New Deal - Die Reform des Wohlfahrtsstaats in Großbritannien


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

31 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Das britische System der sozialen Sicherung

3. Die Reform des britischen Wohlfahrtsstaats unter New Labour – Der New Deal
3.1. Work for those who can - Security for those who cannot
3.2. Der New Deal

4. Die Welfare-to-Work-Programme
4.1. Der Welfare-to-Work-Ansatz
4.2. Workfare oder Activation ?
4.3. Die britischen Welfare-to-Work-Programme
4.3.1 New Deal for Young People
4.3.2 New deal 25plus

5. New Deal – Ein Best Practice-Modell bei der Vermittlung von Flexibilität und sozialer Sicherheit?

6. Anhang
6.1. Abbildungen
6.2. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der europäischen Wohlfahrtsstaaten unterliegt in den neunziger Jahren einem tiefgreifenden Wandlungsprozess. Dieser Wandlungsprozess gestaltet sich zwar in den einzelnen Nationalstaaten durchaus unterschiedlich, ihm liegt jedoch eine Problemkonstellation zugrunde, deren Tragweite eine europäische Dimension besitzt: Zum einen befinden sich die europäischen Länder in dem Dilemma, dass sich im Zuge der fortschreitenden Globalisierung die ökonomischen Entwicklungsprozesse der Kapitalverwertung zunehmend der nationalstaatlichen Regulierung entziehen, die sozialen Nebenwirkungen dieser Entwicklungsprozesse – wie Armut, Arbeitslosigkeit und Migration – sich aber in den nationalen Systemen der sozialen Sicherung konzentrieren. Zum anderen sieht sich die Arbeits- und Sozialpolitik in Europa mit der Herausforderung konfrontiert, dass die Flexibilisierung der Arbeits- und Lebensformen ohne die Regulierung durch staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen auch das Potential zu einer Vergrößerung der Beschäftigungsrisiken und einer Zunahme sozialer Ungleichheit in sich birgt. Das weder Globalisierung noch Flexibilisierung als sozialökonomische Trends für sich genommen bereits eine erfolgsversprechende Antwort auf die Reform des Wohlfahrtsstaates darstellen, wird sowohl aus der Betrachtung von Ländern deutlich, deren Reformmaßnahmen sich auf die Deregulierung des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme beschränken wie auch mit Blick auf die Länder, deren Reformstrategien den Versuch involvieren, für die zunehmend flexibleren Arbeits- und Lebensformen eine angemessene soziale Absicherung zu schaffen. Während erstere (v.a. die USA) sich auf die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit durch eine angebotsorientierte Arbeitsmarktpolitik und den Abbau sozialer Absicherung, unter Inkaufnahme von zunehmender Armut - sogar bei Erwerbstätigkeit im Rahmen von Vollzeitbeschäftigung (working poor) - beschränken, versuchen letztere (z.B. Schweden, Dänemark und die Niederlande) eine sozialverträgliche Strategie der weltmarktorientierten Modernisierung des Wohlfahrtsstaats zu entwickeln, welche eine regulierte Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen mit einer schrittweisen Reorganisation der sozialen Sicherungssysteme verbindet.

Großbritannien verfolgte in den 80`er und 90`er Jahren eine weitgehend angebotsorientierte Arbeitsmarktpolitik, deren Schwerpunkt auf dem Abbau von staatlichen Sozialleistungen und der Einführung von Marktelementen in die sozialen Dienste lag. Seit dem Regierungsantritt von New Labour unter Tony Blair im Mai 1997 unternimmt auch das Vereinigte Königreich den Versuch einer grundlegenden Reform des Wohlfahrtstaates, deren Analyse und Kritik den Gegenstand dieser Seminararbeit abgibt. Der diagnostische Ausgangspunkt des Reformversuches von New Labour liegt in der Feststellung, dass der britische Wohlfahrtsstaat unter den Bedingungen globalisierter Märkte und flexibler Arbeits- wie auch Lebensformen weder in ausreichendem Maße Arbeit noch hinlängliche soziale Absicherung bereitstellen könne. Im ersten Teil der Arbeit werde ich daher durch eine Charakterisierung des britischen Sozialsystems die strukturellen Grundlagen des Reformansatzes von New Labour herausarbeiten. Der zweite Teil widmet sich der sozialpolitischen Ausgangslage, den wesentlichen Elementen und dem schematischen Grundriss der Sozialreform, hingegen sich der dritte Teil auf einzelne exemplarische Maßnahmen des Reformspektrums aus dem Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die Welfare-to-Work -Programme, konzentriert. Im abschließenden vierten Teil versuche ich eine Antwort auf die Frage zu geben, ob das britische Konzept zur Reform des Wohlfahrtstaates bereits heute als ein Best Practice- Beispiel bewertet werden kann, welches sich sowohl durch erfolgreiche Maßnahmen bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit wie auch durch eine wirksame Strategie der Beseitigung von sozialer Ungleichheit auszeichnet.

2. Das britische System der sozialen Sicherung

Die Notwendigkeit einer staatlich regulierten Sozialfürsorge war eine Erkenntnis, die sich aus den sozialen Notlagen, der in Großbritannien vergleichsweise früh einsetzenden Industrialisierung, begründete.[1] Bereits im Jahre 1834 wurde eine gesetzliche Regulation der Armenfürsorge eingeführt (poor law), die bei entsprechendem Nachweis von Bedürftigkeit und Arbeitswillen einen Lebensstandart unterhalb der niedrigsten Lohngruppen ermöglichte. Nach einigen vorbereitenden Gesetzesmaßnahmen, z.B. dem Workmen`s Compensation Act (Arbeitsunfallgesetz, 1897), kam es im Jahre 1911 durch den National Insurance Act (Nationales Versicherungsgesetz) zur Einführung einer allgemeinen, verpflichtenden und beitragsfinanzierten Sozialversicherung, welche Unterstützungsleistungen im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität und Mutterschaft vorsah. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde aufgrund des sogenannten Beveridge-Berichtes (1942)[2], der aus der Arbeit eines Sachverständigenrates für die Analyse und Kritik des Sozialversicherungssystems unter Vorsitz von William Henry Beveridge hervorging, eine zweite grundlegende Reform der britischen Sozialversicherung eingeleitet. Der reformierte Wohlfahrtsstaat sollte danach auf den Prinzipien der Universalität, der umfassenden Absicherung gegen soziale Risiken und der angemessenen Versorgung mit sozialen Unterstützungsleistungen im Falle der Bedürftigkeit beruhen. Die vordem unabhängig voneinander verwalteten Teilbereiche des staatlichen Versicherungssystems wurden zu einem einheitlichen System zusammengeschlossen und dem Ministry of National Insurance unterstellt. Das noch heute fortbestehende Grundgerüst der Sozialreform sah, abgesehen von der Absicherung von Einkommensverlusten bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit, eine allgemeine Grundrente (retirement pensions) als integralen Bestandteil der Sozialversicherung sowie die Einführung eines nationalen Gesundheitsdienstes (National Health Service Act, 1946) und einer sozialen Mindestsicherung (National Assistance Act, 1948) vor.

Die britische Sozialversicherung gründet sich seit der Reform von 1946 auf das Universalitätsprinzip, d.h. sie umfasst prinzipiell die gesamte Bevölkerung in der gleichen Weise. Für alle Briten im arbeitsfähigen Alter besteht eine Versicherungspflicht, wobei nicht selbst versicherte Ehepartner und Kinder über abgeleitete Ansprüche auf Leistungen der Sozialversicherung verfügen.. Wie in Deutschland besteht oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze die Verpflichtung zur Zahlung von einkommensabhängigen Beiträgen, welche jedoch für die Sozialversicherung insgesamt entrichtet werden, anstatt wie in Deutschland differenziert nach Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung. Ungefähr die Hälfte der abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge wird dabei von der Arbeitgeberseite aufgebracht. Die sozialpolitischen Aufgaben sind weitestgehend zentralstaatlich organisiert und finanziert. Die politische Zuständigkeit für soziale Fragen liegt beim Department of social security.

Die zentralstaatlichen Sozialleistungen lassen sich in vier Bereiche aufgliedern (vgl. Davy 2000: 145). Neben den bereits erwähnten beitragsabhängigen Sozialleistungen der national insurance gibt es zweitens den Bereich der nicht beitragsabhängigen Sozialleistungen ohne Bedarfsüberprüfung[3], drittens den Bereich der nicht beitragsabhängigen Leistungen mit einer vorgeschalteten Bedarfsüberprüfung[4] und viertens den Bereich der Versorgungsleistungen des nationalen Gesundheitsdienstes (national health service). Den nicht beitragsabhängigen Sozialleistungen ohne und mit Bedarfsüberprüfung kommt die Funktion der sozialen Mindestsicherung zu, welche in Großbritannien erst durch die Kombination verschiedener Leistungskomponenten ein mit Deutschland vergleichbares Sicherungsniveau erreicht.

Wie in Deutschland gibt es auch in Großbritannien drei gestaffelte Systeme zur sozialen Absicherung von Arbeitslosigkeit. Zum einen das primäre Sicherungssystem des Arbeitslosengeldes (contribution based jobseeker`s allowance), zweitens eine bedarfsgeprüfte Arbeitslosenhilfe als sekundäres Sicherungssystem (income-based jobseeker`s allowance) und als letztes soziales Sicherungsnetz eine bedarfsgeprüfte Sozialhilfe (income support). Das primäre System zur sozialen Absicherung von Arbeitslosigkeit wird durch eine an die Sozialversicherung gebundene, beitragsabhängige Arbeitslosenversicherung gebildet. Die Anspruchsberechtigung für den Bezug von Arbeitslosengeld wird durch eine mindestens achtwöchige versicherungspflichtige Beschäftigung vor Eintritt der Arbeitslosigkeit erworben. Das Leistungsniveau des Arbeitslosengeldes ist deutlich geringer als in Deutschland. Die Höhe der Lohnersatzleistungen ist nicht an die vorherigen Lohnzahlungen gekoppelt, sondern wird als Einheitsleistung für alle Arbeitslosen (flat-rate benefit) ausgezahlt. Im Durchschnitt kompensieren die Lohnersatzleistungen des Arbeitslosengeldes nur 20 % des Erwerbseinkommens, wobei Arbeitslose mit abhängigen Familienangehörigen Anspruch auf einen Zuschlag auf den Festsatz haben (vgl. Peter 1998: 59). Die geringe Leistungshöhe macht es dennoch zumeist notwendig zusätzlich Arbeitslosenhilfe und Wohngeld zu beantragen. Werden diese zusätzlichen Transfers berücksichtigt und zu der primären Sockelleistung durch das Arbeitslosengeld addiert, so ergibt sich ein verfügbares Einkommen, welches sogar geringfügig über dem entsprechenden Einkommen eines Arbeitslosen in Deutschland liegt (ebd.). Da in Deutschland jedoch die Beiträge zur Renten-, Pflege- und Krankenversicherung bei Arbeitslosigkeit vom Arbeitsamt übernommen werden, liegt das tatsächlich verfügbare Einkommen für Arbeitslose in Deutschland letztlich noch ca. 10 % über dem entsprechenden Vergleichseinkommen in Großbritannien (vgl. Peter 1998: 60). Die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld ohne Bedarfsüberprüfung ist auf sechs Monate beschränkt. Nach Ablauf dieser Frist wird eine Bedarfsprüfung vorgenommen, wonach im erfolgreichem Verlauf die Unterstützungsleistung prinzipiell ohne zeitliche Begrenzung gewährt wird. Die Empfänger von Arbeitslosengeld wie auch von Arbeitslosenhilfe müssen sich jedoch alle zwei Wochen auf dem Arbeitsamt melden und einen Nachweis ihrer Aktivitäten bei der Arbeitssuche erbringen. Kommen die Arbeitslosen dieser Forderung nicht nach, droht ihnen der Entzug der Lohnersatzleistungen für einen Zeitraum zwischen einer und sechsundzwanzig Wochen.

Die Arbeitslosenhilfe gehört in Großbritannien nicht zu den Sozialleistungen, die abhängig von eingezahlten Beiträgen in die Sozialversicherung gewährt werden (Äquivalenzprinzip). Bei Arbeitslosigkeit und ungenügendem Haushaltseinkommen ist der regelmäßige Nachweis einer aktiven Arbeitssuche das einzige Kriterium für den Bezug von Arbeitslosenhilfe. Sie wird im Bedarfsfall auch als sekundäre Unterstützungsleistung sowohl zur Aufstockung der Sozialhilfe wie auch als zusätzliche Unterstützung bei Bezug von Arbeitslosengeld gewährt, wenn die Transferleistungen die soziale Mindestsicherung nicht garantieren können. Die Höhe der Arbeitslosenhilfe ist abhängig von der Anzahl der Haushaltsangehörigen und liegt für Alleinlebende ungefähr auf dem Transferniveau des Arbeitslosengeldes (ebd.).

Die Sozialhilfe stellt in Großbritannien, nicht anders als in Deutschland, das letzte Netz der sozialen Absicherung dar, welches allen Haushalten ohne ausreichendes Einkommen zur Existenzsicherung Unterstützung gewährt, deren Angehörigen keine aktive Arbeitssuche zugemutet werden kann und die über keine oder nur unzureichende Ansprüche auf Leistungen der Sozialversicherung verfügen. Anders als in Deutschland liegt die verwaltungstechnische Zuständigkeit für die Sozialhilfe nicht bei den lokalen Behörden, sondern bei der Zentralregierung. Die Finanzierung erfolgt aus den staatlichen Steuermitteln. Die organisatorische Zuständigkeit liegt bei der Benefit Agency, einer untergeordneten Behörde des Ministeriums für soziale Sicherung (Department of Social Security). Die Beratung, Betreuung und Entgegennahme von Anträgen erfolgt dagegen wie in Deutschland bei den Sozialbehörden der Kommunen. Von 1950 bis Mitte der 90`er Jahre stieg die Zahl der auf Sozialhilfe angewiesenen Briten von eine auf über zehn Millionen bzw. 18 % der Gesamtbevölkerung im Jahre 1994, wogegen die Sozialhilfequote für die deutsche Gesamtbevölkerung im Vergleichsjahr lediglich bei 3,1 % lag (vgl. Vereinigtes Königreich, Department of Social Security 1997: 13 und 17; Leisering u. Hilkert 2000: 21). Neben Arbeitslosen und Rentnern sind vor allem alleinerziehende Frauen, Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen und Familien mit geringem Erwerbseinkommen auf Sozialhilfe angewiesen. Im Jahr 1994 bezogen 71 % der Arbeitslosen, 65 % der Alleinerziehenden und 23 % der Über-Sechzigjährigen in Großbritannien Sozialhilfe (vgl. Leisering u. Hilkert 2000: 21)[5]. Die Sätze der Transferzahlungen entsprechen dem Leistungsniveau der Arbeitslosenhilfe (vgl. Eardley u.a. 1996: 116) und kompensieren inklusive Wohngeld zwischen 23 % (bei Alleinlebenden) und 60% (bei Paaren mit zwei Kindern) des britischen Durchschnittseinkommens, was in etwa dem Transferniveau der Hilfe zum Lebensunterhalt in Deutschland entspricht (vgl. Peter 1998: 59). Eine weitere bedeutende Unterstützungsleistung stellt der Family Credit (seit 1999 working families`tax credit) dar, der 1988 als Einkommensbeihilfe für Familien mit geringem Haushaltseinkommen konzipiert wurde, um Eltern oder Alleinerziehenden die Annahme von Arbeit im unteren Lohnspektrum zu erleichtern. Die Leistungssätze dieses In-Work Benefit variieren zwischen 59,70 GBP und 82,35 GBP pro Woche, abhängig vom Alter der im Haushalt lebenden Kinder. Der Anteil von Leistungsempfängern des Family Credit an der Gesamtbevölkerung lag 1994 bei 5 %. Addiert man diese Quote zu dem entsprechenden Anteil von Leistungsempfängern der Sozialhilfe, so ergibt sich ein Gesamtanteil von 23 % der britischen Bevölkerung, die Mitte der 90`er Jahre auf staatliche Unterstützung zur Gewährleistung des Existenzminimums angewiesen waren.

Das britische Gesundheitssystem gründet sich nicht wie in Deutschland auf das Versicherungsprinzip, sondern wie in Schweden oder Dänemark auf das Prinzip der Staatsbürgerschaft. Es umfasst somit die gesamte Bevölkerung, unabhängig von eventuellen Vorleistungen und Beitragszahlungen im Rahmen der Sozialversicherung. Die Finanzierung der Gesundheitsversorgung erfolgt mit Ausnahmen im Bereich der Zuzahlung bei zahn- und augenärztlichen Versorgungsleistungen sowie der Versorgung mit Medikamenten ausschließlich über die staatlichen Steuereinnahmen (vgl. Schmid 1996: 172 f.). Lohnersatzleistungen durch die Auszahlung von Krankengeld werden dagegen durch die Beiträge der Sozialversicherung abgedeckt und gestaffelt nach der Einkommenshöhe sowie Familiengröße nach Ablauf von drei Karenztagen bis zu sechs Monaten gewährt. Eine Regelung zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wie in den meisten anderen europäischen Staaten gibt es in Großbritannien nicht. Die Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Leistungen orientiert sich generell an den individuellen Bedarfslagen, wobei konjunkturbedingte Sparzwänge und das seit Jahrzehnten für die europäische Union vergleichsweise geringe Gesundheitsbudget vor allem im Bereich der stationären Behandlung zu gravierenden Versorgungsengpässen führten. Die Wartezeiten für Patienten ohne akute Gefährdung auf eine Krankenhausbehandlung lag in den 90`er Jahren im Durchschnitt zwischen fünf und sieben Monaten (vgl. Sturm 1997: 145 f.).

Die Altersversorgung der britischen Sozialversicherung beruht auf zwei tragenden Säulen (vgl. Davy 2000: 171 f.): Zum ersten einer beitragsfinanzierte Grundrente (basic pension) mit einer pauschalen Leistungshöhe für alle Versicherten zur Gewährleistung des Existenzminimums im Rentenalter. Das Leistungsniveau der Grundrente liegt derzeit bei 67,50 GBP pro Woche, und damit sogar noch unter den für Rentner und Rentnerinnen geltenden Leistungssätzen der Sozialhilfe. Zum zweiten beruht die Altersversorgung auf einer im Jahre 1978 eingeführten beitragsgebundenen und einkommensäquivalenten Zusatzrente (State Earnings Related Pension Scheme), deren Höhe zwischen 11 GBP und 20 GBP pro Woche variiert. Das niedrige Leistungsniveau der beiden Säulen verleiht dem britischen Rentensystem den Charakter einer Versicherungsinstitution für die Mindestsicherung der Lebenshaltungskosten im Alter. In vielen Fällen reduziert sich diese Mindestsicherung sogar auf das Existenzminimum, so dass eine erhebliche Zahl der Rentner und Rentnerinnen im Umfeld der Armutsgrenze leben, die ihren Lebensunterhalt nur aus den staatlichen Rentenleistungen bestreiten können (ebd.: 172). Eine über die Rente garantierte Regelsicherung ist nur durch die zusätzliche Versicherung über betriebliche (occupational pension scheme) oder private (personal pension scheme) Rentensysteme möglich. Ungefähr 80 % der Erwerbstätigen mit einer Vollzeitbeschäftigung machen aus diesem Grunde von der Möglichkeit Gebrauch, die staatliche Zusatzrente gegen Altersvorsorgeelemente aus betrieblichen oder privaten Rentensystemen auszutauschen.

[...]


[1] Für die folgenden Erläuterungen zur Geschichte und Grundstruktur des britischen Sozialsystems habe ich die im Literaturverzeichnis aufgeführten Texte von Hills (1998), Schmid (1996) und Sturm (1997) herangezogen, welche dieses Thema mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten bearbeitet haben.

[2] Vgl. Beveridge, William (1943): „Der Beveridgeplan. Sozialversicherung u. verwandte Leistungen“.

[3] Hierzu zählen Sozialleistungen wie Kindergeld (child benefit), Schwerbehindertengeld (severe disablement allowance), Behindertenlebenshilfe (disability living allowance), Pflegegeld für Personen über 65 (attendance allowance) und das von New Labour eingeführte staatliche Mutterschaftsgeld (state maternity allowance) für Frauen ohne Ansprüche auf das über die Sozialversicherung ausgezahlte Mutterschaftsgeld (maternity allowance).

[4] Hierzu zählen Leistungen wie die Sozialhilfe (income support), die Arbeitslosenhilfe (income-based jobseeker`s allowance), das Familiengeld (family credit bzw. seit 1999 working families`tax credit), das Wohngeld (housing benefit) und der Behindertenausgleich (disability working allowance).

[5] In Deutschland bezogen im gleichen Jahr dagegen nur 13,3 % der Arbeitslosen, 15,3 % der Alleinerziehenden und 1,7 % der Über-Sechzigjährigen Hilfe zum Lebensunterhalt.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
New Deal - Die Reform des Wohlfahrtsstaats in Großbritannien
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
"Flexicurity" - Arbeitsmarkt und Sozialpolitik in Zeiten der Flexibilisierung
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
31
Katalognummer
V35488
ISBN (eBook)
9783638353854
Dateigröße
1270 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der europäischen Wohlfahrtsstaaten unterliegt in den neunziger Jahren einem tiefgreifenden Wandlungsprozess. Dieser Wandlungsprozess gestaltet sich zwar in den einzelnen Nationalstaaten durchaus unterschiedlich, ihm liegt jedoch eine Problemkonstellation zugrunde, deren Tragweite eine europäische Dimension besitzt ...
Schlagworte
Deal, Reform, Wohlfahrtsstaats, Großbritannien, Flexicurity, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik, Zeiten, Flexibilisierung
Arbeit zitieren
Oliver Laqua (Autor:in), 2001, New Deal - Die Reform des Wohlfahrtsstaats in Großbritannien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35488

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