Die Athene des Paulus - Eine Untersuchung zum Ursprung des paulinischen "Evangeliums"


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2004

36 Seiten


Leseprobe


Gliederung

I. Die Erscheinungen des Auferstandenen

II. Das Evangelium des Paulus
1. Der erste Thessalonicherbrief
2. Der Galaterbrief
3. Der erste Korintherbrief

III. Das Evangelium, eine intellektuelle Konstruktion aus zeitlicher und örtlicher Distanz zum Tod Jesu

Literatur

I. Die Erscheinungen des Auferstandenen

Die Zeitspanne, die zwischen Jesu Leben und Wirken und den schriftlichen Belegen davon besteht, findet in der neutestamentlichen Wissenschaft ihren Widerhall in der Frage nach der Kontinuität und Diskontinuität von mündlicher Tradition und ihrer literarischen Formgebung[1]. Die Glaubensformeln um Jesus Christus hingegen gelten, soweit ich sehe, einhellig als theologische Ausdrucksformen der Urgemeinde[2], obwohl wir solche, wie z.B. „am stärksten ausgebildet“ (Vielhauer) in 1Kor 15,3ff., schriftlich verdichtet erst bei Paulus, also gut zwanzig Jahre nach Jesu Tod, nachweisen können; somit wird Paulus selbst zum Tradenten solcher Wendungen um Jesus Christus gemacht.

Auf der anderen Seite scheint die gegenwärtige theologische Forschung die Auferstehung Jesu Christi kaum noch für ein historisches Ereignis zu halten. Dieser sich zunehmend durchsetzenden Erkenntnis mangelt es aber zumeist an eindeutigen Begriffen; vielmehr wählt man für dieses biblische Geschehen Umschreibungen, die die Vermutung nahe legen, dass man weitgehend davon ausgeht, dass besagte Formulierungen von der Urgemeinde entgegen der Tatsache der Auferstehung Jesu Christi geprägt worden sind[3].

Einerseits also umschriebt man die Auferweckung Jesu von den Toten als „Glaubenszeugnis der Urgemeinde“, als „nachösterliche Prägung“ u.ä.; an den Erscheinungen des Auferstandenen vor seinen Anhängern indes hält man gewöhnlich als einer historischen Tatsache fest[4]. „Die Erscheinungen des Auferweckten ... waren immer geschichtliche Ereignisse und sind als solche bezeugt und erzählt worden. Über sie können wir daher historische Aussagen machen.“[5]Es mag sein, dass dies mit der Art der Berichtsform darüber zusammenhängt. Denn von der Auferweckung Jesu von den Toten wird im Neuen Testament nirgends in erzählender Form berichtet, also etwa so, wie es die Evangelien vom Abendmahl oder von Jesu Passion tun; die Zeugnisse und damit „Beweise“ von der Auferweckung Jesu nämlich konzentrieren sich alle auf das leere Grab - setzen das entscheidende Ereignis also bereits voraus (Mk 16,1ff.; Mt 28,1ff.; Lk 24,1ff.; Joh 20,1ff.) - oder auf die Erscheinungen des Auferstandenen vor seinen Anhängern. Obwohl die Berichte darüber im Neuen Testament nicht einheitlich und inhaltlich nicht unproblematisch sind[6], gelten diese zum größten Teil dennoch, wie gesagt, als historische Tatsachen[7]. Dies aber ist methodologisch gesehen problematisch; denn „die Berichte der Evangelien über die ersten Erscheinungen des Auferstandenen sollen zuerst die Tatsächlichkeit der Auferstehung Jesu mitteilen und durch Zeugenaussagen sichern“[8]. So wäre es eigentlich konsequent, entweder beide Ereignisse zu leugnen oder beide als historisch anzuerkennen[9].

Aber auch die z.T. unterschiedlichen und phantastischen Erscheinungsberichte geben der Forschung so manches Problem auf. So sieht Dormeyer (1993,187) „die historischen Begegnungserfahrungen mit dem Auferstandenen“ als Grundlage für die späteren Erscheinungsvisionen; ähnlich äußert sich Bultmann (1977,48): Mk 16 habe 1Kor 15,5ff. gedanklich insofern weiterentwickelt, als Jesu Auferstehung dort „als eine zeitweilige Rückkehr in das Leben auf Erden gedeutet“ worden ist[10].

Das größte Vertrauen in der Forschung hinsichtlich der Erscheinung des Auferstandenen genießen die Aussagen, die darüber bei Paulus[11]zu finden sind; offensichtlich deshalb, weil er sich in seinen Angaben darüber eines erzählerischen Beiwerks enthält. Dennoch hört das Vertrauen in ihn an einer entscheidenden Stelle seines Visionsberichtes auf, und damit kommen wir zu unserem eigentlichen Anliegen. Denn Gal 1,12 sagt Paulus ausdrücklich, dass er das „Evangelium“ vom Herrn durch eine Offenbarung empfangen habe[12]; der Empfang des „Evangeliums“ war offensichtlich Sinn und Zweck der Erscheinung. Da nun ein Kernstück des paulinischen Evangeliums die Auferweckung Jesu von den Toten ist (s.u.), wäre die Antwort auf die Frage, wo der Ursprung der Glaubensbotschaft zu suchen sei, eigentlich beantwortet - man müsste Paulus dann nur genügend Vertrauen schenken, nicht nur hinsichtlich seines Erscheinungsberichtes, sondern auch hinsichtlich der Botschaft des Erschienenen; aber hier scheint sich die Forschung mehr der Skepsis der Galater (Gal 1,20) anzuschließen[13].

Entgegen dem paulinischen Zeugnis versucht die neutestamentliche Wissenschaft, über die formgeschichtliche Methode die Pistisformeln auf die vorpaulinische Urgemeinde zurückzuführen. Geht der entscheidende Gehalt des Glaubensbekenntnisses wirklich auf die Urgemeinde zurück, so müssen dafür einige Grundpositionen abgesteckt sein, die hier nur skizziert, unten näher behandelt werden sollen. Erstens: Es ist gegen Bultmann sehr wohl von Bedeutung, „wie der Osterglaube bei den einzelnen Jüngern entstand“[14], denn: wenn die Forschung herausgearbeitet hat, dass die Auferweckungsformel eine theologische Aussage ist, die nach Jesu Tod gemacht worden ist, ohne dass Jesus wirklich von den Toten auferstanden ist, dann heißt dies andersherum formuliert: „die Jünger“ haben eine Auferweckung Jesu von den Toten formuliert, obwohl er nicht von den Toten auferstanden ist. Zweitens: Dass „die Jünger“ um Petrus die Osterbotschaft formuliert haben, setzt voraus, dass dies gleichsam in einem kollektiven Findungsprozess darüber geschehen ist - oder aber die Erscheinung des Herrn vor Petrus, den Zwölf und den Fünfhundert auf einmal (1Kor 15,5f.) hat diese Glaubensbotschaft beim Kollektiv „Jünger“ verursacht; unter dieser Voraussetzung aber bräuchte man die Osterbotschaft methodisch nicht mehr über die Formgeschichte in der Urgemeinde zu ermitteln, weil, wie oben bereits gesagt, dann die Osterbotschaft aufgrund der Erscheinung des Herrn vor seinen Anhängern nicht nur auf Christus selbst zurückgeht, sondern auch die faktische Grundlage dafür: seine Auferstehung. Drittens: Da mit dem nachösterlichen Kerygma eine Menge theologischer Vorstellungen verknüpft ist, muss man dem jesuanischen Jüngerkreis, der ohnehin historisch schwer zu greifen ist, einiges theologisches Geschick zusprechen, da der Inhalt des Kerygmas den frühjüdischen (wie auch den griechischen) theologischen Vorstellungsrahmen sprengt. Dabei ist es unerheblich, ob man besagte Prägungen dem aramäisch sprechenden palästinensischen oder dem hellenistischen Judentum zusprechen will[15]. Soweit man der Glaubensbotschaft bis hin zu Paulus eine Entwicklung unterstellt, benötigt man offensichtlich in der Forschung sowieso z.T. beide jüdischen Kreise, weil sich in den Pistisformeln einerseits keine Semitismen befinden, der Schriftbeleg für Teile der Pistisformel in 1Kor 15,3f. dagegen auf das palästinensische Judentum hinzudeuten scheint[16]. Viertens: Mit der Formulierung der Glaubensbotschaft muss gleichzeitig die Konstituierung einer früh„christlichen“ Gemeinde und bald darauf die Mission über Israel hinaus verbunden gedacht sein. Denn nur wenn die Pistisformel den früh„christlichen“ Gottesdienst in und außerhalb Israels bestimmt hat, ist ihre feste Überlieferung garantiert[17].

Der möglichen theologischen Unzulänglichkeit des Petruskreises hinsichtlich besagter Glaubensformeln setzt man bisweilen die Auffassung entgegen, nach der zwischen der Lehre Jesu und der seiner Anhänger insofern eine Kontinuität in der theologischen Lehre bestehe, als Jesus selbst dafür die Grundlagen gelegt habe, so auch für die Deutung seines Todes. Die Brücke, die von dem in Israel lehrenden Jesus über seinen Tod hinaus bis in die nachösterliche Verkündigung führt, soll demnach die Erfahrung der Jünger mit dem irdischen Jesus sein, die zur Verkündigung von Kreuz und Auferstehung geführt habe[18]. Nach Roloff (1979,181ff.) hat Jesus im Wesentlichen selbst den Weg zur Deutung seines Kreuzestodes gewiesen. „So ist in Jesu Verhalten und in der Weise seines Sterbens zumindest die Richtung der nachösterlichen Deutungen des Kreuzes schon vorgezeichnet“ (185). Es mag zugestanden sein, dass sich Jesus dessen bewusst war, dass sein Auftreten mit dem Tod enden werde (183f.)[19], auch, dass er seinen Weg „vom Schicksal der Propheten und Gerechten“ her gesehen hat, schwerlich aber, dass seine Mission gleichsam in einem Selbstopfer mündete und dass Jesus als Gottes Sohn den Rahmen für seinen Tod beinahe selbst abgesteckt habe (185f.). So starb Jesus mit dem Gebetsruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk15,34) auf den Lippen. „Das Modell, das Jesus damit übernahm, war das von Ps 22 wie von anderen Leidenspsalmen (Ps 69) entworfene Bild des leidenden Gerechten ...“ Vielleicht drückt es Roloffs Unbehagen gegenüber seiner eigenen These darüber aus, wenn er aus Ps 22 als letzte Worte Jesu nur den Gebetsruf wörtlich zitiert. Und so ist es in der Tat nicht völlig von der Hand zu weisen, dass Jesus diese Worte beim Sterben ausgerufen hat; wie aber soll Jesus es veranlasst haben, dass man seine Kleider teilt und das Los darüber wirft (Ps 21,19 (LXX); Mk 15,24) oder dass die Vorübergehenden mit dem Kopf schütteln und ihn verspotten (Ps 21,8 (LXX); Mk 15,29) und vieles andere hinlänglich Bekannte mehr. Wer hier wofür das Modell übernommen hat, ist doch augenscheinlich.

Die Anlehnung des Kreuzigungsberichtes vor allem an - soweit es das Alte Testament betrifft - die Psalmen 21 (LXX) und 68 (LXX) und an Jesaja 52f. (LXX) beweist doch gerade den Mangel an historischen Quellen für den Evangelisten zur Darstellung und Deutung von Jesu Tod[20]. Und Markus ist nicht der erste, der die Schriften des Alten Testaments als Deutebücher für das jesuanische Geschehen herangezogen hat; vor ihm hat dafür Paulus den Grund gelegt.

Die vorliegende Untersuchung nun macht die nüchterne Tatsache zur Voraussetzung, dass ein Mensch nicht von den Toten auferstehen kann. Die christologischen Formeln jedoch müssen, wenn man diese Tatsache voraussetzt, von irgendjemandem gebildet worden sein. Hier soll also versucht werden, den Nachweis dafür zu erbringen, dass Paulus der Urheber der christologischen Formeln ist. Zuvor aber wird noch kurz darauf einzugehen sein, dass Paulus, solange wir ihn historisch fassen können, unter „Evangelium“ immer besagte Wendungen um Jesus Christus von Tod und Auferstehung versteht, dann, dass er die Erscheinung des Herrn vor sich erdacht hat, um u.a. sein Apostelamt zu legitimieren.

II. Das Evangelium des Paulus

,,'Evangelium Gottes' (1Thess 2,2 u.ö.; Mk 1,14), 'Evangelium Christi' (Röm 1,16; 1Kor 15,1 u.ö.) ist kein Begriff mit festgelegtem Inhalt, sondern eine nachösterliche Metapher der urchristlichen Verkündigung ...Paulus ...definiert ...nicht exakt den Inhalt des Evangeliums.“[21]Unabhängig davon, ob das „Evangelium“ nun eine nachösterliche Bildung ist oder nicht, kann man gegen Dormeyer bei Paulus sehr wohl herausarbeiten, was der Apostel unter der „Frohen Botschaft“ verstanden wissen will: „Es geht um die Freudenbotschaft des Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat (vgl. 1Thess 9,1).“[22]

Wenn man in Rechnung stellt, dass Paulus nach seiner Bekehrung weit über zehn Jahre lang missioniert hat, bevor er - wenigstens für uns greifbar - seine Gedanken das erste Mal in einem Brief formuliert, so ist es angesichts des Charakters seiner Briefe verständlich, dass er vieles von dem, was sich bei ihm längst als feste Lehre für seine Verkündigung herauskristalisiert hat, bei seinen Adressaten als bekannt voraussetzt. Von seiner theologischen Lehre setzt er brieflich immer nur das um, was ihm im jeweiligen Zusammenhang besonders am Herzen lag. Aber bereits in seinem für uns ersten Brief kann man herausarbeiten, was Paulus unter „Evangelium“ verstanden wissen will. Und wir finden hier inhaltlich alle entscheidenden Elemente dessen wieder, was Paulus im 1Kor 15,3ff. komprimiert ausdrücklich und wiederholt als Evangelium bezeichnet. Der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus macht den Inhalt der paulinischen Verkündigung aus. „Vom frühesten bis zum letzten seiner Briefe vertritt der Apostel diese schlechthin bestimmende Bedeutung des Evangeliums.“[23]

In diesem Abschnitt werde ich mich, was den Inhalt des Evangeliumsbegriffes bei Paulus betrifft, mit diesem nur soweit beschäftigen, wie er im jeweiligen Kontext im ersten Brief an die Thessalonicher, in dem an die Galater und in dem ersten an die Korinther benutzt worden ist, ohne der Frage nach dem möglichen Formelgut, das Paulus aus der Urgemeinde übernommen haben kann, nachzugehen.

1. Der erste Thessalonicherbrief

Im ersten Thessalonicherbrief spricht Paulus an mehreren Stellen vom Evangelium, zuerst 1,5, dann 2,2ff. und 3,2. Das im Vergleich zu den Briefen an die Galater und an die Korinther recht freundlich gehaltene Schreiben an die Thessalonicher beherrschen im Wesentlichen zwei Dinge: Die Ungewissheit des Apostels hinsichtlich des Glaubens der Thessalonicher (3,5) und die Ermahnungen an die Gemeinde zum ordentlichen Lebenswandel (4,3ff.). Paulus' Adressaten sind in erster Linie Heidenchristen (1,9f.). Wenn Paulus diese dazu auffordert, an seiner Botschaft festzuhalten, so scheint an ihn persönlich Kritik herangetragen worden zu sein, die wohl einerseits den Inhalt seiner Botschaft, aber noch mehr die Autorität, auf der diese gründet, betrifft (2,3ff.; 2,19f.). Die Kritik dürfte von Judenchristen kommen, die vielleicht sogar im Auftrag der Jerusalemer standen (2,7; 14).

Das Evangelium ist 1,5 zufolge bei den Thessalonichern auf fruchtbaren Boden gefallen; 1,8 bezeichnet Paulus es als ein Herrenwort, das Gegenstand der Verkündigung geworden ist (1,8f.). Wenn er das Evangelium als ein Herrenwort bezeichnet, so ist klar, dass der Inhalt der Botschaft - aus Paulus' Sicht - objektiven Charakter besitzt, also nicht „nach Menschenart“, „kein Menschenwort“ (2,13) ist. Es ist eine göttliche Botschaft. Dies bestätigen die folgenden Stellen. Das Evangelium ist eine Glaubensbotschaft, hinter der die göttliche Autorität steht (2,2ff.; 2,13). Unmittelbar an 1,8 schließt der Inhalt des Herrenwortes an, der sich grundlegend vom Inhalt, der den Götzendienst bestimmt (1,9), unterscheidet: Die Botschaft rankt sich um den „lebendigen und wahren Gott und um seinen Sohn ..., den er von den Toten auferweckt hat“ (1,10). Das Festhalten an diesem Logos hat für die Thessalonicher den Wert, dass Jesus sie vor dem kommenden Zorn schützt (1,10). Wenn Paulus diesen Kerngehalt des Evangeliums mit dem „Wort“ über den von den Toten Auferweckten verbindet, so zeigt sich, dass er bereits an dieser Stelle die Klammer zu 4,13ff. ansetzt; denn hier führt Paulus den Gedanken aus, dass an den Glauben an Christi Tod und an seine Auferstehung die Hoffnung geknüpft ist, dass dadurch alle, die schon gestorben sind, von den Toten auferstehen werden. Dann werden auch die noch Lebenden mit Christus entrückt werden. Die folgende Apokalypse schließlich, die 4,13f. folgt, bezeichnet Paulus ebenfalls als ein Herrenwort[24]. Dass der Glaube an die Auferstehung vor dem Zorn Gottes bewahre (so schon 1,10), wiederholt Paulus indirekt 5,9, wobei er hier ausdrücklich von Jesus Christus sagt, dass er „für uns“ gestorben ist. In Verbindung mit 1,10 ist in 5,9 also deutlich der Gedanke von Jesu Sühnetod formuliert, worauf m.E. auch unabhängig von 5,9 der Gedanke vom kommenden Zorn Gottes in 1,10 schon hindeutet.

Das, was Paulus also den Thessalonichern als Evangelium verkündet, enthält die Aussagen, dass Jesus gestorben ist, Gott ihn von den Toten auferweckt hat (1,10) und Jesu Tod „für uns“ geschehen ist (1,10 in Verbindung mit 5,9). Dabei wählt Paulus im 1Thess für Teile dieser Gedanken unterschiedliche Formulierungen. So ist es einmal Gott, der seinen Sohn „auferweckt hat“ (1,10), dann wiederum ist es Jesus, der „gestorben und auferstanden ist“ (4,14).

[...]


[1]Es ist dabei interessant zu sehen, dass zwei ganz unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze weitgehend der Tatsache Rechnung tragen, dass der literarischen Gestaltung größerer Wert zuerkannt werden muss als der mündlichen Überlieferung. So räumt Schmithals (1997) auf der einen Seite der schriftstellerischen Prägung des Überlieferungsgutes recht großen Eigenwert ein; auf der anderen Seite stellt sich der katholische Theologe Schulz (1993) gegen die Ergebnisse der Formgeschichte und greift die Papias-Notiz (Euseb. KG III 39,14f.) auf, nach der Markus der „Dolmetscher des Petrus“ gewesen sei.

[2]Vgl. Vielhauer 1975,14ff.; zur Genese und Bestimmung des Begriffs „Pistisformel“ und zur Unterscheidung von Pistisformeln und Homologien als „mündliche apostolische Wortgattungen“ ibd., 13f.

[3]„Unmittelbar nach Ostern prägten die Anhänger Jesu Glaubensformeln und Bekenntnisse“ (Dormeyer 1993,125); „...die Auferweckungsformel ... geht zweifellos auf die palästinensische Urgemeinde zurück; der christliche Glaube entstand ja aus der Ostererfahrung der Jünger und bestand zunächst in der Überzeugung, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat. Von hier erst ergab sich auch die Notwendigkeit, den Tod Jesu positiv zu deuten“ (Vielhauer 1975,20f.). In gewisser Hinsicht kann man sagen, dass gerade die von Dibelius und Bultmann erarbeitete formgeschichtliche Methode Ausdruck dafür ist, dass eine über Jahrhunderte währende Gewissheit aufgegeben worden ist.

[4]Bultmann 1977,48; Lohse 1996,59f.; Sellin 1986, 38A3 dient die „Erscheinung des Auferstandenen vor Petrus“ als Argument innerhalb einer wissenschaftlichen Beweisführung.

[5]So Schenke 1990,17; auf S. 20 unternimmt Schenke vorsichtige Versuche, Aussagen über den Ort der Erscheinungen zu machen. Nach Dormeyer 1993,187 zählen die Christophanien zu den „mündlichen apostolischen Erzählgattungen“, offensichtlich deshalb, weil man sich die Erscheinungen des Herrn vor seinen Anhängern unmittelbar nach seinem Tod denken soll (vgl. Ac 1,3ff.) und der Bericht darüber irgendwie zu Paulus gekommen sein muss (vgl. 1 Kor 15,5ff.).

[6]So bleibt es z.B. geheimnisvoll, dass Christus nach Jahren missionarischen Tuns seiner Apostel einem weiteren Menschen erscheint.

[7]Vielleicht deshalb, weil man in ihnen eine Begründung für die urchristliche Mission zu sehen glaubt?

[8]Kraft 1981,207; Lohse 1996,44: „Kephas und die Zwölf sind die ersten Zeugen des Auferstandenen, die für die Wahrheit der von ihnen ausgerichteten Botschaft einstehen.“ Anders der katholische Theologe Schulz (1993) (vgl. A 1), der auf dem Boden der Glaubenswahrheit, dass Jesus von den Toten auferweckt worden ist, die Erscheinungszeugnisse behandelt (136ff.). Konsequenterweise kritisiert er die Ergebnisse der Formgeschichte (so ist 1Kor 15,3ff. eben nicht einfach als nachösterliche Bildung zu werten, sondern als unmittelbares Zeugnis eines historischen Geschehens) – m.E. zum Teil mit Recht (110ff.), wenngleich er zu Ergebnissen kommt, die mit denen der vorliegenden Arbeit nicht in Einklang zu bringen sind (vgl. A 72). Schulz ist sich dessen bewusst, dass die Ergebnisse der Formgeschichte die apostolische Tradition des Stuhles Petri gefährden.

[9]Selbst wenn man 1Kor 15,5 als Beleg dafür heranziehen will, dass Christus Kephas als Erstem erschienen ist, leuchtet mit nicht ein, warum man die Historizität dieser Aussage dadurch bestätigt sieht, dass man sie an anderen Stellen des NT wiederfindet (so z.B. Schmithals 1994,23 mit Bezug auf Lk 24,34; Joh 20,1ff.; Mk 16,7). Grundsätzlich macht die Wiederholung einer Angabe über eine Begebenheit, die möglicherweise fiktiv ist, diese doch nicht glaubwürdiger.

[10]Gleichwohl sieht Bultmann auf S. 47 Mk 16,7 durch 1 Kor 15,5 bestätigt – dann aber kann Mk 16,7 kaum noch als eine gedankliche Weiterentwicklung der paulinischen Angabe bezeichnet werden. Man bedenke: Paulus’ Bekehrung wird auf etwa 32/3 datiert; von der Erscheinung des Herrn vor ihm berichtet er uns etwa zwanzig Jahre danach. Paulus bietet damit den ersten Textbeleg für die Erscheinungen Christi vor seinen Anhängern. Die Evangelienberichte darüber liegen vierzig Jahre und mehr hinter den „historischen Begegnungserfahrungen“. Es mutet dann eigentümlich an, wenn man auf der einen Seite in den Evangelien eine gedankliche Weiterentwicklung der paulinischen Angaben sieht, auf der anderen Seite die Evangelien als Zeugnis für die Historizität der Erscheinungen nehmen will, die ja damit gleichsam einen Tatbestand hervorheben, der noch vor Paulus’ eigener Erfahrung diesbezüglich liegt.

[11]Vgl. z.B. Lohse 1996,58ff.

[12]So deute ich auch 1 Kor 15,3; dazu s.u.

[13]„Obwohl Paulus mit aller Entschiedenheit betont, nicht unter Mitwirkung von Menschen, sondern unmittelbar von Gott selbst beauftragt zu sein, beschreibt er doch den Inhalt der Botschaft, die ihm offenbart worden sei, mit Begriffen, die bereits vor ihm in der frühesten Christenheit geprägt worden waren: ... .“ So Lohse 1996,76 (dagegen der jüdische Forscher Macooby 1991,247ff. der Paulus’ Worte „ich habe vom Herrn empfange“ wörtlich nimmt). Es ist wohl Lukas, der diesbezüglich dem Apostel als erster misstraut hat. Denn sein Bericht über Paulus will nahe legen, dass der Apostel in Damaskus in die christliche Lehre eingewiesen worden ist (Ac 9).

[14]Bultmann 1977,47

[15]Unabhängig davon, wie man das so gen. Pfingstwunder (Ac 2) interpretieren will, zeigt es m.E. doch auch, dass sich zumindest Lukas der Tatsache bewusst war, dass die Glaubensbotschaft ans Aramäische gebunden war.

[16]Vgl. Vielhauer 1975,21; Dormeyer 1993,125ff.; Wengst 1972,74f. weist m.E. mit Recht darauf hin, dass sich Semitismen in den Schriften des NT auch aus dem Gebrauch der LXX erklären lassen.

[17]Dazu Vielhauer 1975,21f.

[18]Wenigstens angemerkt sei Folgendes. Obige Auffassung setzt voraus, dass Jesus über eine solide theologische Bildung verfügt hat, die ihn jüdische Positionen wesentlich weiterdenken ließ. Dass Jesus über eine solide Bildung verfügt haben kann, belegt man gern mit den Hinweisen, dass es in Israel seiner Zeit so etwas wie Elementarschulen gegeben hat und dass auch an Israel die hellenistische Kultur nicht vorübergegangen ist. Schon Lukas hat sich mit dem Problem der Bildung Jesu auseinandergesetzt, fand aber eine einfachere Lösung (Lk 2,41ff.).

[19]Dass Jesu Hinrichtung in irgendeiner Form mit seinem öffentlichen Auftreten zu tun gehabt hat, ist klar; unklar dagegen der jüdische Anteil daran. Wieweit sein Handeln gegen den jüdischen Tempel den Ausschlag für seinen Tod gegeben hat, ist umstritten. Zum Prozess Jesu vgl. den von Kertelge (1988) herausgegebenen Sammelband.

[20]Noch deutlicher belegen dies, nebenbei bemerkt, Lukas und Matthäus, die sich für ihr gesamtes Evangelium weit mehr auf schriftliche Vorlagen denn auf die mündliche Tradition verlassen haben, obwohl z.B. Lukas (Lk 1,3) mehr sein eigenes Forschen hervorhebt als seine nachweisliche Hauptquelle, nämlich Markus.

[21]Dormeyer 1993,200

[22]Merklein 1987,286. Nach Merklein hat Paulus den Kerngehalt der Evangeliumsformel von dem hellenistischen Judenchristentum übernommen, diese dann aber um den Gedanken erweitert, dass in ihr Gottes Wirksamkeit (δύναμις) zum Ausdruck komme, die eine scheidende Funktion beim Endgericht ausübe (287ff.).

[23]Lohse 1996,246ff.

[24]Nach Schmithals 1994,20 ist die Apokalypse in 4,15ff. nachpaulinisch, was für unser Anliegen jedoch unerheblich ist.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Die Athene des Paulus - Eine Untersuchung zum Ursprung des paulinischen "Evangeliums"
Autor
Jahr
2004
Seiten
36
Katalognummer
V35569
ISBN (eBook)
9783638354486
ISBN (Buch)
9783638653145
Dateigröße
662 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Autor ist Studienrat an der Lauenburgischen Gelehrtenschule in Ratzeburg.
Schlagworte
Athene, Paulus, Eine, Untersuchung, Ursprung, Evangeliums
Arbeit zitieren
Dr. Rainer Foß (Autor:in), 2004, Die Athene des Paulus - Eine Untersuchung zum Ursprung des paulinischen "Evangeliums", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35569

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