Erlebnispädagogik im Fach Sport zur Förderung der sozialen Handlungsfähigkeit


Examensarbeit, 2004

107 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

I Erlebnispädagogik in der Schule
1. Erlebnispädagogik
1.1. Definitionsannäherung
1.2. Der Erlebnisbegriff
1.3. Transferproblematik
1.3.1. „The Mountains Speak For Themselves“
1.3.2. „Outward Bound Plus“
1.3.3. „Das Metaphorische Modell“
1.4. Geschichtlicher Hintergrund
1.4.1. Wichtige Vordenker
1.4.2. Kurt Hahns Erlebnistherapie und dessen Folgen
1.4.3. Erlebnispädagogik nach 1945
2. Aufbau und Struktur der heutigen Erlebnispädagogik
2.1. Didaktik der Erlebnispädagogik
2.1.1. Lehr- Lerngefälle
2.1.2. Inhalte und Beziehungen
2.1.3. Situation
2.2. Methodik der Erlebnispädagogik
2.2.1. Medium – Mittler – Material
2.2.2. Aktions- und Handlungsformen
2.2.3. Sozial- / Interaktionsformen
2.2.4. Qualifikation der Lehrperson
3. Schulischer Bedarf nach Erlebnispädagogik
3.1. Rahmenbedingungen
3.2. Lebenslage der Jugend
3.3. Einfluss der Medien
3.4. Ziele und vermutete Effekte der Erlebnispädagogik
3.5. Fehlende empirische Befunde- Kritik

II Soziale Handlungsfähigkeit im Sport und Sportunterricht
1. Soziale Handlungsfähigkeit
1.1. Zur Begrifflichkeit
1.2. Soziale Funktion des Sports
1.3. Soziales Lernen im Sportunterricht
1.4. Komponenten zur Förderung der sozialen Handlungsfähigkeit
2. Soziales Lernen in alternativen Sportbereichen

III Project Adventure - Ein Praktisches Konzept zur Verknüpfung der Erlebnispädagogik mit der sozialen Handlungsfähigkeit
1. Geschichtlicher Hintergrund
2. Aufbau und Struktur
2.1. Das Briefing
2.1.1. Der Full Value Contract
2.1.2. Praktische Aktivitäten
2.1.3. Das Debriefing
3. Hauptziele und Schwerpunkte von PA
4. Leitziele und deren Überprüfungsmerkmale
5. Erziehender Unterricht und Project Adventure

IV Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

V Erklärung

Vorbemerkung

Das Thema Erlebnispädagogik ist ein Thema, das mich persönlich schon seit längerem beschäftigt hat. Im Verlauf der Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe habe ich bisher an zwei Kompaktveranstaltungen zum Thema Erlebnispädagogik bzw. Project Adventure - Abenteuerpädagogik in der Schule teilgenommen und eine Projektarbeit im Zusammenhang mit SESAM geleistet.

In den beiden Kompaktveranstaltungen konnte ich mich selbst von dem pädagogischen Wert erlebnispädagogischer Aktivitäten überzeugen. In einer Gruppe von ca. 30 Studenten und Studentinnen erlebten wir einen Tag am Großen Abenteuerturm in Ettlingen (GATE) bzw. einen weiteren Tag in der Uhlandschule in Karlsruhe. Beide Tage waren geprägt von äußerst spannenden und aufregenden Aufgaben, die teilweise sehr anspruchsvolle Herausforderungen an jeden Einzelnen stellten. Dazu zählt unter anderem die Übung des so genannten Pampers Pole, ein sich nach oben hin verjüngender ca. 10m hoher Holzpfahl, den man nur alleine über seitlich angebrachte Eisengriffe erklettern kann. Oben angekommen steht man nur noch auf einer Fläche von zwei Schuhbreiten, und muss, von den anderen Teilnehmern über Klettergurte gesichert, einen Vertrauenssprung in die Tiefe machen.

Durch Aufgaben wie diese werden einem selbst auf eindrucksvolle Art und Weise die Grenzen der eigenen Handlungsfähigkeit aufgezeigt. Leicht verfällt man in die Situation, dass man sein eigenes Können überschätzt. Deutlicher wird dies bei Aufgaben, in denen ohne die Hilfe der Beteiligten eine Lösung nicht möglich wäre. Das Erfahren solcher Erlebnisse hat mich dazu veranlasst zu untersuchen, ob durch Erlebnispädagogik soziale Handlungs- oder Verhaltensweisen geschult bzw. Personen sozial handlungsfähig gemacht werden können.

In meiner Arbeit konzentriere ich mich im ersten Teil auf die Erlebnispädagogik an sich. Aufgezeigt werden soll anfangs die Schwierigkeit einer Begriffsdeutung der Schlagworte „Erlebnispädagogik“ sowie „Erlebnis“. Kritisch soll ebenfalls beleuchtet werden, dass man nicht ohne weiteres davon ausgehen darf, dass reine Erlebnisse zu einem pädagogischen Ziel führen. Aus diesem Grund ist die Erlebnispädagogik schon seit langer Zeit im Blickpunkt der Kritiker, da erst im Verlauf der Jahre geeignete Konzepte ausgearbeitet wurden, die der Erlebnispädagogik mittlerweile einen durchaus sinnvollen pädagogischen Bezug verleihen. Ein längerer geschichtlicher Rückblick soll aufzeigen, seit wann erlebnisorientierte Ideen schon Bestand haben. Angefangen bei Rousseau bzw. Pestalozzi, haben sich erlebnispädagogische Gedanken bewährt und in Kurt Hahn einen geistigen Vater gefunden, an dessen Vorstellungen sich noch heutige Umsetzungen orientieren.

Aufbau und Struktur der Erlebnispädagogik, also didaktische und methodische Vorstellungen, sind sehr eng an Annette Reiners angeknüpft. Sie zählt in diesem Gebiet zu den führenden Personen, die in diesem Bereich Modelle entworfen haben. Ihr angeschlossen ist der Teil, der die Erlebnispädagogik mit der Instanz Schule verbindet, nämlich die veränderten Rahmenbedingungen der heutigen Jugend, die eine Erlebnisorientierung wie noch vor Jahren nicht mehr zulassen. Dementsprechend verändert sieht auch die Lebenslage der heutigen Jugend aus, die in vielen Teilen von dem Einfluss der Medien mitbestimmt wird. Aus diesem Grund wurden Ziele und Zielvorstellungen entwickelt, die diesen Erscheinungen entgegenwirken und den Kindern verloren gegangene Erlebnismöglichkeiten ersetzen sollen. Jedoch bleibt umstritten, inwiefern sich Auswirkungen erlebnispädagogischer Aktivitäten tatsächlich feststellen lassen können. Ausführliche Beschreibungen dazu bilden den Abschluss des ersten Kapitels.

Im zweiten Kapitel wird der Begriff „soziale Handlungsfähigkeit“ in seinen unterschiedlichen Ausprägungen dargestellt. Von den verschiedenen darin enthaltenen Begriffen wie „sozial“ oder „Handlungsfähigkeit“ geht das Hauptinteresse in diesem Kapitel aus, die Art und Weise wie solche Verhaltenmuster auftreten bzw. wie sie im Besonderen durch Sport(unterricht) bzw. durch alternative Möglichkeiten gefördert und geschult werden können, näher zu betrachten. Aufgezeigt werden ebenfalls die Möglichkeiten, die der Sport im sozialen Prozess besitzt. Dies führt dann im Verlauf zum dritten Kapitel und zu der Vorstellung einer projektartigen Veranstaltung, dem Project Adventure. Project Adventure soll erlebnispädagogische Grundideen durch die Heranbildung von sozialen Handlungsweisen/-fähigkeiten vereinen und diese im Besonderen fördern und schulen. Unter Berücksichtigung der didaktischen sowie methodischen Aspekte wird hier ein Konzept dargestellt, dass so in den Schulalltag mit einfließen kann. In besonderer Weise werden hier die Vorstellungen eines mehrperspektivischen und ganzheitlichen Unterrichts, sowie Ideen eines offenen bzw. erziehenden Unterrichts kombiniert.

Abschluss dieser Arbeit bildet die Schlussbemerkung, in der zusammengefasst die Motive dargestellt werden, die Erlebnispädagogik und soziale Handlungsfähigkeit in einer projektartigen Veranstaltung wie dem Project Adventure verbinden.

Um einen besseren Lesefluss zu gewährleisten wird allerdings auf die Unterscheidung zwischen maskulinen und femininen Endungen bei Wörtern wie Lehrer bzw. Lehrerin, Schüler bzw. Schülerin, etc. verzichtet; die maskulinen Formen vertreten stets auch die femininen.

I Erlebnispädagogik in der Schule

1. Erlebnispädagogik

„Eine große Freude im Leben besteht darin, etwas zu tun, wovon die Leute behaupten, dass es unmöglich sei.“

(Walter Bagehof)

1.1. Definitionsannäherung

Erlebnispädagogik wird vor allem in der außerschulischen Jugendarbeit, in der Sozialarbeit und auch in einigen Bereichen der Sonderpädagogik eingesetzt, um durch authentische (nicht gespielte oder konstruierte) intensive Erlebnisse persönliche Wachstumsprozesse in Gang zu setzen. Lehrgänge und Kurse (wie zum Beispiel die auf allgemeine Persönlichkeitsbildung abzielenden Angebote vom „Outward Bound“ ) der Erlebnispädagogik zielen auf die Vermittlung von Erfahrungswerten und Kenntnissen, die der Einzelne aus allen gemeinsamen Unternehmungen mit nach Hause nehmen kann, einschließlich jener, die sich aus den vermeintlich einfachen Handlungsabläufen des Zusammenlebens ergeben:

- Selbstverantwortung und Rücksichtnahme
- Umsichtigkeit
- Hilfsbereitschaft und Kritikfähigkeit
- Kooperationsvermögen und Beharrlichkeit

Es ist nicht neu, dass Erfahrungen in Landschulheimen, durch Freizeiten auf dem Schiff und Bergwanderungen für eine Jugend, die natur- und arbeitsweltfremd aufwächst, pädagogisch außerordentlich wichtig sind.

In der Fachliteratur gehört der Begriff der Erlebnispädagogik mittlerweile zu einer anerkannten und respektierten Bezeichnung. Eine klare und allgemeingültige Definition sucht man aber allerdings vergebens. Gründe für die Uneinigkeit bei der Deutung dieses Begriffes sind vielschichtig. Selbst in der Wissenschaft bedient man sich unterschiedlichster Herangehensweisen an diesen Begriff. Unter anderem wird dort der Begriff der Erlebnispädagogik dem Begriff der Abenteuerpädagogik gleichgesetzt. Das Abenteuer hebt sich von dem reinen Erleben jedoch deutlich ab. „Ist doch das Erlebnis dem Abenteuer ganz ähnlich, vermindert nur um dessen riskante Seite.“ (Meier-Gantenbein 2000, S. 16) Genau das ist es aber, was den Terminus Abenteuerpädagogik für viele Zwecke unbrauchbar macht, denn das „Abenteuer ist nicht planbar; wirkliche Abenteuer treten überraschend auf, sind meist unvorhersehbar und risikoreich.“ (Jörg Ziegenspeck, www.uni-lueneburg.de/einricht/erlpaed/einführung.htm) Wollte man dies nun zum Beispiel auf die Schule anwenden, würde man die Kinder unter Umständen einer unberechenbaren Gefahr aussetzen. Wenn solche Programme durchgeführt werden, muss also das verbliebene Restrisiko eingegrenzt und kontrolliert werden.

Was deshalb zu der weiteren Frage führt, in welchen Bereichen Abenteuer-/Erlebnispädagogik einen berechtigten Platz finden kann. Bärbel Schöttler (in: Bedacht 1992, S. 27ff.) gibt an, dass die Erlebnispädagogik sowohl als eigenständiges Fachgebiet aber auch als Teilgebiet der Sozialpädagogik, der Familienpädagogik, der Freizeitpädagogik, sowie der Schul-, Sport- und Kulturpädagogik angesehen werden kann. All diesen Bereichen liegt zu Grunde, dass sie sich an Erfahrungen, die während dieser Projekte gemacht werden, orientieren. Trotzdem werden in den diversen Ansätzen verschiedene Schwerpunkte akzentuiert. Betont werden unter anderem die Körperlichkeit, das Körperbewusstsein und die Körperbeherrschung, also Erlebnispädagogik in Verbindung mit Sport, aber auch eine Orientierung an der Natur und Ökologie wie auch Erlebnispädagogik als Mittel zum sozialen Lernen ist denkbar. Allen gleich ist das Interesse, die Teilnehmer in den Vordergrund zu stellen. Die Teilnehmer sollen ganz persönliche und bleibende Erfahrungen machen. In vielen Bereichen sollen sie an eigene Grenzen, sowohl physisch als auch psychisch gebracht werden, um mehr über sich und den eigenen Körper zu erfahren. „In einer Grenz­erfahrung liegt die Chance der Selbsterkenntnis und der Selbstfindung. Nur in einer immer wieder neuen Auseinandersetzung mit seinen eigenen Grenzen bleibt der Mensch lebendig.“ (Fatke 1991, S. 12) Das Lernen soll sich nun „auf der Basis der unmittelbaren Erfahrung“ (Meier-Gantenbein 2000, S. 41) abspielen.

„Erlebnispädagogische Ansätze bieten die Möglichkeit solcher Grenz­erfahrungen, bei denen sie über ihren bisher erworbenen Handlungs- und Erfahrungsrahmen hinausgehen können, gleichzeitig aber auch ihre Grenzen erfahren, ohne sich in lebensbedrohliche oder gesellschaftlich sanktionierte Situationen begeben zu müssen. Solche Erfahrungen bedeuten persönliches Wachstum.“ (Fischer, Klawe, Thiesen 1997, S. 39)

„Erlebnispädagogik kann an dieser Stelle ansetzen, nämlich mit Hilfe von in der Regel naturbezogenen Aktivitäten, Menschen, denen es in der Regel nicht gut ergangen ist, wahrzunehmen, zu verstehen und in ihrem Willens- und Könnenspotential so zu stärken, dass sie sich im Alltag besser zurechtfinden.“ (Homfeldt 1995, S.223)

„Angestrebt werden ganzheitliche Erlebnisse und Selbst- Erfahrungen nicht aus zweiter Hand, sondern unmittelbar in der Natur und herausgelöst aus dem Alltag, wobei durch physische und psychische Beanspruchungen und Herausforderungen Vertrauen in eigene Fähigkeiten gestärkt, das Angewiesensein auf Mitmenschen erlebt und die Armut einer technokratisch verwalteten, spezialisierten und im Alltag selbstverständlichen Zivilisation erkannt werden sollen.“ (Pädagogisches Wörterbuch)

Es wird also deutlich, dass Erlebnisse dazu beitragen, dass man sich bewusst wird über welche Kompetenzen man bereits verfügt. Man findet Bestätigung oder erfährt die Notwendigkeit einer Veränderung. Verdeutlicht wird somit, dass das eigene Repertoire erweitert oder eingeschränkt werden muss, was zur Folge hat, dass die eigene Person eine Bereicherung der Konzepte, Orientierungs- und Verhaltensmuster erhält.

Erlebnispädagogik versucht also durch das Arrangieren emotional stimulierender Handlungskontexte bedeutsame Erlebnisse zu ermöglichen, um dadurch die Bedeutung erwünschter Aktivitäten erfahrbar zu machen. „Sie überwindet seminaristische und unterrichtsmethodische Begrenztheiten und verbindet eindrucksvoll die vier Kategorien Wissen, Gefühl, Bewusstsein, Handlungsfähigkeit.“ (Bedacht 1992, S. 124)

„Situationen erhalten einen Erlebnischarakter, wenn eigene Grenzen erfahren werden. Insofern stellen Erlebnisse Grenzsituationen im existenzphilosophischen Sinne dar, ohne dass diese mit Extremsituationen (Extremerlebnisse, wie Überlebenstraining im Wald, Extrembergsteigen, Expeditionen etc. , bei denen es mehrheitlich um das reine Überstehen der Strapazen geht) identisch sein müssen.“ (Fatke 1991, S. 11)

1.2. Der Erlebnisbegriff

„Was irgend lebt, erlebt irgend etwas:“ (Mauthner 1982, S.318)

Würde man dieser Aussage Mauthners folgen, müsste man annehmen, dass man jederzeit und überall etwas erleben könnte. Dennoch bleibt zu klären, wie und warum man erlebt und in welcher Weise man gezielt solche Erlebnisse steuern oder herausfordern kann. Dies wird umso schwerer, da man in den unterschiedlichsten Quellen kaum derartige Hinweise entdecken kann.

Vielmehr findet man eine Uneinigkeit über die Art und Weise wie Menschen erleben.

Antes (in: Antes 1997, S. 12) ist der Ansicht, dass man ohne das Eingehen von Wagnissen kaum in der Lage sein wird etwas erleben zu können. Fragwürdig erscheint diese Aussage jedoch, da Wagnis auch mit Wagemut in Verbindung gebracht werden kann. Somit würde jemand, der etwas wagen wollte, Mut aufbringen müssen und bewusst ein Risiko eingehen, um zu einem Erlebnis gelangen zu können. Der Reiz liegt somit in der Spannung zwischen Courage und dem Bedenken der möglichen Risiken.

Erleben lässt sich aber auch mit dem Begriff des Abenteuers vergleichen. Aus dem Lateinischen „adventura“ oder dem Englischen „adventure“ abgeleitet, lässt sich der Begriff mit dem Sinn des „auf einen Zukommenden“ (Czech: in Antes 1997, S.12) beschreiben. Das Empfinden und Erfahren von Erlebnissen deutet somit auf einen Zukunftsbezug hin. „Das mag einer der Gründe sein, weshalb Menschen Erlebnisse suchen, da ja jeder Mensch seinem Wesen nach zukunftsorientiert denkt, handelt und lebt.“ (Antes 1997, S. 12) Man ist sich weitestgehend einig darüber, dass Erlebnisse nicht objektiv bestimmbar sind. Jeder erlebt anders.

Erlebnisse sind persönliche Empfindungen und Emotionen. Der Begriff des Erlebnisses berührt den Menschen also auf einer Gefühls-, Vernunft- und Handlungsebene. Sie beschreiben einen inneren, psychischen und seelischen Vorgang (vgl. Söll 1999, S. 208) „Einander nach objektiven Kriterien sehr ähnliche Ereignisse können in der Interpretation des Subjekts eine ganz unterschiedliche Einordnung ins Ganze des Lebens erfahren, ebenso können an sich sehr unterschiedliche Erlebnisse in der Einordnung der Gesamtexistenz unterschiedlicher Individuen zum Verwechseln ähnlich sein. Eben diese Verschiedenheit des Verhältnisses des einzelnen Ereignisses zum Ganzen unseren Lebens macht es aus, dass wir manches als Abenteuer empfinden, während andere belanglos sind.“ (Meier-Gantenbein 2000, S. 14)

Deshalb erscheint es als einleuchtend, dass man Erlebnisse nur schwer, vielleicht auch gar nicht, verallgemeinern kann. Ebenso lassen sich Erlebnisse nicht operationalisieren. Es gibt kein vorgegebenes Schema, bei dem man gesichert vorhersagen kann, dass dadurch Erlebnisse hervorgerufen werden. Ebenso wenig existiert ein objektiver Kriterienkatalog, der sich zur Erfolgskontrolle heranziehen lässt.

Erlebnisse ereignen sich eher „zufällig- häufig in Verbindung mit individueller Grenzüberschreitung. Selbst wenn das Erlebnis mit Anstrengungen verbunden ist, bleibt es unkalkulierbar.“ (Gieß-Stüber 1998, S. 134)

Mit Skepsis könnte man nun das Vorhaben betrachten, Erlebnisse pädagogisieren zu wollen. Oelkers ist in dieser Hinsicht einer der prominentesten Vordenker. „Erlebnisse, zumal herausgehobene, starke und eindrückliche Erlebnisse, hinterlassen bleibende Spuren, und soweit sich ein biographischer Zusammenhang darauf bezieht, erziehen sie.“ (Oelkers 1995, S. 113) Sie können also als äußerst wertvoll betrachtet werden, und können dazu beitragen Individuen weiterzuentwickeln. „Sie sind ein integraler Bestandteil des menschlichen Daseins, das Salz unseres Lebens sozusagen. Ebenso sind sie wichtige Faktoren der Persönlichkeitsentwicklung.“ (Söll 1999, S. 208)

1.3. Transferproblematik

„Erlebnispädagogik ist keine Methode sondern eine pädagogische Grundeinstellung, die darum bemüht ist, den pädagogischen Alltag in seinen Bezügen möglichst erlebnisintensiv zu gestalten. Situationen sind um so erlebnisintensiver, je mehr Kontrasterfahrungen zum Alltag sie ermöglichen und je kontrastreicher sie sind, d. h. je mehr unterschiedliche Facetten der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen sie erfassen/abdecken. Erlebnispädagogik ist- so verstanden – keine Projektpädagogik, sondern wird aus dem Alltag abgeleitet und muss in ihren Ergebnissen in den Alltag zurückfließen.“ (Klawe in: Bräuer, Klawe 1998, S. 14)

Es besteht dennoch Anlass zum Zweifel, ob gemachte Erfahrungen oder Erlebnisse während einer erlebnispädagogischen Aktivität sich tatsächlich in irgendeiner Weise in den Alltag übertragen lassen. „Es wäre wünschenswert, dass nach Ablauf des Projektes die erzieherischen Prinzipien und Anforderungen, die während des Projektes gegolten haben, in wesentlichen Punkten in den erzieherischen Alltag übernommen würden.“ (Landeswohlfahrtbund Baden 1990, S. 27)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Als Transfer wird das Fortschreiten des Lernenden vom Konkreten zum Abstrakten verstanden, indem er neue Verhaltensweisen in der konkreten (Kurs-) Situation entdeckt, diese Lernerfahrungen generalisiert und auf andere (Alltags-) Situationen überträgt“ (Reiners 1995, S. 59).

www.erlebnispaedagogik.ch

Besonders mit der Frage nach einer geeigneten Transfermöglichkeit in den Alltag müssen sich erlebnispädagogische Programme auseinander setzen. Um einen ernstzunehmenden Platz innerhalb der Pädagogik zu finden, müssen Bedingungen geschaffen werden, die eine Lernübertragung in Gang setzen können. Im Vordergrund stehen dabei „Grundbedingungen wie Ähnlichkeiten zwischen Lern- und Anwendungssituation, Intensität der Auseinandersetzung und Annäherungen an die kognitiven, emotionalen und motivationalen Voraussetzungen des Lernenden in dem von den kurzzeitpädagogischen Einrichtungen geprägten pädagogischen Feld.“ (Bühler 1986, S. 71)

Allgemein sehen Bräuer und Klawe die wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Übertragung der Erfahrungen in den Alltag in einer sowohl inhaltlichen als auch strukturellen Ebene. Auf inhaltlicher Ebene werden alle Kompetenzen und Einsichten vereint, die während der erlebnispädagogischen Veranstaltung gemacht werden. Sie sollen im Alltag angewendet, stabilisiert und reflektierend weiterentwickelt werden. Diese Grundüberlegungen stoßen jedoch schon recht früh an ihre Grenzen. So kann nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden, dass sich soziales Verhalten sowie soziale Kompetenzen bilden, aufgrund einer erlebnisreichen Praxis. (vgl. Bräuer, Klawe 1998, S.86ff.) Damit Teilnehmer auch außerhalb des Projektes Verhaltensweisen und Einstellungen wie zum Beispiel Fairness, Kameradschaft, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft in den Alltag übernehmen können, müssen sie in den Kursen möglichst lebensnahe Lernsituationen vorfinden. (vgl. Bühler 1986, S. 72) Die reine Aneinanderreihung von Erlebnissen ist in diesem Fall deutlich zu verneinen. Die Erlebnispädagogik würde dadurch zu einer aktionsorientierte Veranstaltung verkommen. Der pädagogische Wert rückt dabei in den Hintergrund, da Wissensvermittlung und Verstehen von Zusammenhängen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen würden. (ebd. S. 73) Auf Grund dessen ist es unerlässlich den Handlungen und Erlebnissen eine Reflexionsphase anzuschließen. Aus Projektberichten geht jedoch nicht eindeutig hervor, dass über „unmittelbare Situationsreflexionen vergangener Handlungen hinaus übergreifend Zusammenhänge vermittelt und dargestellt“ werden können (Bräuer, Klawe 1998, S. 87), jedoch macht erst die Vermittlung von Reflexionswissen, dem Wissen um Zusammenhänge und deren Konsequenzen, eine Maßnahme zu einem bleibenden Ereignis. Genau dieses Wissen ist entscheidend, wenn im Alltag Situationen auftreten, die sich von den gemachten Erfahrungen unterscheiden.

Eine Nichtvermittlung könnte dazu verleiten, dass für später wichtige Informationen nicht abgespeichert und verarbeitet werden, und somit ein Rückgriff nicht mehr möglich ist. Die Maßnahme würde damit an Sinn verlieren.

Strukturell geht es im Gegensatz dazu vielmehr um das Umfeld der Beteiligten. Lernerfolge können dadurch gefördert werden, indem teilnehmende Gruppen nicht auseinander gerissen werden, sondern auch nach Ende der Projekte weiterbetreut werden. Eine Kontinuität des sozialen Umfeldes und der Betreuung ist aber auf Grund vielfältiger Aspekte nur schwer beizubehalten. Die meisten erlebnispädagogischen Maßnahmen und Projekte werden individuell belegt, Gruppenzusammensetzungen meist unmittelbar nach Beendigung wieder aufgelöst. Organisatorisch ist somit einer Weiterbetreuung eine klare Grenze gesetzt, da Betreuer und Leiter ihren Anspruch auf Erholung und Freizeit haben. Andererseits sind viele Leiter an Standprojekte oder auch mobile Projekte gebunden. Ein weiteres Problem stellen die oft nur befristeten Arbeitsverträge dar, die zeitlich an den Maßnahmen ausgerichtet sind. Eine personelle Kontinuität ist unter solchen Umständen nicht zu erfüllen.

Die Erlebnispädagogik steckt somit in einem Dilemma. Zum einen soll sie „anders sein als der Alltag aber zugleich alle Elemente desselben umfassen“ (Bräuer, Klawe 1998, S. 86) Um den Diskussionen entgegenzutreten wurden im Verlauf der Jahre mehrere Konzepte entwickelt, die versuchen sollen, den aufkommenden Versäumnissen zu begegnen. Drei Modelle, die Brischar selbstironisch als Boote der Erlebnispädagogik bezeichnet (in: Bräuer, Klawe 1998, S.89), wurden aufeinander aufgebaut und jeweils modifiziert. Diese Boote unterscheiden sich durch Form und Aussehen. Jedes Einzelne ist im übertragenen Sinne auch besser ausgestattet als die anderen Modelle, alle drei verfolgen aber den gleichen Kurs, nämlich die „Insel Transfer.“ „ Sie sei das Traumziel eines jeden Erlebnispädagogikkapitäns.“ (Brischar 1996, S. 89)

1.3.1. „The Mountains Speak For Themselves“

Das Boot setzt sich durch die reine Kraft des Erlebnisses in Bewegung, der Kurs wird hauptsächlich durch die Beteiligten selbst bestimmt. Ihr Empfinden der Erlebnisse und dessen Umsetzung in den persönlichen Alltag soll die Richtung weisen. Es wird davon ausgegangen, dass auftretende Erlebnisse für sich allein wirken. Sie sollen so eindrucksvoll empfunden werden, dass sie dadurch auch Veränderungen im Alltag auslösen können. Man setzt besonders auf die Wirkung der so genannten „Schlüsselerlebnisse.“ (Meier-Gantenbein 2000, S. 31) Deren besonders hohe Intensität und der damit verbundenen bleibenden subjektiven Wirkung, soll deshalb ein Weg zur Veränderung von Verhaltensmustern sein. Erlebnisse und Erfahrungen erhalten auf Grund der herausragenden Stellung eine „relative Einzigartigkeit“ (ebd. S. 31), sie werden dadurch individuell verarbeitet und stehen den Teilnehmern als „direkte Erfahrung zur Verfügung.“ (ebd. S.31)

Gesprächsrunden und vor allem Auswertungen der verschiedenartigen Eindrücke sind nicht vorgesehen und werden auch nicht für nötig gehalten. Betreuern und Leitern fehlt es oftmals an pädagogischem Geschick, da bei deren Ausbildung vermehrt auf fachliches Wissen Wert gelegt wird.

Genau aus diesem Grund drängte sich eine Verbesserung dieses Konzeptes auf. Bemängelt wurde unter anderem, dass selten Rücksicht auf spezifische Zusammensetzungen der Gruppe genommen wird. Auf jeden wirken die unterschiedlichen Erlebnisse anders und auch die Bedürfnisse der Teilnehmer sind individuell. Ihnen mangelt es oft an einem geeigneten Feedback. Schad (in: Bräuer, Klawe 1998, S. 89) kritisiert weiter, dass durch die nur sehr kurzen Kurse Schlüsselerlebnisse meist gar nicht die Zeit haben sich, bei den einzelnen Teilnehmern zu entfalten und zu festigen.

Das „The Mountain Speak for Themselves-Modell“ wird besonders von natursportlichen Anbietern bevorzugt. Teilnehmer bewegen sich fast ausschließlich im Freien. Sie sind auf das von der Natur bereitgestellte Arrangement angewiesen. „Alles, was man zum Leben braucht, stellt Mutter Natur bereitwillig zur Verfügung.“ (Meier-Gantenbein 2000, S. 31) Die Teilnehmer fühlen sich unter Umständen schnell allein gelassen. Sie müssen mit sich selbst und den gegebenen Umständen eigenständig umgehen können. Als positiv zu bewerten ist, dass dieses Programm eine sehr natürliche und intensive Form der Erziehung aufweist. Gleichwohl entzieht es sich in seiner „radikalen Form jeglichem Zugriff von außen, es kann daher sehr erfolgreich oder ganz fatal sein, lässt sich in dieser extremen Form aber nur schwer mit pädagogischen Vorstellungen verbinden.“ (Meier-Gantenbein 2000, S. 33)

1.3.2. „Outward Bound Plus“

Dieses Modell wurde aus den Erfahrungen des „The Mountains Speak For Themselves“ Konzepts überarbeitet und verbessert. Hätte man sich weiterhin an dem ersten Entwurf orientiert, hätte die Erlebnispädagogik eine zu praxisorientierte Ausrichtung erhalten. Sie hätte damit einen erheblichen Verlust, auf dem Weg zur Anerkennung als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin, erleiden müssen. Übereinstimmend war man sich darüber bewusst, dass besonders im Bereich des Ablaufs Veränderungen greifen müssen. Durch die Eingliederung einer Reflexionsphase sollte dem bisher rein aktionistisch anmutenden Konzept pädagogischer Wert vermittelt werden. Ziel der Reflexion ist stets die Vertiefung, die Verarbeitung, das Verstehen und die Vernetzung von Eindrücken. Sie soll den Erfolg erlebnispädagogischer Arbeit, der nur schwer messbar ist, verstärken oder ihn garantieren. Manche Wirkungen treten sofort ein, einige gar nicht und andere sehr spät, dafür aber umso mächtiger. Das Lernen soll im Allgemeinen dadurch vereinfacht werden, indem direkt nach den Aktivitäten das Erlebte aufbereitet wird.

Teilnehmer sollen bewusster erfahren und versuchen neue Kenntnisse zu verallgemeinern sowie diese in ihren jeweiligen Alltag mit einzubeziehen. Ein Transfer wird dadurch vorbereitet und erleichtert. Treten unmittelbare Schwierigkeiten auf, können Betreuer direkt eingreifen oder als Ansprechpartner Hilfestellungen geben. Im Vergleich zum vorigen Modell erfahren Betreuer und Leiter in deren Ausbildung eine vermehrt (sozial-) pädagogische Richtung. Generell nähert sich dieses Modell schon einer pädagogischen Sichtweise, da durch Betreuung, Nachbereitung und Verarbeitung das Lernen vereinfacht wird, statt es durch reines Handeln zu überlasten.

Allerdings muss man bei diesem Konzept einige Kritikpunkte anmerken. Einig ist man sich in der Weise, dass reines Handeln nicht ausreichend sein kann, um einen Transfer in den Alltag zu ermöglichen. Die Reflexionsphase als wichtigstes Instrument nach der direkten Aktivität kann helfen, aber in einer zu ausgeprägten Form und einer zu starken Akzentuierung der Reflexion, geschieht die Verarbeitung rein kognitiv. „Das aktionsorientierte, lebendige Lernen als originäres Charakteristikum erlebnispädagogischer Prozesse verkommt zum Materiallieferanten für Reflexionen.“ (Schad, in: Bräuer, Klawe 1998, S. 90)

1.3.3. „Das Metaphorische Modell“

Mit dem „Outward Bound Plus“ Modell glaubte man nun eine Legitimation für die Erlebnispädagogik im weiten Feld der pädagogischen Konzepte entwickelt zu haben. Jedoch „konnte und wollte man es sich nicht leisten, als exotische Disziplin losgelöst von jeglichen Erwartungen und Zielen ein Nischendasein im erziehungswissenschaftlichen Feld zu fristen.“ (Meier-Gantenbein 2000, S. 35) Vervollständigt war auch dieses Programm noch nicht, weil nur schwer gesicherte Aussagen über den Entwicklungsverlauf der Beteiligten getroffen werden konnten. Zusätzlich war eine Übertragung der positiven Erfahrungen in den Alltag kaum erkennbar. (vgl. ebd. S. 35)

Mittels des „Metaphorischen Modells“ versuchte man nun durch die Eingliederung von Metaphern eine verbesserte Wirkung zu erzielen. Sie sollen während des Verlaufes auftauchen und Ähnlichkeiten und Korrespondenz zum Alltag haben. „Den Metaphern kommt die Funktion von Vehikeln zu, die wesentliche Lernbotschaften über die Grenze des eigentlichen Lernfeldes hinaus transportieren und somit ihre Verfügbarkeit weiterhin gewährleisten.“(ebd. S. 35) Die so genannte „Isomorphie“ versucht eine Gleichheit zwischen der alltäglichen und der erlebnispädagogischen Welt zu schaffen. Der Alltag wird also schon bei der Planung des Projektes mit einbezogen, somit also schon ein Transfer aus dem Alltag in den Kurs hinein geschaffen. Es ist in diesem Fall möglich einen „Vergleich zwischen dem Verhalten im Alltag und den im Kurs gelernten Verhaltensalternativen zu ziehen.“ (Reiners 1995, S. 65) Je mehr im Kurs darauf geachtet wird Situationen zu schaffen, die von der Struktur her eine große Ähnlichkeit mit denen in der Lebensumwelt der Teilnehmer aufweisen, desto einfacher kann der Transfer hergestellt werden.

In dem Konzept des „Metaphorischen Modells“ sind auch die ersten didaktischen Orientierungen erkennbar, die das Modell selbst zu einer schlüssigen Theorie machen. Es wird davon ausgegangen, dass die auftretenden Bilder eine besonders einprägsame Wirkung erzielen und somit deutlichen Anteil am Lernprozess haben.

„Die Bilder sollen als Anker wirken, sie sollen es ermöglichen, im Alltag auftauchende Situationen mit Erlebnissen im Projekt unwillkürlich in Verbindung zu bringen und damit auch neu gelernte Verhaltensweisen oder Handlungen im Alltag zugänglich zu machen. (Meier-Gantenbein 2000, S. 35)

Der Erfolg des Lernprozesses ist also nicht nur intellektuell, sondern auch auf emotionaler und physischer Ebene erkennbar. Schon im Vorfeld wird versucht Bedingungsfaktoren, die für einen Lernprozess entscheidend sind mit einzubeziehen. Das ganze Modell bekommt einen deutlich geplanteren und vorhersehbaren Charakter.

Wie bei den anderen beiden Modellen wird hier viel Wert auf Vorplanung gelegt, um nicht zu sehr vom Zufall abhängig zu sein. „Erfahrungen werden also verplant, bevor sie gemacht werden.“ (ebd. S. 36) Das Modell kann so schnell einen programmierten Charakter bekommen. Wenn die Teilnehmer zu schnell die Zielrichtung durchschauen kann dies schnell zu einem Abschalten führen. Die Aufmerksamkeit sinkt und die Wirksamkeit der Erlebnisse verflacht.

1.4. Geschichtlicher Hintergrund

1.4.1. Wichtige Vordenker

Geht man in der Geschichte zurück, so findet man schon in den Ideen Jean-Jacques Rousseaus (1712-1778) elementare Bestandteile der für uns heute geltenden Erlebnispädagogik. Sein Erziehungsroman „Emile“ richtet sich in erster Linie gegen die restriktiven Erziehungsbestimmungen seiner Zeit. Er plädiert – ganz gegen den damaligen Zeitstrom – dafür, Kind Kind sein zu lassen. Mit seinem Ruf „zurück zur Natur“ (http://www.jubi.de) fordert er, die Natur als Erziehungsmittel zu nutzen. „Einfachheit“, natürliche Bewegung in der Natur, unmittelbares Erleben durch die Sinne, Lernen aus eigenen Erfahrungen und der Erwerb von Selbständigkeit waren die Grundsäulen seiner Erziehungsphilosophie, auf die wir später in der „modernen“ Erlebnispädagogik immer wieder stoßen. (Angelesenes Wissen aus Büchern lehnte er im Übrigen ab. Das einzige Buch, das er als Literatur für Kinder gelten ließ, war Daniel Dafoes „Robinson Crusoe“).

Ein weiterer wichtiger Mitbegründer, Vordenker und Befürworter dieser neuen Orientierung war Pestalozzi (1746-1827). Er setzte sich mit Nachdruck für eine „natürliche Erziehung“ ein und verfolgte durchaus Ziele, die dem heutigen Verständnis der Erlebnispädagogik entsprechen. Nicht nur pädagogisch wollten er neue Wege beschreiten.

Er hatte auch „konkrete gesellschaftliche Anliegen, mit denen er sich gegen die zu seiner Zeit verkrusteten Gesellschaftsstrukturen wandte und seine pädagogischen Konzepte mit einer allgemeinen Kultur- und Zivilisationskritik verband.“ (Fatke 1991, S. 5ff.) Pestalozzi setzte sich für eine Erziehung der Gesamtpersönlichkeit ein. Angestrebt wurde das ganzheitliche Lernen, also die Einheit von „Kopf, Herz und Hand“.

Sowohl Rousseau als auch Pestalozzi bemängelten die zur damaligen Zeit vorherrschende einseitige und traditionelle intellektuelle Schule. Die durchschnittliche Schule wurde als erlebnisarm bezeichnet, während sich zugleich die Erlebnisintensität des Lebens steigerte. Das Erlebnis an sich konnte aber nicht als Allheilmittel genutzt werden. Man musste trotzdem zwischen guten und schlechten Erlebnissen abwägen, und sie nach dem jeweiligen pädagogischen Wert differenzieren. Erziehung ist schließlich nicht nur durch reine Erlebnisse möglich. Sie kann nie als deckungsgleich zum Erlebnis beschrieben werden.

1.4.2. Kurt Hahns Erlebnistherapie und dessen Folgen

Viele Autoren nehmen in ihren Schriften Bezug auf die „Erlebnistherapie“ des Reformpädagogen Kurt Hahn. Kurt Hahn wird in vielen Schriften als der Vater und Begründer der erlebnispädagogischen Orientierung in Deutschland gesehen. In den zwanziger Jahren war er der Gründer des berühmten Internats in Salem am Bodensee. Dieses Internat war die ausgehende Einrichtung für so genannte „Kurzschulen“, ("Kurz-" im Sinne einer Zeitspanne die im Lebensverlauf einige Wochen oder Tage einnimmt), in denen Jugendliche in mehrwöchigen Kursen im Berg- und im Seenotdienst ausgebildet wurden. Durch gemeinschaftliche Erziehung wurde ihnen vermittelt im Ernstfall Verantwortung zu übernehmen. Es stand also eine Vermittlung bestimmter Kompetenzen im Vordergrund, die im Falle eines Notfalls zur Bewältigung beitragen sollten.

Er wandte sich mit seiner Pädagogik gegen die von ihm durch Beobachtungen diagnostizierten "Verfallserscheinungen" seiner Zeit:

- Mangel an menschlicher Anteilnahme (Verantwortung für andere, gegenseitige Hilfe, Wertschätzung)
- Verfall körperlicher Tauglichkeit, Verfall der Sorgsamkeit (einschließlich Kreativität, Phantasie)
- Mangel an Initiative und Spontaneität
- Mangel an Sorgsamkeit

Jürgen Oelkers (in: Bedacht 1992, S. 96ff.) hat zudem in Kurt Hahns Programmen drei weitere entscheidende Erfolgsmerkmale herausgearbeitet:

1. die zeitlich befristete Alternative zur normalen Schulerfahrung
2. die herausgehobene und seltene Intensität und
3. den persönlichkeitsbildenden Effekt

„Nach 1918 entstanden in Deutschland zunächst außerschulische oder radikal schulkritische Konzepte der Erlebnispädagogik. Sie waren expressionistisch im Stil und anarchistisch in der Tendenz, ohne sich gegen das Establishment (auch das der Reformpädagogik) durchsetzen zu können.“ (...) „Die Kritik an der mechanischen Schule war weit wirksamer als die erlebnispädagogische Alternative, die sich nur schwer mit den didaktischen Ansprüchen vereinbaren ließ.“ (Homfeldt 1995, S. 17)

Bis 1933 wurden einige Schulreformen beschlossen. Einige, die „außerhalb der berühmten reformpädagogischen Paradigmen (also der Landeserziehungsheime oder der pädagogischen Heimstätten, die vor allem als der frühen Erlebnispädagogik angesehen werden) erarbeiteten Neuansätze auf der Grundlage von Projekten oder Eigentätigkeit von Schülern, die vielfach erlebnispädagogisch gestimmt waren, versteht man darunter ein methodisches und nicht nur ein psychologisches Prinzip.“ (ebd. S.18) Die Instanz Schule zeigte sich nun bereit und offen für Veränderungen und noch viel wichtiger als lernfähig, ohne dabei institutionelle Grenzen übermäßig zu strapazieren. Erlebnis und Erziehung konnten nun als Verbund integriert werden. Hinzugefügt wurden allerdings noch methodische Aspekte, um Voraussetzungen für den Schulalltag zu ermöglichen.

Das Ende der Reformpädagogik 1933 war dann vor allem in Deutschland auf das massive Auftreten der Nationalsozialisten zurückzuführen. Der Nationalsozialismus bediente sich gerne der Bildungsideale der Reformpädagogen. Denken wir an die "Hitler Jugend" oder den "Bund deutscher Mädel", an die organisierten Zeltlager und Ausfahrten. Hinter diesen Erziehungsbemühungen durch Bewegung in der Natur, durch Gemeinschaftserlebnisse standen jedoch ganz andere Absichten, als die Reformpädagogen sich hätten jemals träumen lassen. Ihre Ideen und Gedanken wurden für eine Ideologie missbraucht.

Es lässt sich also allgemein feststellen, dass die Zeit der Reformpädagogik und Jugendbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts für eine allgemeine Kulturkritik genutzt wurde. Es entstand eine überaus hohe Begeisterung an der Natur, und Kritik an der intellektuellen Vereinseitigung des Lernens wurde immer lauter. Man wandte sich also gegen die damaligen Maximen und legte mehr Wert auf den Gefühlsbereich auf „eine Rehabilitation der Erfahrung, Harmonie- und Ganzheitsvorstellungen, auf Individualisierung bei einer gleichzeitigen Gemeinsamkeitssehnsucht.“ (Fatke 1991, S.7) Erlebnispädagogik entwickelte sich so zu einer interessanten Möglichkeit Erziehung von einer anderen, schülerorientierten, Seite anzugehen. Diese Art von Erziehung sollte aber nicht derart missverstanden werden, dass bisherige Maßstäbe gekippt und komplett überworfen werden sollten. Vielmehr bot sich nun eine Möglichkeit neue Erkenntnisse über den Menschen selbst, sein Lernen und sein Verhältnis zur Gesellschaft in Erfahrung zu bringen. Erlebnispädagogik oder auch Erlebnisunterricht sollte in der Reformpädagogik aber nicht als Selbstzweck gedeutet werden. Abenteuer und Erlebnis erfüllten eine ganz besondere Aufgabe. Es sollte nicht nervenkitzelnde „action“ geboten werden, sondern gemessen an dem Erlebnisbegriff, den Nietzsche, Bergson und Dilthey formulierten, ein herausgehobenes Ereignis vermittelt werden, das „innerlich stark berührt, ergreift und beschäftigt und einer Bearbeitung bedarf, damit es konstruktiver Bestandteil der Erfahrung wird.“ (Fatke 1991, S. 6)

[...]

Ende der Leseprobe aus 107 Seiten

Details

Titel
Erlebnispädagogik im Fach Sport zur Förderung der sozialen Handlungsfähigkeit
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
107
Katalognummer
V35570
ISBN (eBook)
9783638354493
Dateigröße
928 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erlebnispädagogik, Fach, Sport, Förderung, Handlungsfähigkeit
Arbeit zitieren
Marc Peitzer (Autor:in), 2004, Erlebnispädagogik im Fach Sport zur Förderung der sozialen Handlungsfähigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35570

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