Ethnozentristische Einstellungen in der Bundesrepublik Deutschland


Forschungsarbeit, 1999

79 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Vorurteilshafte Einstellungskonstrukte
2.1 Soziale Vorurteile
2.2 Ethnozentrismus
2.3 Pseudopatriotismus
2.4 Fremdenfeindlichkeit

3 Erklärungsansätze
3.1 Theoretischer Bezugsrahmen der Erklärungskonzeption
3.2 Autoritarismus
3.3 Anomie

4 Analysemodell, Hypothesen und Methoden
4.1 Analysemodell der Untersuchung
4.2 Hypothesen der Untersuchung
4.3 Methoden der Datenanalyse

5 Untersuchungsergebnisse
5.1 Univariate Verteilungen
5.2 Bi- und multivariate Korrelationsanalyse
5.2.1 Zur Varianz von Signifikanz und Relevanz
5.2.2 Korrelationsanalytische Hypothesentests
5.3 Resümee

6 Literaturverzeichnis

7 Anhang: Dokumentation der Ergebnisse
7.1 Soziodemographische Angaben zum ALLBUS`96
7.2 Univariate Verteilungen
7.3 Reliabilitätsanalyse
7.4 Bivariate Verteilungen und Berechnungen
7.4.1 Korrelationen der vollständigen Indizes
7.4.2 Kreuztabulierte Verteilungen der trichotomisierten Indizes (Fallzahlen und Diagramme)
7.5 Multivariate Berechnungen

1 Einführung

Im gleichen Jahr wie der ALLBUS`96 mit dem Erhebungsschwerpunkt „Einstellungen gegenüber ethnischen Gruppen in Deutschland“ wurde ein Tagungsband der „Interdisziplinären Forschungsgruppe für multi-ethnische Konflikte“ veröffentlicht. In der Einleitung des Bandes diagnostiziert der Sozialpsychologe Wilhelm Heitmeyer eine „Rückkehr der ethnisch-kulturell motivierten Gewalt“ in den europäischen Nationalstaaten: „Mit ungeheurer Wucht und von großen Irritationen begleitet sind in den politischen Debatten und gesellschaftlichen Abläufen der westlichen wie osteuropäischen Staaten die Probleme ethnisch-kultureller und religiöser Differenzen aufgebrochen, sichtbar geworden, zurückgekehrt. ... Überholt geglaubte ethnisch-kulturelle und religiöse Legitimationen für die Markierung von Grenzen, gemeinschaftlichen Einbindungen und nationalistische Gewalt kehren mit zunehmender Globalisierung und Internationalisierung zurück und wirbeln die 'Moderne' weltweit regressiv durcheinander (Heitmeyer 1996, 11).“

Im Zentrum der dargestellten Problemlage steht die „ethnisch-kulturelle Motivation“ von Gewalt. Ethnische Differenzen und das ihnen inhärente Legitimationspotential für die Anwendung von Gewalt bedrohen Heitmeyer zufolge die Synthesis moderner Gesellschaften. Der Begriff „Ethnizität bezeichnet die für individuelles und kollektives Handeln bedeutsame Tatsache, daß eine relativ große Gruppe von Menschen durch den Glauben an eine gemeinsame Herkunft, durch Gemeinsamkeiten von Kultur, Geschichte und aktuellen Erfahrungen verbunden sind und ein bestimmtes Identitäts- und Solidarbewußtsein besitzen (Heckmann 1992, 56).“ Definieren sich Gruppen über einen solchen Gemeinschaftsglauben spricht man von ethnischen Gruppen oder Ethnien. In Bezug auf die Gesamtgesellschaft läßt sich der Begriff „ethnische Gruppe“ durch eine Mehrheits-/Minderheitsrelation quantifizieren. Abgesehen von dem Sonderfall vollständiger ethnischer Homogenität differenzieren sich Gesellschaften durch ein System ethnischer Schichtung, d.h. neben einer ethnischen Mehrheitsgruppe existieren eine oder mehrere ethnische Minderheitsgruppen. Innerhalb der bestehenden Gesellschaftsstruktur drückt sich die Dominanz der ethnischen Mehrheit zumeist durch die Benachteiligung und Diskriminierung der ethnischen Minderheiten aus. Die spezifische Identität einer ethnischen Gruppe impliziert eine Abgrenzung und Differenzbestimmung von anderen ethnischen Gruppen. Der Schutz dieser Identität erfolgt durch eine Homogenitätsunterstellung und Konformitätserwartung innerhalb der Eigengruppe. Darüberhinausgehende Versuche von Identitätsaufwertung der Eigengruppe (unkritisch-idealisierende Einstellungen), die umgekehrt eine Abwertung von Fremdgruppen implizieren, werden in den Sozialwissenschaften zumeist als „Ethnozentrismus“ bezeichnet. Ethnozentristische Einstellungen dienen der Legitimation von ethnischer Diskriminierung und der Implementierung von ethnischen Differenzen in die Strukturen eines Systems sozialer Ungleichheit. Jede Form der Abwertung von Fremdgruppen, bis hin zu Formen der Anwendung von Gewalt, läßt sich durch ethnozentristische Begründungskonstruktionen als Schutz- und Verteidigungshaltung bezüglich der Eigengruppe interpretieren. Die von Heitmeyer diagnostizierte ethnisch-kulturelle Motivation von Gewalt in den europäischen Nationalstaaten, die der Markierung und Verteidigung von Grenzen entlang ethnischer Differenzen dient, läßt sich vor diesem Hintergrund als eine Ausprägung des Ethnozentrismus interpretieren. Die Bedrohung und Verunsicherung nationaler Identitäten durch die Globalisierung und Internationalisierung gesellschaftlicher Strukturen scheint regressive Konfliktformationen zu implizieren, die weder den Prinzipen von Aufklärung und Humanismus entsprechen, noch den Imperativen zweckrationaler Handlungsorientierungen der gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse in der Moderne gehorchen wollen.

Anhand der Befragungsdaten des ALLBUS`96 zu „Einstellungen gegenüber ethnischen Gruppen in Deutschland“ und „möglichen Determinanten dieser Einstellungen“ sollen in dieser Untersuchung sowohl das Ausmaß wie auch potentielle Ursachen des Ethnozentrismus in Deutschland analysiert werden. Die vorliegenden Daten grenzen den Untersuchungsgegenstand auf „ethnozentristische Einstellungen von Deutschen gegenüber in Deutschland lebenden Ausländern“ ein. Ethnozentristische Einstellungen von in Deutschland lebenden Ausländern gegenüber Deutschen wurden im ALLBUS`96 nicht erhoben.

Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes (1997) lebten gegen Ende 1995 in der Bundesrepublik Deutschland ca. 7,2 Mill. Ausländerinnen und Ausländer, was einem Anteil von 8,8% der Gesamtbevölkerung entspricht. Aus der Perspektive der Eigengruppe „Deutsche“, die zugleich die Mehrheitsgruppe in dem System ethnischer Schichtung der Gesellschaft darstellt, stellen diese „Ausländerinnen und Ausländer“ eine Fremdgruppe mit unterschiedlichen ethnischen Identitäten (türkische, italienische, griechische Ethnien etc.) dar, die innerhalb des Systems ethnischer Schichtung einen Minderheitenstatus einnehmen. Die Betrachtung des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts (vgl. v.a. die §§ 4, 8 RuStaG und §§ 85, 86, 87AuslG) macht deutlich, daß dem politischen Selbstverständnis zufolge die Bundesrepublik Deutschland ein ethnisch begründeter Nationalstaat ist. Es existiert somit ein grundlegender Anspruch auf die Übereinstimmung von politisch staatsverbandlicher und ethnischer Zugehörigkeit. Dieses Staatsverständnis konstituiert mit dem normativen Anspruch auf eine homogene Volkskultur zugleich die ethnische Minderheit als eine heterogene Abweichung. Das Streben nach ethnischer Homogenität macht ethnische Minderheiten zu einem Störfaktor für die ethnische Identität der Majorität innerhalb des Staatswesens (vgl. Heckmann 1992, 30-46). Ob dieses Verständnis von Nationalität und Staatsbürgerschaft (sowie das damit implizierte Problem ethnischer Minderheiten) der seit den 50`er Jahren andauernden Tendenz zur ethnischen Pluralisierung der Bundesrepublik Deutschland durch die Arbeitsmigration gerecht wird, ist in Deutschland umstritten.[1] Das ethnisch fundierte Verständnis von Staatsbürgerschaft als einem formal-objektiven Kriterium der Mitgliedschaft in der Eigengruppe „Deutsche“ impliziert nicht unmittelbar, daß die einzelnen Gruppenmitglieder auch tatsächlich ein solches nationales Selbstverständnis besitzen (Problematik der individuellen Selbstdefinition). Es bildet jedoch einen allgemeinen Orientierungsrahmen für alle Versuche der Abgrenzung und Abwertung von ethnischen Fremdgruppen. Solche Versuche der Diskriminierung von ethnischen Fremdgruppen werden im folgenden mit dem allgemeinen Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ bezeichnet, die idealisierende Überhöhung der eigenen ethnischen Gruppe mit dem Begriff „Pseudopatriotismus“ und die Verbindung der beiden Einstellungen mit dem Begriff „Ethnozentrismus“ (s.o.).

In der sozialwissenschaftlichen Diskussion über die möglichen Ursachen von ethnozentristischen Einstellungsmustern konnte bis jetzt noch kein multidimensionaler Ansatz zur Erklärung dieses sozialen Phänomens vorgelegt werden.[2] Im allgemeinen können jedoch zwei theoretische Perspektiven unterschieden werden. Die eine Perspektive ist als individualpsychologisch zu bestimmen und untersucht die Persönlichkeitsstrukturen von Individuen, die andere Perspektive ist dagegen soziologisch ausgerichtet und untersucht gesellschaftliche Strukturen und Konflikte. Die vorliegende Untersuchung stützt sich theoretisch auf ein individualpsychologisch verortetes Erklärungsmodell. Die beiden Erklärungskonstrukte „subjektive Anomie“ (subjektiv wahrgenommene Macht- und Orientierungslosigkeit) und „Autoritarismus“ werden auf ihre Erklärungskraft hinsichtlich ethnozentristischer Einstellungen (Fremdenfeindlichkeit und Pseudopatriotismus) untersucht.

Die Auswahl dieser beiden Erklärungsansätze wurde durch die Ergebnisse einer von Silbermann und Hüsers (1995, 98-106) durchgeführten Repräsentativumfrage zur Fremdenfeindlichkeit in Deutschland motiviert, die trotz zahlreicher Tests mit demographischen Merkmalen und Indikatoren für soziale Distanz keine signifikanten Korrelationen mit fremdenfeindlichen Einstellungen feststellen konnten. Hüsers empfiehlt in einer zusammenfassenden Darstellung der Ergebnisse dieser Umfrage deshalb die Untersuchung von ethnozentristischen Einstellungen „mittels tiefer greifender sozialpsychologischer Hypothesen wie der von der `autoritären Persönlichkeit`“(Hüsers 1995, 27). Die Operationalisierung des Ethnozentrismus durch Indikatoren für „Fremdenfeindlichkeit“ und „Pseudopatriotismus“ wurde durch die Studien von Tajfel zur Vermittlung von „Gruppenkonflikt und Vorurteil“ (1982), Ergebnisse einer Längsschnittstudie zur nationalen Identität der Deutschen (Blank et.al. 1997) , Ergebnisse des DJI-Jugendsurvey 1997 zur Fremdenfeindlichkeit in Deutschland (Kleinert et.al. 1998) und eine empirische Untersuchung über die Ursachen des Ethnozentrismus (Herrmann und Schmidt 1995) motiviert. In allen genannten Untersuchungen wurden signifikante Zusammenhänge von nationalistischen mit fremdenfeindlichen Einstellungen festgestellt. Beispielsweise resümiert Kleinert et al. als ein Ergebnis des DJI-Jugendsurvey 1997: „Die nicht nur hier nachgewiesenen Zusammenhänge zwischen Nationalstolz bzw. nationalistisch orientierten Stolzaspekten auf der einen und fremdenfeindlichen Orientierungen auf der anderen Seite zeigen, daß eine nationalistisch orientierte Identifikation mit der Eigengruppe eine Abwertung von Fremdgruppen zur Folge hat“ (Kleinert et al. 1998, 26). Die Zusammenfassung beider Einstellungsdimensionen durch das Einstellungskonstrukt „Ethnozentrismus“ (wie das bei Herrmann und Schmidt geschieht) kann somit auch als empirisch begründet angesehen werden.

Die weiteren Ausführungen gliedern sich wie folgt: In Kapitel 2 wird „Ethnozentrismus“ als vorurteilshaftes Einstellungsmuster mit den Subdimensionen „Fremdenfeindlichkeit“ und „Pseudo­patrio­tismus“ sowie deren Operationalisierung erläutert. Eingeleitet wird das Kapitel durch die Definition und Erläuterung von zentralen Begriffen der Vorurteilsforschung. In Kapitel 3 folgt die Darstellung der beiden Erklärungskonstrukte „Autoritarismus“ und „Anomie“ sowie deren vorgenommene Operationalisierung. Das Kapitel wird eingeleitet durch einen Abschnitt über den theoretischen Bezugsrahmen der Erklärungskonzeption. Das Kapitel 4 unternimmt schließlich die Explikation des Gesamtmodells der Untersuchung, die Aufstellung der Untersuchungshypothesen und eine Benennung der statistischen Analysemethoden.

2 Vorurteilshafte Einstellungskonstrukte

2.1 Soziale Vorurteile

Der unmittelbare Zusammenhang zwischen den hier untersuchten Einstellungskonstrukten und der Problematik sozialer Vorurteile erfordert einige einleitende Bemerkungen über zentrale Begriffe der Vorurteilsforschung.[3] „Ethnozentrismen“ sind ethnisch ausgerichtete Vorurteile und „ethnische Vorurteile“ sind eine Teilklasse von „Einstellungen“. Diese Begriffe und wichtige Differenzbestimmungen zu diesen Begriffen sollen im folgenden kurz erläutert werden. In den nachfolgenden Kapiteln und Abschnitten werden sie dann ohne weitere Erläuterungen verwendet.

Nach Eagly und Chaiken (1993, 1)[4] ist eine Einstellung „eine psychologische Tendenz, die sich in der Bewertung einer bestimmten Entität durch ein gewisses Maß an Wohlwollen oder Mißfallen ausdrückt ... Die Bewertung bezieht sich auf alle Klassen bewertender Reaktionen, sowohl offene als auch verdeckte, kognitive, affektive oder verhaltensbezogene". Nach dieser Definition sind Einstellungen hypothetische Konstrukte, die nur durch beobachtbare Reaktionen bzw. Bewertungen (kognitiver, affektiver und verhaltensmäßiger Art) des Einstellungssubjekts erschlossen werden können. Als psychische Tendenz besitzen Einstellungen eine relative Dauerhaftigkeit und Konsistenz. Sie entstehen durch die von einer Entität (Personen, Personengruppen, Gegenstände, Sachverhalte etc.) ausgelösten Reize des Einstellungssubjekts und werden von Menschen im Verlaufe ihrer individuellen Erfahrungs- und Lernprozesse erworben. Beziehen sich Einstellungen auf Individuen oder Gruppen spricht man von sozialen Einstellungen. Beispielsweise ist jede Form der Disponiertheit (ob wahrnehmend, fühlend oder handelnd) gegenüber einer ethnischen Gruppe eine soziale Einstellung. Betrachtet man Einstellungen unter ihrer funktionalen Bedeutung für den Menschen (vgl. Güttler 1996, 73 f.), lassen sich folgende Hauptfunktionen feststellen: 1. Sie dienen der Orientierung und Interpretation in der Umwelt bzw. der Anpassung an die Umwelt; 2. Sie tragen zur Konstruktion der persönlichen und sozialen Identität des Menschen bei; 3. Sie können die psychische Konflikt- und Krisenbewältigung unterstützen.

Vorurteile sind eine spezifische Form von Einstellungen, die besonders die affektive Bewertungskomponente von Einstellungen betreffen. Nach einer klassischen Definition von Allport (1971, 23) ist ein soziales bzw. ethnisches Vorurteil „eine Antipathie, die sich auf eine fehlerhafte und starre Verallgemeinerung gründet. Sie kann ausgedrückt oder auch nur gefühlt werden. Sie kann sich gegen eine Gruppe als ganze richten oder gegen ein Individuum, weil es Mitglied einer solchen Gruppe ist.“ Dem ist jedoch hinzuzufügen, daß es sich auch bei identisch strukturierten Sympathien um Vorurteile handelt, wie sie z.B. in unkritisch-idealisierenden Einstellungen gegenüber Eigengruppen zum Ausdruck kommen können.

Allport trifft eine wichtige Differenzbestimmung dadurch, daß er Vorurteile und Voreingenommenheiten, die er als Urteilsfehler bezeichnet, auseinanderhält. Voreingenommenheiten seien problematische Generalisierungen aufgrund mangelhafter empirischer Informationen. Sie können jedoch durch den Erwerb von neuen Informationen revidiert werden. Handele es sich aber um ein Vorurteil, dann sei eine solche Berichtigung nicht möglich, denn: „Anders als ein einfaches Mißverständnis widersteht ein Vorurteil hartnäckig allem Beweismaterial, das es widerlegen kann. Wenn einem Vorurteil Widerlegung droht, neigen wir dazu, mit Affekten zu reagieren“(1971, 23).

Eine zweite Differenzbestimmung ist die zwischen Vorurteil und Stereotyp (Güttler 1996, 82 f.). Betrifft das Vorurteil hauptsächlich die affektive Bewertungskomponente von Einstellungen, so ist es beim Stereotyp die kognitive Bewertungskomponente. Stereotype sind statische Kategorisierungen der sozialen Umwelt, die durch eine Generalisierung auf geringen empirischen Erfahrungen gebildet werden und der schnellen Informationsverarbeitung und Orientierung dienen. Stereotype unterscheiden sich von Vorurteilen dadurch, daß keine positive oder negative Prädisposition gegenüber dem Einstellungsobjekt bzw. der Kategorie vorliegt. Im Unterschied zu Einstellungen im allgemeinen sind sie einfacher strukturiert und stärker in den psychischen Strukturen verankert, damit zugleich auch weniger wandlungsfähig.

Die dritte und letzte hier anzuführende Differenzbestimmung ist die zwischen Vorurteil und Diskriminierung. Diskriminierung betrifft den konativen, d.h. den verhaltensbezogenen Aspekt von Einstellungen. Allport beschreibt den Sachverhalt der Diskriminierung folgendermaßen: „Diskriminierung liegt vor, wenn einzelnen oder Gruppen von Menschen die Gleichheit der Behandlung vorenthalten wird, die sie wünschen“ (Allport 1971, 64). Um Fälle legitimer Ungleichbehandlung, z.B. bei der Gestaltung des persönlichen Beziehungsumfeldes, von dieser Definition auszuschließen, beschränkt Allport den Begriff auf Ungleichbehandlung im Bereich ethnischer Kategorien: „Eine unterschiedliche Behandlung auf der Basis von individuellen Eigenschaften sollte nicht als Diskriminierung bezeichnet werden. Wir wollen hier nur die Art unterschiedlicher Behandlung berücksichtigen, deren Basis ethnische Kategorisierungen sind“ (ebd., 64). Bezüglich des deutschen Grundgesetzes wäre der Tatbestand einer so verstandenen Diskriminierungshandlung ein Verstoß gegen den in Artikel 3 formulierten Gleichheitsgrundsatz und die von ihm abgeleiteten Diskriminierungsverbote.

Vorurteilshafte und diskriminierende Einstellungen können folgende Funktionen erfüllen (vgl. Güttler 1996, 80 ff., Barres 1978, 115-133): 1. Vorurteilshafte und diskriminierende Einstellungen erleichtern die Orientierung des Individuums in der sozialen Umwelt, dies vor allem auch noch in solchen Fällen, wo diese Umwelt subjektiv als komplex, verwirrend, verunsichernd und bedrohlich wahrgenommen wird; 2. Sie können der Abwehr psychischer Konflikte dienen und der Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls; 3. Sie können für die Ablenkung von Aggressionen auf ausgesuchte „Sündenböcke“ instrumentalisiert werden und damit auf der gesellschaftlich-politischen Ebene zur Stabilisierung von vorhandenen Herrschaftsverhältnissen beitragen; 4. Vorurteile können für die Abgrenzung und Aufwertung der Eigengruppe gegenüber einer Fremdgruppe bzw. für die Abwertung der Fremdgruppe gegenüber der Eigengruppe funktionalisiert werden. Dieser letzte Punkt leitet direkt über zum Begriff der „Ethnozentrismen“, denn er formuliert nur noch einmal die hier verwendete Definition des Ethnozentrismus.

Ethnozentrismen, verstanden als ethnisch ausgerichtete vorurteilshafte und diskriminierende Einstellungen, „sind der Versuch, durch gezielte Auswahl und Hervorhebung bestimmter sowie Leugnung und Mißachtung anderer Informationen die Überlegenheit der eigenen ethnischen Gruppe glaubwürdig erscheinen zu lassen. Ethnozentrismen sind also eine Variante, eine spezifische Ausprägung von Vorurteilen“ (Hansen 1997, 200). Auf diese besondere Ausprägung des Vorurteils und ihre Funktion in den gruppalen Strukturen der Gesellschaft soll im folgenden Abschnitt näher eingegangen werden.

2.2 Ethnozentrismus

Die ersten Ansätze der Sozialwissenschaften zur Untersuchung des Ethnozentrismus reichen zurück in die Anfänge dieses Jahrhunderts. William Graham Sumner (1840-1910), ein amerikanischer Soziologe und Vertreter des Sozialdarwinismus, untersuchte die Bedeutung von Sitten (mores) und Bräuchen (folkways) für die Entwicklung des Gesellschaftssystems.[5] Die Entwicklung einer Gesellschaft vollzieht sich nach ihm in der Weise einer Naturgesetzlichkeit durch Auslese-, Anpassungs- und Vererbungsprozesse. Sitten und Bräuche seien die kulturelle Kompensation des Menschen für die im Entwicklungsprozeß verlorengegangenen Instinkte. Sie haben nach Sumner nicht nur eine determinierende Funktion für das menschliche Verhalten, sondern konditionieren auch die Auslese- und Anpassungsprozesse innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen. Vor diesem theoretischen Hintergrund führte Sumner (1906) den Begriff des Ethnozentrismus ein:

„Ethnozentrismus ist die technische Bezeichnung für die Ansicht, daß die eigene Gruppe das Zentrum aller Dinge ist; alle anderen werden in Bezug auf sie skaliert und bewertet ... Jede Gruppe nährt ihren eigenen Stolz und ihre eigene Eitelkeit, kommt sich überlegen vor, überhöht ihre eigenen Götter und sieht mit Verachtung auf Außenseiter herab. Jede Gruppe sieht ihre Sitten als die einzig richtigen an, und wenn sie beobachtet, daß andere Gruppen andere Sitten haben, rufen diese ihre Geringschätzung hervor. Aus diesen Unterschieden werden Schimpfwörter abgeleitet ... Für unsere gegenwärtigen Zwecke besteht die wichtigste Tatsache darin, daß der Ethnozentrismus ein Volk dazu veranlaßt, alles an seinen eigenen Sitten zu übertreiben und zu intensivieren, was besonders ist und was es von anderen unterscheidet“ (zitiert nach Tajfel 1982, 160).

In dieser Definition von Sumner finden sich bereits die beiden entscheidenden Elemente, die der hier verwendeten Definition und Operationalisierung des Ethnozentrismus zugrunde liegen:

- Idealisierung der Eigengruppe: die Eigengruppe als Zentrum aller Dinge, Anspruch auf Überlegenheit und alleinige Richtigkeit der eigenen Sitten sowie die Übertreibung und Intensivierung der eigenen Sitten. Diese Subdimension des Ethnozentrismus soll im Rahmen der vorliegenden Untersuchung durch das Konstrukt „Pseudo­patriotismus“ operationalisiert werden.
- Abwertung von Fremdgruppen: Skalierung und Bewertung von Fremdgruppen vom Standpunkt der Eigengruppe, Abwertung der Sitten von Fremdgruppen (eben weil sie anders bzw. nicht die eigenen sind), Bezichtigung der Fremdgruppe mit Schimpfwörtern und Verachtung von Außenseiter(gruppe)n. Diese zweite Subdimension des Ethnozentrismus soll durch das Konstrukt „Fremdenfeindlichkeit“ operationalisiert werden.

Diese beiden Subdimensionen werden in der vorliegenden Untersuchung von ihrem theoretischen Stellenwert als Primärkonstrukte und definitorische Elemente des Sekundärkonstrukts „Ethnozentrismus“ betrachtet. Sie stellen Faktoren zweiter Ordnung dar, die durch ihre gegenseitige Vermittlung den Faktor erster Ordnung bilden und dementsprechend eine operational-dialektische Definition von „Ethno­zentrismus" darstellen. Beide Subdimensionen werden somit auch zum Gegenstand der Operationalisierung durch konstruktspezifische Items des ALLBUS`96-Datensatzes, von denen vermutet wird, daß sie sich in signifikantem Ausmaß auf Indikatoren für „Autoritarismus“ und „subjektive Anomie“ zurückführen lassen und mit diesen korrelieren. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich 1. von der oft anzutreffenden aber ungenauen Gleichsetzung von Ethnozentrismus mit Fremden- oder Ausländerfeindlichkeit und 2. von einer Interpretation des Ethnozentrismus als einem allgemeinen Einstellungskomplex, der als Ursache (und nicht wie hier als Wirkung) des Autoritarismus betrachtet wird.

Mithin wird hier, was den zweiten der beiden Punkte betrifft, die Hypothese vertreten, daß (zumindest bezüglich der personalen Identität von Menschen[6] ) der Autoritarismus ein allgemeineres Einstellungssyndrom ist als der Ethnozentrismus und folglich letzterer als Wirkung des ersteren angesehen werden kann.[7] Die psycho-soziale Entwicklung des Menschen spricht zumindest nicht gegen diese These, wenn man davon ausgeht, daß die Differenzierung zwischen „Eigenem“ und „Fremden“ nicht zuerst bezüglich von Gruppen erfolgt, sondern in der monadenartigen Psyche des kleinen Kindes und später zwischen Kind, Eltern und Geschwistern. Eine differenzierte Perzeption von Gruppen erfolgt erst in den späteren Entwicklungsphasen. Dagegen sind gerade die frühen Phasen der Entwicklung des Kindes von starken inneren Konflikten und autoritären Affekten begleitet, von denen angenommen werden kann, daß sie autoritäre Prädispositionen für den weiteren Sozialisationsverlauf bilden.[8]

Im Rahmen der „Studies in Prejudice“, einem interdisziplinär angelegten Forschungsprojekt des „Department of Scientific Research“ der „American Jewish Committee“, wurde erstmalig eine ausführliche empirisch-statistische Untersuchung des Ethnozentrismus durchgeführt (Adorno et al. 1969). Neben der Erhebung von antidemokratisch-faschistischen Einstellungen und solchen, die sich auf politisch-wirtschaftlichen Konservatismus bezogen, besaß die Erforschung des Ethnozentrismus im Zusammenhang des Gesamtprojektes einen durchaus eigenständigen Stellenwert. Es ging um die Analyse eines komplexen „Meinungs- und Verhaltenssystems“ (ebd. 98), das sich auf die „Auffassungen über Gruppen und Gruppenbeziehungen“ (ebd. 92) bezieht. Die Autoren verstehen Ethnozentrismus

als „eine verhältnismäßig konstante mentale Struktur im Verhältnis zu ‚Fremden‘ überhaupt ... Ethnozentrismus hat es nicht nur mit den Gruppen zu tun, von denen ein Individuum negative Ansichten hat und denen gegenüber es sich feindselig verhält; vielmehr geht es dabei ebenso um die Gruppen, zu denen es positiv eingestellt ist“ (ebd. 89 f.).

Sie differenzieren zwischen Eigen- und Fremdgruppen und bestimmen das Verhältnis der Eigen- zur Fremdgruppe als „antithetisch“, d.h. als ein Verhältnis der Ausgrenzung, Abwertung und Feindschaft. Zwischen Ethnozentrismus und Rassismus wurde ausdrücklich unterschieden, da der Begriff der Rasse nicht nur uneinheitlich verwendet würde, sondern v.a. eine problematische Einengung auf biologische Vererbungsprozesse impliziere. Ergänzend ist hier zu bemerken, daß Ethnozentrismus ein allgemeineres Einstellungskonstrukt als Rassismus ist. Rassismus ist eine spezifische Ausprägung von Fremdenfeindlichkeit, die den Begriff des Fremden über den der Rasse bestimmt. Die Menschheit wird dabei über den Begriff der Rasse ausdifferenziert, in Typen kategorisiert und zumeist in eine starre Hierarchie der höher- bzw. minderwertigen Rassen eingeteilt. Die Kategorisierung in Typen erfolgt über biologisch-physische, optisch wahrnehmbare Merkmale, von denen dann auf die Minder- oder Höherwertigkeit des Menschen geschlossen wird. Die ideologische Funktion des Rassismus ist die Etablierung eines Systems sozialer Ungleichheit, das der Legitimation von Diskriminierung und Gewalt dient (vgl. Heckmann 1992, 146 ff.). Obwohl Adorno et al. zwischen Rassismus und Ethnozentrismus ausdrücklich differenzierten, wurden bei der Konstruktion des Meßinstrumentes auch Fragen mit rassistischen Formulierungen verwendet.

Zur Messung des „Ethnozentrismus“ wurde eine Skala mit drei verschiedenen Subdimensionen („Schwarze“, „Minderheiten“ und „Patriotismus“) entwickelt, die sogenannte „E-Skala“, wobei das „E“ als Abkürzung für den Begriff des Ethnozentrismus steht. Die Subskalen sollten sicherstellen, „daß das ganze Feld ethnozentristischer Verhaltensweise erfaßt wird ...“ Die Subskala „Schwarze“ sollte dabei nicht rassistische Einstellungen erfassen, sondern die „Schwarzen“ als „große und hart bedrängte“ Minderheit und Gegenstand der amerikanischen Kulturmythologie. Die Subskala „Minderheiten“ enthält Items zu Vorurteilen über verschiedene soziale und ethnische Minderheiten der amerikanischen Gesellschaft. Die Subskala „Patriotismus“ setzt sich aus Items über die internationalen Beziehungen der Vereinigten Staaten zusammen, wobei die Betrachtung der Amerikaner als Eigengruppe gegenüber anderen Nationen als Fremdgruppe intendiert war. Die Skala besteht aus 34 Meinungs- und Verhaltensitems, die jeweils einer der drei genannten Subdimensionen zugeordnet sind. Die Items der Skala sind durchgehend negativ ausgerichtet, d.h. nicht balanciert, was gerade bei einer Befragung über kritische Themen methodisch problematisch erscheint (Zustimmungstendenz und soziale Erwünschtheit). Die Tests der Skala auf Reliabilität und innere Konsistenz sowie die Interkorrelationen zwischen den einzelnen Subskalen erbrachten durchweg positive Ergebnisse, was zu der Feststellung führte: „daß die E-Skala und ihre Unterskalen brauchbare Meßinstrumente für Ethnozentrismus darstellen“ (ebd. 106). Die E-Skala von Adorno et al. wurde zwanzig Jahre später Ausgangs- und Orientierungspunkt der Entwicklung einer den deutschen Verhältnissen angepaßten Ethnozentrismus-Skala (vgl. Liebhart, 1971). Auch bei der deutschen Variante der E-Skala verliefen die Tests der Skala, getestet wurde auf Reliabilität und Validität, erfolgreich.

Den Ausführungen über die allgemeinen Funktionen von vorurteilshaften und diskriminierenden Einstellungen des vorangegangenen Abschnitts, die auch für ethnozentristische Einstellungen Geltung beanspruchen, können hier noch zwei gruppensoziologisch ausgerichtete Funktionen des Ethnozentrismus hinzugefügt werden (vgl. Tajfel 1982, 160). Die Unterscheidung von Eigen- und Fremdgruppe hat für die Eigengruppe als Ganzes betrachtet die Funktion, daß die Sitten und Bräuche der Gruppe durch den Vergleich mit den Sitten und Bräuchen anderer Gruppen gefestigt werden. Die Idealisierung der eigenen Werte und Handlungsnormen impliziert zumeist eine Abwertung derselben bei anderen Gruppen. Der soziale Vergleich ist somit zugunsten der Eigengruppe prädisponiert.[9] Diese Vorentschiedenheit von sozialen Vergleichen kann dann der Aufrechterhaltung von Homogenität in und Konformität gegenüber der eigenen Gruppe dienen. Der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Sitten und Bräuche, wie der eigenen Standpunkte überhaupt, wird vermittelt über den sozialen Vergleich zum Stabilisierungsfaktor der Gruppenidentität. Tajfel formuliert dies lakonisch treffend mit dem Satz: „Wir sind, was wir sind, weil sie nicht das sind, was wir sind“ (ebd., 160). Die zweite Funktion betrifft die einzelnen Mitglieder der Gruppe. Die positiv bewertete Unterscheidung der Eigengruppe von Fremdgruppen kann den Mitgliedern der Eigengruppe zur Internalisierung oder auch Verfestigung eines positiven Selbstbildes dienen. Die Betrachtung gesellschaftlicher Vorgänge auf der Grundlage der Werte und das Handeln innerhalb gesellschaftlicher Strukturen aufgrund der Normen der eigenen Gruppe stellt dem einzelnen Individuum Selektions- und Evaluationsmuster zur Verfügung, die ihm nicht nur die Orientierung in der Gesellschaft erleichtern, sondern auch bei gruppenkonformer Anwendung zu Bestätigung und Anerkennung in der eigenen Gruppe verhelfen. Die Bestätigung und Anerkennung in der eigenen Gruppe stellt sich aus der Perspektive des Individuums als Anerkennung seiner Selbstkonzeption dar, was mit einer Steigerung des persönlichen Selbstwertgefühls und der Verfestigung eines positiven Selbstbildes verbunden sein dürfte. Wenn das Streben nach einem zufriedenstellenden bzw. positiven Selbstbild als ein wichtiger Bestandteil der individuellen Bedürfnisstruktur betrachtet wird, dann kann die Übernahme ethnozentristischer Einstellungen als eine Möglichkeit begriffen werden diesem Streben nachzukommen (vgl. ebd., 168 ff.).

In den folgenden zwei Abschnitten werden die Subdimensionen des Ethnozentrismus-Konzepts, Pseudopatriotismus und Fremdenfeindlichkeit, erläutert. Beide Dimensionen werden über jeweils vier Variablen des ALLBUS`96-Datensatzes operationalisiert. Sie bilden die zu analysierenden Primärkonstrukte des Sekundärkonstrukts „Ethnozentrismus“. Für die konkrete Formulierung bedeutet dies, daß eine ethnozen­tris­tische Einstellung nur dann vorliegt, wenn sowohl eine pseudopatriotische als auch eine fremdenfeindliche Einstellungstendenz festzustellen ist (vgl. ZUMA 1996, 36).

2.3 Pseudopatriotismus

Der Begriff „Patriotismus“, im Deutschen „Vaterlandsliebe“ oder „vaterländische Gesinnung“, bezieht sich im allgemeinen auf eine positiv wertende Grundhaltung des Individuums gegenüber seiner spezifischen nationalen Zugehörigkeit. Etymologisch geht der Begriff des Patrioten zurück auf das griechische „pátrios“ („vaterländisch, väterlich“) und hält über das lateinische „patriota“ („Landsmann“) Einzug in den französischen Wortschatz („patriote“), von wo aus er in die deutsche Sprache übernommen wird. In den Sozialwissenschaften bezeichnet der Begriff „Patriotismus“ eine „in Gesinnung, Einstellungen und Verhaltensweisen zum Ausdruck kommende Geisteshaltung umfassender Treue, Verehrung und Bindung gegenüber der eigenen Nation und dem eigenen Volk, mitunter auch gegenüber einem regional oder lokal begrenztem Bereich (‚Lokalpatriotismus‘)“ (Hillmann 1994, 657). Der Begriff „Lokalpatriotismus“ verweist bereits auf eine gewisse Flexibilität des Patriotismusbegriffs hinsichtlich seiner Bezugsstruktur der Wertorientierung. Ein weiteres Beispiel für diese Flexibilität ist der von Dolf Sternberger und Jürgen Habermas in die öffentliche Diskussion eingeführte Begriff des „Verfassungspatriotismus“. Dieser Begriff von Patriotismus konzeptualisert den Vorrang der Orientierung des Staatsbürgers an einer demokratischen Staatsverfassung und den allgemeinen Menschenrechten, dahingegen der allgemeine Patriotismusbegriff sich auf die Werte, Traditionen und kulturellen Leistungen des spezifischen Nationalstaates bezieht.

Die Wertbezüge von ethnischer Identität im allgemeinen und Patriotismus im besonderen bestimmen sich durch die geschichtliche Erfahrung. Mario Erdheim bemerkt deshalb richtig: „Ob eine ethnische Identität heute überhaupt eine Chance hat, hängt davon ab, in welchem Maße sie geschichtliche Erfahrung, welche ja in der Regel Katastrophen waren, in sich aufnehmen oder verleugnen muß“ (1992, 739). Der Begriff des Verfassungspatriotismus verweist implizit auf die vielfache Gespaltenheit des nationalen Selbstverständnisses der Deutschen. Die Notwendigkeit einer Problematisierung des Patriotismusbegriffs und der Bestimmung von nationaler Identität folgt den Spuren der deutschen Geschichte. „Der deutsche Sonderweg“ stellt Fragen und zweifelt an einfachen Antworten. „Wer sind die Deutschen?“ und „Was ist deutsch?“ fragt beispielsweise Thomas Blank in der Einleitung zu der Darstellung von Ergebnissen einer Befragung über „die nationale Identität der Deutschen“ (1997). Die unmittelbare Verbindung von Patriotismus mit dem Stolz auf die demokratische Staatsverfassung ist in Deutschland kein tradiertes Gemeingut. Die „Liebe zum Vaterland“, seinen Werten und Traditionen impliziert die Erinnerung an die von oben verordnete Demokratisierung durch Bismarck, die Verbrechen der Deutschen während der nationalsozialistischen Diktatur und die Teilung Deutschlands durch die Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg. Erst das deutsche Grundgesetz ebnete den Weg der deutschen Nation zu einem konstruktiven Bezugspunkt nationalen Selbstverständnisses, worauf sich der Begriff des Verfassungspatriotismus begründet.

Als Gegenbegriff zu einer kritisch-konstruktiv ausgerichteten Patriotismuskonzeption, wie beispielsweise dem Verfassungspatriotismus, welche eine wie auch immer tradierte gemeinschaftlich-demokratische Grundauffassung des nationalen Selbstverständnisses erfordert, wird in dieser Untersuchung der Begriff „Pseudopatriotismus“ verwendet. Bereits in den „Studies in Prejudice“ (Adorno et al. 1969, 185) unterscheidet Daniel J. Levinson zwischen einem „echten“ und einem „unechten“ Patriotismus. Der wahre Patriot ist nach Levinson ein demokratischer Traditionalist, der die Liebe zu den Werten und Traditionen des Vaterlands nicht künstlich durch die Abwertung anderer bzw. fremder Werte und Traditionen verstärken muß. Die Liebe zum eigenen Vaterland und die Toleranz gegenüber der Vielfalt der Kulturen schließen sich hier nicht gegenseitig aus. Der Pseudopatriot verfällt dagegen der ethnozentristischen Vermittlung einer unkritisch-idealisierenden Überbewertung der eigenen Nation mit der Abwertung anderer Nationalitäten und Kulturen. In der ethnozentristischen Grundhaltung des Pseudopatrioten verrät sich nach Levinson „eine Tendenz, die den demokratischen Werten und Traditionen zuwiderläuft“ (ebd. 186). Auch Gordon W. Allport verweist in seiner Studie über „die Natur des Vorurteils“ auf den Zusammenhang von unkritisch-idealisierendem Patriotismus, welchen er als „Superpatriotismus“ bezeichnet, mit der Diskriminierung von ethnischen Fremdgruppen (1971, 406), und eine aktuelle Längsschnittstudie (1993-1996) der Deutschen Forschungsgemeinschaft stellt fest: „Die empirische Analyse zeigte, daß der Nationalismus [=Pseudopatriotismus] zu Fremdgruppenabwertungen führt, während der [kritisch-konstruktive] Patriotismus Toleranz gegenüber diesen Gruppen fördert“ (Blank 1997, 46).

Entscheidend für das hier zugrundegelegte Untersuchungsmodell ist zunächst das Moment der unkritisch-idealisierenden Überbewertung der Eigengruppe, d.h. hier: der deutschen Nationalität/Nation. Im Rahmen des ALLBUS`96-Datensatzes stehen für die Operationalisierung des Konstruktes "Pseudopatriotismus" die folgenden Items zur Verfügung:

- Genereller Stolz, Deutscher zu sein (V68 im ALLBUS-Datensatz)
- Worauf man als Deutscher stolz sein kann: Deutsche Sportler (V60 im ALLBUS-Datensatz )
- Worauf man als Deutscher stolz sein kann: Deutsche wirtschaftliche Erfolge (V61 im ALLBUS-Datensatz )
- Worauf man als Deutscher stolz sein kann: Deutsche wissenschaftliche Leistungen (V63 im ALLBUS-Datensatz )

Diese vier Items bilden die Datengrundlage für den „Pseudopatriotismus-Index“, der mittels der Korrelationsanalyse auf seinen Zusammenhang mit den beiden Erklärungskonstrukten („Anomie“ und „Autoritarismus“) und dem Parallelkonstrukt „Fremdenfeindlichkeit“ untersucht werden soll. Das erste Item, die Frage nach dem allgemeinen Nationalstolz (V68), wird dabei die Basis des Index bilden, auf der die Werte der drei folgenden Items, Fragen nach verschiedenen Stolzobjekten, angerechnet werden Die Antwortkategorien des Items reichen von „sehr stolz“ (=Wert 1) über „ziemlich stolz“ (=Wert 2) und „nicht sehr stolz“ (=Wert 3) bis zu „überhaupt nicht stolz“ (=Wert 4). Befragte, die „keine Angabe“ machten (= Wert 9) oder „keine deutsche Staatsbürgerschaft“ besaßen (=Wert 0), wurden gesondert kategorisiert. Die drei Items zu verschiedenen Stolzobjekten (V60, V61 und V63) beziehen sich auf kompetetive Bereiche, welche die Abgrenzung von anderen Gruppen unter Konkurrenz- und Verdrängungsbedingungen implizieren (können). Im Zentrum der Formulierung der Items steht die identische adjektivische Bestimmung der drei verschiedenen Substantive. Die adjektivische Bestimmung „deutsche“ strukturiert die drei Substantive („Sportler“, „wirtschaftliche Erfolge“ und „wissenschaftliche Leistungen“) implizit entlang der übergeordneten Begriffsreihe „Nationalitäten“. Sie reduziert diese Begriffsreihe jedoch explizit auf die „deutsche“ Nationalität. Mithin geht es dann nicht mehr um die Bewunderung von sportlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leistungen überhaupt, sondern nur noch um die der Deutschen in impliziter Abgrenzung von den Leistungen anderer Nationen in diesen Bereichen. Die Items konnten von den Befragten entweder bejaht bzw. „genannt“ (=Wert 1), verneint bzw. „nicht genannt“ (=Wert 0) oder mit „bin auf gar nichts davon stolz“ (=Wert 2) beantwortet werden. Auch hier wurden Befragte, die „keine Angabe“ machten (= Wert 9) oder „keine deutsche Staatsbürgerschaft“ besaßen (=Wert 6), gesondert kategorisiert. Eine Bejahung eines oder mehrerer dieser Items, kombiniert mit einem hohen Wert auf dem Item „allgemeiner Nationalstolz“, führt demnach zu einem hohen Wert des Befragten auf dem Gesamtindex, der einen Wertebereich von „1“ bis „7“ besitzt, und vice versa.

2.4 Fremdenfeindlichkeit

Mit dem Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ wird im Rahmen des Gesamtmodells der Untersuchung die zweite Primärdimension des Sekundärkonstrukts „Ethnozentrismus“ bestimmt. Die formal gehaltene Definition dieser Primärdimension des Sekundärkonstrukts lautete: „Abwertung von Fremdgruppen“, woraus sich logisch konsistent der Begriff „Fremdenfeindlichkeit“, als eine dem Grad nach intensivierte Form der Fremdgruppenabwertung, ableiten läßt. Das hohe Abstraktionsniveau des Begriffs „Fremdenfeindlichkeit“ erfordert einige zur Operationalisierung überleitende Bemerkungen, die der Abgrenzung des Begriffs und seiner Einordnung in den Untersuchungszusammenhang dienen.

Der Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ bezieht sich im allgemeinen auf die Kategorisierung sozialer Vorurteile und diskriminierender Einstellungen entlang der begrifflichen Dimension des Fremden oder der Fremdwahrnehmung. Der Begriff läßt die Frage, was denn das durch ihn benannte Fremde oder als fremd empfundene sei, dem gegenüber die feindliche Gesinnung besteht, für sich selbst genommen noch unbeantwortet. Dadurch liegt die Betonung des Begriffs auf der prinzipiellen Beliebigkeit der subjektiven Kategorisierung des Fremden. Was als fremd wahrgenommen wird und das Kriterium für die Legitimation von Abgrenzung und Abwertung abgibt ist relativ bezüglich individueller, gruppaler und kultureller Strukturen (vgl. Silbermann 1995, 4 ff.). Die Konkretisierung des Begriffs „Fremdenfeindlichkeit“ läßt sich durch die Subordination verwandter Einstellungskonstrukte aus dem Bereich sozialer Vorurteile herstellen. Fremdenfeindlichkeit kann (und wird in dieser Untersuchung) als Oberbegriff für die Vorurteils- und Diskriminierungskonstrukte „Ausländerfeindlichkeit“, Rassismus“ und „Antisemitismus“ betrachtet werden. Unter dieser Voraussetzung bestimmt der Begriff „Ausländerfeindlichkeit“ das Fremde durch die nationale, der Begriff „Rassismus“ durch die rassische und der Begriff „Antisemitismus“ durch die jüdisch religiös-kulturelle Zugehörigkeit.

Fremdenfeindliche Vorurteile und Diskriminierungsversuche werden im Rahmen individualpsychologischer Forschungsansätze[10] auf latent vorhandene und diffus organisierte Ängste vor dem Fremden als solchem, die Unsicherheit von personalen Identitätsstrukturen und auf autoritäre Einstellungsmuster zurückgeführt. Der Begriff Fremdenfeindlichkeit „erinnert an jene den politischen Ausformungen vorangehenden, anthropologisch begründbaren Ängste der Einheimischen vor den Fremden, die sich noch heute in der Vorsicht vor unbekannten Personen wiederfinden. Von daher sind Skepsis, Reserviertheit, Voreingenommenheit, Vorsicht und Angst zunächst einmal natürliche, universell gültige Verhaltensmuster“ (Jaschke 1994, 64). Eine fremdenfeindliche Einstellung entwickelt sich dabei erst aus der Funktionalisierung dieser diffusen Ängste im Rahmen von psychischen und sozialen Strukturen. Konflikttheoretisch orientierte Erklärungsansätze der Fremdenfeindlichkeit verweisen dagegen auf sozialstrukturelle Erklärungsmodelle, bei denen v.a. die Konkurrenz von Gruppen um knappe Ressourcen (z.B. Arbeitsplätze bei einem gesellschaftlichen Mangel derselben) innerhalb gegebener gesellschaftlicher Strukturen im Mittelpunkt steht. Vorurteile und Diskriminierung können dabei als „Waffen“ in Konflikten zwischen Gruppen funktionalisiert werden.

Die für die vorliegende Untersuchung zur Operationalisierung des Konstrukts „Fremdenfeindlichkeit“ ausgewählten Items beziehen sich auf „die in Deutschland lebenden Ausländer“ und bestimmen somit das Fremde durch den Begriff „Ausländer“, die in Deutschland ihren festen Wohnsitz haben (d.h. hier: in Deutschland lebende Menschen ohne die deutsche Staatsangehörigkeit). Die Verfasser des Methodenberichts zum ALLBUS`96 schlagen die vier Items[11] als „multiple Indikatoren einer generellen Einstellung“ für die Bildung einer „Skala zur Messung der Fremdenfeindlichkeit“ vor (ZUMA 1996, 20). Diesem Vorschlag entsprechend werden die folgenden Items für die Bildung eines additiven Index herangezogen:

- „Die in Deutschland lebenden Ausländer sollten ihren Lebensstil ein bißchen besser an den der Deutschen anpassen.“ (V50 im ALLBUS-Datensatz)
- „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken.“ (V51 im ALLBUS-Datensatz)
- „Man sollte den in Deutschland lebenden Ausländern jede politische Betätigung in Deutschland untersagen.“ (V52 im ALLBUS-Datensatz)
- Die in Deutschland lebenden Ausländer sollten sich ihre Ehepartner unter ihren eigenen Landsleuten auswählen.“ (V53 im ALLBUS-Datensatz)

Während das Item V50 eher unspezifisch und schwammig nach „ein bißchen“ Anpassung im „Lebensstil“ fragt, was vermutlich als kleine Lockerungsübung die Hemmschwelle für die positive Beantwortung der folgenden drei Fragen niedrig halten soll, beziehen sich die Items V51, V52 und V53 auf spezifische gesellschaftliche Lebensbereiche (Arbeit, Politik und Privatsphäre) bzw. auf die Stellung von Ausländern in diesen Bereichen (Bleiberecht bei Arbeitslosigkeit, generelle politische Partizipation und freie Wahl des Ehepartners). Die Items V51 und V52 formulieren stark ausgeprägte diskriminierende Einstellungen, da eine Umsetzung in die Praxis äußerst folgenreich sowohl für den Rechtsstatus, wie auch für die persönliche Lebensgeschichte der Betroffenen sein würde. Das Item V53 läßt sich neben seiner Verwendung als Indikator für Diskriminierung im Privatbereich auch als ein Maß für soziale Distanz interpretieren.

Die Kategorien, die den Befragten als Antwortoptionen auf die Items zur Auswahl offenstanden, verlaufen von „1“ (= stimme überhaupt nicht zu) bis „7“(= stimme voll und ganz zu), wobei die Zwischenwerte zur Abstufung der Meinungsäußerung dienen. Gesonderte Kategorien wurden für Fälle vorgesehen, bei denen „keine Angabe“ zustandekam (= Wert 9) oder „keine deutsche Staatsbürgerschaft“ vorlag (= Wert 0 bzw. trifft nicht zu/TNZ).

Die Konstruktion des Index für das Konstrukt „Fremdenfeindlichkeit“ erfolgt durch die Addition der vier einzelnen Werte, die den gewählten Antwortkategorien der Befragten auf den vier Items zugeordnet sind. Der Index besitzt damit einen Wertebereich, der zwischen (einschließlich den Werten) „4“ und „28“ variieren kann.

3 Erklärungsansätze

3.1 Theoretischer Bezugsrahmen der Erklärungskonzeption

Die Ausgangsfrage des vorliegenden Kapitels lautet:

Wie lassen sich ethnozentristische Einstellungen, verstanden als ein Zusammenhang, der die Abwertung von Fremdgruppen mit der idealisierenden und unkritischen Aufwertung der Eigengruppe verbindet, erklären?

Die beiden theoretischen Erklärungsperspektiven, welche für die Beantwortung der gestellten Frage zur Verfügung stehen, wurden bereits im letzten Abschnitt des vorangegangen Kapitels angesprochen: Zum einen die individualpsychologische Erklärungsperspektive, welche die individuellen oder auch psychischen Erklärungsfaktoren (z.B. Ausformungen von Ich-Strukturen, psychisch motivierte Bedürfnisse nach einer positiven sozialen Identität und die Bedingungen der Sozialisation) betont; Zum anderen die konflikt- bzw. strukturtheoretische Erklärungsperspektive, welche die gesellschaftsstrukturellen und gruppensoziologischen Erklärungsfaktoren (z.B. Prozesse des sozialen Wandels und Gruppenkonkurrenz um Prestige, Macht und Einkommen) präferiert.

Ein fruchtbarer Vorschlag zur gegenüberstellenden Kontrastierung und Darstellung des Vermittlungszusammenhangs der beiden Erklärungsansätze findet sich in der Studie über „Gruppenkonflikt und Vorurteil“ von Henri Tajfel (1982, 83 ff.). Im Rahmen der „Theorie der sozialen Identität“ Tajfels dient dieser Vorschlag zudem der Klärung des Zusammenhangs von interpersonalen Beziehungen zwischen Individuen und Intergruppenbeziehungen innerhalb der sozialen Strukturen. Tajfel schlägt das Modell eines Kontinuums vor, dessen eines Extrem durch „rein interpersonales Verhalten“, dessen anderes Extrem dagegen durch „reines Intergruppenverhalten“ bestimmt ist. Die Erklärungsperspektiven müssen sich dann auf einem parallel verlaufenden Kontinuum, entsprechend zu der jeweiligen Orientierung des Verhaltens, bewegen. Ein der Tendenz nach interpersonales Verhalten würde individualpsychologische Erklärungsfaktoren und ein der Tendenz nach intergruppales Verhalten würde konflikt- bzw. gruppentheoretische Erklärungsfaktoren für das Analysemodell erfordern. Tajfel geht davon aus, daß alle „natürlichen“ und auch die experimentell manipulierten sozialen Situationen zwischen den beiden Extremen zu verorten sind[12].

Ein „rein interpersonales Verhalten“ liegt nach Tajfel in solchen sozialen Kontakten zwischen zwei oder mehreren Personen vor, „in denen alle stattfindenden Interaktionen durch die persönlichen Beziehungen zwischen den Individuen und durch ihre jeweiligen individuellen Charakteristika determiniert werden“ (ebd., 83). Der individualpsychologischen Theorie stellt sich die Aufgabe, diese interpersonalen Beziehungen und individuellen Charakteristika zu beschreiben sowie ihre Wirkungsweise in den Interaktionsstrukturen zu erklären. Ein Beispiel für einen solchen Ansatz ist die „Theorie von der autoritären Persönlichkeit“, die sich in ihren zentralen Elementen auf Begriffe und Modelle der Psychoanalyse stützt. Eine Kritik an diesem Ansatz, wie an den individualpsychologischen Erklärungsansätzen für soziale Vorurteile überhaupt, ist die Vernachlässigung der sozialstrukturellen Faktoren der differierenden Gesellschaftsformationen sowie der Repräsentanten dieser Faktoren, den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen.[13] Die Vertreter konflikttheoretischer Erklärungsansätze verweisen gerade auf die Bedeutsamkeit des intergruppalen Verhaltens für die Erklärung sozialer Phänomene im allgemeinen wie auch zur Erklärung sozialer Vorurteile im besonderen. Nach Tajfels Modell läßt sich von „reinem Intergruppenverhalten“ dann sprechen, „wenn jegliches Verhalten zwischen zwei oder mehr Individuen durch ihre Mitgliedschaft in unterschiedlichen sozialen Gruppen oder Kategorien determiniert ist“ (ebd., 83). In intergruppalen Strukturen dienen Vorurteile durch die ihnen inhärenten Ein- und Ausgrenzungsbestimmungen vorzugsweise der Sicherung der Gruppenhomogenität und des erwartungskonformen Verhaltens der Gruppenmitglieder. Ein Beispiel für einen theoretischer Ansatz, der sich mit den Prozessen des intergruppalen Verhaltens und dessen Zusammenhang mit der Bildung von sozialen Vorurteilen beschäftigt, ist die „Theorie des realistischen Gruppenkonflikts“ von Sherif & Sherif ( vgl. hierzu Güttler 1996, 98-109). Die Theorie unternimmt den Versuch, soziale Vorurteile auf die Konkurrenz zwischen Gruppen um knappe Ressourcen zurückzuführen.[14]

Bei der Konstruktion des Fragenprogramms für den ALLBUS`96 wurde versucht dem derzeitigen Forschungsstand bei der Erklärung von „Einstellungen gegenüber ethnischen Gruppen“ gerecht zu werden (vgl. ZUMA 1996, 34-38). Der Datensatz des ALLBUS enthält sowohl Indikatoren für individualpsychologische als auch für konflikttheoretische Erklärungsansätze. Für die Beantwortung der Forschungsfrage dieser Untersuchung werden Indikatoren für die theoretischen Konzeptionen „ Autoritarismus“ und „subjektive Anomie“ herangezogen, die beide im allgemeinen dem Bereich der Persönlichkeitsfaktoren und damit auch den individualpsychologischen Erklärungsansätzen für vorurteilshafte und diskriminierende Einstellungen zugeordnet werden. Sie tendieren demnach auf dem Kontinuum von Tajfel in Richtung des Extrems „reines interpersonalen Verhaltens“ und setzen den Schwerpunkt der Erklärung auf die Differenzierung zwischen verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen und ihre Vermittlung über die psychischen Bedürfnisse zu den damit zusammenhängenden Verhaltensdispositionen.

Der Auswahl dieser theoretischen Konzepte liegt die Hypothese zugrunde, daß autoritäre Einstellungen und anomische Wahrnehmung von gesellschaftlichen Strukturen sich als signifikante Faktoren auf die Ausbildung ethnozentristischer Einstellungen auswirken.

Die Hypothese basiert auf der allgemeinen Voraussetzung, daß sich Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen und einer sich unterscheidenden Wahrnehmung gesellschaftlicher Strukturen auch unterschiedlich verhalten werden. Sie besitzt ihr Falsifikationskriterium im Rahmen einer empirischen Untersuchung in der Frage nach der Signifikanz der genannten Faktoren, worauf im Zusammenhang mit der Auswahl der statistischen Korrelationsmethoden noch näher einzugehen ist. In Bezug auf die beiden Erklärungsperspektiven impliziert die Hypothese die Behauptung, daß zumindest bestimmte Formen der Ausbildung und Vermittlung sozialer Vorurteile und diskriminierender Einstellungen nicht alleine auf objektive Gegebenheiten sozialer Strukturen und ihrer Repräsentanz in Intergruppenkonflikten zurückführbar sind. Zur vorläufigen Unterstützung dieser Behauptung läßt sich die auf einer Repräsentativerhebung basierende Studie „Der ‚normale‘ Haß auf die Fremden“ von Alphons Silbermann und Francis Hüsers (1995) anführen. In einem Resümee der Ergebnisse dieser Untersuchung (Hüsers 1995, 26 ff.) stellt Hüsers fest, daß die mit Prozessen des sozialen Wandels und den daraus resultierenden Konflikten zwischen gesellschaftlichen Gruppen argumentierenden Erklärungshypothesen zur Fremdenfeindlichkeit anhand der erhobenen Daten nicht bestätigt werden konnten. Die Korrelationen zwischen konflikt-/strukturtheoretischen Indikatoren (z.B. Arbeitslosigkeit, Bildungsniveau, Art der Berufstätigkeit, Zufriedenheit mit dem Beruf und Ausbildungsabbrüchen) und Indikatoren für fremdenfeindliche Einstellungen erreichten durchweg keine statistische Signifikanz. Aufgrund dieser Ergebnisse plädiert Hüsers für die Verwendung „tiefer greifender sozialpsychologischer Hypothesen[,] wie der von der ‚autoritären Persönlichkeit‘“ (ebd., 27), um Problemzusammenhänge wie Fremdenfeindlichkeit bzw. Ethnozentrismus zu untersuchen.

Die beiden folgenden Abschnitte behandeln die Darstellung und Erläuterung, der für die Erklärung ethnozentristischer Einstellungen herangezogenen Konzepte Autoritarismus und Anomie sowie deren Operationalisierung durch entsprechende Indikatoren des ALLBUS-Datensatzes.

3.2 Autoritarismus

Die „Theorie von der autoritären Persönlichkeit“, hervorgegangen aus den „Studies in Prejudice“ von Adorno et al. (1968), ist ein komplex angelegtes theoretisches Gebäude, dessen neun Etagen als jeweils einzelne für sich genommen schon manchem Sozialwissenschaftler zum längeren Verweilen Anlaß gaben. So oder auch anders mag es sich erklären, daß bei der Entwicklung des Fragenprogramms für den ALLBUS`96 nur eine der neun Subkonzeptionen des Modells, die sich jedoch durch zwei tapfere Indikatoren als wahrlich ausreichend repräsentiert betrachten darf, berücksichtigt werden konnte. Trotz dieses Beitrages der empirischen Sozialforschung zur fröhlichen Wissenschaft, schreckt die folgende Darstellung nicht vor einem kecken Blick über die Grenzen der Datengrundlage zurück und unternimmt den Versuch eine grobgehaltene Skizze des Gebäudes, zentrale Begriffe und ihren Begründungszusammenhang bezüglich des Modells von Adorno et al., anzufertigen.

Im Zentrum des theoretischen Modells der autoritären Persönlichkeit steht der Begriff der Charakterstruktur. Dieser ist nicht einfach mit dem Begriff des Charakters gleichzusetzen. „Der Charakter“ ist nach Adorno et al. ein relativ inflexibles und änderungsresistentes Potential von Kräften im Individuum. Ein Reaktionspotential, welches sich in einem weitgehend konsistenten Verhalten des Individuums in unterschiedlichen Situationskontexten niederschlagen kann. Bei den bestimmenden Kräften des Charakters handelt es sich um Bedürfnisse (Triebe, Wünsche, emotionale Impulse), welche als latentes Potential für Reaktionen, „hinter dem Verhalten und im Individuum“ (Adorno 1976, 6) liegend, von den unmittelbaren Reaktionen des Individuums abzugrenzen sind. Meinungen, Attitüden und Wertvorstellungen sind nach Adorno et al. abhängig von den individuellen Bedürfnissen, womit dem Charakter, der diese Bedürfnisse organisiert, eine determinierende Funktion bezüglich ideologischer Einstellungen zugesprochen wird. Hypothetisch angenommene Strukturen des Charakters, entstanden aus sich wiederholenden Organisationsmustern der Bedürfnisse, übernehmen dabei die Aufgabe der Vermittlung soziologischer Einflüsse auf ideologische Einstellungen (ebd., 8). Unter den soziologischen Einflüssen sind letztlich alle gesellschaftlichen Stimuli zu verstehen, die auf das Individuum in seinem jeweiligen sozialen Kontext einwirken. Das besondere Augenmerk der Theorie liegt aber auf der frühen Sozialisation des Individuums, der Erziehung des Kindes in seinem familiärem Umfeld. Es wird mithin davon ausgegangen, daß die Umweltkräfte den Charakter um so stärker bestimmen können, desto früher sie in der Entwicklungsgeschichte des Kindes zu verorten sind. Angebunden an das familiäre Umfeld der Sozialisation ist der gesellschaftliche Kontext, der vermittelt über Gruppenstrukturen und ökonomische Faktoren den Erziehungsverlauf in wesentlichen Bereichen prädeterminiert. Auch nach den frühen Phasen der Sozialisation bleibt die Charakterstruktur ein zentrales Moment der Vermittlung von inneren und äußeren sozialen Stimuli und stellt einen eigenen Wirkungsfaktor bezüglich des sozialen Verhaltens von Individuen dar: „Die Charakterstruktur, obwohl Produkt der frühen Lebensbedingungen, ist, nachdem sie sich einmal entfaltet hat, dennoch kein bloßes Objekt der gegenwärtigen. Was sich entfaltet hat, ist eine Struktur im Individuum, etwas, das selbst zum Handeln [sic] gegenüber der sozialen Umwelt und zur Auswahl unter den mannigfaltigen von ihr ausgehenden Stimuli fähig ist; das, wenn es auch modifizierbar bleibt, gegen tiefgreifende Veränderungen häufig sehr resistent ist. Eine solche Konzeption hilft das konsistente Verhalten in den unterschiedlichsten Situationen, die Hartnäckigkeit ideologischer Trends angesichts ihnen widersprechender Fakten und radikal veränderter sozialer Bedingungen zu erklären;“(ebd., 8).

[...]


[1] Vgl. dazu die ausführliche Dokumentation der verschiedenen Standpunkte dieser Debatte bei Klaus J. Bade (1994).

[2] Es gibt jedoch Ansätze zum Ansatz: vgl. Markefka (1995, 83-92) und Heitmeyer(1996, 31-63).

[3] Unter dem Oberbegriff „soziale Vorurteile“ werden zumeist gleichermaßen ethnische und anderweitige soziale Abwertungsversuche, z.B. gegenüber Obdachlosen und Drogensüchtigen, verstanden (so bei Markefka 1995, 63).

[4] Zitiert nach Stahlberg und Frey (1996, 221).

[5] Vgl. hierzu „die Geschichte der Soziologie“ von Friedrich Jonas (1969, IV – „Deutsche und amerikanische Soziologie“, 102-135)

[6] Zur Differenzierung zwischen persönlicher und sozialer Identität von Individuen vgl. Tajfel (1982, 102) oder auch Güttler (1996, 127).

[7] Vgl. zu dieser Problemstellung: Herrmann (1995, 289 ff.), Adorno et al. (1968, I, 88-103; II, 85-93, 170-196), Lederer (1995, 25-51), Silbermann (1995, 13f.), Hüsers (1995, 27) und Heckmann (1992, 135 ff.).

[8] Hierzu weiterführende Darstellungen und Anmerkungen bei Klein (1979, 187-218), Mann (1997, 34 f.) und v.a. Erdheim (1992).

[9] Dies gilt i.d.R. für ethnische Mehrheitsgruppen. Für ethnische Minderheiten stellt Tajfel (1982, 161-186) interessante Ausnahmen von dieser Regel fest. In dem gleichen Buch findet sich auch eine in diesem Zusammenhang bedeutsame Explikation der Auswirkungen von relativer Deprivation auf intergruppales Verhalten (so u.a. von 104-117), die hier nicht berücksichtigt werden konnte, da dies den Umfang der vorliegenden Arbeit bedrohlich erhöht hätte.

[10] Eine knappe und übersichtliche Darstellung von wesentlichen Elementen und Differenzen der individualpsychologischen und der konflikttheoretischen Untersuchungsperspektive sowie eines theoretisch an Hartmut Esser`s Überlegungen zur Handlungstheorie (1993) angelehnten Vermittlungsversuches beider Perspektiven, findet sich in Markefkas Studie über „Vorurteile, Minderheiten, Diskriminierung“ (1995, 61-93).

[11] Früher wurden diese Items „Gastarbeiterfragen“ genannt. Da sich der Begriff „Gastarbeiter“ für die Bundesrepublik Deutschland aber als historisch überholt erwiesen hat, werden die Items inzwischen als „Einstellungen zu in Deutschland lebenden Ausländern“ bezeichnet (ZUMA 1996, S.20f).

[12] Die von Tajfel angeführte Ausnahme von der Regel bezieht sich auf spezifische Extremsituationen des intergruppalen Verhaltens, wie z.B. das einer Besatzung eines Kampfflugzeuges während des Einsatzes im Gefecht.

[13] Eine Kritik der Kritik bezüglich der Beiträge von Adorno zu den „Studies in Prejudice“ ist bei Herrmann (1995, 295 f.) nachzulesen.

[14] Ebenso bei Porst (1985, 101-136). Eingearbeitet in ein heuristisch sehr hilfreiches Beispiel für die sekundäranalytische Auswertung von Umfragedaten anhand von Daten des ALLBUS`1980.

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Ethnozentristische Einstellungen in der Bundesrepublik Deutschland
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Praktikum der empirischen Sozialforschung I/II
Note
1
Autor
Jahr
1999
Seiten
79
Katalognummer
V35487
ISBN (eBook)
9783638353847
Dateigröße
1075 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Sekundäranalyse anhand von Daten des ALLBUS (Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften)
Schlagworte
Ethnozentristische, Einstellungen, Bundesrepublik, Deutschland, Praktikum, Sozialforschung, I/II
Arbeit zitieren
Oliver Laqua (Autor:in), 1999, Ethnozentristische Einstellungen in der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35487

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