Leichte Sprache. Untersuchung zur Binnendifferenzierung des Adressatenkreises


Masterarbeit, 2015

81 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Ausgangslage und Zielsetzung
1.2 Methodisches Vorgehen

2 Stand der Wissenschaft

3 Leichte Sprache als Konzept
3.1 Theoretischer Ansatz über „Leichte Sprache“
3.1.1 Der Begriff „Leichte Sprache“
3.1.2 Herkunft und Verbreitung
3.1.3 Regelungen für „Leichte Sprache“
3.1.4 Das Problem der Verständlichkeit – Indizien für besseres Verstehen
3.2 Für wen ist Leichte Sprache gedacht?
3.2.1 Menschen mit Lernbehinderung
3.2.2 Menschen, die das Deutsche als Fremdsprache erlernen
3.2.3 Funktionale Analphabeten
3.2.4 Kritische Betrachtung des Adressatenkreises in der Fachliteratur

4 Beispiele für Leichte Sprache
4.1 Das Beispiel Bedienungsanleitung
4.1.1 Interpretation der Arbeitsergebnisse
4.2 Sonderfall Rechtsprechung
4.2.1 Das Beispiel Gesetzestext in Leichter Sprache aus sprachwissenschaftlicher Sicht
4.2.2 Das Beispiel Gesetzestext in Leichter Sprache aus Sicht der Bundesministerien
4.2.3 Einordnung der vorgestellten Textumgestaltungen
4.3 Anwendungsbeispiel: Antrag auf Sozialhilfe
4.4 Diskussion der Arbeitsergebnisse

5 Schlussbetrachtung und Ausblick

6 Literaturverzeichnis

7 Abbildungsverzeichnis

8 Anhang

1 Einleitung

1.1 Ausgangslage und Zielsetzung

Kommunikation ermöglicht Fortschritt, sie trägt einen wichtigen Teil dazu bei, dass sich eine Gesellschaft entwickelt, dass Dialoge Probleme lösen, anstatt dass das Recht des Stärkeren bemüht wird. Kommunikation, genauer gesagt Sprache, stellt einen wichtigen Eckpfeiler für eine Gesellschaft der gleichen Teilhabe dar. Wer sich ein komplett eigenständiges Leben in dieser Gemeinschaft ermöglichen möchte, der braucht das Lesen und Schreiben als Fertigkeit. Beim Behördengang, bei der Beschaffung von Informationen über das Weltgeschehen, beim Versuch, Recht vor einem Gericht zu bekommen oder sich eben vor jenem zu verteidigen, erweist sich Sprache als unumgänglich. Sprache, mündlich sowie schriftlich, bildet ein essenzielles Fundament unseres alltäglichen Lebens. Doch es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Akte der Informationsverteilung nicht immer glücken. Die Texte sind zu schwierig zu verstehen. Sprachteilnehmer müssen sich immer öfter bemühen, den Sinn oder die Information, die der Text transportieren soll, zu verstehen. Weil das so ist, setzt sich seit Ende der 1990er Jahre das Konzept „Leichte Sprache“ mehr und mehr durch. Angestrengt durch Menschen mit Lernschwierigkeiten, soll „Leichte Sprache“ das wesentliche Werkzeug für barrierefreie Kommunikation im öffentlichen Raum werden. Die Entwicklungen reichen derart weit, dass nicht nur Menschen mit Lernbehinderungen an „Leichter Sprache“ partizipieren sollen, sondern auch Migranten und Analphabeten. Ihnen wird per se unterstellt, dass sie Schwierigkeiten beim Umgang mit normierten Texten bzw. mit normierten Kommunikationsakten an sich haben. Das Ziel der gleichen Teilhabe ist richtig und gut. Eine demokratische Gesellschaft braucht Vielfalt und muss den Boden dafür bereiten, dass Menschen barrierefrei koexitieren können. „Leichte Sprache“ mag in diesem Zusammenhang eine logische und nachvollziehbare Neuerung sein, mit der sich mehrere Teilgebiete der Wissenschaft beschäftigen. Vorrangig ist das die Linguistik, die ein Interesse an den Formen, derer sich diese Sprache bedient, hat. Doch auch Soziologen, Politikwissenschaftler und Didaktiker beleuchten diese besondere Form des Deutschen. Was allerdings kaum geschieht, das ist die klare Abgrenzung des Adressatenkreises. Die Antwort auf die Frage, wozu „Leichte Sprache“ die genannten Adressaten befähigen soll, steht noch aus.[1]

An dieser Stelle vielleicht ein erster Blick auf den sogenannten Adressatenkreis: Menschen mit Lernbehinderungen wurden in Sonderschulen oder speziellen Werkstätten exkludiert und Deutschlerner benötigten Hilfe bei der Ausstellung von Anträgen für unterschiedliche Ämter. Dass diese Gruppen an Kommunikation partizipieren müssen, das steht heute außer Frage. Denn „sicher überlebt eine Gemeinschaft nicht lange, wenn niemand Bücher führen und lesen kann.“[2] Die Gruppen wollen sich sodann auch gar nicht in die ihnen zugewiesenen Rollen fügen. Sie möchten selbst verstehen, wollen teilhaben. Zurecht, denn „ein moderner Mensch ist immer wieder gezwungen, Informationen lesend zu gewinnen.“[3] „Leichte Sprache“ versucht, genau hier anzusetzen. Die Inhalte werden vereinfacht dargestellt, wo Gliederung oder Hervorhebung das Textverstehen fördern, werden diese in den Text eingefügt. Denn „leicht lesbares Material auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene, dessen Inhalt klar vermittelt wird, hilft jedem Menschen, nicht nur denen mit Lese- und Schreibproblemen.“[4] Woran es der wissenschaftlichen Forschung in diesem Stadium der Bearbeitung des Themas jedoch mangelt, das ist eine schlüssige Binnendifferenzierung. Denn es ist kaum zulässig, die Gruppen der geistig Behinderten sowie der Migranten und Analphabeten als homogene Einheit zu verstehen. Für diesen Moment bleibt festzuhalten, dass alle drei Gruppen durch „Leichte Sprache“ profitieren können. Ihre Ausgangsvoraussetzungen könnten zum einen jedoch anders nicht sein, zum anderen sind die Gruppen an sich auch nicht homogen. Manchen der hier genannten Adressaten verhilft auch „Leichte Sprache“ nicht zu einem Mehr an Erkenntnis. Andere Sprecher der genannten Gruppen wiederum benötigen das Konzept „Leichte Sprache“ womöglich gar nicht, weil sie zwar durch Einstufungen oder eine andere Nationalität in den Adressatenkreis zählen, sie aber die üblichen Anforderungen an Sprache ohne Probleme meistern. In diesem Zusammenhang befasst sich diese Arbeit daher mit dem Adressatenkreis von „Leichter Sprache“. Für wen ist „Leichte Sprache“ gedacht ist und der Frage, ob sie tatsächlich dafür sorgt, dass durch ihre Verwendung Barrieren abgebaut werden.

Um die Sinnhaftigkeit für den Adressatenkreis einschätzen zu können, werden zwei Textsorten beleuchtet, die in ihrer Funktion direkt auf das tägliche Leben der Adressaten abstellen. Gemeint sind Bedienungsanleitungen sowie juristische Texte. Weil die Information bei diesen Texten im Vordergrund steht, sind sie für den Adressatenkreis von besonderer Bedeutung. Anhand der ersten Seite des Sozialhilfeantrages für das Land Berlin werde ich die Erkenntnisse und Regeln zur Vereinfachung selbst anwenden und so versuchen darzustellen, ob so mehr Verständlichkeit hergestellt werden konnte.

Ausdrücklich nicht wird sich diese Arbeit mit Beispielen aus der Literatur beschäftigen. Obschon es hier genügend Beispiele[5] für die vereinfachte Darstellung von literarischen Werken gibt, ist die deutsche Sprache zudem nicht nur Informationsträger, sondern auch Form der Kunst. Eine gleichsame Betrachtung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Sprache als Kunst lässt sich nicht ohne Widerspruch in ein Korsett zwängen. Diesen Rahmen kann diese Arbeit nicht leisten. Auch für Martin Fix ist das Hauptcharakteristikum bei nicht fiktionalen Texten die Verständlichkeit, wohingegen er bei fiktionalen Texten an der Sinnhaftigkeit der Überprüfung auf Verständlichkeit zweifelt.[6] In dieser Arbeit wird demnach die These vertreten, dass „Leichte Sprache“ nicht für alle Teile des Adressatenkreises dienlich bzw. hilfreich in Bezug auf Verständlichkeit des Deutschen ist. Folglich ergeben sich neben diese Teilziele der Arbeit:

- Das Konzept „Leichte Sprache“ soll dargestellt und – soweit möglich – definiert werden.
- In der Arbeit sollen die unterschiedlichen Positionen zum Adressatenkreis dargestellt und im besten Fall klassifiziert werden.
- Anhand von Praxisbeispielen sollen die Ergebnisse zum Adressatenkreis einer kritischen Prüfung unterzogen werden.

1.2 Methodisches Vorgehen

Um das gesteckte Hauptziel sowie die Teilziele dieser Arbeit zu realisieren, hat sich folgende Vorgehensweise ergeben. Neben der sprachwissenschaftlichen Komponente, also der Darstellung der Regeln und der Abgrenzung von „Leichter Sprache“, liegt zudem eines der Hauptanliegen darin begründet, die theoretischen Ansätze mit der praktischen Umsetzung abzugleichen – samt strikter Inbezugnahme des Adressatenkreises.

Hierfür wird im zweiten Kapitel ein Überblick über den Stand der Wissenschaft gegeben. „Leichte Sprache“ ist – so wie das Konzept selbst – noch nicht lange Gegenstand der Linguistik. Ferner wird in Kapitel 3 der theoretische Rahmen für „Leichte Sprache“ gezogen. Das beinhaltet die Klärung, die Herkunft und die Verbreitung (3.1.2) sowie die Darstellung der Normen und Regeln (3.1.3). Im Anschluss wird das Kernthema dieser Arbeit beleuchtet, undzwar wird der Frage nachgegangen, für wen „Leichte Sprache“ konzipiert wurde (3.2) sowie im Anschluss eine Binnendifferenzierung (3.2.1; 3.2.2) des Adressatenkreises vorgenommen. Kapitel 4 widmet sich der praktischen Umsetzung „Leichter Sprache“ an den exemplarisch gewählten Beispielen Bedienungsanleitung (4.1) sowie Rechtstexten (4.2.1;4.2.2). Kapitel 5 stellt das Fazit und schließt diese Arbeit. In ihm werden die aus dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst und die möglichen Konsequenzen für die Adressaten der Sprache ausgegeben.

2 Stand der Wissenschaft

Das Feld „Leichte Sprache“ ist noch nicht sonderlich alt. Die Literaturlage ist daher noch relativ spärlich. Das ändert sich gerade. Es gibt ein breites Interesse dafür, Menschen zu inkludieren. Denn das ist es, was „Leichte Sprache“ vorranging leisten soll. Der Anspruch, eine Gesellschaft der gleichen Teilhabe zu schaffen, ist bereits gesetzlich geregelt. „Barrierefrei sind (...) Kommunikationseinrichtungen, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind“[7], heißt es zum Beispiel im Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen. Allumfassende Darstellungen der Besonderheiten von „Leichter Sprache“ liefert der Aufsatz von Dr. Bettina M. Bock „Leichte Sprache“: Abgrenzung, Beschreibung und Problemstellung aus Sicht der Linguistik“. Bock untersucht in ihrem Aufsatz die adressatenorientierte Verständlichkeit von Texten und die damit zusammenhängende funktionale Angemessenheit. Ihre These lautet, dass eine Beschreibung der Grammatik von „Leichter Sprache“ nicht ohne Bezugnahme auf die Kategorie der funktionalen Angemessenheit erfolgen kann. Verständlichkeit ist für sie lediglich ein Aspekt, der neben dem adressatenbezogener, sach- und situationsbezogener Angemessenheit existiert. Nur so könne eindeutig geklärt werden, wie das Konzept „Leichte Sprache“ Barrieren abbauen kann.[8] Linda Winters richtet in ihrer Arbeit „Leichte Sprache als eine Möglichkeit barrierefreier Teilhabe“ das Hauptaugenmerk auf die Gruppe der Menschen mit Lernschwierigkeiten. Ihre These ist, dass „Leichte Sprache“ Barrieren abbauen und helfen kann, Menschen mit Lernschwierigkeiten besser in der Gesellschaft zu integrieren. Die Arbeit ist im Zuge der Erlangung des Titels Magister Artium im Magisterstudiengang Sonder- und Integrationspädagogik an der Universität Erfurt erschienen. Folglich sind linguistische Problemstellungen weniger behandelt worden. Julia Kuhlmann liefert in ihrem Text „Ein sprachwissenschaftlicher Blick auf das Konzept Leichte Sprache“ besonders durch die von ihr durchgeführte Korpusanalyse[9]. Ihre These ist, dass sich maximale Vereinfachung und Verständlichkeit nicht deckungsgleich sind und Verständlichkeit ausschließlich durch die Inbezugnahme des Adressatenkreises – der in diesem Fall auch der Anwenderkreis ist – erfolgen kann. Kuhlmann nennt „Leichte Sprache“ und die Forschung an ihr „linguistisches Neuland“[10], so erklärt sich auch, dass alle Arbeiten zunächst den Untersuchungsgegenstand erklären und bestehendes Wissen zusammentragen. Denn wie bereits erwähnt, existiert kein einheitliches Regelwerk für „Leichte Sprache“. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Schnittmenge zwar recht groß ist, aber über viele Fragen – wie etwa bei der Interpunktion – kein Konsens besteht. Winters Arbeit „Leichte Sprache als eine Möglichkeit barrierefreier Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Lernschwierigkeiten“ grenzt sich dahingehend ab, dass sie sich mit dem Adressatenkreis – also dem Kernthema dieser Arbeit – befasst und somit eine besondere Stellung für diese Arbeit einnimmt. An dieser Stelle muss jedoch gesagt werden, dass sie Verständlichkeit und Vereinfachung untersucht. Allen drei Arbeiten fehlt hingegen die konkrete Auseinandersetzung mit den Sprechern, für die „Leichte Sprache“ gedacht ist. Zwar werden die Gruppen genannt – Bock merkt auch kritisch an, dass eine Gleichmachung problematisch ist –, doch eine Differenzierung geschieht nicht. Aus diesem Grund war auch das Interview mit Dr. Christiane Maaß, die die Forschungsstelle „Leichte Sprache“ an der Universität Hildesheim leitet, besonders aufschlussreich. Die Informationen aus diesem Interview waren für diese Arbeit aufschlussreich und haben dazu geführt, Literaturen aus anderen Fachbereichen zu konsultieren. Erst dadurch wird deutlich, wie unterschiedlich die Zugangsvoraussetzungen der adressierten Gruppen sind, und schließlich wann und warum „Leichte Sprache“ sinnstiftend sein kann. Auf der anderen Seite wird auch deutlich, dass diese Verallgemeinerung eben nicht den gewünschten Effekt hat. Um diesen Unterschied herauszuarbeiten, war es notwendig, mehrere Literaturen aus der Sozialforschung zu konsultieren, um Analphabeten, Menschen mit Lernschwierigkeiten und Migranten als Gruppen zu charakterisieren.

Für die Anwendungsbeispiele, besonders im Bereich der juristischen Texte, waren die Vorgaben der Gesetzesredaktion besonders zielführend. Die Redaktion arbeitet praktisch und veröffentlicht verbindlich. An diesen Veröffentlichungen lässt sich demnach am verlässlichsten der Ist-Zustand für Verständlichkeit und somit auch für die Praktikabilität von „Leichter Sprache“ ablesen.

3 Leichte Sprache als Konzept

Nicht jeder kann lesen, und die Art, wie Informationen verfaßt oder dargestellt werden, schließt viele Menschen aus, insbesondere diejenigen, die Lese- oder Verständnisprobleme haben.[11]

Die Probleme für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder für diejenigen, für die das Deutsche als Fremdsprachen erlernen und Analphabeten sind vielschichtig. Oft sind die Probleme, vor die sie gestellt werden, sogenannte Barrieren.[12] Ohne Hilfe sind diese zumeist unüberwindbar. Um sicherzustellen, dass beispielsweise behinderte Menschen die gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfahren können, müssen diese Barrieren abgebaut werden. Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen, das 2002 auf Bundesebene erlassen wurde, leistet hier einen wichtigen Beitrag.[13] Denn ohne diese Grundbedingung der gleichen Teilhabe kommt es zu Problemen in der Arbeitswelt, im sozialen Bereich durch z.B. Diskriminierung oder zum schulischen Versagen. Besonders Sprache ist ein zentraler Faktor, der gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht oder eben ausschließt. Wagner vergleicht diese Exklusion durch schwer verständliche Sprache mit einem physisch Beeinträchtigten, der eine Treppe zu überwinden hat.[14] Dabei sorgte leichte Verständlichkeit nicht ausschließlich für barrierefreie Zugänge bei Menschen mit erschwerten Zugangsvoraussetzungen. Doch einfache Sprachverwendung und Informationen sind oft nicht vorhanden. Schwer verständliche Informationen verstecken sich hinter Gesetzestexten, Beipackzetteln oder Bedienungsanleitungen. Diese Informationen stehen in den genannten Texten zwar zur Verfügung, sie können jedoch nur schwerlich dechiffriert werden. Denn „schwere Sprache stellt nicht für Menschen mit Lernschwierigkeiten ein Problem dar, sondern auch (...) Menschen mit Migrationshintergrund, Analphabeten, ältere Menschen oder Menschen mit geringeren Bildungsmöglichkeiten.“[15] Illner geht sogar einen Schritt weiter und formuliert offensiv, dass sich der gesamte Sprecherkreis einer Gesellschaft mit Problemen der Verständlichkeit herumplagt: „Früher glaubten wir, unsere Verständnisschwierigkeiten lägen an uns selbst – an unserer mangelnder Begabung, komplizierte Sachverhalte zu begreifen (...) Heute ist unsere Auffassung (...) Schwerverständlichkeit beruht weniger auf dem Was, sondern auf dem Wie, nicht auf dem Inhalt, sondern auf der Form eines Textes“[16] und wirft sodann auch die Frage auf, ob Wissenschaftler beispielsweise selbstbewusst genug seien, Ideen, Auffassungen und Schlussfolgerungen „einfach und bescheiden darzustellen, ohne sie hinter einer imponierenden Fassade von Schwerverständlichkeit zu verstecken.“[17] Schlossers urteilt, dass sich diese Entwicklung zu einem Gutteil auf die „Arroganz der Fachleute [stützt], die dem ´dummen Rest` der Gesellschaft imponieren wollen.“[18] Ob ein Inhalt nun also schwierig oder einfach dargestellt wird, das entscheidet der Autor. Im Prinzip ist – das ist die Position einiger Wissenschaftler – eine einfache Darstellung eines jeden Inhaltes ist demnach immer möglich.[19] Ob diese These in dieser Form zulässig ist, soll jedoch erst in 3.1.4 dargestellt werden. Im folgenden Kapitel wird zunächst dargestellt, was unter „Leichte Sprache“ zu verstehen ist, wo das Konzept seinen Ursprung hat, welche Sprechergruppen besonders von ihr profitieren, wo die Unterschiede zu den sogenannten Typen bürgernahe Sprache und Volkssprache liege, warum Sprachkritik die Weiterentwicklung und den Ausbau von Leichter Sprache ist, wie die Regeln für Leichte Sprache sind und wie diese praktisch umgesetzt werden.

3.1 Theoretischer Ansatz über „Leichte Sprache“

In diesem Kapitel soll der theoretische Boden dafür bereitet werden, was „Leichte Sprache“ per Definition ist. Dass die Institutionalisierung von „Leichter Sprache“ eben dieser gut zu Gesicht stünde, das zeigen Reaktion auf sie. Denn oft wird sie als „primitive oder auch „kindliche“ Sprachform wahrgenommen, Informationen würden verfälscht, vereinfacht und Botschaften verflacht.“[20] Bock skizziert, dass diese Vorbehalte gegen die Form dem Umstand geschuldet sind, dass eine Definition von „Leichter Sprache“, die Allgemeingültigkeit besitzt, bislang ausgeblieben ist.[21] Das mag für den Bereich der Wissenschaft gelten. Doch weil „Leichte Sprache“ trotz der unklaren Definition bereits in der Praxis angewendet wird, ergeben sich dennoch Ziele, die lediglich durch eigene Handlungsanweisungen umgesetzt werden können. So hat das MASGFF auf das Problem der schwierigen Handhabung mit einem eigenen Leitfaden reagiert. Kuhlmann reüssiert zwar, dass dieser Leitfaden für diejenigen, die nicht im Ministerium tätig sind, lediglich ein weiteres Regelwerk neben anderen liefert.[22] Diese Aussage ist m.E. zu kurz gefasst, zwar bestimmen Bundesministerien nicht die Regeln einer Sprachform – das ist auch nicht deren Aufgabe –, doch durch den verbindlichen Kontext, in dem die Einrichtung arbeitet, kommt dem Leitfaden eine Art Regelhaftigkeit zu. Abschließend lässt sich festhalten, dass der Prozess, den „Leichte Sprache“ hin zu einer genormten Form zu durchlaufen hat, also noch nicht abgeschlossen ist. Hier braucht es jedoch ebene jene Regeln, denn „erst wenn das geklärt ist, lässt sich der Kritik zielgerichtet etwas entgegensetzen. Und erst dann kann die „Leichte Sprache“ fundiert weiterentwickelt und ihre Wirksamkeit gesichert werden.“[23] Der zentrale Kern einer möglichen allgemeingültigen Definition muss deutlich werden lassen, was „Leichte Sprache“ vermag und wo die „Grenzen der Barrierefreiheit sichtbar werden.“[24] Denn weil dies nach wie vor aussteht, drängt sich nicht zu unrecht der Verdacht auf, dass auch Texte in „Leichter Sprache“ einige grundsätzliche von ihr geforderten Informationen für den Adressatenkreis nicht erfüllen kann.

3.1.1 Der Begriff „Leichte Sprache“

Obschon für „Leichter Sprache“ ein allgemeingültiges Regelwerk noch aussteht, ist der Begriff an sich bereits klar gefasst. So fasst das MASGFF den Begriff wie folgt:

Mit Leichter Sprache wird eine barrierefreie Sprache bezeichnet, die sich durch einfache, klare Sätze und ein übersichtliches Schriftbild auszeichnet. Sie ist deshalb besser verständlich, besonders für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder mit Behinderungen.[25]

Wiesel erklärt für den Begriff „Leichte Sprache“:

Einen Text kann man dann als leicht lesbar bezeichnen, wenn der Leser den Sinn ohne Schwierigkeiten entnehmen und verstehen kann. Hierfür muss es dem Autor gelingen, die Textschwierigkeit so gut wie möglich an die jeweilige Kompetenz des Lesers anzupassen. Leichte Lesbarkeit bestimmt sich deshalb sowohl vom Text her, als auch von den individuellen Leserfaktoren.[26]

Beide Definitionen weisen für sich genommen erhebliche Mängel auf. Denn aus der Begriffsdefinition des BASGFF wird der Adressatenkreis pauschal als Menschen mit Lernschwierigkeiten oder mit Behinderungen gefasst. Wiesel stellt gar nicht bzw. lediglich mittelbar auf den Adressatenkreis ab. So hat die Bemerkung ohne Schwierigkeit an der Grundvoraussetzung nichts am Problem als solchem geändert, zumal die Adjektive leicht und schwierig keinem metrischen System unterliegen, sie sind nicht messbar – und vor allem ist die Auslegung stets subjektiv. Eine Tatsache, die kaum in Versuchen der Begriffsklärung erläutert wird, die jedoch nachvollziehbar ist, liefert Bock. Denn „Leichte Sprache“ [ist] ausschließlich für die schriftliche Kommunikation entwickelt [worden]“[27], die Umsetzung des Konzepts für die Mündlichkeit hingegen fehlt bislang. Was der Begriff „Leichte Sprache“ sodann eigentlich ist, dass es sich nach der Begutachtung der Definitionen lediglich um Zielvereinbarungen handelt, die diese Sprachform liefern soll. In 3.1.3 wird auf die Probleme, die bei der Definitionsfindung unter Bezugnahme fester Regeln auftreten, noch genauer eingegangen werden.

3.1.2 Herkunft und Verbreitung

Die Ursprünge der Idee von Leichter Sprache lassen sich nicht eindeutig abgrenzen. Der Prozess umfasst einen Zeitraum von etwa vier Jahren. Wagner weist aus, dass das Konzept „im Rahmen des Modellprojekts ´Wir vertreten uns selbst!` von Dezember 1997 bis November 2001“[28] für den deutschen Sprachraum entstand. Hintergrund war, dass die Menschen mit Lernschwierigkeiten im Vorfeld gehäuft auf kaum verständliche Briefe, Vorträge und Reden trafen. Im Rahmen dieses Projektes wurde sodann das Wörterbuch für Leichte Sprache vorgestellt, das als maßgebend für die Erstellung von leicht verständlichen Texten gilt.[29] Heute arbeiten mehrere Institutionen an und mit Leichter Sprache. So hat sich an der Universität Hildesheim die Forschungsstelle Leichte Sprache unter Leitung von Prof. Dr. Christiane Maaß angesiedelt. Der legimitierte Nachfolger des Modellprojekts ist das Netzwerk Leichte Sprache, das sich 2006 gründete und als Dachorganisation für mehrere Einrichtungen fungiert[30], die sich für eine Verbreitung von Leichter Sprache einsetzen. Vorgänger finden sich im englischen Sprachraum („easy read“) sowie im Schwedischen („lättläst“).[31]

Vom Netzwerk leichte Sprache werden u.a. Schulungen angeboten, ferner gehört die Transformation von Dokumenten in „Leichter Sprache“ ebenso zum Arbeitsfeld – Nämliches gilt für schwer verständliche Texte. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Institutionalisierung von „Leichter Sprache“. So heißt es auf der Homepage des Netzwerkes: „Wir wollen Gesetze für Leichte Sprache. Denn Leichte Sprache soll ein Recht für alle werden.“[32] In Europa gilt das im Jahr 1998 durch die der „Formely International League of Societies for Persons with Mental Handicap“ (ILSMH) veröffentlichte Dokument „Europäischen Richtlinien für die Erstellung von leicht lesbaren Informationen für Menschen mit geistiger Behinderung“ als maßgebend. Auch Inclusion Europe [33], das sich 1988 gründete, hat mehrere Papiere zur Handhabung von „Leichter Sprache“ entwickelt.

3.1.3 Regelungen für „Leichte Sprache“

„Qualität einer Formulierung“[34] kann – ganz allgemein gefasst – laut Fix nicht an den Verwendungen von schwierigen oder einfachen Wort-Konstrukten gemessen werden. Wessels legt ihren Fokus bei der Erstellung von „Leichter Sprache“ besonders auf den Prozess bei der Textgestaltung. Für die Wortebene urteilt sie: „Die häufige Verwendung von Funktionswörtern (Artikel, Pronomen, Hilfsverben, Konjunktionen) machen den Text verständlicher. Damit kann man eine Anhäufung von Fakten und Begriffen (Inhaltswörter) vermeiden.“[35] Es gilt, dass je geläufiger ein Wort einem Sprecher ist, desto verständlicher ist es ihm. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten und L2[36] -Lerner ergibt sich daraus, dass sie die vermittelten Informationen im günstigsten Fall in einer alltagsähnlichen Sprache aufnehmen können.[37] Interessant ist, dass bei der Regelfindung für „Leichte Sprache“ vornehmlich die Nutzergruppen miteinbezogen werden. Das ist auch nötig, weil die Form künstlich entstanden ist und durch die Einbeziehung eines Teils des Adressatenkreises diese Menschen zu „ in eigener Sache“[38] macht und sich daraus eine „sich (potenziell) dynamisch im Gebrauch entwickelnde Sprachform“[39] ergeben hat.

Dieses Verfahren des Prüfens wird von der Wissenschaft jedoch kontrovers diskutiert. So urteilt Maaß.

Dass Menschen mit geistiger Behinderung als Prüfer privilegiert werden, ist so nicht hinnehmbar. Leichte Sprache gehört nicht einer einzelnen Gruppe. Eine solche Fixierung liefe auch ohnehin dem Konzept der Inklusion entgegen.[40]

Dennoch ist auch die Wortlänge von Bedeutung für die Umsetzung von „Leichter Sprache“. Mehrsilbige Wörter sind schwerer zu verstehen. Oft handelt es sich hierbei zusammengesetzte Substantive. In diesem Fall können Erklärungen oder Synonyme zur Verständlichkeit beitragen. Ein Beispiel aus dem Wörterbuch für Leichte Sprache. So wird „Aktenvernichter [als] elektrisches Gerät [beschrieben]. Das Gerät macht aus Papier kleine Schnipsel.“[41] Zusätzlich werden weitere Formen wie Akten-vernichter, Papier-wolf, Wolf und Schredder geliefert, die synonymisch verwendet werden können. Auf der Satzebene ist besonders die Kürze von Sätzen maßgebend, weil „die einzelnen Sinneinheiten hierdurch einfacher zu erfassen sind.“[42] Hinzu kommt, dass eine gewöhnliche Satzgliederung ebenfalls zum Verständnis beiträgt. Das bedeutet allerdings nicht, dass „die Komplexität von Sätzen (...) nicht unbedingt aufgegeben werden [muss], wenn die Lesefreundlichkeit angepasst wird.“[43] Auf der Textebene lässt sich eine leichtere Lesbarkeit durch zusätzliche Erläuterungen[44] herstellen. Hinzugesellen sich ein logischer Textaufbau sowie eine gute Gliederung. Wessels führt noch weitere theoretische Aufbereitungsmöglichkeiten für „Leichte Sprache“ auf. Die Gestaltungsvorschläge decken sich zu einem Gutteil mit den Darstellungen anderer Forschungsergebnisse. So hat zum Beispiel auch der Bremer Verein Lebenshilfe e.V. ein Dokument veröffentlicht, das Regeln für „Leichte Sprache“ auf- und darstellt. So sind beispielsweise Fremdwörter, Fachwörter und lange Sätze Parameter, die in den Bereich Schwere Sprache fallen.[45] Oft lassen sich Wörter finden, die eine Entsprechung haben, die für den Leser einfacher zu verstehen sind. Laut des Netzwerkes Leichte Sprache ist erlauben die einfachere Entsprechung des Verbs genehmigen.[46] Auch Substantive können durch ein verwandtes Wort für mehr Verständlichkeit sorgen. An Stelle der Bezeichnung Öffentlicher Nahverkehr kann Bus und Bahn stehen.[47] Wie diese Regelungen in der Praxis umgesetzt wird, illustriert das Werk „Leichte Sprache – Leitfaden für die Erstellung von Briefen und Veröffentlichungen im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen“ des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen Rheinland-Pfalz Referat Reden und Öffentlichkeitsarbeit (MASGFF) nachvollziehbar und logisch, auch und gerade weil der Leitfaden für den täglichen Gebrauch konzipiert wurde und für Texte des MASGFF verbindlich für die Bevölkerung sind. Laut des Ministeriums kann „Leichte Sprache“ in einer „Light-Version“ sowie eine „Vollversion“ realisiert werden.[48] Für diese Arbeit ist die Vollversion von Belang. Der Leitfaden ist in einer Tabelle zusammengefasst:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Optimierungs-Strategien für den Beispieltext zusammengestellt

Wagner, Susanne: Einfache Texte – Grundlage für barrierefreie Kommuniktion. In: Schlenker-Schulte (Hrsg.; 2003): Barrierefreie Information und Kommunikation – Hören – Sehen – Verstehen in Arbeit und Alltag, Neckar-Verlag, Villingen-Schwenningen S. 211 f.[49]

Hier zeigt sich die Kongruenz zwischen Praxisbeispiel und theoretischen Ansätzen besonders gut. Zum Vergleich folgt eine Zusammenstellung der maßgebenden Institutionen, die Umsetzungsratschläge für Leichte Sprache geben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Abdeckung einzelner Regelwerke nach Kategorien

Siegel, Melanie; Lieske, Christian(2014): Verstehen leicht gemacht. In: Technische Kommunikation 1/2014

Der Leitfaden des MASGFF und der Sprachforschung decken sich in den wesentlichen Punkten. Hier entsteht also kein Widerspruch zwischen Theorie und Praxis. Zu signifikanten Abweichungen kommt es in den Auslegungen zur Zeichensetzung, zur Reihenfolge der Inhalte sowie bei der Verwendung von Beispielen. Besonders bei der differenten Zeichensetzungsauslegung sind die Herangehensweisen unterschiedliche, wohingegen Wessels eine „eine einfache Zeichensetzung“[50] präferiert, die lediglich Strichpunkte, Gedankenstricke und Kommas ausspart. Ferner ist kritisch anzumerken, dass es den Regelungen für „Leichte Sprache“ nach wie vor an Definitionen fehlt, was genau leichte bzw. einfache oder bekannte Wörter sind oder wie lang ein kurzer Satz nun genau sein darf.[51] An dieser Stelle wird das zentrale Problem von „Leichter Sprache“ abermals deutlich. Die Ziele sind klar abgesteckt und wurden sodann auch formuliert. Doch das Ergebnis sind Allgemeinplätze, die durch eine fehlende Definition oder zumindest eine strikte Abgrenzung nur ungenügend realisiert werden können. Dass eine einheitliche Definition für das Fortkommen von „Leichter Sprache“ essentiell ist, zeig zudem eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion des 17. Deutschen Bundestages zum „S Sachstand zur Förderung der Einfachen Sprache in Deutschland“. Dort wird u.a. gefragt:

Welcher wissenschaftlichen Definition von Einfacher Sprache im Vergleich zur Leichten Sprache folgt die Bundesregierung?

An dieser Stelle wäre denkbar, dass empirische Untersuchungen den Erkenntnisgewinn maximieren. Durch Tests und deren Auswertung könnte erhoben werden, wann die größtmögliche Zahl der Sprecher einen Satz nach dessen Länge als noch verständlich anerkennt und wann dies nicht mehr der Fall ist. Wie die Hauptfrage dieser Arbeit bereits darlegte, wird diese Abdeckung mit großer Wahrscheinlichkeit nie 100 Prozent betragen können, doch zumindest die Annäherung an das Optimum darstellt und die Adressatengruppen unterscheidet und gemäß ihrer Ziele Eingang in eine mögliche Definition findet. Denn der Prozess der Regelfindung ist demnach noch nicht abgeschlossen, sondern die Regeln für und wie „Leichte Sprache“ funktionieren soll, müssen erst noch ausgestaltet werden. Dr. Christiane Maaß:

Leichte Sprache ist eine Varietät des Deutschen. Sie wird sich, wie jede Varietät, entwickeln. Aktuell liegen bereits Regeln vor, die in etwa den üblichen Vereinfachungsstrategien entsprechen, wie wir sie z.B. von den regulierten Sprachen kennen und die in der Verständlichkeitsforschung seit Jahrzehnten bekannt sind. Die Wissenschaft ist nun gefragt und muss handhabbare Regeln entwickeln und dem Praxistest unterziehen.[52]

Solange diese handhabbaren Regeln ausstehen, ist es zulässig, die durch Ministerien als verbindlich geltenden Regeln für „Leichte Sprache“ als Maßstab anzusehen.

3.1.4 Das Problem der Verständlichkeit – Indizien für besseres Verstehen

Das oberste Ziel, das durch „Leichter Sprache“ erreicht werden soll, ist die Maximierung der Verständlichkeit. Dieser Unterpunkt befasst sich mit dem generellen Problem von Verständlichkeit. Dar jedoch die Verständlichkeitsforschung ein komplexer Teilbereich ist, kann diese Arbeit lediglich punktuell auf einige Aspekte eingehen. Diese Punkte haben sich als schlüssig ergeben, weil die vorgestellten Sichtweisen auf Verständlichkeit am besten verdeutlichen bzw. eine logische Erklärung dafür liefern, warum „Leichte Sprache“ nach den vorgestellten Regelungen aufgestellt wird. Dennoch ergeben auch Widersprüche, die unmittelbar die Theorien sowie mittelbar auf „Leichte Sprache“ abstrahlen.

Eingangs muss erwähnt werden, dass auch diese Arbeit keine eindeutige, also definitive Lösung anbieten kann, welche Texte nun verständlich bzw. unverständlich sind. Das ist im Prinzip dem Umstand geschuldet, dass die Verständlichkeitsforschung bislang selbst noch keine eindeutige Definition hat vorlegen können. Jedoch können Indizien dafür geliefert werden, die auf die Verständlichkeit eines Textes hinweisen.

Cooper und McGuire konnten beispielsweise unabhängig von einander anhand von Studien, die sich mit der Persuasionsforschung und Gutachtern in Gerichtsverfahren bzw. Politikersprache befassten, feststellen, dass der Grad der Qualifikation des Sachverständigen unmittelbar mit seiner Sprachwahl zusammenhing. So wurde „die unverständlichere Version [der] Ausführungen als signifikant überzeugender wahrgenommen als verständlichere Version.“[53] Hier findet sich ein erstes Indiz darauf, warum neben der bislang ungeklärten Frage darauf, was nun als verständlich zu werten ist, in kommunikativen Akten oft bewusst unverständliche Texte gebraucht werden. Bevor also danach gefragt werden kann, was womöglich tatsächlich Verständlichkeit ist, muss vor diesem Hintergrund auch bedacht werden, dass die Nutzung des sogenannten Fachjargons bzw. einer Fachsprache im Austausch mit Laien[54] immer auch das Paradoxon eines Verständnisdilemmas nach sich ziehen kann. Denn „damit der Laie versteht, was der Experte sagt, muss der Laie über ein bestimmtes Vorverständnis verfügen.“[55] Dieses dargestellte Sonderbeispiel aus Politik als Einführung in den Unterpunkt lässt erahnen, dass Verständlichkeit also in besonderem Maß an Wissen gebunden ist. Es gilt: Je größer das gemeinsame Wissen zwischen Kommunikationspartnern ist, desto leichter gelingen Kommunikationsakte, weil sich beide Parteien auf dasselbe Wissen berufen können.[56] Nun muss für die Adressaten von „Leichter Sprache“ im ungünstigen Fall davon ausgegangen werden, dass dieses gemeinsame Wissen nicht existiert. Das wiederum stellt besondere Bedingungen an die Produzenten von Texten. Für die Indiziensuche nach Verständlichkeit ist es daher sinnvoll, in zwei Bereiche zu unterteilen. Das ist zum einen der Bereich des Verstehens, der den Rezipienten in den Mittelpunkt stellt, und zum anderen der Bereich Verständlichkeit, der den Produzenten in den Mittelpunkt stellt.

Einen wichtigen Beitrag zu maximaler Verständlichkeit liefert „verständigungsorientierte Kommunikation“[57]. Das wichtigste Ziel ist das Verstehen des Rezipienten. Die Verständigung ist erst dann geglückt, wenn der Produzent davon ausgehen kann, dass der Rezipient ihn verstanden hat.

Die möglichen Gründe für ein Scheitern dieses Verstehens können im „perzeptuellen, morpho-syntaktischen, konzeptuellen, referentiellen, semantischen und pragmatischen [Bereich]“[58] liegen. Dabei stellt sich vorrangig die Frage, ob es sich bei der Verarbeitung der Informationen unter Bezugnahme der genannten Faktoren um automatische oder bewusst gesteuerte Prozesse handelt. Rickheit geht davon aus, dass das Sprachverstehen beeinflussbar ist und es daher nahe liegt, dass Sprache lediglich zu einem Teil automatisch – und dementsprechend zum anderen Teil kontrolliert – realisiert wird. Dies bedeutet, dass Sprecher auch immer erkennen, wenn es in Kommunikation zu Verstehens- und Verständigungsproblemen kommt. Sie können dann gegebenenfalls Korrekturen vornehmen.[59] Ein weiteres wesentliches Indiz, das auf Verständlichkeit hinweist, ist demnach die Betrachtung des Kommunikationsaktes als Dialog. Rickheits Ausführungen belegen, dass sich Sprachakte lenken und bewusst steuern lassen – bis zu dem Punkt, an dem der Rezipient versteht. In diesem besonderen Fall ist Verständlichkeit hergestellt worden. Diese Annahme lässt jedoch auch ein weiteres Indiz für Verständlichkeit zu bzw. notwendig erscheinen. So ist der Verstehensvorgang als Teilaspekt der Verständlichkeit, der maßgeblich durch den Rezipienten regiert wird, allem Anschein nach auch immer individuell und nicht modelhaft übertragbar. Ähnlich urteilen Neubert und Rudzicka: „Abstriche in der Verständlichkeit in der muttersprachlichen Kommunikation kommen also auf das Konto subjektiver Fehlleistungen.“[60]

Ein weiteres Indiz für Verständlichkeit sind emotionale Faktoren, die Verständlichkeit von Texten beeinflussen. Denn „das Verstehen von Sprache ist nicht nur ein auf ein kognitives Resultat abzielender Vorgang, sondern schließt (...) ästhetische und emotionale Komponenten mit ein.“[61] Unter diesem emotionale Aspekt wird Sprache nicht nur als Informationsmedium verstanden, sondern wird in diesem Zusammenhang auch als Transporteur von Meinungen, Einstellungen und Gefühlen gesehen. Dieser Teilaspekt ist für „Leichte Sprache“ sicherlich weniger von Belang, da durch sie einzig der Transport einer oder mehrerer Informationen durch Sprache betrachtet wird. Die genannten Bereiche wie Meinung und Gefühl sind bewusst ausgespart worden.

Der andere Teilaspekt von Verständlichkeit von Texten ist die Verständlichkeit selbst. Hier muss jedoch hinzugefügt werden, dass es sich um die Verständlichkeit handelt, die – wie bereits angekündigt – durch die Produzenten hergestellt wird. Lesbarkeitsformeln und in den 1970er Jahren angewandte kognitionsorientierte Phase in der Verständlichkeitsforschung sind von der Linguistik erprobt worden, doch gegenwärtig setzt sich ein Modell durch, das Situation und Aufgabe eines Textes in den Mittelpunkt rückt.[62]

[...]


[1] Vgl. Bock, Bettina M.: “Leichte Sprache”: Abgrenzung, Beschreibung und Problemstellungen aus Sicht der Linguistik S. 17

[2] Gibson, Harry: Die Psychologie des Lesens S. 18

[3] Gibson, Harry: Die Psychologie des Lesens S. 19

[4] Freyhoff: Sag es einfach S. 7

[5] Genannt sei an dieser Stelle das Werk von Lina Laukars, die mit vereinfachten Mitteln (u.a. Illustrationen) Goethes Faust für Kinder aufbereitet hat. Laukars, Nina(2007): Johann Wolfgang von Goethe: Faust – Nacherzählt für Kinder. Novum Publishing, Neckenmarkt (Österreich)

[6] Vgl. Fix, Martin: Verständlich Formulieren S. 5.

[7] Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG), Artikel 1, Abschnitt 1, § 4

[8] Bock, Bettina M.: “Leichte Sprache”: Abgrenzung, Beschreibung und Problemstellungen aus Sicht der Linguistik S. 38

[9] Sie erklärt, dass es sich durch den Stand der Forschung nicht um eine hypothesengeleitete Analyse, sondern eine explorative Datenanalyse handelt. Ihr Bestreben ist es, durch die Arbeit eine weitere Grundlage für eben jene hypothesengeleitete Forschung liefern zu können.

[10] Kuhlmann, Julia (2013): „Ein sprachwissenschaftlicher Blick auf das Konzept ‚Leichte Sprache’ S. 90

[11] Freyhoff: Sag es einfach S. 7

[12] Der Begriff Sprachbarriere hat sich in der Wissenschaft durchgesetzt.

[13] Vgl. Kothe, Wolfhard: Gesetzliche Grundlagen für barrierefreie Information und Kommunikation S. 27

[14] Winter, Linda: Leichte Sprache als eine Möglichkeit barrierefreier Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Lernschwierigkeiten S. 27

[15] Winter, Linda: Leichte Sprache als eine Möglichkeit barrierefreier Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Lernschwierigkeiten S. 30

[16] Langer, I.; Schulz v. Thun, F.; Tausch, R.: Sich verständlich ausdrücken S. 10

[17] Vgl. ebenda S. 12

[18] Schlosser, Horst Dieter: Die Unwörter des Jahres 1993 S. 63

[19] Vgl. Winter, Linda: Leichte Sprache als eine Möglichkeit barrierefreier Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Lernschwierigkeiten S. 30

[20] Bock, Bettina M.: „Leichte Sprache”: Abgrenzung, Beschreibung und Problemstellungen aus Sicht der Linguistik S. 25

[21] Vgl. ebenda

[22] Vgl. Kuhlmann, Julia (2013): „Ein sprachwissenschaftlicher Blick auf das Konzept ‚Leichte Sprache’ S.8

[23] Bock, Bettina M.: “Leichte Sprache”: Abgrenzung, Beschreibung und Problemstellungen aus Sicht der Linguistik S. 25

[24] Ebenda S. 28

[25] MASGFF: Leichte Sprache S. 6

[26] Durch diese Abgrenzung ist eine leichtere Lesbarkeit natürlich auch immer subjektiv geprägt. Individuelle Lesefaktoren entscheiden zumeist darüber, ob ein Text verständlich war oder eben nicht. Wessels, Claudia: So kann es jeder verstehen S. 229

[27] Bock, Bettina M.: “Leichte Sprache”: Abgrenzung, Beschreibung und Problemstellungen aus Sicht der Linguistik S. 32

[28] Winter, Linda (2010): Leichte Sprache als eine Möglichkeit barrierefreier Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Lernschwierigkeiten S. 34

[29] Vgl. Wessels, Claudia: So kann es jeder verstehen S. 229

[30] Dem Netzwerk gehören unter anderem der AWO Bundesverband e.V. Büro Leichte Sprache, die Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation der Caritas, das Büro für Leichte Sprache Lebenshilfe Bremen e.V., das Büro für Leichte Sprache Dominikus-Ringeisen-Werk sowie das Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland e.V. an

[31] Vgl. Bock, Martina M.: “Leichte Sprache”: Abgrenzung, Beschreibung und Problemstellungen aus Sicht der Linguistik S. 18

[32] Die Informationen stammen von der Homepage des Netzwerkes Leichte Sprache und ist unter www.leichtesprache.org zu erreichen.

[33] Das Angebot ist unter www.inclusion-europe.org zu erreichen

[34] Fix, Martin: Verständlich Formulieren S. 7

[35] Wessels, Claudia: So kann es jeder verstehen S. 232

[36] L2 fasst die Menschen zusammen, die das Deutsche als Fremdsprache lernen

[37] Vgl. Wessels, Claudia: So kann es jeder verstehen S. 232

[38] Winter, Linda: Leichte Sprache als eine Möglichkeit barrierefreier Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Lernschwierigkeiten S. 26

[39] Vgl. Bock, Martina M.: “Leichte Sprache”: Abgrenzung, Beschreibung und Problemstellungen aus Sicht der Linguistik S. 27

[40] siehe Interview im Anhang

[41] An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass es zu jedem Wort ein Bild sowie eine noch ausführlichere Beschreibung gibt. Für den Aktenvernichter lautet diese: „Papiere die niemand lesen soll, werden in den Akten-vernichter gesteckt. Der Akten-vernichter schneidet das Papier in schmale Streifen. Manche Akten-vernichter machen auch kleine Schnipsel aus dem Papier. Jetzt kann niemand mehr lesen, was auf dem Papier steht.“ Wörterbuch für Leichte Sprache, online erreichbar unter http://hurraki.de/wiki

[42] Wessels, Claudia: So kann es jeder verstehen S. 233

[43] Eine klare Struktur liegt beispielsweise schon dann vor, wenn das Subjekt am Satzanfang steht und an zweiter Stelle die Handlung. Fix, Martin: Verständlich Formulieren S. 8

[44] Siehe hierzu Fußnote 28

[45] Vgl. Netzwerk Leichte Sprache: Die Regeln für Leichte Sprache S. 1

[46] Vgl. Netzwerk Leichte Sprache: Die Regeln für Leichte Sprache S. 4

[47] Vgl. Netzwerk Leichte Sprache: Die Regeln für Leichte Sprache S. 4

[48] Die Light-Version dient der Kommunikation zwischen Ministerium und Bürgern, die Vollversion hingegen an Menschen hingegen beispielsweise an Menschen mit Lernschwierigkeiten. MASGFF: Leichte Sprache S. 6

[49] Ich habe die Positionen des Leitfadens aus Gründen der Übersichtlichkeit in eine Tabelle gefasst. Die verarbeiteten Informationen finden sich bei MASGFF: Leichte Sprache S. 6 ff.

[50] Wessels, Claudia: So kann es jeder verstehen S. 233

[51] Vgl. Siegel, Melanie; Lieske, Christian: Verstehen leicht gemacht S. 45

[52] Interview Christiane Maaß siehe Anhang

[53] Jan: Verstehen und Verständlichkeit von Politikersprache S. 31

[54] Kercher nennt das Experten-Laien-Kommunikation. Vgl. Jan: Verstehen und Versätndlichkeit von Politikersprache S. 34 ff.

[55] Jan: Verstehen und Verständlichkeit von Politikersprache S. 36

[56] Rickheit, Gert: Verstehen und Verständlichkeit von Sprache S. 16

[57] Habermas in Rickheit. Rickheit, Gert: Verstehen und Verständlichkeit von Sprache S. 16

[58] Vgl. ebenda S. 16

[59] Vgl. ebenda S. 17

[60] Neubert, Albrecht; Ruzicka, Rudolf: Verständlichkeit, Verstehbarkeit, Übersetzbarkeit S. 6

[61] Rickheit, Gert: Verstehen und Verständlichkeit von Sprache S. 19

[62] Vgl. Rickheit, Gert: Verstehen und Verständlichkeit von Sprache S. 19

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Leichte Sprache. Untersuchung zur Binnendifferenzierung des Adressatenkreises
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Germanistik)
Note
1,6
Autor
Jahr
2015
Seiten
81
Katalognummer
V354842
ISBN (eBook)
9783668418950
ISBN (Buch)
9783668418967
Dateigröße
3333 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Leichte Sprache, Barrierefreiheit, Germanistik, Linguistik, Jura
Arbeit zitieren
Moritz Ballerstädt (Autor:in), 2015, Leichte Sprache. Untersuchung zur Binnendifferenzierung des Adressatenkreises, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/354842

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