieber-Pandemie 2014
5.2 Rahmenbedingungen für eine mögliche Versicherheitlichung von Ebola
5.3 Auswahl und Einordnung des Analysematerials
5.4 Diskurs der WHO
5.4.1 Darstellung der Infektionskrankheit Ebola als Bedrohung für die Sicherheit
5.4.2 Alternative Frames
5.4.3 Forderung nach außergewöhnlichen Maßnahmen
5.4.4 Zwischenfazit
5.4.5 Reaktionen auf Krisenrhetorik der WHO-Generaldirektorin

6. Fazit
6.1 Rückbezug auf Forschungsfrage
6.2 Abschließende Überlegungen

Literatur

Primärquellen (in chronologischer Ordnung)

Sekundärquellen

1. Einleitung

Am 18. September 2014 verkündet Margaret Chan, Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation, vor dem UN Sicherheitsrat:

„This is not just a public health crisis. This is a social crisis, a humanitarian crisis, an economic crisis and a threat to national security well beyond the outbreak zones. For these reasons, Mr Secretary-General and I are calling for a UN-wide initiative that draws together all the assets of all relevant UN agencies.“ (WHO 2014a)

Hintergrund dieser Forderung ist die in der bisherigen Geschichte größte Ebolafieber-Pandemie. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO erkrankten allein in den Monaten Februar bis Dezember 2014 in Westafrika über 20.000 Menschen am Ebolafieber, bis heute starben über 11.000 Infizierte daran. Der Virus trat vor allem in Guinea, Sierra Leone und Liberia auf, jedoch waren auch weitere afrikanische Staaten betroffen wie der Senegal, Mali oder Nigeria. Des Weiteren wurden Infektionen in den USA, Spanien und dem Vereinigten Königreich nachgewiesen (WHO 2014b).

Staaten, Internationale Organisationen und Hilfswerke haben auf verschiedene Weisen auf diesen Krankheitsausbruch reagiert und entsprechende Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit ergriffen. Dabei nahm die WHO als Koordinationsbehörde der Vereinten Nationen für das internationale öffentliche Gesundheitswesen eine besondere Stellung ein. Am 8. August 2014 erklärte die WHO die Pandemie zum internationalen Gesundheitsnotfall (Public Health Emergency of International Concern, PHEIC). Gemäß den Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations, IHR) bedeutet diese Einstufung, dass die WHO de facto völkerrechtlich verbindliche Vorschriften bezüglich der Prävention, Überwachung und Bekämpfung der Pandemie setzen kann, die als Richtlinie für nationale und internationale Eindämmungsbemühungen dienen.

Der Ebolafieber-Ausbruch ist erst der dritte PHEIC, der je von der WHO ausgerufen wurde. Erstmals wurde die Pandemie H1N1 (Schweinegrippe) im April 2009 als PHEIC eingestuft; im Mai 2014 erklärte die WHO angesichts der internationalen Ausbreitung von Poliomyelitis erneut die Situation einer gesundheitlichen Notlage mit internationaler Tragweite.

Aufgrund der Ausmaße der Ebola-Pandemie beschäftigte sich auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Virus-Ausbruch in Westafrika. Es war das erste Mal, dass dieser Rat anlässlich einer Gesundheitsnotlage tagte. In der Resolution 2177 erklärt der Sicherheitsrat die Krankheit zu „a threat to international peace and security" (S/RES/2177 2014). Diese Resolution stellt ein geschichtliches Novum dar, denn erstmals wird damit eine öffentliche Gesundheitsnotlage in das Zentrum der politischen Agenda gerückt und als sicherheitsrelevant klassifiziert. Die Resolution wurde von 131 UN-Mitgliedsstaaten gesponsert und ist damit die am breitesten unterstützte Sicherheitsrat-Resolution bis dato. Des Weiteren riefen die Vereinten Nationen die erste Sondermission zur Koordinierung der internationalen Bekämpfung einer internationalen Gesundheitsnotlage ins Leben, die United Nations Mission for Ebola Emergency Response (UNMEER) unter der Führung der WHO.

Diese weitreichenden Maßnahmen, die von WHO und den Vereinten Nationen zur Bekämpfung von Ebola eingeleitet wurden, bezeugen, mit welcher Sorge und Vehemenz die internationale Gemeinschaft auf die Pandemie reagiert. David Nabarro, Sonderbeauftragter des UN Generaldiektors, begründet die Aktionsbereitschaft auf internationaler Ebene wie folgt: „This unprecedented outbreak requires an unprecedented response. The number of cases have doubled in these countries in the last three weeks. To get in front of this, the response must be increased 20-fold from where it is today.“ (WHO 2014)

Diese Entwicklung der Versicherheitlichung von Ebola steht beispielhaft für eine neue Tendenz in der internationalen Politik: Im Laufe der vergangenen Jahre sind gesundheitsbezogene Themen zunehmend in den Fokus der internationalen Agenda gerückt. Während zu Zeiten des Kalten Krieges bipolare Sicherheitsbedrohungen vor allem im militärischen Bereich mit dem Nationalstaat als Referenzobjekt verortet waren, kann seit einigen Jahren auch ein neuer Sicherheitsdiskurs auf der globalen Ebene verzeichnet werden (Buzan/Hansen 2009: 159f). Insbesondere im Rahmen der Globalisierungsdebatte werden Sicherheitsbedrohungen immer häufiger als weltweite Erscheinungen, die sich nicht an nationalstaatliche Begrenzungen halten, wahrgenommen. Umweltkatastrophen, Terrorismus, Finanzkrisen oder eben grenzüberschreitende Pandemien werden zu neuen Krisenszenarien in der internationalen Arena (Hanrieder/Kreuder-Sonnen 2014 a: 5f).

Laut Boin und Rhinard wächst angesichts dieser grenzüberschreitenden Bedrohungslagen der Bedarf nach globalen Antworten auf eben jene Probleme (Boin/Rhinard 2008: 7). Zur Schaffung von Lösungsansätzen bieten Internationale Organisationen eine gute Plattform, argumentieren Hanrieder und Kreuder-Sonnen:

„In global crisis situations where time pressure is high and rapid decisions are needed, turning to IOs is a natural choice because of both their centralization and their expertise. The centralization of governance competencies within IOs (Abbott and Snidal, 1998) allows for timely reactions to urgent threats. [...] Their expert authority and perceived neutrality (Barnett and Finnemore, 2004: 24–25) also endow IOs with the legitimacy to take rapid decisions in the face of imminent threats. (Hanrieder/Kreuder-Sonnen 2014 a: 6)“

Im Verlauf der beiden früheren PHEIC-Fälle erntete die WHO für ihr Krisenmanagement jedoch nicht nur Zustimmung. Vor allem für den Umgang mit dem H1N1-Grippevirus wurden ihr Selbstermächtigung und Überschreitung ihrer Kompetenzen vorgeworfen. Hanrieder und Kreuder-Sonnen zeigen an dem Beispiel dieser Pandemie, wie die Weltgesund­heits­organisation das Thema gezielt versicherheitlicht hat, um so eine Ausweitung ihres Einflusses, ihrer Entscheidungsgewalt und ihrer Befugnisse sowie die Durchsetzung außergewöhnlicher Maßnahmen zu legitimieren (Hanrieder/Kreuder-Sonnen 2014 a).

1.1 Forschungsfrage und Forschungsdesign

Angesichts der oben beschriebenen Ausweitung von sicherheitsrelevanten, transnationalen Politikfeldern beschäftigt sich diese Masterarbeit mit dem Nexus „Sicherheit – öffentliche Gesundheit“. Dabei wird untersucht, in welcher Art und Weise Virusausbrüche als Gesundheitsnotlagen auf der internationalen Ebene geframt werden, um so außergewöhnliche Maßnahme zu legitimieren. Dabei soll vor allem die Vorgehensweise der WHO als einzige internationale Koordinationsbehörde für öffentliche Gesundheit in den Blick genommen werden. Ich werde eine vergleichende Perspektive einnehmen, um zu sehen, wie die WHO bei früheren Pandemien (beispielhaft aufgezeigt an SARS und H1N1) auf der einen Seite und im aktuellen Fall Ebola auf der anderen Seite reagierte. Daraus leitet sich die Kernfrage dieser Masterarbeit ab:

Wie wandelte sich der Umgang der WHO mit Virus-Pandemien?

Diese Frage entsteht durch die Vorannahme, dass die Weltgesundheitsorganisation versucht, eine Virus-Infektionskrankheit zu versicherheitlichen und diese Securitization wiederum als Grundlage für einen weiteren Ausbau ihrer Kompetenzen nutzen wird wie dies bereits im Rahmen früherer Virus-Ausbrüche (SARS, H1N1) beobachtet werden konnte. Das Erkenntnisinteresse der Arbeit ist der Versuch, nachzuvollziehen, ob und inwiefern der frame „Bedrohung für die nationale, regionale und globale Sicherheit“ in der Krisenpolitik der WHO anlässlich des Ausbruchs der Ebola-Pandemie 2014 angewendet wurde.

Den theoretischen Rahmen zur Bearbeitung dieser Frage bietet die Securitization-Theorie, die ein umfassendes Verständnis des Konzepts „Sicherheit“ hat und auch bewusst nicht-militärische Bedrohungen miteinbezieht. Die um Barry Buzan, Ole Wæver and Jaap de Wilde entstandene Kopenhagener Schule definiert Securitization (zu deutsch: „Versicherheitlichung“) als Sprechakt, durch den politische Themen dem normalen politischen Diskurs entzogen werden und stattdessen mit besonderer Dringlichkeit versehen werden. Dem liegt eine „Grammatik der Sicherheit“ zugrunde, eine Konstruktion von existentiellen Bedrohungswahrnehmungen, deren Bekämpfung den Einsatz von außerordentlichen Mitteln erfordert und legitimiert. Obwohl diese Denkschule ursprünglich auf die Erforschung von Versicherheitlichung auf der nationalen Ebene begrenzt war, werde ich im Rahmen meiner Masterarbeit die Krisenlogik auf die globale Ebene und eine internationale Institution übertragen.

Diese Masterarbeit legt den Fokus auf den ersten Schritt im Securitization-Process, indem sie die Artikulation von Bedrohungen, den sogenannten „securitization move“ (Buzan/Wæver/De Wilde 1998: 25) analysiert. Anlässlich der Ausbrüche von verschiedenen Virus-Pandemien soll aufgezeigt werden, wie die WHO eine „Grammatik der Sicherheit“ anwendet, um so möglicherweise ihre Notstandspolitik und souveräne Entscheidungsgewalt zu rechtfertigen. Dementsprechend besteht der Kern dieser Masterarbeit in der Analyse diskursiver Mittel. Dazu werde ich auf Primärquellen aus einer Zeitspanne von 15 Monaten zurückgreifen: In der Zeit von Mai 2014 bis August 2015, und somit der Hochphase der Neuerkrankungen und Todesfälle, hielt Margaret Chan, Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation, zu verschiedenen Anlässen insgesamt 22 öffentliche Reden zum Thema Ebola. Diese Reden sind auf der Homepage der WHO dokumentiert und zugänglich. Mithilfe dieser Dokumente soll untersucht werden, ob und wie die WHO die Ebola-Pandemie als Bedrohung für die internationale Sicherheit framte. In einem nächsten Schritt wird beleuchtet, ob die WHO die Rhetorik bewusst dazu einsetzte, um außergewöhnliche Maßnahmen im Rahmen ihrer Krisenpolitik zu rechtfertigen. Abschließend kann zur Beurteilung des Erfolgs einer versuchten Versicherheitlichung noch die Akzeptanz durch die Zielgruppe in den Blick genommen werden; hier wäre eine mögliche Frage zum Beispiel, ob Staaten und andere Organisationen den Sicherheits-Diskurs bezüglich Ebola übernommen haben und die vorgeschlagenen Maßnahmen entsprechend den WHO-Empfehlungen umgesetzt wurden.

1.2 Empirische und theoretische Relevanz

Die erweiterten Kompetenzen der WHO im Falle einer gesundheitlichen Notfalllage sind noch relativ jung. Bis ins Jahr 2005 war es die erste Fassung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations, IHR ) aus dem Jahr 1969, die die internationalen Richtlinien zur Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten festlegte. Der Aufgabenbereich der WHO war darin noch stark eingeschränkt, sowohl was ihre Kompetenzen als auch betreffende Krankheiten angeht (WHO 1969). 25 Jahre später beauftragte die World Health Assembly den UN General­sekretär mit einer Revision dieses Dokuments.

Allerdings gab es den großen Meilenstein in der Fortentwicklung der IHR erst im Jahr 2002 angesichts des Ausbruchs der Krankheit SARS. Die WHO, die ihren Zuständigkeitsbereich im Management dieser Gesundheitskrise überschritt und sich souveräne Entscheidungsgewalt anmaßte, erntete ob ihres Vorgehens und dem daraus resultierenden relativen Erfolgs in der Eindämmung der Krankheit weitestgehend Zustimmung. Damit war die Vorlage für die revidierten IHR geschaffen. Darin werden der WHO größere Kompetenzen zugesprochen, z.B. die Ausrufung eines PHEIC-Falls sowie die Festlegung von Maßnahmen zur Eindämmung von Pandemien. Gleich bei der ersten Anwendung der neu institutionalisierten IHR wurde die WHO angesichts ihres Vorgehens jedoch scharf kritisiert: Hanrieder und Kreuder Sonnen beurteilen die Reaktion der WHO auf den Ausbruch der Schweinegrippe im Jahr 2009 als „excessive and highly intransparent“ (Hanrieder/Kreuder-Sonnen 2014 b). Der Grund für diese negative Einschätzung waren die undurchsichtigen Entscheidungsprozesse und die Geheimhaltungspolitik (später wurde publik, dass das Notfallkomitee, das über Impfungsempfehlungen entschied, teilweise aus Lobbyisten der Pharmaindustrie bestand) sowie das (verfrühte) Ausrufen eines PHEIC (die Pathogenität und Letalität überstieg kaum die einer gewöhnlichen saisonalen Grippe) (Hanrieder/Kreuder-Sonnen 2014 a: 8ff).

Allerdings wuchs die Kritik an der Notstandspolitik der WHO nicht nur im wissenschaftlichen Bereich, sondern auch außerhalb des akademischen Elfenbeinturms. Im Jahr 2010 initiierte die Parlamentarische Versammlung des Europarates eine öffentliche Untersuchung des Vorgehens der WHO. Daraus entstanden der Bericht „The handling of the H1N1 pandemic: more transparency needed“ sowie die Resolution 1749 mit dem gleichen Titel, die die Art der Entscheidungsprozesse der WHO scharf bemängelten. Der öffentliche Druck führte dazu, dass die interne Begutachtungskommission der WHO ebenfalls zu dem Notfallmanagement im Fall der Pandemie H1N1 Untersuchungen durchführte. In dem Abschluss­bericht der Kommission werden vor allem transparentere Abläufe im Falle von zukünftigen Gesundheitskrisen gefordert (WHO 2011).

Somit ist die empirische und theoretische Relevanz der Frage nach einem Wandel der WHO im Umgang mit Viruspandemien offensichtlich. In der Analyse dieses Problems wird sich zeigen, ob die WHO angesichts der scharfen Kritik nach der H1N1-Notstandspolitik ihr Krisenmanagement im aktuellen Fall von Ebola entsprechend angepasst hat oder ob sie erneut eine Gesundheitsnotlage dazu nutzt, diese als Bedrohung zu framen um so den Ausbau ihrer Autorität und Kompetenzen zu rechtfertigen.

1.3 Literaturlage

Tine Hanrieder und Christian Kreuder-Sonnen beleuchten in ihren Artikeln „ Souverän durch die Krise. Überforderte Staaten und die (Selbst-)Ermächtigung der WHO“ (2013) und „ WHO decides on the exception? Securitization and emergency governance in global health“ (2014) das Phänomen der Selbstermächtigung der WHO angesichts des Managements von globalen Gesundsheitskrisen, angefangen bei HIV/AIDS über SARS bis hin zu H1N1. Dazu wenden sie die Perspektive der kritischen Theorie an, die nicht von der Existenz objektiver Gefahren ausgeht, sondern stattdessen die Konstruktion und Repräsentationen subjektiver Bedrohungen in den Blick nimmt. Hanrieder und Kreuder-Sonnens Analysen haben die Securitization-Theorie der Kopenhagener Schule als Ausgangspunkt, aber verlagern diese auf die globale Ebene mit der WHO als versicherheitlichendem Akteur. Dabei beschreiben sie die Tendenz dieser internationalen Organisation, in eine sich selbst verstärkende Sicherheitsfalle („emergency trap“) zu verfallen und so Ausnahmekompetenzen nachhaltig zu institutionalisieren.

Aufgrund der Aktualität der Viruspandemie Ebolafieber gibt es noch keine ausführlichen, wissenschaftlichen Beiträge zu diesem Thema aus der Perspektive der Versicherheitlichung von globaler Gesundheit. Dafür wurde der Nexus Gesundheit – Sicherheit schon anhand anderer Krankheiten analysiert: Feldbaum, Lee und Patel waren einige der ersten, die einen anderen Blickwinkel eingenommen haben. Anstatt zu fragen, wie sich die nationale Sicherheit auf die öffentliche Gesundheit auswirkt, drehten sie den Spieß um und erörterten am Beispiel von HIV/AIDS, wie sich die öffentliche Gesundheit auf die nationale Sicherheit auswirken kann (Feldbaum/Lee/Patel 2006). Ostergard zeigt in seinem Artikel „Politics in the hot zone: AIDS and the national security in Africa“ auf, welche kurzfristigen Folgen (Bedrohung der Stabilität der politischen Institutionen, des Militärs und militärischer Operationen) und welche langfristigen Konsequenzen (Bedrohung der Bevölkerungssicherheit und ökonomischer Leistungsfähigkeit) diese Pandemie bewirken kann (Ostergard 2002).

Abrahams Artikel „The Chronicle of a Disease Foretold: Pandemic H1N1 and the Construction of a Global Health Security Threat“ zeichnet den Prozess und die Bedingungen nach unter denen die Vogelgrippe H5N1 auf der nationalen und internationalen Ebene versicherheitlicht wurde. Laut Abraham kommt dabei der USA eine besondere Rolle zu, da diese den weltweiten Versicherheitlichungsprozess initiieren muss. Des Weiteren beleuchtet Abraham die Schattenseiten der Securitization der Pandemie H5N1, insbesondere für die sogenannten Entwicklungsländer (Abraham 2011). Auch Elbe hinterfragt die Konsequenzen einer Versicherheitlichung von öffentlicher Gesundheit, allerdings wägt er am Beispiel von HIV/AIDS behutsam die Vorteile und positiven Möglichkeiten gegenüber den Nachteilen und Risiken ab. Letztendlich kann er für dieses ethische Dilemma keine eindeutige Lösung vorschlagen, stattdessen sieht er den Verdienst seines Artikels in der Unterstützung eines Bewusstseinsbildungsprozess für Politiker, Aktivisten und Wissenschaftler im Umgang mit der Krankheit (Elbe 2006).

2. Theorie

Die Kopenhagener Schule argumentiert für ein und mit einem konstruktivistischen Konzept von Sicherheit. Dem liegt die epistemologische Basis zugrunde, dass Sicherheit immer intersubjektiv, sozial konstruiert und von Akteuren festgelegt ist. Damit hinterfragt sie die traditionelle politikwissenschaftliche Sichtweise auf Sicherheit (insbesondere den Realismus) und stellt die generelle Objektivität dieses Konzepts infrage. Konstruktivisten argumentieren, dass es kein Maß für objektive Sicherheit gebe und es sich daher nicht als Gegenstand einer Analyse eigne. Stattdessen lenken sie den Fokus auf den Prozess und die Dynamiken der Konstruktion eines kollektiven Verständnisses über mutmaßliche Bedrohungen. Dementsprechend eignet sich diese Denkschule in Hinblick auf meine Fragestellung, um das Zusammenspiel zwischen der biologischen Welt mit ihren Viren und der sozialen Welt mit ihren Antworten auf eben jene Krankheitserreger aufzuzeigen.

Des Weiteren lehnt die Denkschule rund um Buzan, Wæver und de Wilde die Annahme, dass Sicherheit ausschließlich auf einen machtpolitischen bzw. militärischen Sektor begrenzt ist, ab. Stattdessen argumentieren sie, dass „security is a particular type of politics applicable to a wide range of issues.“ (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: vii). Im Folgenden werden das metatheoretische Fundament dieser Arbeit, das sozialkonstruktivistische und das erweiterte Verständnis von Sicherheit im allgemeinen sowie die Versicherheitlichungs-Theorie der Kopenhagener Schule mit ihrer eigenen Konzeptionalisierung von Sicherheit im speziellen vorgestellt.

2.1 Metatheoretisches Fundament

Das Erkenntnisinteresse der Arbeit ist der Versuch, nachzuvollziehen, ob und inwiefern der frame „Sicherheitsbedrohung“ in der Krisenpolitik der WHO anlässlich des Ausbruchs der Ebola-Pandemie 2014 angewendet wurde. Es soll der Versuch unternommen werden, eine intersubjektive Konstruktion von einer geteilten Wirklichkeit durch internationale Koordinationsbehörden nachzuverfolgen.

Des Weiteren soll die Frage beantwortet werden, ob die Weltgesundheitsorganisation die Strategie der Versicherheitlichung benutzt, um bestimmte Politiken zu legitimieren.

Die Art der forschungsleitenden Fragestellung sowie das damit verbundene Erkenntnisinteresse dieser Masterarbeit weisen auf eine verstehende, konstruktivistische Perspektive hin (entgegen des erklärenden rationalistischen Ansatz, dessen Ziel das Aufdecken von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen und das Formulieren von Kausalgesetzen ist). Im Gegensatz zum Rationalismus geht der Konstruktivismus von einem internationalen System aus, das durch verschiedene Akteure beständig konstruiert wird und somit einem Wandel unterliegt. Diese Struktur wiederum bietet im Umkehrschritt einen Orientierungsrahmen für das Handeln, die Interessen und Werte der Akteure. Somit ist die wechselseitige Bedingung von Akteuren und Strukturen eine der Grundannahmen des Konstruktivismus (Klotz/Lynch 2007: 3).

Im Gegensatz zu einer rationalistisch geprägten Theoriebildung zielt der Sozialkonstruktivismus nicht auf eine kausale, sondern eine konstitutive Theoriebildung. Harnisch gibt als Modell für eine solche Konstitutivfrage das Beispiel: „[W]ie es möglich wurde, dass ein Ereignis eingetreten ist?“ (Harnisch 2008: 107f). Übertragen auf meine Forschungsfrage könnte eine Konstitutivfrage daher lauten: „Wie ist es möglich, dass eine Ausweitung der Kompetenzen der WHO anlässlich der Ebola-Pandemie mit dem frame „Sicherheit“ legitimiert wird?“. Die Frage zielt explizit nicht darauf ab, warum bestimmte Politiken betrieben wurden, sondern wie diese (durch die Legitimation über die Assoziierung der Krankheit mit dem Label „Sicherheit“) überhaupt erst ermöglicht wurden. Die Vorannahme ist also, dass eine bestimmte Kennzeichnung der ausschlaggebende Faktor für die Ausweitung von exekutiven Kompetenzen der Weltgesundheitsorganisation sein könnte, denn nur über diesen allgemein akzeptierten frame kann diese Politik gerechtfertigt werden. In anderen Worten zu Konstitutivfragen im Sozialkonstruktivismus: frames als sozial konstruierte Bedingungen sind konstitutiv für die Legitimation bestimmter Politiken, da ohne die Assoziation eines Themas mit solchen frames keine Legitimität erreicht werden kann.

Das ontologische Verständnis der Konstruktivisten basiert auf der Konstruktion der sozialen Welt sowie einer Intersubjektivität von Bedeutungen, die sich im Laufe der Zeit verfestigen und schließlich zu stabilen Strukturen und Institutionen entwickeln können. Dabei entscheiden die Akteure, welche Bedeutungen sich als dominant durchsetzen. Somit üben Akteure eine gewisse Macht im Diskurs aus: “The exercise of power as the ability to reconstruct discourses and shape practices offers researchers a framework for assessing how meanings condition identities and actions, why some dominate others, and when these patterns shift.” (Klotz/Lynch 2007: 11). Um die Bildung und Weiterentwicklung von dem Konzept „Sicherheit“ nachverfolgen zu können, werde ich die Methode der Diskursanalyse anwenden, wie in Kapitel 3 ausgeführt wird.

2.2 Das erweiterte Sicherheitsverständnis

Seit nunmehr rund zwei Dekaden sind die dominanten Theorieannahmen der internationalen Politikwissenschaft der Kritik ausgesetzt. Insbesondere die in der sicherheitspolitischen Forschung noch immer vorherrschenden Ansätze des Neorealismus und des Neoliberalismus mit ihren positivistischen Prämissen und ihrem fast ausschließlich auf staatliches Handeln und militärische Konflikte bezogenen Forschungsinteresse, das eine flexible Analyse komplexer Zusammenhänge erschwert, geraten zunehmend in einen Erklärungsnotstand (Dunn/Mauer 2006: 189). Die kontroverse Debatte um ein enges oder ein weites Verständnis von Sicherheit in den Internationalen Beziehungen erreichte einen Höhepunkt mit dem Ende des Kalten Kriegs (Buzan/Hansen 2009: 159f). Das Interesse der Disziplin der Internationalen Beziehungen änderte sich ab diesem Wendepunkt zunehmend hin zu gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Fragestellungen. So wuchs nun –entgegen traditionellen und konventionellen Argumenten– die Forderung nach flexibleren Analysen von komplexen Zusammenhängen und der Bedarf nach explizit nicht-militärischen Erklärungsansätzen zum Verständnis von Konflikten im internationalen System (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 3).

Damit einhergehend und angesichts des Aufkommens von zahlreichen nicht-staatlichen Konfliktakteuren und Bedrohungen (z.B. Krankheiten oder Umweltverschmutzung) gab es die Entwicklung im Bereich der Internationalen Beziehungen, die zentrale Stellung des Staates infrage zu stellen. Zunehmend wurde von dem traditionellen politikwissenschaftlichen Verständnis abgerückt, dass das Referenzobjekt von Sicherheitspolitik der Staat sei und es daher die Maxime sei, dessen Grenzen, Volk, Institutionen und Werte vor externen Gefahren zu verteidigen (Buzan/Hansen 2006: 162). Dieser Ansatz wurde von einer individuums-bezogenen Perspektive auf Sicherheit abgelöst. Mit dem neuen Paradigma der Human Security verlagerte sich der Schwerpunkt hin zu dem einzelnen Menschen, dessen Wohlergehen angesichts alltäglicher Bedrohungen gesichert werden muss (Buzan/Hansen 2006: 202; Paris 2001).

Als ein Meilenstein im Feld der Human Security wird der Human Development Report aus dem Jahr 1994 angesehen. Darin hält das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen die zentralen Elemente dieses Ansatzes fest: Freiheit von Not und Freiheit von Furcht („freedom from want“ und „freedom from fear“). Darüber hinaus werden in dem Bericht die sieben zentralen Kategorien von Bedrohungen für die menschliche Sicherheit benannt: wirtschaftliche Sicherheit, Ernährungssicherheit, gesundheitliche Sicherheit, Umweltsicherheit, persönliche Sicherheit, gesellschaftliche Sicherheit und politische Sicherheit (United Nations Development Programme 1994: 22f). Somit rückt erstmals auch das Thema Gesundheit direkt auf die internationale Sicherheitsagenda. Das Konzept der Human Security des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen nimmt dabei speziell den Schutz vor Krankheiten und ungesunden Lebensweisen in den Blick (für die sogenannten Entwicklungsländer vor allem Infektionskrankheiten; für Industrieländer hingegen insbesondere Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems).

Die beschriebenen Entwicklungen stehen im Allgemeinen für einen neuen Trend im Bereich der Internationalen Beziehungen. Zunehmend wird von einem „Widening and Deepening“ (einer Ausweitung und Vertiefung) von Sicherheit gesprochen. Dabei bezieht sich ersteres auf eine horizontale Ausdehnung des Konzepts von Sicherheit auf verschiedene Sektoren und Lebensbereiche (im Gegensatz zu dem engen militärischen Verständnis); letzteres nimmt als vertikale Ausdehnung des Konzepts von Sicherheit eine größere Bandbreite von Referenzobjekten in den Blick (im Gegensatz zu dem engen staats-zentrierten Verständnis).

Die Verwendung eines erweiterten Verständnis des Konzepts Sicherheit ist einer Vielzahl von Kritikpunkten ausgesetzt. Ein zentrales Argument ist dabei, dass eine progressive Ausdehnung des Begriffs dessen intellektuelle Kohärenz gefährde und in seiner Bedeutung verwässere. Dementsprechend attestiert beispielsweise Stephen M. Walt, ein Vertreter der traditionellen Auffassung von Sicherheitsstudien, der Tendenz einer kontinuierlichen Erweiterung von Sicherheit „the risk of expanding ''Security Studies'' excessively; by this logic, issues such as pollution, disease, child abuse, or economic recessions could all be viewed as threats to ''security''. Defining the field in this way would destroy its intellectual coherence and make it more difficult to devide solutions to any of these important problems.“ (Walt 1991: 212-213)

Buzan, Wæver und de Wilde reagieren auf diese Kritik, indem sie eine Definition von Sicherheit vorschlagen: „[S]ecurity is about survival. It is when an issue is presented as posing a threat to a designated referent object.“ (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 21). Im folgenden Kapitel dieser Arbeit, das in die Securitization-Theorie der Kopenhagener Schule einführt, ist ihr Verständnis von „Sicherheit“ vertiefend vorgestellt.

Neben der inhaltlichen Unschärfe des Begriffs „Sicherheit“ benennen die Autoren selbst noch weitere Gefahren, die aus einer Ausdehnung des Konzepts auf verschiedene politische Bereiche entstehen: Zunächst sei durch eine breitere Agenda das Einfallstor für mögliche staatliche Mobilisierungen geöffnet. Eine Intervention von Seiten des Staaten sei jedoch nicht unbedingt in allen politischen Bereichen erstrebenswert (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 4), denn in diesem Zusammenhang bestehe somit die Gefahr, dass diese Möglichkeit von Eliten taktisch genutzt wird, um die Kontrolle über bestimmte Themen zu gewinnen. Ein weiterer Nachteil der oben beschriebenen Tendenz ist die Konsequenz, dass Sicherheit zu einem universell positiven Wert und zu einem wünschenswerten und realisierbaren Zustand deklariert wird. Die Autoren bezeichnen dies als eine gefährlich begrenzt-naive Position und zeigen auf, dass mutmaßliche Sicherheit zu Stillstand und Destruktivität führen kann:

„National security should not be idealized. It works to silence opposition and has given power holders many opportunities to exploit ''threats'' for domestic purposes, to claim a right to handle something with less democratic control and constraint. Our belief, therefore, is not ''the more security the better.'' Basically, security should be seen as negative, as a failure to deal with issues as normal politics.“ (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 29)

Daher fordern Buzan, Wæver und de Wilde, angesichts politischer Herausforderungen nicht automatisch in einen sicherheitsrelevanten Notstandsmodus zu verfallen, sondern stattdessen jene Themen im Bereich der normalen politischen Aushandlungsprozesse zu belassen (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 4). Allerdings lassen sie selbst einige Ausnahmen zu, so erkennen sie die Versicherheitlichung als angemessene Strategie an, um beispielsweise im Bereich des Umweltschutzes die nötige Aufmerksamkeit erreichen und eine Zuhörerschaft mobilisieren zu können (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 29).

2.3 Kopenhagener Schule

Die Kopenhagener Schule ist eine akademische Denkschule der Internationalen Beziehungen mit Wurzeln an dem Copenhagen Peace Research Institute (COPRI). Zu den prominentesten Vertretern zählen Barry Buzan, Ole Wæver und Jaap de Wilde, die im Jahr 1998 mit ihrem Werk „ Security: A New Framework for Analysis“ den zentralen Text für ihre Securitization-Theorie veröffentlichen und darin für einen konstruktivistischen Sicherheitsbegriff argumentieren.

Entgegen dem alltäglichen Verständnis von Sicherheit als einem objektiv erfahrbaren Zustand, der sich durch die Abwesenheit von Gefahren und Risiken auszeichnet, hinterfragt die Kopenhagener Schule dieses Konzept einer scheinbaren Wirklichkeit. Stattdessen konzeptionalisiert sie Sicherheit als einen Sprechakt, der erst eine soziale Wirklichkeit entstehen lasse („''Security'' is the move that takes politics beyond the established rules of the game“, Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 23). Um das Kopenhagener Verständnis von Sicherheit im Folgenden sowohl von dem alltäglichen als auch dem traditionell engen Bedeutungsinhalt von Sicherheit abzugrenzen, werde ich den englischen Terminus „Security“ verwenden, wenn ich mich im theoretischen Diskurs der Kopenhagener Schule bewege.

2.3.1 Versicherheitlichungstheorie

Im Kern einer Analyse von Security steht die Auseinandersetzung mit Sprechakten, deren Ziel gemäß der Kopenhagener Schule die Konstruktion eines Ausnahmezustands durch die Assoziation eines Lebensbereiches mit dem Begriff Sicherheit sei. Dieser Prozess wird „Versicherheitlichung“ bzw. „Securitization“ genannt. Grundsätzlich gehen Buzan, Wæver und de Wilde davon aus, dass jedes Thema von öffentlichem Interesse auf unterschiedliche Weisen behandelt werden kann: Dabei reicht das Spektrum von der Nicht-Politik (dies bedeutet, dass der Staat keinen Einfluss auf den Gegenstand nimmt und keine Entscheidungen diesbezüglich trifft), über Politik (dies bedeutet, dass der Staat durch die öffentliche Politik Einfluss auf den betreffenden Lebensbereich nimmt, beispielsweise in Form von Regierungsentscheidungen) bis hin zu Security (dies bedeutet, dass das Thema als existentielle Bedrohung dargestellt wird, sodass Notfallmaßnahmen außerhalb des normalen politischen Rahmens gefordert werden) (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 24). Die Verschiebung eines Themas vom nicht-politischen in den politischen Bereich wird von Buzan, Wæver und de Wilde „Politicization“ genannt, fortan kann das Thema zu einem Gegenstand politischer Debatten und Entscheidungsprozesse werden. Laut den Autoren sollte dies der Normalzustand der Politik sein, da hier besonders der demokratischen Verantwortung Rechnung getragen wird und Entscheidungen einer politischen Kontrolle unterliegen.

Analog zur Politicization wird die Entrückung eines Themas in den Sicherheitsbereich als „Securitization“ bezeichnet. Im Falle einer erfolgreichen Securitization werden Themen als dermaßen akut und lebensbedrohlich dargestellt, dass sie dem normalen politischen Aushandlungsprozess entzogen werden und die vorgegebenen Verfahren außer Kraft gesetzt werden können. Häufig werden Entscheidungen bezüglich des Bedrohungsszenarios der politischen Führungsspitze vorenthalten und mit einer besonderen Dringlichkeit versehen. Dementsprechend kann Securitization als eine extreme Form bzw. Fortsetzung der Politicization angesehen werden (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 23; 29). Des Weiteren existiert der Prozess der „Desecuritization“, dabei werden Themen von der Sicherheitsagenda wieder in den normalen politischen Diskurs reintegriert. Dies bedeutet notwendigerweise die Aufhebung von außergewöhnlichen Maßnahmen, und die Bereitschaft zu politischem Verhandeln.

Im Folgenden wird näher auf die genauen Dynamiken einer Versicherheitlichung eingegangen werden. Dazu möchte ich eine kurze Definition von Ole Wæver voranstellen, in der er das Konzept selbst auf den Punkt bringt:

„The discursive and political process through which an intersubjective understanding is constructed within a political community to treat something as an existential threat to a valued referent object, and to enable a call for urgent and exceptional measures to deal with the threat.” (Waever 2008: 582)

Indem ein Akteur einen Lebensbereich mit dem Begriff „Sicherheit“ assoziert, ruft er oder sie einen Notstand aus und fordert damit indirekt das Recht ein, von jedwedem Mittel Gebrauch machen zu können, um diese Bedrohung einzudämmen und zu bekämpfen (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 21). Der Prozess der Versicherheitlichung geschieht dementsprechend durch das Mittel von Sprechhandlungen, in der Regel – aber nicht zwingend - von Seiten politischer Eliten. Dabei werden politische Herausforderungen und Probleme zu existentiellen Bedrohungen für eine politische Gemeinschaft deklariert. Dieser Sprechakt versieht das thematisierte politische Problem mit einer besonderen Dringlichkeit und absoluten Priorität gegenüber anderen Themen auf der politischen Agenda (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 24).

Durch die rhetorische und semiotische Struktur eines Arguments kann also ein Thema dermaßen dramatisiert werden, dass dem Sprecher in der Folge die Freiheit eingeräumt wird, sich von normalen politischen Prozessen zu lösen und Mittel außerhalb der Grenzen der Norm anzuwenden (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 25). Dieser Sprechakt, von der Kopenhagener Schule auch als „Securitizing move“ bezeichnet, folgt spezifischen sprachlichen Merkmalen, von den Autoren auch „grammar of security“ (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 33) genannt: So wird die mutmaßliche Gefahr als dermaßen bedrohlich dargestellt, dass sie direkt das Überleben eines bestimmten Referenzobjekts gefährdet. Eine weitere häufige Argumentation verläuft entlang der Logik einer Priorität des sofortigen Handelns gemäß „if the problem is not handled now it will be too late, and we will not exist to remedy our failure“ (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 26).

Die Grammatik der Sicherheit nutzt also bewusst dramatisierende Elemente, um den Eindruck bei den Empfängern der Botschaft zu wecken, dass es keinen anderen Ausweg aus dem beschriebenen Bedrohungsszenario gebe als die Ergreifung außergewöhnlicher Maßnahmen, um die Gefahr zu bekämpfen. Versicherheitlichende Akteure bedienen sich der Sicherheitsterminologie, um ihre Interessen in bestimmten Lebensbereichen durchzusetzen und zu legitimieren. Das heißt, selbst wenn der jeweilige Lebensbereich oder das betroffene Politikfeld ursprünglich komplett losgelöst ist von traditioneller Militär- und Verteidigungspolitik, wird allein durch den Prozess der Äußerung von „Sicherheit“ eine Verknüpfung zu existenziellen Bedrohungs- und Wehrlogiken hergestellt. Somit rechtfertigt eine Securitization den Einsatz aller verfügbaren Mittel und Maßnahmen – auch jener außerhalb der normalen politischen Spielregeln (Dunn/Mauer 2006: 204f ).

Das Referenzobjekt ist das potentielle „Opfer“ der jeweiligen Bedrohung und somit das Zielobjekt des Sprechakts. Eine grundlegende Voraussetzung zur Erhebung eines Gegenstands/einer Gemeinschaft zum Referenzobjekt ist dessen rechtmäßiger Existenzanspruch. Traditionell fassten die Sicherheitsstudien ausschließlich den Staat (der um seine Souveränität fürchten muss) und eventuell noch die Nation (deren Identität gefährdet ist) in den Blick. Mit der Ausweitung von Security auf weitere Lebensbereiche sind jedoch auch eine größere Breite an Referenzobjekten denkbar, wie zum Beispiel die Umwelt, das Klima, die nationale Ökonomie etc. (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 36ff).

Wie daran deutlich wird, legt die Kopenhagener Schule einen analytischen Schwerpunkt auf die Bedeutung und Auswirkungen von Sprechakten. Sprache dient innerhalb der Theorieausrichtung des Konstruktivismus als wirklichkeits-abbildendes und gleichzeitig auch Wirklichkeit-konstruierendes Element. Buzan, Wæver und de Wilde bezeichnen den Prozess der Versicherheitlichung auch als performativen Sprechakt. Demgemäß ist bereits die sprachliche Äußerung selbst die Handlung (Buzan/Wæver/de Wilde 1998: 26; Dunn/Mauer 2006: 204f). Dazu Wæver:

“With the help of language theory, we can regard ‘security‘ as a speech act. In this usage, security is not of interest as a sign that refers to something more real; the utterance itself is the act. By saying it [security] something is done (as in betting, giving a promise, naming a ship). By uttering ‘security’, a state-representative moves a particular development into a specific area, and thereby claims a special right to use whatever means are necessary to block it.” (Wæver 1995: 55).

Wenn es einem versicherheitlichenden Akteur mithilfe dieser Rhetorik ermöglicht wird, sich über die normale politische Vorgehensweise hinwegzusetzen und sich von vorgegebenen Regeln zu befreien, kann der Fall einer Versicherheitlichung gemäß der Kopenhagener Schule beobachtet werden. Doch wie lässt sich der Erfolg eines Versicherheitlichungsprozesses ermessen? Wann besitzt ein Argument, das auf einer spezifischen rhetorischen und semiotischen Struktur beruht, genug Einfluss auf eine bestimmte Zuhörerschaft, sodass letztere Abweichungen von der normalen politischen Vorgehensweise tolerieren?

[...]

Ende der Leseprobe aus 80 Seiten

Details

Titel
Ebola als Bedrohung für die regionale und globale Sicherheit
Untertitel
Framing von Virus-Pandemien als Legitimationsstrategie in der Krisenpolitik der WHO
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
2,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
80
Katalognummer
V356540
ISBN (eBook)
9783668422407
ISBN (Buch)
9783668422414
Dateigröße
899 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
WHO, Securitization, Kopenhagener Schule, Versicherheitlichung, Copenhagen School, World Health Organization, Weltgesundheitsorganisation, Ebola, Diskursanalyse, Frames, Framing, SARS, H1N1, Pandemie, Gesundheitsnotfall, PHEIC, Epidemie
Arbeit zitieren
Ronja Maus (Autor:in), 2016, Ebola als Bedrohung für die regionale und globale Sicherheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/356540

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