„Wir sind Deutschland“?! Eine Grounded Theory zum Verhältnis von Migration und Integration in der Rap-Szene


Bachelorarbeit, 2016

88 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1. Integration
2.1.1. Integration bei Hartmut Esser
2.2. Migration
2.3. Integration und Migration in der Rap-Szene

3. Methodische Vorgehensweise
3.1. Forschungsdesign
3.2. Auswahl der Datenerhebungsmethode
3.3. Die Rap-Texte
3.4. Das problemzentrierte Leitfaden-Interview
3.4.1. Leitfadenerstellung
3.4.2. Auswahl, Beschreibung und Kontaktaufnahme der Untersuchungsgruppe
3.4.3. Durchführung der Interviews
3.4.4. Die Transkription
3.5. Auswertungsverfahren - die Grounded Theory

4. Die Untersuchung der Raptexte
4.1. „Wir sind Deutschland“ von Ammar
4.2. Kontrastierung mit „Ausländer“ von Alpa Gun

5. Die Auswertung der Interviews
5.1. Ursachen - Alltägliche Konfrontation
5.2. Kontext - das soziale Umfeld
5.3. Intervenierende Bedingungen - das Leben in Deutschland
5.4. Handlungs- und interaktionale Strategien - Identitäts- und Zugehörigkeitsbildung
5.5. Konsequenzen - Typen der Sozialintegration
5.6. Zusammenfassung der Ergebnisse

6. Fazit und Ausblick

7. Literaturverzeichnis

8. Abbildungsverzeichnis

9. Anhang

1. Einleitung

Alle Jahre wieder wird über ein Thema debattiert: Integration von Migranten. Debatten über Ausländer gibt es seit fast 50 Jahren in der Bundesrepublik. Verschärft werden Integrations- debatten durch Presseartikel mit Schlagzeilen wie „Ehrenmord - So brachte Ayhan Sürücü seine Schwester Hatun um“ (Deiß 2011, o.S.) oder „Deutschpflicht an Schulen: Zur Strafe den Schulhof fegen?“ (Leffers 2006, o.S.). Themen und Schlagzeilen um Migration und Inte- gration stehen nicht seit gestern auf der Tagesordnung des politischen Diskurses. Die Le- benswelt von Kindern und Jugendlichen mit einem Migrationshintergrund wird oft als Kultur- konflikt oder als „Sitzen zwischen zwei Stühlen“ bezeichnet (vgl. Gögercin 2008, o.S.). Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll der Dialog mit Migranten stehen. Die subjektive Perspektive von Migranten hinsichtlich ihrer Migration und Integration soll untersucht werden. Gestützt darauf soll die Beziehung ihres Migrationshintergrund zu ihrer Integration betrachtet werden. Es sol- len Fragen, die das Verhältnis von Integration und Migration betreffen, beantwortet werden. Zur Klärung werden Songtexte von Rappern mit einem Migrationshintergrund und Interviews mit Jugendlichen mit einem Migrationshintergrund herangezogen. Als grundlegende Frage- stellung wird untersucht, inwiefern sich Deutsche mit Migrationshintergrund mit den Themen Integration und Migration beschäftigen, und inwieweit diese Auseinandersetzung ihre Le- benswelt beeinflusst.

Hierfür bietet sich die Jugendkultur „Hip-Hop“ an, da viele Hip-Hop-Lieder von Integration und Migration handeln. Rapper mit Migrationshintergrund greifen die Thematik in ihren Songs auf. Sie rappen über ihr Leben als Migrant in Deutschland. Dabei werden Themen wie Stereotype, Diskriminierung, Benachteiligung, Herkunft und Teilhabe an der deutschen Ge- sellschaft angesprochen. Hip-Hop gilt als Sprachrohr für Jugendliche mit Migrationshinter- grund. Die entscheidende Rolle der Jugendkultur für junge Migranten soll im Rahmen dieser Arbeit herausgearbeitet werden.

Einführend sollen die Begriffe Integration und Migration definiert werden, um anschließend zeigen zu können, in welcher Beziehung die Begriffe zueinander stehen. Zudem soll der Zu- sammenhang zwischen Rap, Integration und Migration dargestellt werden, indem die Ent- wicklung der Hip-Hop-Szene in Deutschland näher beleuchtet wird. Nach der ausführlichen Einführung relevanter Begriffe wird der Fokus auf die Analyse von zwei Songtexten gelegt. Dafür werden die Lieder „Ausländer“ von Alpa Gun und „Wir sind Deutschland“ von am- mar114 verwendet. Ergänzend wird die Auswertung der Leitfaden-Interviews herangezogen, so dass am Ende der Arbeit eine Aussage darüber gemacht werden kann, inwiefern sich Mi- granten mit ihrem Migrationshintergrund auseinandersetzen und welche Auswirkungen es auf ihre Lebenswelt hat.

2. Theoretische Grundlagen

Die Themen Integration und Migration stellen seit einigen Jahren wichtige Oberbegriffe in po- litischen und pädagogischen Auseinandersetzungen im Migrationskontext dar. Die Integrati- on von Menschen mit Migrationshintergrund ist in aller Munde, wobei der überwiegende Teil ein beschränktes Wissen über diese Begriffe aufweist. Zusätzlich kommt der differenzierte Umgang der Gesellschaft mit Migranten hinzu. Auf der einen Seite stehen Offenheit und Ak- zeptanz gegenüber Migranten, auf der anderen Seite Vermeidung und Ablehnung (vgl. Süss- muth 2006, S. 7). Bevor die Bedeutung von Integration und Migration innerhalb der Rap-Sze- ne herausgearbeitet werden kann, werden im folgenden Kapitel diese Begriffe erläutert. An- schließend wird das Verhältnis von den so eben genannten Begriffen aufgezeigt.

2.1. Integration

Die Literaturrecherche hat ergeben, dass Integration nicht durch eine allgemein gültige Defi- nition beschrieben werden kann. Je nach Vorstellungen von und Erwartungen an diesen Be- griff entstehen unterschiedliche Definitionen. Folglich wird der Integrationsbegriff aus der mi- grationssoziologischen Perspektive betrachtet. In diesem Sinn beinhaltet die Definition die Einbindung von Migranten in die Aufnahmegesellschaft, d.h. es geht um die „individuelle und gesellschaftliche Teilhabe und Zugehörigkeit von MigrantInnen“ (Süssmuth 2006, S. 138). Der Begriff „Integration“ und „seine inhaltliche Bestimmung bleiben oft vage und ungeklärt“ (Riegel 2009, S. 23). „Integration wird im Alltagsdiskurs mit „Assimilation bzw. kultureller An- passung“ (Riegel 2009, S. 23) assoziiert. Darunter wird die völlige Anpassung an die kulturel- len, sozialen und politischen Werte und Normen des Aufnahmelandes verstanden. Assimilati- on ist wichtig für eine gelungene Integration, jedoch wird damit nicht die Verschmelzung mit der Kultur der Aufnahmegesellschaft verbunden (vgl. Luft 2009, S. 264). Assimilation bedeu- tet „in der Pflicht [zu stehen], Deutsch zu lernen sowie die Verfassung und die Gesetze zu kennen, zu respektieren und zu befolgen“ (BAMF 2016, o.S.). Zuwanderer sind nicht dazu verpflichtet, „ihre Herkunft [zu] verleugnen, Traditionen und Präferenzen etc. abzulegen“ (Luft 2009, S. 266). Integration ist eine gesellschaftliche Aufgabe, da es „sich über alle Bereiche der Gesellschaft erstreckt“ (Richter 2006, S. 80). Der Staat, die bürgerliche Gesellschaft und Migranten sind am Prozess der Integration beteiligt. Anstrengungen und Bereitschaft sind auf beiden Seiten der Wechselbeziehung notwendig, um eine erfolgreiche Integration zu errei- chen. Eine gesellschaftlich relevante Kompetenz im Bezug auf Integration ist die Sprache des Aufnahmelandes als Kommunikationsmittel. Sie dient als Bindeglied zwischen den Mi- granten und der Aufnahmegesellschaft. Nachdem Integration auf einer sehr allgemeinen Ebene zur Annäherung definiert wurde, wird der Begriff im Rahmen der individuenzentrierten Theorie von Esser der konkreten Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit entsprechend aufgearbeitet.

2.1.1. Integration bei Hartmut Esser

Die Sozialintegration bezieht sich auf den „Einbezug, die 'Inklusion' der Akteure“ (Esser 2001, S. 4) in ein bestehendes soziales System. Hartmut Esser unterscheidet vier Dimensio- nen der Sozialintegration: „Kulturation, Plazierung, Interaktion und Identifikation“ (Esser 2001, S. 8).

Kulturation meint den Erwerb von Wissen und Fertigkeiten, die für ein erfolgreiches, sinnhaf- tes Handeln und Kommunizieren in der jeweiligen Gesellschaft nötig sind. Dazu gehört „die Kenntnis der wichtigsten Regeln für typische Situationen und die Beherrschung der dafür nö- tigen (kulturellen) Fertigkeiten, insbesondere sprachlicher Art“ (Esser 2001, S. 8). Kulturation wird in Enkulturation und Akkulturation subsumiert: Erstere bezieht sich auf die Kulturation ei- nes Menschen „zu Beginn [seines] Lebens“ (ebd.), Akkulturation beschreibt das Einleben in „andere und neue gesellschaftliche Kontexte“ (ebd.). Sprachliche Kulturation ist von „Gele- genheitsstrukturen abhängig“ (ebd.), folglich sind regelmäßige, frühzeitige Gelegenheiten für eine Auseinandersetzung mit der Sprache von essenzieller Bedeutung. Im Rahmen dieser Arbeit können keine Aussagen in Bezug auf Akkulturation getroffen werden, da die Akteure in Deutschland geboren sind und nicht mit einer neuen Bezugsumgebung konfrontiert wurden.

Unter Plazierung wird die Übernahme von Positionen und Verleihung von Rechten gefasst. Akteure werden durch die Übernahme von bestimmten gesellschaftlichen Positionen „in ein bereits bestehendes und mit Positionen versehenes soziales System eingegliedert“ (Esser 2001, S. 9). Plazierung meint die Verleihung von Rechten (z.B. Staatsbürgerschafts- und Wahlrecht), die Übernahme von beruflichen Positionen und das Bieten von Gelegenheiten, die die sozialen Beziehungen mit anderen Akteuren des Systems ermöglichen. Eine wichtige Voraussetzung der Plazierung ist „soziale Akzeptanz“ (ebd.). Die ethnozentrische Haltung, die Vorurteile, Diskriminierung und andere Formen des gesellschaftlichen Ausschlusses beinhaltet, behindert eine erfolgreiche Plazierung der Akteure. Folglich fordert Esser eine „Änderung der ethnozentrischen Orientierungen“ (ebd.). Plazierung und Kulturation stehen in einem wechelseitigen Verhältnis und sind eng miteinander verknüpft. Durch die Plazierung können die Akteure bestimmte Kompetenzen erwerben, jedoch bestimmt der Grad der Kultu- ration über den Zugang zu einer beruflichen Position. Jemand, der eine gute Schulbildung aufweisen kann (Kulturation), hat bessere Chancen für eine akzeptable Position (Plazierung).

Esser versteht unter Interaktionen „Formen des sozialen Handelns, bei dem die Akteure sich wechselseitig über Wissen und Symbole aneinander orientieren und so, über ihre Orientie- rungen und ihr Handeln, Relationen miteinander bilden“ (ebd.). Darunter ist der Aufbau und die Aufnahme von sozialen Beziehungen im alltäglichen Bereich, wie z.B. Nachbarschafts- kontakte, Freundschaften oder Heirat, zu verstehen. Durch Interaktion wird der Akteur in so- ziale Netze eingebunden, die als gesellschaftliche Ressource dienen. Interaktion steht mit der Kulturation und Plazierung in einer wechselseitigen Beziehung. Die erworbenen Kompe- tenzen sind Bedingungen für interethnische Interaktionen, die wiederum dazu verhelfen die- se Fertigkeiten weiter zu entwickeln. Durch Plazierung in bestimmten Stadtvierteln oder Schulklassen werden die Chancen zur Aufnahme interethnischer Interaktionen begrenzt. Folglich ist eine starke ethnische Segregation möglich. In welchem sozialen Netz sich die Ak- teure dieser Arbeit befinden, soll herausgearbeitet werden und in Bezug zur ethnischen Se- gregation gesetzt werden.

Identifikation beschreibt eine mentale, emotionale Einstellung, in der ein Akteur „sich und das soziale Gebilde als eine Einheit sieht und mit ihm 'identisch' wird“ (Esser 2001, S. 12). Die Identifikation äußert sich in empathischer Wertintegration (emotionale Hingabe an das Kol- lektiv), Bürgersinn (Unterstützung der Verfassung) oder Hinnahme des Systems (profitieren vom System oder können nichts dagegen tun) (vgl. ebd.). Bedingung für eine Identifikation mit dem System sind erfolgreiche Kulturation, Plazierung und Interaktion (vgl. ebd.). Welchen Grad an Identifikation die Akteure der vorliegenden Arbeit mit dem sozialen System „Deutschland“ besitzen, soll im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden.

Typen der Sozialintegration

Für die Sozialintegration von Migranten werden zwei Seiten gegenübergestellt: die Aufnahmegesellschaft gegenüber der ethnischen Gruppe. Hinzu kommt die erfolgte bzw. nicht erfolgte Sozialintegration in den jeweiligen genannten Seiten. Folglich entst ehen vier mögliche Typen der Sozialintegration von Migranten (vgl. Esser 2001, S. 20):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Typen der Sozialintegration von Migranten nach Esser Quelle: Esser 2001, S. 19

Unter Assimilation wird die Sozialintegration von Migranten in die Aufnahmegesellschaft mit fehlenden ethnischen Beziehungen zum Herkunftsland verstanden. Das Gegenstück ist die Segmentation. Esser beschreibt diesen Zustand als „die Sozialintegration in ein binnenethni- sches Milieu und die gleichzeitige Exklusion aus den Sphären und den Milieus der Aufnah- megesellschaft“ (Esser 2001, S. 20). Es bestehen Beziehungen zur ethnischen Gruppe oder zum Herkunftsland, wobei der Akteur sich von der Aufnahmegesellschaft ausgrenzt. Sozialin- tegration sowohl in die aufnehmende Gesellschaft als auch in die ethnische Gemeinde be- schreibt den Zustand der Mehrfachintegration. Der Akteur integriert sich „in mehrere, kulturell und sozial unterschiedliche Bereiche gleichzeitig“ (Esser 2001, S. 20). Der „sozialintegrative Ausschluss aus allen Bereichen“ wird als Marginalität bezeichnet, d.h. es bestehen weder Beziehungen zur Aufnahmegesellschaft noch zur ethnischen Gruppe.

Anhand der aufgeführten Dimensionen von Sozialintegration und den damit verbundenen Typen von Sozialintegration nach Esser können die Aussagen der Rapper mit Migrationshintergrund und der interviewten Personen eingeordnet werden. Am Ende der Arbeit können die Akteure der vorliegenden Arbeit zu den jeweiligen Typen zugeordnet werden.

2.2. Migration

Migration beschreibt allgemein „den Umstand, dass Personen für einen längeren Zeitraum einen früheren Wohnort verlassen haben und in der Gegenwart in einem anderen als ihrem Herkunftsland leben“ (Thiersch 2001, S. 1212). Migration kann freiwillig erfolgen (Arbeitsmi- gration, Studienaufenthalte) oder unfreiwillig erzwungen (Flucht, Vertreibung) werden. Diese Definition beinhaltet nicht, dass Migranten auch „ihren Lebensmittelpunkt räumlich verlegen“ (BAMF 2016, o.S.). Migranten verändern ihren sozialen Raum, d.h. sie müssen sich in einer neuen Gesellschaft zurechtfinden und entsprechende Kompetenzen erwerben. Dieser Aspekt wird im soziologischen Migrationsbegriff aufgefasst: Migration ist „ein Prozess der räumlichen Versetzung des Lebensmittelpunktes, also einiger bis aller relevanten Lebensbereiche, an einen anderen Ort, der mit der Erfahrung sozialer, politischer, und/oder kultureller Grenzziehungen einhergeht“ (Oswald 2007, S. 13). Nach Han besteht Migration aus folgenden Dimensionen: motivationale (Beweggründe und Aspirationen), räumliche (geographische Distanz, steigende Fremdheit der Kultur, Sprache usw.), zeitliche (dauerhaft bzw. vorübergehend) und soziokulturelle (neues Lebensumfeld) (vgl. Han 2005, S. 9). Die oben ausgeführten Definitionen zusammengefasst, bedeutet Migration sowohl eine dauerhaft räumliche Veränderung als auch eine Veränderung des sozialen Raumes.

Im Alltagsdiskurs werden verschiedene Bezeichnungen für diese Gruppe von Menschen synonym verwendet: Ausländer, Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Bezeichnungen sind im Rahmen der vorliegenden Arbeit relevant und werden dementsprechend näher erläutert.

Ausländer sind Personen, die über eine andere Staatsangehörigkeit als die inländische Staatsangehörigkeit verfügen (vgl. Schubert/Klein 2016, o.S.). Somit haben Ausländer keine deutsche Staatsangehörigkeit, jedoch „unterliegen [sie] den allgemeinen Gesetzen“ (ebd.). Zusätzlich verfügen sie nicht über die gleichen Bürgerrechte wie deutsche Staatsangehörige, wie z.B. das Wahlrecht. Die Bezeichnung „Ausländer“ wird oft im Alltagsdiskurs verwendet, wobei nicht auf den politischen Rechtsbegriff verwiesen wird. Vielmehr bezieht es sich auf eine mindere gesellschaftliche Position und ein „diffuses Fremdes“ (Oswald 2007, S. 21). In Bezug auf Integration gilt der Begriff als diskriminierend, hinderlich und ausgrenzend.

Es ist schwierig eine Grenze zwischen den verschiedenen Typen von Migranten zu ziehen. Die oben genannte Definition von „Migration“ soll als Orientierungs- und Hilfspunkt genutzt werden. Demnach sind Personen, die ursprünglich aus einem anderen Land eingewandert sind, Migranten. Bei dieser Definition wird die Staatsangehörigkeit außer Acht gelassen. Der Unterschied zu dem Begriff „Ausländer“ liegt in der Dauerhaftigkeit des Wohnortwechsels: Jemand, der seinen ursprünglichen Wohnsitz für einen Aufenthalt von mehr als einem Jahr wechselt, gilt als Migrant (vgl. Treibel 2008, S. 295).

„Personen mit Migrationshintergrund sind alle nach 1949 in das heutige Gebiet der Bundes- republik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“ (BAMF 2016, o.S.). Dieser Definition ent- sprechend gelten folgende Personengruppen als „Menschen mit Migrationshintergrund“:

- zugewanderte Personen (erste Generation)
- die in Deutschland geborenen Kinder der Zuwanderer (zweite und dritte Generation)
- Deutsche mit Migrationshintergrund, zugewanderte Deutsche (Spätaussiedler)
- Personen mit mindestens einem zugewanderten Elternteil oder einem Elternteil mit ausländischer Staatsangehörigkeit.

Aus Gründen der Lesbarkeit werden die Akteure der vorliegenden Arbeit als „junge Migranten“ bezeichnet, auch wenn dies nicht der korrekten Beschreibung entspricht. Die exakte Beschreibung wäre „Personen mit Migrationshintergrund“.

Verhältnis von Integration und Migration

Integration und Migration stehen in einem engen Zusammenhang zueinander, da beide „konstitutive Merkmale [der] Sozial- und Gesellschaftsstruktur“ (Heckmann 2014, S. 17) von Deutschland sind. Somit stellt die Integration von Migranten eine gesellschaftliche Dauerauf- gabe dar, die sowohl seitens des Staates und der Gesellschaft als auch von den Migranten vorgenommen werden muss. Die „Art und [die] Bedingungen der Migration“ haben einen Ein- fluss auf Integration (Heckmann 2014, S. 21), d.h. unterschiedliche Formen und Arten von Migration haben unterschiedliche Konsequenzen für Integration (Heckmann 2014, S. 23). Die Akteure im Rahmen dieser Arbeit weisen keine Migrationserfahrungen auf, sondern nur einen Migrationshintergrund. Sie haben die Erfahrung der Einwanderung nicht miterlebt, an- ders als ihre Vorfahren. Dementsprechend „betreten [sie] mit unterschiedlichen Vorausset- zungen jeweils unterschiedliche Integrationspfade“ (Heckmann 2014, S. 24).

2.3. Integration und Migration in der Rap-Szene

In den späten 1970-er Jahren in der New Yorker Bronx entwickelte sich Rap als Teil der Hip- Hop-Kultur. Hip-Hop ist eine Kultur und beschreibt, wie sich eine Szene künstlerisch selbst entwickelt und repräsentiert in Form von DJing, Rappen, Breaken und Writing. Bereits in den Anfängen von Hip-Hop zeigt sich eine Mischung von verschiedenen ethnischen Einflüssen. „Puerto-ricanische und afroamerikanische Jugendliche“ (Andersen 2015, S. 2) entwickelten das Breakdancing. Das DJing und Rappen wurden von „der jamaikanischen [und afroameri- kanischen] Kultur“ (ebd.) beeinflusst. In Bezug zur Hip-Hop-Szene in Deutschland, die sich Ende der 1980-er Jahren etablierte, kann ebenfalls ein hoher Anteil von migrantischen „B- Boys und B-Girls“ (Andersen 2015, S. 3) vermerkt werden. Hip-Hop hatte „von Beginn an eine besondere Anziehungskraft“ auf die zweite Gastarbeiter-Generation (Loh 2002, S. 162), da „die Botschaften und Codes der US-Ghettos […] das Lebensgefühl“ (Niemczyk 2007, o.S.) trafen und das Leben der Filmcharaktere ihrem Leben ähnelte. Entscheidender für die Identifikation mit der Rap-Szene waren die Songs von US-Rappern, die folgende Themen aufgriffen: „Leben in Armut, rassistische Ausgrenzung [und] Diskriminierungserfahrungen“ (Andersen 2015, S. 3). Durch Rap können die Betroffenen, unabhängig von ihrer Herkunft, Aussagen tätigen, die nicht in den Medien der Mehrheitsgesellschaft behandelt bzw. ange- sprochen werden (vgl. Verlan 2016, o.S.). Minderheiten, die sonst keine Stimme in der Ge- sellschaft haben, können zu Wort kommen. Dabei ist es wichtig „authentisch und real“ (ebd.) zu bleiben, dementsprechend sind die Rap-Texte „ungeschönt und unverfälscht“ (ebd.). Die- se Art der Verwendung von Stilmitteln ist nötig, um sich innerhalb der Hip-Hop-Szene etablie- ren zu können. Migrantische Rapper rappten auf deutsch und ihrer Muttersprache, um „von ihrem Publikum und ihrer Community verstanden zu werden“ (ebd.). 1991 wurde das Lied „Ahmed Gündüz“ von Fresh Familiy, das die Erfahrungen von türkischen Fabrikarbeitern in Deutschland thematisiert, veröffentlicht (vgl. ebd.). Advanced Chemistry setzten sich mit dem Lied „Fremd im eigenen Land“ mit der „Stigmatisierung von ethnischen Minderheiten“ (vgl. ebd.) auseinander. Nach 25 Jahren schienen solche „soziale oder politische Statements“ nicht förderlich für eine Erfolgsgeschichte im Musikbereich, vielmehr waren „düstere Beats und gezielte Tabubrüche in Texten“ (ebd.) gefragter als der ethnische Hintergrund. „Battle- Phrasen und Gangster-Rap“ weckten das Interesse von Szenegängern (ebd.).

Werden die Anfänge und die Entwicklung der Rap-Szene betrachtet, so lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen Rap und migrantischer Jugendkultur auffinden. Im Rahmen dieser Arbeit ist es entscheidend den Fokus auf folgende Fragen zu legen:

- Inwieweit identifizieren sich die Akteure mit dem Inhalt der Songs?
- Identifizieren sich die Akteure mit den Rappern?
- Wieso hören die Akteure diese Art von Songs?
- Welchen Einfluss hat ihr Migrationshintergrund auf die Identifikation mit der Rap-Sze- ne?

3. Methodische Vorgehensweise

Empirische Untersuchungen setzen voraus, dem Leser eine Untersuchung transparent, d.h. mit welchen Mitteln und auf welchem Wege der Forscher zu seinen Ergebnissen gelangt ist, darzustellen. Daher wird in diesem Kapitel der vorliegenden Arbeit die methodische Vorgehensweise zur Untersuchung, Darstellung und Beantwortung der Forschungsfrage vorgestellt. Insbesondere wird das ausgewählte Forschungsdesign zur Informationsgewinnung begründet dargestellt sowie die einzelnen Arbeitsschritte detailliert erklärt.

3.1. Forschungsdesign

Die Wahl einer eigenen, auf das entsprechende Thema zugeschnittene Methodik ist ein wichtiger Faktor für die Untersuchung eines Forschungsgegenstands. „Das Forschungsde- sign unterscheidet sich nach der Art der Problem- und Gegenstandsbenennung, nach der Schwierigkeit des Feldzugangs und nach der Komplexität der zu prüfenden Hypothesen“ (At- teslander/Cromm 2010, S. 49). Die Qualität der wissenschaftlichen Ergebnisse hängt unmit- telbar von der ausgewählten Herangehensweise ab. Je geeigneter die Methodik für die Un- tersuchung des Forschungsgegenstands, desto besser die Ergebnisse. Das gewählte For- schungsdesign dieser Arbeit ist auf der folgenden Seite grafisch dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Forschungsdesign

Quelle: Eigene Darstellung

3.2. Auswahl der Datenerhebungsmethode

Zu Beginn ist es erforderlich zu erwähnen, dass sich das Thema der Arbeit in zwei Teile glie- dert: zunächst soll die subjektive Sichtweise von Rappern mit Migrationshintergrund erfasst werden, anschließend wird der Fokus auf die Perspektive der Szenegänger gelegt. Grund- sätzlich startete die Arbeit mit der Vorannahme, dass sich die Sichtweisen der Rapper und Szenegänger der Rap-Szene ähneln. Die Gemeinsamkeiten würden sich in den entspre- chenden, repräsentativen Aussagen hervorheben. Nach der Formulierung der Hypothesen muss abgewägt werden, mit welcher Herangehensweise die besten wissenschaftlichen Er- kenntnisse erzielt werden können. Um die Alltagswirklichkeit des Untersuchungsobjektes zu rekonstruieren, stehen verschiedene Methoden der qualitativen Sozialforschung zur Verfü- gung (vgl. Flick 2011, S. 15 ff.). Die subjektive Sichtweise von Rappern mit Migrationshinter- grund aus der Rap-Szene sollen aus Texten, die aus dem Hip-Hop-Genre des Message-Rap stammen, erschlossen werden. Anhand relevanter Textstellen sollen ähnliche oder kontras- tierende Themen zwischen den Rappern aufgezeigt werden, um das Selbstbild von Migran- ten in der Rap-Szene zu entschlüsseln. Die Beleuchtung der Raptexte liefert die Meinungen, Erlebnisse und Erfahrungen von Migranten in der Rap-Szene in Deutschland. Da im zweiten Teil der Untersuchung der verbale Zugang, das Gespräch eine besondere Rolle spielt, wird die Befragung als Methode für die Untersuchung des Forschungsgegenstands ausgewählt. Befragung wird als „Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen“ (Atteslander/Cromm 2010, S. 109) definiert, die „durch verbale Stimuli verbale Reaktionen“ (ebd.) hervorruft. Antworten beziehen sich auf „erlebte und erinnerte soziale Ereignisse [und] stellen Meinungen und Bewertungen dar“ (ebd.). Auf diese Weise kann die subjektive Sicht- weise von Szenegängern aus der Rap-Szene rekonstruiert werden. Für die definierten Zwe- cke dieser Arbeit empfiehlt es sich, das problemzentrierte Leitfaden-Interview als qualitativen Ansatz auszuwählen (vgl. Flick 2011, S. 210). Auf diese Weise können Interaktionen von so- zialen Gruppen durch relativ offene Interviews, die an den Gesprächsverlauf angepasst wer- den können, gedeutet werden (vgl. ebd.). Diese qualitative Methode lenkt den Fokus auf die Handlungs- und Deutungsmuster der Interviewten zu einem bestimmten wahrgenommenen gesellschaftlichen Problem bzw. Thema (vgl. Witzel 1985, S. 230).

3.3. Die Rap-Texte

Um die subjektive Sichtweise von Rappern mit Migrationshintergrund auf Migration und Inte- gration erschließen zu können, werden Rap-Texte herangezogen. Durch die ungezwungene, eigenständige Produktion von Rap-Texten bringen die Szenegänger ihre Identität und indivi- duellen Gesellschaftsbilder zum Ausdruck. Sie erfahren, kommunizieren und reflektieren ihre Situation über die Rap-Texte. Dabei wird Kritik an der Gesellschaft ausgeübt und soziale Missstände beschrieben. Zu Beginn der Suche nach den geeigneten Songtexten stand eine ausführliche Recherche über den Themenkomplex „Raptexte, Migration und Integration“. Dieser Schritt erbrachte einige Texte zur Auswahl. Um die Auswahl einzuschränken, wurde der Fokus auf die Hauptaussagen der jeweiligen Rap-Texte gelegt. Folglich setzte sich jeder Text mit einem anderen gesellschaftlichen Problem aus Sicht eines Migranten auseinander. Je mehr Probleme bzw. Themen beschrieben wurden, desto erkenntnisbringender würde die Analyse werden. Als Konsequenz wurden einige Texte, die sich extrem auf eine einzige The- matik konzentrierten, aus der Auswahl gestrichen. Das Lied „Zwischen zwei Stühlen“ von Main Concept beispielsweise legte den Schwerpunkt inhaltlich auf das Thema „Kulturkonflikt“. Der weitere Schritt bestand in der Überlegung über die Anzahl der zu analy- sierenden Texte. Durch das begrenzte Kontingent an Zeit konnten nicht mehr als zwei Texte zur Analyse herangezogen werden. Zudem würden zwei Texte ausreichen, um einen Ver- gleich anstellen zu können. Wichtig erschien es, zwei Rap-Texte auszuwählen, die in ihrer subjektiven Sichtweise auf Migration und Integration sowohl Gemeinsamkeiten als auch Un- terschiede aufweisen. Nach den oben genannten Kriterien fiel die Wahl auf die Lieder „Wir sind Deutschland“ von Ammar114 und „Ausländer“ von Alpa Gun. Die Auswertung der Rap- Texte erfolgt mit Hinzunahme der Interviews nach der Grounded Theory von Strauss und Glaser. Der Schritt der Auswertung wird im Kapitel 3.5 detailliert ausgeführt und erklärt.

3.4. Das problemzentrierte Leitfaden-Interview

Das Leitfaden-Interview ist eine teilstandardisierte, qualitative Befragung, die durch eine „re- lativ offene Gestaltung der Interviewsituation“ (Flick 2011, S. 194) gekennzeichnet ist. Fragen ohne Antwortalternativen gewährleisten, dass die Interviewten frei reagieren und antworten können. Das problemzentrierte Leitfaden-Interview ist auf eine bestimmte Problemstellung gerichtet, die vom Interviewer während des Gesprächsverlauf mehrfach angeschnitten wird (vgl. Witzel 1985, S. 230). Im Rahmen dieser Arbeit lautet die vom Forscher wahrgenomme- ne Problemstellung: die subjektive Sichtweise von jungen Migranten in der Rap-Szene auf das Verhältnis von Integration und Migration in Deutschland. Durch das Interview können die subjektiven Bedeutungsstrukturen der Interviewten in mündlicher Form wiedergegeben wer- den. Anhand eines Interview-Leitfadens, das die wesentlichen vom Forscher erarbeiteten Aspekte beinhaltet, werden dem Probanden Fragen zu Einstellungen, Meinungen und Ab- sichten gestellt. Der Leitfaden besteht aus Fragestellungen ohne eine bestimmte Reihenfol- ge, so dass diese Fragen an den jeweiligen Gesprächsverlauf angepasst werden können. Hinzu kommt, dass Fragen ohne Antwortalternativen gewährleisten, dass die Interviewten frei reagieren und antworten können. Beide relevanten Kennzeichen von Interview-Leitfaden garantieren eine offene Narration seitens des Interviewten. Der Interviewer hat eine passive Rolle, d.h. er greift nur ein, um das Gespräch problemorientiert zu lenken. Im Rahmen dieser Arbeit erschien es wichtig, eine entspannte, offene Erzählweise herzustellen, um den Ju- gendlichen die Interviewsituation angenehm und locker zu gestalten, so dass sie keine Hem- mungen vor einem Erzählfluss haben. Die Interviews wurden face-to-face durchgeführt, um anhand der Mimik und Gestik erkennen zu können, ob die Interviewten befangen oder unge- hemmt über das Thema sprechen. Für die Durchführung der Interviews wurde ein Leitfaden zu den Themen „Integration, Migration und Rap“ entwickelt, der im folgenden Kapitel vorge- stellt wird.

3.4.1. Leitfadenerstellung

Der Interview-Leitfaden ist eine schriftliche Unterstützung, die dem Interviewer als Orientie- rungsrahmen dient (vgl. Witzel 1985, S. 236). Es ist nicht möglich ein ungezwungenes Inter- view zu führen, wenn der Interviewer in seinen Unterlagen nach einer zusätzlichen Informati- on sucht, die für das Gespräch notwendig ist (vgl. Gläser/Laudel 2010, S. 98 f.). Der Leitfa- den wird bei jedem durchgeführten Interview verwendet, um eine Vergleichbarkeit zwischen den Interviews sicherzustellen. Der Leitfaden wird in Anlehnung an Helfferichs vorgeschlage- nen SPSS-Prinzip erstellt. Das SPSS-Prinzip besteht aus vier aufeinander folgenden Arbeits- schritten: 1) Sammeln, 2) Prüfen, 3) Sortieren und 4) Subsumieren (vgl. Helfferich 2009, S. 180 ff.).

Der erste Schritt besteht im Sammeln von Fragen, „die im Zusammenhang mit dem For- schungsgegenstand von Interesse“ (ebd.) sein können. Die genaue Formulierung und die Relevanz der Fragen für das spätere Interview sind dabei nebensächlich, vielmehr gilt es „möglichst viele Fragen“ (ebd.) zusammenzutragen. Dabei können Fragen, die an den For- scher selbst gerichtet sind, als Hilfestellungen dienen: „Was möchte ich eigentlich wissen? Was interessiert mich?“ (ebd.). Die Frageliste in der vorliegenden Arbeit beinhaltete etwa 35 Fragen, die in unterschiedlichster Art und Weise in einem Zusammenhang zu den Themen „Rap“, „Integration“ und „Migration“ standen, wie z.B.: „Bedeutung des Inhalts?“, „Identifikati- on mit den Rappern?“, „Was bedeutet Integration?“, „Selbstbild: Migrant oder Deutscher?“.

Im zweiten Schritt werden die zahlreichen Fragen auf ihre Brauchbarkeit gepr ü ft, so dass die Liste „drastisch reduziert und strukturiert“ (ebd.) wird. Die Fragen werden unter den Aspekten des Vorwissens zur Thematik und der Offenheit durchgearbeitet (vgl. ebd.), so dass am Ende „nur die wirklich wichtigen und brauchbaren Fragen übrig bleiben“ (ebd.). Helfferich empfiehlt fünf Prüffragen, die bei der Bearbeitung der Liste helfen sollen. Diese Prüffragen sollen anhand von Beispielen erläutert werden.

Durch die erste Prüffrage werden jegliche Fakten- und Informationsfragen, die durch den Er- zählfluss des Interviewten oder in einem anderen Zusammenhang beantwortet werden kön- nen, beseitigt. Fragen, wie z.B. „Welchen Migrationshintergrund hast du?“ oder „Wurdest du wegen deinem Migrationshintergrund beleidigt?“, fielen weg. Die zweite Prüffrage prüft, ob sich die Fragen für die Erzeugung von „offenen Antworten oder Erzählungen“ (ebd.) eignen. Bei diesem Schritt der Überprüfung fiel auf, dass die Liste viele Entscheidungsfragen, wie z.B. „Lebst du gerne in Deutschland?“, enthielt. Im dritten Schritt werden Fragen, die nur vor- handenes Vorwissen bestätigen, eliminiert. Der Forscher streicht Fragen, deren Antworten bereits vorliegen. Die vierte Prüfungsfrage wirft Fragen, deren Beantwortung durch den Inter- viewpartner nicht zu erwarten sind, aus der Liste. Damit fielen komplizierte, schwierig zu be- antwortende Fragen, wie z.B. „Kannst Du die Begriffe Integration und Migration erklären?“, raus. Durch die letzte Prüfungsfrage werden Fragen, die sich auf abstrakte, theoretische Zu- sammenhänge über den Forschungsgegenstand beziehen, aus der Liste gestrichen, wie etwa „Kannst du den Zusammenhang von Migration und Integration erklären?“. Am Ende der Prüfung fielen etwa die Hälfte der Fragen aus der ersten Sammlung weg, d.h. Fragen wur - den gestrichen, umformuliert oder stichpunktartig aufgehoben.

Der dritte Schritt des SPSS-Prinzip dient der Sortierung der „verbliebenen Fragen und Stichworte“ (ebd.). Es kann nach einer zeitlichen Abfolge oder nach inhaltlichen Aspekten sortiert werden (vgl. ebd.). Bei der Sortierung des Leitfadens der vorliegenden Arbeit wurden beide Vorschläge kombiniert, so dass sieben thematische Bündel entstanden sind:

1. Bezug zu Rap-Texten
2. Bezug zu Eltern
3. Freizeit
4. Diskriminierungserfahrungen
5. Bezug zum Leben in Deutschland/ Bezug zur Herkunft und Heimat
6. Bezug zum Lied „Wir sind Ausländer“ von Alpa Gun
7. Integration

In einem vierten Schritt „ Subsumieren “ erhält der Leitfaden „seine besondere Form“ (ebd.). Dafür werden die Fragebündel zu einer Erzählaufforderung, die die Einzelaspekte des Fra- gebündels in sich subsumiert, zusammengefasst. Es ist wichtig, dass die gewählte Frage für das jeweilige Themenbündel einen Erzählfluss anregt, so dass die relevanten Informationen vom Interviewten ohne Fremdeinwirkung angesprochen werden. Die restlichen Fragen, die sich in der Frageliste befinden, werden dem entsprechenden Themenbündel in Form von Stichworten untergeordnet. Diese stichpunktartigen Formulierungen dienen dem Interviewer „als „Memos“ für mögliche Nachfragen und „Check-Liste der Überprüfung“ (ebd.). Nach dem vierten Arbeitsschritt bestand der Leitfaden aus 28 Fragen zum Forschungsgegenstand. Der für die vorliegende Arbeit verwendete Leitfaden befindet sich im Anhang unter Anlage 1.

3.4.2. Auswahl, Beschreibung und Kontaktaufnahme der Untersuchungsgruppe

Aufgrund des begrenzten Zeitkontingents für die Anfertigung der Arbeit mussten Überlegun- gen darüber gemacht werden, mit welchen und mit wie vielen Personen Interviews zum For- schungsgegenstand geführt werden soltlen. Die Entscheidung für eine bestimmte Fallaus- wahl zur Untersuchung des Forschungsgegenstands sollte bewusst getroffen werden, da sie „gravierende theoretische und forschungspraktische Konsequenzen“ (Gläser/Lauder 2010, S. 116) für die Arbeit hat. Im Folgenden soll die Auswahl, Beschreibung und Kontaktaufnahme mit den Interviewpartnern begründet dargelegt werden.

Der vorgegebene Zeitrahmen legt bereits fest, dass die Anzahl an potentiellen Akteuren, mit denen Interviews geführt werden können, begrenzt werden muss. Hier ist noch zu erwähnen, dass Interviews mit Rappern mit Migrationshintergrund für das Forschungsinteresse erkennt- nisbringend gewesen wären, da ihre Perspektive hinsichtlich des Forschungsgegenstands nicht nur aus ihren Rap-Texten hätte erschlossen werden können. Im Rahmen dieser Arbeit haben sich allerdings nur Interviews mit Szenegängern aus der Rap-Szene ergeben. Für die definierten Zwecke dieser Arbeit sollten die potentiellen Akteure folgende Voraussetzungen erfüllen:

- sind Jugendliche;
- haben einen Migrationshintergrund;
- sind Migranten der zweiten oder dritten Generation;
- hören Rap.

Insgesamt sollten drei Interviews, die sich über 20 - 30 Minuten erstrecken würden, durchge- führt werden. Drei Interviews würden genügend Datenmaterial zum Vergleichen liefern. Die größte Schwierigkeit ergab sich bei der Suche potentieller Interviewpartner. Die Suche er- folgte zunächst über das soziale Netzwerk „Facebook“, da der Rapper Alpa Gun in der Such- funktion zu finden war. Der Rapper Alpa Gun hat zahlreiche Fotos und Videos online gestellt, die von seinen Fans kommentiert wurden. Dabei wurde nach Personen, deren Namen auf einen Migrationshintergrund deuteten, gesucht. Die meisten Kommentare unter den Fotos und Videos stammten von Personen, deren Namen keine Ähnlichkeit mit deutschen, gängi- gen Namen aufwiesen. „Facebook“ enthält die Funktion, aktive Personen in diesem sozialen Netzwerk mit einer Nachricht anzuschreiben. Demzufolge wurden bis zu 20 Personen, die den oben genannten Kriterien entsprachen, kontaktiert. Mehr als die Hälfte hat nicht geant- wortet, einige willigten einem Videointerview nicht ein und der Rest nahm den Kontakt nach einer zugesagten Einwilligung nicht mehr auf. Aufgrund der misslungenen Kontaktaufnahme mit potentiellen Akteuren im sozialen Netzwerk „Facebook“ musste die Suche auf eine ande- re Weise erfolgen. Dementsprechend hielt der Forscher Ausschau nach Akteuren im persön- lichen Lebensumfeld. Kurz darauf wurde ein junger Migrant aus der nahen Umgebung, der für seine Vorliebe für Rap bekannt ist, kontaktiert. Diese zu interviewende Person ermöglich- te die Kontaktaufnahme zu weiteren potentiellen Akteuren, so dass am Ende drei Interviewsi- tuationen zustande kamen. Die Kontaktaufnahme mit den ausgewählten Interviewpartnern fand parallel zur Erstellung des Leitfadens statt. Die Interviewten werden nach ihrer zeitli- chen Abfolge aufgelistet:

1. Erdem S.; 16 Jahre alt; 10. Klasse Leibniz Gymnasium in Gelsenkirchen
2. Can Ö; 17 Jahre alt; Ausbildung zum Kaufmann für Verkehrsservice bei der Deut- schen Bahn
3. Sinan D.; 16 Jahre alt; 11. Klasse Leibniz Gymnasium in Gelsenkirchen

An der Fallauswahl ist zu bemängeln, dass alle Interviewten männlich sind und sich im selben Alter befinden. Zudem kennen sich die Interviewten untereinander und sind eng befreundet. Die drei jungen Migranten haben einen türkischen Migrationshintergrund und gehören zum Kreis der dritten Generation. Can Ö. ist der einzige Befragte mit nur einem ausländischen Elternteil. Alle Befragten sind in Gelsenkirchen aufgewachsen und leben bei ihren Eltern. Ihr Alter und ihre schulische/berufliche Situation wurden bereits erwähnt. Nach einzelnen Vorgesprächen erklärten sich die Betroffenen für die Interviews bereit, deren Durchführung im Folgenden dargelegt werden soll.

3.4.3. Durchführung der Interviews

Aufgrund des begrenzten Zeitkontingents und Mangels an potentiellen Interviewpartnern, konnte der fertiggestellte Leitfaden in Pretests nicht erprobt werden. Dabei wäre es vorteilhaft gewesen, die Eignung und Praktikabilität des Leitfadens zu testen, um Schwachstellen zu erkennen und diese dementsprechend zu modifizieren.

Die drei Interviews wurden zwischen dem 04.07.2016 und dem 11.07.2016 in Gelsenkirchen durchgeführt. Die vereinbarten Termine wurden von allen Befragten wahrgenommen. Die Wahl des Befragungsortes wählten die Informanten selbst, um eine relativ vertraute Atmo- sphäre gewährleisten zu können. Demzufolge fand die Durchführung der Interviews in einer ihnen bekannten Umgebung statt: Die jungen Migranten wählten ihre eigenen Räumlichkei- ten. Um Störfaktoren seitens der Familienmitglieder, die sich zum Zeitpunkt der Befragung ebenfalls in der Wohnung befanden, auszuschließen, wurden diese über die bevorstehende Durchführung unterrichtet. Die Gesprächsdauer der Interviews lag zwischen 20 und 25 Minu- ten. Hier ist zu erwähnen, dass zu Beginn der Untersuchung angenommen wurde, die Inter- views würden mindestens 30 Minuten dauern. Die kurze Gesprächsdauer lässt sich auf die oberflächlichen Antworten der Interviewpartner zurückführen. Die Interviews wurden, nach- dem das Einverständnis der Interviewpartner eingeholt wurde, mit einer Diktier-Applikation auf dem Smartphone mit dem Namen „Sprachmemos“ aufgezeichnet. Zusätzlich sollten stichpunktartig Notizen während des Gesprächsverlauf gemacht werden. Diese Aufgabe er- wies sich jedoch als schwierig, da die Konzentration des Interviewers auf dem Gespräch lag. Zudem schien es die Interviewten einzuschüchtern, sobald der Interviewer mitschreiben woll- te.

Zu Beginn der Interviews wurde den Befragten zugesichert, dass die aufgezeichneten Daten vertraulich, anonym und wissenschaftlich behandelt werden. Zudem wurden ihnen die The- matik der Arbeit und der ungefähre zeitliche Umfang des Gesprächs vorgestellt. Die Einver- ständnis der Gesprächspartner für die digitale Aufzeichnung wurde während dieser Einlei- tung eingeholt, so dass dieser Teil des Interviews nicht aufgezeichnet werden konnte. Die einzige, problematische Schwierigkeit, die sich während des Gesprächsverlaufs ergab, war die Antworten der Befragten. Die Befragten gingen bei ihren Antworten nicht auf Einzelheiten ein, ließen Details aus und fassten sich kurz und oberflächlich. Folglich musste der Interview- er nachfragen, nach Konkretisierungen fordern und Beispiele für Denkanstöße geben. Den- noch ist es dem Interviewer gelungen, die Gespräche auf das Forschungsinteresse zu len- ken und aussagekräftige, relevante Informationen zu erlangen. Demnach können die Inter- views als erkenntnisbringend und vielversprechend beurteilt werden.

3.4.4. Die Transkription

Die Transkription der Interviews ist eine notwendige Voraussetzung für die wissenschaftliche Auswertung. Der Arbeitsschritt der Transkription ist unerlässlich, da somit die Daten aus den Interviews in schriftlicher Form zugänglich gemacht werden können. Die Interviews wurden mithilfe der Software „MaxQDA 12“ in Transkripte überführt. „Eine zu genaue Transkription von Daten [kostet viel] Zeit und Energie, die sich sinnvoller in die […] Interpretation stecken“ (Flick , 2011 S. 253) lassen, so dass auf eine phonetische Schrift verzichtet wurde. Für die definierten Zwecke dieser Arbeit bedarf es keiner intensiven, genauen Transkription, so dass die Transkriptionsregeln relativ offen gehalten wurden. Dementsprechend wird die Technik der literarischen Umschrift, „die den Dialekt mit unserem gebräuchlichem Dialekt wiedergibt“ (Mayring 2002, S. 89), angewendet. Dabei werden sprachliche Eigenheiten wie Elisionen, Assimilationen, Gesprächspausen, Fülllaute und Wortabbrüche verschriftlicht. Diese Technik der Transkription wurde angewandt, um die Authentizität und Sinnhaftigkeit der Aussagen der Gesprächspartner nachzubilden. Um die Lesbarkeit des Textes zu erhöhen, wurde der Text des Interviewers durch Kursivsetzung abgesetzt. Folgende Regeln wurden bei der Tran- skription beachtet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.5. Auswertungsverfahren - die Grounded Theory

Der wichtigste Schritt zur Beantwortung der Forschungsfrage ist die zielgerichtete Auswer- tung des Datenmaterials. Im Rahmen dieser Arbeit erschien es wichtig, eine Auswertungs- technik anzuwenden, die nicht eine bereits vorhandene Theorie überprüft oder modifiziert, sondern eine Theoriebildung anstrebt. Das Ziel dieser Arbeit ist es, eine Theorie über einen bestimmten Gegenstandsbereich zu formulieren: das Verhältnis von Migration und Integrati- on in der Rap-Szene aus Sicht junger Migranten. „Am Anfang steht nicht eine Theorie, die anschließend bewiesen werden soll. Am Anfang steht vielmehr ein Untersuchungsbereich - was in diesem Bereich relevant ist, wird sich erst im Forschungsprozess herausstellen“ (Strauss/Corbin 1996, S. 8). Diesem Zitat entsprechend wird als Methode für die Auswertung der erhobenen Materialien die Grounded Theory, die in den 1960ern von Barney Glaser und Anselm Strauss in den USA entwickelt wurde, in Betracht gezogen. Die Grounded Theory wird als gegenstandsverankerte Theorienbildung übersetzt, die ein bestimmtes soziales Phä- nomen in all seinen Auswirkungen untersucht, erfasst und generiert. Der Forschungsprozess bei der Grounded Theory vollzieht sich nicht linear, vielmehr ist ein zyklischer Ablauf vorge- sehen. Das bedeutet, dass die Arbeitsschritte der Datenerhebung und -analyse in einer Wechselwirkung mit der entstehenden Theorie stehen (vgl. ebd.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
„Wir sind Deutschland“?! Eine Grounded Theory zum Verhältnis von Migration und Integration in der Rap-Szene
Hochschule
Technische Universität Dortmund
Autor
Jahr
2016
Seiten
88
Katalognummer
V355661
ISBN (eBook)
9783668424234
ISBN (Buch)
9783668424241
Dateigröße
6091 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
deutschland, eine, grounded, theory, verhältnis, migration, integration, rap-szene
Arbeit zitieren
Asya Yardim (Autor:in), 2016, „Wir sind Deutschland“?! Eine Grounded Theory zum Verhältnis von Migration und Integration in der Rap-Szene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/355661

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