Digitalisierung. Transformationsprozess deutscher Universalbanken im Bereich Retail-Banking. Treiber und Trends


Bachelorarbeit, 2016

75 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung: Warum sich Banking ändern muss

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Entstehungsfaktoren
2.2 Digitalisierung
2.3 Deutsches Universalbankensystem

3 Trends
3.1 Wandel der Konsumentinnen
3.1.1 Diffusion des (mobilen) Internets und Kundentypologie
3.1.2 Lebensphasen und -stile, Wertehaltungen und Einstellungen
3.1.3 Demographische Entwicklungen
3.1.4 Neue Leistungsanforderungen
3.2 Neue Wettbewerber
3.2.1 Evolution der Wettbewerber von Banken
3.2.2 Charakteristika und Beispiele aus der Praxis
3.2.3 Stärken und Schwächen
3.3 Mobile Payment – Durchgriffspotenzial der neuen Wettbewerber?
3.3.1 Grundlagen
3.3.2 Stärken und Schwächen
3.3.3 Status Quo: Abwehrhaltung
3.3.4 Technologie
3.3.5 Erfolgsfaktoren

4 Diskussion

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

7 Anhang

Zusammenfassung

Diese Arbeit analysiert anhand eines rückwärtsgerichteten Literaturüberblicks Trends und deren Treiber, die sich durch Digitalisierung ergeben haben. Banken wurden dabei als Untersuchungsgegenstand ausgewählt, da sie durch die Vergabe von Kapital der Nährboden wirtschaftlichen Wachstums sind und sie lange Zeit die Digitalisierung unterschätzten. Die Diffusion des (mobilen) Internets, neu bewertete Wertehaltungen sowie demographische Entwicklungen führen zu neuen Anforderungen bei Finanzprodukten. Dieser Wandel erfasste auch das Wettbewerbsumfeld. Es wird empfohlen Kooperationen mit FinTechs einzugehen und grundlegend innovativer zu werden. Mobile Payment wird als Anwendungsbeispiel für ein konkretes Finanzprodukt angeführt. Dessen bisherig gescheiterter Durchbruch lässt sich anhand mangels erfüllter Hygienefaktoren und Motivatoren erklären. Abschließend wird aus dem Einbezug historischer Faktoren postuliert, dass die Existenz von Banken durch die Folgen der Digitalisierung als gefährdet einzustufen ist.

This work provides a backward literature survey about trends and their driving forces which have arisen due to digitization. The focus of this study is on banks because they are relevant for economic growth and they furthermore underestimated the power of digitization. The increasing use of (mobile) internet, revalued attitudes as well as the demographic development lead to appropriate requirements for financial products. This social change also impacted the competitive environment. It is recommended to enter cooperation agreements and become more innovative. Mobile Payment serves as an example of a financial product. Its previous failed breakthrough is due to improperly fulfilled hygiene and motivator factors. By including historical factors it turns out that the consequences of digitization endanger the existence of banks.

Management Summary – Thesenüberblick

1. Die Verbreitung des (mobilen) Internets ist bereits auf einem hohen Niveau und wird weiter wachsen.
2. Wertehaltungen werden heute sozial anders bewertet.
3. Die Finanz- und Schuldenkrise hinterließ in Verbindung mit negativen Schlagzeilen Spuren im Image von Banken.
4. Die Kundin informiert sich zunehmend online über Finanzprodukte (ROPO-Effekt).
5. Die potenzielle künftige Kundschaft ist durchschnittlich stärker belastet und gleichzeitig auch in ihrer Anzahl geringer und älter.
6. Silver Surfer sind ein chancenreiches Segment.
7. Der gesellschaftliche Wandel impliziert neue Leistungsanforderungen.
8. Beim Online-Banking herrscht Misstrauen bezüglich Sicherheit und datenschutzbezogenen Aspekten.
9. FinTechs weisen Potenzial auf Banken in gewissen Bereichen ihrer Wertschöp-fungskette Marktanteile abzunehmen.
10. Mobile Payment konnte sich bisher aufgrund mangels erfüllter Hygienefaktoren und Motivatoren nicht durchsetzen.
11. Summa summarum wirkt Digitalisierung negativ auf die Transaktionskostenvorteile, die Intermediationsleistung und die Maklerfunktion von Banken.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands

Abbildung 2: Internetnutzung nach Tätigkeit differenziert

Abbildung 3: Anteil neuer Vertragsabschlüsse bei Finanzprodukten

Abbildung 4: Anteil neuer Vertragsabschlüsse basierend auf dem ROPO-Effekt

Abbildung 5: Entwicklung Gesamtbevölkerung. Eigene Darstellung

Abbildung 6: Entwicklung Bevölkerungsstruktur 2060 gegenüber 2020

Abbildung 7: Strukturwandel

Abbildung 8: Differenzierung neuer Wettbewerber

Abbildung 9: Mobile Payment Prozess

Abbildung 10: Neue Leistungsanforderungen an Finanzprodukte

Abbildung 11: Wettbewerbsvorteile von FinTechs

Abbildung 12: Wettbewerbsvorteile von Banken

Abbildung 13: Erfolgsfaktoren bei Mobile Payment

Abbildung 14: Vorschlag eines Korrelationsmodells

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung: Warum sich Banking ändern muss

Seit der Jahrtausendwende befindet sich die Kreditwirtschaft im Strukturwandel [7], der aus heutiger Sicht einen andauernden Prozess darstellt. Der Markt für Standardfinanzprodukte ist weitgehend gesättigt, weshalb Kreditinstitute seit geraumer Zeit auf nationaler Ebene nach Nischen und international nach aufstrebenden Märkten suchen und dabei auch bewusst Risiko[1] eingehen. Die durch die Globalisierung verursachte weltweite Vernetzung führt zu einem Finanzmarkt ohne räumliche sowie zeitliche Grenzen und grenzüberschreitende Transaktionen verursachen durch Währungsräume bzw. Entwicklungen in diesen Systemen, wie bspw. Single Euro Payments Area-Lastschriftverfahren, geringere Transaktionskosten (Weltfinanzmarkt).

Die Weltwirtschafts- und Schuldenkrise 2008/2009 führte in Verbindung mit sich häufenden Banken-Medienskandalen[2] zu einem Vertrauensverlust auf Kundenseite [9]. Dieser bewirkt unter anderem, dass sich Konsumenten zunehmend online über Finanzprodukte informieren um Preisvergleiche und Bewertungen für ihre Kaufentscheidung zu nutzen. Es werden Portale zu Rate gezogen, die besonders bei Produkten mit homogenen Eigenschaften und wenig Markenbeeinflussung (eine Vielzahl von Bankprodukten lässt sich darunter subsumieren) sinnvoll sind. Weitere Einflusstreiber der veränderten Kundenbedingungen sind heute sozial anders bewertete Lebensstile, Werte und Einstellungen sowie der demographische Wandel. Welche konkreten Auswirkungen hat dies auf die Angebote von Finanzprodukten im Retail-Bereich?

Informations- und Kommunikationstechnologien (im Folgenden: IKT) bzw. Digitalisierung ermöglicht neue Sollbruchstellen in der klassischen Wertschöpfungskette des Retail-Bankings [10]. Weiter verlagert sich der Point of Sale zunehmend aus der physischen in die digitale Welt und bereits heute sind nahezu alle Leistungsprozesse einer Bank auch online verfügbar. Zudem ermöglichen IKT niedrigere Kostenstrukturen aufzubauen. Neue Wettbewerber fokussieren sich auf nur einen Vertriebskanal und können sich zudem häufig bestehender Infrastruktur bedienen, was komparative Wettbewerbsvorteile hinsichtlich der Produktivität gegenüber Multikanalbanken bewirkt, da die Kosten des Filial-Bankings größer sind als jene von Internet-based-Banking [11]. Dabei attackieren diese als FinTechs bezeichneten digitalen Revoluzzer klassische Bankhäuser übers Internet und konterkarieren die einstige Eintrittsbarriere Filialnetz im Finanzsektor, indem sie durch innovative Lösungen spezielle Kundenbedürfnisse befriedigen, somit Marktnischen besetzen und deren Anteil versuchen auszubauen [12]. Welche Bedrohung ergibt sich hieraus für Banken?

Die vollständige kunden-fokussierte Integration der Digitalisierung ins Geschäftsmodell von KI ist dabei noch keine 20 Jahre alt. Dies zeigt eine 1998 durchgeführte Studie von [13]. Unter den 100 analysierten größten (Bilanzsumme) Banken, ergab sich folgendes Bild: 92 % schätzen das Internet als Marketinginstrument ein, wohingegen lediglich 24 % Online-Banking anbieten. Von diesem Anteil glaubt sogar nur die Hälfte damit zusätzliche Umsatzerlöse zu erzielen. Während kleinere Banken mit ihrer Webpräsenz eher auf das Erreichen bisheriger Kundensegmente fokussiert sind, wollen die Größeren auch neue Zielgruppen erreichen. Die Brisanz des Themas dieser Arbeit wird zudem durch eine jüngere Studie bewusst: Nur 12 % der Teilnehmer glauben, dass Banken in der Lage sind die Angriffe von Internetkonzernen seitens der Positionierung in ihrer Wertschöpfungskette nachhaltig abzuwehren [10]. Wie sollten die übrigen 88 % reagieren?

Die vorliegende Arbeit leistet mit der Beantwortung der genannten Fragen einen wesentlichen Beitrag für Bankbetriebe in Deutschland. Während in der Literatur häufig nur ein Trend vorgestellt wird, analysiert diese Arbeit mittels einer rückwärtsgerichteten Suche ganzheitlich mehrere Treiber und Kräfte, welche sich durch die Digitalisierung im Retail-Banking herauskristallisiert haben. Die verwendete Literatur stammt mehrheitlich von Praxis-nahen Autoren. Mit dem am Ende entwickelten Modell kann künftig nutzbringend empirisch gemessen werden, ob die Existenz von Banken durch die Digitalisierung tangiert wird.

Der Aufbau der Arbeit ist wie folgt: In Kapitel 2 wird das theoretische Fundament gelegt. Zunächst werden wesentliche Faktoren erläutert, die historisch zur Entwicklung von Banken geführt haben. Im Anschluss wird eine spezifische Definition für Digitalisierung herausgearbeitet und der Untersuchungsgegenstand eingegrenzt. Abschnitt 3.1 thematisiert den gesellschaftlichen Wandel, der zu neuen Wettbewerbern überleitet (Abschnitt 3.2). Abschließend wird ein Anwendungsbeispiel anhand Mobile-Payment aufgespannt (Abschnitt 3.3).

In der darauffolgenden Diskussion werden die Ergebnisse der Arbeit dargestellt und interpretiert. Um einen Mehrwert für Entscheidungsträger zu generieren, werden begründete Handlungsempfehlungen vorgeschlagen (Kapitel 0).

Für ein holistisches Verständnis bezüglich der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Existenz von Banken, wird im letzten Teil ein Framework für künftige Forschungsarbeiten vorgestellt (Kapitel 0). Dieses basiert auf Hypothesen, die sich aus dem Einbezug der historischen Entstehungsfaktoren von Kreditinstituten ableiten (evolutorische Ökonomik). Insgesamt können durch diese Arbeit entscheidende Erkenntnisse hinsichtlich Chancen und Risiken für Entscheidungsträger von Banken gewonnen werden.

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Entstehungsfaktoren

Volkswirtschaften lassen sich aufteilen in Realwirtschaft und Finanzsektor [14]. Letzterer umfasst diejenigen Organisationen, welche Transaktionen mit Finanzaktiva durchführen. Dieses Merkmal erfüllen Kreditinstitute (im Folgenden: KI) grundsätzlich durch die Annahme von Einlagen und der Vergabe von Krediten. Im Finanzsektor werden dabei verglichen mit der Realwirtschaft in etwa 5% der Wertschöpfung realisiert. Der nicht informierte Leser könnte meinen, dass man aufgrund dessen der Finanzbranche keine weitere Aufmerksamkeit schenken sollte. Bedenkt man aber, dass Finanzaktiva eine notwendige Rahmenbedingung für die gesamte Realwirtschaft sind, dann stellt sich dieser Sektor als unverzichtbar für eine Ökonomie dar: So haben wirtschaftliche unternehmerische als auch private Entscheidungskalküle stets eine finanzielle Dimension. Unternehmen benötigen Kapital um Output zu erzeugen und Haushalte um den Output zu bezahlen. Und nicht zuletzt haben Krisen der Vergangenheit gezeigt, dass Ereignisse im Finanzsektor weitreichende Folgen für ganze Volkswirtschaften haben können. Zum tieferen Verständnis der Bedeutung dieser Branche, ist es wichtig sich darüber klarzuwerden welche Faktoren zum Entstehen von KI geführt haben um im Folgeschritt die Auswirkungen der Digitalisierung darauf bezugnehmend zu thematisieren.

Zieht man die Aufwandsseite in Betracht, stellt man bei KI mögliche Transaktionskostenvorteile gegenüber den übrigen Marktteilnehmern fest [15]. Sparer nutzen bspw. das Anlagengeschäft ihres KI und Unternehmen ersparen sich im Gegensatz zur direkten Finanzierung (Kapitalmarkt) einige Publizitätspflichten. Das KI bringt als Intermediär beide Akteure zusammen [16]. Allgemein sind Finanzmärkte durch Informationsasymmetrie gekennzeichnet: Der Emittent ist hinreichender über seine (künftige) Liquiditäts-, Finanzierungs- und Ertragslage informiert als der Anleger. KI sind auf Einlagen und Kredite spezialisiert und haben aufgrund wiederkehrender Aktivitäten an den Finanzmärkten (Kompensation Informationsasymmetrie aufgrund der Erfahrung am Finanzmarkt [16, 17] ) auch gleichzeitig sicherere und umfangreichere Informationen über alternative Kreditnehmer (Emittenten) als der private Anleger. Daraus resultieren ggf. niedrigere Transaktionskosten (Informations- und Risikokosten). Dieser Kosteneffekt wird zudem verstärkt durch Economies of Scale und - Scope [17, 18] (im Folgenden: EoS). Erstere drücken sich bspw. durch standardisierte Einlagen- und Kreditkontrakte bzw. -produkte aus. Durch ihre Erfahrung aufgrund vielfacher Finanzmarktaktivitäten können KI im Vergleich zu nicht-spezialisierten Marktteilnehmern eine bessere Optimierung der Portfolio-Risikodiversifikation erzielen (Economies of Scope). Weiterhin äußern sich geringere Transaktionskostenvorteile im Vergleich zu Non-/Near-Banks durch die geschaffenen und etablierten Infrastrukturen.

Der nächste Faktor lässt sich aus dem vorherigen Abschnitt deduzieren, da die Informationsasymmetrie mitunter ein Grund dafür ist, warum Haushalte - als schlechter informierte Marktteilnehmer - die Intermediationsleistung von KI [19] in Anspruch nehmen und darüber hinaus gerade die Intermediation eines spezifizierten Marktakteurs zu verringerten Transaktionskosten führt. Dabei werden vom KI drei Leistungsprozesse erbracht, die zur vorteilhaften Intermediation führen. Banken transformieren mehrere geringe Einlagen in großvolumige Kredite (Losgrößentransformation). Zusätzlich werden kurzfristig kündbare Einlagen in langfristige Kredite umgewandelt (Fristentransformation). Und schließlich findet ebenfalls eine Risikodiversifikation im Einlagengeschäft statt, da die Sichteinlagen an eine Vielzahl von Kunden alloziert wird [17, 19].

Der letzte Faktor ist die Maklerfunktion mit Informationsbeschaffungs- und -verarbeitungsvorteilen [14]. Durch andauernde Kundenbeziehungen können Informationen vorteilhaft ausgewertet werden und durch die Marktkenntnis des KI entsprechende Angebote offeriert werden. Als Beispiel sei die Bereitstellung eines antizipierten Kredits für einen Kunden genannt, welcher ein Girokonto unterhält, über welches regelmäßige Zahlungsverpflichtungen abgewickelt werden. Somit könnte bei voraussichtlichen Liquiditätsengpässen ein antizipierter Kredit angeboten werden.

Die erläuterten Entstehungsdeterminanten werden im Rahmen dieser Arbeit in zwei Kategorien eingeordnet: Relationale Faktoren [20], die sich durch die Transaktionsbeziehung zwischen KI und Kunde manifestieren und mikroökonomische Faktoren, bei denen es um die Verteilung knapper Ressourcen und Entscheidungskalküle (einschl. Prinzipal-Agent-Theorie) geht [21]. Erstere umfassen die Intermediation sowie die Maklerfunktion. Der Transaktionskostenvorteil lässt sich einer mikroökonomischen Dimension zuordnen. Jedoch besitzt die Intermediationsfunktion keine Trennschärfe, da sie sowohl relationale als auch mikroökonomische Komponenten enthält. Durchaus existieren noch weitere Faktoren[3], die jedoch aufgrund der geringen Relevanz bezüglich der Digitalisierungsthematik ausgeschlossen wurden. Auch für künftige Forschungsarbeiten kann die Differenzierung zwischen den Determinanten in die vorgeschlagenen Dimensionen hilfreich sein.

2.2 Digitalisierung

Grundsätzlich bezeichnet der Begriff die Umwandlung von analogen in digitale Signale [1, 22, 23]. Dies erfolgt durch die Abtastung der analogen Signale an verschiedenen Punkten, wobei die Qualität umso höher ist je näher diese Punkte zusammenliegen. Mögliche Inputfaktoren sind dabei Zahlen, Texte, Grafiken, Audio und Videos. Vereinfachend kann man sagen, dass digitale Güter in Bits und Bytes ausgedrückt werden können. Mittels binärer Kodierung werden die Güter „gleichnamig“ gemacht und können dadurch übereinstimmend übertragen, bearbeitet und gespeichert werden. Treibende Kräfte der Digitalisierung waren die zunehmende Speicherung und Nutzung von immateriellen (digitalen) Informationsgütern (Digitalisierungseffekt), das virale und exponentielle Wachstum von Daten innerhalb virtueller Netzwerke (Netzwerkeffekt) und die zunehmende Verbreitung des World Wide Webs (Durchdringungseffekt).

Dies erscheint auf den ersten Blick recht technisch-abstrakt, wird aber greifbarer, sofern man die folgenden sieben Charakteristika miteinbezieht [24]: Das erste Merkmal digitaler Güter ist die Allgegenwärtigkeit („ubiquituos computing“) und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Die Vernetzung weist auf die Verzahnung von Hardware-Komponenten in Netzwerken hin. Konvergenz greift die Tendenz der Verschmelzung hinsichtlich Übertragung und Endgeräte auf. Zusätzlich werden die Dimensionen von Bauteilen immer kleiner (Miniaturisierung) und sie werden genauso wie Daten von physischen Trägermedien abgetrennt (Mobilisierung). Mittels Datenkompression wird einerseits die Datenübertragung beschleunigt als auch die Datendichte gesteigert. Das letzte Charakteristikum digitaler Güter ist die Interaktivität und bezeichnet die Einbeziehung des Nutzers in den Gestaltungsprozess. Zusammenwirkend ermöglichen diese Charakteristika eine effektivere und effizientere Prozessgestaltung [25, 26].

Digitalisierung basiert auf Informations- und Kommunikationstechnologien [22]. Erst diese ermöglichen die Erstellung, Verarbeitung, Übertragung und Nutzung von digitalen Gütern. Während die Verarbeitung von Informationen und Daten sowie die Kommunikation über Informationstechnogien erfolgt, umfassen letztere Geräte und Software zur Vernetzung von Computerhardwarekomponenten über Netzwerke sowie die Übertragung von Daten physischer Positionen an eine andere Position [26]. Zusammenfassend können Daten mittels Digitalisierung ohne nennenswerten Qualitätsverlust zu marginalen Kosten reproduziert werden [1].

Das letzte Charakteristikum Interaktivität hat den Fokus bereits in Richtung Kundin verschoben und wie sich im Laufe der Arbeit noch zeigen wird, stellt sie aufgrund ihres Wandels den Ausgangspunkt strategischer Überlegungen dar. Folglich ist es notwendig sie in die Begriff-Subsumption zu integrieren [27, 28]. Digitalisierung im Rahmen dieser Arbeit wird demnach individuell definiert als die kunden-gerichtete Anpassung des Bankgeschäfts durch verbesserte betriebliche Abläufe, die auf der Verwendung von IKT basieren.

2.3 Deutsches Universalbankensystem

Abbildung 1 skizziert das deutsche Bankensystem. Als Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit dienen Universalbanken, die sowohl Einlagen- und Kreditgeschäft sowie weitere Leistungen wie z.B. den Zahlungsverkehr (Commercial-Banking) als auch Leistungen im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten (Investment-Banking) anbieten. Sie werden beleuchtet, da sie es sind, die vor einigen Jahren noch das Potenzial eines kunden-gerichteten digitalen Vertriebskanals unterschätzten [13]. Abgesehen davon ist es nicht sinnvoll den kompletten Bankensektor zu integrieren, da sie erhebliche Unterschiede in ihrer Geschäftsstrategie aufweisen und somit die Beschränkung auf Universalbanken gerechtfertigt ist. Es sei darauf hingewiesen, dass der rechtstechnische Begriff der Bank i.S.d. § 1 Kreditwesengesetz (KWG) [29] vom wissenschaftlichen abweicht und viele Autoren unterschiedliche Definitionen verwenden [30].

3 Trends

3.1 Wandel der Konsumentinnen

Bei der Herleitung der in dieser Arbeit geltenden Definition des Begriffs Digitalisierung, wurde die Stellung der Kundin hervorgehoben. Der fortschreitende Prozess der Globalisierung führte durch seine Auswirkungen auf Güter- und Konsummärkte sowie Preis- und Lohnniveaus zu einem Weltfinanzmarkt. Daraus folgten sinkende Margen und Marktanteile, da Reengineering-Potenziale in Verbindung mit steigendem Wettbewerbsdruck zunehmend ausgeschöpft waren [31]. Es ergibt sich also die Forderung nach einer strategischen Neuausrichtung, welche die Kundin aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit zur Basis aller Überlegungen stellt. Doch um eine solche Anpassung vorzunehmen, müssen sich Banken über die treibende Kraft der Kundin im Klaren sein.

3.1.1 Diffusion des (mobilen) Internets und Kundentypologie

Digitalisierung wirkt sich erheblich auf das Verhalten von Kundinnen und damit auch auf die Anforderungen ans Leistungsspektrum einer Bank aus [27, 32, 33]. Ein Wandel findet durch die Akzeptanz der Diffusion des Internets statt (Durchdringungseffekt), wobei die Tatsache der Altersunabhängigkeit besonders bemerkenswert erscheint. Gleichwohl steigt auch die Nutzung des mobilen Internets. Empirische Belege liefern die Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie [34, 35]. Die Kernergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen (n=1 800): Deutschland umfasst knapp 80 % gelegentliche Online-Nutzer. Die Anzahl entspricht einem Wachstum von ca. 1 % zum Vorjahr, was darauf schließen lässt, dass das Niveau bereits einen sehr hohen Wert erreicht hat, da in den vergangenen 9 Jahren die mittlere Wachstumsrate rund 13 % betrug. Interessant ist auch die Tatsache, dass die tägliche durchschnittliche Verweildauer im mobilen Netz höher ist, als dies beim gewöhnlichen Computer der Fall ist. Differenziert man die Nutzung weiterhin nach Tätigkeiten, lassen sich die in Abbildung 2 abgetragenen Charakteristika herausbilden, die für Banken bei der Leistungserstellung von Bedeutung sein könnten. Die Häufigkeit der Informationssuche verweist zugleich auf den ROPO-Effekt (Abschnitt 3.1.2). Online-Banking wird eher verhalten genutzt, sodass hier Potenzial für dieses strategische Geschäftsfeld besteht. Insgesamt verwendet mehr als die Hälfte der Online-Nutzer auch das mobile Internet, sodass man von einer graduell akzeptierten Diffusion des (mobilen) Internets sprechen kann und Banken diesen Trend keineswegs unberücksichtigt lassen sollten, da die Profitabilität von Commercial- und Investment-Banking von der Nachfrage der Kunden abhängt und derartige Leistungen auch übers Internet angeboten werden können.

Es ist deutlich geworden, dass sich die Verbreitung des (mobilen) Internets nicht bestreiten lässt. Gleichwohl stößt sie nicht bei sämtlichen Kundengruppen auf Akzeptanz. Bezüglich des Banken-Leistungsspektrums lassen sich daraus folgende 3 Typologien ableiten [10]: Digital Natives (Generation Y) werden durch ihre Spontanität und ihre Ansprüche an Transparenz (keine versteckten Kosten, faire Preiskalkulation) charakterisiert. Mittel- bis langfristig wird erwartet, dass sie einen signifikanten Teil des Gesamtvermögens ausmachen, sodass ihre Bedürfnisse vorrangig zu berücksichtigen sind, auch wenn sie derzeit noch finanziell unattraktiv sind. Aktuell relevante Kaufkraft besitzen Digital Migrants. Sie weisen eine reservierte Einstellung gegenüber Online-Dienstleistungen auf, wobei sich diese ändern wird, sobald sie einen Mehrwert in der Nutzung moderner Technologien erkennen. Langfristig wachsen (migrieren) sie soz. in die Gruppe der Digital Natives hinein, sodass auch sie einen hohen Stellenwert in der Digitalisierungsstrategie haben sollten. Letztere Gruppe umfasst die technologie-aversen Digital Deniers. Sie sind zwar bis dato das potenziell ertragsstärkste Kundensegment, jedoch stellen sie langfristig die Minderheit dar bzw. verschwinden vom Markt.

3.1.2 Lebensphasen und -stile, Wertehaltungen und Einstellungen

Die Einflüsse der Digitalisierung auf das Kundenverhalten, die eine Anpassung der Retail-Banking-Leistungen erfordern, sind interdependent [36]. Demnach sollte eine ganzheitliche Betrachtung des gesellschaftlichen Wandels (Demographie) einschließlich der Lebensphasen und -stile, welche durch unterschiedliche Ausprägungen an finanziellem Bedarf sowie Einstellungen gegenüber Risiko und Werten geprägt sind, erfolgen. [37] nehmen z.B. eine Aufteilung in fünf Phasen vor und stellen sie deren Liquiditätsbedarf gegenüber. In der Etablierungsphase, zwischen Ende 20 und Ende 30, stehen bspw. Ehe und Familiengründung an. In dieser Phase ist die Kundin voraussichtlich beruflich etabliert, kann ggf. die Verbindlichkeiten der Vorphasen tilgen sowie freie Mittel anlegen und benötigt nun ein Darlehen zur Immobilienfinanzierung. Da Finanzprodukte nicht in allen Phasen gleichermaßen benötigt werden, kann eine Win-Win-Situation hergestellt werden, wenn sich die Kundin individuell und bedarfsgerecht angesprochen fühlt.

Das Aufkommen neuer Denkansätze (Lebensstile) und den daraus abgeleiteten Werten wurde schon vor einigen Jahren erkannt. Dieser akzelleriende Wertewandel mündet letztendlich im Wertepluralismus [7, 38]. Folgende drei Beispiele skizzieren diese Entwicklung: Auf Kundenseite äußert sich der Wertewandel bspw. durch die Suche nach Anerkennung als Individuum und die daraus folgende Forderung nach einer entsprechenden Behandlung („Egonomics“). Kundenbedürfnisse sind immer stärker von ihren Werten abhängig bzw. an diesen orientiert („Cashing Out“). Wichtig für die oben erläuterte Zielgruppensegmentierung ist auch die zunehmende Verwischung der Grenzen von Lebensalter und Einstellung („Down Ageing“). Kunden passen ihr Verhalten ihrem individuellen Gefühl an, was bei einer Marktsegmentierung anhand von Altersgrenzen unbedingt berücksichtigt werden sollte. Zusammenfassend ist es für Banken also unverzichtbar den Kunden als Mensch wahrzunehmen und dessen Werte bei ihren angebotenen Leistungen zu integrieren. In den letzten Jahren zeichnete sich ein gewisser Trend zur Nachhaltigkeit ab [39]. Themen wie Ressourcenknappheit und Klimawandel scheinen bei der Bundesbürgerin auf Rücksicht zu stoßen und münden in einem veränderten Bewusstsein der Kundinnen im Konsumverhalten bezüglich ethischen und sozialen Gesichtspunkten. Mitunter eine Ursache für neue Wertehaltungen ist auch die globale Finanz- und Schuldenkrise beginnend in 2008. Für einen Großteil der Bevölkerung wurden die angesprochenen Gesichtspunkte von Banken missbraucht, weshalb ein tendenzielles Misstrauen entstand. [40] befragt in einer Online-Studie Personen ab 18 Jahren (n=501) zu Lebenszielen, Einstellungen sowie Konsum und Finanzverhalten. Es zeigte sich nahezu altersunabhängig, dass 68 % dem Wert Sicherheit, knapp die Hälfte dem Vertrauen und ca. jeder Zweite dem eigenen Zuhause in Zukunft mehr Bedeutung beimessen werden. Bezüglich der Frage, ob eher Preis oder Qualität bei der Kaufentscheidung im Vordergrund steht, zeichnete sich im Zeitvergleich zu eigenen vorherigen Studien eine Wende seit 2005 ab: Qualität und Nachhaltigkeit werden der Konsumentin immer wichtiger. Zu erwähnen ist auch, dass ein Großteil der Werte in der Gesellschaft bereits existierte, heute aber sozial stärker bewertet wird. Galten sie früher als sozial benachteiligte Formen, die aufgrund von Notständen oder Schicksal unfreiwillig eingenommen wurden, zählt heute z.B. der Single- Haushalt als weit akzeptierte Option.

Sowohl durch den induzierten Vertrauensverlust als auch durch die in allen Bevölkerungsschichten verbreiteten (mobilen) internetfähigen Gerätschaften, entstand der sog. Research Online Purchase Offline Effekt (ROPO) [41]. Hierunter versteht man das neuartige Konsumverhalten, das sich aus Eigenrecherche im Internet und stationärer Beratung/Kauf ergibt. Bequemlichkeit und Einfachheit sind dabei zwei wesentliche Faktoren. Internet vernetzt Menschen und schafft Transparenz, wie z.B. bei vorgefallenen Medienskandalen über falsche und unseriöse Anlagenberatung oder nicht gerechtfertigt hohe Dispo-Zinsen. Kundinnen informieren sich bei Finanzangelegenheiten zunehmend in sozialen Netzwerken oder vergleichbaren Internetauftritten wie Blogs. Da sich die durch die Skandale betroffenen Personen hintergangen fühlten, teilten sie ihre Erfahrungen. Dies kann soweit führen, dass diesen Kommentaren, Rezensionen und Bewertungen mehr Vertrauen gegenüber gebracht wird als dem Bankberater [42]. Verbraucherinnen ziehen aufgrund ihres Misstrauens also immer häufiger auch das Internet oder ihr familiäres Umfeld bei Finanzfragen zu Rate, da sie die Objektivität der stationären Beratung in Frage stellen bzw. aufgrund der Eigenrecherche Entscheidungen selbstbewusster treffen können. Der ROPO-Effekt steht also für Flexibilität: Die Kundin wählt je nach Belieben zwischen Eigeninitiative oder der klassischen Bankberatung. Durch die Transparenz äußert sich die Flexibilität auch in einer steigenden Wechselbereitschaft bzw. Multibank-Beziehungen bei der modernen Retail- Kundin [9, 38]. Kontenwechsel finden statt, weil ein Mehrwert erwartet wird und die Transaktion zudem bequem und einfach von daheim durchführbar ist. In der Literatur wird das Nutzen und Wechseln verschiedener Kanäle auch mit dem Begriff der „hybriden Kundin“ bezeichnet [39]. Doch welchen Einfluss hat das ROPO-Verhalten auf Banken? Eine Quantifizierung des Effekts liefert [43]. 2009 nutzten ungefähr ein Drittel der Bürgerinnen Online Banking und lediglich 10 % der Vertragsabschlüsse bei Finanzprodukten wurden online getätigt. Doch die Eigeninitiative war schon zu damaliger Zeit nicht zu unterschätzen, denn 60 % aller abgeschlossenen Verträge wurden von vorheriger Eigenrecherche im Netz begleitet (Abbildung 3). Der Online-Kanal wird vor allem für Transaktionen mit geringerem Komplexitätsgrad genutzt: Überprüfung Finanzstatus, Überweisungen und ähnliche simple Leistungen. Demgegenüber stehen bspw. der Abschluss von Altersversicherungen mit 5 % oder die Immobilienfinanzierung mit 1 % Online-Transaktionsanteil. Bemerkenswert ist vor allem die zunehmende Bedeutung des ROPO-Effekts gegenüber 2009, weshalb Banken dieses Verhalten keineswegs ignorieren sollten: 2012 betrug der über alle Altersklassen hinweg gewichtete Anteil an ROPO- Kundinnen nämlich bereits 86 % (Abbildung 4). Zusammenfassend wird mittel- bis langfristig eine altersunabhängige Umqualifizierung der Personen zur hybriden Kundschaft erwartet [44].

3.1.3 Demographische Entwicklungen

Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels ist es wichtig zu verstehen, wie sich die Bevölkerung im Ganzen zusammensetzt bzw. zusammensetzen wird um diese Erkenntnisse für das Leistungsspektrum zu berücksichtigen (ganzheitlicher Kundenfokus). Folglich wird sich nun der Demographie zugewandt. Es bleibt zu erwähnen, dass dieser Punkt äußerst komplex ist. Auf den ersten Blick mag keine Verbindung zur Digitalisierung erkennbar sein, jedoch ergibt sie sich durch Kombination heutiger Gesellschaftsverständnisse (Lebensstile, Werte, Einstellungen) mit den Prognosen über die Zusammensetzung. Banken müssen die künftigen Bedingungen bei ihren Leistungen berücksichtigen, da „[sich] Deutschland in den nächsten Jahren und Jahrzehnten so tiefgreifend verändern [wird] wie kaum ein anderes Land“ [40, S. 41].

Die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung vom Statistischen Bundesamt prognostiziert die Bevölkerungszahl bis zum Jahre 2060 [45]. Bis zum Jahr 2060 wird gemäß den getroffenen Annahmen die Fertilitätsrate schrittweise abnehmen, was impliziert, dass die Anzahl potenzieller Mütter immer geringer wird. Unabhängig von der gestiegenen Lebenserwartung wird die Anzahl der Sterbefälle aufgrund der alternden Bevölkerung zunehmen. Da mehr Todesfälle als Geburten vorliegen, stellt sich ein Geburtendefizit ein, was sich auch nicht durch die Nettozuwanderung des Szenarios mit einem höherem Zuwanderungssaldo kompensieren lässt. Insgesamt werden die in Abbildung 5 abgetragenen absoluten Bevölkerungszahlen erwartet. Waren im Basisjahr 2013 noch 80,8 Mio. Bundesbürger in Deutschland wohnhaft, weisen diese Entwicklungen auf gravierende Auswirkungen der künftigen Kundschaft für Banken hin. Besonders deutlich wird dies auch anhand der Bevölkerungsstrukturentwicklung. Abbildung 6 illustriert, dass die Kohorte der Älteren im Jahre 2060 ungefähr ein Drittel ausmachen wird. Ebenfalls ist sie im Zeitverlauf die einzige Fraktion mit nennenswertem positivem Wachstum.

Der Populationsrückgang sowie deren Alterung beeinflusst auch den Arbeitsmarkt, was für Banken hinsichtlich der Kaufkraft potenzieller Kunden interessant ist. Im Vergleich zu 2020 wird die Erwerbsbevölkerung voraussichtlich um ca. ein Siebtel schrumpfen. Aktuell repräsentieren die 40- bis 60-jährigen die Mehrheit Erwerbstätiger. Wenn sich diese Gruppe in 20 Jahren im Rentenalter befinden wird, rücken die Jahrgänge der 1970er und 80er in diese Position, die aber einen viel geringeren Anteil an der Struktur aufweisen. Es wird deutlich, dass die hohe Sterberate in Verbindung mit einer geringen Fertilitätsrate (Geburtendefizit) – unabhängig vom Zuwanderungssaldo – einen Rückgang sowohl der Bevölkerungsanzahl als auch der Erwerbstätigen impliziert. Ebenfalls sei auf die Auswirkungen des Generationen-Vertrags auf das Alterssicherungsystem hingewiesen: Der Altersquotient umfasst die Relation zwischen Erwerbstätigen und Personen im Ruhestand. Wurden im Basisjahr noch 34 Rentner von 100 Erwerbstätigen finanziert, kehrt sich dies 2060 auf 65 (61) bei schwacher (starker) Zuwanderung um. Für Banken bedeutet dies zusammenfassend eine künftig durchschnittlich stärkere belastete (weniger Kaufkraft) und gleichzeitig auch in ihrer Anzahl geringere sowie ältere Kundschaft.

3.1.4 Neue Leistungsanforderungen

Die genannte Vorarbeit bezüglich der Verhaltensänderungen war nötig um im nächsten Schritt eine allumfassende Ableitung für Leistungsanforderungen von Banken vornehmen zu können. Damit unterscheidet sich diese Arbeit von einem Großteil der Literatur[4], welche das Verhalten und die Anforderungen isoliert anstatt zusammenhängend betrachten.

Die erste Anforderung für Finanzprodukte und Bankdienstleistungen ist Individualität [9, 37–39, 42, 50–52]. Individuelle Problemlösungen werden in der Literatur auch mit dem Begriff „Customisation“ beschrieben. Unterschiedliche Lebensstile implizieren verschiedene Verhaltensformen, sodass kein „Angebot von der Stange“ erfolgsversprechend ist, sondern vielmehr wie bereits erläutert zur Kundin passende Leistungen gefordert sind. Diese sind kunden-fokussiert, sodass eine Integration individueller Bedürfnisse, Lebensphasen, -stile sowie Werteeinstellungen notwendig ist.

Bequemlichkeit („Convenience“) und Einfachheit sind die nächsten Kriterien, die eng miteinander verbunden sind [9, 10, 12, 36, 37, 39, 41, 50, 52, 53]. Zunächst trägt die Verbreitung (mobiler) internetfähiger Endgeräte dazu bei, dass Kunden Bankgeschäfte in ihren Alltag integriert haben. Die qualitative und quantitative Studie: Forschungsprojekt „Lebenswelten 2020“ kam zu dem Ergebnis, dass Finanzprodukte in der Mehrheit der Köpfe ein zweidimensionales Konstrukt verkörpern [47]. Pragmatisch differenziert die Kundin zwischen einfach und komplex. Gewünscht wird nun auf Kundenseite weniger Komplexität, da Finanzprodukte vielmals nicht verstanden würden. Vielmehr sollen sie auch online in Eigenrecherche nachvollziehbar sein (ROPO). Vor allem Standardprodukte dürften nur geringen Komplexitätsgrad aufweisen. Gerade solche Produkte sind es, die zunehmend auch online abgeschlossen werden, sodass sich damit auch ein Entlastungspotenzial hinsichtlich des Personals in der Filiale ergeben könnte.

Produkte im World Wide Web werden gerade auch deshalb akzeptiert, weil sie orts- und zeitunabhängig sind. Zeit bzw. Zeitersparnis spielt heutzutage eine wichtige Rolle und wird auch im Finanzbereich erwartet [9, 38, 44, 54, 55]. Es wird zunehmend der Kanal gewählt, von dem der größte Mehrwert erhofft wird und bei dem geringe Nutzungshürden bestehen. Komplexität und Zeitbeanspruchung stellen exemplarische Hürden dafür dar. 2014 lockerte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bspw. die Online-Legitimationsverfahren, da Vertragsabschlüsse in der Vergangenheit oft aufgrund technischer oder rechtlicher Hürden sowie der Notwendigkeit persönlicher oder Postident-Identifizierung scheiterten. Somit wurden auch digitale Abschlüsse ohne Medienbruch und damit Zeiterfordernis möglich gemacht, sodass eine Integration in den digitalen Kanal ermöglicht wurde.

Der nächste abzuleitende Faktor ist Emotionalität bzw. Erlebnis [9, 37, 39, 46, 50, 51, 54, 56, 57]. In der Literatur wird vielfach ein Vergleich mit der Umsetzung einer digitalen Verkaufsplattform wie Amazon angestellt. Derartige Web-Präsenzen wirken auf die Emotionalität ihrer Nutzer und haben branchenübergreifende Mindesterwartungen für den E-Commerce etabliert. Gefordert wird ein Leistungsspektrum von Banken, mit dem sich die Kundin in Abhängigkeit ihrer Interessen identifizieren kann. Weiter hängt auch Kundenbindung vom Kundenerlebnis und der Emotionalität ab. Hierauf wirken sämtliche emotionale Erlebnisse innerhalb der Bankbeziehung. Als Beispiele dienen: Persönliches Empfinden am Kontaktpunkt (direkt oder indirekt), Existenz von Selbstbedienungsmöglichkeiten, Erreichbarkeit und Ansprechbarkeit (Service), Befinden über Schriftverkehr, keine negativen Medien-Schlagzeilen, regionale Präsenz (z.B. Sponsoring). Diese Liste ist nicht abschließend. Sämtliche Punkte gilt es zu optimieren mit dem Ziel eine emotionale Bindung zum Kunden aufzubauen, zu verfestigen oder wiederherzustellen. Nutzt die Kundin mobile Endgeräte und greift bspw. auf den Online-Kanal der Bank zu, ermöglicht Digitalisierung die Situation des Nutzers zu charakterisieren, wie z.B. Ort, Umgebung, Geschwindigkeit, Beschleunigung oder Helligkeit. Darauffolgend können durch IKT künftige Orte, Ziele und Tasks berechnet werden. Die Faktoren („Kontext“) werden durch Sensorik der Geräte und der Umwelt (z.B. Helligkeit) bestimmt und beeinflussen Konsumentscheidungen. Durch die Berechnung kann der Verbraucherin im digitalen Kanal ein Erlebnis ermöglicht werden, da ein individuelles und situationsgerechtes Angebot platziert werden kann.

Wie eingangs erwähnt sollten Banken verständliche auf die Kundin ausgerichtete Produkte anbieten. Die Nachvollziehbarkeit wird unter anderem durch das nächste Kriterium Transparenz hergestellt [7, 10, 12, 36, 38, 39, 41, 42, 44, 49–51, 58, 59]. Durch die herrschende Transparenz im Internet sind Banken bezüglich „versteckten Kosten“ ohnehin die Hände gebunden, da sich die heutige Verbraucherin vor dem Abschluss informiert und vergleicht (ROPO). Der durch Vergleichsportale entstehende Wettbewerbsdruck sowie die zunehmende Expertise auf Kundenseite zwingen Banken mittelbar zur transparenten Produktgestaltung. Vor 15 Jahren entstanden hierzulande die ersten Verbraucher- und Vergleichsportale für den Finanzbereich. Als Pionier gilt die Plattform Vergleich.de, welche den Vergleich von Geldanlagen, Finanzierungen und Ratenkrediten kostenfrei zur Verfügung stellt. Durch die dortige mögliche Adjustierung von individuellen Parametern, kann die Verbraucherin bequem und einfach von daheim aus existierende (Online-) Angebote analysieren. Manche Plattformen (z.B. Meine Bank vor Ort) garantieren weiterhin, dass ihre Dienstleistungen unabhängig von Finanzakteuren sind. Durch derartige Portale wird im Finanzdienstleistungsbereich Transparenz geschaffen, da kostenfreie Informationen bereitgestellt werden (bspw. aktuelle Änderungen über den Garantie-Zins bei Lebensversicherungen) und andererseits unabhängig und objektiv Angebote miteinander verglichen werden können. Kundenbewertungen und -erfahrungen werden manchmal in Form von Berichten oder Kommentaren bereitgestellt. Ein direkter Vertrieb ist bei solchen Plattformen ausgeschlossen (reine Informations- bzw. Intermediationsfunktion).

Eng mit dem Vertrauen bezüglich Transparenz verbunden ist der Aspekt der Sicherheit rund um Datenschutz [10, 54, 59–61]. Deutsche Verbraucherinnen haben z.B. im Vergleich zum koreanischen Volk, das relativ unbeeindruckt Daten preisgibt, Skepsis gegenüber der Datenverwendung. Jedoch sinkt die Hemmschwelle, sobald der Konsumentin ein dauerhafter Nutzen sowie Bequemlichkeit bewusst wird. [54] untersuchten 3000 Bankkunden und fanden heraus, dass ein hohes Vertrauen bezüglich allgemeiner Datensicherheit herrscht. Dies sollten Banken nicht missbrauchen, sondern im Gegenteil kontinuierlich Optimierungspotenziale aufsuchen. Gerade bei Finanztransaktionen sind Datensicherheit sowie –schutz von Bedeutung. Dies spiegelt sich auch im Ergebnis, dass nur rund 60 % der Befragten Online-Banking als sicher empfinden, wieder. Da der personenbezogene Verlust von (sensiblen) Kundendaten im Finanzsektor mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gravierender gewertet wird als dies in einem anderen Sektor wäre, ist dieses Kriterium bedeutsam.

Aus dem ROPO-Verhalten moderner Retail-Kundinnen folgen hohe Ansprüche an Qualität und Kompetenz [9, 37, 38, 60, 62]. Ein zentraler Faktor, welcher die Kaufentscheidung maßgeblich beeinflusst, sind Erwartungen. Werden diese vom Anbieter erfüllt und übertroffen, ist die Kundin gemäß dem Conformation/Disconfirmation-Paradigm zufrieden gestellt [63]. Daher müssen kundenspezifische Leistungen angeboten werden (individuell, bequem, einfach, zeit sparend, emotional, transparent, sicher), andererseits sollten Banken aber auch auf Qualifikation und vertrauensvollen Umgang mit der Kundschaft achten, da ansonsten negative Erfahrungen drohen öffentlich geteilt zu werden und Qualität wie erwähnt werden der Konsumentin immer wichtiger werden [40].

3.2 Neue Wettbewerber

In den kommenden Abschnitten wird der Fokus auf die Angebotsseite gesetzt damit die Arbeit einen umfangreichen Blickwinkel darbieten kann. Mittels Durchdringung moderner IKT eröffneten sich Markteintrittschancen für neue Anbieter mit denen Banken nicht gerechnet hatten. Dieser digitale Strukturwandel der bisherigen Rahmenbedingungen bewirkte schrittweise steigenden Wettbewerbsdruck für Etablierte (1 [1]. Sie waren und sind dazu aufgefordert ganzheitlich ihre Geschäftsmodelle an den Wandel anzupassen. Die zerstörerischen Kräfte des Strukturwandels bzw. einer nicht adäquaten Anpassung zeigen eindrucksvoll Beispiele wie die Folgen der Digitalisierung in der Musikindustrie oder Verlags- und Medienwirtschaft. Aber auch die Finanzwirtschaft ist im Bereich standardisierbarer (einfacher) Produkte bereits zum Ziel neuer Wettbewerber geworden: Diese lassen sich digitalisieren und über einen Online-Vertriebskanal absetzen. Die Folgen des Wandels sind der Aufbruch traditioneller Marktstrukturen, neuartige branchenübergreifende Wettbewerbskonstellationen, welche auf der Verschiebung bzw. Verwässerung bisheriger Branchengrenzen basieren, neue Marktakteure sowie virtuelle Marktplätze mit neuartigen Geschäftsmodellen einschließlich neuer Erlös- und Kostenstrukturen. Doch wie konnte sich dieser Wandel überhaupt erst vollziehen und wie sah der konkrete Ablauf aus?

3.2.1 Evolution der Wettbewerber von Banken

Wesentliche Treiber waren die in Abschnitt 3.1 genannten Entwicklungen kombiniert mit technologischen Verbesserungen inklusive deren Preisverfall sowie Regulierung [61]. Der Wandel vollzog sich in fünf Etappen (Abbildung 7): Ausgangspunkt war, dass der technologische Fortschritt in Kombination mit dem erläuterten neuen Kundenverhalten dazu führten, dass Verbraucher Internet-Technologien in ihren Alltag integrierten (Durchdringungseffekt). Das Potenzial dieser Umstände erkannten branchenfremde Internetunternehmen sowie technologie-basierende Start-Ups und Nischenanbieter mit digitalen Geschäftsmodellen, Produkten und Dienstleistungen. Diese sind in der Lage mittels moderner IKT etablierte analoge Geschäftsprozesse und menschliche Erfahrungen durch intelligente Softwarelösungen (moderne Datenanalyse und intelligente Algorithmen) zu substituieren. Dies implizierte eine Bedrohung für Banken durch rückläufige Umsätze und Gewinne, da die Kundin sich zunehmend von der klassischen Filiale mit fixen Öffnungszeiten abgewendet hat und im Gegenzug Applikationen (im Folgenden: App) und web-basierte Finanzdienste konsumiert. Die Marktanteile neuer Wettbewerber stiegen graduell an, sodass kostenintensive Anpassungsprozesse und Reformen eingeleitet wurden. Dies führte soweit, dass Etablierte teilweise vom Markt verdrängt wurden (Marktkonsolidierung). Erst in jenem letzten Schritt durchbrachen die neuen Wettbewerber die Gewinnschwelle, was auf deren enormes Investitionskapital schließen lässt. Die Etappen finden zeitversetzt statt und münden in einem Kreislauf. Abhängig von der Intensität, Radikalität und Durchdringungskraft des technologischen Fortschritts (Disruptivität), wirken die einzelnen Schritte unterschiedlich intensiv. Ein Kreislauf ergibt sich, da diverse Paradigmenwechsel nicht bei inkrementellen Innovationen (Modifikationen bestehender Produkte) stattfinden, sodass sich Banken kontinuierlich im Strukturwandel befinden.

3.2.2 Charakteristika und Beispiele aus der Praxis

Nachdem nun der Verlauf für das Aufkommen neuer Wettbewerber skizziert wurde, werden nun Charakteristika sowie Praxisbeispiele genannt. Die neuen Player werden im Schrifttum als „FinTechs“ bezeichnet, wobei bis zum aktuellen Redaktionszeitpunkt keine brauchbare Definition aufzufinden war. Anfangs verstand man darunter Business-to-Business-Unternehmen, die Software für Finanzinstitute entwickelten. Heute umfasst der Begriff auch den Business-to-Consumer-Markt [64]. Im Grunde beschreibt bereits das Wort die Kombination aus Financial Services und Technology, was beinhaltet, dass derartige Unternehmen moderne Technologien einsetzen um Finanzdienstleistungen effizienter zu gestalten. Neben dieser Technik-Komponente nutzen sie noch den Wandel des Push-Vertriebs (Filiale als zentrale Plattform) zu einem mehrkanaligem Pull-Prozess entlang des Weges, der zur Kaufentscheidung führt („Customer Journey“) [65]: die Kundin entscheidet eigenständig über den Kontaktpunkt zur Bank und daher ist ein rein stationärer Vertrieb als nicht zeitgemäß anzusehen. Exemplarische Bereiche von FinTechs sind [66]: Technologien für Banking, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmärkte, finanzielle Datenanalysemethoden, Zahlungsverkehrslösungen sowie persönliches Finanzmanagement.

Angreifer in diesem Feld können ihrer Größe nach plakativ in zwei Kategorien eingeteilt werden [1]: Einerseits Start-Ups, andererseits große Konzerne wie z.B. aus dem Technologie-, Internet-, Telekommunikations- oder Kreditkartensektor. Eine weitere Unterteilung ist gemäß des Bedrohungspotenzials bzw. der Disruptivität möglich (Abbildung 8): Aggregatoren definieren durch ihren Vergleich von Finanzprodukten zwischen verschiedenen Finanzinstituten die Schnittstelle zwischen Bank und Kunde neu. Die dadurch geschaffene Transparenz steigert den Wettbewerbsdruck für Banken. Sie werden für die Kundin dadurch zur zentralen Schnittstelle (Anlaufstelle, ROPO). Innovatoren nutzen ebenfalls bestehende Technologien, kombinieren sie aber mit eigenen innovativen Kundenberatungs- und Servicestrategien. Teilweise werden Banken durch sie auf deren Prozess- und Transaktionsfunktion degradiert (Banken als Backend-Dienstleister). Die größte Gefahr für Banken aber stellen Disintermediäre dar, da sie die Regeln sozusagen neu festlegen. Sie bieten alternative Produkte und Dienstleistungen an unter der Prämisse einer bestimmten Zielgruppe (oftmals ertragsstarkes Segment) der Forderung nach Kundenerlebnis gerecht zu werden. Etablierte werden durch sie größtenteils verdrängt.

Die technologiegetriebenen Wettbewerber positionieren sich entweder an nur bestimmten Bereichen der Wertschöpfungskette von Banken oder treten selber als Anbieter bzw. Intermediär auf [67, 68]. Wichtig für ihre Existenz am Markt sei, dass sie an „Pain Points“ ansetzen. Dies sind Prozesse, die für Kunden bei klassischen Banken aus individuellen Gründen unangenehm sind wie z.B. bei Kreditaufnahme, Kapitalanlage oder Zahlungsverkehr. Ein Bedrohungspotenzial für Banken ergibt sich in der Folge, wenn sie ihre kritische Masse erreicht haben. Sie kann als bestimmte Größe eines Unternehmens einschließlich des Kundenstamms interpretiert werden, die nötig ist um langfristig am Markt bestehen zu können. Von FinTechs bedrohte Bereiche waren vorher Marktnischen bzw. wurden vollständig von Banken bedient. Im Falle der Positionierung innerhalb der Wertschöpfungskette von KI ergänzen ihre Angebote lediglich jene von Banken. Mittels Innovationskraft sind FinTechs aber in der Lage spezifische Bedürfnisse der Nutzer zu befriedigen [12]. In bestimmten Fällen werden Bedürfnisse von FinTechs auch erst durch das Sichtbarmachen neuartiger Problemlösungen geschaffen. Generell zeichnen sie sich besonders durch bürokratie-arme Produkte und Dienstleistungen aus.

Finanziert werden sie vorrangig von Wagniskapitalgebern, gefolgt von Business Angels und anderen strategischen Investoren [66, 69, 70]. Andererseits bedienen sie sich dem Ultra-Niedrigzinsumfeld und nutzen die Tatsache aus, dass die Folgen der Finanz- und Schuldenkrise noch nicht verarbeitet wurden (Misstrauen, aufwändige Regulierung). Für Banken impliziert das Aufkommen von FinTechs unstrittig Handlungsbedarf, zumal ein anhaltendes Wachstum dieses Sektors aufgrund der steigenden Nachfrage nach Technologien in ihren Bereichen erwartet wird.

3.2.3 Stärken und Schwächen

Nachdem nun das theoretische Fundament erklärt wurde, werden nun die strategischen Vorteile von FinTechs erläutert. Darauffolgend wird auf die Stärken von Banken eingegangen, welche zugleich Auskunft über die Nachteile der neuen Wettbewerber darstellen und vice versa.

FinTechs triumphieren durch ihren routinierten Umgang mit modernen Internettechnologien und algorithmenbasierten Analyseinstrumenten [9, 61, 66]. Dies zeigt sich auch daran, dass die meisten Apps im Finanzbereich von FinTechs entwickelt werden, da sie spezifisches Know-how darin aufweisen. Mittels Prozessoptimierung und vollständiger Automatisierung, weisen sie im Gegensatz zu etablierten Banken eine höhere Innovationskraft auf. Im Bereich Big Data strukturieren sie bspw. ungeordnete personenbezogene Daten wie Anrufe beim Kundenservice, E-Mails oder Daten aus Social Media-Plattformen. Mittels speziellem Know-how gelingt es ihnen auch das nötige Kundenerlebnis herzustellen indem sie durch ihre Leistungen eine neue Wahrnehmung bei finanziellen Transaktionen hervorrufen. Aufgrund der Diffusion des Internets werden Lösungen im Bereich Cybersecurity immer bedeutsamer. Dies ist ebenfalls ein Bereich, der von FinTechs durch ihren Wissensschatz über den effizienten Einsatz von Technologien bedient wird. Für Banken ergibt sich das Risiko, dass sie der Geschwindigkeit bei technologischen Entwicklungen nicht standhalten können, da ihre IT aufgrund des dichten Filialnetzes dezentral in Rechenzentren ausgelagert ist und daher eine gewisse Trägheit bezüglich ihrer Adaptionsgeschwindigkeit gegeben ist. Auch im Bereich Human Ressources weisen FinTechs vorteilhafte Strukturen auf [71]: sie arbeiten in kleinen Teams mit talentierten, motivierten, unternehmerisch denkenden und innovativen Mitarbeitern (Anforderungen). Aufgrund ihrer kleinen Teamgröße sind Erfolge direkt zuordenbar und für den Einzelnen auch spürbar (intrinsische Motivation). Der Mitarbeiter weiß, welchen Beitrag seine Arbeit geleistet hat und der Mannschaft kann bspw. mitgeteilt werden, wie viel Umsatzsteigerung durch ihr entwickeltes Feature generiert werden konnte.

Die bisher genannten Eigenschaften waren für eine nachhaltige strategische Positionierung in der Wertschöpfungskette, die sich in der zielgruppenspezifischen Bedürfnisbefriedigung äußert, nötig [1, 61, 64, 72, 73]. FinTechs nutzen den gesellschaftlichen Wandel aus und bedienen die Nachfrage nach digitalen Lösungen im Finanzbereich. Sie beherrschen die Sprache des Internets und erreichen damit eine kunden-gerichtete Ansprache ihrer Zielgruppen. Als Ziel setzen sie sich dabei einfache und sichere Leistungen zu erstellen. Im Vordergrund steht neben der intelligenten Nutzung von Technologien stets der Kundennutzen, da die Technologie isoliert betrachtet zwar die Attraktivität eines Produkts erhöhen kann, sie vermag es aber nicht das geforderte Kundenvertrauen herzustellen. Eine Unterkomponente der Positionierung ist der Kostenvorteil von FinTechs [67, 71, 73]: Sie nutzen von Banken geschaffene Strukturen, die den (teuren) gesetzlich einzuhaltenden Sicherheits- und aufsichtsrechtlichen Anforderungen entsprechen. Darüber hinaus fallen derartige Akteure nicht unter die §§ 1 Absatz 1 sowie 39 und 40 KWG. Nachteile für Banken ergeben sich folglich, weil sie die (kosten-intensive) Regulierung umgehen dürfen[5]. Durch die von Aufsichtsbehörden akzeptierten modernen Identifikationsverfahren, wie etwa dem Webident oder Videoident, ist FinTechs in vorher strenger regulierten Bereichen diese Hürde genommen worden [74]. Bei einer Kontoeröffnung wird bei Banken herkömmlicherweise in der Filiale das Vorzeigen des Personalausweises erfordert, da sie zur Überprüfung der Identität verpflichtet sind [75, 76]. Der Gang in die Filiale wird bei den neuen Angreifern dagegen durch die genannten Verfahren online mit niedrigeren Transaktionskosten abgewickelt. Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Kostenaspekt ist auch der Wegfall der Filialnetz-Fixkosten (Pachtaufwand, Abschreibungen, Personal et cetera). Diese sind nicht notwendig, da ihre Unternehmensbereiche digital miteinander verzahnt sind und die Distribution ihrer Produkte bzw. Intermediation ebenfalls digital erfolgen.

Der letzte Vorteil von FinTechs ist deren von Investoren bereitgestellte Liquidität [1, 64, 67]: Das Wachstum der Branche sorgt für anhaltende Investitionen von Wagniskapitalgebern. Neben diesen erwarten auch andere Finanzakteure durch den Auftrieb ihres Sektors Vorteile wie z.B. Synergieeffekte, neue und bessere Produkte sowie Dienstleistungen oder mehr Kundenwissen durch intelligente Big Data-Auswertung. Diese Erwartungshaltung könnte zu weiteren Investitionen in die neuen Wettbewerber führen. Sofern es sich um große Konzerne oder Einzelhändler (Zahlungsverkehr) bei den neuen Wettbewerbern handelt, starten diese ihre Lösungen oft als Pilotprojekte um die allgemeine Akzeptanz am Markt zu testen. Sie verfolgen mit innovationsfördernder Fehlertoleranz dabei eine „Trial and Error“-Strategie, zumal eine hinreichende Risikobereitschaft auch notwendig für disruptive Innovationen (radikale Veränderungen) ist [77].

Die ersten zwei folgenden Vorteile für Banken entstehen deduziert durch vorhandene Nachteile von FinTechs. Zu aller erst muss man sich im Klaren sein, welche Kernkompetenzen Universalbanken verkörpern, welche Grundfunktionen sie ausüben und welche gesetzliche Anforderungen sie erfüllen. Diese sind in Abschnitt 2.1 dargestellt worden und verweisen zugleich auf die zahlreichen Eintrittsbarrieren im Bankensektor [1, 61, 68, 72, 78]. Sie fußen bspw. auf den Bereichen Komplexität und Regulierung. KI besitzen in ihrem Sektor allumfassende Finanzkompetenzen sowie regulierungsbedingte Erfahrung (z.B. Datenschutz) bezüglich kundenbezogener (digitaler) Daten. Beratungsintensive komplexe Finanzprodukte erfordern Know-how und Erfahrung in diesen Segmenten. Dort fordern Kunden Individualität und es bestehen aufwändige Regulierungsanforderungen (exemplarisch: internationale Handelsfinanzierung oder Börsengang). Es ist unstrittig, dass derartige Aufträge (bisher) nicht standardisiert und automatisiert von FinTechs abgearbeitet werden können. Regulierung impliziert also nicht nur hohe Kosten bei Banken, sondern hebt auch gleichzeitig die Eintrittsbarrieren für neue Wettbewerber.

Die vorher angesprochene Reduktion zum Backend-Dienstleister kann entkräftet werden, weil es offensichtlich ist, dass FinTechs ohne Dienstleistungen und Infrastrukturen der Banken nicht funktionieren und sie sogar auf einen gezielten Angriff auf Kernkompetenzen von Banken verzichten. Dass die großen Technologie-Konzerne wie Apple und Facebook nur E-Money-Lizenzen besitzen um ein Bezahlsystem eigener Produkte und Dienstleistungen anzubieten, könnte darauf hinweisen, dass die Geschäftsstrategie eines Technologie-Unternehmens nicht kompatibel mit einer ordentlichen Bank ist. Mögliche Gründe könnten Komplexitätskosten (Kapitalanforderungen, Compliance et cetera) aufgrund von Regulierung und erforderlicher Kompetenz sein. Facebook beantragte seine Lizenz in Irland [79]. In Deutschland gilt für solche Vorhaben das Gesetz über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten und somit fällt die E-Bank hierzulande unter die Aufsicht der BaFin und impliziert zudem strenge Publizitätspflichten. Facebook bedient sich mit seinem Vorgehen dem sog. Europäischen Pass, mit dem der Konzern nunmehr seine Zahlungsdienste in allen europäischen Mitgliedsstaaten seine Zahlungsdienste anbieten darf, wobei bewusst die Aufsichtsregulierung (hohe Transaktionskosten) hierzulande umgangen wurde. Anzumerken ist, dass der Zahlungsverkehr lediglich innerhalb der Community stattfindet und somit außerhalb immer noch Banken notwendig sind.

Bis dato kann man von keiner vollständigen Diffusion bzw. Akzeptanz der FinTechs sprechen. Dies ist darin begründet, dass innovative Produkte in ihrem Anfangsstadium mit Kinderkrankheiten versehen sind [61, 64, 78, 80]. Finanztransaktionen können zwar innovativ bei FinTechs digital abgewickelt werden, jedoch ist ihr Kundenstamm im Vergleich zu etablierten Banken relativ klein und die Angebote noch nicht ausgereift. Darüber hinaus bietet das überwiegend eindimensionale Leistungsproramm offene Flanken bzw. strategische Überlegungen für Banken (Akquisition, Kooperation, Wettbewerb). Die Kinderkrankheiten äußern sich schließlich in Unsicherheit und Misstrauen gegenüber FinTechs. Zwar sind bislang keine Datenschutzskandale publiziert worden. Hier birgt sich aber eine große Gefahr: Banken unterliegen per Gesetz sog. Chinese Walls, die potenzielle Interessenskonflikte verschiedener Abteilungen innerhalb der Bank vermeiden sollen. Ihnen ist es verboten Daten unterschiedlicher Geschäftsbereiche miteinander zu korrelieren. Diese Leitlinie gilt analog für die dahinterliegenden IT-Systeme und (Kunden-)Datensätze. FinTechs sind bislang in diesem Bereich keiner harmonisierten Regulierung unterworfen, sodass sich hieraus potenzielle Skandale ergeben könnten.

Der nächste Vorteil von Banken wird in dieser Arbeit als Etablierung am Markt bezeichnet und ist mit den darauffolgenden zwei Faktoren als interne Stärke anzusehen [61, 73, 78, 81]. Bei Finanztransaktionen und –dienstleistungen ist ein hohes Maß an Datensicherheit und –schutz sowie Vertrauen notwendig um sich als Anbieter am Markt etablieren zu können. Andererseits wird es zu Sanktionen (Kündigung, Imageverlust, evtl. Geldstrafen) kommen. KI haben sich in diesem Bereich durch ihre lange Historie bewiesen. Dieser durchaus komparative Wettbewerbsvorteil gegenüber neuen Wettbewerbern kann verstärkt werden, wenn er vom Marketing aktiv kommuniziert wird. Bereits erläutert wurde der Fakt, dass die facettenreichen (komplexen) Kernkompetenzen von Banken nicht durch die innovativen Lösungen der FinTechs bedroht sind. Gerade in den komplexen Bereichen werden Banken ihre Kompetenz und Erfahrung als Vorteil wahren können, da sie notwendige Investitionshürden bereits genommen und Skaleneffekte erzielt haben. Außerdem bergen die anhaltenden Investitionen in die neuen Wettbewerber die Gefahr einer Investmentblase. Hinzu kommt die potenzielle Bedrohung hinsichtlich der Regulierung (level playing field).

[...]


[1] Risiko, als das Gegenteil von Sicherheit oder der Varianz zum Erwartungswert, kann auch als Produktionsfaktor interpretiert werden [8]

[2] z.B. die Manipulation von Devisenkursen oder die folgenreiche Mehrheitsbeteiligung der Bayern-LB an der Hypo Alpe Adria Group

[3] Zum Beispiel: Vertrauen in die Geldfunktion, Allokationsfunktion, Risikominimierung, Wachstumstreiber, Produktionsfaktor, Kapitalknappheit und –abhängigkeit, politische, wirtschaftliche und rechtliche Umbrüche

[4] Beispielhafte Werke: [46]; [47]; [48]; [49]

[5] In den letzten Jahren hat sich eine stärkere Regulierung insbesondere im Kredit- und Einlagengeschäft sowie der Anlageberatung entwickelt. Die Finanzmarktstabilität hat sich durch strengere Rechenschaftspflichten sowie Interventionsmöglichkeiten der Aufseher insgesamt erhöht, was sich auch in der verbesserten Risikotragfähigkeit der einzelnen Bankgeschäftsarten auswirkt. Jedoch sind sich hinsichtlich einer allgemeinen Regulierung Politik und Behörden nicht einig: Während die Finanzaufsicht eine konservative Haltung einnimmt, betonen Politik und Kartellbehörden die Innovationsstärke und damit die positiven Einflüsse auf den Wettbewerb. Der deutsche Bankenverband fordert daher eine judikative Gleichstellung bei homogenen Geschäftsarten um Fairness hinsichtlich Chancen und Risiken zu ermöglichen („level playing field“). Darunter soll auch die Einhaltung allgemeiner gesetzlicher Vorgaben, wie z.B. Verbraucher- und Datenschutzrichtlinien, zählen.

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Digitalisierung. Transformationsprozess deutscher Universalbanken im Bereich Retail-Banking. Treiber und Trends
Note
1,3
Jahr
2016
Seiten
75
Katalognummer
V355745
ISBN (eBook)
9783668414174
ISBN (Buch)
9783668414181
Dateigröße
698 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Digitalisierung, Universalbanken, Digitalisierung Banken
Arbeit zitieren
Anonym, 2016, Digitalisierung. Transformationsprozess deutscher Universalbanken im Bereich Retail-Banking. Treiber und Trends, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/355745

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