Grundrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Elementarwissen für das Sicherheitsgewerbe

Basiswerk Recht Heft 2


Skript, 2017

49 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Die Grundrechte - ein wesentlicher Bestandteil der Verfassung
-1.1 Geschichtliche Entwicklung
-1.2 Was ist eine Verfassung?
-1.3 Was sind Grundrechte?
1.3.1 Definition
1.3.2 Fundort der Grundrechte
-1.4 Bedeutung der Grundrechte für die Rechtsordnung
1.4.1 Unmittelbar geltendes Recht
1.4.2 Höherrangiges Recht
-1.5 Drei verschiedene Arten von Grundrechten
1.5.1 Freiheitsrechte (Art. 1 - 2, 4 - 6, 8 - 14 und 16)
1.5.2 Gleichheitsrechte (Art. 3, 6, 33 und 38)
1.5.3 Verfahrensrechte (Art. 19, 101 und 103)
-1.6 Die Doppelfunktion der Grundrechte
1.6.1 Aus der Sicht des Bürgers
1.6.2 Aus der Sicht des Staates
-1.7 Die Grenzen der Grundrechte
-1.8 Die Drittwirkung der Grundrechte
1.8.1 Problembeschreibung
1.8.2 Bedeutung für die Berufspraxis privater Sicherheitsdienste

2. Kurzkommentierung ausgewählter Grundrechte
-2.1 Art. 1 [Schutz der Menschenwürde]
-2.2 Die Freiheitsrechte des Art. 2
2.2.1 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht
2.2.2 Das Recht zur allgemeinen Handlungsfreiheit
2.2.3 Das Recht auf Leben
2.2.4 Körperliche Unversehrtheit
2.2.5 Freiheit der Person
-2.3 Die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4
2.3.1 Die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit im engeren Sinne - Art. 4 Abs. 1
2.3.2 Die Freiheit der Religionsausübung - Art. 4 Abs. 2
2.3.3 Die Gewissensfreiheit - Art. 4 Abs. 1
2.3.4 Die Kriegsdienstverweigerung - Art. 4 Abs. 3
-2.4 Meinungs- und Pressefreiheit; Freiheit der Kunst und der Wissenschaft - Art. 5
2.4.1 Allgemeines
2.4.2 Einzelbegriffe und -rechte
2.4.3 Konsequenzen des Art. 5 für die Tätigkeit des Sicherheitsgewerbes
-2.5 Ehe, Familie, nicht eheliche Kinder, Schulwesen - Artikel 6 und 7
-2.6 Versammlungsfreiheit - Artikel 8
-2.7 Vereinigungsfreiheit - Artikel 9
2.7.1 Überblick
2.7.2 Auswirkungen
-2.8 Wahrung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses
2.8.1 Briefgeheimnis
2.8.2 Postgeheimnis
2.8.3 Telekommunikationsgeheimnis
2.8.4 Auswirkungen auf die Berufspraxis
2.8.5 Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis
-2.9 Freizügigkeit, Freiheit der Berufswahl, Wehrpflicht, Artikel 11 - 12a
-2.10 Die Unverletzlichkeit der Wohnung - Artikel 13
2.10.1 Schutzbereich des Art. 13
2.10.2 Eingriffsarten
2.10.3 Eingriffsanlässe
2.10.4 Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume
-2.11 Eigentum, Erbrecht und Enteignung - Artikel 14
-2.12 Die Gleichheitsrechte
2.12.1 Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1
2.12.2 Die speziellen Gleichheitssätze
2.12.3 Praktische Schlussfolgerungen für das private Sicherheitsgewerbe
-2.13 Sozialisierung, Ausbürgerung, Auslieferung, Asylrecht, Petitionsrecht, Wehr- und Ersatzdienst, Verwirkung von Grundrechten, Verfahrensrechte, Artikel 15 - 19, 101 und 103
-2.14 Das Sicherheitsgewerbe und die Einschränkbarkeit der Grundrechte

3. Kontrollfragen

Über diese Reihe

Verzeichnis der einzelnen Hefte

Heft 1: Einführung in das Recht der Bundesrepublik Deutschland

Heft 2: Grundrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Heft 3: Die rechtliche Stellung des Securitymitarbeiters im Unternehmen

Heft 4: Öffentliches Recht
- Die Aufgaben der Polizei- und Ordnungsbehörden sowie der Staatsanwaltschaft in Abgrenzung zu denen privater Sicherheitsdienste
- Die Unterscheidung des Privatrechts vom öffentlichen Recht und ihre Bedeutung für das Sicherheitsgewerbe

Heft 5: Grundbegriffe des bürgerlichen Rechts - BGB
- Besitz und Eigentum, privatrechtliche Schutz- und Abwehrrechte
- Haftung für unerlaubte Handlungen

Heft 6: Strafrecht - Allgemeiner Teil
- Teil I Einführung in das Strafrecht
- Teil II Die Voraussetzungen der Straftat

Heft 7: Strafrecht - Allgemeiner Teil
- Teil III Die Entwicklungsstadien der Straftat
- Teil IV Täterschaft und Teilnahme

Heft 8: Strafrecht - Allgemeiner Teil
- Teil V Strafbarkeit bei unechten Unterlassungsdelikten sowie beim Handeln für einen anderen
- Teil VI Die Rechtfertigungsgründe Notwehr, Notstand und vorläufige Festnahme

Heft 9: Strafrecht - Besonderer Teil - Teil I
- Hausfriedensbruch - §§ 123, 124 StGB
- Amtsanmaßung § 132 StGB
- Nichtanzeige einer geplanten Straftat - §§ 138 f. StGB
- Missbrauch von Notrufen pp. - § 145 StGB

Heft 10: Strafrecht - Besonderer Teil - Teil II
- Beleidigungsdelikte - §§ 185 ff. StGB
- Körperverletzungsdelikte - §§ 223 - 233 StGB

Heft 11: Strafrecht - Besonderer Teil - Teil III
- Diebstahl und Unterschlagung - §§ 242 - 248b StGB
- Betrug und Urkundenfälschung - §§ 263, 267 StGB
- Nötigung - § 240 StGB
- Raub und Erpressung - §§ 249 - 255 StGB

Heft 12: Strafrecht Besonderer Teil - Teil IV
- Brand- und Explosionsdelikte §§ 306 ff. StGB

Heft 13: Anmerkungen zum Strafverfahrensrecht

Heft 14: Die dreigeteilte Staatsgewalt im Rechtsstaat
Gesetzgebung - Rechtsprechung - Vollziehende Gewalt
Behörden - „Sicherheitsbehörden“

Vorwort

Jeder Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsunternehmens muss sich mit dem Wertesystem der Bundesrepublik Deutschland eingehend vertraut machen. Dazu gehört es, Grundkenntnisse über die Grundrechte unseres Landes zu erwerben.

Die hier aufbereiteten Informationen berücksichtigen alle für das private Sicherheitsgewerbe relevanten Grundrechte. Kenntnisse über diese Auswahl von Grundrechten müssen bei jedem „Security“ vorausgesetzt werden können, weil gerade diese Artikel für das Sicherheitsgewerbe von besonderer, z.T. „maßgeblicher“ Bedeutung sind.

Die Darlegungen verzichten auf umfassende Kommentierungen und erheben auch nicht den Anspruch, die vielfältigen Standpunkte zu den verschiedenen Rechtsfragen einzelner Grundrechtsartikel auch nur überblickhaft darzustellen. Sie beschränken sich ganz bewusst auf schlaglichtartige Aussagen, die Gehalt und Bedeutung einzelner Grundrechte grob umreißen und für die es in Rechtsprechung und Rechtslehre einen breiten Konsens gibt. Zahlreiche Hinweise auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes belegen die Praxisorientiertheit des Lehrstoffes.

Ziel dieses Lehrheftes ist es, dem Berufseinsteiger Einblick in und Verständnis für das Wertesystem zu verschaffen, das der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zugrunde liegt. Ihm sollen Wertmaßstäbe nahe gebracht werden, die auch auf das Verhältnis der Bürger untereinander ausstrahlen bzw. durchschlagen. Die Beschäftigten des Sicherheitsgewerbes müssen in die Lage versetzt werden, auch in den kritischen Momenten ihrer Berufstätigkeit die Rechtsposition ihres Gegenübers zutreffend beurteilen zu können. Dazu ist die Aneignung von Grundrechtswissen ein Einstieg, der den Zugang zu den anderen dafür einschlägigen Rechtsmaterien deutlich erleichtert: Gefahrenabwehrrecht, Bürgerliches Recht, Straf- und Strafprozessrecht.

Berlin, im Februar 2017

Ulf Erik Finkewitz

1. Die Grundrechte - ein wesentlicher Bestandteil der Verfassung

1.1 Geschichtliche Entwicklung

Es gibt sie noch nicht lange. Diese Aussage gilt z.B. für die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns öffentlich in Frage stellen zu dürfen.

Auch das Recht, ungesetzlichen Eingriffen des Staates und seiner Einrichtungen selbstbewusst entgegenzutreten und die realistische Chance, sie letztlich erfolgreich abwehren zu können ist noch relativ jung. Dabei ist nicht nur an die ehemalige DDR zu denken.

Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein gab es im deutschsprachigen Raum den Absolutismus. Absolutismus ist eine Regierungsform mit einem nahezu allmächtigen Herrscher.

In seinen Händen liegen alle drei Staatsgewalten, nämlich die gesetzgebende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt. Eine (echte) Kontrolle des Regierenden und seiner Beauftragten findet weder durch Parlamente, noch durch Gerichte statt.

Absolutismus bedeutete, dass der regierende Monarch seine Untertanen in praktisch allen Lebensbereichen bevormunden und alle seine Anordnungen mit Zwang und Strafe durchsetzen konnte.

Die Staatsgewalt brauchte sich nicht zu rechtfertigen und war an keine Verfassung oder parlamentarische Gesetzgebung gebunden. Für die Träger der Staatsgewalt gab es keine bürgerlichen Rechte und Freiheiten, die sie berücksichtigen mussten. Sie unterlagen auch keiner gerichtlichen Kontrolle.

Revolutionen und erstarkende Reformbestrebungen erschütterten schließlich diese absolute Herrschaft.

Dennoch brauchte es noch eine lange Zeit, bis der allmächtigen Staatsgewalt durch die Einführung einer Verfassung Grenzen gesetzt und bürgerliche Rechte und Freiheiten in einem Gesetzeswerk festgeschrieben und garantiert waren:

- 1848/49 entwickelte die verfassunggebende Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche einen Grundrechtskatalog und eine Deutsche Reichsverfassung, die jedoch u.a. am Einspruch des preußischen Königs scheiterte und deshalb nie verbindlich wurde.
- Die erste wirksame Verfassung trat am 16.04.1871 nach dem Deutsch-Französischen Krieg in Kraft (Reichsverfassung von 1871). Sie enthielt keinen Grundrechtskatalog. Staatsoberhaupt des aus 25 Einzelstaaten bestehenden Deutschen Reichs war der Deutsche Kaiser, Regierungschef der vom Kaiser eingesetzte Reichskanzler.
- Nach dem Ende des ersten Weltkrieges und dem Untergang des Kaiserreiches wurde 1919 von der vom Volke gewählten Weimarer Nationalversammlung die Weimarer Reichsverfassung beschlossen. Deutschland wurde so erstmals eine parlamentarische Demokratie. Die in der Verfassung beschriebenen Grundrechte waren als Auftrag an den Gesetzgeber und nicht als unmittelbar dem Bürger zustehende Rechte gestaltet.
- Am 24.05.1949 trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Die Bezeichnung „Grundgesetz“ (statt „Verfassung“) sollte dieses Gesetz als ein Provisorium kennzeichnen: Eine Verfassung sollte erst nach einer Wiedervereinigung und dann im Einverständnis aller Deutschen geschaffen werden; an ihr wird derzeit noch immer gearbeitet.

Diese geschichtliche Betrachtung gibt einen Hinweis darauf, dass Verfassung und „Grundrechte“ offenbar eine Einheit bilden und deshalb zusammengehören. Der Frage, warum das so ist, soll hier noch weiter nachgegangen werden. Dabei ist zunächst zu untersuchen:

1.2 Was ist eine Verfassung?

Eine Verfassung regelt die rechtliche und politische Grundordnung eines Staates. In ihr sind alle Vorschriften zusammengefasst, die die Staatsform, die Einrichtung und Aufgaben der obersten Staatsorgane, die Grundsätze des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens und die Rechtsstellung seiner Bürger festlegen.

An der Verfassung haben sich alle anderen Rechtsregeln zu orientieren. Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen, die mit der Verfassung nicht im Einklang stehen, sind nichtig.

Die nächste wichtige Frage lautet:

1.3 Was sind Grundrechte?

Die hier angebotene Antwort darauf verzichtet weit gehend auf rechtstheoretische Erörterungen.

Sie beschränkt sich auf die Vermittlung solcher Fakten, die im Umgang mit den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung sind. Diese Absicht schließt es nicht aus, dennoch einen umfassenden Grundrechtsbegriff zu vermitteln.

1.3.1 Definition

Die hier verwendete Definition der Rechtspraxis orientiert sich am Inhalt einer Vorschrift und nicht an ihrem Standort innerhalb der einzelnen Grundgesetzabschnitte.

Der Praktiker betrachtet als „Grundrechte“ alle die Vorschriften der Verfassung, die das Verhältnis des einzelnen Menschen zum Staat in einer für beide Teile verbindlichen Weise bestimmen.

1.3.2 Fundort der Grundrechte

Von dem Grundrechtsverständnis erfasst sind alle die Artikel, die Formulierungen enthalten wie

- „Jeder hat das Recht zu ...“

(z.B. Art. 2 Abs. 2 Satz 1; Art. 5 Abs. 1 Satz 1; Art. 8 Abs. 1),

- „... wird gewährleistet“

(z.B. Art. 4 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1),

- „... ist unverletzlich“

(z.B. Art. 2 Abs. 2 Satz 2; Art. 10 Abs. 1; Art. 13 Abs. 1)

oder die der staatlichen Gewalt durch Verbote Grenzen setzen. Beispiele dafür enthalten Art. 101 Abs. 1 und Art 103 Abs. 2 und 3.

Aus der hier verwendeten Praxisdefinition ergibt sich eine erste wichtige Feststellung:

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind Grundrechte auch außerhalb des Abschnitts 1 (Artikel 1- 19 GG) niedergeschrieben.

Das Grundgesetz selbst spricht im Art. 93 Abs. 1 Ziffer 4a die weiteren (Grund-)Rechte an: Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104.

1.4 Bedeutung der Grundrechte für die Rechtsordnung

1.4.1 Unmittelbar geltendes Recht

Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht (Art. 1 Abs. 3). Alle staatlichen Einrichtungen haben ihr Handeln an den Rechtmäßigkeitsmaßstäben dieser Vorschriften zu überprüfen und auszurichten.

Das ist der wesentliche Unterschied zu programmatischen Aussagen, Absichtserklärungen und Staatszielen, wie sie sich auch in einer Verfassung widerspiegeln können.

Diese in die Grundordnung eingebrachten oder einzubringenden „Vorhaben“ (z.B. Umweltschutz, Datenschutz u.a.) begründen nämlich noch keine individuellen Ansprüche und auch keine konkreten Gebote oder Verbote.

1.4.2 Höherrangiges Recht

Art. 1 Abs. 3 bestimmt Grundrechte und auch das übrige Verfassungsrecht zu höherrangigem Recht:

Das Verfassungsrecht setzt die „Eckwerte“ einer Rechtsordnung, d.h. alle Gesetze müssen den Bestimmungen und Grundsätzen der Verfassung entsprechen.

Diese Höherrangigkeit bewirkt jedoch nicht die Aufhebung eines anderen Prinzips der Rechtsanwendung:

Ein Sachverhalt ist stets nach dem spezielleren Gesetz zu entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn dem Spezialgesetz eine Bestimmung der Verfassung gegenübersteht. Dieses Prinzip nennt man den Vorrang des Spezialgesetzes.

Beispiel: Art. 14 Abs. 1 Satz 1 garantiert das Eigentum und das Erbrecht. Eigentums- und Erbrechtsstreitigkeiten werden jedoch nicht nach dem Grundgesetz, sondern nach den Vorschriften des BGB entschieden, weil das BGB, ein Gesetz ohne Verfassungsrang, das speziellere Gesetz ist.

Die Höherrangigkeit hat aber eine andere Folge:

Ist ein Sachverhalt anhand eines einfachen, speziellen Gesetzes zu entscheiden und muss der zumeist sehr abstrakt formulierte Gesetzestext zur Entscheidungsfindung erst ausgelegt werden, dann bilden die Grundrechte das „Zünglein an der Waage“:

Unter mehreren möglichen Auslegungen eines Gesetzes dürfen nur die Auslegungen berücksichtigt werden, die mit dem jeweils betroffenen Grundrecht im Einklang stehen.

Dieses Prinzip nennt man den Geltungsvorrang der Grundrechte.

1.5 Drei verschiedene Arten von Grundrechten

Nach der Standortbestimmung der Grundrechte innerhalb der Rechtsordnung geht es jetzt um die Art der Rechte, die von den Grundrechtsbestimmungen eingerichtet werden.

Hier sind zu unterscheiden:

1.5.1 Freiheitsrechte (Art. 1 - 2, 4 - 6, 8 - 14 und 16)

Freiheitsrechte gestehen dem einzelnen - in den beschriebenen Grenzen (!) - eine geschützte Sphäre zu.

Innerhalb dieses zugestandenen „Freiraumes“ kann jeder Mensch nach eigener freier Entscheidung und selbstbestimmt handeln.

Daneben legen Freiheitsrechte fest, welche Rechtsgüter des einzelnen Menschen durch staatliches Handeln keinesfalls verletzt werden dürfen.

So ist z.B. jede Verletzung der Menschenwürde verboten. Konkret bedeutet dies u.a. ein Verbot von Folter oder unmenschlichen Haftbedingungen.

Schließlich definieren sie Rechte, die jeder Grundrechtsinhaber auch ausüben und geltend machen darf.

1.5.2 Gleichheitsrechte (Art. 3, 6, 33 und 38)

Die Gleichheitsrechte verbieten es dem Staat und seinen Einrichtungen, im Verhältnis des einzelnen Menschen zu seinen Mitmenschen Gleiches ohne sachliche Rechtfertigung ungleich und wesentlich Ungleiches ohne sachliche Rechtfertigung gleich zu behandeln.

1.5.3 Verfahrensrechte (Art. 19, 101 und 103)

Verfahrensrechte geben die Rechtsbehelfe, also die „Waffen“ an die Hand, mit denen der Einzelne die ihm zugestandenen Rechte gegenüber dem Staat auch durchsetzen kann. Sie regeln auch die Art und Weise, wie diese Abwehrverfahren, z.B. vor Gericht, vonstatten gehen.

1.6 Die Doppelfunktion der Grundrechte

Das bisher erworbene Wissen erleichtert es jetzt zu verstehen, dass den Grundrechten innerhalb der Rechtsordnung eine Doppelfunktion zukommt:

1.6.1 Aus der Sicht des Bürgers

Aus der Sicht des Bürgers richten Grundrechte Zusicherungen ein, die die Handlungsmöglichkeiten, aber auch die -pflichten des Staates im Verhältnis zu seinen Bürgern definieren, begrenzen und sie im Übrigen berechenbar und überschaubar werden lassen.

Aus diesen Zusicherungen können ganz konkrete Ansprüche entstehen, die der einzelne Bürger gegenüber dem Staat auch einklagen kann, denn Grundrechte sind

1.6.1.1 Abwehrrechte

Abwehrrechte gestatten es, ungesetzliche Eingriffe des Staates zurückzuweisen bzw. den Staat dazu zu verpflichten, solche Eingriffe zu unterlassen und/oder deren Folgen zu beseitigen.

1.6.1.2 Leistungsrechte

Leistungsrechte zielen

- auf die Erfüllung staatlicher Schutzpflichten (Schutz vor Grundrechtsverletzungen) und
- auf die Gewährung von Teilhabe.

Beispiel: Der Staat darf ohne sachlichen Grund niemandem z.B. die Teilnahme am motorisierten Wassersport verbieten.

Die Behörden dürfen dazu zwar den Erwerb eines Führerscheines verlangen und dessen Ausstellung davon abhängig machen, dass der Interessent keinen Anlass für Zweifel an seiner Zuverlässigkeit gibt.

Sind diese beiden Voraussetzungen aber erfüllt, dann hat jeder Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Zulassung zu diesem Vergnügen.

1.6.1.3 Mitwirkungsrechte

Mitwirkungsrechte verschaffen

- Chancengleichheit beim Zugang zu jedem öffentlichen Amt (Art. 33 Abs. 2),
- die Möglichkeit zu wählen bzw. sich selbst um ein politisches Mandat zu bewerben (Art. 38 Abs. 2),
- z.B. die Berechtigung, seine Meinung frei zu äußern (Art. 5 Abs. 1) und damit zur öffentlichen Willensbildung beizutragen oder auch an Versammlungen und Demonstrationen (Art. 8 Abs. 1) teilzunehmen.

1.6.1.4 Verfahrens- und Organisationsrechte

Verfahrens- und Organisationsrechte rechtfertigen das Verlangen an den Staat, dass er die ihm angelegten Beschränkungen immer wieder selbst „nachzieht“.

Der Staat hat den effektiven Schutz der Grundrechte zu gewährleisten. Dazu muss er Verfahren einrichten, ausgestalten und den sich ändernden Verhältnissen anpassen. Diese Verfahren haben zu verhindern, dass die zugestandenen Rechtspositionen durch Mängel in ihrer Wehrhaftigkeit ausgehöhlt werden.

1.6.2 Aus der Sicht des Staates

War bis hierher von der (subjektiven) Funktion der Grundrechte für den einzelnen Menschen die Rede, so soll jetzt auf deren (objektive) Auswirkungen auf Staat, Gesellschaft und Recht eingegangen werden.

1.6.2.1 Bestandsgarantien

Mit der Einrichtung von Grundrechten werden nicht nur die Freiheiten des einzelnen Bürgers definiert und „festgeklopft“. Untrennbar damit verbunden ist auch eine Bestandsgarantie für solche Rechtseinrichtungen, die notwendige Voraussetzung für die Inanspruchnahme einzelner Grundrechte sind.

Beispiel: Es wäre verfassungswidrig, den in Art. 6 Abs. 1 verankerten besonderen staatlichen Schutz von Ehe und Familie durch die Abschaffung der Rechtseinrichtungen „Ehe“ und „Familie“ ins Leere laufen zu lassen.

1.6.2.2 Objektive Wertordnung

Aus der Existenz und Qualität von Grundrechten wird auch die Ordnung der Werte innerhalb einer Gesellschaft deutlich. Das Grundgesetz hat für die Bundesrepublik Deutschland eine freiheitliche Rechtsordnung eingerichtet und damit eine Entscheidung über die objektive Wertordnung getroffen.

Grundrechtsinhaber haben unterschiedliche und sehr effektive Möglichkeiten, gegen die Verletzung oder das Vorenthalten von Rechten vorzugehen. U.U. steht ihnen auch der (Klage-)Weg zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe offen.

1.7 Die Grenzen der Grundrechte

Grundrechte gelten nicht schrankenlos. Neben den völlig unantastbaren Werten (z.B. Menschenwürde, Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit oder Recht auf Kriegsdienstverweigerung) sieht das Grundgesetz durchaus die Einschränkung einzelner Rechte vor:

Begrenzungen ergeben sich z.T. schon aus dem Grundgesetz selbst, wenn beispielsweise Art. 9 Abs. 2 die Gründung solcher Vereine verbietet, deren Zwecke mit den Normen der Strafgesetze unvereinbar sind.

In anderen Artikeln wird ausdrücklich auf Gesetze verwiesen, die einen nicht tolerierbaren Gebrauch der Grundrechte verhindern sollen, wie z.B. im Art. 5, wo die gesetzlichen Schranken der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit z.T. mit Gesetzesbezeichnung angesprochen werden.

Schließlich findet der durch ein Grundrecht im Einzelfall zugestandene Schutzbereich dort seine Grenzen, wo die Ausübung des Grundrechts in nicht hinnehmbarer Weise in andere Schutzbereiche oder in die Grundrechte Dritter eingreift.

Beispiel: Unter Hinweis auf die in Art. 4 verankerte Glaubens- und Bekenntnisfreiheit darf nicht gegen die Schulpflicht für Kinder verstoßen werden.

Aber auch die Einschränkungsmöglichkeiten selbst sind begrenzt. Art. 19 Abs. 2 bestimmt: „In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden“.

Einen weiteren Schutz der Grundrechte enthält Art. 79 Abs. 3, der eine Änderung der „in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze“ verbietet.

Im Übrigen können Grundgesetzänderungen nur mit einer 2/3-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden.

Achtung:

Bei der Betrachtung des Grundgesetzes fällt auf, dass nicht alle Grundrechte auch für alle in Deutschland lebenden Menschen eingeräumt werden. In Einzelfällen beschränkt die Verfassung diese Rechte auf Deutsche.

Diese für einzelne Rechte geltende Ausklammerung von Ausländern, wie z.B. beim Wahlrecht, schmälert keine einzige Verhaltenspflicht der Mitarbeiter des Sicherheitsgewerbes und ist insoweit praktisch ohne Bedeutung.

Sie berechtigt keinesfalls zu einer Schlechterbehandlung ausländischer Mitbürger, denn sie bezieht sich nicht auf Grundrechte, die in irgendeiner Weise mit der Menschenwürde zusammenhängen .

1.8 Die Drittwirkung der Grundrechte

1.8.1 Problembeschreibung

Die klare Beschreibung der (Grund-)Werte, auf die im Zusammenleben in Deutschland vorrangig Rücksicht zu nehmen ist, strahlt auf die gesamte Rechtsordnung aus. Sie gibt insoweit Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung Maßstäbe, Richtlinien und Impulse. Das wirkt sich nicht nur im Umgang mit dem Bürger und nicht nur im unmittelbaren Verhältnis von Staat und Bürger aus:

- Verwaltung und Rechtsprechung müssen Gesetze im Einklang mit den Grundrechten anwenden und auslegen,
- auf einem „Umweg“ finden Grundrechte auch Eingang in die Rechtsbeziehungen von Privatpersonen, d.h. sie entfalten im Verhältnis der Menschen zueinander keine unmittelbare, sondern nur eine mittelbare Wirkung.

Dieser „Umweg“ besteht in der Rechtsprechung der (Zivil-)Gerichte, vor denen die Rechtsstreitigkeiten der Bürger miteinander verhandelt und entschieden werden.

Eine solche Aussage zu verstehen setzt die Erkenntnis voraus, dass der Zivilrichter den in einem Rechtsstreit prozessierenden Bürgern als Vertreter der (rechtsprechenden) Staatsgewalt gegenübersteht.

[Damit steht der Richter über den Parteien, und anders könnte er seine Aufgabe ja auch gar nicht erfüllen. Richter und streitende Bürger nehmen also nicht gleichberechtigt an dem Verfahren teil. Vielmehr ist der Richter mit der Befugnis ausgestattet, eine Entscheidung zu treffen, der sich die Parteien sodann unterwerfen müssen.]

(Auch) aus der Ausübung solcher staatlicher Hoheitsgewalt ergibt sich für den einzelnen Richter, genau wie für die Gerichte insgesamt:

Sie sind verpflichtet, bei der Anwendung und Auslegung der für die Entscheidung erheblichen Gesetze die in den Grundrechten verkörperten Werte zu beachten.

Diese Pflicht leitet sich weiterhin daraus ab, dass die Inanspruchnahme und Gewährung von Rechten z.B.

- nach „billigem Ermessen“ (§ 315 BGB) geschehen muss,
- nicht gegen „Treu und Glauben“ (242 BGB) verstoßen und
- auch nicht „sittenwidrig“ sein (§ 138 BGB) darf.

Alle drei Begriffe müssen aber erst „mit Leben erfüllt“, d.h. ausgelegt werden, und diese Auslegung wiederum muss im Einklang mit den Wertvorstellungen der Grundrechte geschehen.

Dieser mittelbare Einfluss, der den Juristen als „Drittwirkung der Grundrechte“ viele Probleme bereitet, macht es erforderlich, die in den Grundrechtsartikeln erfassten Werte genau zu kennen.

1.8.2 Bedeutung für die Berufspraxis privater Sicherheitsdienste

Es liegt in der Natur der Tätigkeit im Sicherheitsbereich, dass sich aus dem Aufeinanderprallen widerstreitender Interessen immer wieder Situationen ergeben, in denen auch und oft gerade von privaten Sicherheitskräften ein hohes Maß an Sensibilität für die Rechte des Gegenübers gefordert ist.

In solcher Lage falsch zu reagieren stellt u.U. nicht nur eine strafbewehrte Rechtsverletzung dar. Derartig unprofessionelle Verhaltensweisen tragen dazu bei, das Sicherheitsgewerbe immer wieder in die Negativschlagzeilen zu bringen und schaden damit dem Ansehen der gesamten Branche.

Wenn nun auf die einzelnen Grundrechte eingegangen wird, dann mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass jeder Sicherheitsprofi selbst Verantwortung für die Respektierung und Einhaltung der Grundrechtsnormen trägt:

Kein Auftraggeber, Kunde oder Vorgesetzter und keine innerbetriebliche Anweisung kann den Einzelmitarbeiter aus dieser persönlichen Pflicht entlassen; ggf. ist der Hinweis darauf, nur auf Weisung gehandelt zu haben, keine Entschuldigung.

Die persönliche Haftung für rechtmäßiges Verhalten geht auch dann nicht auf Dritte über, wenn diese vollmundig erklären: „Das nehme ich auf meine Kappe,“ oder „ich übernehme die Verantwortung“.

2. Kurzkommentierung ausgewählter Grundrechte

2.1 Art. 1 [Schutz der Menschenwürde]

Im Wortlaut:

Art. 1 [Schutz der Menschenwürde]

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
-(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
-(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 1 Abs. 1 stellt die Menschenwürde in den Mittelpunkt des Wertsystems der Verfassung.

Viele andere Grundrechte veranschaulichen und konkretisieren Einzelaspekte dessen, was unverzichtbarer Bestandteil der Menschenwürde ist. Das Grundgesetz selbst gibt darüber hinaus keine abschließende Auskunft über die Inhalte der Menschenwürde. Rechtsprechung und Rechtswissenschaft tragen insoweit Verantwortung dafür, dieses Recht mit Leben zu erfüllen und es in dem Maße fortzuschreiben, in dem Fortschritt und Entwicklung die Menschenwürde bedrohen. Die anderen Grundrechte sind immer so zu interpretieren, dass kein Widerspruch zu dem Verfassungsprinzip der unantastbaren Menschenwürde entstehen kann.

Menschenwürde kommt u.U. schon dem ungeboren Kind zu; sie begleitet das gesamte menschliche Leben und wirkt oft über den Tod hinaus.

Keine Krankheit, Missbildung, Veranlagung und kein noch so abstoßendes Verbrechen oder Verhalten führen zu irgendeiner Einschränkung dieses Elementarrechts.

Die Unantastbarkeit verbietet darüber hinaus Angriffe auf die menschliche Würde, ganz gleich, ob sie von einer Einzelperson, einer privaten oder öffentlichen Einrichtung oder einem anderen Organ des Staates ausgehen.

Dieser tragende Verfassungsgrundsatz enthält sowohl Verbote als auch Gebote. Er verbietet u.a.:

- Folterung, Misshandlung und körperliche Strafen,
- die Manipulation menschlicher Gene,
- überzogene und grausame Strafen,
- wirklich lebenslangen Freiheitsentzug, sei es als Strafe oder als Sicherungsmaßnahme,
- ehrverletzende Kampagnen durch Demütigung, Erniedrigung oder Schikane.

Art. 1 verpflichtet den Staat ausdrücklich, auf dem Gebiet der Menschenwürde aktiv Schutzaufgaben zu übernehmen. Vor dem Hintergrund dieses Gebotes wurde der Gesetzgeber tätig, indem er z.B.

- Erleichterungen im lebenslangen Strafvollzug,
- den Schutz der Darstellerinnen in Peepshows und
- das Verbot der kommerziellen Adoptionsvermittlung

durchsetzte. In diesem Bereich bewegt sich auch die Problematik des straffreien Schwangerschaftsabbruchs.

Für „Securitys“ ergeben sich z.B. bei Ein- und Ausgangskontrollen immer wieder Gelegenheiten, in denen ihr Verhalten am Maßstab der Menschenwürde bestehen muss:

- Sie dürfen die kontrollierten Personen nicht dazu zwingen, vor den Augen anderer Mitarbeiter des Betriebes ihre Taschen auszuleeren,
- die Kontrolle von Damenhandtaschen durch männliche Mitarbeiter kann rechtsverletzend sein,
- soweit die Körperkontrolle einer überprüften oder vorläufig festgenommenen Person durch privates Sicherheitspersonal überhaupt zulässig ist, darf sie der Kontrollierende keinesfalls auf Körperöffnungen ausdehnen, selbst dann nicht, wenn die überprüfte Person einwilligt,
- er darf eine kontrollierte Person nach Abschluss der Kontrolle nicht grundlos ungebührlich lange aufhalten.

Hat die Kontrolle z.B. zur Entdeckung einer Straftat geführt, darf der Mitarbeiter seine Feststellung nicht dazu benutzen, mit dieser Information „hausieren“ zu gehen und andere Betriebsangehörige gegen den Ertappten „aufzustacheln“.

2.2 Die Freiheitsrechte des Art. 2

Im Wortlaut:

Art. 2 [Freiheitsrechte]

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
-(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Art. 2 setzt sich mit vier Grundrechten auseinander: Persönlichkeitsentfaltung (Abs. 1), Leben, Unversehrtheit und Freiheit der Person (Abs. 2).

Aus der Formulierung „ freie Entfaltung seiner Persönlichkeit “ leitet sich ab

- das allgemeine Persönlichkeitsrecht und
- das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit.

2.2.1 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht

2.2.1.1 Allgemeine Bedeutung

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt dort, wo ein menschenwürdiges Leben allein durch die Gewährleistung traditioneller Freiheiten nicht gewährleistet ist. Dieses - immer auch auf die Zukunft gerichtete - Prinzip soll die Auswüchse abwehren, die in der Folge fortschreitender Entwicklung oder neuer Technologien den engeren Lebensbereich eines Menschen verletzen.

2.2.1.2 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

In den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehört z.B. das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Dieses Schlagwort umschreibt das Recht, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wem, wann und in welchem Umfang Informationen aus dem eigenen Leben offenbart werden.

Informationen über die Intimsphäre, die Privatsphäre (z.B. das Familienleben) oder das Ansehen eines Menschen in der Öffentlichkeit und in seinem Bekanntenkreis gehen Dritte grundsätzlich nichts an, wenn sie nicht freiwillig gegeben werden.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung setzt damit u.a. den Möglichkeiten Grenzen, die sich aus der Datenverarbeitung mit dem Computer und insbesondere der Vernetzung bzw. Zusammenführung „verstreuter“ Informationen ergeben.

Die Konsequenzen dieses Grundrechtes haben in das Bundesdatenschutzgesetz und die Datenschutzgesetze der Länder Eingang gefunden.

Gerade die Mitarbeiter des Sicherheitsgewerbes geraten oft an Informationen über sehr persönliche Angelegenheiten von Menschen. Sie sind deshalb dazu berufen, mit diesem Wissen besonders pflichtbewusst, verantwortungsvoll, sorgsam und rücksichtsvoll umzugehen und es außerhalb rechtmäßiger Berufspflichten Dritten nicht unbefugt zu offenbaren.

Aus der Vielfalt der weiteren Schutzwirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts seien erwähnt:

- Recht des Kindes auf schuldenfreien Eintritt in die Volljährigkeit;
- Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung;
- Schutz vor Nacktbildveröffentlichungen.

2.2.2 Das Recht zur allgemeinen Handlungsfreiheit

Das Recht zur allgemeinen Handlungsfreiheit gestattet, alles zu tun und zu lassen, was „nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“.

Dabei sind die „Rechte anderer“ alle

- im Einklang mit Buchstaben und Geist von Verfassung und übriger Rechtsordnung stehenden und
- deshalb schutzwürdigen Positionen und Interessen Dritter.

Die „verfassungsmäßige Ordnung“ ist der Begriff, der die Gesamtheit des geltenden und mit der Verfassung zu vereinbarenden Rechts beschreibt.

„Sittengesetz“ meint die allgemein anerkannten Moral- und Wertvorstellungen.

Mit diesen Einschränkungsmöglichkeiten steckt das Grundgesetz Grenzen der allgemeinen Handlungsfreiheit ab. Es gebietet zugleich, die Rechte anderer zu respektieren.

Dazu erlassene Gebote und Verbote greifen zwar in die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ ein. Sie sind aber zu Schutzzwecken und als Mittel des Interessenausgleichs zwischen den Bürgern zulässig und oft sogar erforderlich.

Beispiele: Verfassungskonform ist u.a. das Rauchverbot in den Liegezimmern öffentlicher Krankenhäuser oder Kurkliniken oder das regionale Verbot, in einem Wohngebiet nach 22.00 Uhr ein Straßenlokal zu betreiben.

Daraus folgt, dass auch ein Privatunternehmen z.B. Rauchverbote für bestimmte Betriebsbereiche, Objekte o.ä. erlassen oder es untersagen darf, alkoholische Getränke zur Arbeit mitzubringen oder auf dem Firmengelände zu verzehren.

Bestehen im Handlungsbereich eines Sicherheitsmitarbeiters derartige Verbote, dann darf er diese Anordnungen auch mit den zulässigen Mitteln durchzusetzen. Weder das dazu beauftragende Unternehmen, noch der Sicherheitsmitarbeiter selbst geraten dabei mit den dargelegten Wertmaßstäben des Grundgesetzes in Konflikt.

2.2.3 Das Recht auf Leben

Das in Art. 2 Abs. 2 enthaltene „Recht auf Leben“ verpflichtet die staatliche Gewalt nicht nur zu Respekt vor fremdem Leben.

Die Zubilligung dieses Rechtes begründet für den Staat gleichzeitig auch ganz bestimmte Schutzpflichten.

Für den Staat bedeutet dies u.a. die Verpflichtung, aktiv Vorkehrungen und Maßnahmen zu treffen, die auf den Erhalt des Lebens seiner Bürger zielen.

Dazu gehört z.B. die Sicherung des Existenzminimums oder die Hilfe, wenn ein Mensch Selbsttötungsabsichten geäußert hat.

Die Schutzpflichten betreffen auch die Fälle, in denen die Bedrohung des Lebens von Mitbürgern ausgeht, die Straftaten begehen. Es kann daher durchaus mit der Verfassung vereinbar sein, dass ein Polizist auf einen gefährlichen und offenbar zu allem entschlossenen Geiselnehmer schießt, selbst wenn er dabei mit dem sicheren Tod des Straftäters rechnen muss.

Das Wertesystem des Grundgesetzes billigt in extremen Notsituationen auch dem einzelnen Bürger Verhaltensweisen zu, die Leben und Gesundheit anderer verletzen können.

Notwehr, Nothilfe, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe bilden insofern einschlägige Stichworte, die gerade auch für die Tätigkeit des privaten Sicherheitsanbieters von grundlegender Bedeutung sind.

2.2.4 Körperliche Unversehrtheit

Der Anspruch auf „Körperliche Unversehrtheit“ enthält zunächst den ganz allgemeinen Schutz vor der Zufügung von Schmerzen. Mit diesem Grundrecht ist nicht nur die Gesundheit des Körpers, sondern auch die des Geistes und der Seele erfasst.

Beispiele: Dieses Recht ist berührt, wenn es z.B. um die Frage von Zwangsuntersuchungen, Menschenversuchen und Blutentnahmen geht. Auch die Problematik der Gurtanlegepflicht im Auto ist hier angesiedelt.

2.2.5 Freiheit der Person

Die „Freiheit der Person“ ist die körperliche Bewegungsfreiheit. Diese Bewegungsfreiheit ermöglicht es dem Menschen, frei zu entscheiden, zu welchen Orten er sich begeben will und welchen er nicht näher treten möchte.

Dieses Grundrecht erfasst nicht den Schutz vor jeglichem staatlichen Druck oder Zwang.

Das Recht auf Freiheit der Person hat im Rechtsstaat einen besonders hohen Stellenwert.

Der Staat darf in dieses Recht nur insoweit eingreifen, als dies durch ein Gesetz ausdrücklich gestattet ist. Freiheitseingriffe erlaubt das Gesetz aber nur aus besonders wichtigem Grunde.

Dabei ist nicht nur der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders sorgfältig zu beachteten. Ergänzende Schranken ergeben sich aus Art. 104:

Im Wortlaut:

Art. 104 [Rechtsgarantien bei Freiheitsentziehung]

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden.
-(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterliche Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.
-(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.
-(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

Besonders hervorzuheben ist dabei

- das Verbot jeglicher seelischer und körperlicher Misshandlung, (eine Misshandlung kann auch durch Unterlassen geschehen, z.B. wenn der Gang zur Toilette verweigert wird)
- die Pflicht, unabhängig von der geplanten Dauer schnellstmöglich einen Richter über die Fortdauer der Freiheitsentziehung entscheiden zu lassen und
- das Gebot der Angehörigenbenachrichtigung über die Fortdauer einer Freiheitsentziehung.

Hinweis:

Auf die in Art. 3 enthaltenen Grundrechte wird aus systematischen Gründen erst im Zusammenhang mit den Gleichheitsrechten eingegangen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Grundrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Elementarwissen für das Sicherheitsgewerbe
Untertitel
Basiswerk Recht Heft 2
Hochschule
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin  (ehem. Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin (Fachbereich Polizeivollzugsdienst))
Autor
Jahr
2017
Seiten
49
Katalognummer
V355514
ISBN (eBook)
9783668416376
ISBN (Buch)
9783668416383
Dateigröße
604 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
3. Auflage 2017
Schlagworte
grundrechte, grundgesetz, bundesrepublik, deutschland, elementarwissen, sicherheitsgewerbe, basiswerk, recht, heft
Arbeit zitieren
Ulf Erik Finkewitz (Autor:in), 2017, Grundrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Elementarwissen für das Sicherheitsgewerbe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/355514

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