Minderjährigenhaftung im Straßen-und Schienenverkehr


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

27 Seiten, Note: 10 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Teil Einführung

2. Teil Grundlagen zur Minderjährigen-Haftung
I. Teilnahme Minderjähriger am Rechtsverkehr
II. Arten von Haftung
III. Zweck des § 828 BGB

3. Teil Das Kind als Anspruchsgegner
I. Absoluter Haftungsausschluss durch § 828 Abs.1 BGB
II. Sektoraler Haftungsausschluss nach § 828 Abs. 2 BGB
1. Inhalt der Neuregelung
a. Berechtigung starrer Altersgrenzen - § 828 Abs. 1, 2 – im
Hinblick auf entwicklungspsychologische Erkenntnisse
aa. Die Festlegung der Siebenjahresgrenze
bb. Die Zehnjahresgrenze im Straßen- und
Schienenverkehr
1) Besondere Gefahren des Straßen- und
Schienenverkehrs
2) Erforderlichkeit einer höheren Grenze?
b. Vorsatz: Ist der Ausschluss vom Ausschluss bestimmbar?
2. Reichweite des § 828 Abs. 2 S.1 BGB
a. Motorisierter Verkehr
b. Ruhender Verkehr – zu BGH U. v. 30.11.2004
III. Relativer Haftungsausschluss nach § 828 Abs. 3 BGB
1. Verschuldensfähigkeit – Erforderliche Einsicht
2. Verschulden nach § 276 BGB – altersgruppentypische
Sorgfaltsmaßstäbe
IV. Gefährdungshaftung nach §§ 7 StVG, 1 HPflG
V. Billigkeitshaftung nach § 829 BGB

4. Teil Das Kind als Anspruchsteller – Mitverursachung nach § 254 BGB
I. Ausschluss der Deliktsfähigkeit nach § 828 Abs. 1 und 2 BGB
II. Deliktsfähiger Minderjähriger

5. Prozessvoraussetzungen

6. Teil Fazit

„Zur Minderjährigen-Haftung im Straßen- und Schienenverkehr“

1. Teil Einführung

„Eltern haften für ihre Kinder“ ist die umgangsprachliche Regel, wenn Kinder Schäden verursachen.[1]

Dass dies nicht ‚Gesetz’ ist, beweist die Vorschrift des § 828 BGB, welcher die Haftung Minderjähriger ausschließt bzw. einschränkt, denn wäre eine Haftung für Minderjährige nicht grundsätzlich möglich, so bedürfte es keiner Ausschluss- und Einschränkungsvorschrift.

Der Gesetzgeber hat durch das zweite Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002[2] die Verantwortlichkeit Minderjähriger insbesondere durch Neufassung des § 828 BGB modifiziert. Für die vorliegende Arbeit entscheidende Änderung ist der neue § 828 Abs.2 S. 1 BGB, der in bestimmten Fällen die Minderjährigen-Haftung im Straßen- und Schienenverkehr ausschließt. Unfälle, vor allem die große Gruppe der durch Minderjährige verursachten Straßenverkehrsunfälle, spielen in der Praxis eine große Rolle.[3]

Dies lässt sich einerseits belegen anhand der zu diesem Problemkreis ergangenen Rechtsprechung[4], aber auch Angaben des Statistischen Bundesamts[5], wonach 2003 15,15 % (71.009) aller Getöteten und Verletzten im Straßenverkehr minderjährig waren, zeigen, dass dies ein Problemfeld ist, welches eine Berücksichtigung durch den Gesetzgeber rechtfertigt.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, darzustellen, unter welchen Voraussetzungen Minderjährige im Straßen- und Schienenverkehr als Schädiger zur Haftung herangezogen werden können und wann sie als Geschädigte mithaftbar sind. Den Schwerpunkt bildet so eine Auseinandersetzung mit dem neugefassten § 828 BGB, den darin festgelegten Altersgrenzen und damit einhergehend entwicklungspsychologischen Erkenntnissen zu Fähigkeiten Minderjähriger im Straßen- und Schienenverkehr. Dabei soll auch die Rechtsprechung seit der Gesetzesänderung berücksichtigt werden.

2. Teil Grundlagen zur Minderjährigen-Haftung

Vorangehend müssen zum Verständnis der Haftungsregelung grundlegende Begriffe geklärt werden.

I. Teilnahme Minderjähriger am Rechtsverkehr

Nicht jeder Mensch ist in der Lage uneingeschränkt den Anforderungen unseres modernen Rechtsverkehrs gerecht zu werden, insbesondere anfallende Verpflichtungen zu tragen. Einige müssen geschützt werden. Dazu gehört besonders die Gruppe der Minderjährigen. Die Rechtsordnung kennt daher verschiedene Stufen teilnahmefähig am Rechtsverkehr zu sein.

Untere Stufe ist die Rechtsfähigkeit, also die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Die Rechtsfähigkeit kommt jedem Menschen gleich welchen Alters und welchen Geisteszustandes zu.[6]

Davon zu unterscheiden ist die Handlungsfähigkeit, worunter die Fähigkeit rechtlich bedeutsame Handlungen vorzunehmen zu verstehen ist.[7] Diese ist nicht jedem Menschen eigen, denn sie stellt auf individuelle Fähigkeiten ab, welche das Individuum erst erlangen (erlernen) muss und verlieren kann.[8]

Unter die Handlungsfähigkeit fallen die Geschäftsfähigkeit (die Fähigkeit Rechtsgeschäfte selbständig vollwirksam vorzunehmen, vgl. §§ 104 ff BGB)[9] und die Deliktsfähigkeit. (= Verschuldensfähigkeit)

Darunter versteht man die Fähigkeit eine zum Schadensersatz verpflichtende unerlaubte Handlung zu begehen. (vgl. §§ 827, 828 BGB).

Die Handlungsfähigkeit ist nach dem Willen des Gesetzgebers ausgeschlossen bzw. beschränkt, wo der Schutz des Individuums vor Selbstschädigung über den Interessen des Rechtsverkehrs steht.[10]

Vorliegend geht es also um die Frage, wann die Verschuldensfähigkeit Minderjähriger im Straßen- und Schienenverkehr gegeben ist, und welche Folgen dies hat.

II. Arten von Haftung

Bedeutsam ist die Verschuldensfähigkeit bei derjenigen Haftung, deren Voraussetzung schuldhaftes Handeln iSd § 276 BGB ist, also insbesondere die der unerlaubten Handlungen der §§ 823 ff BGB.[11] (Verschuldensprinzip)[12] Diese hat im Bereich der Minderjährigenhaftung die größte Bedeutung.

Darüber hinaus gibt es Haftungsmöglichkeiten, die ein individuelles Verschulden unbeachtet lassen. Im Bereich des Straßen- und Schienenverkehrs ist die Gefährdungshaftung bedeutsam, welche auf der Überlegung beruht, dass derjenige, der zu seinem Nutzen einen gefährlichen Betrieb eröffnet oder betreibt (Fahrzeug oder Schienenbahn) für Schäden haften soll, die in Verwirklichung dieses Risikos typischerweise bei anderen eintreten und von diesen nicht verhindert werden können. (Verursachungsprinzip)[13]

Weiter ist insbesondere im Bereich der Minderjährigenhaftung die Billigkeitshaftung nach § 829 BGB von Bedeutung, welche ebenfalls allein an die objektiv rechtswidrige Schädigung des Verletzten anknüpft[14] und eine Schadloshaltung nach den Verhältnissen der Beteiligten erzielt.

III. Zweck des § 828 BGB

§ 828 BGB schließt die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit von Kindern absolut (Abs. 1) bzw. sektoral (Abs. 2) aus und macht sie bei Jugendlichen von der Frage abhängig, ob sie bei Tatbegehung die „zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht“[15] besitzen.(Abs. 3)[16]

Damit wollte der Gesetzgeber die in § 828 genannten Minderjährigen aus noch darzulegenden Gründen der Schutzwürdigkeit privilegieren.

3. Teil Das Kind als Anspruchsgegner

Wird durch das Verhalten eines Minderjährigen im Straßen- und Schienenverkehr ein Schaden verursacht, stellt sich also zunächst die Frage nach der deliktsrechtlichen Verantwortung des Minderjährigen.[17] Dafür ist regelmäßig Schuld erforderlich, welche wiederum zweierlei Voraussetzungen hat:: Die Verschuldensfähigkeit und das Verschulden selbst.[18]

I. Absoluter Haftungsausschluss durch § 828 Abs.1 BGB

Nach § 828 Abs.1 BGB ist jedes Kind, welches das 7. Lebensjahr nicht vollendet hat für den einem anderen zugefügten Schaden nicht verantwortlich.[19]

Mit dieser gesetzlichen Feststellung ist jede Einzelfallprüfung der Deliktsfähigkeit von Kindern dieser Altersgruppe ausgeschlossen.[20] In dieser Ausgestaltung entspricht Abs.1 dem Ausschluss der Geschäftsfähigkeit nach § 104 Nr.1 BGB.

Anknüpfungspunkt ist allein das Lebensalter. Dabei stellt sich die Frage, ob die Wahl dieser Altersgrenze angesichts der typischen Entwicklungsreife von Kindern diesen Alters gerechtfertigt ist, und ob eine fixe Altersgrenze überhaupt, und gegebenenfalls bei welchem Lebensalter eine Berechtigung findet. Dies soll im Folgenden erörtert werden.

II. Sektoraler Haftungsausschluss nach § 828 Abs. 2 BGB

Die Bestimmungen im BGB über das Recht der unerlaubten Handlungen und das Schadensersatzrecht sind[21] seit Inkrafttreten zum 1.1.1900 nahezu unverändert geblieben.[22] So sind im Bereich der Verantwortlichkeit von Kindern bei der Teilnahme am motorisierten Verkehr durch die Veränderung der Verhältnisse und gewonnene Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie Gerechtigkeitsdefizite entstanden, die der Gesetzgeber durch das 2. Schadensrechtsänderungsgesetz beheben wollte.[23]

Fraglich ist, wie dies geschehen ist und ob der so beschrittene Weg gerechtfertigt ist..

1. Inhalt der Neuregelung

Nach § 828 Abs. 2 BGB sind Minderjährige zwischen sieben und zehn Jahren nicht für fahrlässig durch sie herbeigeführte Schäden verantwortlich, die bei Unfällen mit einem KFZ oder mit einer Schienen- oder Schwebebahn unter Mitwirkung der für diese typischen Gefahren[24] geschehen. Auch hier ist, wie bei Abs. 1 allein das Alter ausschlaggebend.

Grund für die Anhebung der Haftungsgrenze ist die lange danach erhobene Forderung,[25] beruhend auf der Annahme, dass Kinder der besagten Altersgruppe zumindest auf dem Gebiet des Straßen und Schienenverkehrs[26] konstitutionell nicht in der Lage seien, sich im Straßen- und Schienenverkehr mit der gebotenen Sorgfalt zu bewegen.[27]

[...]


[1] Borgelt S. 8.

[2] BGBl. I S. 2674.

[3] Kötz, S. 125 Rn. 312.

[4] Siehe die umfangreiche Auflistung bei Scheffen/Pardey S. 83 ff. und bei Wussow S. 244 ff.

[5] vgl: www.destatis.de/basis/d/verk/verktab6.php und www.destatis.de/basis/d/verk/verktab7.php .

[6] Brox AT BGB Rn 703.

[7] Palandt – Heinrichs Einf. v. § 104 Rn. 1.

[8] Zu beachten ist dabei, dass das Gesetz grundsätzlich alle Menschen als delikts- und geschäftsfähig ansieht, und daher nur die Ausnahmefälle von Ausschluss und Beschränkung regelt, Palandt - Heinrichs Einf v § 104 Rn. 2.

[9] Palandt - Heinrichs Einf v § 104 Rn. 2.

[10] Vgl Brox AT BGB Rn. 260.

[11] Diese ist der Regelfall im Zivilrecht, vgl. Medicus Jura 1996, 561.

[12] Vgl Medicus SchuldR I Rn. 300.

[13] Vgl Medicus SchuldR I Rn. 300.

[14] MüKo – Mertens § 829 Rn. 1.

[15] So die vom RG gegebene und bis heute in Rechtsprechungspraxis und Kommentierung gebräuchliche Begriffsbestimmung in U. v 8.12.1902 RGZ 1900, 53, 157-159, vgl. Hommers S. 18.

[16] Vgl. MüKo – Mertens § 828 Rn. 1

[17] Scheffen/Pardey S. 1.

[18] Vgl Medicus SchuldR II S. 366 Rn. 768.

[19] dass dabei nur die Schädigung durch eigenes Verhalten des Minderjährigen gemeint ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 828 („...Schaden, den er einem anderen zufügt“) und seiner systematischen Stellung nach den §§ 823-826, die sämtlich Schädigungen durch eigene Handlungen betreffen, vgl. Goecke S. 25.

[20] Borgelt S. 31.

[21] Begriff aus BT-Drs. 14/7752 S. 17 sowie Pardey ZfS 2002, 264.

[22] So hat das BVerfG eine Sachentscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des § 828 Abs. 2 a.F. abgelehnt, weil § 828 vorkonstitutionelles Recht sei, vgl. NJW 1998, 3557, welches der Gesetzgeber seit Inkrafttreten des Grundgesetzes auch nicht in seinen Willen aufgenommen hat. In der Vorlage hat das OLG Celle die Verfassungsmäßigkeit insoweit angezweifelt, als diese Vorschrift zu unbeschränkter Haftung von Jugendlichen schon bei leichter Fahrlässigkeit führt, OLG Celle VersR 1989, 709.

[23] Vgl Begründung BT-Drs. 14/7752 S. 11.

[24] Palandt § 828 Rn. 3?

[25] u.a. durch Beschlüsse der Verkehrsgerichtstage aus 1983, 1991, 1998, 2000, vgl Jahnke ZfS 2002, 105 (106).

[26] Rauscher Jura 2002, 577 (581).

[27] Wagner NJW 2002, 2049 (2060).

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Minderjährigenhaftung im Straßen-und Schienenverkehr
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)  (Rechtswissenschaften)
Note
10 Punkte
Autor
Jahr
2005
Seiten
27
Katalognummer
V35628
ISBN (eBook)
9783638354844
Dateigröße
539 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit befaßt sich mit der Privilegierung Minderjähriger nach § 828 BGB, insbesondere im Starßen-und Schienenverkehr nach der Schuldrechtsmodernisierung
Schlagworte
Minderjährigenhaftung, Straßen-und, Schienenverkehr
Arbeit zitieren
Nicole Müller (Autor:in), 2005, Minderjährigenhaftung im Straßen-und Schienenverkehr, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35628

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