»Agrarreform in der Luft.«

Eine medienethnographische Untersuchung zur Legitimierung unabhängiger Radios in Brasilien.


Doktorarbeit / Dissertation, 2015

410 Seiten, Note: cum laude


Leseprobe

Impressum

INHALT

Einleitung

Spurensuche – ein Radiomanuskript von 19851

Forschungsfrage

Forschungsdesign und Methodik

Aufbau der Arbeit

1. Zu den Konzepten – oder: die Herausforderung einer infralinguistischen Bestimmung des Medienmachens

1.1. Medium, Mediation, Radio

1.2. Legitimation als tanzbare politische Melodie

1.3. Regulierungen statt Regulierung

2. Radio in Brasilien – Versuch eines Mappings

2.1 Narrative

2.2 Medienmachen

2.3. Regulierungen

2.4 Zwischenfazit I – die Wiederzusammensetzung von Radio

3. Inskriptionen Freier und Community Radios

3.1 Selektion der network builders

3.2 Positionen

3.3 Montagen

3.3.2 Synchronisierung – komplexe Beziehungen

3.4. Mediationen

3.5 Mobilisierungen

3.6 Zwischenfazit II – Radio als zirkulierende Referenz

4. Radiokollektive

4.1 Noch ein Radiomanuskript – Spurenlesen im Forschungstagebuch

4.2 Freie Radios auf dem Campus

4.4 Community Radios ohne Genehmigung

4.5 Community Radios mit Genehmigung

4.6 Zwischenfazit III – Skriptswitching & Skriptmixing

Konklusion – Détournements, mediale Räume und trading zones

Legitimationskonzepte zwischen Ethno- und Beobachter_innentheorie

Mediale Räume und trading zones

Bibliographie

Appendizes

Interview-Fragebögen

Abkürzungen und Erklärungen zu Akteur_innen

Geführte Interviews

Abstract

Zusammenfassung

Danksagung

Endnoten

Endnoten Einleitung

Endnoten Kap. 1

Endnoten Kap. 2

Endnoten Kap. 3

Endnoten Kap. 4

Endnoten Konklusion


Impressum

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INHALT

 

Einleitung

Spurensuche – ein Radiomanuskript von 19851

Forschungsfrage

Forschungsdesign und Methodik

Aufbau der Arbeit

1. Zu den Konzepten – oder: die Herausforderung einer infralinguistischen Bestimmung des Medienmachens

1.1. Medium, Mediation, Radio

1.2. Legitimation als tanzbare politische Melodie

1.3. Regulierungen statt Regulierung

2. Radio in Brasilien – Versuch eines Mappings

2.1 Narrative

2.1.1 Ursprünge

2.1.2 Kategorien

2.1.3 Entitäten

2.2 Medienmachen

2.2.1  Grenzen

2.2.2 Die Trajekte des Einzelmediums Radio

2.3. Regulierungen

2.3.1 Verfassungen, Gesetze, Normen, Dekrete – und ihre Anwendung

2.3.2 Versteckte Regulierungen

2.3.3 Theoriebaukasten VI – Handlungsprogramme und Übersetzungen

2.4 Zwischenfazit I – die Wiederzusammensetzung von Radio

3. Inskriptionen Freier und Community Radios

3.1 Selektion der network builders

3.2 Positionen

3.2.1 Retrospektiven und normative Radiomodelle

3.2.2 Bestandsaufnahmen

3.2.3 Perspektiven

3.3 Montagen

3.3.1 Signalerzeugung – komplizierte Beziehungen

3.3.2 Synchronisierung – komplexe Beziehungen

3.3.2.1 Inskripteur_innen

3.3.3 Anleitungen – Handlungspotentiale

3.4. Mediationen

3.4.1 Erwünschte Vermittlungen

3.4.2 Unerwünschte Vermittlungen

3.4.3 Annäherungen an das Gemeinwohl

3.5 Mobilisierungen

3.5.1 Handlungsprinzipien

3.5.2 Arbeitsfelder

3.5.3 Ausgeschlossene Mobilisierungen

3.6 Zwischenfazit II – Radio als zirkulierende Referenz

4. Radiokollektive

4.1 Noch ein Radiomanuskript – Spurenlesen im Forschungstagebuch

4.2 Freie Radios auf dem Campus

4.4 Community Radios ohne Genehmigung

4.5 Community Radios mit Genehmigung

4.6 Zwischenfazit III – Skriptswitching & Skriptmixing

Konklusion – Détournements, mediale Räume und trading zones

Legitimationskonzepte zwischen Ethno- und Beobachter_innentheorie

Mediale Räume und trading zones

Bibliographie

Appendizes

Endnoten

 

Einleitung

Spurensuche – ein Radiomanuskript von 19851

»Ship Ahoy« von Frank Zappa hochziehen, danach runterziehen zu BG [background, Anm. N.B.].

BIFO: »Rádio Xilik. Freies Radio der Dringlichkeit, auf 106 UKW, offen für alle, außer für: aktive oder pensionierte Generäle, Frauen aus Santana, Schwindler, Mütter, die immerzu lügen, Wort-Aristokraten, Kinder, die immer die Wahrheit sagen, Demagogen, evangelikale Richter.«

»Ship Ahoy« wieder hochziehen und dann Feuer frei bis zum Schluss

 

.[...]

B: »Rádio Xilik, das dringende Freie Radio ruft den freien Teil der Hörwelt. Polifonia.«

»Toxika« von Plastic People [of the Universe, N.B.] hochziehen, dann BG

 

[...]

B: »Sie haben Angst vor den Alten, wegen ihren Erinnerungen. Sie haben Angst vor den Jungen, wegen ihrer Unschuld. Sie haben Angst vor den Arbeitern. Sie haben Angst vor der Wissenschaft. Sie haben Angst vor Büchern und Gedichten. Sie haben Angst vor Schallplatten und Tonaufnahmen. Sie haben Angst vor Musik [...]. Sie haben Angst vor der Freiheit. Sie haben Angst vor der Demokratie. Sie haben Angst vor der universellen Menschenrechtserklärung. Sie haben Angst vorm Sozialismus.

Arrigo »Clara Crocodilo« Bernabé voll aufdrehen. Dann BG.

ALSO, WARUM ZUM TEUFEL HABEN WIR ANGST VOR IHNEN?«

 

[...]

 

B: »Die Kammerjäger sind sie...

Wir wünschen uns ein Leben ohne Versteckspiele.«

Rádio Xilik (gesendet am 20.07.1985)

Ein Leben ohne Versteckspiele ist für viele Medienaktivist_innen der Ausnahmezustand. Auch Franco »Bifo« Berardi war nach der gewaltsamen Schließung des Freien Radios Alice in Bologna am 12. März 1977 ein Stück weit auf der Flucht vor der italienischen Justiz, schrieb und lebte im Exil. Dort überraschte ihn sieben Jahre später die Einladung einer alten Bekannten – Alice. Einmal mehr verließ sie ihr Versteck, war auf den ersten Blick wie immer schwer zu erkennen, denn sie »hat tausend Gesichter, verändert ständig den Ausdruck, wühlt sich durch die Städte, die Stadtteile, die Fabriken, die Schulen, wie eine wilde Katze«.2 Zudem hieß Alice diesmal Xilik und sprach – von einigen Besucher_innen aus Europa abgesehen – fließend Portugiesisch. Denn sie hatte sich (zurück?) in den Süden gewühlt und dort eine Antenne und ein Sendegerät gebastelt. Dort verteidigte sie für Wochen, vom ersten Stockwerk der Katholischen Universität aus, ein Stück Himmel über São Paulo...

So wie Rádio Xilik proklamierten zu Beginn der 1980er Jahre Dutzende unabhängige Radios in Brasilien eine »Agrarreform in der Luft«, besetzten ohne Sendegenehmigung UKW-Frequenzen.3 Noch während das Militärregime (1964-1985) seinen Rücktritt zugunsten einer zivilen Übergangsregierung aushandelte, wuchs die Kritik am »reaktionären Konsens« der Rundfunkregulierung.4 Als reaktionär wurde dabei die staatliche Praxis empfunden, einen Großteil der verfügbaren Radiofrequenzen auf wenig transparente Weise an private Medienunternehmen zu verpachten, während unabhängigen Sendern der Zugang zum elektromagnetischen Spektrum strikt untersagt blieb.5 Neben Privatradios waren gesetzlich einzig staatlich kontrollierte Bildungssender vorgesehen. Diese Radios, die nur einen sehr kleinen Teil der verfügbaren Frequenzen nutzten, waren in ihrer engen Bindung an einen autoritären Staat, der bereits lange vor dem Militärputsch 1964 für eine konstante Zensur der Medien bekannt war, jedoch nicht der Ort, an dem eine partizipative Umdeutung des Radiomediums stattfinden konnte.6

Vielmehr artikulierten sich die Forderungen nach demokratischen Freiheiten – inklusive der Meinungs- und Pressefreiheit, die im Brasilien der 1970er Jahre aufgekommen waren, ein Jahrzehnt später längst in »praktischen Beiträgen einer organisierten Bevölkerung«.7 Artikel 19 der Menschenrechtserklärung, welcher das Recht auf »freie Meinungsäußerung [...] über Medien jeder Art [...] zu empfangen und zu verbreiten« garantiert, war inzwischen eine gängige Praktik geworden, die den Weg zu einer »definitiven Invasion und Besetzung der Atmosphäre«8 ebnen sollte. Als Antwort auf die staatliche Repression begannen die unabhängigen Radiomachenden die Broken-Window-Theorie9 auf ihre Weise umzudeuten:Für jedes geschlossene Radio wurden kurzerhand zwei neue eröffnet. Bereits 1991 standen 2717 privaten und staatlichen Sendern über 400 unabhängige Radios gegenüber.10 Fünf Jahre später sollen mehr als 10.000 solcher Stationen im elektromagnetischen Spektrum präsent gewesen sein.11 Das Versteckspielen glich nun eher einem alltäglichen Katz- und Mausspiel, das die Kontrolleure (fiscais) der Regulierungsbehörde (DENTEL) zunehmend überforderte.

Zudem standen die staatlichen Verfolger_innen, die unabhängiges Radiomachen als Straftat betrachteten, gewaltsam Sender schlossen und ihre Macher_innen verhafteten, seit 1988 vor einem »hausgemachten« Problem: der neuen brasilianischen Verfassung. Die dort verankerten individuellen Grundrechte befanden sich in Widerspruch zum autoritären Charakter vieler Gesetze aus den 1960er Jahren, welche weiterhin den Rundfunk normierten und regulierten. Immer wieder intervenierten Richter_innen in laufende Strafprozesse gegen unabhängige Radios und argumentierten, die Nutzung von Radiowellen sei ein praktischer Ausdruck der Meinungs- und Informationsfreiheit. Radiale Zugriffe auf den Äther, der schließlich ein öffentliches Gut darstelle, bedürften nur in begründeten Einzelfällen einer staatlichen Genehmigung.12 Das Ende des 19. Jahrhunderts von vielen Nationalstaaten etablierte Regulierungsmonopol im elektromagnetischen Spektrum stand in Brasilien plötzlich in der Kritik.

Dieser offene Konflikt über die Regulierung des Rundfunks mündete 1998 vorläufig in einem legalen Kompromiss. Unter Vermittlung von Regierungsvertreter_innen, Radiomachenden, sozialen Bewegungen und Kongressabgeordneten wurde in diesem Jahr auf legaler Ebene ein neues Radiomodell verankert, das offen für alle sein und auf lokaler Ebene die bestehende Rundfunklandschaft ein Stück weit demokratisieren sollte, ohne jedoch das bestehende Regulierungsparadigma zu verändern. Trotz kritischer Stimmen begrüßten viele damals beteiligte Radiomacher_innen das sogenannte »Gesetz für Community Radios« (Lei 9.612/98) als eine legale Garantie, die Tausenden nicht-genehmigten Sendern den Weg in die Legalisierung ermöglichen würde. Die Zeit des Versteckspielens schien vorüber.

 

Forschungsfrage

Doch inwiefern entspricht diese bis heute gültige legale Regelung der ihr vorausgehenden Forderung nach einer umfassenden »Agrarreform in der Luft«? Repräsentiert und garantiert das Gesetz tatsächlich all jene unabhängigen Radiopraktiken, die sich in Brasilien als Medien gesellschaftlicher Demokratisierung artikulier(t)en? Rückblickend fällt das Urteil heute aktiver Radiomacher­_innen ernüchternd  aus. An Stelle einer radialen Agrarreform, habe das Gesetz einen »Hühnerstall« (galinheiro) geschaffen, der unabhängige Sender innerhalb strikter Normen und Regeln stark einschränke und daran hindere, den von ihnen angestrebten Beitrag zum gesellschaftlichen Gemeinwohl leisten zu können. Anstatt die Konzentration und Dominanz kommerzieller Radios überwinden zu helfen, trage es zu einer anhaltenden Marginalisierung unabhängiger Sender bei. Das Gesetz führe nicht zu einer Entkriminalisierung nichtgenehmigten Radiomachens, vielmehr sei die Prämisse, nur im Ausnahmefall intervenierender staatlicher Regulierer auf legalem Wege in ihr imperatives Gegenteil verkehrt worden.13 Es sind solcherlei Argumente welche nicht nur die anhaltende Forderung nach einer umfassenden Neuordnung des brasilianischen Rundfunks prägen, sondern kontinuierlich auch einen praktischen Widerstand im elektromagnetischen Spektrum anleiten; 4377 legalisierten Radios stehen heute vier bis fünf mal so viele unabhängige Sender ohne Genehmigung gegenüber.14

»Denn die Frage ist nicht das Gesetz. [Radiomachende] sind legitimiert, ein Stück Brasiliens einzufordern. [...] Mehr noch: das elektromagnetische Spektrum zu besetzen ist unsere Pflicht. Wir können nicht darauf warten, dass sie es uns übergeben«,

heißt es in der Einleitung eines kürzlich veröffentlichten Handbuchs für unabhängige Radiomacher_innen.15 Angesprochen wird hier eine mediale Anerkennungswürdigkeit, die sich explizit nicht auf die Gesetzestexte beruft. Es stellt sich die Frage, auf was dann?

Eine erste Antwort findet sich in jenen normativen Prämissen unabhängigen Radiomachens, welche deren Anerkennungswürdigkeit über einen legalen Rahmen hinaus begründen.16 Solcherlei Beschreibungen umfassen sowohl die inhaltliche als auch die organisatorische Dimension der Signalerzeugung. In Konkurrenz zu legalen Kategorisierungen des Rundfunks (und der daran gebundenen Aufteilung des Spektrums) wird ein eigener radialer Beitrag zum Gemeinwohl artikuliert, der die Besetzung einer Frequenz rechtfertigt. Dem Staat im Allgemeinen und/oder dem Gesetz der Community Radios im Besonderen wird dagegen abgesprochen, im Namen des Gemeinwohls das elektromagnetische Spektrum auf angemessene Weise zu regulieren. Aus Sicht der unabhängigen Radios erscheint die Legitimation der brasilianischen Rundfunkregulierung also als krisenhaft.

Analytisch lässt sich die Spur dieser Krise auf vielfältige zweifache Weise aufnehmen. Zunächst wäre es möglich, auf der Beobachterebene einen theoretischen Zugang zu operationalisieren, um damit eine kritische Revision des nationalen Rundfunksystems anzustrengen und anschließend punktuell Vorschläge für dessen konsensuelle Optimierung zu liefern. Dabei würden formale politische Prozesse im Vordergrund stehen und bspw. ihr Potential, einen positiven Beitrag zur Demokratisierung des Rundfunks zu liefern.17 Unbeachtet blieben bei einer solchen Auseinandersetzung jedoch sowohl eine mögliche Neuverhandlung des staatlichen Regulierungsanspruch bezüglich der Radiowellen als auch die selten hinterfragte Universalität des Radiomediums, die gemeinsam allen radialen Nutzungsvorschlägen vorausgehen.18 Eine andere, medienethnographische Route würde sich dieser Herausforderung mit Interesse annehmen und dabei die vom bestehenden Rundfunksystem abweichenden Formen des Medienmachens genauer in den Blick  nehmen. Dabei erhielten unabhängige »radialistas« nicht nur die Möglichkeit, ihre Vorschläge für eine partielle Aneignung des Radiomediums einzubringen, sondern dieses (konzeptuell und praktisch) in seiner Universalität und staatlichen Regulation aktiv zu verändern. Die vorliegende Arbeit folgt der zweiten hier skizzierten Forschungsroute. Ich möchte deshalb zunächst einen adäquaten perspektivischen Zugang beschreiben.

Ein solcher deutet sich in der bereits angesprochenen Frage nach der gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit unabhängiger Radios an. Bereits seit den 1980er Jahren wird die Legitimationskrise staatlicher Rundfunkregulierung dabei mit der Legitimation abweichender Radiopraktiken verknüpft.19 Es genügt deshalb nicht, für die Frage der medialen Anerkennungswürdigkeit allein theoretische Modelle und funktionelle »Blaupausen« (blueprints) eines »anderen Medienmachens« zu analysieren.20 Vielmehr ist es ebenfalls notwendig nachzuzeichnen, wie existierende Radios die Legitimationskrise des Rundfunks für ihren operativen Gebrauch nutzen. Denn jedes unabhängige Radio könnte sich zunächst normative Gebote wie Partizipation, Diversität und Demokratisierung an die Sendekabine plakatieren. Die kategorischen Ansprüche allein sind jedoch keine Garantie dafür, dass diese auch in ein spezifisches Medienmachen übersetzt und gesellschaftlich stabilisiert werden. Oder salopp gesagt: Wie verhindert man im Einzelnen, dass ein_e brasilianische_r Bundespolizist_in nicht im Namen des Gesetzes die Tür zu einem Sender eintritt, um die Besetzung einer Frequenz im elektromagnetischen Spektrum zu verhindern?

Ein Radio kann als »Papiermaschine«, also als ein schriftlich oder anderweitig fixiertes Konzept, noch so gerechtfertigt sein, ob und wie es ihm gelingt, sich auch entsprechend einer spezifischen Anerkennungswürdigkeit zu stabilisieren, ist eine andere Frage. Und ich vermute, dass gerade die Suche nach empirischen Antworten, gesellschaftliche Aushandlungsprozesse sichtbar machen wird, die über die bekannten und sichtbaren Prämissen medienpolitischer Debatten hinausgehen. Die vorliegende Arbeit ist also daran interessiert herauszufinden, wie sich die unabhängigen Radios Brasiliens bei ihrem Medienmachen im elektromagnetischen Spektrum in der Zeit legitimieren.

 

Forschungsdesign und Methodik

Der ethnographische Ansatz meines textuellen Experiments operationalisiert im Wesentlichen zwei Prämissen. Zunächst soll Legitimation nicht allein Gegenstand einer normativen Debatte bleiben, sondern zugleich auf einen breiteren gesellschaftlichen Aushandlungsprozess bezogen werden. Daran gekoppelt ist bereits eine zweite wichtige Vorannahme: kein Konzept ist in seiner Definition allein den Forschenden und Beobachtenden vorbehalten. Gerade im Fall unabhängiger Radios wäre es fatal, die begriffliche Arbeit der Medienmachenden zu übergehen oder hierarchisch einer akademischen Beobachter_innenebene unterzuordnen.21 Vielmehr bin ich daran interessiert auf den folgenden Seiten eine »trading zone« zu schaffen, in der konkurrierende Positionen aufeinandertreffen, ohne diese bereits im Vorfeld in ihrer Wertigkeit zu ordnen.22

Dies bedeutet für das Forschungsdesign, von Beginn an mit sensibilisierenden Konzepten23 zu arbeiten, hier verstanden als offene Terminologien, welche anteilig zwischen heterogenen Akteur_innen gebildet werden. Unabhängiges Radio und Legitimation sind dabei die zwei herausragenden aber nicht die einzigen weiter zu füllenden Kategorien. Implizit verschiebt sich somit auch der erkenntnistheoretische Fokus der sensibilisierenden Begrifflichkeiten. Da sie selbst Aushandlungen unterliegen und als Konsens zwischen unterschiedlichen Akteur_innen stabilisiert werden, affirmieren sie tendenziell auch weniger feste Zustände und zentrale Handlungsträger_innen als distribuierte Prozesse.24 Eine solche begriffliche Reflexivität zeichnet neben dem Radiomedium auch das Verständnis von Legitimation aus, das epistemologisch keinen Zustand (z.B. Herrschaft) bezeichnet sondern einen Vorgang sich verändernder und konkurrierender Legitimationsforderungen unter Beteiligung unterschiedlicher »sources of legitimation«.25 Solche sensibilisierenden Konzepte evozieren potentiell eine partizipative Begriffsbildung und helfen zugleich dabei, die unterschiedlichen Positionen in ein Verhältnis zu setzen.

Die Forschungsfrage auf diese Weise zu operationalisieren schlägt sich auch auf die Bestimmung des Mediums nieder. Die medienethnographische Annäherung ist dabei besonders daran interessiert, die Konstitution medialer Ensembles in den Blick zu nehmen. Denn wenn das legitimierte Medienmachen unabhängiger Radios sich nicht in normativen Modellen erschöpft, vervielfältigt sich die Zahl relevanter Akteur_innen rapide. Was und wer machen ein Radio im Einzelnen partizipativ, horizontal und unparteiisch oder eben gerade nicht? Und was bedeuten diese Attribute im Einzelnen? Auf diese Fragen gibt es keine universellen und abschließenden Antworten. Vielmehr kommt eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Radiomedium nicht umhin, eine Vervielfältigung seiner Repräsentationen in Kauf zu nehmen. Mehr noch, gerade aus der Analyse dieser konkurrierenden Radioreferenzen zieht die Arbeit ihr analytisches Potential, um der Legitimation unabhängiger Radios auf die Spur zu kommen.

Als Spurensuche lässt sich auch das sample, also die begründete Auswahl der von mir untersuchten Akteur_innen, beschreiben. Ausgehend von meinen Vorrecherchen habe ich sowohl das vorgenommene mapping der relevanten Literatur, als auch die Feldforschungsaufenthalte in einem ständigen Dialog mit den network builders und Machenden unabhängiger Radios geplant. Als Beobachtender habe ich mich zur Eingrenzung dieser Begegnungen an folgenden Prämissen orientiert: Bei der Unterscheidung spezifischer medialer Skripte und ihrer Autor_innen, war es mir wichtig neben den staatlichen network builders (Gesetze, Kommunikationsministerium, Regulierende) auch alle landesweit operierenden und eine Auswahl regionaler Radioverbände in die Studie einzubeziehen, da gerade sie öffentlich wahrnehmbare Vorstellungen unabhängigen Radiomachens artikulieren.26 Was die Auswahl der im Rahmen einer Einzelfallanalyse besuchten Radiokollektive angeht, habe ich für den ersten Feldforschungsaufenthalt zunächst die beiden Bundesstaaten ausgewählt, in denen die Konzentration kommerzieller Radiomedien am höchsten ist (São Paulo, Rio de Janeiro), in der Annahme, dass dort auch der Kampf um Frequenzen sehr intensiv seien müsse. Als kontrastierende Fälle für den zweiten Aufenthalt im Feld habe ich anschließend, im Austausch mit Akteur_innen, die nordöstlichen Bundesstaaten Ceará und Pernambuco bestimmt, da hier die Konzentration kommerzieller Radiosender relativ niedrig ist. Schließlich habe ich in diesen Bundesstaaten Senderpaare hinsichtlich des Kriteriums ausgewählt, dass diese räumlich bzw. konzeptuell in ähnlichen Situationen operierten.27 Nach dem Besuch von über 30 Sendern intensivierte ich die Beobachtungen und Interviews schließlich in 17 Sendern, die ich für die vergleichende Analyse in vier Kategorien gebündelt habe (vgl. Kap.4).28

Eine solche Betrachtung auf methodischer Ebene durchzuhalten steht jedoch vor der ständigen Herausforderung neben der Auswahl der untersuchten Akteur_innen auch ihre distribuierte ontologische Ordnung der Dinge und die einzelnen empirischen Zugänge der Betrachtung plausibel und transparent zu machen. Erfüllen lässt sich dieser Anspruch im Rahmen der Akteur_innen-Netzwerktheorie (im Folgenden ANT), die dafür sowohl theoretisch als auch methodisch viele Bausteine liefert.29 »Kompatibel« ist zunächst der darin angelegt Anspruch, vorgängigen Prämissen eine radikale Absage zu erteilen, und auf analytischer Ebene nur mit infralinguistischen Begriffen zu arbeiten. Stattdessen schlägt ANT leitmotivisch vor, den Akteur_innen bei der Entfaltung sozialer Beziehungen zu folgen. Angestrebt wird dabei keine umfassende sondern eine perspektivische Ausdeutung gesellschaftlicher Prozesse – wie im vorliegenden Fall eben medialer Legitimation. Dabei kommen ihre analytischen tools auch dem Interesse entgegen, die potentielle Vielfalt medialer Entitäten erfassen zu können, die an ihrer Realisation beteiligt sind. Elemente, die in anderen Studien auf der Ebene von Objekten, Infrastruktur oder Werkzeugen abgelegt werden, erfahren im Rahmen von ANT-Studien eine Aufwertung zu potentiell aktiven, sozialen und politischen Vermittlern_innen.30 Eine Antenne ist beispielsweise in sofern auch eine aktive Akteurin, als dass sie andere Akteur_innen eines radialen Ensembles dazu befähigt etwas zu tun.31 Ihr Rolle ist dabei (trotz gleichbleibender technischer Eigenschaften) im Verhältnis zu weiteren Akteur_innen nie die gleiche, ihre und die Beteiligung weiterer Elemente an einem legitimen Radiomachen nicht allgemein zu beantworten, sondern im Rahmen dichter Beschreibungen zu suchen.32

Solcherlei Beschreibungen werden perspektivisch im Rahmen von Skripten rekonstruiert, das heißt sozialen Handlungsprogrammen und Übersetzungsketten, welche Akteur_innen-Netzwerke dimensionieren. Erkenntnistheoretisch unterscheiden ANT-Studien dabei vier Momente, welche dabei helfen, die vernetzten Akteur_innenkonstruktionen in ihrer Realisierung von einer hypothetischen bis zu einer alltäglichen Stabilisierung zu dokumentieren.33 Die einer solchen Analyse zugrunde liegende Vorstellung sozialer Wirklichkeit lässt sich ebenfalls in vier Phasen ausdrücken und beschreibt einen Prozess, bei dem als Reaktion auf eine spezifische Krise sogenannte network builders34 ein mögliches Akteur_innennetzwerk veranschlagen, das eine möglichst große Anhänger_innenschaft heterogener Entitäten rekrutieren und dauerhaft mobilisieren soll. Sowohl die zu untersuchende soziale Wirklichkeit als auch das Forschungsdesign werden also als Akteurinnen_netzwerke konzipiert, sie fallen jedoch nicht zusammen, um tautologische Schlüsse zu vermeiden. Das Forschungsdesign entwickelt lediglich eine von unzähligen perspektivischen Beschreibungen, es steckt ein Experiment ab, dessen Gelingen anfangs ungewiss bleiben muss. Das folgende, textuell aufgearbeitete Experiment35 ist im Besonderen daran interessiert nachzuweisen, dass es möglich ist, die politische Relevanz unabhängiger Radios perspektivisch entlang ihrer Legitimationen als Medien zu entfalten. Denn ihre radialen Konstruktionen leisten einen spezifischen Betrag zur politischen Ausdeutung des Rechts auf Kommunikation bzw. Meinungsfreiheit.

Im Einzelnen verfolgt meine Forschung dabei drei leitende Ziele. (1) Das erste verknüpft den medienethnographischen Blick auf die unabhängigen Radios Brasiliens mit dem Interesse, ihre politische Bedeutung in der gesellschaftlichen Aushandlung von Medien zu suchen. Die häufig vorgenommene Dokumentation der von »alternativen Medien« transportierten spezifischen Information (z.B. Gegeninformationen) oder daran geknüpfte politische Prämissen beteiligter Akteur_innen (z.B. gegenhegemoniale Medienarbeit) ist dabei nicht unwichtig, jedoch nicht ausreichend, um die oben aufgeworfene Frage beantworten zu können, wie unabhängige Radios andere Akteur_innen befähigen politisch zu handeln bzw. Handlungsräume schaffen.36 Dabei geht es mir auch darum, eine implizite Überaffirmation mit unabhängigen Radios zu vermeiden und widersprüchliche Handlungsprogramme sowie interne Konflikte um Selbstlegitimation bzw. Delegitimation nicht auszublenden sondern analytisch nutzbar zu machen.

(2) Ein zweites Ziel der Arbeit, besteht darin, ein kritisches Korrektiv zur Forschungsperspektive der Medien- und Rundfunkregulierung zu liefern. Denn der Erklärungshorizont universeller und struktureller Regulierungskonzepte beschränkt sich zumeist auf formelle und sichtbare Praktiken. In der Folge werden verschiedene Akteur_innen, wie zum Beispiel staatliche Regulierungsbehörden aber auch Handlungsprogramme wie die Konzessionierung von Radios naturalisiert. Das heißt, innerhalb eines starren analytischen Regulierungsrahmens ist ein abweichendes Medienmachen immer nur bis an jenen Punkt denkbar, der nie die Legitimation der Regulierung selbst betrifft. Darüber hinaus bleiben auch Regeln auf der nicht-formalrechtlichen Ebene, wie beispielsweise die mediale Selbstzensur oder -disziplinierung unbeachtet beziehungsweise werden nicht als Teil gesellschaftlicher Regulierungen thematisiert. Unabhängiges Radiomachen wird aus dieser Perspektive deshalb meist als ein spezifisches Problemfeld staatlicher Rundfunkregulierung wahrgenommen. In der vorliegenden Arbeit wird dagegen ebenso der problematische Anspruch von Staaten, Medien zu ordnen, normieren und regulieren hinterfragt.

(3) Das dritte und mir am wichtigsten erscheinende Ziel ist jedoch einen Beitrag zur aktuellen Debatte in Brasilien zu leisten, die um die gesellschaftliche Anerkennung unterschiedlicher Radioformate kreist. Relevant erscheint mir dabei zum einen, empirisch den Blick auf die vielfältigen radialen Artikulationen zu erweitern und somit auch das eingeübte Opfer-Täter-Schema aufzubrechen innerhalb dessen unabhängige Radios gemeinhin staatlichen und kommerziellen Medien gegenübergestellt werden. Eine kritische Revision der konkurrierenden radialen Legitimationen ist umso dringlicher, als dass per Präsidialdekret im Jahr 2010 eine grundsätzliche Neuordnung der brasilianischen Rahmengesetzgebung für elektronische Medien eingeleitet wurde. Die dabei auch zur Debatte stehende Digitalisierung des Radiospektrums wird den anhaltenden Konflikt der Frequenznutzung nicht entschärfen. Dagegen deutet vieles darauf hin, dass sich die Konstellationen legitimen Radiomachens verschieben, beziehungsweise zugunsten einer demokratischeren Nutzung in Bewegung gebracht werden können. Wichtig ist es, dabei möglichst viele am Radiomachen beteiligten Entitäten in den Blick zu nehmen. Und die in dieser Arbeit für unabhängige Radios vorgenommene Dokumentation zeichnet dabei äußerst aktuelle und dynamische Medienkonfigurationen nach, die für die medienpolitischen Kontroversen Brasiliens und Lateinamerikas von Bedeutung sind. Sicherlich wird die vorliegende Arbeit nicht all die „tausenden Gesichter“ Alices porträtieren können, auf denen bereits praktische Vorschläge in diese Richtung erkennbar sind. Aber sie wird zumindest einige Phantombilder zeichnen, welche dabei helfen, unabhängiges Radiomachen in seinem politischen Werden besser zu verstehen.

 

Aufbau der Arbeit

Die Analyse unabhängiger Radios in ihrer Legitimation als Medien gemeinsam mit den beteiligten Akteur_innen zu entwickeln heißt zunächst, sich auch als Forschender transparent im Forschungsdesign zu positionieren. Diesem Anspruch komme ich nach, in dem ich im folgenden 1. Kapitel einige für die Arbeit verbindliche infralinguistische Konzepte beschreibe. Gemeint sind damit breite, relationale Definitionen von Begriffen, welche es erlauben, die Positionen aller an der Analyse beteiligten Akteur_innen in ein Verhältnis zu setzen. Für die Betrachtung medialer Legitimation ist es dabei zunächst von zentraler Bedeutung im Vorfeld auszuführen, was überhaupt mit Medium und Legitimation gemeint ist. Anschließend erfolgt eine dritte konzeptuelle Auseinandersetzung mit der Regulierung von Medien, welche als analytischer Horizont erweitert werden muss, um nicht den Blick auf bestimmte gesellschaftliche Aushandlungen zu verstellen.

Aufbauend auf dieser infralinguistischen Theoriearbeit beginnt nun im 2. Kapitel die eigentliche empirische Spurensuche. Zunächst ist dabei der Nachweis zu erbringen, dass überhaupt eine Kontroverse stattfindet, die von der Forschungsfrage perspektivisch veranschlagt und anhand der Konzepte weiter dimensioniert wurde. Die erste Annäherung ist deshalb als ein breites Mapping angelegt, d.h. eine Bestandsaufnahme von Akteur_innen innerhalb der vorhandenen Literatur zum brasilianischen Rundfunk. Breit bedeutet hier vor allem, die Vielgestaltigkeit des Mediums herauszuarbeiten und auch jene Skripte und Akteur_innen zu dokumentieren, von denen sich unabhängige Radios abgrenzen.

Geleitet wird dieses Mapping von einigen expliziten Vorschlägen der ANT, transparent Zugänge zum Forschungsgegenstand zu finden. Radio wird dabei zunächst als Narration in den Blick genommen, die Ursprünge, Kategorien und Akteur_innen verbindet. Was macht Radio in Brasilien im Allgemeinen aus und im Besonderen legitim? Anschließend widme ich mich ausführlich jenen radialen Entitäten, die gemeinhin als Technik oder Infrastruktur subsummiert werden. Ihrer Dokumentation folgen zwei Exkurse, welche die historische Verschiebung dieser nichtmenschlichen Akteur_innen als zwei technologische Dramen aufrollen und dabei historisch Radio zunächst als Modernisierungsmaschine und anschließend in seiner politischen Vereinnahmung durch zivile und militärische Regime betrachtet. Beide Beziehungen wirken, wie ich zeigen werde, direkt auf die Frage der Legitimierung zurück. Abschließend erfolgt ein mapping der in der Literatur benannten Regeln und Regulierungen, die Radioskripte, wenn man so will, formell und informell (z.B. extralegale Handlungsprogramme) eingrenzen. Im Fokus steht dabei neben einer Einführung in den aktuellen Regulierungsrahmen und weitere Regelwerke, immer wieder die Legitimation der Regeln selbst.

Zum Ende all dieser Unterkapitel findet sich jeweils ein Theoriebaukasten. In diesen kurzen theoretisch-methodischen Interventionen, resümiere ich die einzelnen Betrachtungen noch einmal explizit im infralinsguistischen Vokabular der ANT. Daran ist das Ziel gekoppelt, sowohl die Begrifflichkeiten und Konzept der Arbeit transparent zu halten, als auch eine zunehmende Systematisierung des Mappings in seiner analytischen Differenz zu erreichen. Besprochen werden dabei im Einzelnen das fraktale Akteur_innennetzwerkmodell, die ontologische Unterscheidung hybrider und kollektiver Akteur_innen, sowie allgemeine und spezielle Handlungsbegriffe der ANT.

Im 3. Kapitel kommen die network builder zu Wort. Das heißt, die im mapping als relevant erscheinenden Akteur_innen bekommen Gelegenheit, ihre Modelle unabhängigen Radiomachens zu entfalten. Entsprechend den Phasen der Akteur_innen-Netzwerk-Bildung (vgl. Endnote 26) werden aus ethnographischen Interviews mit network builders und von ihnen produzierten Texten spezifische Ausdeutungen unabhängigen Radiomachens rekonstruiert. Ausgehend von der Frage, wie diese Akteur_innen ihre radialen Prämissen zur aktuellen Gesetzgebung in Bezug setzen, untersuche ich über die legalistische Debatte hinaus, welche normativen Positionen an die unterschiedlichen medialen Visionen gekoppelt sind (Kap. 3.2 Positionen).

Darauf aufbauend widmet sich das folgende Unterkapitel (Kap. 3.3 Montagen) den spezifischen »Bauplänen«, das heißt den konkreten Entwürfen für die Radiopraxis unter Einbeziehung aller relevanten Entitäten, die als hybrides Akteur_innen-Kollektiv das Senden ermöglichen. Die Einbindung der Akteur_innen werden dabei in ihren spezifischen Konstruktionen als technologische Trajekte analysiert. Das heißt, die unterschiedlichen Möglichkeiten ein Signal zu senden werden genau dokumentiert, anstatt vorschnell von einem einheitlichen Modell des operativen Gebrauchs, im Sinne eines funktionalistischen Zwangs,  auszugehen. Bereits hier betrachte ich neben den unmittelbar an der Signalerzeugung beteiligten Größen auch weiterführende medienpolitische Begründungen, die die Anwesenheit und Partizipation einzelner Größen in ein Legitimationsnarrativ einbindet..

Vertieft wird die Frage nach den gesellschaftlichen und politischen Zielstellungen der unabhängigen Radiomodelle im nächsten Teil des Kapitels (Kap. 3.4 Mediationen). So wie einzelne Bestandteile eines unabhängigen Radios dieses als Medium legitimieren können, lässt sich ebenso in den Blick nehmen, welche spezifischen Vermittlungen ihnen als Ensemble im Verhältnis zu den konkurrierenden kommerziellen, edukativen und staatlichen beziehungsweise öffentlichen Radios zugeschrieben werden. Soll heißen, wie werden die heterogenen Entitäten in ihren spezifischen Bezügen – die oftmals auf äußerst verschiedenen Abstraktionsniveaus daherkommen – in spezifische Narrative sozialer Anerkennungs-würdigkeit übersetzt?

Verbunden mit der Frage nach dem warum ist nun erneut das wie, diesmal jedoch unter dem Blickwinkel der Operationalisierung (Kap. 3.5 Mobilisierung). Herausgearbeitet wird dabei, wie spezifisch die einzelnen Modelle auch anleitend für das Knüpfen und die Pflege der Beziehungen zwischen den einzelnen radialen Entitäten sind, beziehungsweise inwiefern sie diese Aufgabe an die einzelnen Radiokollektive delegieren. Deutlich wird an dieser Stelle bereits, dass dieser Blick die Frage nach der medialen Legitimation nur teilweise beantworten kann, zum einen, da die verschiedenen Modelle in ihren Anleitungen unvollständig sind, zum anderen da sie allein nicht erklären können, wie die Stabilisierung unabhängigen Radiomachens als gesellschaftlich anerkannte Handlungsprogramme stattfindet.

Diese Lücke schließt Kapitel 4, das unabhängige Radiokollektive in vier spezifischen Situationen untersucht. Im Zentrum steht dabei die weitere Übersetzung der besprochenen Modelle in konkrete Handlungsprogramme, die nicht nur »auf dem Papier« überzeugen, sondern sich als ein alltägliches Medienmachen in der Zeit behaupten müssen.37 Die dargelegten Stabilisierungen generieren sich erneut aus dem ethnographischen Material, nehmen allerdings stärker auf die Teilnahme des Forschenden an Sendungen, Plenen, Diskussionen, Besetzungen aber auch Konflikten und Krisen von mehr als 30 unabhängigen Radiosendern Bezug. Dabei habe ich die Erfahrungen unabhängiger Sender, die sich selbst als »Freie« oder »Community Radios« bezeichnen, in vier unterscheidbare Situationen gruppiert, die auch strukturgebend für die einzelnen Unterkapitel sind: Freie Radios auf dem Universitätscampus (4.2), Freie Radios in Kulturzentren und besetzten Fabriken (4.3), Community Radios ohne Genehmigung (4.4) und Community Radios mit Genehmigung (4.5).

Dieser Ordnung unterliegen zwei allgemeine Beobachtungen, die forschungsleitend für das Kapitel sind. Zum einen übertrifft die Zahl Freier Radios auf Universitätsgeländen klar die Zahl solcher Sender an anderen Orten. Demnach scheinen Sender dort ein Akteur_innen-Netzwerk bilden zu können, das ihre Stabilisierung begünstigt – was den Blick auf die Persistenz Freier Radios außerhalb der »Akademien« um so spannender macht, denn gerade sie erbringen den Nachweis, dass überall Freies Radio gemacht werden kann. Bezüglich der Community Radios lässt sich dagegen sagen, dass deren Legitimationsstrategien im Moment der legalen Anerkennung nicht enden, sondern lediglich eine qualitative Verschiebung erfahren. Auf welche Weise dabei auch die Grenze gegenüber nicht-genehmigten Sendern neu gezogen wird, ist für den differenztheoretischen Ansatz der Arbeit besonders relevant, weil hier exemplarisch die oftmals unterstellte Kopplung eines Senders an nur ein unabhängiges Radiomodell implodiert. Denn was meint oder tut ein Freies oder Community Radio im Einzelnen, wenn es sich so nennt und praktisch zu legitimieren sucht?

Analytisch dimensioniere ich diese Frage dreifach. Erstens rekonstruiere ich, inwiefern einzelne Sender Modelle unabhängigen Radiomachens explizit mischen, modifizieren beziehungsweise mit eigenen Vorschlägen selbst eine Rolle als network builder beanspruchen. Zweitens erörtere ich die Mobilisierung von unterstützenden Akteur_innen, die einen legitimatorischen Beitrag für die praktische Stabilisierung leisten und in den Modellen des vorherigen Kapitels keine Erwähnung fanden. Die dritte Dimension schließlich transzendiert alle bisherigen Abstraktionsniveaus und Perspektiven, indem sie die allgemeine Sichtbarkeit und Öffentlichkeit der Legitimationsstrategien der einzelnen Sender problematisiert. In der Rekonstruktion einiger »hidden transcripts«38, d.h. nicht-öffentlicher Aushandlungen medialer Anerkennungswürdigkeit, wird deutlich werden, dass es nicht nur kein universelles Legitimationsnarrativ, sondern ebenso wenig ein allgemeines Publikum für die einzelnen medialen Performanzen gibt. Vielmehr erscheint das präzise, an potentielle Unterstützer_innen gerichtete »story dealing«39 ein wichtiger Bestandteil der Legitimationsstrategien – und nicht immer sind all diese widersprüchlichen Geschichten eben auch öffentlich.

Das 5. Kapitel beschließt die vorliegende Arbeit, indem es die empirischen Befunde mit der aktuellen Debatte um eine Novellierung der brasilianischen Rahmengesetzgebung im Medienbereich konfrontiert. Diese Art der Konklusion zielt dabei nicht nur darauf ab, Anregungen für künftige legale Modelle und Praktiken nicht ausschließlich auf »legale Erfahrungen« zu beschränken. Denn deutlich wird hier auch die praktische Relevanz der vorgenommenen Revision und Neuordnung der medialen Legitimationsdebatte. Die zueinander in Beziehung gesetzten Größen eines spezifischen radialen Legitimationskonzepts (Medium, Radiomachen, Spektrum, Gemeinwohl, Gemeinschaft) erhellen sich nach der geleisteten Analyse in ihrer Bedeutung nicht nur gegenseitig besser. Sie tragen auch dazu bei, die Anerkennungswürdigkeit konkurrierender Radiomodelle und -praktiken, emergenter Legitimationshelfer_innen und nicht »rein« menschlicher Akteur_innen für eine medienpolitische Debatte verfügbar zu machen.

Letztendlich wird damit – wie auf den folgen 400 Seiten sichtbar werden wird – die von den unabhängigen Radios in in Zirkulation versetzte Referenz »Radio« um eine Umlaufbahn bereichert, potentiell für eine erneute gesellschaftliche Aushandlung des Mediums abrufbar, und legt dabei eventuelle sogar eine Spur zurück/voraus zu einer »alten Bekannten«. »Freies Radio«?, »Community Radio«?, wie heißt Alice diesmal..?

1. Zu den Konzepten – oder: die Herausforderung einer infralinguistischen Bestimmung des Medienmachens

»Crear conceptos, al menos, es hacer algo«1

Bevor man über etwas streitet, ist es von großem Vorteil, wenn zwischen allen Beteiligten ein minimaler Konsens darüber besteht, worüber gestritten wird. Ein solcher vorheriger Abgleich unterschiedlicher Ansichten, Definitionen und Konzepte findet im Alltag, aber auch in der Wissenschaft, viel zu selten statt. Eine Analyse sollte sich diesem Umstand deshalb reflexiv stellen. Ansonsten könnte sie schnell der Gefahr erliegen, direkt anhand des Gesagten und Getanen erklären zu wollen:

»whether there are five or three apples in the basket when in reality negotiations are trying to ascertain what is meant by ›basket‹ and ›‹apple‹, who is responsible for putting ›apples‹ into the ›basket‹, and how the outlays should actually be accounted for.«2

Um nicht nach 100 Seiten erneut grundsätzlich die Frage nach »Medien« und »Legitimationen« aufwerfen zu müssen, möchte ich eingangs einen Metacode formulieren, der dabei helfen wird, die unterschiedlichen Akteur_innenpositionen perspektivisch in Beziehung zu setzen. Benötigt werden dafür keine starre Definitionen die »absolute Objektivität«2 beanspruchen, sondern eher »an infra-physical« language for mapping out the traces of networks through an anthropology of the figures that set them going and keep them at work.«3 Konzepte, die auf einer solchen infralinguistischen Ebene angesiedelt sind, verbinden dabei die den Blick des Forschenden kennzeichnenden Prämissen mit den Positionen weiterer Akteur_innen. Sie sind, anders gesagt, die trading zone4 in der die Beobachtertheorie und die während der Feldforschung dokumentierten Ethnotheorien aufeinander treffen.5 Da letztere bei der Aushandlung des Radiomachens immer wieder auf die Begriffe Medium, Legitimation und Regulierung rekurrieren, werden in diesem Kapitel offene Konzepte entwickelt, die insofern doch »objektiv« sind, als sie den Anspruch haben, alles Gesagte und Getane gleichberechtigt sichtbar zu machen und ohne vorherige kategorische Ordnungen aufeinander prallen zu lassen.

 

1.1. Medium, Mediation, Radio

»Radio is an authoritarian form of communication. […]
All reform talk is a little bit like moving the deck chairs on the Titanic.
«
Robert Horvitz

»Das Radio ist […] das demokratischste aller Kommunikationsmedien.«
Claudia Buono

»[The futurists sang] the praises of the radio as the medium of universal love and sympathy among men. […]
But the ambiguity was already there at the beginning.
«
Franco Bifo Berardi6

Radio war und ist eine Projektionsfläche, auf welcher nicht nur gesellschaftliche Erwartungen eingeschrieben, sondern zugleich auch Aussagen über dessen mediale Bestandteile und Relationen versammelt werden. Mal wird Radio als technisch vermittelte Kommunikation zwischen Sender_in(nen) und Hörer_innen beschrieben, mal werden von seiner auditiven Qualität bestimmte Wirkungen (love, sympathy) abgeleitet. Mal erscheint Radio als untergehendes autoritäres Dampfboot, mal als Flaggschiff im Dienste der Demokratisierung. Nicht nur in den Medienwissenschaften, sondern auch in weiteren sozialwissenschaftlichen Disziplinen drohe das Medium jedoch, »gerade aufgrund seiner Popularität und der damit verbundenen, geradezu inflationären Verwendung semantisch entgrenzt, jede theoretische Schärfe zu verlieren.«7

In sozialwissenschaftlicher Perspektive wird dieser potentiellen Beliebigkeit oft mit Strategien begegnet, welche Medien deskriptiv beispielsweise als neu, taktisch, alternativ, souverän, radikal oder autonom bezeichnen.8 Dabei ist nicht immer gewährleistet, dass eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Medienbegriff über beschreibende Attribute hinaus erfolgt. Findet Theoriearbeit statt, wird schnell deutlich was für komplexe Prämissen mitunter mitschwingen, wenn von Medien die Sprache ist: »Wenn wir von Medien sprechen, meinen wir damit die Kulturindustrie, das heißt, Radio- und Fernsehsender (offenes oder Pay-TV), Zeitungen, Zeitschriften und Kino, allesamt Träger der so genannten Massenkommunikation.«9

Damit hat eine theoretische – und oft auch normative – (Be)Setzung des Medienbegriffs stattgefunden. Solche Strategien sind begründbar, müssen sich jedoch die Frage gefallen lassen, ob sie Medien nicht als bloße »empty signifiers«10 benutzen, die als formbare Restgrößen weiteren Theoretisierungen angepasst werden. Die vorliegende Arbeit bricht mit dieser Gewohnheit und sucht nach einem anderen Zugang. Der Frage nach der medialen Legitimation unabhängiger Radios wird die Frage nach dem Medium vorangestellt. Entsprechend dem Forschungsinteresse entfalten sich die Antworten dabei in vier wesentlichen Prämissen. (1) Zunächst einmal ist es notwendig das Verhältnis von Medien zu weiteren gesellschaftlichen Prozessen zu klären. Wenn Medien in ihrer »ursprünglichen« Bedeutung eines »Dazwischens« in der aristotelischen Wahrnehmungslehre11, eine Ungewissheit zwischen Sinnesorganen und natürlichen Elementen ausfüllten, so lässt sich diese perzeptive Mittlerrolle auch in sozialer Hinsicht als viel versprechender Ausgangspunkt aufgreifen. Anstatt Medien außerhalb des Sozialen zu verorten, legt eine solche Sichtweise nahe, dass sie »auch Agenturen der Gesellschaft [sind], mit denen sich die Gesellschaft als Gesellschaft selbst erhält [...]«.12

Medien als soziale Agenturen aufzufassen, heißt, sie weder als neutrale noch universelle Intermediäre zu sehen. Auch wenn Radio sich als universelles Medium konzipieren lässt, so zerfällt es bei näherer Betrachtung in konkurrierende Kompositionen, die Gesellschaft auf unterschiedliche Art und Weise verbinden. Die empirisch noch weiter zu füllende Kategorie »unabhängiger Radios« deutet exemplarisch eine solche spezifische Interpretation des Radiomediums an. Das Radio ist nicht einfach ein Medium, sondern es existiert anteilig als »unabhängiges« Ensemble. Medien wird somit eine »sinnbildende Potenz«13 zuerkannt. Deshalb lassen sie sich auch schwerlich auf eine funktionelle Ausdeutung als »Werkzeuge und Repräsentationsinstanzen« reduzieren oder – wie in vielen medienanthropologischen Ausdeutungen der Fall – als eine rein »technische Verlängerung der menschlichen Wahrnehmungsorgane«14 beschreiben. Denn als Institutionen, Instrumente oder Prothesen verstanden, verlieren Medien ihren Status als aktive und eigensinnige Vermittler_innen. Radio würde dann nur noch als mehr oder minder formalisiertes Mittel zum Versenden von Nachrichten beziehungsweise als technischer Verstärker des menschlichen Gehörsinns erscheinen. Beide Zugänge sind in ihrer zweckrationalen bzw. anthropomorphen Setzung jedoch wenig kompatibel mit dem Fokus der vorliegenden Arbeit. Denn das Erkenntnisinteresse, die Legitimation von Medien zu analysieren, besteht ja gerade in einer differenzierten Analyse der heterogenen Aushandlungen und Ausdeutungen des medialen »Dazwischens«. Dieses deduktiv zu stark einzugrenzen oder gar zu negieren stört nur.15

(2) Nach dieser ersten negativen Annäherung, klärt die weitere konzeptuelle Eingrenzung nun die Frage, wie sich Radio gegenüber diesem allgemeinen Medienbegriff als spezifisches Medium fassen lässt. Seine vielfältigen Kategorisierungen als tertiäres, auditives, elektronisches, etc. Medium erlauben es zunächst, Radio aus unterschiedlichen Blickwinkeln als ein Einzelmedium einzugrenzen.16 Es lässt sich sowohl in Relation zu anderen (Einzel)Medien beschreiben, als auch im Rahmen spezifischer Mediationen, also den von Radio geleisteten heterogenen Vermittlungen. Bevor ich auf das Konzept der Mediation näher eingehe, möchte ich jedoch noch kurz meinen dafür verwendeten Blickwinkel transparent machen. Denn ebenso wenig wie ein universelles Medium existiert eine empirische Beobachtungsinstanz.

Ein post-universelles Radiokonzept vervielfältigt seine möglichen Mediationen, potentiell bis ins Unendliche. Weiterhin daran festzuhalten, Radio ganzheitlich beschreiben zu wollen, wird zum Problem, da diese Perspektive eher einem «klassisch maskuline[n] Panoramablick-Fantasma« als einem operationalisierbaren Forschungszugang entspricht.17 Einen pragmatischen Ausweg aus diesem Dilemma bietet die im Oligóptico-Konzept angelegte analytische »Kurzsichtigkeit«, die die Forschenden dazu verpflichtet, konsequent den Spuren der Akteur_innen zu folgen »[tomando] en cuenta las maneras prácticas a través de las cuales se produce diariamente el conocimiento de las acciones de otros.«18

Eine spannende Spur ist beispielsweise das anfänglich beschrieben Interesse unabhängiger Radiomacher_innen, das Recht auf Meinungsfreiheit und Kommunikation zu realisieren. Diesen angestrebten Mediationen liegt potentiell ein spezifisches Verständnis des Mediums seitens der beteiligten Akteur_innen zugrunde. Eine solche Auffassung umfasst auch Vorstellungen darüber, im Rahmen welcher Operationen diese Vermittlungen im Einzelnen erfolgen sollen – denn es geht ja um ein Medienmachen. In der empirischer Dokumentation dieser Prozesse gewinnt auch Radio in seinen unterschiedlichen Formen und Formaten konzeptuell an Kontur. Radiomedien sind damit Spur und Bote zugleich.19 »Medien bestimmen unsere Lage [...]«20, jedoch nicht in Form eines »technisch-medialen Apriori«21 sondern eher am Erkenntnishorizont ihrer gesellschaftlichen Mediation.

(3) Radio als Mediation zu konzeptualisieren bleibt esoterisch22, solang der Mediationsbegriff nicht weiter expliziert wird. Ganz allgemein meint dieser zunächst einen kommunikativen »meeting point of [...] conflicting and integrating forces [...]23 Anstatt nun a priori die für die Analyse relevanten Akteur_innen und Bestandteile dieser Mediationen zu definieren, wende ich im Rahmen dieser Arbeit ein umgekehrtes Verfahren an. Mediation wird als empirisch nachzuweisendes »Qualitätskriterium« genutzt, um zwischen einem relevanten Medienmachen und irrelevanten »Papiermaschinen«24 zu unterscheiden, das heißt vorgeblichen Mediationen, welche jedoch nicht realisiert werden. Nun lässt sich einwenden, dass auch eine Radiotheorie aktiv gesellschaftliche Konflikte vermitteln kann.25 Ein Medienmachen, im Sinne von Mediationen, die nicht nur eine Vorstellung von Radio austauschen, sondern auch auch radiale Praktiken beinhalten (die »Vorstellungen« vermitteln) ist damit jedoch nur teilweise berührt. Als zusätzliches fundamentales Kriterium einer radialen Mediation schlage ich deshalb die Erzeugung und Diffusion eines Signals im elektromagnetischen Spektrum vor, welches als eine Realisation von Radio beschrieben wird.

Die explizite Kopplung von Radiomachen an Übertragungen vermittels elektromagnetischer Wellen ist nicht als konservative Eingrenzung radialer Mediationen zu verstehen, die sich kategorisch von Webradio oder den in Lateinamerika verbreiteten radio vocinas oder rádio postes – im öffentlichen Raum installierten Lautsprechersystemen – zu unterscheiden sucht. Vielmehr nehme ich damit auf die in Brasilien artikulierte Forderung einer »Agrarreform in der Luft« Bezug, welche unabhängiges Radiomachen seit den 1980er Jahren explizit als spezifische Nutzung des Spektrums veranschlagt. »Unabhängig« bezieht sich deshalb hier auf ein ganz spezifisches Dazwischen, das heißt eine nicht einfach austauschbare Konstellation an der Mediation beteiligter Entitäten. Und dazu gehören eben auch Radiofrequenzen und -signale.26

Inwiefern streben solcherlei unabhängige Radiomediationen jedoch auch eine gesellschaftliche Legitimation an? Diese Frage ist nach allem bisher gesagten nicht länger pauschal zu beantworten, sondern verlangt nach einer differenzierten, empirischen Untersuchung (und der noch folgenden Konzeptualisierung von Legitimation). Unabdingbar ist es dabei, feste Kategorisierung von Beginn an zu vermeiden beziehungsweise einer Revision zu unterziehen. Einen guten Ausgangspunkt dafür – und ein treffliches Beispiel zugleich – bildet die häufig getroffene Unterscheidung eines organisierten unabhängigen Mediums, »[que] procura expandir suas idéias e objetivos, conseguir legitimidade e reconhecimento público« gegenüber einem radikalen unabhängigen Medium welches aufgrund seines prophetischen Selbstbilds – »como representante da verdade« – einer Legitimation erhaben ist. Die dichotome Unterteilung verliert ihre Erklärungskraft, sobald unabhängige Radios als Mediationen aufgefasst werden. Es wird deutlich: der angestrebte Perspektivenwechsel, der von universellen Medienkonzepten zur empirischen Spurensuche nach Mediationen führt, betrifft auch die unabhängigen Radios gemeinhin zugeschriebenen Eigenschaften und Intentionen.27 Und dieser kategorieleere Raum verlangt nach dichten Beschreibungen.

(4) Der wiederholte Hinweis, dass eine weitere empirische Dimensionierung des infra-linguistischen Mediations-Konzepts notwendig sei, führt direkt zur letzten hier dargelegten Prämisse, die meinen Blick auf das Medienmachen leitet  – nämlich den damit verbundenen ethnographischen Anspruch der Arbeit.28 Medienethnographische Studien stellen für die vorliegende Analyse einen wichtigen Anhaltspunkt dar, da sie sich der bisher kritisierten begrifflich-konzeptionellen Ambivalenz des Mediums auf reflexive Art und Weise nähern. Sie suchen im Rahmen einzelner Forschungsansätze – wie zum Beispiel Aneignungsstudien, Rezeptionsstudien und Studien der Medienproduktion – nach neuen perspektivischen Zugängen. Dabei werden die Auseinandersetzungen menschlicher Subjekte mit weiteren Elementen medialer Prozesse in vielfältigen Figurationen beschrieben, sei es beim alltäglichen Kampf um die Fernbedienung, als Fan-Filmemacher_innen oder bei der aktiven Rezeption und Umdeutung von Populärkultur im Süden.29 Dennoch erscheint es mir notwendig, den analytischen Fokus der Medienethnographie in drei Punkten zu erweitern.

Eine erste kritische Modifikation betrifft die Tendenz vieler Arbeiten, die materiellen Bestandteile von Mediationen generell als Objekte zu subsumieren. Selten erfahren diese soviel analytische Aufmerksamkeit wie die ihnen gegenübergestellten aktiven Handlungsträger. Dinge, Zeichen, Formen, Inhalte – alle nicht als Subjekte beschreibbaren Entitäten bleiben als abrufbare Ressource auf der Objektebene liegen.30 Ihnen wird pauschal attestiert, sich allein durch die Bewegungen ihrer Nutzer_innen zu differenzieren. Wenn medienethnographische Arbeiten sich jedoch als Korrektiv von »Studien der Makroprozesse« verstehen und »Theorien über […] Medien durch ihre empirische Fragestellung heraus[fordern wollen]«31, dann sollten sie auch in der Lage sein, die stummen Objekte analytisch »zum Sprechen zu bringen«, d.h. sie als aktive Mediator_innen des Sozialen ernstnehmen. In einer Ausdehnung des Akteur_innenbegriffs auf alle an Mediationen beteiligten Entitäten, verstanden als aktive Größen, die einander relational ein Handlungspotential verleihen, kommt die vorliegende Arbeit diesem Anspruch nach.32

Darüber hinaus sollte sich die ethnographische Auflösung der Makroebene nicht nur auf den Medienbegriff richten, sondern auch auf weitere daran gekoppelte Konzepte mit universellem Erklärungsanspruch. Die Debatte um mediale Hegemonie und entsprechende gegenhegemoniale Projekte veranschaulicht exemplarisch die Relevanz eines solchen Vorgehens.33 Denn das Narrativ medialer Hegemonie zieht implizit allein die sichtbare Konformität oder Widerständigkeit eines Radios heran, um dessen hegemoniale Rolle zu bestimmen. Diese Selektion ist empirisch jedoch problematisch und gerät schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Ein unabhängiges Radio das im Rahmen nationaler Gesetze um formelle Anerkennung kämpft, lässt sich nicht einfach als fehlgeleitete Affirmation des status quo interpretieren, den es ja eigentlich zu überwinden gilt. Vielmehr ist es erforderlich die damit verbundenen sichtbaren und weniger sichtbaren Interessen der Medienmachenden zu rekonstruieren, ihre Mediationen nicht pauschal als Konsens oder Resignation abzuschreiben, sondern offener, als ein strategisches Handlungspotential genau zu untersuchen.34

Ein letzter Kritikpunkt betrifft die implizite Gleichsetzung unabhängiger Medien mit universellen Zielstellungen, wie – um beim Beispiel zu bleiben – gegenhegemonialen Projekten.35 Dabei stellt sich zunächst die empirische Frage, ob unabhängige Radios in ihren Selbstdarstellungen tatsächlich auf dieses Konzept zurückgreifen. Tun sie diese nicht, würde das Festhalten an diesem allgemeinen analytischen Fokus seitens der Forschenden zur Folge haben »by definition, claim some superior knowledge of what social reality is, it must be, in this sense, a theory of false consciousness«. Um konzeptuell weder bei der Frage nach Hegemonie noch dem zentralen Forschungsinteresse medialer Legitimation den Akteur_innen Bewusstseinsdefizite zuzuschreiben, folge ich dem Vorschlag, die Dimensionierung des Sozialen möglichst »flach« zu halten und stets die Reichweite der Beobachter_innentheorie zu reflektieren.36

Diesen vier Prämissen folgend, formt sich ein Mediationskonzept welches darauf ausgerichtet ist, Radios in ihrem »operativen Gebrauch«37 zu analysieren und dabei unter Verwendung der Ethnotheorien beteiligter Akteur_innen weiter zu dimensionieren. Damit ist ein post-universelles Radio-Konzept veranschlagt, welches dessen gesellschaftliche Mittler_innenrolle fokussiert und – da es nicht ablösbar vom Prozess der Vermittlung ist – seine epistemologische Eingrenzung als Werkzeug in Händen sozialer Subjekte ablehnt.38 Vielmehr wird als Ausgangspunkt der Untersuchung ein mapping aller dokumentierbaren medialen Entitäten gewählt, dessen kategorische Ordnung sich zwischen Beobachter_innen- und Ethnotheorien entfaltet. Die politische Relevanz einer solchen konzeptuellen Annäherung an Medien – die auf den ersten Blick umständlich erscheinen mag – liegt gerade darin Medien nicht a priori eine spezifische politische Rolle zuzuschreiben, sondern entlang ihrer Konfigurationen auch ihr gesellschaftliches Potential zu erkunden, denn: »[c]uando se completa la tarea de explorar la multiplicidad de factores activos, se puede plantear otra pregunta: ¡qué son los ensamblados que resultan de ese ensamblar?«39

 

1.2. Legitimation als tanzbare politische Melodie

Ist die Frage der Mediationen annähernd erklärt, drängt sich ein weiteres Fragezeichen ins Blickfeld: Warum die Untersuchung der medialen Konfigurationen unabhängiger Radios in Brasilien gerade an deren Legitimation aufmachen? Schwingt doch im Konzept der Legitimität seit dem Wiener Kongress von 1814 ein konservativer Unterton mit, der vor allem darauf abzielt, einen Herrschaftsanspruch zu rechtfertigen.40 Worin liegt das emanzipatorische Potential eines Begriffs, den Max Weber exklusiv in staatliche Hände legt, als »ein auf das Mittel der legitimen (das heißt: als legitim angesehenen) Enthaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen«?41

Eine erste Antwort findet sich, wie bereits eingangs erwähnt, in den Positionen vieler unabhängiger Radioakteur_innen Brasiliens. Ohne am Anfang der Untersuchung den theoretischen Fokus vollständig elaboriert zu haben, fiel während der ethnographischen Interviews42 schnell auf, wie häufig Radiomachen auf unterschiedliche Weise als legitim beschrieben wird. So ist in den geführten Interviews immer wieder die Rede davon, dass unabhängige Radios den Staat nicht als legitimen Eigentümer des Spektrums anerkennen oder, dass sie, um als Bewegung zu agieren nicht auf eine Legitimierung durch den Staat angewiesen sind. Oft wird der Kampf um eine rechtliche Anerkennung auch als Teil ihrer gesellschaftlichen Legitimierung beschrieben, oder aber eine spontane Besetzung von Radiowellen als legitim verteidigt, solange ein unbegründetes Übergewicht evangelikaler und kommerzieller Radiosender bestehe.43 Augenfällig ist, dass die Nutzung des Legitimationsbegriffs sich hier nicht nur auf einen staatlichen Herrschaftsanspruch bezieht, sondern auch die Anerkennungswürdigkeit der Radios betrifft. Demnach scheint ein begriffliche Aneignung, Verundeutlichung beziehungsweise Umdeutung stattzufinden.

Ziel der Arbeit ist es, diese Aneignung auf konzeptueller Ebene fortzusetzen, aber nicht entkoppelt von den Theorien der Akteur_innen, sondern erneut im Rahmen einer relationalen Begriffsbildung auf infralinguistischer Ebene. Dabei stellen sich zwei wesentliche Herausforderungen. Zum einen gilt es, die Vieldeutigkeit des kursierenden Legitimationsbegriffs zu bändigen. Zum anderen geht es darum, das Konzept auf plausible Weise aus dem herrschaftsaffinen »Bannkreis von Max Weber« zu befreien ohne dabei – und hier tut sich eine überraschende Analogie zur Mediendebatte auf – zu einer »inflationäre[n] Verwendung« des Begriffs beizutragen.44  Um dies (erneut) zu vermeiden, werde ich im Folgenden vier besonders strittige Punkte betrachten, nämlich wer oder was sich legitimieren kann (1), worauf sich das Prädikat legitim bezieht (2), welche Alternativen sich zu einer typologischen Begriffsbildung finden lassen (3) und schließlich, wie sich die Reichweite eines empirisch angelegten Legitimationskonzepts bestimmen lässt (4).

(1) Legitimität betrifft per Definition zumeist die Anerkennungswürdigkeit eines abstrakten Herrschaftsverständnis oder einer politischen Ordnung. Bereits innerhalb dieses engen Fokus deutet sich jedoch ein Konflikt an: fällt legitime Macht einfach mit politischer Herrschaft zusammen oder betrifft sie vielmehr »die sozialintegrative Wahrung einer normativ bestimmten Identität der Gesellschaft?«45 Anstatt sich in diese Debatte einzuschreiben und ihren Fokus als verbindlich zu betrachten, lässt sich ketzerisch fragen, womit begründet wird, dass nur Herrschaft bzw. politische Ordnungen Legitimität haben, brauchen oder verlieren können?46 Inwiefern ist das Argument, weiterführende Umdeutungen und ein erweitertes Anwendungsfeld würden das Konzept schwächen oder gar sinnentleeren, zutreffend?47

Die Begriffsgeschichte legt nahe, dass die exklusive Nutzung des Legitimationsbegriffs weniger ein analytisches sondern vielmehr ein politisch-strategisches Interesse beschreibt. Denn die sprachliche Verwendung des Adjektivs légitime beginnt, bevor es Charles-Maurice de Talleyrand, Max Weber, Carl Schmidt oder auch Jürgen Habermas in substantivierter Form signieren.47 In seiner vorherigen Verwendung bezog sich der Terminus auf »das Handeln […], das am summum bonum orientiert war.«48 Ein solches legitimes Handeln erfuhr seine konzeptuelle Eingrenzung in der spezifischen Orientierung am Gemeinwohl und nicht darin, dass es von bestimmten Herrscher_innen, Formen von Herrschaft oder staatlichen Institutionen getragen wurde. Diese politische Aneignung des Konzepts scheint explizit erst während des Wiener Kongress stattgefunden zu haben. Talleyrands Verteidigung eines dynastischen Prinzips steht seitdem auch Pate für alle demokratischen herrschafts- und staatsrechtlichen Legitimationsprinzipien.49

Der so eingeschränkte konzeptuelle Geltungsbereich erzeugt einen asymmetrischen Effekt, der allen darauf aufbauenden Analysen anhaftet. Nicht »the focus on legitimacy leads to misleading assessments of the direction of causality«50 sondern seine einseitige Anwendung. Legitimiert wird per Definition unveränderlich immer der oder dasselbe (Herrscher_innen, politische Ordnung, etc.) und das bei einer festen Rollenverteilung, von beispielsweise Herrschenden und Beherrschten, Gewählten und Wählenden oder, im Fall von Radios beispielsweise, Sendenden und Empfangenden.51 Die jeweilig Letztgenannten der drei Paarungen besitzen damit lediglich die Möglichkeit ihre Anerkennung zu verweigern (Ungehorsam, Stimmenthaltung, Abschalten, etc.), werden theoretisch jedoch nie in die Lage versetzt, ihr eigenes Handeln legitimieren zu können. Ein Forschungsvorhaben welches diesen „nicht-denkbaren“ Moment unreflektiert als analytischen Kompromiss in Kauf nimmt, bringt die Gefahr mit sich, noch vor einer empirischen Analyse anteilig ein vermutetes Machtgefälle mitzuproduzieren, »giving aid to the winner and giving the losers the vae victis«.52 Aus diesem Grund postuliere ich als ein erstes Kriterium des hier verwendeten Legitimationskonzepts dessen symmetrischen Charakter, das heißt: Es steht unterschiedslos allen Akteur_innen zur Verfügung. Als Bezugsgröße dient nicht länger ausschließlich die politische Ordnung (oder gar Herrschaft) sondern politisches Handeln.

(2) Einem solchen handlungsorientierten Verständnis steht jedoch die konzeptuelle Ausdeutung von légitime als einem Zustand, also als Legitimität im Weg. In der Substantivierung sind zwei analytische Probleme angelegt. Zum einen werden auf der Seite der Legitimierten zwar unterscheidbare Charakteristiken eines Seins beschreibbar (wie z.B. Webers klassische Herrschaftsformen), spezifische Handlungen die über eine normative Beschreibung dieses Ist-Zustands hinausgehen, bleiben jedoch unbeachtet. Zum anderen drückt sich auch das Gemeinwohl lediglich als abstrakter Fixpunkt der Legitimität aus, wenn zum Beispiel vom »Glück des Volkes« die Rede ist.53 Bewegung herrscht unter solchen analytischen Prämissen nur, wenn auf der Seite der Beobachterebene die Schubladen auf- und zugezogen werden. Deshalb schlage ich vor, statt nach Legitimität im Allgemeinen nach spezifischen Legitimationen im Sinne eines politischen, strategischen Handels zu fragen.54

Ein solches können auch die spezifische Mediationen unabhängiger Radios artikulieren. Damit betrifft Legitimation nicht länger ein abstraktes »judgement about the right to rule«55, sondern die empirische Frage, inwiefern Radios eine Legitimation anstreben und realisieren. Gemeint ist eben nicht ein Legitimationsprozess im Sinne von Habermas, der trotz seines kritischen Anspruchs vor allem auf die normativ formalisierte Anerkennungswürdigkeit politischer Ordnungen ausgerichtet bleibt.56 Vielmehr werden die gesellschaftlichen Aushandlungen in den Blick genommen, welche sich in Normen und Regeln ausdrücken, diese auf unterschiedliche Weise zueinander in Beziehung setzen oder auch transformieren. Legitimation betrifft dabei im vorliegenden Fall die Aushandlung von Radiomachen im Sinne eines – wenn man so will – radialen Gemeinwohls.

(3) Die besondere Herausforderung einer solchen konzeptuellen Annäherung liegt nun gerade darin, an dieser Stelle nicht darauf zu verfallen, feste Typologien einzuführen, die weder das summum bonum noch ein darauf ausgerichtetes Radiomachen kategorisch ordnen. Deshalb schlage ich für die Analyse ein relationales Konzept vor, an dessen Konstruktion diverse Akteur_innen beteiligt sind. Ein Stück weit beantwortet ist dabei schon, worauf sich diese Arbeitsdefinition von Legitimation beziehen soll, nämlich auf die Mediationen unabhängiger Radios in Brasilien. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, warum gerade in diesem Fall die Legitimation eine so exponierte Rolle spielt. Niemand diskutiert beispielsweise die Legitimation eines Fanzines. Eine Antwort findet sich im wiederholten Insistieren brasilianischer Radiomacher_innen darauf, dass elektromagnetische Spektrum zu besetzen oder zumindest anteilig zu nutzen. Denn den Anspruch darauf, zu regulieren, wer im Spektrum ein Signal erzeugen darf, beanspruchen bis heute fast überall auf der Welt Nationalstaaten – und das seit mehr als 100 Jahren.57 Diese Regulierung als eine natürliche und nicht eine gemachte Charakteristik von Radio zu verteidigen, ist in den vergangenen Jahren immer stärker in Erklärungsnot geraten.58 Das Spektrum als eine geteilte Ressource ist anders ausgedrückt die herausragende Entität bei der konkurrierenden Legitimierung radialer Mediationen.59

Die konkurrierenden Mediationen von Radio sind potentiell jedoch nicht nur in dem von ihnen beschriebenen Handeln gegenüber einem spezifischen Gemeinwohl unterscheidbar. Denn auch was mit diesem summum bonum im einzelnen gemeint ist und wer dessen Nutznießer_innen sind, muss im Rahmen eines relationalen Legitimationsbegriffs als empirische zu bearbeitende Dimensionen angelegt sein. Unter Rückgriff auf einige geläufige Radiomediationen ließe sich beispielsweise fragen, was Kommerz- Bildungs-, Freie und Community Radios zum Wohl welcher gesellschaftlichen Gruppen beitragen. Ich vermute, dass sich Radios auch in der Beschreibung solcher kollektiver Gruppen definieren und potentiell auch legitimieren. Denn wenn unabhängige Radios, wie weiter oben zitiert, sich nicht allein (oder gar nicht) dem Segen eines staatlichen Regulierers verpflichtet fühlen (der für alle gesellschaftlichen Gruppen zugleich das radiale Gemeinwohl absteckt), dann müssen andere Akteur_innen mobilisiert werden.

Solchen heterogenen Akteur_innen empirisch nachzustellen, verlangt danach, noch zwei weitere Konsequenzen zu beachten. Eine erste betrifft die klassische Rolle so genannter Träger- oder Helfer_innen von Legitimität.60 Vorgestellt sind diese theoretisch meist als zentrale institutionelle oder persönliche Akteur_innen, z.B. Regierungen, Staaten, Herrschende. Diese Sichtweise impliziert jedoch im Rahmen einer um Symmetrie bemühten Analyse eine nur schwer zu rechtfertigende Auswahl. Deshalb schlage ich vor, mediale Legitimationen in ihrer Verteilung auf einzelne Akteur_innen zu analysieren und auf diese Weise Aussagen zu ihren einzelnen Rollen zu treffen. Inwiefern legitimiert beispielsweise eine gesetzliche Genehmigung ein unabhängiges Radio? Die Rolle der Legitimationshelferin Genehmigung wird dabei aus zwei Richtungen in den Blick genommen, einmal, um sagen zu können welche spezifische Legitimation von ihr unterstützt wird, zum anderen, um ihre eigene Anerkennungswürdigkeit gegenüber sich als legitim beschreibender Mediation zu untersuchen.61

Zugegeben, damit scheint sich der Fokus des Legitimationskonzepts unkontrolliert zu erweitern  – alles und alle erlangen eine empirische Bedeutung. Einschränkend möchte ich deshalb eine wichtige Prämisse aufgreifen, die sowohl auf theoretischer als auch auf empirischer Ebene zutrifft: »Legitimität ist immer nur auf Forderung erbracht worden [...]«  – und sie ist verlierbar.62 Zu Beginn einer Analyse steht somit die Beschreibung einer spezifischen Legitimationskrise, die in ihrer Explikation eine spezifische Forderung nach Legitimation erst erfahrbar und nachvollziehbar macht. Die Frage, wer unter welchen Umständen eine solche Forderung formulieren kann, ist umstritten. Oftmals werden jedoch »adäquate Machtressourcen«63 als ein Kriterium genannt, die darüber entscheiden, ob eine solche Forderung auch Gehör findet und einen Nachweis gesellschaftlicher Anerkennungswürdigkeit provozieren kann. Zu bestimmen, was als adäquate Machtressource in Betracht kommt, ist in der vorliegenden Arbeit erneut als Teil der empirischen Untersuchung angelegt.

(4) Um einen solchen empirisch-ethnographischen Zugang gegen universelle Definitionen politischer Legitimität zu verteidigen, möchte ich diesen abschließend analytisch genauer definieren. Die bisherige Konzeptualisierung hat Legitimation als zirkulären Prozess zwischen unterschiedlichen Akteur_innen definiert, der spezifische gesellschaftliche Aushandlungen beschreibt.64 Damit wird er einer Kritik an rein deduktiven Theorien gerecht, ist zugleich aber auch daran interessiert, den normativ-diskursiven Fokus vieler Untersuchungen zu erweitern. Nicht die Annäherung an eine ideale Sprechsituation bildet die Grundlage der Analyse, sondern ein Mapping der vielfältigen Aushandlungen.65 Damit sollen vor allem strategisches Handeln und nicht-diskursive Momente von Legitimierung sichtbar gemacht werden.66

Zwei Prämissen, scheinen für dieses Vorhaben besonders vielversprechend. Zunächst möchte ich den Vorschlag aufgreifen, die Legitimation von Medien im Sinne eines Konstruieren und Erhalten von Medien67 zu betrachten. Damit werden Mediationen explizit in ihrem operativem Gebrauch und unter Betrachtung all ihrer Entitäten anvisiert. Was deren erschöpfende Analyse betrifft, folge ich des Weiteren dem Hinweis die öffentlichen und sichtbaren Anteile medialer Legitimationen nicht als deren Gesamtheit misszuverstehen. Auch wenn nicht ihre erschöpfende Analyse zur Debatte steht (vgl. das Oligóptico-Konzept in Kapitel 1.1) so doch zumindest der Versuch relevante »silent actors« oder »hidden transcripts« sichtbar zu machen.68 Diese umfassen »offstage speeches, gestures, and practices that confirm, contradict, or inflect«69 den sichtbaren Teil der Mediationen. Eine solche Annäherung soll Legitimationen auch in den offstage stattfindenden Aushandlungen und Stabilisierungen genauer beschreibbar machen und zwar in Bezug auf alle bisher genannten konzeptuellen Entitäten wie Gemeinwohl, legitimierende soziale Gruppen, etc.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das in diesen vier Punkten dargelegte Legitimationskonzept  die spezifische Anerkennungswürdigkeit von Mediationen beschreiben will. Für den Fall unabhängiger Radios postuliert es dabei eine relationale Konfiguration, die eine als Radiomachen definierte Signalerzeugung im elektromagnetischen Spektrum an ein spezifisches Gemeinwohl spezifischer sozialer Gruppe koppelt. Legitimation wird dabei als ein zwischen unterschiedlichen Legitimationsträger_innen zirkulierender politischer Aushandlungsprozess aufgefasst, bei dem unterschiedliche Mediationen sich in ihrer Anerkennungswürdigkeit zu stabilisieren suchen.70 Damit ist theoretisch kein universeller sondern ein perspektivischer Zugang abgesteckt, der Legitimationen im Rahmen des infralinguistischen Ansatz während der empirischen Forschung weiter definiert und differenziert. Beschrieben ist damit die begriffliche Entwendung des  herrschaftsaffinen tools der Legitimität. Dieses détournement liegt jedoch nicht wie bei der Situationistischen Internationalen in Händen einer politischen Avantgarde. Ebenso wenig liegt es ausschließlich in den Händen der Philosophierenden. Vielmehr bildet es ein konzeptuelles Quasi-Objekt, an dem ebenso herumgezerrt wird, als dass es Akteur_innen zueinander in Beziehung setzt und somit ein Herumzerren erst möglich macht.71

 

1.3. Regulierungen statt Regulierung

Darunter Medien zu regulieren, wird gemeinhin verstanden, »verbindliche Entscheidungen über Rahmenbedingungen, unter denen öffentlich kommuniziert wird«72, zu treffen. Entsprechend den dabei relevanten Einzelmedien und an sie herangetragenen Konzepten werden für die Umsetzung und die Analyse der Medienregulierung spezifische Aufgabenbereiche (z.B. »Konzessionerteilung« für Radiosender), Begründungen (»Public-Interest-Theorie«) und Operationalisierungen (z.B durch eine »Regulierungsbehörde«) formuliert.73 Wie eingangs erwähnt, ist eine solche Perspektive für das Forschungsinteresse vor allem aus drei Gründen (1-3) problematisch. Zugleich stellt es, wie sich zeigen wird, ein spannende Reibfläche für die weitere Analyse dar (4).

(1) Bei den Problemen angefangen, lässt sich zunächst monieren, dass viele relevante Arbeiten all jene Prozesse und Prämissen ausklammern, die dem »Aufstellen von Regeln«74 – als einem ersten Moment der Regulierung – vorausgehen. Damit werden implizit alle sozialen und technischen Normen, auf die sich diese Regeln beziehen, implizit naturalisiert. Geschaffen wird – aus der Sichtweise der Legitimation – ein nicht hintergehbarer »letzter Rechtsgrund«, den es im Rahmen einer symmetrischen Betrachtung jedoch nicht geben kann, da alle Entitäten gleichsam ihre gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit ausweisen sollten.75 Wenn eine spezifische Norm sich beispielsweise in einem öffentlichen Interesse begründet, dann sollte dies auch empirisch überprüfbar sein, da davon abgeleitete Regeln ansonsten schnell zu Dogmen erstarren. Anders gesagt: Die Regulierung von Medien im Allgemeinen und Mediationen im Besonderen ist der Frage nach Legitimation nicht erhaben, sondern ein besonders fruchtbarer Boden, um gesellschaftliche Aushandlungen zu rekonstruieren.76

(2) Ein weiteres Problem generiert sich, wenn solche Regulierungsrahmen in Form  (inter)nationaler Gesetze, zwischenstaatlicher Abkommen, rechtlicher Garantien, etc. stabilisiert werden.77 Neben einer noch zu diskutierenden, heftig umkämpften Wertigkeitsordnung zwischen diesen Ebenen (bspw. der in Lateinamerika unzählige Male vorgetragene Konflikt zwischen nationalen (Sicherheits)Interessen und einem grenzenlosen Recht auf Meinungsfreiheit78). Stellt sich jedoch auch die Frage, wie verbindlich solcherlei Kopplungen von Regeln, Recht und Gesetzen im Einzelnen sind und unter welchen Umständen ihre Verbindlichkeit in Frage gestellt werden kann. Inwiefern fallen die Attribute legal und legitim zusammen? Aus Sicht der vorliegenden Analyse können Gesetze einen Beitrag zur medialen Legitimation leisten, fallen jedoch kategorisch niemals zusammen. Illegal im Sinne eines Regulierungsrahmen heißt deshalb noch lange nicht illegitim. Zudem möchte ich im Vorfeld auch bewusst offen lassen, ob eine gesellschaftliche Regulierung einzelner Mediationen sich perspektivisch stets in einer Legalisierung erschöpfen sollte.79 Denn wie sich unabhängige Radios in diesem Spannungsverhältnis unter normativen, strategischen und politischen Gesichtspunkten verorten, werden später ausführlich die einzelnen Akteur_innen darlegen.

(3) Auch wenn Regulierungen auf diese Weise nicht mehr zwangsläufig nur auf gesetzlicher Ebene verankert sind, bleiben viele von und für radiale Mediationen ausgehandelte Regeln im Dunkeln, wenn sich – geprägt von der legalistischen Begriffsherkunft – Regulierung nur auf positives und sichtbares Handeln bezieht. Negativ konnotierte Regulierungen medialer Inhalte werden beispielsweise von guten, demokratischen Praktiken als Zensur unterschieden.80 Oder aber, Spielregeln außerhalb des formalrechtlichen Rahmens, werden als informell definiert bzw. unter spezifischen kulturellen Ausprägungen politischer Domination subsummiert.81 Auf eine solche strikte Trennung und Zuordnung auf konzeptueller oder empirischer Ebene möchte ich jedoch zugunsten eines breiter angelegten Regulierungsbegriffs verzichten. Regeln werden in ihren unterschiedlichen Artikulationen und Stabilisierungen differenziert werden, ohne dabei a priori hierarchische oder kategorische Unterscheidungen zu machen. Zugleich ist der empirische Fokus auch an der Untersuchung nicht-formalisierter und nicht-öffentlicher Regulierungen interessiert, wie beispielsweise Momente der Selbstdisziplinierung.

(4) Enger gefasste Regulierungskonzepte und -kategorien akademischer und nicht-akademischer Akteur_innen sind deshalb aber nicht minder bedeutsam. Gerade für die Rekonstruktion einzelner Handlungsabläufe (Übersetzungsketten) ist es spannend auf bereits vorgeschlagene Differenzierungen der Regelaufstellung, -durchsetzung und -sanktionierung zurückzugreifen.82 Anschaulich wird dies beispielsweise, wenn die streitbare Annahme, das elektromagnetische Spektrums sei eine begrenzte Ressource, von legalen Normen in konkrete Regeln, Regulierungs- und Sanktionsakteur_innen übersetzt wird. Viele Einsätze der brasilianischen Bundespolizei (PF), um Radios zu schließen, lassen beispielsweise sich nicht schlüssig als eine Kette von Regulierungsakten zu einer gesetzlichen Norm zurückverfolgen – der Übersetzungsprozess ist undeutlich und auf diesen Mangel wird, wie noch zu zeigen ist, bei der Legitimation unabhängiger Radios auch wiederholt Bezug genommen.83

Die Regulierung von Radio wird im Rahmen dieser Arbeit demnach ebenso wie die Begriffe der Mediation und Legitimation nicht als ein universell anwendbares Konzept verstanden. Regulierung heißt auf infralinguistischer Ebene, die spezifische Eingrenzung von Radio innerhalb bestimmter Regeln als Teil gesellschaftlicher Aushandlungen zu analysieren.84 Statt deduktiv Kategorien zu bilden, wird daran erneut eine empirische Absicht gekoppelt, nämlich zu dokumentieren, welche konkurrierenden Auffassungen von Regulierung es gibt, um diese in die Beantwortung der Forschungsfrage nach medialer Legitimation einfließen zu lassen.

***

Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich zum Ende dieses Kapitels noch auf einen zu vermeidenden konzeptuellen Kurzschluss hinweisen. Eine Infragestellung der Legitimation der brasilianischen Rundfunkregulierung als beispielsweise »undemokratisch«85 heißt deshalb noch lange nicht, dass jedes davon abweichende unabhängige Radiomachen im Umkehrschluss legitim (weil beispielsweise demokratisch) sein muss. Vielmehr muss der Anspruch gelten, die bei der Legitimation unabhängiger Radios mobilisierten begrifflichen Akteur_innen immer wieder in ihren heterogenen Deutungen sichtbar zu machen. Nur so lässt sich im Rahmen der angewandten Konzeptfindungsstrategie vermeiden, herrschaftsaffine Begriffsinterpretationen zu unterlaufen und »diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen [zu] zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt«.86

2. Radio in Brasilien – Versuch eines Mappings

Die derzeitige Präsidentin des Weltverbands für Community Radios (AMARC), María Pía Matta beantwortet Fragen nach der Anerkennungswürdigkeit dieser Sender gern so: Unabhängige Radios (und vor allem Community Radios) besitzen »längst ihre Legitimität«, es geht heute allein darum »auch ihre Legalität zu bestätigen«.1 Normativ betrachtet, sind solche Argumente sicherlich zulässig. Wird einzelnen Sendern jedoch der empirische Nachweis ihrer Legitimation abverlangt, muss ihr Beitrag zu einem spezifischen Gemeinwohl etwas ausführlicher dargelegt werden.

Teil des Medienmachens ist neben dem operativen Gebrauch auch eine Reihe von beschreibenden und konzeptuellen Assoziationen, die mobilisiert werden, um einzelne Ausdeutungen von Radio zu rechtfertigen. Im folgenden Kapitel werden in Rückgriff auf die vorhandene Literatur2 zum Thema (unabhängige) Radio(s) in Brasilien deshalb zunächst die für die Frage der medialen Anerkennungswürdigkeit relevantesten Narrative, Grenzen, Normen, Trajekte und Regulierungen unabhängiger Radiosender in einem breit angelegten Mapping zusammengetragen. Ziel ist es dabei, noch vor der Betrachtung aktueller unabhängiger Mediationen von Radio (und ihrer Konstrukteur_innen), einige wiederkehrende und präsente Entitäten herauszuarbeiten, die bei der Unterscheidung einzelner Modelle, Praktiken und Prozesse potentiell eine Rolle spielen.

Der bereits eingeführte aber noch etwas ominöse Begriff »Entität« weißt zugleich auf ein weiteres Anliegen dieses Kapitels hin, nämlich die notwendige Explikation der Akteur_innen-Netzwerktheorie (ANT). Ontologische und epistemologische Paradigmen (v.a. Netzwerk, Akteur_in, Fraktalmodell, Handlungsprogramm, Übersetzung) werden am Ende der einzelnen Unterkapitel in Theoriebaukästen (I – IV) hinsichtlich der Forschungsfrage erörtert und mit weiteren theoretischen Anleihen – insbesondere sogenannten öffentlichen und versteckten Transkripten3 - in einen Dialog gesetzt.

Im Rahmen dieser theoriegeleiteten Literaturschau wird eine Karte sichtbar, die unabhängige Radios in ihrer Pluralität und Widersprüchlichkeit einfängt, zugleich jedoch auch viele weiße Flecken aufweist. Insbesondere wird auffallen, wie prekär, lückenhaft und veränderlich die relationalen Legitimationen normativer Prämissen (z.B. »freies Radios«) und beschriebener radialer Praktiken (z.B. »horizontale Kommunikation«) sind. Genau diese zunächst unklaren Übersetzungen sind es jedoch, die einzelnen Akteur_innen einen legitimatorischen Spielraum eröffnen. Dessen nachvollziehbares Abstecken steht am Ende des Kapitels, denn es bildet die Grundlage für ein differenziertes und offeneres Verständnis unabhängigen Radiomachens – und damit auch den weiteren empirischen Fokus der noch folgenden Analysen.

 

2.1 Narrative

Medienmachen heißt auch, ein bestimmtes Medium narrativ immer wieder nachvollziehbar zu konstruieren. Wie im Folgenden deutlich wird, gibt es auch für unabhängige Radios nicht eine, sondern viele konkurrierende Erzählungen. Es sind perspektivische Annäherungen, bei denen zugleich weitere Mediationen von Radio in ihren einzelnen Größen betroffen sind. Ich nähere mich den in der Literatur vorfindbaren Narrativen unter drei wesentlichen Gesichtspunkten: den Ursprüngen, Kategorien und Akteur_innen von Radiomediationen in Brasilien. Diese »Ordnung der Dinge«  greift explizit strategische Überlegungen der ANT auf, um Radio aus seiner scheinbaren definitorischen Starre zu befreien und in seiner legitimatorischen Vielgestaltigkeit und Veränderlichkeit sichtbar zu machen, konkurrierende Erzählungen nicht zu glätten, sondern widersprüchliche »legale Texte« und »technische Fakten« zu exponieren. Dabei kann nicht das Medium als Dispositiv rekonstruiert werden, sondern vielmehr soll ein legitimatorischer Flickenteppich ausgerollt werden, in dessen Löchern sich bereits Räume weiterführender Anerkennungswürdigkeiten ankündigen.

 

2.1.1 Ursprünge

Die folgende Beschreibung der Anfänge des Radiomachens in Brasiliens macht deutlich, dass eine breite gesellschaftliche Aushandlung des Mediums nicht stattfindet, sondern vielmehr eine frühe Aneignung der Regulierungshoheit durch den Staat, welche in ihrer Ausrichtung zu einer überwiegend kommerziellen Ausdeutung der Übertragungsmöglichkeiten beiträgt. Auch wenn bereits vorher punktuelle Aneignungen und Umdeutungen des Radiomediums erkennbar werden, fordern erst Anfang der 1980er unabhängige Radiomacher_innen erfolgreich das bestehende Verständnis legitimen Radiomachens heraus und mobilisieren eigene Radios, die nun ebenfalls um gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit konkurrieren. Ich werde zeigen, dass weder etablierte noch unabhängige Mediationen dabei auf konstante Erzählungen zurückgreifen, sondern ihre Legitimation immer wieder neu erzählen.

 

2.1.1.1 Höllenmaschinen und Modernisierungsapparate

Es ist eine echte Herausforderung heute in der Avenida Paulista – einer der großen Verkehrs- und Geschäftsadern São Paulos – ein Dach zu finden, auf dem sich weder Antenne noch Sendemast befinden. Ende des 19. Jahrhunderts war von derlei Geräten an gleicher Stelle indes nichts zu sehen. Umso befremdlicher muss ein junger Mann in schwarzem Talar gewirkt haben, der dort ab 1893 verschieden Metallkonstruktionen zwischen den Schornsteinen errichtete. Nur wenige paulistas kannten den jungen Tüftler Roberto Landell de Moura aus Porto Alegre, der eigentlich als Priester in den Provinzstädten Campinas und Mogi arbeitete. Doch seit einem Studienaufenthalt an der Gregorianischen Universität in Rom, an der er Kurse in Chemie und Physik belegte, nutze Landell de Moura jede freie Minute dazu, Apparate zu bauen, um die menschliche Stimme mittels elektrischer Impulse zu übertragen.4 1894 gelingt ihm das Experiment. Laut Augenzeugenberichten soll Landell de Moura von der Avenida Paulista aus, mit selbstgebauten Antennen, Elektronenröhren und Metallmembranen auf einer Strecke von acht Kilometern Luftlinie, drahtlos ein paar Worte zur Klosterschule São José im Stadtteil Santana gesandt haben. Damit hätte der brasilianische Geistliche im Alleingang gleich ein halbes Dutzend europäischer »Radioväter« entthront, wäre der »true inventor of the three-element vacuum tube«5 und Initiator der »first public demonstration of wireless telephony«.6 Landell de Mouras Vorgesetzte waren weniger erfreut über die Experimente mit diesen »Höllenmaschinen«. Auch die Marine, der er seine Erfindung anpries, befand: »Dieser Priester ist zweifelsohne ein Irrer«.7

Wie plausibel ist dieses Ursprungsnarrativ vom genialen Pater als eigentlicher Erfinder des Radios? So überzeugend es sich zunächst anhört, so schwierig ist es, Landell de Moura zum alleinigen Schöpfer des Radiomediums zu erheben. Es gibt keine Belege dafür, dass seine Patente oder bezeugten Experimente Nachahmer_innen gefunden haben. Zudem lassen sich konkurrierende Experimente anführen, welche bei der Weiterentwicklung der Antenne, aber auch bezüglich der  Konstellation einzelner Geräte entscheidende Beiträge zu dem leisteten, was heute allgemein als Radio verstanden wird.8 Doch statt Landell de Moura einfach gegen den nächsten »true inventor« auszutauschen, lohnt es, die Erzählung des Radioursprungs grundsätzlicher zu hinterfragen – auch hinsichtlich seiner potentiellen legitimatorischen Bedeutung. 

Ein Ursprungsnarrativ konstruiert ein initiales Moment, welches sich auf einem Zeitstrahl von allen ähnlichen Erzählungen dadurch abgrenzt, dass es eben noch früher stattgefunden hat. »Brennpunkt oder Ursprung sind immer nur Schatten oder ungreifbare, nicht aktualisierbare oder vorerst nicht existierende Virtualitäten. Alles nimmt seinen Ausgang von der Struktur, der Konfiguration oder der Relation.«9 Die vorliegende Arbeit unterstellt, dass ein solches komplexes Verhältnis auch für den Ursprung des Radiomediums konstruiert wird, sowohl als universelles aber auch als nationales Narrativ. Bei der Betrachtung solcher konkurrierende Erzählungen fällt auf, dass die Narration eines spezifischen Beginns auch eine spezifische Legitimierung des Radiomachens begründet. Diese betrifft sowohl Besonderheiten des brasilianischen Radiomediums, das in den Texten oft als »unser Radios«10, bezeichnet wird, aber auch die Ursprünge eines Radiomachens, welches sich von einem nationalistischen Plural zugunsten eines Ursprungsnarrativs unabhängigen Radiomachens zu emanzipieren sucht.

Bei der Beschreibung unterschiedlicher Ursprünge des brasilianischen Radiomediums lassen sich vier  verschiedene Momente unterscheiden, welche präzisieren, was genau als Anfang von Radio verstanden wird, (1) nämlich erste Übertragungen und Experimente, (2) erste regelmäßige Sendungen, (2) erste Radiosender und (4) erste gesetzliche Regulierungen.

(1) Im ersten Fall wird als Ursprung des Radiomediums die erfolgreiche Übertragung eines Signals gedeutet. Die Konstruktion der Sende- und Empfängerapparate wird dabei ausgeblendet, was zählt ist allein das bezeugte Funktionieren der Technik. Trotz der wiederholten Erwähnung von Landell de Mouras Experimenten wird als Ursprung zumeist an den »ersten offiziellen radiophonen Erfahrungen«11 Brasiliens vom 7. September 1922 festgehalten. Pünktlich zum 100-jährigen Unabhängigkeitsjubiläum von der portugiesischen Krone, wollte sich Brasilien modern und reich zeigen.12 Die damalige Hauptstadt Rio de Janeiro, die »Modellmetropole der Modernität«13 erschien als die perfekte Bühne für diese öffentliche Demonstration.

Zunächst gab es an dem patriotischen Jubiläum scheinbar nur wenig Interesse. Die »Woche für moderne Kunst« in São Paulo, die Gründung der Kommunistischen Partei und ein Militäraufstand, der als Insurreição do Forte Copacabana bekannt werden sollte, beschäftigten die Massen.14 Der amtierende Präsident Epitácio Pessoa (1919-1922) musste schnell »eine neue Tatsache schaffen, die vielleicht als Deckmantel (cortina de fumaça) funktionieren würde, um die überreiztesten Gemüter zu beschwichtigen«.15 Die öffentliche Demonstration einer Radioübertragung, sollte als die erste derartige Vorführung technologischen Fortschritts in der Geschichte Brasilien wahrgenommen werden. Um ein möglichst großes Publikum zu erreichen, wurden Lautsprecher an öffentlichen Plätzen aufgebaut und 80 handliche Detektorempfänger an angesehene Persönlichkeiten in Rio de Janeiro, Niteroi, Petropolis und São Paulo verteilt. Als erster an diesem Tag sprach Pessoa, danach wurde live aus dem Teatro Municipal die Oper »O Guarani« und einige Konferenzen »von hohem edukativen Wert« übertragen.16 Die Presse berichtete von einer Sensation, nun hatte die »mysteriöse Figur der Elektrizität«17 auch noch zu tönen begonnen.

Doch vor dieser ersten, als Staatsakt inszenierten Radioübertragung, gab es neben Landell de Moura bereits weitere Erfahrungen mit Radioübertragungen und zwar auch außerhalb der metropolitanen Zentren von Rio de Janeiro und São Paulo. Bereits 1912 soll die Radiotelegrafiestation Amarelina im Bundesstaat Bahia Grußbotschaften und Musik von einem Kriegsschiff der deutschen Kaiserlichen Marine empfangen haben.18 Auch im 1919 gegründeten philanthropischen Rádio Clube de Pernambuco in Recife werden das Radiotelegraphie-Band von Funkamateur_innen regelmäßig nach Radiosignalen abgehört und vielleicht sogar erste Sendeversuche abgesetzt. Viele Verbesserungen der Empfangstechnik gehen auf die Experimente von Funkamateur_innen zurück, die »Treffen in den hauptstädtischen urbanen Zentren abhielten um die Fortschritte der Radioelektrik, Radiotelegrafie und Radiofonie zu diskutieren und zu studieren«.19

Die Frage nach der Legitimierung des Radiomachens unter Nutzung elektromagnetischer Wellen stellt sich in dieser ersten experimentellen Phase scheinbar nicht. Eine Reihe heterogener Akteur_innen experimentieren mit elektromagnetischen Wellen. Legitimiert wird nicht das emergente Medium sondern, wie im Falle der ersten offiziellen Übertragungen, allenfalls staatliche Herrschaft. Präsident Pessoas kann sich inmitten einer soziale Krise als technisch versierter Wegbereiter der Moderne inszenieren. Und Rio de Janeiro wird als panbrasilianisches Szenario ausgebaut, an dem trotz widersprechender Quellen auch alle modernen Kommunikationsmittel des Landes ihren Ursprung haben.

(2) Auch Narrative, welche das erste regelmäßige Senden als Ursprung des Radiomediums betrachten, beschreiben erneut Rio de Janeiro als Ausgangspunkt, wenn sie die Spur der nach der Präsidentenrede nutzlos gewordenen importierten Sendetechnik aufnehmen. Wurde lange Zeit vermutet, der 500 Watt starke Westinghouse-Sender sei nach den Feierlichkeiten abgebaut und zurück in die USA verschifft worden20, gibt es inzwischen auch Hinweise darauf, dass die Regierung den Sender dem örtlichen Post- und Telegrafenamt (Correiros e Telégrafos) übergab.21 Doch anstatt dort für die Übermittlung von Telegrammen genutzt zu werden, überließ die öffentliche Hand die Ausrüstung einer Gruppe von Geschäftsleuten, welche zwei Stunden täglich die Börsendotierungen von Zucker und Kaffee, Wetterberichte und Musik übertrugen.22

Ein Gegennarrativ wird erneut mit Blick auf die Aktivitäten des Radioclubs Pernambuco entwickelt. Mal sollen schon ab 1919 mit einem aus Frankreich importierten Gerät erste Sendungen ausgestrahlt worden sein, mal drei Jahre später mit einem umgebauten Radiotelegrafie-Sender der Marke Westinghouse.23 Die Quellenlage und das unscharfe Kriterium »regelmäßig« machen es schwierig, rückblickend zu entscheiden, wer als erste Gruppe den Sprung von experimentellen zu regelmäßigen Übertragungen geschafft hat. Fest steht jedoch, »dass vor allem ab Beginn der 1920er Jahre Amateure, die sich in experimentellen Clubs und Kulturvereinen zusammenschlossen, ab und an Musik, Nachrichten und Bekanntmachungen von öffentlichem Nutzen«24 übertrugen.

(3) Das ambivalente Kriterium »regelmäßiges Senden« findet in der Literatur jedoch nur selten Erwähnung, sein möglicher legitimatorischer Nutzen bleibt unerwähnt. Viel häufiger wird dagegen die Gründung eines Radiosenders, mit dem Ziel regelmäßige Sendungen zu einem bestimmten Zweck auszustrahlen, zum Ursprung des Mediums erhoben. Auf diese Weise wird der Beginn des Radiomachens erneut nach Rio de Janeiro verlegt. Denn die öffentliche Eintragung des Radioclubs Pernambuco erfolgt erst vier Jahre nach dessen informeller Gründung im Oktober 1923, während die Radio Sociedade do Rio de Janeiro bereits im April 1923 offiziell ihren Sendebetrieb aufnimmt.25 Möglich macht diesen Schnellstart die Unterstützung der brasilianischen Regierung, die den beiden Professoren der brasilianischen Wissenschaftsakademie (Academia Brasileira de Ciências) Henrique Morize und Edgar Roquette Pinto kostenlos einen von Western Electric (USA) importierten 500-Watt-Radiotelegrafie-Sender zur Verfügung stellte.

Dass Roquette Pinto heute in der Literatur als wichtigster Radiopionier oder gar brasilianischer »Vater der Radiodiffusion«26 beschrieben wird, ist jedoch weniger seinen technischen Fähigkeiten geschuldet, wie dies bei anderen »väterlichen« Radiourhebern – inklusive Landell de Moura – zumeist der Fall war.27 Vielmehr bestand Pintos Leistung darin, einen eigentlich für die Radiotelegrafie bestimmten Sender strategisch umzunutzen, zum »Arbeiten für die Kultur der brasilianischen Bürger und für den Fortschritt Brasiliens«.28 Anders ausgedrückt, wird so die Nutzung der Radiotechnik programmatisch an ein nationales Gemeinwohl gebunden, welches darin bestand von der Modellstadt Rio aus »Bildung ins Innere des nationalen Territoriums zu tragen«.29

Programmatisch formulierte Radio Sociedade welche Art Kultur bildend sei, erinnert sich Renato Murce, einer der damals Mitwirkenden zurück:

»ernste Musik (música erudita), große Konferenzen, Ausstellungen bar jeden Interesses, kurz um, ein recht überzüchtetes (sofisticada) Radio. Keinerlei Werbung, keine populäre Musik (auf den Samba war man damals nicht gut zu sprechen) [...]«.30

Dass dieser Anspruch umstritten war, lässt allein der hier erwähnte explizite Ausschluss von populärer Musik und Werbung erkennen. Denn Radiomedium für die Bewerbung von Waren zu nutzen, scheint in jedem Fall bereits denkbar gewesen zu sein. Die seit Beginn der 1920er Jahre in Europa und den USA stattfindenden Debatten über eine rechtliche Regulierung von Werbebotschaften, dürften dem aufgeklärten Bürgertum, welches sich in den brasilianischen Radioclubs versammelte, zumindest teilweise bekannt gewesen sein.31 Die Frage, wie das Radiomachen im Sinne des Gemeinwohls zu legitimieren sei, scheint also durchaus kontrovers diskutiert und nicht ausschließlich mit der Bildungsformel von  Radio Sociedade beantworten worden zu sein.

(4) Doch dieser Prozess einer möglichen öffentlichen Konsensfindung wird im Jahr 1924 vom Erlass einer ersten gesetzlichen Verordnung (Decreto 16.657) unterbrochen, ein Moment, der als legales Ursprungsnarrativ des Radios in Brasilien gilt. Zunächst ist dabei auffällig, dass sowohl eine technische als auch inhaltliche Normierung und Regulierung von Radiosendungen angestrebt wird. Inhaltlich sollen die Programme wissenschaftlichen, künstlerischen und Bildungszwecken zum Wohle der Öffentlichkeit verpflichtet sein.32 Verboten wird in dem Dekret explizit lediglich die Verbreitung »interner Nachrichten mit politischem Charakter«, nicht jedoch Werbung.

Damit greift die Verordnung von 1924 die von Radio Sociedade do Rio de Janeiro formulierten Anregungen für ein legitimes Radiomachen nur teilweise auf. Zunächst bestätigt der Text zwar den inhaltlichen Bildungscharakter des Radiomediums und führt die Definition des Mediums damit ebenfalls über eine technische Übertragungsleistung hinaus. Denn die Verordnung konkretisiert, auf welche Weise dieses Werkzeug der Moderne auch praktisch einen Beitrag zu Modernisierung Brasiliens leisten soll. Demgegenüber wird »Werbung nicht offiziell erlaubt«33, ebenso wenig scheint die brasilianische Legislative zu diesem Zeitpunkt jedoch darüber besorgt, dass diese in Konflikt mit einem Radiomachen zum Wohle der Bevölkerung stehen könnte. Bereits 1927 versucht sich Radio PRAK, nicht wie bis dahin üblich über die Beiträge von Clubmitgliedern, sondern als kommerzielles Unternehmen zu finanzieren.34

Neben dieser impliziten Duldung von Werbung formuliert die Verordnung, wie bereits angedeutet, auch eine Reihe technischer Auflagen für das Radiomachen. Vor allem wird die Reichweite der Sender begrenzt. Ihr Empfang soll auf einen Bundesstaat beschränkt bleiben.35 Der Staat soll in den 20er Jahren zwar keine eigene Vision von Rundfunk, wohl aber ein gewisses Interesse gehabt haben, das entstehende Radiomedium zu kontrollieren.36 Das scheint untertrieben, denn die rechtlichen Regeln, welche ab 1924 für das Radiomachen aufgestellt werden, definieren die emergenten Mediationen maßgeblich mit. Künftig galten als Radiosender nur noch eingetragene, brasilianische Gesellschaften oder Vereine, die eine Lizenz für experimentelle Radiodiffusion erhalten haben. Der Staat war darüber hinaus auch an einer Registrierung und jährlichen Besteuerung aller Empfängergeräte interessiert, um die Ausdehnung des Radiomediums beobachten zu können.37 Die Regierung behielt sich außerdem das Recht vor, Sendelizenzen zu entziehen und Radiosender zu schließen oder für eigene Zwecke zu nutzen, sollte dies aus politischen Gründen notwendig sein.38

Deutlich wird, dass die Verordnung das emergente/ oder: sich verbreitende Radiomedium bereits wenige Jahre nach dessen gerade beginnender Verbreitung reguliert, »noch bevor die Rolle des Radios in der Gesellschaft diskutiert worden wäre«.39 Wie und wofür sich das Radiomachen zum Wohle der Öffentlichkeit im Einzelnen organisieren soll, geht nicht auf eine Konsensfindung unterschiedlicher Akteur_innen zurück, sondern wird per Dekret festgeschrieben. Technische Normen, die regulierte Techniknutzung, inhaltliche Vorgaben aber auch spezifische Sanktionen können zwar punktuell als Ausdruck eines bestehenden nationalen Interesses begründet werden, so zum Beispiel die Schließung eines Radios aus Gründen der nationalen Sicherheit im Kriegsfall.40 Insgesamt sind die Regeln der Verordnung 16.657 jedoch schwerlich als Ausdruck einer breiten gesellschaftlichen Aushandlung für ein legitimes Radiomachen deutbar, denn eine öffentliche Debatte fand nicht statt.

Andererseits scheint diesem legalen Ursprungsnarrativ von gesellschaftlichen Akteur_innen (mit den nötigen Machtressourcen) auch keine Legitimation abverlangt worden zu sein. Anstatt die staatliche Regulierung anzugreifen, geben die Radioclubs, die keine Lizenz erhalten, ihre Aktivitäten auf oder »operieren in der Illegalität [...] als klandestine Stationen«41 weiter. Beschrieb die Rolle der »Radioamateure«42 bis dahin die Gesamtheit der Radiomacher_innen, wird mit der zunehmenden Formalisierung des Mediums diese Bezeichnung zunehmend nur noch für die Initiator_innen experimenteller Übertragungen verwendet. Diesen Prozess als Ausschluss populärer Radiopraktiken aufzufassen, übersieht jedoch, dass ein Großteil der Bevölkerung auch vorher nicht an der Aushandlung des Mediums beteiligt war.43 Selbst wenn der Rádio Clube de Pernambuco auch populäre regionale Rhythmen wie den Frevo spielte und seine Mitglieder sich nicht wie in der hauptstädtischen Rádio Sociedade ausschließlich aus der ökonomischen und intellektuellen Elite rekrutierten – das Mitmachen und Mithören blieb auf einen kleinen Teil der urbanen Mittelklasse beschränkt.44 Die anfängliche Ausdeutung und Erfahrung des radialen Beitrags zum gesellschaftlichen Gemeinwohl war deshalb äußerst begrenzt.

 

2.1.1.2 Agrarreform in der Luft

Die den einzelnen Ursprungsnarrativen folgende »Massifizierung« brasilianischer Radiomedien beschreibt im Allgemeinen drei wesentliche Prozesse. Zunächst wird in der Literatur immer wieder auf die rasante Ausbreitung von Radiosende- und Empfangsgeräten verwiesen. Von einem Dutzend registrierter Sender in den 1920er Jahren, steigt die Zahl in den 1930er Jahren auf über 40 Stationen, beläuft sich Ende der 1940er bereits auf 227 und wächst bis zum Jahr 2003 auf 4305 Radiosender an.45 Das Radio sichert sich den Status als sogenanntes »Massenmedium«.46 Innerhalb dieser wachsenden Präsenz wird außerdem eine ständige Zunahme privater Radiosender gegenüber staatlichen Sendern konstatiert, die sich aktuell in einem Verhältnis von 3205 zu 159 ausdrückt.47 Als dritte Tendenz wird vielfach eine Essentialisierung der Hörenden als Publikum vorgenommen. Auf der einen Seite des Mediums sind die professionellen Machenden versammelt, »am anderen Pol seiner Aktivität befindet sich die Bevölkerung«.48 Auch wenn diese bipolare Beziehung diskursiv teilweise von »profunder Intimität« geprägt sei, Hörer_innen im Rahmen spezifischer Programmformate zu Wort kommen oder Radiosender besuchen – von der Signalerzeugung bleiben sie weitestgehend ausgeschlossen.49

Dennoch, oder gerade deshalb, habe seitens der brasilianischen Bevölkerung stets ein Interesse bestanden, sich das Radiomedium anzueignen, argumentieren zahlreiche Fürsprecher_innen unabhängiger Sender rückblickend.50 Für diese These sprechen unterschiedliche Hinweise. Zum einen kann man das erwähnte klandestine Radiomachen zumindest ein Stück weit als eine erste populäre Aneignung deuten. Nach der Registrierung und Besteuerung der Empfängergeräte, soll seit den 1920er Jahren auch eine artesanale? Montage? von Detektorempfängern (receptores galenas) stattgefunden haben, »von Hörern ohne genügend Einkünfte, um sich importierte Empfänger leisten zu können«.51 Außerdem ist es seit dem Beginn des Radiomachens immer wieder zu punktuellen Aneignungen der Sendetechnik gekommen, wie beispielsweise die Besetzung des Senders PRA-R im Jahr 1932.52 Aber auch längerfristige Umdeutungen der bestehenden Regulierung, wie zu Beginn der 1960er Jahre, als eine befreiungstheologische Strömung innerhalb der Katholischen Kirche Brasiliens ein weitreichendes Netzwerk von Bildungsradios organisierte, sind dokumentiert.53 Keine dieser Erfahrungen forderte die bestehende Definition und Regulierung des Radiomediums jedoch anhaltend und grundsätzlich in ihrer Legitimation heraus.

Eine weitreichende Delegitimierung des etablierten Radiomachens zeichnet sich erst zu Beginn der 1980er Jahre ab. Die damals angeführten Kritikpunkte betreffen unterschiedliche Dimensionen des Mediums. Zunächst wird die gesetzlich festgeschriebene »überholte technische Normierung« des Radiomediums nach »professionellen Kriterien«54 in Frage gestellt, da der damit verbundene finanzielle und organisatorische Aufwand alternative Nutzungen ausschließen würde. Dies habe dazu geführt, dass ein Großteil des elektromagnetischen Spektrums durch kommerzielle Radiostationen mit hoher Signalstärke genutzt werde, die keinen Platz für ein plurale und demokratische Ausdeutung des Mediums ließen.55 Neben einigen staatlichen Radiosendern sei damit die gesamte inhaltliche Produktion einer merkantilen Logik unterworfen, anstatt »der gemeinschaftlichen Ausübung der Demokratie«56 dienlich zu sein. Mitverschuldet habe diese Entwicklung auch der Staat. Denn neben einer politischen Zensur des Radiomediums während der militärisch-zivilen Diktatur (1964-1985) seien zugleich Sendelizenzen als »Gefälligkeiten« an regimetreue Medienunternehmen vergeben worden.57

Ohne die hier angedeuteten Argumente weiter auszuführen, wird deutlich, dass vor allem die mehrheitlich kommerzielle Nutzung des Radiomediums im Sinne eines demokratischen Gemeinwohls in Frage gestellt wird. Zudem wird die Rolle des Staates als Legitimationshelfer herausgefordert, da dieser sein Regulierungsmonopol jahrzehntelang repressiv durchgesetzt habe und nicht bereit sei, eine »autoritäre Unterscheidung zwischen Sender und Rezipient« aufzugeben sowie »dem 'Hörer' eine aktive Rolle zurückzugeben«.58 Nicht nur die öffentliche Debatte über die Kriterien für ein legitimes Radiomedium, die in den 1920er Jahren ausblieb, scheint hier ein Stück weit »nachgeholt« zu werden. Mehr noch, sie wird zum Anlass, »partizipative“ Radiopraktiken über den gesetzlichen Rahmen hinaus zu legitimieren und – wie von der Cooperativa dos Rádio-Amantes 1985 gefordert – eine »definitive Invasion und Okkupation der Atmosphäre zu beginnen«.59

Die Kritik des etablierten Radiomachens und die praktische Demonstration davon abweichender Praktiken waren kein isoliertes Phänomen.

»Wenn die 70er Jahre in Brasilien mit einem Anstieg sozialer Forderungen nach demokratischen Freiheiten, inklusive Meinungs- und Pressefreiheit enden, [können die 80er Jahre bereits ] mit dem Beitrag einer organisierten Bevölkerung rechnen. Die Thematiken waren weit über einfache Prinzipienerklärungen hinaus gereift«.60

Nur wenige Autor_innen stellen die »Besetzung der Radiowellen« als Ergebnis eines genuin brasilianischen Phänomens heraus.61 Vielmehr werden in der Literatur eine Vielzahl einflussreicher Ursprungsnarrative angeführt, welche eine Aneignung des Radiomediums in Brasiliens beeinflusst haben sollen. Dazu werden zunächst frühe kollektive Erfahrungen des Radiomediums in Europa während der 1920er Jahre angeführt, zum Beispiel die Sendungen von Arbeiter_innenclubs oder Gewerkschaften in Österreich und den Niederlanden.62 Auch werden Radiosendungen zur Koordination französischer Kombattant_innen der Résistance während des 2. Weltkriegs als Quellen einer unabhängigen Radiopraxis benannt.63 Ob auch die sogenannten Piratenradios, nicht-lizenzierte Sender mit kommerziellen Interessen, die sich ab Ende der 1950er Jahre organisieren, als Anknüpfungspunkte für die unabhängigen Radiomacher Brasiliens gelten können, wird wegen ihrer gewinnorientierten Praxis bis heute kontrovers diskutiert.64

Weniger umstritten ist dagegen die aufmerksame Rezeption der italienischen und französischen Freien Radio Bewegungen der 1970er Jahre in Brasilien.65 Die politische Medienarbeit von Sendern wie Radio Tomate in Paris oder Radio Alice in Bologna stellte explizit »die staatliche Legitimität der Telekommunikationsverwaltung«66 in Frage. Brasilianische Exilanten lernen diese medialen Umdeutungen aus nächster Nähe kennen, beschreiben die Konzepte und Praktiken in brasilianischen Zeitschriften. Zu Beginn der 1980er Jahre sind zudem Besuche europäischer Radioaktivisten wie Franco »Bifo« Berardi und Felix Guattari in Brasilien dokumentiert. Letzterer ermutigt 1982 auf einem Kongress an der Katholischen Universität São Paulos (PUC) Studierende damit zu beginnen, »über die Rolle Freier Radios innerhalb demokratischer Organisationen nachzudenken«.67

Neben diesen europäischen Anleihen sind in der Literatur weitere wichtige Einflussfaktoren dokumentiert. Dazu werden mitunter die Radiosendungen von nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika und Asien gezählt.68 Eine intensivere Auseinandersetzung findet in der Literatur darüber hinaus mit zwei konzeptuellen Aneignungen des Radiomediums in Lateinamerika statt. Zum einen werden die Gewerkschaftssender bolivianischer Bergarbeiter_innen (z.B. Radio Sucre) als eine spezifische Erfahrung herangezogen, die sich in ihren Anfängen über die staatliche Lizenzvergabe hinwegsetzte und in direktem Zusammenhang mit dem Leben und den Konflikten der mineros legitimiert wurde.69 Zum anderen erfolgt eine umfassende Rezeption des Guerillafunks in Kuba (Radio Rebelde, 1958-1959) und ab 1979 in Zentralamerika.70 Enthusiastisch wurde nicht nur die Anekdote weiterverbreitet, dass die Gueriller@s Musik von Chico Buarque spielten, besprochen wurde auch die strategische Aneignung und Konstruktion von Sendetechnik.71

Doch wie verhalten sich die brasilianischen Ursprungsnarrative unabhängigen Radiomachens zu diesen Praktiken? Erneut lassen sich konkurrierende Erzählungen ausmachen. (1) Zunächst werden, den Anfängen der ersten Radioübertragungen im Brasilien der 1920er Jahre nicht unähnlich, einige isolierte, experimentelle Sendeerfahrungen angeführt. Sieht man von der nachholenden Stilisierung Landell de Mouras als »ersten Radioamateur«72 ab, dann fallen die ersten dokumentierten Sendungen in die 1970er Jahre. Den beiden frühesten Experimenten 1970 (Rádio Paranóica in Victoria, Espirito Santo) und 1976 (Rádio Spectro in Sorocaba, São Paulo) ist gemein, dass den minderjährigen Initiatoren nach eigenen Aussagen nicht klar war, im Sinne der damaligen Regulierung eine Straftat verübt zu haben. Mit Hilfe schriftlicher Bauanleitungen – darunter auch italienische Funkamateur_innen-Zeitschriften – stellen sie Sendegeräte her und strahlen bis zu ihrer Verhaftung regelmäßig Programme aus.73 Wie viele solcher isolierten Experimente in Brasilien stattgefunden haben, ist bisher nicht untersucht worden.

(2) In einem weiteren bekannten Radioprojekt der 1970er Jahre begründet sich das zweite Ursprungsnarrativ, welches sich von anderen »naiven Experimenten« unterscheide.74 Das 1978  in der Industriestadt Criciúma (Santa Caterina) initiierte Rádio Globo soll anfangs nur Musik gespielt, dann jedoch »ein Bewusstsein für seine Rolle und Akzeptanz im kommunikativen und sozialen Kontext der Region«75 entwickelt haben. Das Radio fungierte als befreiungstheologische »Stimme der Gemeinde« und zur Selbstorganisation des Stadtviertels.76 Das Radiomachen soll einem lokalen Gemeinwohl verbunden gewesen und die Nutzung des Mediums auf diese Weise gerechtfertigt worden sein – ohne Erfolg. Mit Verweis auf das geltende Recht schließt die damalige Regulierungsbehörde DENTEL den Sender 1983.

(3) Ungefähr zur selben Zeit, die einzelnen Literaturangaben schwanken zwischen 1981 und 198377 sollen in der bereits erwähnten Provinzstadt Sorocaba »einige bekiffte Rocker [...], Jugendliche, ermüdet vom ewig gleichen Sound der offiziellen UKWs«78 angefangen haben, sich mit über 40 unabhängigen Radios gegenseitig musikalisch Konkurrenz zu machen. Dieses dritte ist zugleich das bekannteste Ursprungsnarrativ. Es herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, ob die technik- und musikaffine Jugend auch ein Gemeinwohl im Sinn hatte, oder – wie einige der damaligen Radiomacher_innen in Sorocaba sich zitieren ließen, vollständig »apolitisch« seien. Erst nach und nach hätten sich die Jugendlichen den sozio-ökonomischen Problemen des Landes gestellt, lautet eine verbreitete These.79 Dieser Einschätzung widerspricht, dass die Sender Sorocabas damals zensierte Musik (wie unter anderem Chico Buarque) spielten und in ihren Moderationen zeitweilig »das Monopol des Familienklatsch« durchbrachen.80 Zudem greife es zu kurz, die Selbstbeschreibung der Jugendlichen als »apolitisch« mit einer analytischen Deutung ihrer Praktiken gleichzusetzen, kritisieren Radiomacher_innen, die ihren politischen Ursprung in Sorocaba rekonstruieren: »Noch in Zeiten der Diktatur [...] kündigen sie eine demokratische Metamorphose an. […] Wenn es nicht politisch ist, gegen das Gesetz zu verstoßen, das Monopol des globalen Monsters zumindest lokal zu brechen, dann weiß ich auch nicht mehr, was politisch ist«81

(4) Auch wenn einige Autor_innen82 ab 1985 im metropolitanen Raum São Paulo entstehende unabhängige Sender teilweise als Fortführung ein und desselben Phänomens betrachten, ist eine direkte Kontinuität fraglich. Vielmehr artikuliert sich hier ein weiteres heterogenes Ursprungsnarrativ, das zwar teilweise auf Sorocaba als erfolgreiche Avantgarde einer lokalen »technischen Schlacht« Bezug nimmt, sich jedoch auch anhand weiterer Referenzen legitimiert.  Dies trifft beispielsweise auf eine kaum dokumentierte kirchliche Initiative zu, die bereits vor den zahlreichen ab 1985 entstehenden Studierendenradios wie Rádio Xilik, Ítaca, Molotiv und Tóto ein eigenes Sendegerät herstellte.83 Auffällig ist bei den studentischen Projekten »Freier Radios« wiederum, dass sie sich explizit als Teil einer internationalen Bewegung darstellen, welche die freie Nutzung des elektromagnetischen Spektrums und ein Ende des staatlichen Regulierungsmonopols fordert.84

Die Besetzung und Kommunikation mittels Radiowellen findet schnell auch Verwendung in Gewerkschaften und der Arbeiterpartei (PT), wie zum Beispiel Rádio Tereza. Was diese heterogenen Projekte und Erfahrungen eint, ist die Idee einer »Agrarreform in der Luft«, die weit über die Frage einer Legalisierung hinaus weist. Die bis dato nicht weiter hinterfragte Idee eines radialen Bildungsauftrags im Rahmen eines homogenen nationalen Allgemeinwohls wird nun weithin zur Debatte gestellt. Die Rechtfertigung unabhängigen Radiomachens wird argumentativ internationalisiert (eine Befreiung des Spektrums), zugleich aber auch entlang der spezifischen Bedürfnisse einzelner Gruppen (z.B. Gewerkschaften) begründet. In unterschiedlichen Verbänden und Netzwerken schließen sich viele der damaligen unabhängigen Radios zusammen, um sowohl ihren Forderungen als auch ihrer Radiopraxis mehr Gewicht zu verleihen.85 Die Legitimation des Radiomachens gerät allseitig in Bewegung.

Die bestehenden Gesetze indes bleiben zunächst unverändert und werden weiterhin dazu herangezogen, Radiomachen ohne Lizenz oder Genehmigung als Straftat zu bewerten. Doch seitens einiger brasilianischen Gerichte setzt zu Beginn der 1990er Jahre, vor dem Hintergrund der neuen Verfassung von 1988, eine Revision dieses Rechtsverständnis ein. Die vierte Kammer der Vara Federal der Stadt São Paulo beispielsweise entschied 1994:

»Es ist keine vorherige Autorisierung der Behörden (poder público) für die Installation eines Senders mit lokaler Reichweite notwendig, wenn diese nicht gewinnorientiert ist, das heißt, kultureller oder kommunaler (comunitária) Natur sind.«86

Die bis dato bekannten 500 unabhängigen Sender vermehrten sich angesichts nun häufiger ausgestellter einstweiliger Verfügungen (habeus corpus) rapide. 1995 sollen bereits über 2000 dieser Sender aktiv sein. Die im selben Jahr abgegebene Erklärung des ehemaligen Kommunikationsministers Sérgio Motta, unabhängige Sender in naher Zukunft legalisieren zu wollen, setzt eine weitere quantitative »Detonationswelle« frei.87

(5) Die nun folgenden Aushandlungen eines legalen Ursprungsnarrativs münden 1998 in einem Gesetz (Lei 9.612/98/98) welches auf »voreingenommene Weise«88 den Betrieb sogenannter Community Radios »rádios comunitárias« (im Folgenden: RadCom) regelt. Auch hier von einem Ursprung zu sprechen, rechtfertigt sich in der stattfindenden Vereinheitlichung der bis dahin unterschiedlichen Namen, Konzepte und Radiopraktiken in einer legalen Definition und Regelwerk. »Voreingenommen« sei diese Ausdeutung jedoch deshalb, weil es RadCom außerhalb des 1997 verabschiedeten neuen Telekommunikationsgesetzes (Lei 9.472) definiert, als eine in seiner Reichweite und Praktiken stark eingeschränkte Sonderform. RadComs dürfen mit maximal 25 Kilowatt senden, keine Werbung ausstrahlen und müssen inhaltlich spezifische Auflagen erfüllen, welche das Radiomachen im Interesse einer Gemeinde sichern soll.89 Unter die Anfang der 1980er Jahre erneut begonnene und nicht abgeschlossene Aushandlung des Radiomediums wurde ein legaler Schlussstrich gezogen.

Doch ist das durch das brasilianische RadCom-Gesetz eingrenzte, unabhängige Radiomachen auch dessen einzige legitime Beschreibung? In der Literatur lassen sich mindestens vier Einwände aufspüren, die dagegen sprechen. Zunächst stelle das Gesetz keinen Kompromiss dar, der einen Ausgleich konträrer Interessen hinsichtlich des Radiomediums garantiere. Auch wenn an den zweijährigen Verhandlungen Repräsentant_innen unabhängiger Radios beteiligt waren; die starke Präsenz privater Radios im elektromagnetischen Spektrum wird nicht zugunsten unabhängiger Praktiken zurückgedrängt. Eher seien die »Kommunikationslatifundisten« geschützt worden, um dem Gros der Bevölkerung weiterhin ihre radiale Meinungsfreiheit vorzuenthalten.90 Zweitens nimmt das RadCom-Gesetz keinerlei Bezug auf das verfassungsrechtlich verbriefte Primat individueller Freiheiten. Demnach, würden jede regulierender Einschränkung nicht länger die Norm, sondern empirisch zu rechtfertigende Ausnahmefälle darstellen. Stattdessen führt das Gesetz erneut eine fixe Normierung ein, welche den Staat in seiner zentralen Rolle als Legitimationshelfer zu bestätigen sucht.91 Drittens bleibt der legale Text die Antwort schuldig, wie genau die spezifische Normierung von RadCom nachweislich einem spezifischen Gemeinwohl dient, in dem es beispielsweise, wie oft behauptet, die »Demokratisierung der Kommunikation« befördere.92 Und schließlich wird die ihrem Anspruch nach allumfassende legale Definition von RadComs von Beginn an in Frage gestellt, vor allem von Sendern, die sich als Community Radios bezeichneten, sich jedoch nicht adäquat von der gesetzlichen RadCom-Formel repräsentiert fühlten.93

Deutlich macht eine solche Rekonstruktion unterschiedlicher radialer Ursprungsnarrative vor allem eines: die konkurrierenden Nutzungsmodi elektromagnetischer Wellen sind dem Medium von Beginn an immanent und tragen produktiv zu seiner gesellschaftlichen Ausdeutung bei. Dabei sind punktuell bereits eine Reihe wiederkehrender Konfliktlinien sichtbar geworden, so zum Beispiel die ambivalente Bewertung metropolitaner gegenüber kleinstädtischen und ländlichen Radiopraktiken. Daran gekoppelt ist die spezifische Ausdeutung der gesellschaftlichen Nutzung von Radiomedien, mal beschrieben als nationales Interesse (z.B. Bildung), mal entlang der Interessen einzelner Gruppen (z.B. UnternehmerInnen, Studierende, Kirchengemeinde, AnwohnerInnen). Diskutiert wird dabei seit den frühen Sendungen immer wieder das Verhältnis des Radiomediums zu kommerziellen Interessen, populären Inhalten und schließlich auch der Zugang zur Radiotechnik, vor allem bezüglich der Möglichkeit Radio auch machen und nicht nur hören zu können.

 

Die Forderung nach einer gesellschaftlichen Legitimation des etablierten Rundfunksystems stellt sich in Brasilien explizit jedoch erst Anfang der 1980er Jahre, als bestehende Definitionen und Regulierungen des Radiomachens als nicht länger verbindlich angesehen werden. Sowohl staatlichen Legitimationshelfern, als auch den von ihnen autorisierten staatlichen und privaten Radiomachenden, wird ihr exklusives Recht und die Fähigkeit abgesprochen, dass Gemeinwohl des Mediums bestimmen zu können. Diese Legitimationskrise wird jedoch nicht allein mit Forderungen an die bisherigen Radiomachenden verbunden, ihre Praktiken zu verändern, sondern durch eigene radiale Vorschläge konterkariert, welche sich auf spezifische Weise rechtfertigen. Nicht allein die Regulierung des bestehenden Mediums wird diskutiert, sondern die weiterführende Frage nach gesellschaftlich legitimierten Radiopraktiken gestellt und beantwortet – diskursiv, besonders aber im Rahmen eines vielfältigen operativen Gebrauchs.

Die synchrone Betrachtung einzelner emergenter Legitimationen erlaubt es dabei auch das Gesetz von 1998 als nur eine mögliche Beschreibung unabhängigen Radiomachens zu relativieren, die sich nicht wesentlich von anderen mit ihr konkurrierenden Erzählungen unterscheidet. Auch der Gesetzestext ist hintergehbar und, wie bereits angedeutet, einem Nachweis an Legitimität nicht erhaben. Vieles deutet darauf hin, dass das RadComRadCom-Gesetz die Legitimationskrise des brasilianischen Rundfunks keineswegs beendet hat. Widersprüche und Fragen für die folgenden Kapitel stellen sich jedoch auch hinsichtlich der weiteren referierten Ursprungsnarrative unabhängigen Radiomachens. Inwiefern existieren Selbstbeschreibungen apolitischen Radiomachens und inwiefern konstruieren diese überhaupt eine spezifische Anerkennungswürdigkeit? Welche Bezüge konstruieren die einzelnen Narrative bei der ihnen unterstellten Legitimation gegenüber konkurrierenden unabhängigen Macharten von Radio?  Wie umfassend, dauerhaft und universell sind diese einzelnen Narrative ihrem Anspruch nach angelegt? Um Antworten zu geben, wird sich der Text im Folgenden nun mit den Veränderungen, Definitionen und Relationen unabhängigen Radiomachens beschäftigen, um die Konsistenz der einzelnen Kategorien zu untersuchen. Vorher möchte ich jedoch damit beginnen, in einem ersten methodologischen Exkurs, etwas näher in die diesem Text zugrundeliegenden Begriffe und Konzepte der Akteur_innen-Netzwerk-Theorie einführen.

 

2.1.1.3 Theoriebaukasten I – Von der Askription zur Inskription

Bereits zu Beginn der Arbeit wurde der Anspruch formuliert, für die konzeptuelle Ordnung des Forschungsvorhabens, also dessen ontologische und epistemologische Dimensionierung, beteiligte Akteur_innen einzubeziehen, anstatt auf externe Kategorien und Definitionen zurückzugreifen. Beim mapping der divergierenden Ursprungsnarrative sind in vielen Paraphrasen und Zitaten bereits einige ihrer Konzepte und Kategorien sichtbar geworden. In dieser Annäherung an das Radiomedium konvergieren relativ ungeordnet vielgestaltige Betrachtungsebenen und vieldeutige Begrifflichkeiten. Wie lässt sich eine solche Heterogenität analytisch nutzbar halten und zugleich mit einer theoriegeleiteten Untersuchung medialer Legitimationen vereinbaren? Eine mögliche Antwort offeriert die Akteur_innen-Netzwerktheorie (ANT). Ihr zentrales Anliegen ist es, eine relationale Beschreibung divergierender Elemente zu leisten, und zwar indem sie Akteur_innen beim Bau von Netzwerken analysiert. Die vorliegende Arbeit folgt dieser Idee.

Die perspektivische Untersuchung des brasilianischen Radiomediums als Akteur_innen-Netzwerk-Analyse anzulegen, heißt zunächst zwischen zwei Abstraktionsebenen zu unterscheiden, nämlich einem allgemeinen Modell sozialer Wirklichkeit und einem forschungsleitenden Setting. Die erste Ebene entspringt der allgemeinen Prämisse, sich soziale Wirklichkeit als ein immanentes Fraktalmodell vorzustellen,

»reducible neither to an actor alone nor to a network. [...] An actor-network is simultaneously an actor whose activity is networking heterogeneous elements and a network that is able to redefine and transform what it is made of.«94

Somit ist jede_r soziale Akteur_in immer auch als Teil eines weiterführenden Netzwerks rekonstruierbar. Zugleich lässt sich seine Rolle als Akteur_in jedoch ebenfalls in ein Netzwerk (weiterer Akteur_innen) auffächern. Das heißt, »alles beginnt immer in der Mitte«95. Oder anders gesagt: Die Bildung spezifischer Netzwerke beginnt immer dort, wo ein Problem empfunden wird. Im Falle brasilianischer Radiomedien betrifft dieses Problem das Verhältnis einer möglichen Signalübertragung im elektromagnetischen Spektrum zu deren weiteren gesellschaftlichen Ausdeutung.

Perspektivisch wird dieses allgemein unterstellte Problem nun im Rahmen einer konkreten Fragestellung weiterverfolgt und zwar auf einer zweiten, Setting genannten Abstraktionsebene. »Ein Setting ist das Netzwerk, das von einem (soziologischen) Betrachter als Gegenstand der Forschung konstruiert wird«.96 Das konkrete Problem von dem aus ich das Setting entfalte, ist die Legitimation unabhängigen Radiomachens. Der Beginn dieses hypothetischen Akteur-Netzwerks betrifft dabei zunächst die Veranschlagung einer spezifischen Krise, einem in der ANT Askription genannten Moment. Im Rahmen dieser Arbeit ist damit die Aushandlung der gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit des Radiomediums, in all seinen operativen Gebräuchen gemeint. Bei der synchronen Betrachtung einzelner Ursprungsnarrative ist bereits herausgearbeitet geworden, dass der Nachweis von Legitimation von allen Radiomachenden eingefordert werden kann. Das Setting rekonstruiert diesen Prozess97 nun jedoch explizit für unabhängige Radios in Brasilien und die »für die Selbstorganisation eines Netzwerkes notwendige Selbstreferenz«.98

Sollte die Askription mit einem spezifischen Akteurs-Netzwerk unabhängiger Radios korrespondieren, dann müssten sich über die bisher geleisteten Beschreibungen einer Krise hinaus auch Hinweise darauf finden lassen, dass einzelne Akteur_innen sich auf diese Krise beziehen, oder – wenn man aus der entgegengesetzten Richtung auf eine vorgestellte Mitte blickt – sich diese Krise in unterschiedliche Akteur_innen einschreiben.99 Eine solche Bewegung wird innerhalb der ANT zumeist als Inskription bezeichnet. Als infralinguistisches Konzept beschreibt es kein festes Set an Abläufen, sondern hilft dabei, wie in diesem Kapitel geschehen, die konkurrierenden Versuche von Akteur_innen zu dokumentieren, die einer Krise mit dem hypothetischen Neuentwurf eines Akteur_innen-Netzwerks begegnen.

Aus steht nun eine weiterführende Rekonstruktion der spezifischen Modelle unabhängigen Radiomachens und daran gekoppelter Artikulation unabhängiger Radiomedien im operativen Gebrauch.100

 

2.1.2 Kategorien

Um die bereits in den Ursprungsnarrativen anklingende Selbstreferenz einzelner Radiorepräsentationen wie staatlich, frei oder privat weiterzuverfolgen, werde ich nun konkurrierende Inskriptionen des Radiomachens betrachten. Oder anders gefragt: Innerhalb welcher Kategorien wird das Radiomedium in Brasilien ausdifferenziert? Eine solche Betrachtung verfolgt zwei wesentliche Interessen. Zum einen soll das allgemeine Netzwerk der brasilianischen Radiodiffusion, des Rundfunks, welches bisher nur unter negativen Vorzeichen angedeutet wurde, besser erfasst werden, um einer synchronen Analyse gerecht zu werden. Zum anderen sollen die spezifischen Kategorien unabhängigen Radiomachens auf diese Weise besser situiert werden. Dabei wird deutlich werden, in welchem Verhältnis die als krisenhaft kritisierten, radialen Kategorien zu spezifischen alternativen Modelle stehen und welche legitimatorischen Lücken sich auch in letzteren auftun.

In der Literatur lassen sich drei grundsätzliche Strategien finden, die das brasilianische Radiomedium ordnen. Angeführt werden (1) technische, (2) legale und (3) deskriptive Kategorien, die perspektivisch jeweils bestimmte mediale Elemente als Unterscheidungskriterien bemühen.  Wie ich zeigen werde, hilft ihre nähere Betrachtung sowohl dabei das Forschungs-Setting besser einzugrenzen, als auch die Relevanz einzelner Kategorien für die Legitimationsfrage genauer zu erfassen. Wie ist ihre Selbstreferenz konstruiert, und in welchem Verhältnis stehen die unterschiedlichen Kategorien zueinander? Wo verlaufen klare Trennlinien, und wo verlieren sie sich?

 

2.1.2.1 Technische Kategorien

(1) Auf einer ersten Unterscheidungsebene wird Radio in der Literatur als spezifische Anordnungen künstlich hergestellter Werkzeuge oder Artefakte dokumentiert. Dabei werden tools (aber auch ihre Eigenschaften oder Funktionsweisen) dafür genutzt, einzelne Geräte-Konstellationen voneinander zu unterscheiden. Eines der wohl wichtigsten Kriterien ist dabei die Signalübertragung. Neben dem bereits erwähnten elektromagnetischen Spektrum, wo vermittels der Modulation einer Trägerwelle elektromagnetische Energie für Kommunikationsprozesse genutzt wird, lassen sich zwei weitere kategorienbildende Übertragungswege dokumentieren sowie zwei Spezifizierung des Sendens vermittels Radiowellen.101

Als rádio postes oder »Lautsprechersysteme« (sistema de alto-falante) bezeichnete Radios kommen ohne Sendegeräte für das elektromagnetische Spektrum aus und stellen eigentlich nur eine elektroakustische Verstärkung von Tönen im öffentlichen Raum dar. Der Empfang dieses eher »lokalen Übertragungstyps«102 läuft demnach ohne Empfangsgeräte ab, seine Regulierung unterliegt lokalen Aushandlungen und Gesetzen. Für seine Nutzung sind kommerzielle, politische und religiöse Zwecke dokumentiert. Umstritten ist dabei jedoch die Frage, ob die Nutzung eines solchen einfachen Lautsprechersystems die effizienteste Antwort auf ein lokales kommunikatives Bedürfnis ist oder auch Ausdruck gesetzlicher und ökonomischer Ausschlüsse vom elektromagnetischen Spektrum.103

Ebenfalls ohne die Nutzung von Radiowellen kommen sogenannte Internetradios (rádios na Internet, rádio web) aus.104 Für die Übertragung wird auf ein streaming genanntes Verfahren zurückgegriffen, welches es erlaubt, die von einem Computer an einen Audioserver gesendeten Audiosignale/-dateien dort zeitgleich von vielen weiteren Computern aus abzufragen und anzuhören.105 Imitiert wird dabei also vor allem die Idee des broadcastings, bei dem einer sendet und alle anderen zuhören. Diese Nachahmung hat die mit der Modulation von elektromagnetischen Wellen technisch jedoch nichts gemein und auch die Regulierung des Sendens im Internet unterliegt vielmehr der Nutzung spezifischer Internet-Protokolle106 und wird von nationalstaatlichen Gesetzen wenig bis gar nicht betroffen.107

Beide technischen Kategorien zeigen, wie porös die Grenze des Radiomediums ist.108 Zunächst wird deutlich, dass die Modulation von Radiowellen kein ausschließliches Kriterium ist, um Radio zu definieren, da dafür auch andere Übertragungswege genutzt werden. Eine solche Ausweitung des Radiobegriffs vervielfältigt seine technisch-materiellen Erscheinungsformen jedoch sehr stark. Dieser begrifflichen Inflation wirken die einzelnen unabhängigen Radiomachenden auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Begründungen entgegen, wie ich in den folgenden Kapiteln zeigen werde.109

(2) Innerhalb des Spektrums wiederum entfaltet sich eine weitere technische Kategorisierung, welche Radios entsprechend ihrer Wellenmodulation unterscheidet. Damit ist ein Verfahren beschrieben, mittels welchem eine Radiowelle manipuliert wird um sie als Träger für ein Signal zu nutzen. Wurde bei Radioübertragungen bis in die 1950er Jahre ausschließlich die Amplitude von Radiowellen moduliert (AM), hielt in den folgenden Jahrzehnten eine Übertragungstechnik Einzug, welche sich die Frequenzmanipulation (FM) zunutze macht. Kategorisch unterschieden wird deshalb bis heute zwischen FM-Sendern und AM-Sendern.110 Beide Übertragungsmodelle produzieren Signale mit unterschiedlichen Charakteristiken. Während AM-Signale gegenüber FM-Signalen beispielsweise eine größere Reichweite auszeichnet, sind sie zugleich anfälliger für atmosphärische Störungen und bezüglich ihrer Tonqualität der Frequenzmodulation unterlegen.111

Die Übertragung erfolgt außerdem innerhalb unterschiedlicher Bandbreiten des elektromagnetischen Spektrums. Während AM-Signale auf langen, mittleren und hohen Frequenzbereichen zwischen 30 Kilohertz (KHz) und 30 Megahertz (MHz) gesendet werden, nutzen FM-Signale die sehr hohen Frequenzen zwischen 30 und 300 MHz.112 Vor allem aus ökonomischen Gründen übertragen unabhängige Radios vor allem mittels FM-Signalen.113

Diese kategorischen Unterscheidungen bezüglich Modulation und Frequenzband sind potentiell sehr wichtig für die radiale Legitimationsdebatte, wenn man das Zustandekommen der darin angelegten Standards betrachtet. Denn die Festlegung der spezifischen Standards fußt zum einen auf den Empfehlungen der Internationalen Fernmeldeunion (ITU).114 Deren unveränderte Umsetzung oder aber Modifikation wiederum unterliegt nationalstaatlichen Regulierungsbehörden, wie im Fall Brasiliens der Nationalen Telekommunikationsagentur (ANATEL).115 Der dabei entscheidende Punkt für die weitere Betrachtung ist, dass nicht allein natürliche Charakteristiken des elektromagnetischen Spektrums die Anzahl der Nutzer_innen diktieren, sondern die Eigenschaften von Radiowellen vielmehr an einer veränderlichen, sozialen Aushandlung des Radiomediums beteiligt sind, die potentiell auch immer die Forderung ihrer Legitimation beinhalten kann. Gleiches trifft auf die aktuelle Debatte bezüglich analoger und digitaler Radiosignale zu, auf die ich später noch ausführlich eingehen werde und beir verschiedene Akteur_innen beteiligt sind, um eine neue Kategorie zu schaffen?, nämlich die des Digitalradios (vgl. 2.2.2.1).

(3) Kategorienbildend für Radios sind auch zwei weitere Arten der Signalübertragung im elektromagnetischen Spektrum, die ebenfalls ausgehandelt und nicht technisch selbsterklärend sind. Eine erste bilden sogenannte »Weitergabestationen« (retransmissoras, repetidoras).116 Kategorisch werden hier Sender zusammengefasst, die hauptsächlich dazu verwendet werden, das Signal anderer kommerzieller Radiostationen weiterzuleiten, während ihr eigener Programmanteil vertraglich auf höchstens 15 Prozent festgeschrieben ist.117 In der Praktik einer solchen Signalweitergabe generiert sich eine wesentliche Charakteristik brasilianischer Radionetzwerke (vgl. auch 2.2.2.3.).

Aktuell werden repetidoras jedoch einzig von kommerziellen Radios genutzt. Das liegt maßgeblich daran, dass eine solche Signalweitergabe, welche zum Beispiel auch die gemeinsame Ausstrahlung einer Live-Übertragung möglich macht, den genehmigten RadComs (als einzige legal anerkannte deskriptive Kategorie unabhängigen Radiomachens) gesetzlich explizit untersagt wird.118 RadComs sollen sich nicht über ihren lokalen Fokus hinaus vernetzen, wie dies beispielsweise unabhängige Radios in Bolivien 1980 taten.119 Es wird deutlich, dass die möglichen Kategorien des Radiomachens nicht von allen Modellen beansprucht werden können, zumindest nicht auf »legale Weise«. Diese Festlegung ist keinen »technischen Umständen“ geschuldet, sondern ist hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit prinzipiell verhandelbar.

Auf ähnliche Weise lässt sich auch die Definition der letzten hier dokumentierten technischen Kategorie problematisieren, nämlich die von »Radios mit geringer Sendestärke« (rádios de baixa potência).120 Dabei wird als Unterscheidungskriterium die limitierte Wattzahl herangezogen, mit der ein Signal ausgesendet wird. Gesetzlich genehmigte Community Radios beispielsweise dürfen in Brasilien mit maximal 25 Watt senden.121 Abweichend dazu werden in der Literatur aber auch 100 Watt und 250 Watt als normative Höchstgrenze für diese Kategorie angesetzt.122 Doch wie begründet sich eine solche kategorische Einschränkung der Sendestärke? Den einzelnen Definitionen unterliegen zwei wesentliche Annahmen. Ein »technischer« Grund besagt, dass Radiosignale sich in ihrer Ausbreitung relational beeinflussen und einander »stören« können, wenn sie sich auf einer Frequenz überlagern. Doch damit ist noch nicht gesagt warum einigen Sendern eine größere und anderen eine kleiner Sendestärke zugeschrieben wird. Der zweite Grund beschreibt deshalb, wie weit der Beitrag eines Radiosenders zu einem spezifischen Zweck reicht. Dieser kann einen »nationalen Umfang« von 200 Kilowatt haben, mit dem Ziel, landesweit empfangbar zu sein.123 Er kann im Fall eines Radios mit geringer Signalstärke aber auch darauf beschränkt sein, einer lokal definierten  »Gemeinde“ (comunidade) zu dienen.124

Problematisch ist an einer solchen Kategorisierung weniger die Unterscheidung spezifischer Signalstärken, welche innerhalb einzelner Radiomodelle und ihrer konkreten kommunikativen Zielsetzung ja durchaus variieren können - auch Community Radios bekräftigen meist ihren kommunalen Fokus.125 Fraglich ist vielmehr, inwiefern die Festlegung einer allgemein gültigen Definition von Radios mit geringer Sendestärke auf 25 Watt gerechtfertigt oder eher »willkürlich« erfolgt.126 Egal ob man geografische, politische (z.B. Wahlkreise) oder andere deskriptive Kriterien für eine bestimmte Gemeinde anlegt – in vielen Fällen würde ein Sender mit nur 25 Watt nicht von allen Gemeindemitgliedern zu empfangen sein und sein »Dienst“ nicht erfüllt werden können. Ein Sender mit höherer Wattzahl muss dagegen nicht zwingend eine störende Interferenz erzeugen. Und selbst wenn, würde sich die Frage einer »Störung« letztendlich synchron für alle Sendenden und ihre spezifischen Zielsetzungen stellen – und damit auch die mögliche Forderung, diese kommunikativen Zwecke als Beitrag zu einem Gemeinwohl zu rekonstruieren. Erneut gerät eine scheinbar technische Kategorie unter Legitimierungsdruck.127

Alle hier skizzierten technischen Kategorien grenzen das Radiomedium konzeptuell ein und leisten einen Beitrag zu seinem operativen Gebrauch, in dem sie die Signalübertragung und spezifische Anordnungen diverser tools beschreiben. Problematisch scheint es in Hinblick auf die hier beschriebenen Kategorien jedoch, Technik als faktische und unveränderliche Bedingungen eines Mediums aufzufassen. Dies betrifft zum einen die dargelegten materiellen Dispositive und ihre Normierung, aber auch ein rein »technisch« verstandenes Radiomachen, als Kunstfertigkeit ein Signal zu erzeugen. Anstatt eines deterministischen Faktors ist Technik »stabilisierte Gesellschaft«.128 Technik wird damit auch für die Legitimationsfrage differenzierter betrachtbar. Denn sie ist weder irrelevant, weil scheinbar neutral, noch determinierend, weil scheinbar unveränderlich. Sobald nämlich technische Sachzwänge und korrespondierende Normen erneut in ihrer sozialen Gemachtheit beschrieben werden, kann auch ihnen eine Rechtfertigung abverlangt werden.

 

2.1.2.2 Legale Kategorien

Bei der Betrachtung technischer Kategorien ist eine anteilige Festschreibung innerhalb legaler Normen angeklungen. Gesetze sind jedoch auch auf nicht-technischer Ebene an einer radialen Kategorienbildung beteiligt. Wurde Rundfunk (rádiodifusão) 1924 als ein ziviler Dienst lediglich von der militärischen Spektrumsnutzung unterschieden, zeichnete sich innerhalb der weiteren Verrechtlichung des Mediums in Brasilien bald eine weitere Ausdifferenzierung ab. Die gebräuchliche Unterscheidung von Bildungs- und kommerziellen Sendern ist jedoch nicht nur ungenau, sie existiert rein rechtlich betrachtet gar nicht.129 Denn unterschieden wurde seit den 1960er Jahren in unterschiedlichen Gesetzestexten zwischen (1) „öffentlichen“ (públicos) direkt von der Bundesregierung kontrollierten Sendern, (2) Bildungssendern, sowie (3) genehmigten (permissão, autorização) und (4) lizenzierten (concessão) Sendern. 1998 schuf die (5) Einführung des Gesetzes für Community Radios noch eine weitere legale Kategorie.130 In der folgenden Darstellung wird nicht nur die konzeptuelle Veränderlichkeit der einzelnen Kategorien in der Zeit sichtbar werden, sondern auch der teils damit verbundene Verlust ihrer gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit, der anfangs allen Kategorien normativ eingeschrieben war.

(1) Als öffentliche Radios wurden seit dem Erlass des Nationalen Telekommunikations-Gesetzbuchs (CNT, Lei 4.117) 1962 all jene Sender bezeichnet, die »direktes Eigentum der Bundesregierung« waren und »die mittels Sponsoring (patrocínio) oder Werbung staatliche Einkünfte erzielen«131 sollten. Von 1975 bis 2008 organisierte das öffentliche Unternehmen Radiobrás »einige wenige Sender, die sich fast alle der Verbreitung [...] brasilianischer Kultur und Regierungsangelegenheiten widmeten«132. Diese Auffassung der Kategorie »öffentlich« wurde mit der Gründung der Nachfolgeorganisation Brasilianisches Kommunikations-unternehmen (EBC) im Jahr 2007 jedoch nachhaltig revidiert, um sie klarer von Kategorien wie Staats- und Regierungssender unterscheiden zu können.133 Die EBC hat es als eines ihrer Ziele ausgeschrieben, »öffentliche Kanäle zu schaffen, die sich durch ihre redaktionelle Unabhängigkeit« auszeichnen.134 Darüber hinaus wurde die Aufgabe, staatliche Einkünfte zu erzielen aufgegeben und gesetzlich durch einen non-profit-Charakter ersetzt.135

Dieses Selbstverständnis nimmt damit nicht länger auf den CNT von 1962 sondern stärker auf Artikel 223 der brasilianischen Verfassung von 1988 Bezug. Dort ist eine gegenseitige Ergänzung (complementaridade) des privaten, öffentlichen und staatlichen Rundfunks veranschlagt. Damit zeichnen sich erste konzeptuelle Unschärfen ab, denn die als komplementär verstandenen Kategorien »staatliche Sender« und »private Sender« existieren in anderen Gesetzestexten nicht. Darüber hinaus setzten auch viele akademische Arbeiten jüngeren Datums (d.h. nach Gründung der EBC) öffentliche Radios weiterhin mit staatlichem Rundfunk gleich und unterscheiden davon RadComs als »öffentlich-nicht-staatliche« Sender.136 Diese Definition überschneidet sich jedoch mit dem erwähnten Selbstbild der EBC. Schließlich ist auch die undeutliche Abgrenzung zum sogenannten Bildungsfunk (rádio educativo) zu erwähnen, eine Kategorie, die sich vor Gründung der EBC auf direkt von bundesstaatlichen Institutionen kontrollierte Sender und weitere genehmigte Bildungssender erstreckte.137 Die EBC integrierte jedoch nur einen Teil dieser Radios in die sieben ihr angehörenden öffentlichen Sender, die unter anderem auch einen expliziten Bildungsauftrag haben. Damit wurde die bis dato bestehende Arbeitsteilung zwischen staatlich/öffentlichen und Bildungssendern einseitig aufgelöst, die verbleibenden Bildungssender, deren gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit bereits vorher prekär war, verloren weiter an Kontur.138

(2) Bildungssender waren seit der ersten dokumentierten Beschreibung von Radio als nationaler Bildungsauftrag 1923 (vgl. 2.1.1.1) fortwährend eine hybride Kategorie, welche sich bezüglich ihrer legalen Eingrenzung anteilig auf weitere rechtliche Kategorien verteilte. Zu erwähnen ist, dass bis 1960 alle brasilianischen Radiosender einen verbindlichen Bildungsauftrag hatten, welcher erst durch ein Präsidialdekret aufgehoben wurde.139 Seitdem wurde Bildungsradio als verallgemeinernde Kategorie für alle staatlichen und vom Staat genehmigten Sender benutzt, der Bildungsauftrag in seinem normativen Anspruch und bezüglich der einzelnen Träger jedoch mehrfach verändert.140

Eine anhaltende Kontroverse bei der Ausdeutung der Kategorie Bildungsradio ist und bleibt die Frage nach dem Verhältnis von formaler Bildung und nicht-formaler Bildung, d.h. inwiefern das staatliche Bildungssystem, z.B. im Rahmen radialer Alphabetisierungsprogramme und Unterrichtseinheiten ergänzt, oder aber Bildung im Radio didaktisch subtiler vermittelt werden sollte.141 Eine weitere Konfliktlinie betrifft die gerechtfertigte Nutzung von Bildungssendern für politische Interessen der Regierung oder ihre Organisation von redaktionell unabhängigen Trägern, wie beispielsweise der befreiungstheologischen Bewegung der Basisbildung (MEB), die in ihren Radioprogrammen der 1960er Jahre eine Bildung vornahmen, die auch ein kritisches Bewusstsein gegenüber staatlichen Institutionen schaffen sollte.142 Zwischen 1991 und 1998 existierte zudem die umstrittene Regelung, Bildungssender auch als repitidoras mit einem eigenen Programmanteil zu organisieren.143 Auch wenn diese Regelung im Rahmen des Dekrets 2.593 abgeschafft wurde, bleibt die allgemeine Ausdeutung von Bildung als radiale Praxis undeutlich.

Die aktuell gültige Definition von Bildungsradio, die auf einen Erlass zwischen Bildungs- und Kommunikationsministerium aus dem Jahr 1999 zurückgeht, lautet:

»Als Kultur-Bildungsprogramme sind all jene zu verstehen, die gemeinsam mit den Unterrichtssystemen aller Stufen und Modalitäten agieren, auf die Grund- oder höhere Bildung und die permanente Bildung und Ausbildung  für die Arbeit ausgerichtet sind [...] immer in Übereinkunft mit den nationalen Interessen«144.

Diese Vorgaben lassen auf eine aktuell eher »staatsnahe« und formelle Interpretation von Bildungsradio schließen, die in ihren Aussagen weit hinter der Differenz früherer Debatten zurückbleibt. Ob diese praktisch von Bedeutung ist, bleibt jedoch anzuzweifeln, da Bildungsfunk oftmals eine bloße »Formalität« darstelle, »denn die edukativen Erzeuger folg[t]en dieser Vorgabe nie«.145  Während öffentliche Radios trotz der relationalen Unschärfe zu anderen legalen Kategorien im Rahmen des Gesetzes 11.652 zumindest eine sehr detaillierte Selbstbeschreibung ihrer Arbeit liefern, bleiben Bildungsradios kategorisch unscharf. Sie exponieren sich für eine Infragestellung ihrer Legitimation.

(3) Die Schwierigkeit, Bildungsradios anhand von Gesetzen erschöpfend beschreiben zu können, beeinflusst auch die Legitimation einer weiteren legalen Kategorie, nämlich die genehmigter Radios. Da sich öffentliche Radios im Rahmen der EBC von der allgemeinen Kategorie der Bildungssender absetzten, fallen letztere synonym mit genehmigten Radios zusammen. Sie treffen sich zunächst in der Vorgabe nicht-kommerziell zu arbeiten und einen Bildungsauftrag zu erfüllen.146 An die Erfüllung dieser Kriterien ist formell auch die Vergabe und Verlängerung ihrer Genehmigungen gebunden. Der CNT formuliert wie folgt:

»Die Frist von Konzessionen oder Autorisierungen beträgt zehn Jahre für Rundfunkdienste [...], die für gleichlange Folgeperioden erneuert werden können, wenn die Konzessionäre alle legalen und vertraglichen Pflichten erfüllt, die gleiche technische, finanzielle und moralische Tauglichkeit beibehalten und dem öffentlichen Interesse gedient haben«.147

Auffällig ist, dass im Gesetz die Kontrolle vertraglicher Pflichten lediglich für konzessionierte Lizenznehmer nicht jedoch für autorisierte, d.h. genehmigte Radios vorgesehen ist. Empirische Studien sehen in diesem Defizit an Kontrolle auch einen wesentlichen Grund dafür, dass genehmigte Radiosender für religiöse oder politische Überzeugungsarbeit missbraucht werden.148 Die legitimatorische Krise der Kategorie »genehmigtes Radio« generiert sich jedoch bereits auf konzeptueller Ebene,  da über die initiale Vergabe einer Genehmigung keine verbindlichen Kriterien formuliert werden, welche die Kategorie normativ weiter differenzieren und damit in ihrem »operativen Gebrauch« für ein Gemeinwohl nachprüfbar machen würden.148

Darüber hinaus drängt sich bezüglich der sozialen Rechtfertigung genehmigter Radios eine weitere gewichtige Frage auf. Warum haben innerhalb dieser Kategorie bisher keine Modelle unabhängiger (legalisierungsaffiner) Radios ihren Ausdruck gefunden? Legt man allein die normativen Kriterien »nicht-kommerzieller Bildungsauftrag« und eine mögliche technische Normierung als lokaler FM-Sender mit weniger als 250 Watt an, dann würde der operative Gebrauch vieler Community Radios diese Kriterien erfüllen. Eine genaue Antwort wird sich erst im weiteren Verlauf dieser Arbeit geben lassen. Festzuhalten ist jedoch, dass allein die formal-rechtlichen Hürden der Legalisierung und die technische Normierung und Regulierung der Signalerzeugung sehr kompliziert und mit hohen Kosten verbunden sind. Diese Kriterien seien von unabhängigen Radios jedoch oft nicht zu erfüllen und stellten deshalb bis heute einen – wenn man so will »nicht legitimen« – Ausschlussfaktor dar.149

(4) Auch die Kategorie »lizenziertes Radio« stützt sich auf die für öffentliche und genehmigte Radios geltenden technischen Normierungen. In legaler Hinsicht unterscheiden sich Konzessionen dagegen vor allem in zwei Punkten von den bisher dargestellten Radiokategorien. Zum einen sind sie kostenpflichtig, d.h. für die Nutzung einer bestimmten Frequenz ist ein vertraglich festgelegter Betrag an die Bundesregierung zu zahlen.150 Zum anderen sind lizenzierte Radios wie bereits angedeutet, von einem expliziten Bildungsauftrag befreit. Ihnen wird lediglich auferlegt, fünf Prozent ihres Programms für Nachrichtensendungen (serviço noticioso) zu nutzen und wie alle übrigen Radios täglich das einstündige offizielle Informationsangebot des Bundeskongress zu übertragen.151 Damit wird deutlich, dass die gebräuchliche Kategorie »kommerzielles Radio« nicht direkt auf eine gesetzliche Definition zurückzuführen ist. Vielmehr kreiert sie dafür auf eine spezifische rechtliche Charakteristik lizensierter Stationen, die besagt, dass in deren Sendungen  »kommerzielle Werbung« (publicidade comercial) nur 25 Prozent des Gesamtprogramms ausmachen darf.152

Sowohl die erwähnten technischen Normen als auch die Lizenzgebühren sind in ihrer Legitimation problematisch, denn beide übersetzen nicht explizit einen Beitrag zu einem sozialen Gemeinwohl. Sollte dieser eher an monetären Staatseinnahmen und weniger an medialen Inhalten und Praktiken orientiert sein, so wird dies in brasilianischen Gesetzen zumindest an keiner Stelle erwähnt. Während die übrigen Radiokategorien verbindlich an einen Bildungsauftrag gekoppelt bleiben, sind konzessionierte Radios, wie bereits erwähnt, davon befreit. Um die Nutzung des elektromagnetischen Spektrums zu rechtfertigen, begründen Konzessionäre ihren Anspruch auf das elektromagnetische Spektrum deshalb oft damit, dass Radio »nicht nur ein Geschäft, sondern eben auch ein Geschäft« sei.153 Als »Missionen« dieses Geschäfts werden dann anstelle von Bildung beispielsweise die »Zirkulation von Reichtum« und »Unterhaltung« benannt.154

Unterhaltung (divertimento) und »Werbung von Rundfunkunternehmen« sind im CNT zwar als mögliche Eigenschaften von Radio beschrieben, rechtlich jedoch explizit »den edukativen und kulturellen Zielsetzungen des Rundfunks untergeordnet, die auf die höheren Interessen des Landes ausgerichtet sind«.155 Konzessionierte Sender kommen daher nicht umhin, sich mit dem edukativen Gemeinwohl auseinandersetzen. Sie können sich durch seine anteilige Erfüllung legitimieren, oder darauf verzichten, müssten dann aber ihren »untergeordneten« Status akzeptieren. Je nachdem ob oder wie intensiv Lizenznehmer_innen den radialen Bildungsauftrag ausformulieren, wäre ihre Anerkennungswürdigkeit dann auch in quantitativer Hinsicht bei der Nutzung von Radiofrequenzen herausgefordert. Denn aktuell stehen 3205 konzessionierten AM- und FM-Sendern lediglich 159 genehmigte FM-Sender gegenüber.156

(5) Quantitativ betrachtet werden alle genannten radialen Kategorien in ihrer praktischen Realisierung inzwischen von den 4242 legalisierten RadComs übertroffen.157 Eine nähere Auseinandersetzung mit ihren legalen Grundlagen, vor allem dem Gesetz 9612, relativiert diese zahlenmäßige Überlegenheit jedoch. Denn der Gesetzestext expliziert gegenüber den bisher betrachteten Radios viel ausführlicher ihren eingeschränkten Aktionsradius. Die Sendestärke von RadComs ist auf maximal 25 Watt festgeschrieben, ihre Genehmigungen gelten für einen Zeitraum von 10 Jahren, die Sender dürfen keine kommerziellen Ziele verfolgen (sem fins lucrativos) und ihr Zweck (finalidade) ist »dem der Gemeinschaft förderlichen Dienst« verpflichtet.158 Erneut wird dabei auch Bildung als ein handlungsleitendes Kriterium genannt.159

Grundsätzlich steht die allgemeine legale Beschreibung zunächst nicht im Widerspruch zu weiteren RadCom-Modellen. Auch die technische und soziale Einschränkung der Nutzung, um beispielsweise Interferenzen mit anderen Radios zu vermeiden oder den Missbrauch der Kategorie für kommerzielle Zwecke zu verhindern, werden gemeinhin gutgeheißen.160 Angezweifelt wurde jedoch bereits vor der Verabschiedung des RadCom-Gesetzes wiederholt, ob die spezifischen legalen Normen diese Absichten auch adäquat übersetzen.161 Neben der kritisierten Festlegung einer äußerst geringen Signalstärke (vgl. 2.1.2.1), lässt sich auch fragen, warum RadComs die Ausstrahlung von Werbung als Finanzierungsmöglichkeit ihres nicht-kommerziellen Dienstes für eine Gemeinschaft untersagt bleibt und lediglich ein apoio cultural genanntes Sponsoring lokaler Geschäfte und Einrichtungen (estabelecimentos) erlaubt wird.162 Sie werden damit unbegründet gegenüber anderen Radios benachteiligt. Ebenso willkürlich scheint die Festlegung, dass RadComs rechtlich nicht vor Interferenzen anderer Radios geschützt sind, wohingegen sie für den Fall, dass sie das Signal eines anderen Radios stören, ihre Genehmigung verlieren können.163 Deshalb ist festzuhalten: Die legale Kategorie RadCom begründet nicht erschöpfend, inwiefern ihre einzelnen Normen und Regulierungen dazu beitragen, den (ebenfalls gesetzlich festgeschriebenen) radialen Beitrag zum Gemeinwohl einer Gemeinde tatsächlich erfüllen zu können.

Bezüglich des Verhältnisses zu weiteren Radiokategorien ist neben einer legalen Benachteiligung auch zu erwähnen, dass die nachträgliche Schaffung der RadComs dem in der Verfassung angelegten Prinzip der Komplementarität mehrfach zuwiderläuft. Zunächst sind RadComs innerhalb der bereits erwähnten konstitutionellen Unterscheidung von privaten, öffentlichen und staatlichen Sendern nicht eindeutig zuzuordnen. Doch ohne eine weitere Explikation des Verhältnisses zu anderen radialen Kategorien bleibt fraglich, in welcher Weise der CNT von 1962 und das Pressegesetz von 1967164 auch RadComs normieren und regulieren. Dies ist immer dann der Fall, wenn einzelne Belange nicht eindeutig im RadCom-Gesetz spezifiziert sind.165 Dieses Problem ist besonders relevant, wenn es um die Sanktionierung von Gesetzesverstößen seitens der RadComs geht. Denn neben den im Gesetz 9612 vorgesehenen »milden« Strafen (Verwarnung, Bußgeld, Entzug der Genehmigung) wendet die Regulierungsbehörde ANATEL bis heute Sanktionen aus den »Gesetzestexten der Diktatur«166 an, welche gewaltsame Räumungen und die Verhängung von Haftstrafen ermöglichen.

Desweiteren bleibt die Komplementarität undeutlich, was die Befugnisse der föderalen Entitäten (Gemeinden, Bundesstaaten und Bundesregierung) angeht. Denn der CNT von 1962 schließt Bundesstaaten und Gemeinden bis heute von der radialen Normierung und Regulierung aus und spricht alle Befugnisse exklusiv der Bundesregierung und teilweise dem Bundeskongress zu.167 In der Verfassung von 1988 ist dagegen festgelegt, dass zunächst einmal die Gemeinden für lokale Belange zuständig sind und andere föderale Entitäten jegliches Abweichen von diesem föderalen Prinzip rechtfertigen müssen. Radioformate mit lokaler Reichweite in ihrem operative Gebrauch zu definieren und zu regulieren würde demnach zunächst kommunalen und eventuell bundesstaatlichen Instanzen zufallen.168 Darüber hinaus lässt sich auch fragen, inwiefern das RadCom-Gesetz nicht auch das individuelle Recht der Meinungsfreiheit einschränkt. Dieses sollte  laut der Verfassung von 1988 nur in begründeten Ausnahmefällen eingeschränkt werden, nicht jedoch wie im Fall der RadCom-Kategorie durch beständige »von der Exekutive etablierte Restriktionen«.169

 

Alle genannten Kritikpunkte bezüglich der Normierungen und Regulierungen aber auch hinsichtlich relationaler Grenzen gegenüber anderen Kategorien, verweisen bereits auf mögliche Ausgangspunkte, um die rechtliche Ungleichbehandlung von RadComs in ihrer Legitimation zu problematisieren. Zugleich besitzt die legale Kategorie RadCom ein Alleinstellungsmerkmal, nämlich die seinem legalen Ursprungsnarrativ zu Grunde liegende Forderung nach Legitimation der in Brasilien bis dato bestehenden legal verbrieften Radioformate. Während sich für die Kategorien staatlicher, genehmigter und konzessionierter Radios die Frage ihrer Anerkennungswürdigkeit nur retrospektiv klären lässt, hegte die in den 1990ern geforderte »Agrarreform in der Luft« von Beginn an den Anspruch, bestehende legale Kategorisierungen in ihrem Verhältnis zueinander zu reformieren.170 In diesem Sinne ist die legale Übersetzung der damaligen Forderungen und Kompromisse ebenfalls ein Kriterium, um die Anerkennungswürdigkeit der Kategorie RadCom weiter zu diskutieren.

Insgesamt scheinen die dargelegten legalen Kategorien die brasilianischen Radiomedien weder erschöpfend noch kohärent beschreiben zu können. Anstelle eines zentralen Textkorpus, rekurrieren die meisten Kategorien auf heterogene Dekrete, Gesetze und Erlässe, die zudem in vielen Punkten in Widerspruch zur Verfassung stehen. Für die Frage nach der Legitimation ist dabei besonders relevant, dass Normen und Regulierungen oftmals nicht mit einzelnen sozialen Zielsetzungen korrespondieren.171 Stattdessen scheinen vielen Gesetzen implizite normative Prämissen zu unterliegen, welche eine Ungleichbehandlung der RadCom-Kategorie gegenüber weiteren Radios anleiten. So muss die RadCom-Kategorie beispielsweise als störende Anomalie erscheinen, solange die »weitreichende geographische Penetration“ als »natürliche Tendenz« von Radiosendern betrachtet wird.172 Sie erscheinen dagegen als Idealform, wenn man von der Prämisse ausgeht, dass »Frequenzen in größtmöglicher Zahl vergeben werden müssten«, um damit eine möglichst vielfältige und vielen Akteur_innen zugängliche Nutzung der Radiowellen zu ermöglichen.173  Für eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Radiomedium ist es deshalb notwendig, ebensolche normativen Annahmen und damit verbundene Kategorisierungen zu betrachten, die über die bisher dargelegten technischen und legalen Dimension hinausgehen.

 

2.1.2.3 Normative Kategorien

Als normative Kategorien von Radio werden im Folgenden »Prototypen der radiofonen Realisation« betrachtet, verstanden als, »eine Serie unterschiedlicher Merkmale (rasgos) die umstandsbedingten Zielen entsprechen«.174 Sie unterscheiden sich in ihren expliziten gesellschaftlichen Zielsetzungen damit von technischen Kategorien. Gegenüber legalen Kategorien, die wie dargestellt ebenfalls einen normativen Charakter haben, unterscheiden sie sich darin, eben nicht allein durch Gesetze beschreibbar zu sein. Kommerzielle Radios sind beispielsweise eine solche normative Kategorie, welche nach einer weiteren Beschreibung der darin angedeuteten gewinnorientierten Zielsetzung verlangt. Auch die kategorische Eingrenzung von Bildungsradios ist über ihre aktuelle rechtliche Festschreibung bis heute innerhalb wechselhafter normativer Ausdeutungen rekonstruierbar.175 Im Rahmen dieser Arbeit wird der Blick nun explizit auf jene normativen Kategorien gerichtet, welche dabei helfen werden, die unabhängigen Radios Brasiliens und ihre spezifischen Legitimationen weiter zu differenzieren.176

 

Innerhalb der Literatur wird diese Kategorie zunächst entlang von zwei verallgemeinernden pejorativen Definitionen ausgedeutet. (1) Die erste entfaltet sich im Begriff »illegales Radio«, verstanden als all jene Sender, die in Widerspruch zu der 1924 in Brasilien einsetzenden Verrechtlichung des Radiomediums stehen. Die positivistische Kategorisierung betrachtet alle »außerhalb der im Gesetz autorisierten Fälle« von Radio unterschiedslos als illegal.177 Von dieser initialen Verallgemeinerung aus wird meist ebenso unterschiedslos gefolgert, dass alle »illegalen Radios« im Sinne einer nicht-autorisierten »Installation oder Nutzung von Telekommunikation« eine Straftat darstellen.178 In einem normativen Sinne gesteht diese Kategorie den damit beschriebenen Sendern kein umstandsbedingtes Ziel und keine damit potentiell mögliche Legitimierung mehr zu, sondern attestiert ihnen fixe Charakteristika, nämlich die, eine Straftat zu sein.

Doch die Kopplung der Kategorie »illegal« an eine Straftat trägt wenig zu einer begrifflichen Klärung bei. Umstritten ist zunächst, ob nicht-autorisiertes Radiomachen überhaupt als ein Verstoß gegen die Telekommunikationsregulierung zu werten ist. Denn trotz der zeitweiligen Zusammenführung der Kategorien Rundfunk und Telekommunikation im Rahmen der »autoritären Verfassung« von 1967 »zum Vorteil der repressiven [staatlichen] Kräfte«, wurde in Artikel 21 der aktuell gültigen Verfassung aus dem Jahr 1988 erneut ihre Trennung festgelegt.179 Da illegale Radios also normativ (oder legal) nicht länger unterschiedslos als Straftat generalisierbar sind, versuchen weitere Ausdeutungen ihnen – erneut verallgemeinernd – nachzuweisen, dass sie »ein juristisches Gut, das gesellschaftlich als wertvoll angesehen wird, der Gefahr einer Verletzung aussetzen«.180 Dabei wird ihnen unterstellt, Interferenzen zu verursachen, die nicht nur andere Radiosender beeinträchtigen, sondern auch den Funkverkehr von Rettungsfahrzeugen und die Signalübertragungen weiterer Verkehrsmittel, was sogar zum Absturz von Flugzeugen und dem Untergang von Schiffen führen könne.181 Eine technische Studie aus dem Jahr 2008 bestätigte jedoch, dass sich kein kausaler Zusammenhang zwischen Unfällen im Luftverkehr und den Signalen von Radios mit geringer Signalstärke herstellen lässt.182 Damit beschreibt die Kategorie illegales Radio weiterhin auf normative Weise Situationen, die »juristisch nicht oder schlecht definiert sind, und deren mögliche Ausdeutungen »unzählbar sind«.183

(2) Eine andere Rechnung macht deshalb die Kategorie »Piratenradio« auf, die pauschal allen Radios ohne Genehmigung attestiert, gewinn-orientiert zu arbeiten. Ihr Ziel bestehe darin, ohne Lizenzgebühren und Steuern zu zahlen – wie dies konzessionierte Radios tun -,  elektromagnetische Wellen für kommerzielle Zwecke zu nutzen. Deshalb sei eine »Verfolgung und Schließung solcher Radios notwendig, um die Piraterie zu disziplinieren, die den Rundfunk infiziert«.184 Teilweise wird eine solche Kategorisierung auch von unabhängigen Radios oder ihren Fürsprecher_innen bedient, welche den Begriff Piraten in den 1980er Jahren zunächst selbst verwendeten. Dieser war oder ist jedoch positiv besetzt und hebt vor allem jenes Moment hervor, in dem die nicht gerechtfertigte staatlich Frequenzregulierung »geentert« wird.185 Zugleich lässt sich seitens unabhängiger Radios jedoch auch eine bewusste Abgrenzung von der Piratenmetapher beobachten, beziehungsweise ihre direktionale Umkehrung, welche die gesellschaftliche Legitimation kommerzieller Radios problematisiert und sie als die »wahren Piraten« des elektromagnetischen Spektrums zu entlarven sucht.186

Die Piratenkategorie ist wegen ihrer verallgemeinernden pejorativen Setzung, die unabhängige Radios unterschiedslos als »Banditen, Marginale, Piraten und Diebe«187 zusammenfasst, in doppelter Hinsicht problematisch. Zunächst fällt die häufige Anwendung der Kategorie seitens staatlicher Institutionen auf, welche diese normative Bezeichnung unreflektiert von brasilianischen Medienunternehmern übernehmen.188 Dieses Vorgehen steht in krassem Gegensatz zu einer allgemeinen Unschuldsvermutung und ist nicht darum bemüht, das angeblich gewinnorientierte Handeln auch nachzuweisen. Und die Gewinnorientierung ist in ihrer Ausdeutung nicht minder strittig. Denn wo genau die Grenze zwischen einer subalternen Überlebensstrategie, der Erwirtschaftung von Einkünften für wohltätige Zwecke und einem individuellen Gewinninteresse verläuft, bleibt vage.189 Die Kategorie Piratenradio erklärt damit wenig, klagt jedoch pauschalisierend viele Sender an, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, die Legitimation ihres Medienmachens zu explizieren.

Eine Strategie unabhängiger Radios, diesem kategorischen Generalverdacht zu entgehen, liegt neben einer Negation jeglicher Gewinnabsicht vor allem darin, sich in differenzierteren normativen Beschreibungen darzustellen. Zu fragen ist dabei jedoch, inwiefern die in der Literatur verwendeten ordnenden Kategorien wie alternatives, subversives, autonomes oder auch klandestines Radio mit der Begriffsbildung unabhängiger Radiomacher_innen korrespondieren, oder »von außen« herangetragen werden.190 Die Kategorie »populäres Radio« (rádio popular, rádio do povo) beispielsweise wird vor allem in akademischen Texten für eine Zusammenführung unterschiedlicher radialer Kategorien benutzt und anschließend als eine mediale Strategie partizipativer Staatsbürgerschaft (cidadania participativa) gedeutet.191 Darin ist jedoch eine wenig reflektierte analytische Vermischung von Lautsprechersystemen und FM-Sendern angelegt. Dabei können Erfahrungen „mit beiden“ oder „beider“ Radiomodelle, die auf unterschiedlichen Ebenen materieller Techniken und daran gekoppelter gesellschaftlichen Legitimationen beruhen, sehr unterschiedlich ausfallen.192 Erneut wird nicht nur die Relevanz einer »techniksensiblen« Betrachtung deutlich, sondern auch die Gefahr, die in einer Synthese radialer Kategorien zugunsten »medienferner«193 Theorieansätze liegt.

Zwei präzisere Kategorien, die sowohl in der Literatur als auch seitens der Radiomachenden verwendet werden, bilden die bereits erwähnten Freien und Community Radios. Obwohl beide in ihrer Definition umstritten sind, herrscht zumindest bezüglich der zeitlichen Vorgängigkeit Freier Radios gegenüber den RadComs Einigkeit.194 Danach gehen die Meinungen und Definitionen weit auseinander.

(3) Der Begriff Freies Radio soll in Brasilien bereits ab Ende der 1980er Jahre einige Verbreitung erfahren haben. Auf einem Treffen unabhängiger Radiomacher_innen soll zu dieser Zeit dann beschlossen worden sein, die bis dahin auch gebräuchlichere Selbstbeschreibung »Piratenradio« aufzugeben, und sich für ihre gesellschaftliche Rechtfertigung stärker an die konstitutionelle Garantie der Meinungsfreiheit anzulehnen.195 Als solche wird auch die freie Nutzung von Radiowellen interpretiert und damit bis heute der staatliche Anspruch, Radiomedien zu regulieren, zurückgewiesen. Denn dieser sei in seiner Exklusivität und repressiven Durchsetzung überaus »reaktionär«.196

Über diese Prämissen hinaus, bleibt der Begriff »Freie Radios« normativ über Jahre hinweg eine recht offene Kategorie. Die »Invasion und Besetzung der Atmosphäre« beschreibt eher eine Strategie für die »kollektive Wiederaneignung [...] subjektiver Produktionsmittel« ohne die subjektive Dimension näher einzugrenzen.197 »Sie können eine explizite politische Linie haben oder nicht und dabei sowohl politische, kommerzielle, hobbymäßige (hobísticas) und sogar pornographische Zielsetzungen verfolgen«.198

Trotz dieser Offenheit, scheint sich in Brasilien zumindest ab Mitte der 1980er Jahre ein Konsens zu bilden, der Freies Radiomachen explizit als nicht-kommerzielle Tätigkeit versteht. Ausgehend von einer rückblickenden Auseinandersetzung mit den »beiden Kernstücken« der Freien Radiobewegung Italiens der 1970er Jahre, fand eine Abgrenzung von Sendern mit kommerziellen Interessen statt, während die Radios »der neuen Linken« als positive Beispiele unabhängigen Radiomachens referiert werden.199

Parallel zu diesem Konsens etablieren sich in den 1980ern jedoch auch viele »subjektive« Interpretationen Freien Radiomachens. Darauf deuten zumindest die in der Literatur dokumentierten Subkategorien hin, wie zum Beispiel Freie Gewerkschafts-, Studierenden-, Community und populäre Radios. Aber auch Sender, die sich als Sprachrohr von religiösen Gruppen oder der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) verstehen, bezeichneten sich mitunter als Freie Radios.200 Die explizite Bindung unabhängiger Radiokategorien an parteipolitische oder religiöse Ziele war und ist jedoch äußerst umstritten.201 Zur »Etablierung einer Ethik der Freien Radios«, wie dies in den 1980er Jahren vorgeschlagen wurde, ist es bis heute nicht gekommen.202

Stattdessen ist, neben dem bereits erwähnten nicht-kommerziellen Charakter, bis heute lediglich die kategorische Weigerung, sich im Rahmen bestehender Gesetze legalisieren zu lassen, als kleinster gemeinsamer Nenner der Freien Radios beschreibbar. Die Sender teilen den Anspruch, Radio zu machen, das »ohne die Kontrolle der Regierung« auskommt, oder gerade [so angelegt ist], um diese Kontrolle zu bekämpfen«203. Staatliche Regulierung wird generell als exzessiver, nicht-legitimer Eingriff in »individuelle Rechte“ unter dem Deckmantel der »Legalität«204 gewertet. Sich nicht legalisieren lassen zu wollen, bedeutet jedoch nicht, wie oftmals unterstellt, überhaupt nicht an der Aushandlung eines gesellschaftlichen Kompromisses für die Nutzung von Radiofrequenzen interessiert zu sein. Bereits in Texten freier Radiomacher_innen aus den 1980er Jahren wird die Notwendigkeit einer einvernehmlichen Nutzung des elektromagnetischen Spektrums angesprochen, jedoch sei »diese Verhandlung im Sinne des bestmöglichen Kräfteverhältnisses für emanzipatorische Bewegungen zu führen«.205 An der Frage, ob eine stark eingeschränkte Legalisierung wirklich das bestmögliche Verhandlungsresultat sei, schied spaltete? sich Ende der 1990er Jahre die unabhängige Radiobewegung Brasiliens.

(4) Voraus ging diesem Bruch jedoch zunächst eine weitere Ausdeutung der bereits erwähnten Subkategorie Freies Community Radio. Nur wenige Autoren gehen dabei so weit, die Entstehung des Begriffs als »typisch brasilianischen Ausdruck« darzustellen.206 Dennoch wird auch in Texten, die eine Verwendung der Kategorie Community Radio vor deren weiterer Ausdeutung in Brasilien erwähnen, stets auf einen spezifischen Übergang unabhängiger Radios zu RadComs in der ersten Hälfte der 1990er Jahre hingewiesen.207 Neben konzeptuellen Anleihen von Freien Radios sollen dabei auch heterogene Überlegungen zur Nutzung des Radiomediums für edukative, philanthropische und kulturelle Bedürfnisse von Gemeinden eingeflossen sein.208 Die auch auf zahlreichen Zusammenkünften und Foren Freier Radios geführte Debatte soll schließlich 1995 auf dem Ersten Nationalen Treffen der Freien Community Radios ihre begriffliche »Institutionalisierung« erfahren haben.209

Als verbindendes Moment der RadComs lässt sich deren mediale Verpflichtung hervorheben, einer spezifischen Gemeinde zu dienen. Darüber hinaus wird für gewöhnlich auch die nicht-kommerzielle Arbeitsweise, die inhaltliche Pluralität des Radioprogramms und die Möglichkeit, allen Interessierten ein Mitmachen zu ermöglichen, affirmiert.210 Umstritten bleibt dabei bis heute ihr Verhältnis zu Freien Radios und zum brasilianischen RadCom-Gesetz. Gegenüber den Freien Radios stilisieren sich RadComs mitunter als deren konzeptuelle Weiterentwicklung. Während Freie Radios nur aus apolitischer »Freude an der Technik« oder als Ausdruck der »Unzufriedenheit mit dem sozialen Kommunikationssystem und der konzentrierten Distribution von [Radio]-Kanälen« gesendet hätten, seien RadComs das Ergebnis einer weiterführenden politischen Aneignung des Mediums entsprechend den »Bedürfnissen der Bevölkerung«.211 Diese pauschale Evolutionsgeschichte radialer Politisierung zugunsten der RadComs wird jedoch von aktiven Freien Radiomachenden widerlegt, die sich nicht nur gegen eine Historisierung der Kategorie frei wehren, sondern sich zugleich als ein Korrektiv der »institutionalisierten" RadComs verstehen.212

In der Beschreibung von RadComs als »institutionalisiert«, steckt nicht nur eine Kritik ihrer als »Aparatismus« (aparelhismo) beschriebenen Affirmation formal-bürokratischer Organisations-formen.213 Auch ihr positivistisches Rechtsverständnis wird moniert. Diese Einschätzung übersieht jedoch, dass RadComs zwar daran interessiert sind, im Rahmen staatlicher Regulierung anerkannt zu werden, diese jedoch nicht zu einer kategorischen Voraussetzung erheben. Es gibt einen Unterschied zwischen der legalen Kategorie RadCom und Definitionen, welche die Anerkennungswürdigkeit des Medium direkt an die Bedürfnisse einer Gemeinde koppeln. Innerhalb des Gesetzes sei nur ein »Mini-RadCom« realisierbar: »deshalb respektieren die Menschen dieses Gesetz nicht. [...] Die Leute besitzen die Legitimation das Eigentum Brasiliens einzufordern«214. Damit werden von dem RadCom-Gesetz abweichende legitime Interpretationen von Gemeinde (comunidade) und mediale Modelle denkbar.215

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Legitimation des Radiomediums besonders im Rahmen der normativen Kategorien intensiv diskutiert wird. Normative Kategorien stehen dabei nicht unvermittelt neben technischen oder legalen, sondern setzen sich mit beiden auseinander und binden sie mehr oder minder explizit in einzelne Modelle ein. Zugleich ist ersichtlich geworden, dass sich unabhängige Radios gegenüber pejorativen Generalisierungen gerade vermittels einer normativen Differenzierung zu legitimieren suchen. Dabei stellen sie auch stärker als in den vorher besprochenen Kategorien ihren spezifischen Beitrag zu einem gesellschaftlichen Gemeinwohl heraus. Die normativen Kategorisierungen Freie und Community Radios unterscheiden sich und scheinen mitunter auch in Konkurrenz zueinander zu stehen. Dennoch bleibt diese Abgrenzung zueinander undeutlich, da sich die Kritik im Einzelnen oft eher auf die empirische Realisierung einer Kategorie bezieht, als auf abstrakte normative Kriterien. Deutlich wird dies vor allem in den häufigen Beschreibungen von »falschen« oder »wahrhaftigen« Freien, RadComs oder Piratenradios.216

Noch vor einer näheren Untersuchung, wie und von wem diese weiten normativen Kategorien in ein spezifisches Radiomachen übersetzt werden, lassen sich bezüglich der Legitimation Freier Radios und RadComs einige vorläufige Beobachtungen festhalten. Zum einen scheinen Freie Radios die Rolle des Staates als zentralen Legitimationshelfer stärker in Frage zu stellen als RadComs. Nicht nur deshalb, weil viele von ihnen eine Legalisierung im Rahmen des Gesetzes 9.612/98 im Jahr 1998 als »einzigen damals möglichen Konsens«217 ablehnten. Als ebenso problematisch wurde und wird die legale Einhegung radialer »Hühnerställe«218 betrachtet, die eine grundsätzliche Umverteilung der genutzten Frequenzen (und des staatlichen Regulierungsmonopols) ausschließt. Zum anderen fällt die unterschiedliche Annäherung an die Ausdeutung eines radialen Gemeinwohls auf. Freie Radios gehen dabei eher von dem weit gefassten Feld der Meinungsfreiheit aus und sehen die Bestimmung seiner Grenzen im elektromagnetischen Spektrum als einen konsens-orientierten Prozess an. Verhandlungssache ist perspektivisch die Legitimation des Radiomediums. RadComs dagegen definieren ihren Beitrag zum Gemeinwohl als konkreten Dienst von und mit einer bestimmten Gemeinschaft. Verhandlungssache ist, welche legitimen handlungsleitenden Prinzipien dafür gelten sollen.

Auch wenn die hier dargelegten Kategorien bestätigen, dass unabhängige Radios ihre gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit vor allem im Rahmen normativer Beschreibungen vornehmen, wurde ebenfalls deutlich, dass technische und legale Dimensionen einbezogen werden. Denn wie dargestellt sind diese gegenüber sozialen Prozessen weder neutral noch äußerlich. Und sie unterscheiden sich auch nicht wesentlich von normativen Definitionen, denn auch sie formulieren ja modellhafte Unterscheidungen von Radiomedien. Diese Gemachtheit verweist auf eine Veränderlichkeit und ermöglicht es zu fragen, inwiefern auch sie im Rahmen eines spezifischen Radiomachens begründet werden müssen. Der Blick eines Beobachtenden sollte deshalb stets darauf gerichtet sein, wie einzelne Radios unterschiedliche Kategorien relational verknüpfen, um sich in ihrem Radiomachen und gegenüber konkurrierenden Radiomodellen zu legitimieren. Zentral scheint in Brasilien dabei die anhaltende Auseinandersetzung zwischen der legalen Kategorie unabhängigen Radiomachens (Lei 9612) – inklusive all ihrer technischen und normativen Prämissen - gegenüber allen weiterführenden deskriptiven Ausdeutungen unabhängigen Radiomachens. Bevor ich diesen Kampf um die Diskurshoheit auch auf Ebene der Akteur_innen fortsetze, soll auf theoretischer Ebene ein auf den letzten Seiten sichtbar gewordenes Problem geklärt werden, nämlich die sich auflösende Trennschärfe der Kategorien »technisch«, »legal« und »normativ«. Auch wenn die dargestellte gesellschaftliche Gemachtheit aller drei Kategorien den Radius von Legitimationsforderungen vergrößert, ist es zugleich notwendig auf der Ebene der Beobachtenden alternative Differenzierungsstrategien transparent zu machen.

 

2.1.2.4 Theoriebaukasten II – Black Boxes und Makroakteur_innen

Die kategorische Erschließung des Akteur_innen-Netzwerks »brasilianisches Radio« zeigt, dass nicht alle Merkmale eines Radiomodells direkt seine gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit betreffen. Dennoch wurde deutlich, dass sich die Legitimationsfrage im Rahmen des Settings durchaus an alle Kategorien herantragen lässt. Die Gemachtheit der ihnen zu Grunde liegenden heterogenen Kriterien ist potentiell immer rekonstruierbar. Diese Prämisse wird innerhalb der ANT von einem wichtigen methodischen Konzept eingelöst, dem Öffnen sogenannter Black Boxes.

Die Science and Technology Studies bezogen diesen Begriff zunächst ausschließlich auf ein »technical artifact that appears self evident and obvious to the observer«.219 Innerhalb der ANT wird dieser enge Fokus auf Technik von der Überlegung aufgelöst, das Konzept der Black Boxes auch auf die gesamte Gesellschaft anwenden zu können, denn  »everything – people, organizations, technologies, nature, politics, social order(s) – are the result, or effect, of heterogeneous networks.«220 Die auf den vorangegangenen Seiten begonnene empirische Umsetzung dieser Vorannahme verdeutlicht, dass sich so nicht nur als »technisch« beschriebenen Kategorien »öffnen« lassen, sondern en détail auch die Selbstevidenz von Gesetzen und normativen Radiomodellen angreifbar wird.211

In solchen differenzierteren Beschreibungen liegt zugleich ein radikaler Bruch mit a priori vorgenommen Unterscheidungen von Mikro- und Makroakteur_innen begründet. Oder anders gefragt, worin unterscheiden sich der brasilianische Rundfunk und ein unabhängiger Radiosender, worin das Gesetz der Community Radios gegenüber dem Prinzipienkatalog eines RadComs in São Paulo? Die implizierten Größenunterschiede stellen sich aus Sicht der ANT nicht als qualitative Wesensmerkmale dieser unterschiedlichen Akteur_innen dar. Vielmehr werden Größenunterschiede produziert und sind als solche dokumentierbar. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, bestehende Machtbeziehungen zu bestätigen und nicht für eine Analyse zugänglich zu machen.212 Auch die Bezeichnung »Rundfunk« ist deshalb bisher weitgehend vermieden worden. Methodisch folgt die vorliegende Arbeit der Prämisse, Größe auf die Anzahl dauerhafter Assoziationen zurückzuführen, welche eine_n Akteur_in gesellschaftlich stabilisieren. Rundfunk umfasst in seiner Beschreibung beispielsweise alle (regulierten) Radiosender, während ein brasilianischer Radiosender den operativen Gebrauch eines Radios beschreibt.

Als Assoziationen gelten dabei alle heterogenen Verbindungen, die Netzwerke konstituieren.213 Der brasilianische Rundfunk kann sich als dauerhafte Assoziationen dabei neben den betrachteten technischen, legalen und normativen Kategorien unter anderem auf repräsentative Institutionen, Lexika, Schulbücher und von Naturwissenschaftlern »naturalisierte« Explikationen des elektromagnetischen Spektrums (und davon abgeleiteten Nutzungsmöglichkeiten) stützen. Doch diese quantitative Überlegenheit entbindet den brasilianischen Rundfunk nicht prinzipiell davon, die von ihm beschriebenen Radiopraktiken und deren spezifische Mediationen eines Gemeinwohls nachzuweisen.

Auch »größere« etablierte Akteur_innen, wie der Rundfunk oder darin angelegte weitere Radiorepräsentation (z.B. konzessionierte Radios) können potentiell aufgefordert werden, ihre Legitimation mit der »gleichen Intensität«214 unter Beweis zu stellen wie jedes unabhängige Radio. Zugrunde liegt diesem symmetrischen Blick folgende Prämisse: »[all] differences in level, size, and scope are the result of a battle of negotiation«.215  Darin angelegt ist jedoch auch die Möglichkeit – und das ist für die Legitimation unabhängiger Radios so bedeutsam – den operativen Gebrauch von Radiomedien über eine nur punktuelle Reformierung des bestehenden Rundfunks hinaus verhandeln zu können.

Dafür ist zunächst (wie teilweise schon geschehen) eine umfassende Bestandsaufnahme der einzelnen Assoziationen unterschiedlich »großer« Akteur_innen zu leisten. In einem zweiten Schritt kann die Dauerhaftigkeit dieser Assoziationen dann auf ihre gesellschaftliche Legitimation hin untersucht werden.216 Zu analysieren, wie einzelne Assoziationen in Relation zu einem gesellschaftlichen Gemeinwohl stabilisiert oder destabilisiert werden, stellt deshalb ein zentrales Moment für die weitere Arbeit dar. Jede einzelne Inskription von Radio deutet bereits ein Medium an. Denn unterschiedlich große Radios stehen nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander sondern deuten eine mediale Vielfalt an, die den Rundfunk als medialen Horizont des Vorstell- und Machbaren herausfordern.217

Für das weitere Mapping der brasilianischen Radiomedien ist es deshalb notwendig nach Zugängen zu suchen, die näher an die Konfiguration218 des Medienmachens heranführen und dabei auch die Beschreibungen der Medienmachenden erschließen. Im Folgenden beginne ich deshalb nun damit die einzelnen in der Literatur benannten Akteur_innen zu dokumentieren, um zur »erschöpfende[n] Benennung aller Größen für [die] kumulative historische Entwicklungen«219 brasilianischer Radiomediationen beizutragen.

 

2.1.3 Entitäten

Um alle für Radiomedien konstitutiven Größen zu dokumentieren, ist es notwendig, sich ihren heterogenen Repräsentationen ontologisch möglichst offen zu nähern. Anstatt bereits im Vorfeld kategorische Unterscheidungen zwischen Subjekten, Dingen, Symbolen, Handlungen und Zuständen zu treffen und dann dementsprechende Hinweise aus der Literatur zuzuordnen, ist die folgende Unterscheidung aus dem Mapping heraus gewonnen wurden. Dabei sind alle medialen Akteur_innen und Elemente unvoreingenommen als Entitäten zusammengefasst.220 Die vorgenommene Explikation widersetzt sich damit der dichotomischen Ordnung von Subjekten und Objekten. Ausgehend vom Konzept der Akteur_innen-Netzwerke wird vielmehr eine Relationalität, im Sinne gegenseitiger Befähigung und Transformation zwischen den heterogenen Entitäten veranschlagt und diese allesamt als »soziale Akteure« behandelt.221

Als Entitäten, die Radio in seinem operativen Gebrauch vermitteln, lassen sich in der Literatur (1) menschliche und (2) nicht-menschliche Akteur_innen unterscheiden. Zugleich werden spezifische Vorstellungen von (3) Hörer_innen formuliert. Im Folgenden wird deutlich werden, dass diese grobe Unterscheidung nach einem Sender/Empfänger-Schema nicht nur porös sondern auch zu lückenhaft ist, um Radiomedien in ihrer gesellschaftlichen Relationalität erschöpfend zu beschreiben. Zusätzlich ist es nötig sich mit (4) spezifischen Vermittlern (z.B. Regulierern) und (5) kollektiven Repräsentant_innen einzelner Radiomodelle auseinanderzusetzen. Geleitet und eingegrenzt wird diese Betrachtung von der Frage, inwiefern die Analyse radialer Legitimation im Rahmen einer solchen Akteur_innenanalyse konzeptuell und begrifflich an Differenz gewinnen kann.

 

2.1.3.1 Radiomacher_innen

Der allgemeine Ausdruck »Radioleute« (gente da rádio) hatte in den 1930er und 1940er Jahren in Brasilien einen recht pejorativen Beigeschmack und stand umgangssprachlich für »schlecht bezahlte Talente«222. Unterschieden wurden dazu jedoch auch die »großen Männer des Radios“ (grandes homens da rádio), zu denen Philanthropen der brasilianischen Oberschicht wie Roquette Pintol, vor allem aber Medienunternehmer wie João Jorge Saad, dem Gründer von Rádio Banderante oder auch Assis Chateaubriand, Gründer von Diários e Emissoras Associados, gehörten.223 Gemein ist den  Akteur_innen dieser »Pioniergruppen des Rundfunks«, dass sie nicht länger als Amateur_innen sondern als »professionelle Radialisten« beschrieben werden.224 Und in dieser Professionalisierung zeichnet sich auch die zunehmende Ausdifferenzierung und Festigung der einzelnen Rollen beim Radiomachen ab.

Am ausführlichsten werden dabei in der Literatur die hörbaren Akteur_innenrollen beschrieben. In den Texten wimmelt es vor Musiker_innen, Sänger_innen, Moderator_innen (locutores), Sprecher_innen und Synchronisator_innen (dobladores).225 Deutlich wird dabei in historischer Perspektive, die Vergänglichkeit bestimmter Akteur_innenrollen wie Radioorchester oder Radiodarsteller (rádioatores), die Emergenz neuer Akteure wie Disk Jockeys und die Kontinuität der hervorragenden Moderator_innenrolle.226 Ebenso kontinuierlich finden Radioreporter, als dominante Repräsentant_innen journalistischer Tätigkeiten Erwähnung. Die eigentliche redaktionelle Arbeit wird dagegen ausgeblendet, erwähnt höchstens einzelne weitere Rollen, wie Korrekturleser_innen oder Chronist_innen.227 Ebenso unterrepräsentiert bleiben die an der Verwaltung eines Radios beteiligten Menschen sowie alle Radiotechniker_innen, von denen wenn überhaupt die Operateure (operadores) an den Mischpulten Erwähnung finden.228 Über all diesen Akteur_innen thront in den Beschreibungen in der Regel ein »Direktor«, eine Rolle, die explizit eine hierarchische Organisation von Radio andeutet. Von seiner Anwesenheit pauschal abgeleitet werden Professionalität und Qualität, zwei bis heute legitimatorisch verwandte Merkmale.

Die Anerkennungswürdigkeit von unabhängigen Radiomacher_innen scheint gegenüber dieser allgemeinen Charakterisierung menschlicher Akteur_innen in einem zwiespältigen Verhältnis zu stehen. Zum einen werden Rollen, wie Moderator_in oder Korrespondent_in übernommen. Gleichzeitig sind Modifikationen erkennbar, wenn einzelnen Akteur_innenbezeichnung das Attribut »populär« vorangestellt oder von »aktivistischen Kommunikatoren« (comunicador militante) gesprochen wird.229 Seitens Freier Radios werden als wichtige Akteur_innen zudem Techniker_innen und »Elektronikbastler« (bricoleurs da eletrônica) benannt, welche fähig sind Sendegeräte herzustellen und zu reparieren.230  Auf vielfältige Weise wird in Beschreibungen unabhängiger Radios eine spezifische Andersartigkeit ihrer Akteur_innen gegenüber konzessionierten Radios konstruiert, welche auch eine Legitimationsquelle darstellen kann.231

Darin eingeschlossen ist ebenso die Rollenverteilung bei der Verwaltung oder gemeinschaftlichen Organisation eines Radios. Während innerhalb Freier Radios oft auf eine formelle Ausformulierung von Ämtern oder Rollen verzichtet wird, affirmieren RadComs eher Akteur_innen wie Führungskräfte (lideranças), Vorsitzende (diretores) oder Vorstände (diretorias).232 Diese Rollen  werden dann jedoch explizit befristet und normativ begrenzt. »[V]orsitzende schulden in ihrem Handeln der  Gemeinschaft Befriedigung«233. Führungskräfte müssen über ihre eigene Partizipation hinaus die Teilhabe – und Befähigung dazu – an die Gemeinde weitergeben.234 Radio wird als ein_e kollektive_r, arbeitsteilige_r Akteur_in beschrieben, welche_r sich in spezifischen Koordinationsgruppen und -räten organisiert – »Radioeigner« (donos da rádio) werden gemeinhin ausgeschlossen.235

Das Aufbrechen fester Hierarchien und die transparente Verwaltung, die hier veranschlagt werden, gehen weit über die formalen Anforderungen des RadCom-Gesetzes hinaus. Denn zunächst wird der formal-rechtliche Vorstand der Radios dort in seinem Handeln nicht explizit an die Einhaltung der legalen Zielsetzungen des RadComs gekoppelt.236 Außerdem repräsentiert der Vorstand laut Gesetz nicht direkt das RadCom sondern einen Verein bzw. Stiftung, die als eine ihrer Aktivitäten ein RadCom organisiert. Warum das Gesetz eine solche Entkopplung forciert, bleibt offen.237 Vielmehr verdeutlicht das RadCom-Gesetz in seinen strittigen formalen Auflagen den anhaltenden Konflikt bei der Bestimmung legitimer Radioakteur_innen. Inwiefern beeinflussen die legalen Vorgaben auf der Akteur_innenebene die Radiomachenden bei der kollektiven Ausdeutung des Mediums? Und inwiefern werden damit bestimmte hierarchische Rollenzuschreibungen reproduziert?

Insgesamt lassen sich mindestens drei offene Debatten dokumentieren, welche direkt die Anerkennungswürdigkeit unabhängiger Radiomacher_innen betreffen. Zunächst stellt sich auf normativer Ebene weiterhin die Frage, welche Rollenverteilung für die Organisation und Verwaltung eines Radios notwendig ist und wie stark diese hierarchisiert und formalisiert werden sollte.237 Eine daran anknüpfende Frage betrifft die Professionalisierung von Radioakteur_innen. Freie Radios kritisieren diesen Selbstanspruch seitens etablierter Medien als ein Ausschlusskriterium (z.B. die in Brasilien gesetzlich regulierte Akteur_innendefinitionen »Journalist«) das Senden zu einem Privileg macht.238 Teilweise droht der Anspruch, RadComs müssten einen qualitativ hohen Standard erreichen, jedoch genau solche privilegierten Zugänge zu reproduzieren.239  Und schließlich fällt beim Mapping der Literatur auf, dass Genderfragen bei der kritischen Auseinandersetzung mit Akteur_innenrollen im Radio kaum besprochen werden. Nur sehr allgemein wird erwähnt, dass die »Frauen« oder »Homosexuelle« als spezifische soziale Bewegungen sich das Medium aneignen. Oder es wird die stereotype Darstellung von Frauen in Medien kritisiert.240 Ob eine nähere Auseinandersetzung mit der Prädominanz männlicher, heterosexueller Akteure beim Radiomachen stattfindet, kann eine reine Literaturschau nicht beantworten.241

 

2.1.3.2 Hörer_innen

»Nirgends werden die Medien ein vollständig konstituiertes Publikum finden [...], in seiner unterstellten Globalität bleibt es ein Artefakt, nützlich für einige Repräsentationen aber auch unerreichbar da es widersprüchlich, dispers und multipel ist.«242

In essentialistischen Beschreibungen, sind ein passives Publikum und aktive Machende stets die konstitutiven Teile von Radiomedien (vgl. 2.1.1.2). Wenn man jedoch die Vorgängigkeit des »verehrten Publikums«, welches stets stumm darauf wartet, dass ein neues Medium auftaucht, in Frage stellt, lässt sich diese Black Box einer passiven homogenen Menge aufbrechen. Auch im Fall der Radios sind in der Literatur vielfältige und aktive Akteur_innenbeschreibungen von Hörenden aufspürbar, welche zu einer differenzierteren Analyse einzelner Radiomedien beitragen.243

In seiner allgemeinsten Beschreibung erscheint das Publikum als kollektive_r Akteur_in zunächst als anonyme Zuhörer_innenschaft (audiência), die in ebenso unterschiedslose Hörer_innen (ouvintes) zerfällt.244 Deutlich wird auch, dass diesem generelle Blick auf die Hörenden ständig wechselnde Prämissen unterliegen. Zunächst ist davon die quantitative Dimension der Hörenden betroffen, welche in Brasilien anfänglich nur eine kleine gesellschaftliche Elite umfasste und erst ab den 1940er Jahren (für zwei Jahrzehnte) als Massenhörer_innenschaft imaginiert wird.245 Daran war zugleich auch der Anspruch gekoppelt, als Radio eine möglichst große anonyme Menge an Hörenden zu versammeln. Doch ein_e solch_e massive_r Akteur_in stand mit der Einführung des Fernsehens in den 1950er Jahren immer weniger zur Verfügung, vielmehr begannen die Radiomachenden sich neue Publika zu suchen. In der Literatur wird von einer einsetzenden »Segmentierung« und »Regionalisierung« gesprochen.246

Offengelegt werden damit auch viele implizite Vorstellungen, die bis dahin im allgemeinen Publikumsbegriff verborgen geblieben waren, wie zum Beispiel »Landmensch« (homem do campo) oder »urbane Mittelklasse“; auch eine stärkere Segmentierung nach dem Alter der Hörenden lässt sich beobachten.247 Anstelle der vor dem Empfängergerät versammelten »Familienhörerschaft« treten zunehmen »zerstreute Individuen«248, die mal als »Bürger_innen«, »Konsument_innen«, »Kund_innen« oder »Nutzer_innen beschrieben werden.249 Ohne die damit verbunden Implikationen für die einzelnen Akteur_innenrollen hier im Detail weiterzuverfolgen, deuten sich implizit bereits stark divergierende Auffassungen von Radio an. Während Konsument_innen Radiomedien anteilig in einer Warenform beschreiben, impliziert der Begriff der »Bürger_innen« eine einflussreichere Hörer_innenrolle und deutet eine gewisse Mitbestimmung an.

Doch wie groß beziehungsweise wie aktiv ist diese Teilhabe im Einzelnen definiert? Auch einem eher passiven Publikum wird grundsätzlich durchaus zugetraut »auf der Suche nach Informationen« zu sein. Doch erschöpft sich dieses Begehren wirklich darin, »auf geordnete Art und Weise Nachrichten“ zu empfangen?250 Unabhängige Radios streuen hier konzeptuelle Zweifel, zuvorderst an informationstheoretischen Kommunikationsmodellen, die einzig die unilaterale Übermittlung von Botschaften von Sender_innen zu Empfänger_innen vorsehen.251 Entsprechend der Prämisse, dass der vollständige Kommunikationsprozess einen Austausch (troca) darstelle, wird den Empfänger_innen zugestanden ebenfalls Botschaften zurückzusenden, »um sich damit in ein aktives Subjekt des [Kommunikations-]Prozess zu wandeln«.252 Sicherlich, ein solches »Feedback« wird  auch von vielen systemtheoretischen Entwürfen vorgesehen, entscheidend ist jedoch dessen Umdeutung zu einem dialogischen Modell, »innerhalb welchem die Personen schließlich auf reziproke, aktive und produktive Weise sprechen könnten«.253

An dieser Stelle ließe sich einwenden, dass die dialogische Akteur_innenanordnung die kritisierte Dualität tendenziell reproduziert. Eine entscheidende Veränderung liegt jedoch darin, dass die  Rollen von »Hörenden« und »Sprechenden« stärker dynamisiert und austauschbar werden. Hörende werden aufgerufen selbst Radio zu machen und nicht länger nur Hörende zu sein. In vielen Texten zu Freien und Community Radios werden Hörende oder Publikum deshalb nicht explizit erwähnt, beziehungsweise als zu überwindende Akteur_innenrollen dargestellt.254 Freie Radios dekonstruieren das Publikum beispielsweise ausgehend von der Prämisse, dass die Absage kommunikativer »Spezialisten« auf der Senderseite auch eine Proliferation von Autor_innen evoziere. Der ehemals pejorativ besetzte Begriff des »Amateurs“ (amador) wird neu bewertet, »denn könnte er nicht Ausdruck sein von einem Rollenwechsel, von einer Rebellion der Rezipienten außerhalb der Institutionen [...]?«.255

Dieses »Außerhalb« tradierter radialer Institutionen greifen RadComs begrifflich offensiv im Rahmen des kollektiven Akteur_innenbegriffs der Gemeinschaft (comunidade) auf. Eine solche kann sowohl aus geographischen Bezügen wie Stadtteil, oder als spezifische soziale Schichten (z.B. subalterner Sektor) oder Gruppen (z.B Frauen) zusammengesetzt sein. Entscheidend ist dabei jedoch vor allem, dass das Radio nicht nur ein »neutrales« Kommunikationsmittel für die Gemeinschaft darstellt, sondern einen Prozess ermöglicht »in dem Nachrichten von dieser Gemeinschaft geschaffen werden, ohne dass dabei die Rollen von Rezipient_innen und Produzent_innen polarisiert würden«256. Vielmehr ermöglicht Radio in informationstheoretischer Perspektive damit die Zirkulation von Nachrichten innerhalb einer Gemeinschaft, die in ihrer Gesamtheit Zugang zum Radio hat, um Nachrichten zu senden, zu hören oder zu beantworten.257

In den Aus- und Umdeutungen der Hörer_innenschaft als mediale Entität wird deutlich, dass hier spezifische Anerkennungswürdigkeiten von unabhängigem Radiomachen rekonstruiert werden. Anstatt auf ein abstraktes Publikum nehmen die Modelle dabei direkt Bezug auf die Bevölkerung (povo).258 Unabhängige Radios führen ihre Legitimation damit über die messbare Einschaltquote, sei es als uniformes oder segmentiertes Massenpublikum, hinaus. Sie weisen darauf hin, dass die Bevölkerung als Hörende per Definition ihrer »Stimme beraubt« sind.259 Die Bevölkerung auf spezifische Art und Weise als aktiven Teil des Mediums zu affirmieren, scheint deshalb auch als Legitimationsstrategie unabhängiger Radios rekonstruierbar.

 

2.1.3.3 Nicht-menschliche Akteur_innen

Bei näherem Hinschauen zerfällt der Makroakteur Publikum nicht nur in eine dynamische – von Auflösungserscheinungen geplagte – Hörer_innenschaft, sondern auch in einen heterogenen Haufen materieller Artefakte: Transistorradios, Autoradios, Stereoanlagen, Handys mit eingebautem FM-Empfänger, etc. Über ihren Status als materielles Ding hinaus, lassen sich Radioempfänger auch als einer von vielen nicht-menschlichen Akteur_innen260 von Radios analysieren, welche relational an am operativen Gebrauch von Medien beteiligt sind. Ihnen kommt dann u.a. eine spezifische Widerständigkeit zu, da sie zum Beispiel nicht ohne weiteres »umgedeutet« werden können, um die Sender-Empfänger-Dualität zu durchbrechen. Anderseits lassen sich jedoch seit den Anfängen von Radiomedien auch »rebellische« Empfangsgeräte dokumentieren, die außerhalb der gesetzlichen Regulierung des Radiomediums operieren.261 Und schließlich beeinflusst ihre sich wandelnde Mobilität (z.B. die Miniaturisierung durch Transistoren) und »Unabhängigkeit« (Batteriebetrieb) auch den Wirkungskreis von Radiomedien.262 Kurzum, dieser hier exemplarisch umrissene Blickwinkel ist nicht daran interessiert, materielle Artefakte zu handelnden Akteur_innen zu verklären, sondern, die oft als »nicht-soziale« Infrastruktur subsummierten Anteile des Radiomediums differenziert in ihrer anteiligen Vermittlung von Gesellschaft betrachten.

Der Analyse nicht-menschlicher Entitäten in brasilianischen Radiomedien unterliegt im Allgemeinen die Unterscheidung von »intermediären technologischen Apparaten« und von ihnen transportierten Inhalten.263 So lange beide als gemachte und sozial veränderliche Größen beschrieben werden, ist eine erschöpfende mediale Beschreibung zumindest potentiell möglich.264 Sobald die Beschreibung der Infrastruktur jedoch als nicht-soziale, rein technische Innovationsgeschichte beschrieben wird, erlangen die »Apparate« eine problematische Selbstevidenz. Sie werden zu black boxes.

In der Dokumentation unabhängiger Radios wird deutlich, dass diese Schwarzen Kisten der »Infrastruktur« oftmals mit einem argumentativen Brecheisen bei kommen: Kommunikations-prozesse stellen »eine Beziehung zwischen Personen und Dingen« dar.265 Dementsprechend detaillierter fällt auch ihr Blick auf Verstärker, Sender, Mikrofone und Antennen aus.266

Die Einbindung dieser Entitäten in das unabhängige Radiomachen wird damit gerechtfertigt, dass die »technischen Eroberungen der Menschheit«267 für alle zugänglich und nutzbar seien sollten. Mit dieser Argumentation lässt sich das Senden selbst jedoch nur bedingt legitimieren. Auch wenn es explizit an einem spezifischen Gemeinwohl orientiert ist, kann gerade die Anwesenheit der dafür notwendigen nicht-menschlichen Entitäten die Anerkennungswürdigkeit der Radios unterminieren. Einer der am häufigsten gebrauchten Einwände ist der Vorwurf, unsachgemäß gebrauchte Sendetechnik mobilisiere störende bis gefährliche nicht-menschliche Akteur_innen, allen voran sogenannte »Interferenzen«. Diese ungewollten Größen lassen sich jedoch ebenso gut bei kommerziellen Sendern aufspüren.268 Interferenzen (vgl. 2.1.2.1) pejorativ einzig auf Seiten unabhängiger Radios zu monieren, verweist deshalb auf eine mögliche Delegitimierungsstrategie, der eine asynchrone Betrachtung nicht-menschlicher Akteur_innen zu Grunde liegt.

Auch Interferenzen als nicht-menschliche_n Akteur_in zu bezeichnen geht über den bisherigen Fokus auf materielle Entitäten hinaus. Eine ganze Reihe ebenso schwer zu fassender wie gewichtiger »Umweltfaktoren« und »natürlicher Phänomene« geraten in den Blick, Größen, die das Radiomedium nicht nur umgeben, sondern aktiv an dessen operativem Gebrauch beteiligt sind. Elektromagnetische Wellen mögen zunächst »überall« anzutreffen sein, beim Radiomachen jedoch kommt ihnen eine entscheidende Rolle (bei der Signalerzeugung) zu.269 Auch die vorhandene oder nicht vorhandene »elektrische Energie« um Radiowellen zu modulieren (oder diese modulierten Wellen zu empfangen) hat großen Einfluss auf den Prozess der radialen Mediation.270 Am ausführlichsten wird in der Literatur jedoch auf das Verhältnis von Radios gegenüber dem elektromagnetischen Spektrum und der Definition dieses immateriellen Akteurs eingegangen.

Die bemängelte »Esotherisierung« des elektromagnetischen Spektrums scheint ein Stück weit auch auf die Schwierigkeit zurückzugehen, einen Metacode zu finden, der den minimalen Konsens des Gemeinten umreißt.271 Stattdessen zirkuliert das elektromagnetische Spektrum unentwegt zwischen verschiedenen perspektivischen Prämissen. Eine erste geht dabei davon aus, dass elektromagnetische Spektrum sei eine natürliche Ressource, die unabhängig von der Gesellschaft existiere.272 Auf ontologischer Ebene lässt sich darüber streiten, ob so etwas wie »rein natürliche« und »rein gesellschaftliche« Entitäten unterscheidbar sind.273 Sobald eine natürliche Ressource jedoch als »knapp« bezeichnet wird, scheint diese nicht länger außerhalb, sondern in Relation zu gesellschaftlichen Bedürfnissen beschrieben zu werden.274

»Ressourcen sind demzufolge gemessen an den unendlichen Bedürfnissen der Individuen immer schon knapp. Diese Knappheit wird nicht als Resultat einer spezifischen Vergesellschaftungsweise aufgefasst, sondern als ganz selbstverständlicher Ausgangspunkt«275

Die Aufteilung des elektromagnetischen Spektrums in eine endliche Anzahl von Frequenzen und deren jeweils begrenzter, exklusiver Nutzung innerhalb nationalstaatlicher Grenzen wird in eine black box verschoben und erscheint »natürlich«. Nun stellt sich gegenüber einer so naturalisierten Ressource die Frage des Eigentums und des Zugangs. Dabei kollidieren zwei unterschiedliche Auffassungen, nämlich jene, die das elektromagnetische Spektrum als »Weltkulturerbe« auffasst und jene, die den Staat als Eigentümer einer Ressource veranschlagt.276 Bereits die Freien Radios Brasiliens der 1980er Jahre fragen, worin diese staatliche Inszenierung als »legitimer Eigentümer« begründet sei und behaupten,  sein Anspruch sei unberechtigt.277 Tatsächlich liegt in der Behauptung, das elektromagnetische Spektrum sei Staatseigentum wohl eher eine analytische Unschärfe. Die dem Staat unterstellte »Doppelrolle als Eigentümer und Regulierer«, wird explizit nicht eingefordert, wohl aber das zweite »Privileg«: die Nutzung einer Ressource zu regulieren.278

Dennoch, mitunter erscheint das elektromagnetische Spektrum durchaus als zeitlich befristetes Eigentum, nämlich dann, wenn es anteilig, per staatlicher Konzession, an private Unternehmen und Körperschaften übertragen wird. Hier stellt sich die Frage, ob und wie diese Praxis zu rechtfertigen ist, wie das Weltkulturerbe bzw. die Ressource des elektromagnetischen Spektrums innerhalb nationaler Gesetze und Verfassungen genutzt werden sollte. Eine große Anzahl von Autor_innen interpretiert das Spektrum dabei als »öffentliches Gut“ (bem público) oder »öffentliche Ressource (recurso público).279 Wegen seiner scheinbar natürlichen Knappheit, aber auch seiner kommunikativen Bedeutung für das »öffentliche Interesse“, wurde seine Regulierung lange Zeit unwidersprochen an »öffentliche Institutionen“280 gekoppelt: »Anfang der Dekade der 1980er erkannt auch die UNESCO die Zentralität des Staates für die Kommunikation an«.281

Dieser selbsterklärende Rekurs auf das Adjektiv »öffentlich« wird in Brasilien jedoch seit 1988 verfassungsrechtlich herausgefordert, da dort neben der Dichotomie öffentlicher und privater Güter auch diffuse »Umweltgüter« unterschieden werden, welche unter anderem das »Recht für Alle« an diesen Gütern teilzuhaben umfasst.282 Infrage gestellt wird vor diesem Hintergrund die Legitimation des aktuellen modus operandi des staatlichen Spektrumsmanagement, der – ironisch gesagt – das Spektrum in seiner Rolle als mediale_r Akteur_in bevorzugt »den Freunden des Königs zur Verfügung stellt, die Geld in der Tasche haben«.283

Neben der konstitutionellen Argumentationslinie lässt sich seit einigen Jahren zusätzlich eine Auseinandersetzung mit dem Konzept des »Offenen Spektrums« (espectro aberto) feststellen.284 Nicht von grundrechtlichen Konzepten, sondern von einem historisch gewachsenem »cultural lag«285 aus besehen, wird der statische Regulierungsanspruch als zu weitreichend und für eine effektive Nutzung der Radiowellen als hinderlich kritisiert.286 Die Interpretation des elektromagnetischen Spektrums als Umweltgut überschneidet sich mit einem breiteren Konzept, das in den vergangenen Jahren auch in der brasilianischen Debatte zu finden ist. Die Rede ist von Allmende, commons und Gemeingütern.287 Sie stimmen mit den Umweltgütern perspektivisch in einer wesentlichen Feststellung überein. »Wenn es so ist, dass die Gesellschaft die Eigentümer des Spektrums sind [...] dann haben sie auch das Recht zu bestimmen, welche die Spielregeln sind«.288

Fasst man das elektromagnetische Spektrum wie vorgeschlagen als Akteur_in auf, wird deutlich, dass es eine Vielzahl darin konvergierender und es stabilisierender weiterer Akteur_innen enthält. Oder anders gesagt, es wird exemplarisch als ein Fraktal interpretierbar, welches die bisher disjunktiv voneinander unterschiedenen gesellschaftlichen, natürlichen und auch technischen Beschreibungen überschreitet. Für die Frage nach medialer Legitimation ist diese analytische Neuordnung insofern relevant, als dass sich die in den Texten als extern und passiv beschriebenen Werkzeuge, Umweltfaktoren oder Naturgesetze nun als aktive Komponenten von Radiomedien rekonstruieren lassen. Anerkennungswürdiges Handeln wird potentiell am Zusammenspiel aller an der Signalerzeugung beteiligten Entitäten analysierbar.289 Das elektromagnetische Spektrum ist dabei insofern ein_e unverzichtbar_e Akteur_in, als dass Radios dieses für die Realisierung ihres Beitrags zum gesellschaftlichen Gemeinwohl benötigen. Dabei wird jedoch nicht nur die anteilige Nutzung eines statischen global players gerechtfertigt. Vielmehr scheint in den konkurrierenden Ausdeutungen und relationalen Verknüpfungen zum Radiomachen ein ganz wesentliches Moment des Legitimationsprozesses zu liegen.

 

2.1.3.4 Vermittelnde Akteur_innen und Netzwerke

Bei der Betrachtung nicht-menschlicher Akteure sind bereits eine Reihe gesellschaftliche_r Vermittler_innen sichtbar geworden, die nicht unbedingt zu den »klassischen Radiomacher_innen« zählen. Nun sollen weitere Akteur_innen betrachtet werden, die Radiomedien beeinflussen, jedoch nicht unmittelbar an der Signalerzeugung beteiligt sind, wie beispielsweise die »Open Spectrum Foundation« oder die Black Box des brasilianischen Staates. Die relationale Darstellung solcher Vermittler_innen in der Literatur variiert stark, die Beschreibungen sind äußerst heterogen. Um nicht in dabei vorgeschlagene dichotome Unterscheidungen wie kommerziell/nicht-kommerziell bzw. staatlich/nicht-staatlich zurückzufallen, stütze ich mich in der folgenden Analyse stärker auf die wiederkehrenden deskriptiven Kategorien der untersuchten Texte. Dazu zählen (1) Akteur_innen des Medienmarktes, (2) Medien-Netzwerke, (3) Nachrichtenagenturen, (4) zivilgesellschaftliche Akteur_innen, (5) Parteien und Politiker_innen sowie (6) einer Vielzahl von Regulierer_innen.

(1) Der »Medienmarkt« allein kann wie bereits dargestellt Radiomedien nicht erschöpfend beschreiben.290 Dennoch lassen sich aus den anteilig beteiligten kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnissen wichtige Akteur_innenrollen ableiten. Neben Radio-Unternehmer_innen im weiteren Sinne werden dabei zunächst Konzessionär_innen und Aktionär_innen unterschieden, welche den 9682 kommerziellen Radio- und TV-Sender (vgl. Fußnote 40) Brasiliens zuzurechnen sind.291 Ihr intensive und exklusive Beanspruchung des elektromagnetischen Spektrums, führt vieler Orts wie bereits erwähnt zu einer Knappheit verfügbarer Frequenzen. Deshalb werden Radiounternehmer_innen normativ-analytisch mitunter auch als »Grundherren« (coronéis) oder als »Latifundisten der Kommunikation« kritisiert, da die große Anzahl der von ihnen genutzten Frequenzen einer pluralen Nutzung des Spektrums zuwider läuft.292 Eine zweite in Akteur_innenrollen veranschaulichte Kritik findet sich in den Beschreibungen von »Strohpuppen« (laranjas) und Verwandten (parientes), die seitens Medienunternhmer_innen ersatzweise als formelle Eientümer_innen eingesetzt werden, die auf Grund ihrer politischen Ämter offiziell nicht länger Radio- oder TV-Stationen besitzen dürfen.293 Beschrieben werden von den beiden Kritiklinien damit Medieneigentümer_innen, die in ihrer gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit krisenhaft erscheinen.

Neben einzelnen privaten Eigentümer_innen werden auch spezifische Makroakteur_innen rekonstruiert und Körperschaften thematisiert, die mehrere Radios kontrollieren. Diese »Medienmultis« werden im Allgemeinen als »oligopolistische Gruppen mit großer politischer Macht« beschrieben.294 Darunter nur privatwirtschaftliche holdings oder »Familienimperien«295 zu versehen, versperrt jedoch den Blick auf die starke Präsenz religiöser Organisationen. So organisiert beispielsweise die evangelikale Igreja Universal do Reino de Deus das drittgrößte Fernsehnetzwerk des Landes, Record.296 Von den konzessionierten Radiosendern befinden sich 15 Prozent im Besitz der Katholischen Kirche, 25 Prozent werden von weiteren religiösen Gruppen organisiert.297 Diese Bündelung von Konzessionen beziehungsweise der Vernetzung von Sendern illustriert die in Brasilien gesetzlich kaum eingeschränkte Eigentumskonzentration in einem oder mehreren Mediensektoren (propriedade cruzada).298 Eine kritische Revision dieses legalen laissez faire im Verhältnis zum gesellschaftlichen Gemeinwohl werde von den Oligopolisten jedoch verhindert, um »jedwede weitere Regulierung ihres Sektors zu vermeiden«.299

(2) Dass auch die gesichtete Literatur daran interessiert ist, die von ihr zunächst affirmierten Makroakteur_innen analytisch weiter zu öffnen, zeigt sich in der verwendeten Kategorie der Radionetzwerke. Deren Beschreibung als »vernetzt arbeitende Industrien«300 greift analytisch jedoch zu kurz. Denn die »Vernetzung« bleibt implizit immer an ein wirtschaftliches Primat gekoppelt. Dabei stellen in historischer Perspektive die befreiungstheologischen »Radioschulen« der 1960er Jahre weiterhin das größte jemals existente radiale Netzwerk in der Geschichte Brasiliens.301 Auch die genehmigten Bildungsradios können bis zum Ende ihrer gemeinsamen Koordination durch die Stiftung Roquette Pinto im Jahr 1998 durchaus als Netzwerk verstanden werden.302 In beiden Fällen lassen sich Netzwerke nicht einfach als ein ökonomischer Sonderfall »natürlicher Monopole« subsumieren.303 Wichtig ist deshalb bei der Beschreibung vernetzter Akteur_innen auch zu dokumentieren, auf welche weiteren Vermittler_innen sich dieses »Vernetztsein« bezieht, zum Beispiel auf Radioprogramme, finanzielle Ressourcen oder auch Kommunikator_innen.

Unabhängigen Radios ist es in Brasilien auch im Rahmen der legalen Kategorie RadCom nicht gestattet, vernetzte Akteur_innen zu bilden. »Beim Betreiben des Community Rundfunkservice ist die Bildung von Netzwerken verboten«304, außer im Fall von Ausnahmesituationen (z.B. Kriege, Epidemien) und bei der obligatorischen Übertragung von Programmen bundesstaatlicher Institutionen. Diese Ungleichbehandlung ist gesetzlich allenfalls indirekt in der geographisch »lokalen« Definition von Community von RadComs begründbar. Über diesen engen Fokus hinaus ließe sich die Kooperation unabhängiger Radios als vernetzte Akteur_innen, zum Beispiel beim Austausch und der geteilten Ausstrahlung von Nachrichten, durchaus als »kommunikative Notwendigkeit«305 legitimieren.

(3) Als kommunikative Vermittler_innen werden Radiomedien im Allgemeinen auch zwei weitere Protagonist_innen zur Seite gestellt, nämlich kommerzielle Nachrichten- und Werbeagenturen.306 Während erstere mit journalistischen Produkten handeln, kommt letzteren die Rolle zu, Sendezeit in Radios für »kommerzielle und politische Werbung« zu verkaufen.307 Beide Vermittler_in stehen in einem distanzierten Verhältnis zu unabhängigen Radios. Denn diese haben zunächst kaum die finanziellen Möglichkeiten Nachrichten zu kaufen. Stattdessen werden alternative, nicht-kommerzielle Dienste benannt, welche diese »Mediator_innenrolle« übernehmen, darunter die dem Weltverband der RadComs (AMARC) angehörende Nachrichtenagentur PULSAR oder auch das Unabhängige Medienzentrum (CMI).308 Ihrem Anspruch nach sollen diese Akteur_innen jedoch nicht nur die informative Dimension des unabhängigen Radiomachens unterstützen, sondern zugleich dabei helfen, Nachrichten weiter »zu vertiefen, zu recherchieren, zu debattieren und zu kommentieren«.309

Während die legitimatorische Bezugnahme unabhängiger Radios auf Nachrichtenagenturen in einer konzeptuellen Modifikation und Umdeutung ihrer Akteur_innenrolle besteht, scheinen sie Werbeagenturen nicht in ihren operativen Gebrauch einzubinden. Die Frage, ob und in welchem Ausmaß unabhängige Radios Sendezeit verkaufen können sollten, bleibt umstritten.310 Gesetzlich erlaubt ist lediglich die Entgegennahme einer »kulturellen Unterstützung« (apoio cultural).311 Damit ist ein spezifisches sponsoring des Radios durch lokale Akteur_innen beschrieben, deren Namen in Radioprogrammen genannt werden dürfen.312 Anstatt mit konzessionierten Radios um Werbende (anunciantes) konkurrieren zu können, bleiben die Kontakte unabhängiger Radios aus legaler Sicht auf eine stark eingegrenzte Akteur_innengruppe begrenzt, die sich zum größten Teil aus »lokalen Unternehmer_innen« rekrutiert.313

(4) Die Benennung nicht-lokaler Sponsor_innen und finanzieller Förder_innen von vor allem unabhängigen Radios (die deshalb auch nicht in den Programmen genannt werden dürfen) sind ein erster Hinweis auf eine weitere, äußerst heterogene Gruppe vermittelnder Akteur_innen, nämlich die breite Zivilgesellschaft.314 Dazu zählen zunächst die häufig benannten Akteur_innen der Entwicklungskooperation, wie beispielsweise MISERIOR, die Friedrich-Ebert-Stiftung oder die Ford Foundation.315 Neben solchen tendenziell global aktiven Entitäten, ist im Sendegebiet eine Vielzahl weiterer Vermittler_innen aktiv. Genannt werden kirchliche Organisationen, Kulturzentren, Musiker_innen, Nicht-Regierungsorganisationen (ONGs), Gewerkschaften und soziale Bewegungen, die Radios unterstützen oder daran interessiert sind, diese Mediationen für die Verbreitung spezifischer Inhalte (z.B. Nachrichten, Musik, Veranstaltungsinformationen, etc.) zu nutzen.316 In unterschiedlicher Weise beziehen sich Radios bei der Beschreibung ihrer  Anerkennungswürdigkeit auf diese oder weitere Akteur_innen als Teil der Gesellschaft und rechtfertigen in ihrem Namen eine spezifische Nutzung des elektromagnetischen Spektrums, zum Beispiel als »Besetzung des atmosphärischen Raumes«.317

(5) Die Frage, inwiefern einzelne Akteur_innen und ihre Bedürfnisse unabhängiges Radiomachen anteilig legitimieren, wird in ihrer ganzen Komplexität sichtbar, wenn man eine weitere, äußerst ambivalente Vermittler_innengruppen betrachtet, Politiker_innen und politischen Parteien. Freie Radios, die ihre Legitimation tendenziell weniger stark an einer spezifischen Gemeinschaft und deren garantiertem Zugang zu einem Sender festmachen (vgl. 2.1.2.3) scheinen dabei in einer privilegierten Situation zu sein. Sie können es sich erlauben, einzelne Politiker_innen oder Parteien von ihrem Radiomachen begründet auszuschließen.318 RadComs wiederum stehen vor der Herausforderung, eine angemessene Antwort auf den von Politker_innen und Parteien geforderten Zugang zum Radio ihrer Gemeinde zu finden. Als praktische Ratschläge für Radiomacher_innen finden sich in der Literatur – vor allem in Handbüchern – deshalb häufig Sätze wie: »Politische Parteien [...] sollten Raum im Radio erhalten. Aber Achtung, es gibt [..] Parteien, die den ganzen Raum haben wollen. Sie sind darauf aus, das Sagen im Radio zu haben. Erlaubt es ihnen nicht.«319

In einer empirischen Studie zur parteipolitischen Einbindung von legalisierten RadComs aus dem Jahr 2007 wird unter anderem aufgezeigt, dass diverse Sender »Teil weiterführender Projekte von politischen Gruppen in der Gemeinde«320 sind. Ihren Einfluss scheinen sich Politiker_innen und Parteien in RadComs vor allem dadurch zu sichern, dass sie während des Legalisierungsprozesses als »politische Paten« (padrinhos políticos) oder »Berater« (consultores) agieren und damit die Chancen, eine Genehmigung zu erhalten, erhöhen.321 Bedeutsam sind solcherlei Analysen hinsichtlich der Legitimation unabhängiger Radios vor allem deshalb, weil sie mit dem Mythos brechen, nur konzessionierte Radios würden ihre Rechtstitel im Austausch für »politische Loyalität« und »Wählerstimmen« erhalten.322 Vielmehr

»bestätigt sich, dass die historische Verbindung zwischen Radiosendern und Berufspolitikern auch im Community Rundfunk weiterhin existiert. Aber auf bisher unbekannte Weise. Es findet eine Eingemeindung (municipalização) der Verbindungen zwischen Radiosendern und Berufspolitikern statt.«323

(6) Die einzelnen Beschreibungen von Politiker_innen öffnen bereits, ein Stück weit die enorme black box der Regulierer_innen. Unterschieden wird in der Literatur vor allem innerhalb von drei perspektivischen Zugängen, in denen von Regulierenden im Allgemeinen, sowie von am Genehmigungsprozess von RadComs beteiligten Akteur_innen beziehungsweise von »Überwachenden« und »Eingreifenden« (interventor) die Rede ist.324 Der allgemeine Blick ordnet die einzelnen Akteur_innen zunächst auf den Ebenen von Gemeinden, Bundesstaaten und den föderalen exekutiven, legislativen und judikativen Institutionen. Was die Normierung und Regulierung der einzelnen Radiomedien betrifft, wird eine Akteur_innenkonzentration auf der Ebene des Bundes konstatiert. Seit Beginn der 1960er Jahre sind Bundesstaaten und Gemeinden als Entscheidungsträger weitestgehend ausgeschlossen.325 Einer solchen Zentralisierung läuft die verfassungsrechtliche Aufwertung der Gemeinden (municípios) zu formal »föderalen Entitäten« und daran gekoppelten »profunden Veränderungen« bei der Aufgabenverteilung staatlicher Akteur_innen entgegen.326 Radios mit geringer Sendestärke, so ein verbreitetes Argument, müssten auf Grund ihrer lokalen Ausrichtung in den Entscheidungsbereich der Gemeinden fallen.327 Im Gegensatz zu staatlichen Bildungs- oder Gesundheitsaufgaben haben im Radiosektor jedoch kaum Dezentralisierungen stattgefunden.

Die letzte politische Instanz einer möglichen Umverteilung von regulierenden Kompetenzen stellt jedoch nicht zwangsläufig der Gemeinderat dar. Das in der Verfassung verankerte Recht darauf »Informationen zu schaffen und zu verbreiten« (vgl. Art. 220°) ist ein individuelles Grundrecht  und müsse bei der Organisation unabhängiger (lokaler) Radios deshalb in letzter Konsequenz »dem in einer Gemeinde residierenden Individuum« zufallen.328 An dieser Stelle trifft sich die Haltung unabhängiger Radios, die ihre gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit nicht an eine Legalisierung koppeln, mit einer Verfassungslesart, welche individuelle Grundrecht über staatliche Regulierungsansprüche stellt. Eine solche Interpretation wird teilweise auch von Akteur_innen der judikativen Gewalten vorgenommen, die vor allem in den 1990er Jahren mittels einstweiliger Verfügungen (habeas corpus) die Schließung nicht-genehmigter Sender verhinderten.329 Sichtbar wird hier eine Kontroverse, die das Bild von dem Staat als monolithische »regierende Klasse«330 und Gegner_in unabhängiger Radios unterläuft und punktuell »Verbündete« erkennbar macht.

Eine weitaus spezifischere Gruppierung der Regulierenden lässt sich entlang des Genehmigungs-prozesses von RadComs nachzeichnen. Dieser beginnt im Kommunikations-ministerium (MiniCom), sobald dort ein Antrag für die Operation eines RadCom gestellt wird und endet mit Verabschiedung der im föderalen Amtsblatt (Diário Oficial da União) veröffentlichten Autorisierung des MiniCom durch den Bundeskongress.331 Bis heute wird dabei in der Literatur oft übersehen, dass sich die Bundesregierung 2001 im Rahmen einer provisorischen Maßnahme (Medida Provisória 2.143-32) als starke Akteurin in den Genehmigungsprozess einschrieb, da sie sich zu einer obligatorischen Passage für die Bearbeitung von Anträgen machte, und deren Bearbeitung fortan be- oder entschleunigt.332 Damit wächst erneut der Einfluss der Regierung als Akteur_in auf Kosten des Kongresses, dessen Beteiligung an der Zulassung von Radios seit 1988 eigentlich zu einer Demokratisierung der elektronischen Medien beitragen sollte. Doch selbst wenn dies auf Grund der Beteiligung vieler Abgeordneter und Senator_innen an Radio- und TV-Konzessionen nicht der Fall war, wird deutlich wie umkämpft die geteilte Entscheidungsgewalt bezüglich der Legalisierung von RadComs ist.333 Dass es sich dabei allein um ein machtpolitisches »Geschacher« (barganha) handelt, mag ein voreiliger Schluss sein.334 In jedem Fall werden die am Genehmigungsprozess beteiligten institutionellen Legitimationshelfer_innen in ihrer gesellschaftlichen Anerkennungs-würdigkeit exponiert.

Was nun die an der Einhaltung des RadCom- und weiterer Mediengesetzte beteiligten Regulierer_innen angeht, ist zunächst anzumerken, dass die Kontrolle (fiscalização) des in Gesetzen vorgeschriebenen Medienmachens in Brasilien lange vor der Emergenz von Radios beginnt.335 Doch auch staatlichen Institutionen, die konkret an der Überwachung und Sanktionierung radialer Aktivitäten beteiligt sind, lassen sich bis in die 1930er Jahre zurückfverfolgen.336 Interessant ist dabei, dass die Schaffung einer zentralen Regulierungsbehörde der Gründung des Kommunikationsministeriums (MiniCom) 35 Jahre vorausgeht und damit auch die Kontrolle von Radiomedien einer landesweiten media policy vorgängig ist. Erst seit 1967 ist das brasilianische MiniCom jedoch jener bestimmende staatliche Akteur, welcher in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Behörden (agencias) die Nutzung elektromagnetischer Wellen ordnet.337 Ihre ausführendes »militarisiertes und unterdrückendes Regulier- und Kontrollorgan«338 bildete bis 1997 die Nationale Telekommunikationsbehörde (DENTEL) das erst mit Verabschiedung des neuen Telekommunikationsgesetzes (Lei 9472) von der Nationalen Telekommunikationsagentur (ANATEL) abgelöst wurde.

Im Gegensatz zu ihren institutionellen Vorgänger_innen zeichnet sich ANATEL durch mehr Autonomie in ihren Entscheidungen aus und ist in ihrem Agieren der Achtung der individuellen Grundrechte gemäß der Verfassung von 1988 verpflichtet. Dabei steht sie jedoch in einem legalen Konflikt mit dem Medien- und Pressegesetz aus den 1960er Jahren, auf die es sich in seinem Regulierungsauftrag ebenfalls bezieht.

»[A]NATEL ist beauftragt die von der Exekutiven etablierten Restriktionen [bei der Nutzung des elektromagnetischen Spektrums] zu kontrollieren, während die Verfassung besagt, dass kein Gesetz geschaffen werden sollte, welches das Recht auf Meinungsfreiheit begrenzt oder unterbindet«.339

Neben dieser allgemeinen Kritik, lassen sich die gesellschaftlichen Vermittlungen von ANATEL im Verhältnis zu unabhängigen Radios in drei weiteren Punkten problematisieren. Zunächst ist zu bemerken, dass die Regulierung von ANATEL bezüglich der Konzentration von privaten Eigentumstiteln im elektromagnetischen Spektrum »blind« ist und wenig dazu beiträgt, die Frequenzvergabe als pluralen Interessensausgleich zu organisieren.340 Ebenso konsequent unterlässt es ANATEL inhaltliche Auflagen zu operationalisieren (z.B. bezüglich des allgemeinen radialen Bildungsauftrags).341 Die Agentur prüft nicht, ob einzelne Sender tatsächlich einen radialen Beitrag zum Gemeinwohl leisten und damit ihre Berechtigung der Frequenznutzung nachweisen. Der dritte Kritikpunkt betrifft die Schließung unabhängiger Radios, welche ANATEL oft gemeinsam mit einem weiteren Akteur, der Bundespolizei (PF), durchführt.342 Problematisch ist hier vor allem die Frage der Verhältnis- und Rechtmäßigkeit des gemeinsamen Handelns. Wie bereits dargelegt, bedarf die Schließung und Konfiszierung von Material im Rahmen polizeilicher Kooperation dem empirischen Nachweis einer »Straftat«.343 Die Frage, ob allein der allgemeine und nicht erwiesene Verweis auf eine Gefährdung des Luftverkehrs (vgl. 2.1.2.3.) ausreicht, das repressive Vorgehen gegen unabhängige Radios zu legitimieren, schlägt auch auf die Anerkennungswürdigkeit der beteiligten Regulierenden zurück.

 

Das Rollenbild ANATELs illustriert – vor allem seitens staatlicher Akteur_innen (aber nicht nur) – den Versuch, politische Entscheidungen mit der Selbstevidenz technischer Expert_innen zu begründen. Die Handlungen staatlicher Regulierer_innen, Kontrolleur_innen und Überwacher_innen sei der politischen Debatte erhaben, da sie »einem Handeln und einem Raum rigider technischer Kontrollen« entspringen würden.344 Auf diese Weise werden alle Nicht-Expert_innen bei Regulierungsfragen in »die Kulisse abgeschoben«, weshalb es notwendig ist, scheinbar »nicht-politische« Fakten analytisch immer an gesellschaftliche Prozesse zurückzubinden.345 ANATEL mag als unabhängige Regulierungsagentur darauf bestehen, einzig nach legal fixierten technischen Normen zu handeln. Doch diese werden im Rahmen einer synchronen Betrachtung als black box kritisierbar, die technische Regulierungen und ihre Akteur_innen vom Nachweis ihrer gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit entbindet.

Die hier versammelten perspektivischen Annäherungen an weitere Vermittler_innen unabhängiger Radiomedien zeigen, dass diese entgegen klar abzugrenzender Akteur_inenblöcke auf heterogene Weise verflochten sind. In ihren veränderlichen Konstellationen lässt sich ihr Beitrag an der Legitimation von unabhängigen Radios rekonstruieren, aber auch in entgegengesetzte Richtung fragen, inwiefern sie zu dessen anteiliger Definition, Nutzung, Eingrenzung oder Kontrolle berechtigt sind. Die Vermittler_innen machen zu dem deutlich, dass die latente Beschreibung von unabhängigen Radios als »lokale Medien«346 analytisch zu kurz greift. Denn relational überschreiten viele der genannten Vermittler_innen die Dichotomie lokal/global. Diese Transgression umfasst sowohl Vermittler_innen, die die radialen Operationen »von Außen« beeinflussen, als auch die nicht an der Signalerzeugung beteiligt Akteur_innen in einzelnen Radiomedien.347

 

2.1.3.5 Verbände

Unter der Vielzahl weiterer Vermittler_innen, von denen vielen erst noch empirisch auf die Spur zu kommen ist, lassen sich schließlich auch spezifische Fürsprecher_innen einzelner Radiomodelle oder kollektive Repräsentationen ausmachen. Als eine »extrem mächtige Entität«348 ist dabei zunächst die Vereinigung Brasilianischer Fernseh- und TV-Sender (Abert) zu nennen. In ihrer Selbstdarstellung beschreibt die Organisation ihre Entstehung im Jahr 1962 als »Kampf« gegen die staatlichen Kontrollansprüche und für die Pressefreiheit.349 Die institutionelle Geschichte beginnt dagegen schon viel früher. 1946 versuchte Abert bereits als Körperschaft anerkannt zu werden, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, »die vollständige Privatisierung des Rundfunksektors sicherzustellen«350 Bis heute vertritt die Organisation nur die Interessen kommerzieller, nicht aber weiterer unabhängiger nicht-staatlicher Radios. Im Gegenteil, in der Literatur gibt es Hinweise darauf, dass Abert bewusst für eine beständige Delegitimierung unabhängigen Radiomachens seit den 1980er Jahren und eine größtmögliche Schwächung des gesetzlich anerkannten RadCom-Modells eintritt.351

Während die Interessen öffentlicher, staatlicher und Bildungsradios erst seit relativ kurzer Zeit (2004) und von lediglich einer Organisation vertreten werden, erscheinen die Repräsentationen unabhängiger Radios von Beginn an äußerst vielfältig.352 Bereits ab den späten 80er Jahren sind unterschiedliche lokale Zusammenschlüsse unabhängiger Radios dokumentiert.353 Als erster Versuch, eine landesweite Zusammenkunft der einzelnen Sender zu organisieren, wird gemeinhin das 1989 ausgetragene »Erste Treffen Freier Radios« in São Paulo genannt.354 Doch bereits 1986 soll in Rio de Janeiro, im Circo Voador »ein erster Versuch« stattgefunden haben »Sender aus mehreren Bundesstaaten zusammenzuschließen.«355 Bei diesem intensiven Disput darüber, welches nun der früheste Verband oder das erste Treffen war, wird unbemerkt auch die Anerkennungswürdigkeit der Radios verhandelt. Denn die zahlreichen dokumentierten Treffen bestätigen zweifellos ein großes populäres Interesse am Senden. Und dieser Anspruch findet in den unterschiedlichen Ligen, Vereinen und Verbänden seinen Ausdruck, als in der Zeit verfestige_r Akteur_in.

Auffällig ist, dass sich die Netzwerke unabhängiger Radios bis Mitte der 1990er Jahre zunächst innerhalb der sozialen Bewegungen artikulieren. Die Studierendenorganisation UNE ist es, die 1989 für das große Treffen in São Paulo mobilisiert, Radioamateur_innen bestärken Sendeinitiativen und organisieren technische Unterstützung.356 Sichtbar werden die Zusammenschlüsse der unabhängigen Radios vor allem durch ihren Beitritt zu breiten, beziehungsweise besonders öffentlichen Bündnissen, wie beispielsweise 1991, als das »Coletivo Nacional de Rádios Livres« (Nationales Kollektiv Freier Radios) der Parlamentarischen Front für die Demokratisierung der Kommunikation und 1993 auch dem gewerkschaftsnahen Nationalen Forum für die Demokratisierung der Kommunikation beitritt.357 Die Legitimation der unabhängigen Radios wird für einige Jahre zu einem wichtigen Punkt in den gemeinsamen Forderungskatalogen für medienpolitische Reformen.358

Dieses Akteur_innenbündnis zerbricht, wie bereits erwähnt (vgl. 2.1.1.2.) im Jahr 1996 auf einem erneuten landesweiten Treffen unabhängiger Radios.359 Bereits im Vorfeld wird verstärkt der Begriff »Community Radios und TVs« bemüht und als deren neue landesweite Repräsentanz lässt sich per Urabstimmung anschließend die Vereinigung brasilianischer Community Radios (Abrao) wählen.360 Auf einen solchen hierarchischen Verband, mit bundesstaatlichen Vertretungen, einem nationalen Gremium und Radioinitiativen als Einzelmitglieder, hatten sich einige Sender bereits im Vorfeld verständigt, andere schlossen sich in den darauf folgenden Jahren an.361 Einzig die brasilianische Sektion des Weltverbandes der Community Radios (Amarc Brasil) konkurriert als weitere potentiell landesweite Vertretung mit Abrao. Interessant ist bezüglich dieser Entität, dass ihre Entstehung einmal als Gründungsmitglied von Abraço erzählt wird, ein anderes mal als ein im Jahr 2000 nachfolgendes Ereignis – ein erneuter Hinweis einer spezifischen Ursprünglichkeit als legitimierendes Moment?362 Die Freien Radios setzen dieser neuen Akteur_innenordnung, vielleicht auch aus einer Kritik an der allgemeinen Repräsentationsidee, bis heute nichts entgegen.363

Offen muss wegen der spärlichen Hinweise in der Literatur bleiben, inwiefern die Abgrenzungen der einzelnen Verbände die konkurrierenden Legitimationen der von ihnen vertretenen unabhängigen Radios beeinflussen. Die zu vermutenden konzeptuellen und politischen Divergenzen scheinen jedoch nicht gänzlich inkompatibel. Dokumentiert sind nach den konfliktreichen Brüchen Mitte der 1990er Jahre auch spannende Momente der Zusammenarbeit, wie beispielsweise die Verteidigung des RadComs Novos Rumos 1997.364 Eine genauere Untersuchung der Fürsprecher_innen unabhängiger Radios spielt für die weitere empirische Analyse deshalb potentiell eine herausragende Rolle.

Der in diesem Unterkapitel elaborierte Fokus auf radiale Akteur_innen lässt drei allgemeine Schlüsse zu. Zunächst ist deutlich geworden, dass die Anwesenheit und Abwesenheit bestimmter Akteur_innen einen Effekt auf die mediale Anerkennungswürdigkeit hat. Exemplarisch wurde sichtbar, dass über die narrative und kategorische Konstruktion von Medien hinaus auch die heterogenen, am operativen Gebrauch direkt oder indirekt beteiligten Entitäten für die Forderung nach oder die Artikulation von Legitimität relevant seien können. In der gesichteten Literatur wird dieses Potential jedoch selten aktiv angesprochen, bezüglich nicht-menschliche_r Akteur_innen bleibt es abgesehen vom geforderten »Recht auf Antenne« nahezu vollständig unerwähnt.

Allgemein wird auf der Akteur_inneneben sehr deutlich, dass die Unterstützung von Modellen Freier und Community Radios über 30 Jahrzehnte hinweg vielfältigen Modifikationen unterliegt. Ein prägnantes Beispiel dafür, ist der häufig zitierte Bundesabgeordnete der Bundespolizei (PF) Armando NETO Neto, der mit seinem Buch »Community Radio ist kein Verbrechen« die ambivalente Rolle der PF deutlich macht. Während die PF meist als Gegenspieler_in unabhängiger Radios dargestellt wird, eröffnet Neto den Blick auf den »Widerwillen der Polizei« und schafft es zumindest in den 1990er Jahren die Beteiligung der PF an der repressiven Regulation in Frage zu stellen.365 In dieser Veränderlichkeit wird auch die aktive Rolle einzelner Entitäten deutlich, darunter auch wie erwähnt die Hörer_innen, die als konstitutiver Teil von Mediationen in Erscheinung treten.

Schließlich ist anzumerken, dass nicht alle beteiligten Akteur_innen auch ohne Weiteres sichtbar sind. Dies ist weniger eine Frage der Vollständigkeit der für das Mapping verwendeten Literatur, sondern ein zu kontrollierendes Moment des methodischen Zugangs.366 Der Schluss, Freie Radios hätten sich erst nachträglich politisiert, kann ebenso gut auf einen mangelnden Zugang auf der Beobachter_innenebene verweisen. Die nur rudimentär geführte Auseinandersetzung zu gender-spezifisch charakterisierten Akeur_innen lässt sich bisher ebenfalls nur begrenzt als Hinweis einer mangelnden Präsenz oder Auseinandersetzung innerhalb einzelner Akteur_innennetzwerke deuten. Andere möglicherweise bedeutsamen silent actors, wie die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA), finden überhaupt keine Erwähnung. Anstatt eines vollständigen Überblicks, sollte das Akteur_innen-Mapping deshalb als eine erste Annäherung gewertet werden, die auch für »versteckte« und »stille« Entitäten sensibilisieren will.367 Deren Öffentlichkeit oder strategische Nicht-Öffentlichkeit, wird die folgende Analyse immer wieder beschäftigen.

Kurzum, die Akteur_innenperspektive ermöglicht eine differenzierte Dokumentation medialer Entitäten. Sie ist jedoch nicht als Neuordnung zu verstehen, an deren Ende feste Kategorien stehen, sondern als ein Nebeneinanderstellen von Akteur_innen ohne epistemologisch zwischen  passiv/aktiv beziehungsweise Subjekt/Instrument zu unterscheiden und – das ist das entscheidende – unterscheiden zu müssen. Akteur_innen, welche an der Artikulation von Radiomedien beteiligt sind, werden in ihrer Vielfalt und situativen Kopplungen untersucht anstatt nach universellen und frei austauschbaren Akteur_innenkonzepten zu forschen. Ein Radio ist kein Radio ist kein Radio.

 

2.1.3.6 Theoriebaukasten III – Akteur_innen und Infrareflexivität

Auch wenn die Akteur_innen des Radiomachens »ko-konstitutiv« sind und erst in den relationalen Beschreibungen als Größen des medialen Gebrauchs erklärbar werden, lassen sich auf infralinguistischer Ebene bereits einige konzeptuelle Überlegungen anstellen. Mehr noch, es muss dringend geklärt werden, warum es für die Betrachtung notwendig ist, die akademisch eingeübten Trennungen von Sozialem und Technischem beziehungsweise Natürlichem und Kulturellen zu verwerfen und deren materielle und immaterielle Konfigurationen entdifferenzierend als »Relationen zwischen heterogenen Entitäten« zusammenzufassen.368 Einmal geschehen, ist dann zu fragen, welche abweichenden Akteur_innenkonzepte sich veranschlagen lassen, um dem Verdacht reiner Deskription zu entgehen.

Ein wesentlicher Anreiz dafür, Medien ohne eine harte Unterscheidung von sozialen und technischen Entitäten (also symmetrisch) zu analysieren, lässt sich zunächst als Kritik an den deterministischen Prämissen formulieren, die aus diesen dichotomen Kategorien abgeleitet werden.369 Sogenannte »[t]echnikdeterministische Sichtweisen«370 fußen auf der Vorstellung, Technik entwickle sich evolutionär und unabhängig von sozialen Prozessen.371 In medientheoretischer Sichtweise wird dieser Topos aktuell in der Vorstellung einer »revolución tecnológica« ausgedrückt, welche nicht emanzipativ, sondern eher konservativ als »ideología tecnocrática futurológica« angelegt ist, um entlang technischer Organisationsformen Sachzwangsargumente für deren soziale Nutzung zu postulieren.372 Exemplarisch dafür sind medientechnische Erzählungen von »Siegermaschinen«373, die eine scheinbar kausale Kette technologischer Höherentwicklung knüpfen.

Als »sozialer Determinismus«374 lassen sich demgegenüber all jene theoretischen Positionen charakterisieren, welche trotzig die rationale Beherrschbarkeit von Technik veranschlagen. Doch auch aus dieser Perspektive haben medientheoretische Betrachtungen viel zu verlieren: Werden Medien mit Werkzeugen gleichgesetzt, werden sie zu Mitteln und sind nicht länger »Mittler von etwas«375. Das Medium zerfällt stets in einen »Typus von technologischen Artefakten«376 und eine_n zentrale_n Handlungsträger_in, also in Objekte und Subjekte. Und auch wenn diesen Objekten teilweise zugestanden wird, »[to] exist in different, potentially infinite versions«377, bleibt das Problem, dass ihre weiteren Beschreibungen perspektivisch immer von einem transzendenten Subjekt aus entwickelt werden. Einzelne Objekte bei der Betrachtung von Medien auf andere Art in den Blick zu nehmen, lässt sich jedoch nicht dadurch erreichen,

»Subjektivität auf Dinge zu übertragen oder Menschen als Objekte zu behandeln oder Maschinen als soziale Akteure zu betrachten, sondern die Subjekt-Objekt-Dichotomie ganzzu umgehen und stattdessen von der Verflechtung von Menschen und nicht-menschlichen Wesen auszugehen.«378

Damit verlagert sich die Betrachtung, wie in diesem Kapitel geschehen, von einem Mapping »dem Subjekt gegenüberstehende[r] Gegenstände« hin zu einer Analyse von Medien in ihrem Gebrauch, der davon gekennzeichnet ist, dass sich heterogene Entitäten einander »im Handeln zugänglich«379 werden. Der Akteur_innen-Begriff erfährt damit eine entscheidende Transformation. Gemäß der Prämisse einer symmetrischen Analyse wird die »apriorische Begrenzung der Definition des Akteurs auf sinnhaft-intentionale handelnde Menschen«380 aufgegeben. Der ko-konstitutive Beitrag von Dingen, Zeichen und weiteren nicht-menschlichen Größen an Handlungsprozessen wird anerkannt.

Wie ordnen sich innerhalb dieser Perspektive nun die einzelnen Akteur_innen? Auf der infralinguistischen Ebene der ANT herrscht dazu alles andere als Klarheit. Auch wenn die bisher verwendete Kategorie »nicht-menschliche Akteur_innen« (vgl. 2.1.3.3) auf den ersten Blick äußerst schlüssig erscheint, »wenn die Sozialisation von Entitäten unterschiedlichster Art betont«381 werden soll, so birgt sie bei näherer Überlegung erneut die Gefahr, in eine dichotome Trennung humaner und nicht-humaner Akteur_innen zurückzufallen.382 Ähnlich problematisch sind auch die beiden weiteren häufigen Ordnungen der ANT. Hybride Akteur_innen versuchen »Mischwesen jenseits von »Naturobjekten« und »gesellschaftlichen Gegenständen« zu fassen, können dabei jedoch nicht einen positiven Begriff entwickeln, »um diese Mischwesen als mehr denn als Misch-Dinge zu kennzeichnen«.383 Ähnlich verhält es sich mit sogenannten Quasi-Objekten, die wie beispielsweise ein »unhaltbarer Ball« oder ein »offenes Mikrofon« erst »durch das soziale Band geknüpft und stabilisiert werden«. »[Sie] zirkulieren in Netzen und überqueren die Grenzen zwischen Sprache, Sozialem und Realem.«384 Doch das damit eigentlich »perfekte Komplement zum Netzwerkbegriff«385 evoziert bei allen an klassischen Dichotomien geschulten Leser_innen  noch immer die Frage nach dem Verbleib der Subjekte, selbst wenn Quasi-Objekte überzeugend darauf dringen, konzeptuell übergreifend alle Akteur_innen fassen zu können.386

Der infralinguistischen Konzeptbildung treu bleibend, kann keiner der hier skizzierten Akteur_innenbegriffe einen dauerhaften und allgemeinen Geltungsanspruch formulieren. Dennoch sind sie erkenntnistheoretisch nicht einfach austauschbar, sondern stecken gemeinsam mögliche Zugänge für die Erkundung von Akteur_innen-Ensembles ab. Unterscheiden lassen sich dabei mindestens vier Perspektiven.387 Erstens, die Ko-Konstitution von als »Technik« verstandenen Objekten und einer subjektiven Gesellschaft, die im vorliegenden Fall Radioakteur_innen als sozio-technisches Netzwerk sichtbar machen würde. Eine zweite Perspektive konzeptualisiert dagegen heterogene Assoziationen, wie die notorischen »offenen Mikrofone«. Der dritte Blick fokussiert auf (technische) Objekte als »Härtung des Sozialen«, das heißt auf ihren spezifischen Beitrag »zur Stabilisierung heterogener Assoziationen«.388 Im Falle von Radiomedien sind Relais, die die Sendetechnik vor einer Überhitzung und damit das Radio-Ensemble vor einem Signalausfall schützen, dafür ein gutes Beispiel. Und schließlich lassen sich Objekte auch als Moderator_innen menschlicher Sozialität ins Auge nehmen, so wie im exemplarischen Fall von Sende- und Empfangsgeräten, die im operativen Gebrauch die Konstitution von »Sendekollektiven« oder »Hörer_innengemeinschaften« ermöglichen.

Das so formulierte Angebot kollektiver Neuordnungen auf der Akteur_innenebene wirft jedoch ein Problem auf, denn hier wird Akteur_innen (und ihren Beschreibungen der Wirklichkeit) nicht nur gefolgt, sondern entgegen einer permanenten Infrareflexivität auch eigenständige Prämissen mobilisiert. ANT gerät in ein Dilemma, will sie sich doch stets »von den Aktivitäten der Beobachteten und deren Ethnotheorien leiten lassen«, fällt hier jedoch erneut auf den Standpunkt einer »Beobachtertheorie« zurück.389 Eine pragmatische Rechtfertigung an diesem Widerspruch festzuhalten, der von vielen der ANT zugerechneten Autor_innen leider nicht reflektiert wird, besteht darin, dass »die symmetrische Erfassung der Phänomene veränderter Wirksamkeit unter Umständen gegen asymmetrische Ethnotheorien der Beobachteten zur Geltung gebracht werden muss«.390 Wann ein solches Vorgehen gerechtfertigt ist, wird in den folgenden Kapiteln jeweils situativ transparent gemacht und begründet werden. Gerade diese kontrollierte Flexibilität ermöglicht es auch die im folgenden Kapitel analysierten Akteur_innenkonstellationen möglichst genau zu erfassen, da die Betrachtung dieser medialen Ensembles in der Literatur oftmals hinter einer (asymmetrischen) Analyse ihrer Nutzung zurückbleibt.

 

2.2 Medienmachen

Radiomediationen sind nicht nur vielfältig sondern auch veränderlich. Ihre Akteur_innennetzwerke dabei historisch zu dimensionieren und in ihren Beziehungen zu weiteren Mediationen transparent zu machen, stellt eine besondere Herausforderung dar. Denn gerade die so um Symmetrie bemühten Arbeiten der ANT, seien in ihren Darstellungen oft »grausam ahistorisch« und beschränkten sich entgegen einer umfassenden Analyse auf einige »marvelous examples«.391 Um die Analyse unabhängiger Radios vor solcher Kritik zu schützen und anstelle einer punktuellen Überhöhung in ihren Kontinuitäten und Kontingenzen nachzuzeichnen, nähert sich das vorliegende Kapitel radialen Mediationen im Rahmen von drei perspektivischen Zugängen. Zunächst werde ich die in der Literatur vorgenommenen epochalen und medialen Grenzziehungen reflektieren (vgl. 2.2.1.). Damit sind zum einen die Mediationen (im Sinne von »Leitmedien«) zu einem bestimmten Zeitpunkt unterstellten gesellschaftlichen Bedeutungen gemeint, zum anderen ihre jeweiligen konzeptuellen Unterscheidungen als »Einzelmedien«. Sichtbar wird hier der Verlust epochemachender Medien beziehungsweise die zunehmende Schwierigkeit, Einzelmedien trennscharf zu unterscheiden. 

Danach soll die latent evolutionäre Darstellung von Medien diskutiert werden (2.2.2). Dabei wird zunächst der Blick auf »technikhistorische Meilensteine« gelenkt, denen entscheidende Bedeutung bei der Modifikation des Radiotrajekts zugesprochen wird. Deutlich wird hier die Notwendigkeit den engen technischen Fokus für eine umfassendere gesellschaftliche Betrachtung zu öffnen. Dies geschieht mit Blick auf zwei »technologische Dramen«, die eindrucksvoll die retrospektive Gemachtheit und den Reduktionismus der medientechnischen Evolution unterlaufen und zwar sowohl was ihre Modernität als auch die Teleologie medialer Transformationen angeht.

Abschließend nehme ich noch einmal in historischer Perspektive die Regulierungen von Medien in Brasilien in den Blick (2.2.3). Dabei geht es im Einzelnen darum, die legalistische Kontinuität der Rundfunkregulierung herauszuarbeiten. Anschließend werde ich die bereits in der Literaturschau angesprochenen extralegalen Vermittlungen und deren geschichtliche Gewachsenheit darstellen. Danach wird der Frage der Operationalisierung einzelner Gesetze, Normen und extralegaler Dynamiken nachgegangen, um bereits hier nach Ansatzpunkten für notwendige und mögliche Legitimationen unabhängiger Radios Ausschau zu halten. Das Kapitel schließt mit einem Ausblick auf mögliche versteckte Regulierungen, die für die weitere Betrachtung ebenfalls relevant sein könnten.

 

2.2.1  Grenzen

2.2.1.2 Epochen

Mediationen, verstanden als fraktale Ensembles, verlangen bei ihrer Beobachtung, wie bereits im 1. Kapitel dargelegt (vgl. 1.1) nach perspektivischen Eingrenzungen. Radios, die hier zunächst mit Hinweis auf ihre spezifische Übertragung auditiver Inhalte vermittels elektromagnetischer Wellen als Einzelmedium von weiteren Mediationen unterschieden wurden, erfahren dabei auch in historischer Perspektive eine Stabilisierung. Einzelmedien haben bei der epochalen Unterscheidung von Mediationen einen großen Erklärungswert. Radios finden dabei in Brasilien als erstes Medium Erwähnung, dass das »Zeitalter der Elektrizität« mit dem der »Ära der Massenkommunikation« verbindet.392 Dass diese positive Wertung erst im Rückblick vorgenommen wird, zeigen andere Versuche die medialen 20er Jahre des 19. Jahrhunderts zu ordnen. Von einer »period of stagnation« ist die Rede, in der Radios weit davon entfernt sind ein breites Publikum zu binden; manchmal seien sie zu »volksnah« (popular), manchmal zu »intellektualisiert« gewesen.393

Wachsende gesellschaftliche Bedeutung und Anerkennungswürdigkeit erfährt das Radiomedium bei genauerer Betrachtung erst ab den 1930er Jahren, einer »Epoche der Improvisation« und »ungehemmten Evolution«.394 Äußerst affirmativ wird das verstärkte Aufkommen »kommerzieller Radios« gemeinsam mit technologischen Innovationen, einer verbesserten »Rechtslage« und »der Ankunft multinationaler Werber« mit dem Aufstieg des Mediums zum »kulturellen Zentrum« des Landes gleichgesetzt.395 Diese »Expansion« gipfelt in einem Zeitraum, der oftmals als »goldene Jahre« oder »goldene Epoche« des brasilianischen Rundfunks charakterisiert wird und nach unterschiedlichen Einschätzungen die 1940er-50er, manchmal auch noch die 1960er Jahre umfasst.396 Erstaunlich ist, wie unkritisch in der Literatur die »Hegemonie des Radios« bejaht wird. Die Modifikationen, die das Medium während des autoritären Regimes des Estado Novo (1937-1945) erfährt, werden dabei nur selten problematisiert.397 Stattdessen werden die von den Integrist_innen forcierte radialen Vermittlungsleistungen von Modernisierung, Industrialisierung, Wachstum und nationale Integration bis heute unkritisch als allgemeine Legitimationsfaktoren des Mediums benannt.398 Auch wenn nicht zu bestreiten ist, dass der Radioempfänger in dieser Zeit zu einem »für den Großteil der Bevölkerung erschwinglichen Objekt wird«399, bleibt unbeachtet, dass diese werbefinanzierte Integrationsleistung auf der Seite der Machenden einen Ausschluss der Bevölkerung bedeutet. Statt weiterhin Amateur_innen den Zugang zu ermöglichen, führen eine striktere Regulierung der Frequenzen und der Einsatz von kosten- und personalintensiver Sendetechnik zu einer Konzentration staatlicher und kommerzieller Akteur_innen.400

Es ist diese Dynamik, die der »Klimax der Radioära« vorausgeht und in der das Medium die »zentrale Rolle in der kulturellen und künstlerischen Produktion« einnehmen würde.401 Doch bereits in den 1950er Jahren sollen »mit dem Aufkommen des TVs die ersten Erschütterungen«402 dieser medialen Vormachtstellung zu spüren gewesen sein. Statt vom Radiozeitalter ist nun zunehmend die Rede von der »Rock 'n Roll Ära«, auf analytischer Ebene wird das bis dato epochenprägende Medium Radio zum Teil der »Kulturindustrie«, in der die urbanisierte und industrialisierte Mittelklasse ihren Ausdruck findet.403 Auch weiterhin ist es an der »Konfiguration der brasilianischen Moderne«404 beteiligt, jedoch nun zunehmend innerhalb einer weniger medial als politisch geprägten Perspektive, eines »historischen Blocks«, an dessen Anfang der Militärputsch von 1964 steht.405

Medienübergreifend »versuchen sich anfangs unterschiedliche [mediale] Projekte zu legitimieren«; das letzte Wort bei der »weitreichenden Reorganisation« des Telekommunikations- und Rundfunksektors hat der autoritäre Staat.406 Dieser Anspruch als zentraler Legitimationshelfer wird deutlich, wenn die 1970er Jahre als »Goldenes Zeitalter des Staatsmonopols«407 charakterisiert werden. Dieses ist jedoch nicht von starken staatlichen Medien geprägt, sondern von der gezielten Förderung eines kommerziellen Netzwerks, weshalb diese Epoche rückblickend auch als »Beginn der Hegemonie von [Rede] Globo«408 gewertet wird, dem bis heute größten Medienunternehmen Lateinamerikas. Das Radiomedium ist für diese umfassenden politischen Prozesse vor allem in seiner technischen Modifikation von Bedeutung, da nun erstmals UKW-Sender und -empfänger die »prädominante Übertragungsart«409 stellen und einen mobilen, dispersen und individuellen Empfang ermöglichen.

Hatten Radios als Taktgeber der Epochenschreibung über Jahrzehnte keine Rolle mehr gespielt, gewinnen die UKW-Sender Anfang der 1980er Jahre erneut Bedeutung, als sie den kurzen »Sommer von 1982« einleiten, der in Anlehnung an den zivilen Ungehorsam britischer Piratenradios auch als »Brasilianisches Liverpool« bezeichnet wird.410 Angesicht des bröckelnden historischen Blocks, der im Telekommunikationsbereich von einer »tiefen sich verschlimmernden Krise«411 geprägt war, machen die unabhängigen Radios die Forderung medialer Legitimation wieder aktuell und denkbar. Außerhalb der Literatur, die sich spezielle mit Freien und Community Radios beschäftigt, wird davon jedoch kaum Notiz genommen, das folgende Jahrzehnt lediglich als Professionalisierung des Rundfunks beschrieben, ohne die Ausdifferenzierung und zunehmende Präsenz unabhängiger Radioakteur_eurinnen zu reflektieren. Das »Radio von Heute« im »Zeitalter der Globalisierung« erschöpft sich in einer Deskription technologischer Modifikationen und Spekulationen über die weitere Entwicklung der »Digitalen Revolution«.412 Aus Sicht unabhängiger Radios lässt sich als konkreteste Zukunftsvision dagegen noch immer die bereits in den 1980er Jahren ausgerufene »postmediale Ära«, als Zeitalter einer »kollektiven Wiederaneignung subjektiver Produktionsmittel« zitieren.413 Aktueller, ihrem Anspruch nach jedoch weniger epochemachend und mediengebunden, ist die Vision der uneingeschränkten Geltung des Rechts auf Kommunikation »als zentrale und konstitutive Dimension der menschlichen Aktivitäten«.414

Abschließend lässt sich zu diesem epochalen Parcours zunächst bemerken, dass auch nicht-technische Visionen für nicht-unabhängiges Radiomachen existieren, wenn – beispielsweise seitens kommerzieller Medienverbände – unter marktliberalen Vorzeichen ein Ende staatlicher Intervention und vollständige Pressefreiheit eingefordert werden.415 Ohne sich hier mit diesen Argumenten im Einzelnen auseinanderzusetzen, fällt jedoch auf, dass die Verteidigung freiheitlicher Privilegien für Unternehmer_innen und Journalist_innen sehr eng gesteckt ist, und nur einen kleinen Teil der Legitimationsdebatte von Radios als mediale Ensembles erhellt. Radiomachen in seinem operativen Gebrauch bleibt bei allen referierten epochalen Formeln immer unscharf und verallgemeinernd.

Das heißt jedoch nicht, dass die hier referierten, kumulativen Zeitfenster von Radiomediation der Forderung nach gesellschaftlicher Anerkennungswürdigkeit generell erhaben wären. Im Gegenteil, das pausenlose switchen zwischen politischen, technischen und kulturellen Analyseebenen lässt sich auch als Strategie deuten, der Forderung nach Legitimation aus dem Weg zu gehen. Auf der Beobachter_innenebene wird das Latoursche »Dispositiv der Moderne« bedient, bei der sich die Argumentation »von einer Instanz zur nächsten mit so großer Geschwindigkeit« fortbewegt, dass es unmöglich ist die Autor_innen »mit den Händen im Teig zu ertappen«.416 Denn dann würde die gegenseitige Bedingtheit und der Netzwerkcharakter der Radiomediationen deutlich und ihr Verhältnis zu einem Gemeinwohl rekonstruierbar, das sich analytisch mehrdimensional erschließen ließe. 

Da dem nicht so ist, werden die Radioepochen jeweils nur retrospektiv oder prognostisch bemüht, die zeitlich so gebundenen Mediationen in ihrer Anerkennungswürdigkeit naturalisiert. Bewegung kommt jeweils nur auf, wenn die technologische Evolution hier und da gesellschaftlich justiert wird. Die soziale Bedeutung des Radiomediums schwankt, der Singular muss unberührt bleiben, weil sonst auch keine verallgemeinernde Mediengeschichte mehr geschrieben werden kann. Diese hat damit einen Anteil an der asymmetrischen Stabilisierung des/der Makroakteur_in Radio (= Rundfunk) und lässt sich in ihrer Stringenz auf zweifache Weise herausfordern. Zum einen verdeutlicht der epochensprengende »Sommer von '82« dass die FM-Technologie keineswegs eine lineare Medienentwicklung fördert, sondern vielmehr zu dessen »Hybridisierung« beiträgt.417 Die argumentative »Purifikation« nur eines Radiobegriffs entfernt sich damit noch weiter von empirischen Erfahrbarkeiten von Radios. Legitimiert wird eine mediale Abstraktion, die in ihrer sozialen (und akademischen) Anerkennungswürdigkeit äußerst prekär erscheint.

Der zweite Kritikpunkt der Radioepochen betrifft deren Ungenauigkeit im Verhältnis zu weiteren Mediationen. Genannt wurde bisher nur das konkurrierende Verhältnis zum TV beziehungsweise die zunehmende Präsenz von Computern im Radio. Verdrängung oder Assimilation erscheinen als prägende mediale Entwicklungslinien, die sich in Radios überlagern. Beschrieben wird dieser Vorgang aus Sicht des Radiomediums. Doch ein solcher reduktiver Standpunkt muss sich den Grenzen seiner perspektivischen Erklärungskraft bewusst sein.

Das folgende Unterkapitel wird zeigen, dass die Abstraktion konkurrierender Einzelmedien epistemologisch durchaus relevant sein kann, jedoch weniger universell und linear verstanden werden sollte, als die bisher dokumentierten Grenzziehungen von Radio dies suggerieren.

 

2.2.1.2. Einzelmedien

Es ist nicht das Anliegen, das in der Literatur beschriebene Verhältnis von Einzelmedien in Brasilien zu rekonstruieren und ein globales Konversionsnarrativ aufmachen, welches mediale Veränderung im Sinne einer ständigen Subsumtion vorgängiger Medien betrachtet.418 Vielmehr soll betrachtet werden welche Einzelmedien beschrieben und auf welche Weise diese miteinander verknüpft werden, um erneut Rückschlüsse auf ihre damit potentiell berührte gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit ziehen zu können.

Die erste relevante Grenze wird hierbei zwischen Radio und Presse gezogen, die anders als zu erwarten, keineswegs ein klare Linie zwischen Schrift- und maßgeblich oralen Mediationen darstellt. Retrospektiv lassen sich vielfältige gegenseitige Anleihen auf inhaltlicher und Formatebene konstatieren. So wie Printmedien Pate standen für Formate wie »diorevista« oder »elektronisches Journal«, generierten die radialen Mediationen ihrerseits spezifische Publikationen, die sich inhaltlich einzig auf die bildhafte und schriftliche Vervollständigung von Hörfunksendungen konzentrierten.419 Auf ähnliche Weise sollen auch Kino und Radio jahrzehntelang positiv aufeinander Bezug genommen haben.420 Wenn in diesen cross-medialen Beziehung auch um Legitimation konkurriert wird, dann lässt sich dafür als konkretes (historisches) Beispiel in der Literatur lediglich das massive Investieren von Gewinnen aus dem Printsektor in die Gründung privater Radios ab den 1940er Jahren benennen, das den »Druck auf Radioamateure erhöhte, ihre Konzessionen für kommerzielle Interessen zu verkaufen«.421 Dies ist weniger eine direkte Infragestellung der medialen Bedeutung von Radio, aber das Aufkommen konzentrierter, cross-medialer Eigentumsverhältnisse, beeinflusst(e) die Pluralität im Äther nachhaltig negativ und erschwert(e) unabhängigen Radioprojekten den Zugang zu Genehmigungen.

Deutlich konfliktreicher verläuft auf den ersten Blick die Beziehung zum Fernsehen. Das »teure Experiment«, das 1954 zunächst nur wenige Sende- und Empfangsgeräte in Rio de Janeiro und  São Paulo umfasste, löst das Radio in den nachfolgenden Jahren als Leitmedium ab, das »Radio verliert seine Magie«.422 Die »Vertreibung des Radios aus den Wohnzimmern« wird zum Anlass genommen den »Tod des Radios« auszurufen.423 Die TVs bedienen sich dabei der bereits aus dem Äther bekannten kulturellen Elemente, viele (menschliche) Akteur_innen wechseln zur audiovisuellen Konkurrenz.424 Doch auch wenn das Fernsehen das Radio als »Symbol der Moderne« verdrängt, sein immer wieder heraufbeschworen Verschwinden oder eine televisionäre Subsumtionen bleiben aus.

Seine Legitimation gegenüber den Fernsehmedien behält das Radio der Literatur zufolge aus mehreren Gründen. Zunächst unterschlägt der weiter oben beschriebene Antagonismus zwischen oralen und audio-visuellen Mediationen eine zumindest zeitweilige, komplexe Arbeitsteilung und mediale Konvergenz.425 Denn bis Anfang der 1960er Jahre werden »Fernsehsender wie Radios betrieben«, erst danach geht das TV »eigene Wege«.426 Des Weiteren schotten sich Radios nicht hermetisch von im TV modifizierten Formaten und Produktionsweisen ab, sondern reflektieren diese, um ihr Verhältnis zum Publikum zu rekonfigurieren. In Ermangelung von Budgets für kostspielige Produktionen, verlagerten die meisten Sender ihren Fokus auf die Produktion aktueller Nachrichten und nutzten den Vorteil dabei »unmittelbarer« und schneller zu sein als die audiovisuellen Mediationen.427 Zugleich generiert sich Radio auch dank immer mobilerer Empfangsgeräte zu einem Begleitmedium im Alltag, das dem Fernsehen lediglich »ab 18 Uhr« ein massiveres Publikum überlassen muss. Auch wenn sich dieses Verhältnis bis heute weiter verändert hat, behaupten Radiosender nach wie vor erfolgreich spezifische Publika.428

Ihre gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit wird dabei nicht nur in seiner breiten Verfügbarkeit sondern auch in einer besonderen Nähe zu den Hörenden beschrieben. Im Gegensatz zu unabhängigen »Radios der Bevölkerung« (rádio do povo) gäbe es kein vergleichbare Bezeichnung für das TV, die zugleich eine Bedürfnisorientierung und gewisse Partizipationsmöglichkeiten ausdrückt.429 Auch wenn mit sogenannten Community TVs ein ähnliches mediales Konzept wie RadComs existiert, wird ihrer Existenz auf den Treffen von Community Medienvertreter_innen zwar begrüßt, zu gleich sind für den operativen Gebrauch jedoch wenige konkrete und dauerhafte Mediationen dokumentiert.430 Auf negative Weise legitimiert sich hier Radio im Vergleich als ein potentiell offeneres Ensemble für gesellschaftliche Aneignung und die Schaffung partizipativer Mediationen.

Eine solche partizipative Qualität wird allgemein ebenfalls dem Internet und sogenannten »neuen Technologien« nachgesagt, die auch in Brasilien eine »Erfahrung der Demokratisierung« darstellen würden.431 Relevant erscheint dabei bezüglich des Internets zunächst dessen »historisch gewachsene soziotechnische Ausgestaltung«, als dialogische Aushandlung zwischen seinen Nutzer_innen und Entwickler_innen.432 Entgegen der ontologischen Trennung zwischen Produzierenden und Konsumierenden fände hierbei ein ständiger Rollenwechsel statt, das Medienmachen, das bei unabhängigem Radiomachen als zu verwirklichender Anspruch formuliert ist, wird zur Grundlage des Internets erklärt, dessen Existenz direkt von den »kommunizierten Inhalte aus errichtet« werde. In solchen Darstellungen wird das Internet als das (potentiell) demokratischste Medium überhaupt legitimiert.

Der Kritik, dass der Zugang zum »Netz der Netze« in brasilianischen Haushalten mit 36,5% dabei deutlich weniger breit gestreut ist als zu Radio- (83,4%) und TV-Medien (96,9%), lässt sich zwar mit dem Argument begegnen, dass bei anhaltend schnellen Wachstumsraten der Zugang in weniger als 10 Jahren vergleichsweise universell sei.433 Nicht von der Hand zu weisen sind jedoch die Einwände, dass die Internetnutzung, im Gegensatz zum terrestrischen Radio- und TV-Empfang, nicht kostenfrei ist. Zudem wird ebenfalls darauf verwiesen, dass der demokratische Charakter des Internets keine unveränderliche mediale Eigenschaft ist, und es

»verschiedene legale, kommerzielle und technologische Handstreiche (expedientes) [gibt], um die Freiheit der Ströme im Internet zu reduzieren und das Netz in einen globalen Supermarkt in Diensten der Copyright-Industrie zu transformieren«.434

Neben dieser allgemeinen Debatte um die mediale Legitimation des Internets, ist für einen konkreten Vergleich mit radialen Mediation die ontologische Dimension, das Netz, von Bedeutung, vor allem, wenn dessen distribuierte Verknüpfung zitiert wird, um die Anerkennungswürdigkeit des Radiomediums in Frage zu stellen. Statt einem festen, zentral produzierten Programm, ermöglichten heute »Podcasting und Syndikalisierung eine viel aktivere Mediennutzung, [...] verlagern die Macht vom Sender zum Empfänger, der Informationen von unterschiedlichen Quellen abruft.«435

Funkübertragungen machen solcherlei digitale Netzwerke in naher Zukunft auch über die die WLAN-Dispositive hinaus im elekotromagnetischen Spektrum vorstellbar. Die Topologie und korrespondierenden Charakteristiken dieser Netzwerke sind dabei keineswegs vorbestimmt, könnten sich sowohl an einer die »Expansion des Kapitals stärkenden Infrastruktur« orientieren oder aber »eine ökonomischere, inklusivere, dezentralisierte Kommunikation garantieren, die sich der autoritären Kontrolle entzieht.«436 Die Abwesenheit einer strikten Regulierung im elektromagnetischen Spektrum gerinnt hier zu einem Argument, dass distribuierten digitalen Netzwerken gerade ihren demokratischen Charakter und ihre gesellschaftliche Anerkennungs-würdigkeit  verleiht.437 Bei Radiomediationen rechtfertigt der Staat als zentraler Legitimationshelfer bis heute die Notwendigkeit, Kommunikation gesetzlich regulieren zu müssen.438 Im Verhältnis zum Internet wird deshalb weniger die Anerkennungswürdigkeit des Radios per se problematisiert, sondern der exzessive staatliche Regulierungsanspruch.

Abschließend lässt sich bemerken, dass eine solche punktuelle Kritik keinesfalls eine Ausnahme bildet, sondern exemplarisch für das intermediale Konkurrieren um Legitimation steht. Im Fall der Beziehung des Radios zu Printmedien wurde die eher indirekte Forderung deutlich, die Anerkennungswürdigkeit cross-medialer Eigentumsverhältnisse gegenüber einem bestimmten Gemeinwohl (Bsp. plurale Mediennutzung) zu rechtfertigen. Im Falle des Fernsehens wurde und wird kritisiert, dass es für eine breite Aneignung, im Sinne eines Medienmachens, weniger geeignet sei als das Radio. Und das Internet schließlich muss sich bis heute dagegen wehren, nicht kostenfrei und universell verfügbar zu sein. Hier ist die Forderung nach medialer Legitimierung jeweils empirisch und weniger theoretisch-normativ angelegt.

Anders liegt der Fall des gesellschaftlichen Leitmediums. Dessen Bestimmung wird heute, wie ich gezeigt habe, weniger daran festgemacht wird, wer als innovativste_r Transporteur_in von Modernität gilt, sondern an einem demokratieförderlichen Beitrag nach Außen bzw. einer demokratischen Organisation des Mediums nach Innen. Das Internet nimmt dabei in all seiner Undeutlichkeit eine exponierte Stellung ein – alle »alten Medien« müssen sich in ihrem Verhältnis zu ihm nicht unbedingt neu erfinden, wohl aber legitimieren. Quantitativ betrachtet, hat Radio dabei auf Grund seiner quasi universellen Verbreitung und einem kostengünstigen Zugang noch immer einen Demokratievorsprung. Qualitativ gerät es jedoch unter Legitimationsdruck, denn die weitreichende staatliche Regulierung muss gegenüber den distribuierten Legitimationshelfer_innen im Internet oder anderen digitalen Netzwerken »autoritär«439 wirken.

Doch ist Radio deshalb per se undemokratisch und unreformierbar und alle Anstrengungen nicht mehr als ein bisschen »Stühlerücken auf dem Sonnendeck der Titanik«?440 Nach der hier geleisteten relationalen Betrachtung muss die Antwort Nein lauten, denn als Kern der Kritik wurden sehr deutlich nationalstaatliche Regulierungsansprüche herausgearbeitet. Sie sind es auch, die bisher maßgeblich zu der Unveränderlichkeit der Formel »einer sendet und alle anderen hören zu« beiträgt und keine »Rotation« dieser festen Rollenverteilung zulässt.441 Und aktuelle Debatten um eine stärkere Regulierung des Internets zeigen, dass dessen  »demokratischer« Charakter keineswegs eine Konstante ist. Auch in Brasilien scheint der etablierte Legitimationshelfer Staat daran interessiert, seinen medialen Regulierungsanspruch weiter auszudehnen und mobilisiert dafür das breite Konzept der »digitalen Inklusion«, das letztendlich jedes als digital bezeichnete Medium betrifft.442 Mit Rekurs auf die zentrale staatliche Bedeutung bei der (Aus)Bildung seiner Bürger_innen, wird ihm auch eine herausragende Stellung zugesprochen, die digitale Inklusion voranzubringen und die digitale Alphabetisierung zu fördern, weshalb es auch »dem Staat zukommt, die digitale Inklusion zu regulieren«.443 Betroffen ist von diesem legitimatorischen Claim erneut auch das Radio, für dessen Digitalisierung bereits im Jahr 2010 erste legale Bedingungen und Richtlinien abgesteckt worden.444

 

2.2.1.3 Theoriebaukasten IV - Einzelmedien und Agenturen

Auch wenn im vorherigen Theoriebaukasten bereits eine gewisse kollektive Formatierung der Akteur_innen angedeutet wurde, zeigte die folgende Betrachtung medialer Grenzziehungen auch, dass die bisher verwendeten Akteur_innenkonzepte nicht ausreichen, um die nun beschrieben Ensembles adäquat zu erfassen. Vor allem werfen die beschriebenen Übergänge zwischen als Radio, Fernsehen und Internet beschriebenen Mediationen die Frage auf, ob es bei den zunehmend porösen Grenzen und medienübergreifenden digitalen Netzwerken analytisch überhaupt noch sinnvoll ist, von Einzelmedien zu sprechen. Da die vorliegende Arbeit Akteur_innen folgt, die behaupten Radio zu machen, muss – zumindest auf infralinguistischer Ebene – dafür eine Antwort gefunden werden, die dem Blick der beobachteten Medienmacher_innen gerecht wird.

Innerhalb der ANT lassen sich Einzelmedien allgemein zunächst als spezifische hybride Akteur_innenkonstellationen auffassen, die »nach ihrer Komplexität unterschieden werden, oder nach ihren Trajektorien, den Bahnen auf denen sie in Existenz treten (und wieder aus ihr heraus)«.445  Die Frage nach der Komplexität ist bereits angerissen worden, als es um das Öffnen von black boxes ging (vgl. 2.1.2.4), dass sich auch als »tracing the complex relationships that exist between governments, technologies, knowledge, texts, money and people« umschreiben lässt.446 Den Blick umkehrend, wird hier nun gefragt, ob sich Medien – und im engeren Sinne Einzelmedien – trotz ihrer Komplexität und Nicht-Abgeschlossenheit analytisch trennscharf zueinander rekonstruieren lassen. Nein, müsste es zunächst heißen, denn komplexe Beziehungen drücken sich in einer großen Menge an Variablen aus, »without being able to calculate their numbers exactly nor to record that count, nor, a fortiori, to define its variables«.447 Dennoch lassen sich gegenüber komplexen konzeptuell auch komplizierte Beziehungen unterschieden, »all those relations which, at any given point, consider only a very small number of variables that can be listed and counted«448 Medien werden einzeln als komplizierte Ensembles unterscheidbar.

Das so beschriebene »künstliche Gefälle« zwischen komplex und kompliziert, meint in der ANT jedoch keine technischen Objekten oder Medien innewohnende Dynamiken, die nicht hintergehbare Kontingenzen oder Pfadabhängigkeiten hervorrufen.449 Vielmehr sind die sich in komplizierten Beziehungen ausgedrückten Einzelmedien situativ, an einen zeitlich-räumlichen »given point« gekoppelt. Damit wird die Frage nach der Existenz von Einzelmedien im Allgemeinen und Radios als Akteur_innen im Besonderen zu einer empirischen, welche in Ethnotheorien von Fürsprecher_innen oder system builders artikuliert werden – wie dies die vorangegangene Betrachtung der brasilianischen Medienlandschaft bereits dokumentiert hat.

Doch wozu eigentlich Einzelmedien explizit in komplizierte Akteur_innen re-dimensionieren? – wurden doch bereits vier Perspektiven auf heterogene Entitäten und Ensembles entwickelt? (vgl. 2.1.3.6). Der qualitative Unterschied besteht darin, dass die angedeuteten komplizierten Beziehungen eines Einzelmediums implizit bereits eine »Aktivität verändernder Wirksamkeit« ausdrücken.450 Vereinfacht gesagt: Es wird zum ersten Mal deutlich, wie Akteur_innennetzwerke »handeln«, nämlich, indem sie einander relational dazu befähigen. Das analytische Interesse an Einzelmedien liegt darin, die in einem Einzelmedium verknüpften Mitspieler_innen in Bezug auf ihre Effekte in den Blick zu nehmen. Auf der Beobachter_innenebene werden solche Konstellationen oft als Handlungspotentiale, Handlungsprogramme, agencies oder Agenturen bezeichnet.451 Gemeinsam ist diesen infralinguistischen Bezeichnungen, dass sie die Perspektive der Beobachtenden auf einzelne Ensembles von Entitäten beschreibt, von denen eine verändernde Wirksamkeit auszugehen scheint.452 Mein Konzept von Radio(machen) als eine um Legitimation bemühte Signalerzeugung im elektromagnetischen Spektrum ist eine solche Agentur.453

Auch Agenturen nehmen, wie das allgemeine Beispiel »legitimierten Radiomachens« zeigt, die Unterscheidung komplizierter und komplexer Beziehungen wieder auf. In diesem Fall wird Radiomachen nämlich als spezifische komplizierte Akteur_innenrelationen im Rahmen der Forschungsfrage und des Settings einschränkt. Damit ist die theoretische Grundlage zur Untersuchung des Einzelmediums Radio nun sowohl auf ethnotheoretischer als auch auf der Ebene des Beobachtenden gelegt. Fast zumindest, denn trotz dieses präzisen Fokus versagen sich die Agenturen weiterhin einer genaueren zeitlichen Dimensionierung. Die »Zurückhaltung gegenüber der Geschichte« die deshalb bei ANT-Studien auch moniert wird, lässt sich zunächst natürlich mit dem »ethnomethodologische[n] Vertrauen in die Akteure« begründen, die ihre eigene Zeitlichkeit konstruieren.454 Die weiter oben bereits erwähnte Möglichkeit, Akteur_innen als Beobachtender auf den Bahnen ihrer Existenz (Trajektorien) zu folgen, zeigt jedoch auch, dass es sehr wohl theoretische Angebote geben muss, Radiomedien in der Zeit genauer auf die Spur zu kommen. Im folgenden Kapitel beginnt nun die Suche.

 

2.2.2 Die Trajekte des Einzelmediums Radio

Das Augenmerk wurde im vorherigen Kapitel vor allem auf die komplexen, wenn man so will »transmedialen Beziehungen« von Radio(s) gerichtet. Im Folgenden soll nun ein kurzer Überblick auf die in der Literatur dokumentierten Konfigurationen von Radio als veränderliches Einzelmedium gegeben werden. Um solcherlei mediale Modifikationen auf der Beobachter_innenebene besser zu fassen, lässt sich ein sensibilisierendes Konzept der Techniksoziologie heranziehen, das der Trajekte. Als Trajekt wird dort im Allgemeinen die »normale Problemlösungsaktivität« im Rahmen eines technologischen Paradigmas verstanden.455 Das zu lösende Problem legitimen Radiomachens liegt vor allem in der Sozialisierung der Signalübertragung und hat dabei seit den frühesten Experimenten eine Reihe wichtiger Verschiebungen erfahren. Die im vorherigen Kapitel erwähnte »Digitalisierung des Radiomachens« steht exemplarisch für eine solche gerade stattfindende Modifikation.

Trajekte sind nicht selbsterklärend und verlangen nach einer weiteren methodologischen Dimensionierung. Zwei mögliche perspektivische Annäherungen dafür eröffnen sich in einer Rekonstruktion von Radiomediationen als technikhistorische Meilensteine oder aber als technologische Dramen.456 Erstere dokumentieren die sich verändernden, als »technisch« verstandenen, Akteur_innenkonstellationen des Radiomachens (2.2.2.1). Dieses Vorgehen stellt einen Versuch dar, signifikante »Technologiesprünge« herauszuarbeiten und ihre relationalen Effekte für ein mediales Ensemble zu beschreiben. Relevant ist einmal mehr die Frage, in welchem legitimatorischen Verhältnis diese sprunghaften Veränderungen zu einem spezifischen Gemeinwohl stehen.

Das Konzept der technikhistorischen Meilensteine ist nicht frei von einem impliziten Innovationsdenken. Deshalb wird diese Betrachtung anschließend von zwei technologischen Dramen ergänzt, die in ihren Narrationen eine lineare Höherentwicklung unterlaufen. Untersucht wird dabei zum einen erneut die Rolle von Radio als Mittel der Modernisierung, einer Erzählung der, wie ich zeigen werde, nach und nach ihr legitimatorische Erklärungskraft verlorengeht (2.2.2.2). In einem zweiten Exkurs wird dann die Stabilisierung der vorherrschenden Formen von Radiomachen innerhalb des brasilianischen Rundfunkmodells betrachtet, in denen sogenannte Affilationsnetzwerke (redes de afiliação), eine herausragende Rolle einnehmen (2.2.2.3). Exemplarisch wird dafür der Aufstieg des privaten Mediennetzwerks O Globo rekonstruiert und in seiner gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit problematisiert. Gemeinsam werden die hier erarbeiten Zugänge die gesellschaftliche Formbarkeit des Trajekts Radio deutlich machen, nicht nur, um seine retrospektiv gezeichnete Linearität zu verundeutlichen, sondern auch, um das Argument einer vollständig erhärteten Technik, eines festen Technologie-Pfades zu erschüttern und die Angriffsfläche für gegenwärtige Legitimationsforderungen weiter zu vergrößern.

 

2.2.2.1 Technikhistorische Meilensteine

»Technikhistorische Meilensteine sind diskursiv vermittelte[n] Bindeglieder eines medien-historischen Pfads«457, von dem für den hier untersuchten Fall des Radiomachens in Brasilien nun die wesentlichen, in der Literatur erwähnten Größen dargelegt werden.

Ein erster wesentlicher Meilenstein wird dabei mit der »Einführung von Elektronenröhren« in den operativen Gebrauch der Signalerzeugung beschrieben.458 Während diese_r neue Akteur_in auf der Senderseite half das Signal zu verstärken, ermöglichte diese Neuerung auf der Empfängerseite eine »Miniaturisierung« der Geräte.459 Die gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit des Radiomediums wird dadurch auf doppelte Weise verstärkt. Radioempfänger werden zunehmend »tragbar« und »kostengünstig« in Herstellung und Anschaffung.460 Die Allgegenwärtigkeit drückt sich sowohl in der immer komplexeren Kopplung mit anderen nicht-menschlichen Akteur_innen aus: Kofferradios, Radiowecker, Autoradios. Zugleich nimmt auch die geographische Ausdehnung von Sende- und Empfangsgeräten zu; auch in nicht-elektrifizierten Regionen Brasiliens können mit batteriebetriebenen Transistorradios Programme auf AM- und Kurzwelle gehört werden. Diskursiv wird dem Meilenstein Elektronenröhre zugeschriebenen, die Verbreitung von Radiomedien in den »abgelegensten Regionen« ermöglicht zu haben und es für lange Zeit zum »meist verbreitetsten Medium [und auch] einer der prinzipiellen Formen regionaler Kommunikation gemacht zu haben«.461 Radio »verliert die Aura des Mysteriums« und wird zu einem banalen »Konsumgut«.462 Breiter Zugang um den Preis, Radio in eine Warenform überführt zu haben – dieses Argument ist einer der wenigen Momente in denen die innovative Legitimität der Elektronenröhre herausgefordert wird.463

Deutlich wird hier eine Kritik, die »technisch« abstrahierte Innovationen als Ursache eines breiteren sozialen Handlungsprogramms ablehnt. Die retrospektive Behauptung, nur die Warenform habe die innovative Modifikation der Radiomedien und einen universellen Zugang möglich gemacht, ist empirisch nicht belegt. Ungeklärt ist ebenso die Frage, ob weitere, technikhistorischen Meilensteinen zugeschriebene Beiträge zu einem Gemeinwohl als solche auch von der Gesellschaft anerkannt werden. Beispielhaft steht dafür der technikhistorische Meilenstein »elektronische Aufnahme- und Speichergeräte«, der seit seiner Ablösung eines »quasi kunsthandwerklichen« Musik- und Geräuschemachens (sonorização) in Echtzeit, in einer nie abgeschlossenen linearen Bewegung immer weitere technische Meilensteine mobilisiert, die einander ergänzen und ersetzen: Plattenspieler, Kassettendecks, CD-Spieler, Mini-Disks, Festplatten, etc.464 Doch ob eine »quadrofonische Klangwiedergabetreue« (HiFi), die für Hörer_innen maßgebliche Radio-Charakteristika ist, wird nicht reflektiert.465

Eine Fortsetzung findet diese offene Frage in den sich verändernden Modulations- und Übertragungstechnologien der Radiomedien. Den Anfang soll in den 1960er Jahren die Einführung von FM-Übertragungen gemacht haben, von der an das Radio »zahlreiche Prozesse der technischen Perfektionierung durchläuft«.466 Doch auch wenn Übertragungen auf Ultrakurzwelle heute den einzigen globalen Radiostandard bilden, stützt sich die Bedeutung dieses Meilensteins nicht auf ein, sondern auf verschiedene, teils konträre Argumente. Allgemein wird zunächst erneut die anderen Modulationsarten (in anderen Bandbreiten) überlegene Audioqualität erwähnt, die vor allem den bis in die 1960er Jahre dominanten AM-Übertragungen »Marktanteile« gekostet habe.467 Dass dies trotz eines gewichtigen Nachteils des FM-Standards geschieht, nämlich seiner vergleichsweise kurzen Reichweite, die es nicht erlaubt(e) wie AM-Übertragungen »das gesamte Land zu verbinden«, bedarf weiterer Erklärungen, von denen hier zunächst die dafür notwendigen »technischen« Modifikationen benannt werden sollen.468

Voraussetzung für die Übertragung von Radio mit FM im UKW-Band war zunächst der Umzug der vorherigen Nutzer_innen, der brasilianischen TV-Stationen, die dort bisher Funkübertragungen für die Signalweitergabe organisierten, nun aber in den Mikrowellenbereich wechselten.469 »Doch innerhalb des geltenden Modells der Epoche, nämlich einem [Sender] mit großer Reichweite, interessierte der lokale Charakter der Frequenzen die Sender damals nicht.«470 Implizit beschränkt sich diese generelle Aussage vor allem auf kommerzielle Radioakteur_innen, die zu dieser Zeit danach suchten kostengünstiger zu produzieren, anstatt neue Sender zu eröffnen. Der Prozess der »Segmentierung« den das brasilianische Radiomedium im UKW-Band ab den 1960er Jahren begonnen haben soll, betrifft deshalb auch weniger eine Pluralisierung der Sendenden als eine Segmentierung der gesendeten Inhalte, die zeitgleich von mehreren Radios ausgestrahlt wurden, um spezifischere Publika zu erreichen.471 Die Vielfalt unabhängiger Sender im UKW-Band beeinflusst positiv erst die Artikulation Freier Radiomedien ab den 1980er Jahren. Der Meilenstein FM-Standard ist in seiner gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit deshalb äußerst ambivalent, denn sein Erfolg beruht vor allem auf dem Modell einer umfangreichen Retransmission, »Netzwerken, bestehend aus einigen wenigen produzierenden Stationen und vielen assoziierten (afiliados) Nichtproduzenten«.472

Hier stellt sich die Frage, wie sich diese noch näher zu untersuchenden Affiliationsnetzwerke (vgl. 2.2.2.3) für die Signalweitergabe organisieren. Entscheidend ist dafür ein großer technikhistorischer Meilenstein, der auch das brasilianische FM-Modell umfasst, nämlich die Konstitution sogenannter »integrierter Netzwerke«.473 Diese vereinen Übertragungen mittels »unterirdischer Telefonverbindungen«, »Glasfaserkabel« und zahlreicher Satellitensysteme.474 Die Organisation und Finanzierung dieser komplizierten Infrastruktur legitimiert sich in dem Versprechen, die Kommunikation auf diese Weise unabhängiger von »atmosphärischen und klimatischen Bedingungen« zu machen, »mit entfernten Regionen interagieren« und Radioübertragungen »an jeden Ort« bringen zu können.475 Diese Sicht der Dinge lässt sich mit mindestens zwei konkreten Nachfragen herausfordern. Was wird übertragen, auf dieser »Superinformationsautobahn«476? Und inwiefern ist die Konzentration von Produzierenden beziehungsweise die »Gleichschaltung« von Radiostationen uneingeschränkt einem Gemeinwohl zuträglich? Die in der Literatur affirmierte integrierte Vernetzung thematisiert solcherlei Einwände nicht. Unbeachtet bleibt auch, dass innerhalb und außerhalb dieser zunehmenden Integration weiterhin AM- und Kurzwellensender übertragen, die den Meilenstein FM in seiner Totalität eingrenzen und ebenfalls spezifische mediale Anerkennungswürdigkeiten konstatieren.477

Neben diesen beiden (und weiteren) fortbestehenden Übertragungsarten, konkurriert der FM-Standard zudem mit neuen Möglichkeiten, Audiosignale zu versenden. Die gesichtete Literatur ist alles andere als präzise und in weiten Teilen spekulativ, was eine weitere »Integration von Computern und Telekommunikation«478 (inklusive Radio) angeht. Beschrieben wird, bei allen Unschärfen, eine Popularisierung der elektronischen Welt und ein »AVC«-Verbund (Audio, Video, Computer), die einen qualitativen Sprung von einer vernetzten Retransmission hin zu aktiveren Nutzungsmöglichkeiten einzelner Mediationen eines »Superwissensnetzes« begünstigen sollen.479

Lässt sich angesichts dieser analytischen Unentschiedenheit überhaupt ein weiterer Meilenstein ausmachen, scheint der vorausgesagte mediale »one-access terminal«480 bisher doch unerreicht? Am nächsten kommt dieser Prophezeiung heute die Nutzung des Internets481 und der darin angelegten Möglichkeit Webradio zu machen. Erwähnt werden »Seiten zum Netzhören«, Erfahrungen von »Community Radio im Internet« (in Venezuela) und die allgemeine Erwartung im Internet »ein persönliches Radio [zu] schaffen«.482 Angedeutet wird damit, die lineare Programmstruktur von Radiomedien aufzubrechen und einen aktiveren Inhalt zu ermöglichen. Worin genau sich ein RadCom-Webradio von anderen Webradios unterscheiden soll, bleibt jedoch unklar, garantiert doch bisher eine gewisse Netzneutralität483 eine Gleichbehandlung der Inhalte unter Abwesenheit der für Radiofrequenzen charakteristischen Knappheit. Geschuldet sind diese explikatorischen Lücken einer fehlenden Analyse der sich verändernden Übertragungswege.484 Welche Folgen sich für die mediale Legitimation von Radio ergeben, bleibt unbeachtet und verschwindet in Begriffsfeldern wie »Multimedia«, »Neue Technologien« und einem »Mensch-Computer-Dialog«.485 Folglich würde damit das Einzelmedium Radio obsolet und als technikhistorischer Meilenstein bliebe die transmediale »Konvergenz diverser Medien, unter denen sich Rundfunk, Pay-TV, Festnetz- und Mobiltelefonie, Informationsnetzwerke, vor allem das Internet hervortun« zu proklamieren und damit zugleich das Ende des Einzelmediums Radio.

Dennoch ist der switch off analoger Signalübertragungen im elektromagnetischen Spektrum bisher ausgeblieben. Radio hat sich nicht vollständig in ein multimediales Netzwerk eingefügt und entzieht sich weiterhin seiner vollständigen Eingliederung. Statt Teil eines digitalen Netzwerks zu werden, lässt sich seine Digitalisierung als aktueller konkurrierender Meilenstein analysieren. Denn den Raum dieser Digitalisierung bildet, wie oft behauptet, nicht zwangsläufig das Internet – binäre Codes lassen sich auch vermittels Radiowellen übertragen.486 Fürsprecher_innen des potentiellen Meilensteins »Digitalradio« verknüpfen seine Realisierung mit einer effizienteren und demokratischeren Nutzung der Radiofrequenzen, einer »digitalen Emanzipation«, ermöglicht durch eine »Dezentralisierung der Infrastruktur der Telekommunikation die eine monopolistische und autoritäre Kontrolle erschweren« würde.487

Diesem legitimatorischen claim, der zugespitzt suggeriert, dass Radiofrequenzen besser durch Software als staatliche Institutionen verwaltet werden sollten, wird zweifach widersprochen.488 Anstatt einer solchen als technologische Ideologie abgetanen Deregulierung wird zum einen vorgeschlagen, die Rundfunknormen punktuell zu reformieren und mit den Bedürfnissen für die Einführung dieser Technologie zu konsolidieren.489 Zum anderen wird das »Fehlen von Empfangsgeräten« als Beispiel für die insgesamt unsichere Realisierung des potentiellen Meilensteins Digitalradio angeführt. Auch nach der aktuellen politischen Aushandlung eines Digitalradiostandards wird in Brasilien weiterhin dessen gesellschaftliche  Anerkennungs-würdigkeit zur Debatte stehen und die Frage, inwiefern die Digitalisierung des Radios dabei helfen kann, die  »brasilianische Medienhegemonie« herauszufordern.490 Ebenso offen bleibt, ob sich hier ein einzelmedialer technikhistorischer Meilenstein andeutet oder aber Digitalradio als Teil einer breiteren Konvergenz zu lesen ist.491

Die Analyse der technikhistorischen Meilensteine von Radio(s) in Brasilien zeigt, dass sie jeweils nur einen Teil des Mediums sichtbar machen. Auch wenn die historische Einbettung die Vorstellung von Technik als etwas gesellschaftlich Entkoppeltes überwindet, beschreiben sie nur ungenügend die Beziehung zu einem spezifischen Gemeinwohl. Auch in der Literatur wird dieser Umstand reflektiert, wenn wiederholt an der »technischen Neutralität« medialer Größen gezweifelt wird. Bemängelt wird der dieser Annahme zugrunde liegende Ausschnittcharakter, der die Möglichkeiten gesellschaftlicher Transformation künstlich einschränkt oder auf einige wenige, universell wünschenswerte Eigenschaften reduziert.492 Doch die vorgenommene Betrachtung macht deutlich, dass die Vernetzung, ebenso wenig wie Reichweiten, Signalqualität, Geschwindigkeit, Konvergenz oder Digitalisierung von Technologien an sich, sondern nur in weiteren, gesellschaftlichen Kopplungen legitimationsstiftend sind. Ohne eine weitere Differenzierung eines als technologisch abstrahierten Potentials, müssen spezifische (legitime) Bedürfnisse – wie die unabhängiger Radios – unbeachtet bleiben.

Geschuldet ist dies auch dem konzeptuellen Umstand, dass technikhistorische Meilensteine per Definition daran interessiert sind einen Transformationspfad zu beschreiben. Die dabei implizit vorgenommene Selektion blendet die Aushandlung von Legitimation aus und tendiert eher dazu, politische Forderungen, die das radiale »Trajekt [...] begradigen« wollen, in ihrem asymmetrischen Charakter zu stärken. Dennoch ist das Konzept der technikhistorischen Meilensteine eine analytische Hilfe, um komplizierte technologische Transformationen für die weiterführende empirische Untersuchung zu ordnen. Denn immer dann, wenn die Spur des eindeutigen medialen Transformationspfads undeutlich wird, gerät eine Widerständigkeit der als Technologie subsummierten Akteur_innen in den Blick, die sich nicht rein technisch erklären lässt. Ebenso wenig wie eine schlichte »technologische Evolution« als analytische Grundlage veranschlagt werden kann, reichen die »alten [Konzepte der] Meinungs- und Pressefreiheit aus«, um eine »technoglobale Gesellschaft« und die »stattfindende politische Schlacht um die Definition von Medienstandards« zu beschreiben.493 Die Legitimation technischer Meilensteine wird hier bereits in ihrer konkurrierenden Emergenz und nicht erst retrospektiv als historische Abfolge thematisiert. Beispielhaft steht dafür die aktuelle medienpolitische Debatte um Konvergenzen und Digitalisierung. Und bei dieser geht es eben nicht nur darum, für »die schnelle Evolution von Technologien« einen »adäquaten Regulierungsrahmen« zu finden, da eine viel umfassendere Aushandlung »neuer Kommunikationsplattformen« ansteht.494

Um das problematische, evolutionäre Paradigma von Technologien in seiner Selbstevidenz weiter zu erschüttern, lohnt sich neben der Kritik einzelner technikhistorischer Meilensteine auch eine Revision von umfassenderen Narrativen, die dabei helfen, blackgeboxte Widersprüchlichkeiten zu entfalten. Radiomachen als technologische Dramen nachzuerzählen, kann äußerst fruchtbar sein, um spezifische technologische Konfigurationen und (techno)politische Zielstellungen zu dokumentieren, wie die beiden folgenden Exkurse zeigen werden.

 

2.2.2.2 Technologisches Drama 1: Modernisierung

»Technology is not politics pursued by other means; it is politics constructed by technological means.«495

Ohne in eine disjunktive Trennung von Technologie gegenüber Gesellschaft und Politik zurückzufallen, formuliert das Konzept des Technologischen Dramas eine interessante Herangehensweise, um Relationen entlang einem Technologie-als-Text-Konzept zu erkunden.496 Dabei wird Legitimation auf einer normativ-diskursiven Ebene, als Teil eines technologischen Produktionsprozess, untersucht. Insofern ist das Vorgehen dem bisherigen Mapping nicht unähnlich, auch wenn dieses selbst eine konzeptuelle Abstraktion von Technologie vermeidet. Dennoch gibt es viele methodologische Überschneidungen, vor allem das Interesse, der Legitimation materieller Entitäten auf die Spur zu kommen.497

Technologische Dramen zielen in ihren analytischen Beschreibungen darauf ab, technologische Prozesse in drei Akten zu rekonstruieren. Im ersten Akt, der technologischen Regularisierung, werden Aneignungen oder Modifikationen von Technologien veranschlagt, die den Effekt haben, dass »some of its technical features embody a political aim […] cloaked in myths of unusual power, […] that justify regularization.«498 Die Ergebnisse dieses Prozesses tragen zur Schaffung sozialer Beziehungen und Rituale bei. Im zweiten Akt, dem technological adjustment, wird der dominante Diskurs (der diesen eingeübten Verhältnissen zu Grunde liegt) dann herausgefordert. Dies geschieht vermittels einer Delegitimierung des »hegemonic frame of meaning« und zugleich entlang verschiedener Aneignungsstrategien, »try[ing] to gain access to a process or artifact from which it has been excluded«,499 ohne zunächst die gesellschaftliche Einbindung der als Technik vorgestellten Größen grundsätzlich in Frage zu stellen. Dies geschieht erst in einem möglich dritten Akt, der technological reconstitution, wenn durch Prozesse symbolischer Inversion die Herstellung von Gegenartefakten eingeleitet wird, die »negate or reverse the political implications of the dominant system«.500

Welches technologische Drama lässt sich nun von Radiomedien in Brasilien erzählen, wenn zunächst seine Rolle als »Werkzeug der Modernisierung«501 in den Blick genommen wird, einer Funktion, die, wie in den vorherigen Kapitel deutlich geworden ist, zwar eingegrenzt, jedoch nie gänzlich aufgehoben wurde. Radio wird zunächst in einer Linie mit Zigaretten, Tee, Frauenhüten, Straßenbahnen und Tonika als eine Modeerscheinung unter vielen beschrieben, die jedoch langfristig »einen entscheidenden Einfluss auf die kulturelle Transformation Brasiliens« gehabt haben soll.502 Dimensioniert werden vielfältige, miteinander verwobene politische Zielstellungen. Die erste entspinnt sich aus dem scheinbaren Paradoxon eine »importierte Medientechnologie«, die bereits den Keim »kultureller Abhängigkeit« mit sich brachte, für eine eigene »Produktion innerhalb des nationalen Territoriums« zu nutzen.503 Dieses Ziel wird als von Beginn an immanent betrachtet, denn »bereits 1922 gab es große Anstrengungen [vermittels des Radios] die Identität einer reichen und modernen Nation zu schaffen«.

Dieses nation building per Radio sollte sich entlang zweier konkreter Absichten realisieren, nämlich, vermittels Radiosendungen, die Bevölkerung zu erziehen und kulturell teilhaben zu lassen. Dem mächtigen »Integrationswerkzeug« wurde zugetraut »Bildung bis ins Landesinnere tragen« zu können und damit »zwei wesentliche Hindernisse« zu überwinden, »lange Distanzen und Analfabetismus«.504 Mehr Bildung wurde zugleich als Schlüssel für eine »kulturelle Expansion« begriffen, die einen »Ausweg aus den schlechten Kulturen des Landes« ebnen und »neue moderne Moden, Geselligkeit und alltägliche Praktiken« verbreiten sollte.505 Zunehmend wurde auch die »anfängliche, von [Radio]Pionieren verkündete Bildungsmission«, die darauf abzielte, »Radio als gesellschaftliche Verpflichtung und Erhalt einer nationalen Kultur zu konservieren« mit einem weiteren Anspruch verbunden, nämlich einem stärkeren Engagement mit dem Markt von Konsumgütern von dem [vermittels Werbespots] seine Ressourcen kamen.506

Hier, an dieser wichtigen Schnittstelle zwischen »Markt und Kultur«, klingt bereits eine weitere moderne Zielstellung an, nämlich die eines wirtschaftlichen Wachstums im »Industrie- und Dienstleistungssektor«, um »neue Industrien und Güter« herzustellen.507 Die allgemeine Wachstumsperspektive konkretisiert sich ab den 1950er Jahren in einem intensivierten modernization drive, einem »Entwicklungsbewusstsein« (consciência desenvolvimentista).508 Der Diskurs wird zu dieser Zeit zunehmend technokratisch, das Radio zum gesellschaftlichen »Werkzeug der Perfektionierung«.509 »Die Mentalität der Bevölkerung in fünf bis sechs Jahren in der großen Radioschule [zu] transformieren«,war erklärtes Ziel des marktorientierten Entwicklungsdiskurses.510 Ausmachen lässt sich aber auch ein alternatives Radioprojekt, nämlich das der befreiungstheologischen Basisgemeinden, das nicht weniger programmatisch spezifische Entwicklungsprogramme einer kollektiven Landwirtschaft für ihre Radioschulen entwickelte, in denen Brasilianer_innen täglich angesprochen wurden, um sie bei der Bestellung ihrer Felder zu animieren.511

Die Modernisierung, die vermittels Radiowellen »in die [brasilianischen] Zuhause eindringe« erscheint in diesen Deskriptionen nicht als konstantes Set an Charakteristika oder linearen Prozessen, sondern als (wie im ersten Akt technologischer Dramen veranschlagt) heterogene Aktivitäten.512 Das Narrativ enthält konstante Variationen, die ebenfalls einen Effekt auf die Legitimierung »modernen Radiomachens« (gehabt)haben müssen. Mehr noch, wurde weiter oben allgemein bemerkt, dass die Frage der gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit in Brasilien erst spät gestellt wurde, lässt sich der Modernisierungsdiskurs als jener Raum definieren, in dem sich eben diese Debatte entfaltet. Trotz aller Heterogenität und Brüche ist auffällig, dass die sich etablierende quantitative Dominanz lizensierter (kommerzieller) Radios und ihres werbefinanzierten Sendebetriebs nicht als legitim an sich gesetzt wird, sondern durchaus um eine Rechtfertigung bemüht ist, wie das folgende Zitat aus den 1960er Jahren deutlich macht: »Werbung ist eine jener unabdinglichen Komponenten der Konsumgesellschaft, stimulierendes Instrument der Markt-erweiterung, anerkanntermaßen bildend und informativ, auf eine Weise, dass sie noch in das entlegenste Landesinnere zivilisatorische Sitten und Bräuche trägt.«513 Es sei dahingestellt ob die Moderne nur in Form einer »werbeabhängigen«514 Konsumgesellschaft existieren kann. Entscheidend ist hier, dass auch kommerzielles Radio sich über die Attribute Bildung und Information zu legitimieren sucht und diese als Kriterien eines Gemeinwohls affirmiert.

Dieses allgemeine Handlungsprogramm gerät jedoch in den 1960er Jahren in eine Krise, als das Fernsehen sich als zentraler Mittler der Modernisierung inszeniert. Es ist nicht nur ein »Kampf um Publikum und Einnahmen«, sondern auch um die »Wertigkeit der für die Massen produzierten Nachrichten und Informationen«.515 Doch die Vorliebe der seit 1964 herrschenden Militärjunta für das TV, als »wichtiges Instrument […]« für die Organisation »nationaler Sicherheit und die Modernisierung der ökonomischen und sozialen Strukturen des Landes«, erklärt diese Krise nur teilweise.516 Ebenso bedeutsam ist, dass werbefinanzierten Radiosender mit ihren als »Readoptation«, »Segmentierung«, »Regionalisierung« beschriebenen medialen Überlebensstrategien nicht länger bestimmte Kriterien des bis dato affirmierten Gemeinwohls erfüllen.517 Als neue Maxime des kommerziellen Radiomachens gilt fortan, »ein Maximum mit minimalen Kosten [zu] produzieren«, vom »gelehrigen, instruktiven Kulturellem zu einem Freizeit- und Unterhaltungsangebot«, einem »Dreiklang aus Musik, Sport und Nachrichten« überzugehen.518

Dabei wurde die explizite Vermittlung von Bildung und Kultur aufgegeben und zwar nicht entgegen sondern im Einklang mit der staatlichen Medienpolitik der Regierung von Juscelino Kubitscheck (1955-1960), die »verantwortlich für den Beginn der Trennung zwischen Radiosendern und ihrer edukativen Zielsetzung war«519. Ein entsprechendes 1960 von Kubitscheck verabschiedetes Dekret (Decreto 49.259), das Bildung im Radio nur noch zu einer fakultativen Aufgabe machte, offenbart rückblickend ein doppeltes legitimatorisches Problem. Von 1932 (Decreto 21.111) bis 1960 sollen kommerzielle Radios ihren Bildungs- und Kulturauftrag »vollständig missachtet« haben. Aus heutiger Sicht ist die Tatsache noch relevanter, dass sich trotz der Wiederaufnahme des Primats von Bildung und Kultur beim Radiomachen in der Verfassung von 1988 (vgl. Kap. 2.3.1.) kommerzielle Radios mit diesem veranschlagten Beitrag zum summum bonum nicht auseinandersetzen und dementsprechend in ihrer gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit herausgefordert werden können.520

Konsequent ist deshalb nur die Forderung, die »den [Radio]Sektor regulierende Gesetzgebung zu modernisieren« und einer »konstitutionellen Revision« zu unterziehen.521 Die Infragestellung des dominanten Diskurses, um Radiomedien wieder zu einer »Stütze des demokratischen Systems« zu machen, materialisiert sich, wie bereits beschrieben, in der Verabschiedung eines spezifischen RadCom-Gesetzes 1998.522 Der zweite Akt des technologischen Dramas beginnt jedoch bereits vorher, sowohl in Ablehnung der Medienpolitik der Diktatur als auch der folgenden, demokratischeren Herrschaftsformen, vermittels einer Aneignung technologischer Größen und der Herstellung von counterartifacts. »Die technologischen Fakten werfen die Vorstellungskraft der Politiker über den Haufen«, verkündeten freie Radiomacher_innen bereits vor der Verfassungsänderung 1988 und schlugen vor »das [Radio]System ausgehend von seinen technologischen Möglichkeiten neu zu erfinden«.523 Dazu ist es zwar bisher nicht gekommen, dennoch konnte die bis dato dominante Regulierung des elektromagnetischen Spektrums zumindest punktuell modifiziert werden – ein RadCom pro Gemeinde ist inzwischen gesetzlich möglich. Zudem hat eine Entkopplung des lange Zeit gepflegten (diskursiven) Gleichschritts »technologischen Fortschritts zum Vorteil von Globo« und anderen kommerziellen Mediennetzwerken stattgefunden.

Es überrascht deshalb wenig, dass die Fürsprecher_innen kommerzieller Medien heute mögliche Modifikationen technologischer Größen eher ablehnend gegenüberstehen.

»Lassen wir uns nicht täuschen, von jenen, die für eine Gesetzgebung im Namen der technischen Ideologie, dem Kult alles Neuem eintreten, mittels einem hermetischem Vokabular alter Banalitäten […], durch prophetische Pseudowissenschaftler, durch die eingeübte Fatalität der Entnationalisierungen, durch die Verzauberung einer unermüdlichen Gadjeterie […]«.524

Einen weiterreichenden gesellschaftlichen Anspruch auf die technischen Größen des Radiomachens zu erlangen als naiven Techno-Fetisch abzutun übergeht beflissentlich das Argument, die »technische Entwicklung« müsse »zu einer größeren Beteiligung der Bevölkerung im politischen Leben führen, anstatt sie zu unterdrücken«.525 Da dies, auch auf Grund der aktuellen Regulierung, nicht der Fall ist, bleibt offen, inwiefern der dritte Akt des technologischen Dramas bereits aufgeführt wird. Ausgehend von den, in einem vorherigen Kapitel besprochenen, allgemeinen Prämissen unabhängiger Radioakteur_innen (vgl. 2.1.1.2.) gibt es zumindest zwei mögliche Antworten. Die Forderungen nach einer Re-Regulierung des (unabhängigen) Radiomachens seitens der RadComs, unter weitestgehender Beibehaltung der zentralen staatlichen Rolle als Legitimationshelfer, oszilliert zwischen einer Korrektur der technologischen Regulierung und einer weiterführenden Rekonstituierung. Sollte beispielsweise die Sendestärke der RadComs innerhalb des bestehenden Regulierungsdiskurses nach oben korrigiert werden, oder sollte die Festlegung einer starren, generellen Wattzahl überwunden werden? Freie Radios wiederum, die sich in ihrer Legitimation vom staatlichen Regulierungsanspruch ihrer technologischen Größen zu emanzipieren suchen, scheinen bereits heute den dritten Akt zu proben und produzieren konkrete Antisignifikationen, indem sie Radio als experimentelles Instrument neuer demokratischer Modalitäten definieren.526

Der Blick auf das »Modernisierungsdrama« hilft, die verloren gegangene Legitimation des Technologie-Texts des Radiomediums herauszuarbeiten. Die exklusive Nutzung technischer Größen der Signalerzeugung ist nicht gerechtfertigt, da die aktuelle Regulierung bestimmte Dimensionen des beispielsweise in der Verfassung konkretisierten radialen Gemeinwohls ignoriert.

Dennoch bleibt die Betrachtung eine wichtige Antwort schuldig, nämlich warum die radiale Modernisierung in Brasilien von einer so starken Medienkonzentration geprägt ist? Auch die freie Radiobewegung der 1980er Jahre fragte sich das bereits und macht diese Charakteristik vor allem an der unbegrenzten Multiplikation kommerzieller Mediennetzwerke fest.527 Im Folgenden soll deshalb der/die umfassendste und einflussreichste dieser Akteur_innen untersucht werden, Rede Globo.

 

2.2.2.3 Technologisches Drama 2: Der Aufstieg von Rede Globo

Dass gerade die umfassende Regulierung des elektromagnetischen Spektrums durch den Staat in Brasilien zu einer extrem starken Konzentration kommerzieller Radioakteur_innen innerhalb spezifischer Affiliationsnetzwerke geführt hat, klingt zunächst paradox. Für ein besseres Verständnis ist es deshalb notwendig, in historischer Perspektive sowohl nationale medienpolitische Ziele zu rekonstruieren, gleichzeitig aber auch komplementäre, unternehmerische Strategien gewinnorientierter Radioakteur_innen in den Blick zu nehmen. Eine exemplarische Betrachtung des Niedergangs des staatlichen und ehemals mächtigste Radios Lateinamerikas, Rádio Nacional und des parallel verlaufenden steilen Aufstiegs des kommerziellen Mediennetzwerks Rede Globo wird eine äußerst ambivalente »public private partnership« bei der Regulierung von Technologien und des elektromagnetischen Spektrum aufzeigen, die die brasilianische Medienlandschaft in ihrer Konstellation bis heute nachhaltig prägt – und delegitimiert.

Anknüpfend an die Analyse des vorherigen Kapitels, ließen sich die von den Militärregierungen ab 1964 eingeleiteten technologischen Modifikationen als eine Radikalisierung des Modernisierungsprogramms beschreiben.528 Zu diesem Zeitpunkt hatten in Brasilien bereits verschiedene Medienunternehmen aus dem Print- und Radiosektor begonnen, Fernsehsender zu organisieren und versuchten mit dem Argument, die Modernisierung des Landes hänge von der Entwicklung des TV ab, politische Unterstützung zu gewinnen.529 Dennoch wird erst der militärisch-zivile Putsch von vielen Autor_innen als »definitiver Bruch der brasilianischen Radiogeschichte« gewertet.530 Die Goldene Ära des Radios und allen voran Rádio Nacional, der bis dato tonangebenden, landesweit zu empfangenden AM-Station ging zu Ende.

Anfangs scheinen dafür jedoch weniger technologische Modifikation und die Expansion des TV, als vielmehr direkte politische Eingriffe in den operativen Gebrauch von Radiosendern entscheidend gewesen zu sein, wie beispielsweise die Verhaftung von Moderator_innen und Journalist_innen.531 Legalistische Gesetzeserlässe (atos institucionais) sollten die bestehenden Massenmedien zügeln, solange die neuen Machthabenden selbst noch keine eigene (legitime) Nutzungsstrategie gefunden hatten, um ihre autoritäre Interpretation der Moderne zu verwirklichen.532 Doch Repression und Schließung betrafen nicht alle Sender auf die gleiche Weise. Der AM-Sender Rádio Globo, der vor dem Putsch nie an die Hörer_innenzahlen von Rádio Nacional und Rádio Mayrink in Rio de Janeiro heranreichen konnte, wurde nach deren Zensur bzw. Schließung ab 1965 zur meist gehörten Station.533

Das Technologische (Radio)Drama generiert sich explizit erst ab Ende der 1960er Jahre, als Teil eines umfassenden Transformationsprozesses der u.a. auf »boosted development« im Kommunikations- und Mediensektor setzte.534 Die von der militärisch-zivilen Regierung festgelegten Wachstumsziele für Produktion von Waren, sollten unter Vermittlung »großer privater, öffentlicher und internationaler Unternehmen […] einen heimischen Markt für industrielle Güter« schaffen.535 Darunter befanden sich auch Sende- und Empfangsgeräte für TV und Radio. Doch die eingeleitete Rekonfiguration des Rundfunks beschränkte sich nicht darauf, die Produktion des Equipments zu stimulieren und durch die Schaffung von Konsumkrediten den Kauf von Endgeräten zu dynamisieren.536 Zu erwähnen ist auch die ideologisch selektive Förderung von Medienmachenden:

»Der militärischen Ideologie folgend sollte der Rundfunk eine private und ausschließlich Brasilianern vorbehaltene Aktivität sein, besonders für jene Individuen und Gruppen, die mit der Doktrin der nationalen Sicherheit korrespondierten.«537

Direkt schlug sich diese Ideologie in einem spezifischen Ausbau der Übertragungswege nieder, die eine landesweite Verbreitung erwünschter Radio- und Fernsehprogramme ermöglichen sollten. Ein wichtiger Teil dieser technologischen Intervention war der bereits erwähnte Aufbau eines Satellitensystems zur Signalweiterleitung (vgl. 2.2.2.1. EN 470), das garantieren würde »gesunde Unterhaltung [zu] übertragen«538. Dieser technologische Umbau wurde auch dadurch gelenkt, dass der Staat »sein Werbebudget sowohl direkt als auch vermittels staatlich kontrollierter Unternehmen erweiterte«539 und damit das Erstarken bestimmter Akteur_innen begünstigte. Der schnell wachsender Sender TV Globo beispielsweise, konnte es sich leisten, die bekanntesten Sprecher_innen und Moderator_innen des krisenhaften Rádio Nacional abzuwerben.540

Das Radio, als Einzelmedium betrachtet, wird von dieser Medienpolitik erst verspätet erfasst. Zwar »stimulierte und erweiterte die Regierung die Konzessionierung von FM-Frequenzen«, zugleich ließ es diesen Sendern jedoch weniger finanzielle Förderung angedeihen als den entstehenden TV-Stationen.541 Das anfängliche Interesse an Sendelizenzen war wie bereits erwähnt gering. Erst ab 1973 gab es klarere Förderrichtlinien (Plano Básico de Canais FM) und »öffentliche Anreize« für den Betrieb von FM-Sendern und, »diese Veränderungen sehr genau beobachtend, schuf die Gruppe O Globo 1974 den FM-Sender Rádio Globo FM – Estéreo«.542 Die aktive Umgestaltung der Radiolandschaft war Teil eines umfassenden Plans, der »Uniformität bei der Verwaltung eines großen Landes«543 gewährleisten sollte.

Doch bedeuteten eine größere Zahl Radiosender nicht potentiell mehr inhaltliche Vielfalt und für den autoritären Staat damit einen sicherlich nicht gewollten Mehraufwand an regulativer Kontrolle? Um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen, ist zunächst ein näherer Blick auf die entstehenden TV-Sender nötig, denn deren emergente Organisation würde bald auch Radiomediationen beeinflussen. Die Vision des Staates, Möglichkeiten der Signalweiterleitung für einen potentiell landesweiten uniformen Programmempfang zu nutzen, wurde anfangs nur von einem TV-Sender aufgegriffen, TV Globo. Allein die Globo-Gruppe hatte bereits in den 1960er Jahren den Aufbau eines nationalen Netzwerks ins Auge gefasst und orientierte sich am Modell US-amerikanischer »Fernsehketten« und zwar innerhalb eines Jointventures mit dem Medienuntenehmen Time-Life.544

Da es im Gegensatz zu den USA in Brasilien, damals wie heute, keine gesetzlichen Grenzen für den Erwerb von Sendelizenzen gab, löste die expansive Unternehmensstrategie eine Kontoverse aus. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss (CPI) wurde einberufen, um zu klären, ob das zunächst geheim gehaltene Abkommen zwischen O Globo und Time-Life verfassungskonform sei, da die Doktrin nationaler Sicherheit keine Beteiligung ausländischer Investoren an Medienunternehmungen vorsah. Während die militärisch-zivile Regierung unter General Castelo Branco die »Anschuldigungen ignorierte« und großes Interesse an einem »unabhängigen Medienunternehmen, unabhängig von staatlichem Paternalismus« zeigte, erklärte sein Amtsnachfolger Costa e Silva das Jointventure für illegal und verstaatlichte es 1969.545

Der technologische Konflikt, der diesem zweiten Akt des Dramas zugrunde liegt, begründet sich im Modell eines spezifischen Sendenetzwerks. Zwar war ein solches geeignet, die nationale Wachstumsdoktrin im Sektor der elektronischen Medien zu verwirklichen, es war in seiner Dynamik und Reichweite jedoch ebenso eine potentielle Gefahr für das diktatorische Regime. Angesichts des ambivalenten Potentials, die Programme mehrerer Sender, unter Zuhilfenahme von auf Videokassetten aufgezeichneten Materials oder per Satelliten-gestützter Live-Übertragungen gleichschalten zu können, beschlossen die Regierenden die inhaltliche Ausrichtung strikter zu überwachen.546 Dieses Bedürfnis korrespondiert mit den festen Verträgen, innerhalb der sich Sender zur vollständigen (estação repetidora) oder anteiligen Übernahme (estação afiliada) der Programme einer Mutterstation verpflichteten. Denn es garantierte den TV-Produzenten nicht nur Abnehmer_innen547 sondern vereinfachte auch den Kontrollaufwand und die ab 1974 intensivierte »Vorabzensur« (censura prévia).548 Die Regierenden  »mochten keine lokalen Sender außerhalb der Netzwerke«.549 Bereits 1972 hatte sich die brasilianische TV-Landschaft zu drei Netzwerken (Globo, Tupi, REI) und einigen wenigen unabhängigen und staatlichen Kanälen verdichtet. Tonangebend war das zu diesem Zeitpunkt noch unter staatlicher Vormundschaft arbeitende TV Globo, das 1973 36 Übernahme- und Hunderte Retransmissionssender zählte.550

Auch wenn technologisch nicht vollständig deckungsgleich, war das kommerzielle TV-Modell anleitend für den Aufbau von FM-Netzen und einer verstärkten Retransmission von Programmen im AM-Band. Prägend wurde die »Prädominanz einiger Konglomerate, die die Kontrolle der Gesamtheit besaßen«.551 Der qualitative Sprung von einer bis dahin ungerichteten Machtfülle kommerzieller Radiostationen wurde erneut von O Globo angeführt, dass ab 1974 unter dem Namen O Sistema Globo de Rádio (SRG) eine »Uniformierung des Programms« und eine organisatorische »Zentralisierung diverser Radios einleitete, die es seit den 1950er Jahren erworben hatte«.552 Kontinuierlich umgesetzt wurde diese Strategie jedoch erst in den 1980er Jahren. SRG umfasste 1988 16 eigene Sender und 50 Übernahmekanäle.553

Die starke Konzentration von TV- und Radiofrequenzen innerhalb des Netzwerks von  Organizações Globo, die das Unternehmen bis heute zum umsatzstärksten player von Brasiliens kommerziellen Medienoligopol macht, lässt sich als ein »Effekt der Entwicklungsstrategie des Militärregimes« deuten, das eine beschleunigte kapitalistische Expansion vermittels einer Kapitalkonzentration suchte«.554 Und genau an dieser Stelle stellt sich erneut die Frage nach der Legitimation dieses Radioakteurs, der seine zwischen 1964 und 1985 erworbenen Sendelizenzen bisher jeweils unwidersprochen (wie zuletzt 2008) verlängern konnte, obwohl diese in ihrer Fülle dem in der aktuellen Verfassung geforderten Gebot einer Komplementarität zwischen privatem, öffentlichen und staatlichen Rundfunksystemen widersprechen.555

Während Rede Globo selbst die Beziehung zum Militärregime nicht kommentiert und die große Anzahl an Konzessionen als Normalfall privatwirtschaftlicher Pressefreiheit verteidigt, werden in der Literatur zwei Thesen gegen die mediale Komplizenschaft artikuliert. Ein Einwand bezieht sich auf den Fakt, dass auch Rede Globo zwischen 1968 und 1979 von Zensurmaßnahmen betroffen war, die andere unterstellt dem Medienunternehmen eine ideologische Neutralität und eine wirtschaftliche Autonomie gegenüber dem politische Einfluss der Regierenden, da »die Suche [von Rede Globo] nach Gewinn viel wichtiger für sein Wachstum war als jedwede Regierungspolitik«.556 Die perspektivische Aufarbeitung der Beziehung im Rahmen eines technologischen Dramas zeigt jedoch, dass beide Einwände zu kurz greifen um die »komplizierte Dialektik zwischen Marktnachfrage, formeller und informeller Zensur« erklären zu können, die der Produktion von medialen Inhalten zugrunde lag.557

Und eben nicht nur der Inhalte. Der politisch forcierte Aufbau »landesweiter Netzwerke« und die Monopilisierung dieser Dienste [im Rundfunksektor] seitens Rede Globo ab den 1970er Jahren resultierte in der Schaffung eines effektiven »Werkzeugs»« um die »Doktrin nationaler Sicherheit« zu verbreiten, weshalb viele Autor_innen zu dem Schluss kommen, dass die brasilianische Medienindustrie »die Militärregierung und ihre Gebote legitimierte«, indem sie willentlich den autoritären »Entwicklungsoptimismus, positive Botschaften und offizielle Diskurse« mittrug.558 Die Uniformität der Medieninhalte war Ziel und wurde ermöglicht durch eine »profunde Beziehung gegenseitiger Hilfe«.559

Das Ende dieser Beziehung lässt sich als dritter Akt des technologischen Dramas erzählen. Die dabei zu beschreibende »technologische Rekonstitution« ist jedoch nicht qualitativer Art, sondern betrifft eine quantitative Dimension der Affiliationsnetzwerke, nämlich deren Wachstum. Ab 1979 gab es seitens des regierenden Präsidenten João Figueiredo Versuche, die »gewaltige Macht und den Einfluss des Eigentümers von TV Globo [Roberto Marinho]« durch eine Vergabe neuer Sendelizenzen an andere Akteur_innen zu relativieren. Das »Ende eines historischen Blocks« kündigte sich an und auch wenn Rede Globo anfangs noch Übertragungen der sozialen Proteste und Forderungen nach direkten Wahlen vermied, unterstützte es ab 1984 zunehmend die oppositionellen Kandidaten Tancredo Neves und José Sarney.560 Letzterer, ein »historischer Nutznießer des Militärregimes«, gilt heute als Begründer jener Medienpolitik, die Radio- und TV-Lizenzen als Tauschwährung für politische Zwecke kultivierte.561 In Sarneys Amtszeit – die er mit eben jener Politik von vier auf fünf Mandatsjahre ausdehnte – wurden insgesamt 1028 zusätzlich kommerzielle Rundfunklizenzen vergeben.562

Auch wenn Rede Globo nur einen Teil dieser Lizenzen bekam, wuchs es dennoch schneller und konnte im Kabelfernsehen die technologische Basis seines Netzwerks stärker ausbauen, als dies unter dem vorherigen, autoritäreren Regime möglich gewesen wäre. Unter den folgenden Regierungen konnte Organizações Globo die Vormachtstellung seines Netzwerks behaupten, und es gibt keinen Grund [..] um anzunehmen, dass Rede Globo […] aufhören wird als eine wichtige 'Machtinstitution' in Brasilien zu funktionieren.“563 Die im Frühjahr 2013 bekanntgegebene Entscheidung der Regierung, eine Reform der Medienregulierung und Frequenzpolitik erneut auf unbestimmte Zeit zu vertagen, ist nur das jüngste Ereignis, was den Fortbestand der asymmetrischen technologischen Konfiguration der Radio- und TV-Mediationen stabilisiert.564

Dennoch bleibt dieser rekonstitutive Akt unabgeschlossen, denn seit den 1980er Jahren generieren unabhängige Radiomachende ein kritisches Korrektiv gegenüber dem Versuch, die mediale Erbmasse der Diktatur einer legitimatorischen Revision zu entziehen. Ihre lokale Besetzung von Frequenzen und die technologische Aneignung von Sendeequipment schufen für einen Moment sogar ein ebenfalls schnell wachsendes Antisignifikativ, das bis heute von einigen Freien Radios im operativen Gebrauch gehalten wird. Der Versuch eine breite, landesweite Netzwerkbildung zu organisieren scheiterte jedoch, wie bereits dokumentiert, an konkurrierenden »Gebrauchsanleitungen« für ein unabhängiges Radiomachen, der anhaltenden strafrechtlichen Verfolgung des nichtgenehmigten Radiomachens und dem auf legaler Ebene seit 1998 explizierten Verbots für alle lizensierten RadComs Netzwerke zu bilden.565 Bis heute ist es jedoch erklärtes Ziel der unabhängigen Radiobewegungen diese technologischen Möglichkeiten auch legal für ihren operativen Gebrauch nutzen zu können.566 Dabei begegnen sie dem Argument, als lokale Medien bedürften sie keiner überregionalen Vernetzung, mit dem Hinweis, dass nicht die Radiomachenden sondern das Gesetz diese strikt lokale Ausrichtung vorschreibt. Sie fordern zugleich, die gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit kommerzieller Affiliationsnetzwerke in ihrer intensiven Nutzung von Radiofrequenzen zu explizieren.567 

Währenddessen bleiben die kommerziellen Affiliationsnetzwerke einer der prägenden Akteur_innen bei der Mediation von Radio in Brasilien. Das technologische Drama rekonstruierte die Entstehung dieser Konfigurationen am Beispiel von Rede Globo und zeigte, inwiefern diese spezifische Konfiguration der Signalübertragung eine autoritäre kapitalistische Wachstumsstrategie an die repressiven politischen Prämisse nationaler Sicherheit koppelte und anteilig an der Legitimation der brasilianischen Militärdiktatur beteiligt war.

Der Fortbestand der Affilationsnetzwerke nach dem Abtritt ihres einstigen politischen Protegés, dem autoritären Staat zeigt, dass die Fürsprecher_innen erfolgreich waren, dieses prädominante Trajekt auch über seine ursprüngliche Legitimation hinaus zu stabilisieren. Dies gelingt in einer anhaltenden Vermeidung der Debatte über eine Neuregelung der Mediengesetzgebung sowie einer Verteidigung der bestehenden Netzwerke als materieller Ausdruck »liberaler Pressefreiheit«.568 Auf diese Weise wird eine politisch gemachte technologische Konstellation zum (historischen) Normalfall verklärt und versucht, die asymmetrische Ressourcennutzung im elektromagnetischen Spektrum zu naturalisieren.

Es greift deshalb zu kurz, die »Trajekte von Radio- und TV-Sendern« als »historischen Definitionsprozess von dem, was als gesellschaftlicher Kompromiss der Kommunikations-medien gilt«, zu lesen.569 Zunächst gab und gibt keine konstante Beteiligung der Gesellschaft an der Entscheidungsfindung über den operativen Gebrauch von Medien. Demzufolge lassen sich auch keine linearen Flugbahnen medialer Entwicklung nachzeichnen.570 Bereits der Blick auf technikhistorische Meilensteine hatte mehrere Brüche offengelegt, die zeigen, dass sich für die Modifikationen der radialen Handlungsprogramme zwar Rechtfertigungen beteiligter Entscheidungsträger_innen dokumentieren lassen, die deshalb jedoch keine universelle und fortwährende gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit beanspruchen können. Die erwähnte Entscheidung von Präsident Kubitschek, kommerzielle Radioakteur_innen von ihrem edukativen und kulturellen Beitrag zum Gemeinwohl zu befreien, ist dafür ein gutes Beispiel.

Die beiden rekonstruierten technologischen Dramen haben im weiteren Sinne gezeigt, dass weder Radio als Dispositiv der Moderne noch als spezifische technologische Anordnung eine kohärente legitimierende Erzählung produzieren. Vielmehr werden widersprüchliche und gegenläufige Handlungsprogramme sichtbar, sobald eine der beiden black boxes geöffnet wird.571 Eine solche Entfaltung diskontinuierlicher, heterogener und konkurrierender radialer Trajekte hilft nicht nur, die allgemeine Forschungsperspektive weiter zu dimensionieren, sondern koppelt auch ganz spezifische Fragen gesellschaftlicher Anerkennungswürdigkeit an das unabhängige Radiomachen zurück: Welche Trajekte werden mobilisiert? Ob und wie nehmen unabhängige Radios legitimatorischen Bezug auf eine spezifische Modernität? Wie rechtfertigt sich im Einzelnen der Anspruch Netzwerke bilden zu können? Denn die Legitimationsfrage der medialen Trajekte ist eine symmetrische, der sich potentiell alle radialen Akteur_innen stellen müssen.

 

2.2.2.4 Theoriebaukasten V – Von Papiermaschinen zu Skripten

Wie lassen sich die Flugbahnen des Radios nun weiter für den Blick auf unabhängige Radios operationalisieren? Wie ihr Drama über eine deskriptive Darstellung hinaus und hin zu den bisher erarbeiteten infralinguistischen Konzepten führen? Ohne sich an einer linearen und synchronen Zeitlichkeit zu orientieren, bietet ANT ein zirkuläres Beobachtungsprogramm, welches es ermöglicht Trajekte innerhalb eines Settings zu rekonstruieren. Davon wurden bisher jedoch erst zwei Phasen benannt, nämlich der Moment einer Problemzuschreibung (Askription) und die davon abgeleiteten Einschreibungen von Alternativen (Inskription) (vgl. 2.1.1.3.). In den historischen Exkursen dieses Kapitels wurde dies exemplarisch an den veranschlagten Modernisierungsnarrativen deutlich. Doch die so entworfenen Radiomodelle wurden auch realisiert und dauerhaft (innerhalb des Betrachtungszeitraums) in einen operativen Gebrauch versetzt. Aus Papiermaschinen waren scheinbar Medien geworden.

Doch scheinbar muss es deshalb heißen, weil es keine verallgemeinerbaren zeitlich klaren Vorgängigkeiten gibt, keine lineare Kette zwischen einer Idee, einem Prototyp und einem Medium namens Radio. Dieses Verständnis, das erneut die Dichotomie von Objekt (Idee, Prototyp, seriell produzierter Apparat) und Subjekt (Erfinder, Entwickler, Nutzer) unterläuft, wurde innerhalb der ANT-Studien bereits früh in der Diskussion um sogenannte »technische Objekte« deutlich, die verstanden wurden als »la mise en forme et la mesure d'un ensemble de relations entre des éléments tout-à-fait hétérogènes«.572

Auch wenn ich den Begriff technisches Objekt für die Analyse wegen seiner ontologisch problematischen Disposition (die erneut implizierte Frage nach dem Subjekt) nicht verwenden werde, lohnt es sich, ihn einen Moment lang auf das Setting zu beziehen. Denn in weiten Teilen folgt mein Konzept von Radiomedien den objets techniques. Das vorangegangene Kapitel beschreibt perspektivisch dann einen Konkurrenzkampf unterschiedlicher Trajekte des technischen Objekts Radio. Deutlich wird erneut, dass sich anhand der verschiedenen Trajekte zeitliche Bezüge linear konstruieren lassen, diese jedoch auch punktuell aufgelöst werden können. Wenn sich FM-Sender beispielsweise als nächsten Schritt in der Evolution von AM-Sendern verkaufen, so koexistieren beide Trajekte dennoch auch im 21. Jahrhundert noch immer in ihrem Gebrauch. Oder anders gesagt, die den FM-Sendern von einem (technisch reduktionistische Standpunkt aus) »eingeschriebene« Höherentwicklung hat sich nicht realisiert, beziehungsweise als Ablösung der AM-Radios nur teilweise stabilisieren können. Konzeptuell blitzt hier die Frage nach einem oder mehreren Autor_innen auf. Wer schreibt etwas ein und was wird da eigentlich geschrieben?

Solange sich ANT-Studien vor allem dem Bereich der Techniksoziologie widmeten, waren Autor_innen zunächst immer Techniker_innen, Designer_innen, oder explizit männlich konnotierte Innovatoren - system builders also

»mit besonderem Geschmack, besonderen Kompetenzen, Motiven, Zielen, politischen Vorurteilen und vielem anderen […] Ein großer Teil der Arbeit von Innovatoren ist der des »Inskribierens« dieser Vision der Welt (oder der Vorhersage darüber) in den technischem Inhalt des neuen Objekts.«573

Das Endprodukt dieser Arbeit wird dann als »Skript« bezeichnet, dass »ähnlich wie ein Filmskript den Rahmen einer Handlung zusammen mit den Akteuren und dem Raum, in dem sie agieren sollen«574, vorgibt. Bereits diese Art Autor_innenschaft war jedoch eingeschränkt, denn es konnte immer vorkommen, dass andere Akteur_innen die ihnen im Skript zugedachten Rollen ablehnen würden. So bleiben beispielsweise digitale Radios bisher weiterhin eine Papiermaschine, die sich noch nicht in einer Konfrontation mit potentiellen Benutzer_innen realisiert.

Um den starren Blick von den system builders zu lösen, denen analytisch beim in die Welt kommen von Medien zudem eine problematische weil exponierte Schöpferrolle zukommt, ist es nur folgerichtig, in jüngeren Arbeiten der ANT die Idee einer Ko-Autor_innenschaft zu stärken. Denn Medien werden sowohl »in ihrer Entwicklung, Entstehung, Konstruktion [und] Benutzung«575 realisiert und stabilisiert.

Ganz ähnlich dem Konzept von boundary objects576 wird der »Graben zwischen Projekten und Sozialem auf der einen und Objekten und Machinen auf der anderen Seite« zugeschüttet und ein »Feld der Verteilung von Realisierung und Konkretisierung« entfaltet.577 Auch Ideen und Skizzen werden somit explizit Teil heterogener Akteur_innen-Netzwerke und verbinden sich in hybriden Konstellationen mit weiteren Entitäten. »Modernität« zum Beispiel ist nicht länger nur ein Konzept sondern wird ein_e Mitspieler_in, ein_e silent actor/actress vielleicht, der/die jedoch viele Synchronstimmen findet, als Modernisierungswerkzeug, Wegbereiter der Moderne, etc. Damit vorgestellte Akteur_innen außerhalb des eigenen Skripts (z.B. veraltete, vormoderne Medien) können dann auch als legitimierender Teil eines Bauplans gelesen werden.

Skripte beschreiben keine rein menschliche Autorenschaft, sondern vielmehr einen »Übersetzungsprozess«, also den »dauernde[n] Versuch, Akteure in ein Netzwerk einzubinden, indem sie in Rollen und Interessen übersetzt werden, d.h. indem ihre Interessen abgeglichen und gemeinsam ausgerichtet werden«.578 Skripte enden also nicht in der Phase des Einschreibens sondern begründen vielmehr eine spezifische »zirkulierende Referenz«579 von, in diesem Fall, Medien. Die der Inskription folgende analytische Fortschreibung wurde weiter oben bereits mehrfach genannt, nämlich die Realisierung von Skripten, die auch deren Fortschreiben und Modifikation umfasst. Unterschieden werden in der ANT zunächst allgemein ein »enrolement«, d.h. die »Entstehung eines zunächst hypothetischen Netzwerks«, dessen Zustandekommen davon abhängt, »ob die beteiligten Akteure die ihnen zugeschriebenen Rollen auch tatsächlich übernehmen«.580 Für das Setting wird dazu analog eine Präskription unterschieden. Diese Operationalisierung der Beobachtungstheorie nimmt in den Blick, ob die unterschiedlichen Akteur_innen ihnen zugeschriebene, für ein Medienmachen legitimierende Rollen übernehmen aber auch, ob und wie diese Rollen gegebenenfalls modifiziert werden.

Neben einer hypothetischen Realisierung des Skripts erstreckt sich dieses auf eine weitere vierte Phase, die als Mobilisierung bezeichnet wird. Diese beruht auf der analytischen Prämisse, dass »[e]in Netzwerk erst dann entstehen [kann], wenn Entitäten, die als Sprecher oder Delegierte für andere agieren, geschaffen und wenn sie in möglichst großer Zahl mobilisiert werden können.«581 Delegieren schließt hier immer auch die Rollenzuweisung an nicht-menschliche Akteur_innen mit ein.582 Solche rollenteiligen Mobilisierung lassen sich empirisch nachweisen, sobald ihre veränderte Wirksamkeit eine gewisse Dauerhaftigkeit erreicht. Das Radiomedium im Gebrauch muss ein beobachtbares Signal senden um als »stabilisierte Gesellschaft«583 gelten zu können.

Dieses analytische Moment ist für die Operationalisierung des auf der Beobachter_inneneben »mobilisierten« Legitimationskonzepts deshalb so bedeutsam, da hier nachvollziehbar der Ausstieg aus einer rein normativen Begriffsbildung gelingt. Auch um den Verdacht einer impliziten Asymmetrie zu entkräften, wird so die Schnittstelle zu den Ethnotheorien der Akteur_innen geschaffen. Ethnotheorien beziehen sich hier ebenfalls auf vollständige Skripte, die über die Phase der Inskriptionen hinausführen und auch die Realisierung medialer Anerkennungswürdigkeit einschließen.

In Skripten findet analytisch also die Prozesshaftigkeit von Akteur_innennetzwerken ihren Ausdruck, die bisher nur in Konstellationen zueinander beschreibbar waren. Damit können nun auch technikhistorische Meilensteine, die in ihren Beziehungen zueinander bisher unscharf waren,  genauer betrachtet werden und zwar in ihren nicht-linearen loops, d.h. allen von system builders nicht vorhersehbaren Modifikationen. Auf der Ebene des Beobachteten können auf diese Weise die für die Forschungsfrage relevanten Bezüge herausgearbeitet werden. Ehemals unveränderliche »mobile Elemente«584 lassen sich als black boxes in ihrer vernetzten und zeitlichen Konstituiertheit sichtbar machen und innerhalb einer Kette nachvollziehbar in ihrer Prozesshaftigkeit beschreiben.

Auf der Ebene des Settings ist die empirische Auseinandersetzung mit der Mobilisierung zunächst noch Teil der Präskription, da dort, wie schon gesagt, auch die Veränderung zugewiesener Rollen erfasst wird. Die Reflexivität des Settings generiert sich darüber hinaus jedoch in einer spezifischen vierten Phase, der Deskription, in der »Inskription und Präskription in einem Text zu einer wissenschaftlichen Beschreibung«585 zusammengeführt werden. Im Rahmen der Exkurse ist dies in diesem Kapitel bereits exemplarisch geschehen. Für die Forschungsfrage erfolgt diese Operationalisierung explizit in den folgenden beiden Kapiteln. In den Blick genommen werden bezüglich der medialen Trajekte vor allem die Einbindung von FM-Radiosendern in die Akteur_innennetzwerke unabhängiger Radio-Ensembles ab den 1980er Jahren sowie die Bezugssetzung dieser Medien zu anderen (z.B. den Trajekten des Internets).

Bevor diese Skripte nun endlich entfaltet werden, wird das folgende Unterkapitel jedoch noch eine_n weitere_n asymmetrische_n Makroakteur_in oder besser gesagt Agentur zu Fall bringen, nämlich die sogenannte »Regulierung« von Medien. Denn regulierende Agenturen beeinflussen ja auf spezifische Weise auch die Inskription und Realisierung von Radios – und bilden eine ständige Reibungsfläche für deren gesellschaftliche Legitimierung.

 

2.3. Regulierungen

Das bisherige Mapping des brasilianischen Rundfunks hat gezeigt, dass sich dieser in den radialen Mediationen vielfältiger Akteur_innen realisiert. Auch die Regulierung dieses Medienmachens geht nicht auf eine zentrale media policy zurück, sondern ist Ausdruck komplizierter gesellschaftlicher Aushandlungen. Wie bereits einführend dargestellt (vgl. 1.3.), ist die Arbeit durchaus daran interessiert differenziert die Regelaufstellung, -durchsetzung und -sanktionierung von und für Radiomedien zu betrachten, kritisiert jedoch gleichzeitig die Auffassung von Regulierung in ihrer  staatliche-formalen Dimensionierung als asymmetrisch, da auf diese Weise vielfältige Akteur_innen und Handlungsprogramme verunsichtbart werden.

Das folgende Kapitel wird deshalb die Regulierung von Radios analytisch umfassender analysieren. Dabei orientiere ich mich zunächst an den formalen nationalen Regulierungsagenturen der Verfassung, Gesetzen, Normen, Dekreten, etc. (2.2.3.1.), wobei jeweils auch genealogisch die Entstehung dieser Regulierungsrahmen, ihre Widersprüche und ihr spezifisches Verhältnis zu unabhängigen Radios betrachtet wird. Anschließend erfolgt eine erste explorative Annäherung an beschriebene extralegale und versteckte Regulierungen (2.2.3.2.), soweit die gesichtete Literatur dies zulässt. Vermittels dieser beiden analytischen Bewegungen wird deutlich werden, dass die fehlende Kritik und der enge Fokus auf staatliche Regulierungen zum einen bestehende asymmetrische Regeln in ihrer Legitimation reproduzieren hilfen. Darüber hinaus wird die unterkomplexe Behandlung »informeller« Regulierungsagenturen zeigen, wie notwendig eine weitere empirische Bearbeitung dieses Teils des radialen Akteur_innen-Netzwerks ist, um die Frage nach der gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit von Radiomedien in allen ihren Vermittlungen beantworten zu können.

 

2.3.1 Verfassungen, Gesetze, Normen, Dekrete – und ihre Anwendung

(1) Die Nutzung von Radiofrequenzen findet explizit erst von der vierten brasilianischen Verfassung von 1937 an Erwähnung.586 Dennoch sind bereits in der Konstitution von 1934 zwei strittige Dynamiken verankert, die die Regulierungsdebatte bezüglich des Radiomachen nachhaltig beeinflussen sollten, zum einen die Zensur von Medien, zum anderen der Anspruch der Bundesregierung allein für die Regulierung von Presse und Rundfunk verantwortlich zu sein – ein klarer Bruch mit dem ab 1891 gewehrten Mitspracherechts der einzelnen Bundesstaaten.587 Hervorzuheben ist ebenso die in der Verfassung von 1946 formulierte Einschränkung von Eigentumsrechten zugunsten einem »gesellschaftlichen Gemeinwohl«, dass sich in einer »gerechten Verteilung« und »gleichen Möglichkeiten für alle« begründete und damit auch die legitime Nutzung von Radiofrequenzen tangierte.588 Bereits vor, aber besonders nach dem Militärputsch von 1946 wurden jedoch viele solcher Garantien missachtet, mit der Verfassung der Diktatur von 1967 dann gänzlich außer Kraft gesetzt.589 Erst die Konstitution von 1988 schlägt den Bogen zurück zu einer demokratischen Nutzung des elektromagnetischen Spektrums, indem es jegliches Eigentum an eine spezifische »gesellschaftliche Funktion« koppelt und damit auch die konzessionierte oder genehmigte Nutzung von Radiowellen mit einer sozialen Verpflichtung verbindet.590 Zudem werden jedwede zensurierenden Praktiken geächtet, die Bildung von Monopolen verboten, die Konzessionierung von Medien dem Kongress unterstellt und die Komplementarität von privatem, staatlichem und öffentlichem Rundfunk gefordert.591

Dennoch schreiben sich auch in dieser aktuellen Verfassung zwei für das unabhängige Radiomachen äußerst relevante Kontroversen fort. Eine erste betrifft zunächst die Unterscheidung von Rundfunk und Telekommunikation. Bezüglich letzterer formulierte der Staat bereits 1891 einen Regulierungsanspruch, als er die Konstruktion und den Verkauf von Telefondienstleistungen als Kompetenz an die einzelnen Bundesstaaten delegierte.592 Der erst vier Jahrzehnte später manifestierte (und in der Konstitution von 1946 klar unterschiedene) Anspruch der Rundfunkregulierung  wurde dann in der Verfassung von 1967 zugunsten des generischen Begriffs Telekommunikation aufgegeben. Auf diese Weise wurden unterschiedliche Dienstleistungen direkt der militärisch-zivilen Rechtsprechung unterstellt, die die strikte Regulierung aller Telekommunikations-Agenturen im Namen der nationalen Sicherheit legitimieren sollte.593 Dass die Verfassung von 1988 erneut zwischen Rundfunk und Telekommunikation unterscheidet, wird deshalb mehrheitlich als »elementar« für eine demokratische Regulierung erachtet. Kritisch wird zu dieser Trennung jedoch auch angemerkt, dass dadurch die (oligopolistischen) Interessen nationaler kommerzieller Rundfunkunternehmen vor einer Internationalisierung – und möglichen Pluralisierung – des brasilianischen Telekommunikationsmarkts geschützt werden.594 Außerdem sei die in der Trennung angelegte parlamentarische Kontrolle des Rundfunks bei der Vergabe von Konzessionen und Genehmigungen kein Garant für eine demokratische Regulierung, solange »ein Drittel aller brasilianischen Parlamentarier Konzessionen für sich oder Freunde und Verwandte« reserviert.595

Während hier bereits die Frage nach dem Verhältnis der Verfassung zu weiteren Gesetzen bzw. fehlenden Regulierungen anklingt, ist eine weitere Kontroverse direkt im Verfassungstext angelegt, nämlich die einer Grenzziehung zwischen Zensur und einer demokratischen Regulierung von Inhalten. Letztere sei orientiert an einem Schutz der Gesellschaft vor den Medien, entlang der vom Staat erarbeiteter Richtlinien, im Rahmen einer demokratischen Verfassung.596 Auch wenn Zensur in ihrer Ausrichtung meist als Eingriff in die inhaltliche Dimension von Kommunikationsprozessen verstanden wird, waren die restriktiven Eingriffe der Militärdiktatur zum »Schutz der nationalen Sicherheit« nicht an einer systematischen Regulierung der Inhalte orientiert, sondern setzten neben pauschalen Verboten und »physischen Aggressionen« auch auf die Schließung von Medien.597 Die aktuelle brasilianische Verfassung von 1988 garantiert in Artikel 5 IX, dass »der Ausdruck intellektueller, künstlerischer und wissenschaftlicher Aktivitäten sowie der Kommunikation frei ist, unabhängig von Zensur oder Lizenzen«. Diese Garantie wird jedoch in Artikel 223 relativiert, in dem es heißt: »Es obliegt der exekutiven Gewalt Konzessionen, Genehmigungen und Autorisationen für den Rundfunkdienst […] zu erneuern, unter Beachtung des Prinzips der Komplementarität […]«. Darin lässt sich ein Widerspruch erkennen, da damit, entgegen Artikel 5 (und auch Artikel 220) der Verfassung die »Meinungs- und Informationsfreiheit« im elektromagnetischen Spektrum eingeschränkt wird.

Es ist vor allem die zweite Kontroverse, die in Relation zu einem unabhängigen Medienmachen besprochen wird. Neben den bereits erwähnten Widersprüchen, wird entgegen dem in Artikel 223 manifesten, universellen staatlichen Regulierungsanspruchs im Rundfunk, wird angeführt, dass eigentlich die Freiheit von Regulierung den Regelfall bilden müsste und jede Einschränkung dieser ihre gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit explizieren sollte.598 Dieses Prinzip sehen verschiedene Autor_innen im Artikel 13 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (Pakt von San José) begründet, die Brasilien bereits 1969 unterzeichnete und die seit 1998 auf Verfassungsebene Teil des nationalen Rechts geworden ist.599 Darüber hinaus wird auch auf das Recht auf Kommunikation rekursiert, das als universelle Garantie über der brasilianischen Verfassung stehe600 bzw. das Recht auf Antenne, das Meinungsfreiheit nicht als individuelle Garantie sondern als diffuses Recht der brasilianischen Bevölkerung rekonstruiert.601 Schließlich ist auch ein nicht geklärter Kompetenzkonflikt zu nennen, der sich aus dem exklusiven Regulierungsanspruch der Bundesregierung ableitet (vgl. Artikel 21 XII a)) und Bundesstaaten sowie Kommunen die Möglichkeiten nimmt, eigene Mediengesetze zu entwickeln.602

Die aktuelle brasilianische Verfassung askribiert zweifellos die Notwendigkeit vorherige konstitutionelle Aussagen zur Medienregulierung an rechtsstaatliche Standards anzugleichen. An dem verfassungsgebenden Prozess war die Zivilgesellschaft beteiligt und zumindest teilweise wurden auch deren medienpolitische Skripte berücksichtigt.603 Doch auch wenn diese Inskriptionen eine »wichtige Flexion« autoritären Agenturen der Rundfunkregulierung darstellt, »existieren diese fort und erfinden sich anschließend neu«604

(2) Solcherlei Agenturen generieren sich vor allem auf einer konkreteren rechtlichen Ebene, nämlich spezifischen Gesetzen, die die weitere Regulierung des Radiomachens anleiten. In historischer Rückschau ist zunächst zu bemerken, dass Medien im weiteren Sinne bereits seit 1808 gesetzlich reguliert wurden, als die erste Pressegesetzgebung in Kraft trat.605 Ein umfassendes, eigenständiges Mediengesetz wurde jedoch erst 1962 verabschiedet, bis dahin regulierten vor allem einzelne Erlässe und Dekrete das Medienmachen (vgl. Kap. 2.1.1.1.). Anders als das während der Militärdiktatur verabschiedete Pressegesetz, das inzwischen nicht mehr in Kraft ist, hat der Código Nacional de Telecomunicação (CNC) von 1962 bis heute in weiten Teilen seine Gültigkeit bewahrt.606 Dabei zeigt sich immer wieder, dass der CNC in seiner Rechtstradition oftmals unvereinbar mit der Verfassung von 1988 ist und sich zugleich mit dem neueren Allgemeinen Telekommunikationsgesetz von 1997 (das die bereits erwähnte, wiedereingeführte Trennung von Rundfunk und Telekommunikation betrifft) und dem ein Jahr später verabschiedeten Community-Radio-Gesetz reibt.607 

Die allgemeine Friktion im Verhältnis zur Verfassung entsteht, weil deren Prämissen oftmals nicht vollständig in Handlungsprogramme und Agenturen übersetzt werden, d.h. ihr vorgängige oder folgende Gesetze die Grundrechte nicht weiter explizieren. Verfassungsartikel 220 beispielsweise, mit seinen wichtigen Aussagen zur Monopolbildung und journalistischer Informationsfreiheit erfahre »keine Umsetzung« und sei »weit davon entfernt angewandt« zu werden.608 Gleiches gilt für das in Artikel 223 formulierte Gebot der Komplementarität, das in der Gesetzgebung nirgends aufgegriffen wird und in der Praxis in krassem Widerspruch zur extremen Eigentumskonzentration kommerzieller Medien im Rundfunksektor steht.

Ein weiterer gewichtiger Streitfall betrifft die gesetzlich vorgesehene Sanktionierung von Verstößen gegen die legale Ordnung. Vor allem bei der Strafverfolgung nichtgenehmigten Radiomachens werden häufig Artikel aus dem CNC von 1962 und dem neueren Telekommunikationsgesetz von 1997 zitiert, die »klandestine Telekommunikationsaktivitäten« beziehungsweise die ungesetzliche »Installation und Nutzung von Telekommunikation« betrifft und dafür Geldstrafen (bis zu 10.000 BRL) und Gefängnisstrafen zwischen zwei und vier Jahren vorsehen.609 Doch die Anwendung dieser Artikel erscheint rechtlich betrachtet auf zweifache Weise problematisch. Zum einen ist zu fragen, inwiefern nichtgenehmigtes Radiomachen als telekommunikativer Verstoß gelten kann, wenn doch beide Aktivitäten voneinander unterschieden werden.610 Zum anderen definiert das Community-Radio-Gesetz in Artikel 2, dass nur dann andere legale Texte auf RadComs angewendet werden sollen, wenn deren spezifisches Gesetz zu einem bestimmten Tatbestand keine Aussage trifft. Doch das Lei 9612/98 definiert die Missachtung seiner regulativen Standards bereits als mit Bußgeldern zu ahndende Ordnungswidrigkeiten (infrações), weshalb eine Strafverfolgung eigentlich auszuschließen wäre.

Neben dem anhaltenden Disput über diese Nichtbeachtung des RadCom-Gesetzes, leitet auch der Gesetzestext selbst vielfältige Restriktionen und eine Reihe von Regulierungen an, die in ihrem Verhältnis zu einem spezifischen Gemeinwohl mindestens ambivalent, oft aber auch problematisch sind. Zu nennen sind der bereits erwähnte Nichtschutz vor Interferenzen anderer Sender, der allen übrigen Rundfunkakteur_innen gewährt wird, sowie das ebenfalls unbegründete Verbot der Netzwerkbildung.611 Ebenfalls diskussionswürdig bleibt die pauschale Begrenzung der Sendestärke auf 25W und der Antennenhöhe auf 30 Meter. Auch wenn RadCom-Verbände (wie wir noch sehen werden) ihre Beschreibung als Radios mit geringer Sendestärke ablehnen, wird ihnen selbst im Rahmen dieser Definition nur ein Zehntel der dafür in Brasilien vorgesehenen Wattzahl zugestanden, was – bildhaft gesprochen -  »der Formalisierung eines Hühnerstalls, eines Mini-Radios« gleichkommt.612 Auch die Zahl der RadComs wird auf verschiedene Art und Weisen gesetzlich bereits a priori gedeckelt. Dies geschieht zum einen durch die enge geographische Definition von comunidade und der strikten Regel, dort nur ein RadCom (und ausschließlich im UKW-Band) legalisieren zu können, weshalb das Gesetz »nicht gerade eine ideale Antwort in Bezug auf eine Demokratisierung der Kommunikation und eine Ausweitung des Zugangs zum Rundfunk« darstelle.613 Erschwert wird das Radiomachen schließlich auch durch das Verbot den Sendebetrieb anteilig durch Radiowerbung zu finanzieren, bzw. der erschwerten Zahlung möglicher Bußgelder.614 Die Konstellation dieser Artikel erzeuge eine »Serie von bürokratischen Anforderungen, um eine Genehmigung für ein Community Radio zu erhalten, die dazu führen, dass ein guter Teil der interessierten comunidades vom Zugang zum Spektrum ausgeschlossen wird«615

Es überrascht deshalb kaum, dass die kommerziellen Nutznießer_innen dieser Gesetzeslage sich mit Kritik zur Rundfunkregulierung zurückhalten, während Unternehmen im Telekommunikationssektor die legalen Rahmenbedingungen ihrer Aktivitäten als eine »Zwangsjacke« bezeichnen.616 Während dort eine Revision von Gesetzen und ihrer Begründung gefordert wird, schweigen die kommerziellen Medienakteur_innen im Rundfunkbereich, da »viele Institutionen die heute operieren, das Ergebnis komplexer, nicht vorhersehbarer und gesetzloser historischer Prozesse« seien.617 Wenn die aktuelle Gesetzeslage aus Sicht der Medienunternehmer_innen kommentiert wird, dann ausschließlich um den Ist-Zustand zu verteidigen, denn jegliche Veränderung wird pauschal als »linker Angriff (ataque esquerdista) auf die Meinungsfreiheit und einem Versuch erzwungener staatlicher Kontrolle der Presse« delegitimiert.618 Darin lässt sich durchaus eine Strategie erkennen, die historisch begründete asymmetrische Akteur_innenkonstellation im Rundfunk zu verteidigen.

Doch wie ich gezeigt habe, drückt sich aus Sicht unabhängigen Radiomachens eine adäquate gesetzliche Regulierung nicht unbedingt in einem Mehr an Artikeln aus. Vorgeschlagen wird, aus einer dem Freien Radiomachen affinen Perspektive, Konzessionieren und Genehmigen als zentrale Kennzeichen der Rundfunkregulierung aufzugeben und einen freien Zugang zu Radiowellen zu gewähren, wobei »die Rolle des Kommunikationsministeriums eine ausschließlich administrative seien sollte, die die Nutzung der Wellen diszipliniert und vermeidet, dass sich zwei oder mehrere Sender überlagern oder Interferenzen erzeugen«.619 Doch auch das Community Radiomachen vermeidet es, sich in seiner Anerkennungswürdigkeit ausschließlich auf Gesetze zu beziehen und kritisiert eine solche »positivistische Lesart«.620 »Es darf nicht bestraft werden, was die Gesellschaft als richtig ansieht«, heißt es, oder auch »wir müssen nicht warten, dass uns die Regierung gibt, was rechtens« ist.621

An dieser Stelle wird sehr anschaulich der Unterschied zwischen legalen Rahmenbedingungen und einer darüber hinausweisenden gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit von Radiomachen deutlich. Der Anspruch des Staates, als zentraler Legitimationshelfer Medien zu regulieren und »die Debatte in der Regulierung der Inhalte zu zentralisieren«622, scheint sich auf gesetzlicher Ebene jedoch in widersprüchlichen und konkurrierenden Handlungsprogrammen zu verlieren – das »Enrolement« bleibt unabgeschlossen. Statt eines neuen Mediengesetzes, wurden seit 1962 immer neue punktuelle Veränderungen eingeführt, die wie im exemplarischen Fall des Community-Radio-Gesetzes problematische Ungleichbehandlungen generieren und bestehende Asymmetrien bei der Nutzung des elektromagnetischen Spektrums verfestigen.

(3) Diese Tendenz schreibt sich auch in gesetzlichen Erlässen (portarias), Übergangsreglungen (medidas provisórias), Dekreten (decretos), Gesetzesverordnungen (decretos-lei) und der weiteren Normierung einzelner Gesetzestexte fort. Die Regulierung von Medien vermittels solcher legaler Akteur_innen (im Sinne von Mitteln und Mittler_innen) und von ihnen abgeleiteter Normen, Institutionen und Handlungsprogramme der Regeldurchsetzung und -sanktionierung sind quantitativ betrachtet der Normalfall der Medienregulierung. Sowohl im Kaiserreich als auch in den späteren Republiken setzte der Staat auf diese Weise autoritär Regulierungsansprüche um. Die Genealogie von Radiomediation nimmt ihren Anfang 1860 im imperialen Dekret 2614, das die ersten Telegraphendienste unter staatliche Regulierung stellte, setzt sich in den folgenden 20 Jahren fort, in der Definition von Telefonlinien als nur vom Staat zu regulierendes Staatseigentum und weitet sich schließlich 1917 auch auf die »Radiotelegraphie« und »Radiotelefonie« aus, deren Regulierung »exklusives Recht der Föderalen Regierung war.«623

 

Auch nach der Etablierung des Mediengesetzes von 1962 fand diese Praxis ihre Fortsetzung in zahlreichen punktuellen legalen Veränderungen624, ein nicht unumstrittenes Vorgehen, weil die von der Exekutiven dekretierten Modifikationen der Gesetze die rechtsstaatliche Gewaltenteilung unterlaufen. Auch die Verabschiedung von Erlässen oder Übergangsregelungen stellen Eingriffe dar, welche geltendes Recht ohne breite öffentliche Debatten justieren. Auffällig ist auch die hohe Zahl an rechtlichen Modifikationen im Lei 9612/98, dem Community-Radio-Gesetz. Dazu zählen u.a. zwei Übergangsreglungen zwei komplementäre Normenkataloge und sieben Erlässe, die nach dem Gesetz formulierte operative Normen und Regulierungen verabschiedeten.625

Diese inskribierten Konkretisierungen des RadCom-Gesetzes werden in der Literatur auf dreifache Weise in ihrer Legitimation herausgefordert. Eine erste Kritik betrifft die Frage, inwiefern spezifische Modifikationen oder Konkretisierungen der Gesetze adäquate Übersetzungen gesellschaftlicher Zielstellungen eines Mediums und notwendig für eine demokratische Regulierung sind. Die beiden erwähnten Übergangsreglungen aus dem Jahr 2001 beispielsweise veränderten den Genehmigungsprozess der RadComs, indem sie in dem bis dato gültigen Verfahrensweg der Weiterleitung eines Antrags zur endgültigen Entscheidung im Kongress eine abschließende Revision der Exekutive vorschaltete.626 Damit verdoppelte sich die Wartezeit bei der Bearbeitung der Anträge und die Zahl der erteilten Genehmigungen nahm ab, eine Entwicklung die es

»erlaubt zu fragen, ob die Prinzipien des öffentlichen Interesses und der Gleichheit zwischen den Bürgern nicht respektiert und die öffentliche Verwaltung für partikulare Interessen und die Verteidigung politischer Gruppen genutzt worden sind.«627

Eine weitere Forderung nach einer Legitimierung der aktuellen regulativen Handlungsprogramme betrifft die legalen Ungleichbehandlung, die sich ebenfalls in der Sanktionierung von gesetzlichen Verstößen nachweisen lässt. Während es in medial relevanten Gesetzestexten viele Prämissen gibt, die kaum oder gar nicht operationalisiert werden, leiten die oftmals durch Erlässe und Dekrete eingeführten komplementierenden Normen des RadCom-Gesetzes eine Vielzahl von Sanktionen an. Laut einer statistischen Erhebung des Kommunikationsministeriums aus dem Jahr 2012 richteten sich 377 (50,8%) von insgesamt 741 Sanktionen direkt gegen Community Radios, zum größten Teil wegen Verstößen gegen das Verbot Werbung zu senden.628 Diese im Normenkatalog 01/2011 vorgesehene strikte Kontrolle gehe auf die Einflussnahme »kommerzieller Sender« zurück und sei »Teil einer Verfolgung und Kriminalisierung durch die Bundesregierung«, werden Radiomachende zitiert.629 Zusätzlich intensiviert wurde die Kontrolle auch durch einen Erlass aus dem Jahr 2011 (Portaria 462) der erstmals genau den Begriff apoio cultural definiert und das Sponsoring von Radiosendungen in RadComs nur noch innerhalb enger Grenzen zulässt.630 Beide Dynamiken lassen sich durchaus als Illustration eines alten Vorwurfs verstehen, der besagt dass »Mechanismen der Konzessionierung als eine Art Zensur angewandt werden.«631

Schließlich ist zu fragen, inwiefern die Sanktionierung und das law enforcement gegenüber den RadComs eine adequate Übersetzung der Gesetze, Dekrete und Erlässe vornimmt. Dazu sind bereits viele Hinweise gesammelt worden. Ich möchte hier jedoch kurz auch explizit auf den problematischen Einsatz der Bundespolizei (PF) bei der Schließung von unabhängigen Radios eingehen. Zunächst ist ein historische Kontinuität herauszustellen, denn die PF erhielt im Rahmen der Konstitution von 1946 nicht nur verfassungsrechtliche Anerkennung, sondern »Gemeinsam mit ihr, eine ihrer Missionen, die Zensur aller Medien und öffentlichen Aufführungen des Landes.«632 Für das Jahr 1977 ist ein außerhalb des »juristischen Rahmens« (der militärisch-zivilen Diktatur) massiver Polizeieinsatz dokumentiert, bei dem über 50 Sender entweder versiegelt oder geschlossen wurden.633 Der heutige Einsatz der PF schreibt sich in eine ambivalente Tradition des brasilianischen Verwaltungsrechts ein, das sich spätestens ab 1917 offen am Konzept der »nationale Sicherheit« orientiert.634

Abgesehen von der Frage der Vermittelbarkeit dieses Konzepts mit rechtsstaatlichen Garantien im Bereich der Meinungsfreiheit, ist der Einsatz der PF auf Anforderung der Regulierungsbehörde ANATEL Sender ohne Genehmigung zu schließen, nicht unumstritten. Bekannt sind durchaus Fälle, in denen die PF ihre Beteiligung ablehnte, da die technischen Analysen der Regulierenden die Notwendigkeit eines polizeilichen Handelns zum Schutze der allgemeinen Ordnung »weder mit Ja noch mit Nein beantworten« könne.635 Eingefordert wird an dieser Stelle ein empirischer Nachweis gefährlichen Handelns und kein allgemeiner Verweis auf eine ambivalente Gesetzeslage, laut der (rechtlich besehen) offen bleibt, ob eine Radiomachen ohne Genehmigung den Tatbestand eines »Verbrechens« erfüllt. Schließlich lässt sich (nicht nur) aus Sicht der Polizei fragen, ob es angesichts eines oft »zahlungsunfähigen Staatsapparats, Gewaltindexen die über denen vieler Kriege liegen« angemessen sei, »beachtliche Summen für die Schließung von Community Radios, die unter dem Verdacht der Piraterie stehen« auszugeben.636 Hier wird das legale Handeln direkt mit einem legitimem Aktionsradios der PF in Bezug gesetzt.

Die Mobilisierung der Rundfunkregulierung im Rahmen von Verordnungen und ihrer Durchsetzung weist in ihrer Anerkennungswürdigkeit Inkohärenzen auf und operationalisiert in gewisser Weise die bereits auf der Ebene der Verfassung und Mediengesetze monierten Probleme. Der Regulierungsanspruch ist am schlüssigsten im Moment der allgemeinen Problemdefinition definiert, sowohl in historisch kritischer Betrachtung als auch in den wiederholten Versuchen, die bestehenden Beziehungen, Akteur_innenrollen und Agenturen konstitutionell zu modifizieren. Doch die bereits in der Verfassung latent unvollständig explizierten Inskriptionen, das unvollständige enrolement und die ambivalenten Mobilisierungen scheinen keine adäquaten Übersetzungen anzuleiten und gefährden die Einhaltung verfassungsrechtlicher Garantien.

Stabilisiert wird die Umsetzung, Einhaltung und Sanktionierung der rechtlichen Ordnung demnach von einem widersprüchlichen Regulierungsrahmen und, falls nötig, dem Rekurs auf das Gewaltmonopol des Staates zu dessen Durchsetzung. Auch dem brasilianischen Staat sind diese Einwände nicht unbekannt, sie wurden im Rahmen der 2009 ausgetragenen Nationalen Kommunikationskonferenz (Vgl. EN 365) noch einmal komprimiert vorgetragen. Sowohl bezüglich dieser vielen loose ends, als auch hinsichtlich der demokratisch problematischen Fortschreibung der Medienregulierung in Form von Dekreten und Erlässen, sollte ein Präsidialdekret im Jahr 2010 entscheidende Veränderungen einleiten. Eine interministerielle Kommission sollte Studien und Vorschläge für eine »Revision des Regulierungsrahmens der Organisation und Nutzung der Telekommunikation- und Rundfunkdienste« ausarbeiten.637 Regierungserklärungen aus dem Jahr 2013 haben eine konkrete öffentliche Debatte jedoch für frühestens 2015 veranschlagt.638

 

Damit bleibt die regulative Grundlage des Medienmachens in Brasilien in ihrer Legitimation prekär und angreifbar. Trotz aller kontingenten Asymmetrien, zeigt sich zugleich eine besondere Stabilität der aktuellen Regulierungsagenturen, die in ihrem Zustandekommen über den generischen Hinweis des Lobbyings kommerzieller Medienakteur_innen hinaus, bisher nicht weiter untersucht wurde. Welche Regulierungsagenturen konkret oder ansatzweise in der Literatur zum brasilianischen Rundfunk beschrieben werden, soll deshalb im abschließenden Teil dieses Kapitels dargestellt werden.

 

2.3.2 Versteckte Regulierungen

Als Versteckte Regulierungen definiere ich allgemein alle Agenturen und Handlungsprogramme, die unabhängiges Radiomachen in seinem operativen Gebrauch beeinflussen, ohne dass dies in Gesetzestexten explizit vorgesehen wäre. Ich werde nicht von formell und informell sprechen, um die in dieser Dichotomie latent reproduzierte Unterscheidung von Makro- und Mikroakteur_innen zu vermeiden. Stattdessen gehe ich explorativ vor und suche im Material nach Beschreibungen, die Bewegungen und Beziehungen andeuten, die über den gesetzlichen Regulierungsrahmen hinausweisen, durchaus aber mit diesem verflochten seien können (und sei auf Grund der von ihm definierten und rekrutierten Akteur_innen). So würde beispielsweise das im USA der 1920er Jahre von privaten Lizenznehmer_innen praktizierte eigenständige Aufspüren und Melden von »unauthorized tranmissions (»piracy«)« an die Regulierungsbehörden ein regulatives Handlungsprogramm beschreiben, dass die Grenzen sichtbar/unsichtbar, formell/informell, legal/extralegal ad absurdum führt.639

Für das Radiomachen in Brasilien sind in der gleichen Epoche selbstorganisierte gentleman agreements zwischen Sendenden erwähnt (vgl. EN40), die eine störungsfreie, gemeinsame Nutzung des Spektrums gewährleisteten. Neben solchen regulativen Initiativen, die auf eine freie und plurale Nutzung der Radiowellen abzielte, sind jedoch auch mediale Handlungsprogramme dokumentiert, die in der Literatur unter dem Begriff »Selbstzensur« zusammengefasst werden. Der allgemeine Bogen, der von einem selbstgewählten Verzicht der freien Meinungsäußerung im kolonialen Brasilien des 16. Jahrhundert bis hin zum strategischen Schweigen der Presse während der zivilen-militärischen Diktatur geschlagen wird, lässt jedoch keine genaueren Rückschlüsse auf die Reguliertheit dieser Handlungsprogramme zu.640 Aufschlussreicher ist dagegen der Hinweis, dass bei der medialen Selbstzensur zwischen 1964-1985 sowohl individuelle oder redaktionelle Strategien des Selbstschutzes aber auch Momente aktiver »Kooperation« thematisiert werden.641

Betroffen waren und sind von solcherlei Konfigurationen auch die Sichtbarkeit repressiver Regulationen außerhalb des gesetzlichen Rahmens. Dazu gehören neben Polizeieinsätzen ohne richterliches Mandat auch physische Übergriffe, bis hin zu Folter und Mord.642 Diese Handlungsprogramme lassen sich keineswegs nur bis 1985 dokumentieren. Ein Bericht über die Gewalt gegen Journalisten in Brasilien aus dem Jahr 2011 zählt beispielsweise 60 Übergriffe insgesamt, davon 24 verbale oder physische Aggressionen, zehn Drohungen, sechs Morde, drei Attentate, sieben Fälle von Zensur und juristischer Anzeigen sowie drei Fälle von Festnahmen und Folter.643 Ergänzend werden nach wie vor auch Agenturen der Selbstzensur benannt.644 Als weitere konstante Handlungsprogramme mit regulativen Effekten werden außerdem spezifische »ökonomische Ausschlüsse« oder im Fall kommerziellen Radiomachens die als »jabá« bekannte finanzielle Einflussnahme der Musikindustrie auf die im Radio gespielten Stücke erwähnt.645

Auch wenn sich bei allen genannten Agenturen eine latente Kontinuität andeutet, wird diese in der Literatur analytisch meist nicht weiterverfolgt, was sicherlich auch dem asymmetrischen Fokus auf formeller Regulierung geschuldet ist.646 Die Betrachtung unabhängigen Radiomachens ist davon ebenfalls betroffen, oftmals bleiben die Beschreibungen deskriptiv. Eine Ausnahme bildet das Konzept des coronelismo eletrônico, ein Versuch »politische Praktiken« zu explizieren, die vor allem bezüglich der RadComs entscheidenden regulativen Einfluss haben und immer auch über die formellen und sichtbaren regulativen Ränder hinausweisen.647 Eine erstes solches Handlungsprogramm lässt sich im stark formalisierten Genehmigungsprozess ausmachen, den RadComs durchlaufen müssen, um senden zu können. Auf diese Weise wird der allgemeine Anspruch auf Radiomachen, der allen brasilianischen Gemeinden zusteht, de facto eingeschränkt. Zum einen kann dieses Recht praktisch nur geltend gemacht werden, wenn das Kommunikations-ministerium eine Ausschreibung für neue Genehmigungen veröffentlicht.648 Zum anderen seien die zu erfüllenden Auflagen so komplex, dass sie in der Literatur als »bürokratische Hürden« beschrieben werden, die die »Erfolgsquoten für eine Anerkennung gering« halten – »80% der Ablehnung von Anträgen erfolgt aus bürokratischen und nicht aus technischen Gründen.«649

Während diese Art »versteckter Regulierung« zumindest »auf dem Papier« sichtbar bleibt, wo Fristen und Auflagen formuliert sind, beschreibt der coronelismo eletrônico auch zwei weitere regulative Agenturen politischer Kontrolle, die sich nur schwer visualisieren lassen. Eine erste betrifft die sogenannte »Duplizität von Genehmigungen« (duplicidade de outorgas), womit die Vergabe von Lizenzen von mehr als einer Sendegenehmigung an eine Person gemeint ist, die in den Vorständen von einem oder mehreren RadComs, sowie kommerziellen oder edukativen Radios präsent ist.650 Durch diese personellen Überschneidungen bei der Organisation von Medien ist die ohnehin prekäre plurale Nutzung und der Zugang zu Radiofrequenzen potentiell gefährdet. Auch wenn die Zahl der dokumentierten Fälle tendenziell abnimmt, bleibt weiterhin offen, ob das Handlungsprogramm der Duplizität auf eine zu große »Nachsicht« im Kommunikationsministerium oder auf aktive politische Mediationen zurückzuführen ist.651

Dafür, dass die Vergabe von Radiolizenzen und -genehmigungen in Brasilien „noch immer politisch“ motiviert ist, sprechen eine Vielzahl von Indizien. Dokumentiert sind RadComs (oder auch andere Sender) an deren Leitung gewählte Politiker_innen aller drei bundesstaatlichen Ebenen bzw. deren Verwandte oder von ihnen eingesetzte Strohpuppen (laranjas) beteiligt sind, obwohl das Gesetz solcherlei Beteiligungen verbietet.652 Über diese Beteiligungen hinaus wird zudem von »politischen Paten« (padrinhos políticos) gesprochen, welche aktiv in die Rundfunkregulierung eingreifen, erneut vor allem im Moment des Genehmigungsprozesses. Dabei soll ein seit dem imperialen Brasilien dokumentiertes Handlungsprogramm zum Tragen kommen, welches als Tauschmünze (troca de moeda) bezeichnet wird und zunächst als offener oder verdeckter Stimmenkauf für politische Wahlen, vermittels Geldzahlungen oder aber der Vergabe von Land organisiert wurde und später um die Vergabe von Rundfunklizenzen und -genehmigungen als Gegenleistungen erweitert wurde.653 Als sichtbare Hinweise auf die mögliche Existenz solcherlei Agenturen lassen sich Zahlen anführen, die besagen, dass beispielsweise die 1010 Community Radios die 2003 und 2004 bei ihrer Antragstellung offiziell von Politiker_innen unterstützt wurden, mit 35,34% eine deutlich höhere Erfolgsquote hatten als jene 1822 Sender ohne eine solche Unterstützung, von denen nur 8,01% eine Genehmigung erhielten.654 Weitere Hinweise auf politische Einflussnahmen, lassen sich auch aus den formell nicht zu erklärenden »unterschiedlichen Geschwindigkeiten« ableiten, die bei der Antragsbearbeitung festzustellen sind.655

Ebenso schwierig, wie der konkrete Nachweis aller hier beschriebenen versteckten Regulierungen, ist der Einfluss des Lobbyings, vor allem seitens »privater Unternehmen«. Diesen sollen beispielsweise aktiv an der Regelaufstellung für RadComs beteiligt gewesen sein, was dazu geführt habe, dass RadComs heute stärker reguliert werden als konzessionierte Sender.656 Damit ist bereits ein weiteres spezifisches regulatives Handlungsprogramm, nämlich dass der Nicht-Regulierung angesprochen. Diese garantiert einen Fortbestand der Eigentumskonzentration und weiterer asymmetrischen Konstellationen eben gerade dadurch dass »jedweder Typ von Regulierung im [Radio]Sektor vermieden« wird.657

Leider gibt es in der untersuchten Literatur über die Fallstudien zum coronelismo eletrônico hinaus keine Versuche, diese Hinweise und Hypothesen zu versteckten Regulierungen analytisch weiterzuverfolgen. Deutlich wird ansatzweise dennoch das ambivalente Potential dieser Handlungsprogramme für die Legitimationsfrage deutlich. Ambivalent deshalb, da Lobbying oder physische Aggressionen zweifellos die Existenz unabhängiger Radios erschweren, diese zugleich auch die Möglichkeit sich vermittels eines widerständen Medienmachens in Bezug auf ein Gemeinwohl zu legitimieren, ermöglichen. Zudem bleibt offen, welche Beziehungen im Einzelnen im Rahmen »politischer Patenschaften« geknüpft werden und inwiefern diese ihrerseits die Legitimation der Sender beeinflussen.

Insgesamt lässt sich zur medialen Dimension der Regulierung bemerken, dass gewiss keine Entkopplung zwischen der formell/sichtbaren und versteckten regulativen Agenturen herrscht, sondern komplizierte Beziehungen zu veranschlagen sind, die den analytischen Nutzen dichotomer Unterscheidungen in Frage stellen. Ebenfalls deutlich wurde, zumindest in Andeutungen, dass Regulieren keine unilaterale Bewegung beschreibt, sondern sich als aktive Mediation zwischen heterogenen Akteur_innen aufspannt, die den zentralen Legitimationshelfer Staat bei der formalen Regulierung beeinflussen und darüber hinaus vermutlich viele weitere Beziehungen eingehen. Das Kapitel verdeutlichte ebenfalls verschiedene attribution gaps, also Zuschreibungslücken bei der Konstruktion kausaler Zusammenhänge zwischen universellen bzw. konsitutionellen Prinzipien und davon abgeleiteten Regulierungsagenturen, die in den folgenden Kapiteln noch näher zu untersuchen sind. Dafür werden im folgenden Theoriebaukasten nun drei methodische Konzepte entfaltet, die dazu beitragen werden, diesen Anspruch zu realisieren, nämlich »distribuiertes Handeln«, »Operationsketten« und »hidden transcripts«.

 

2.3.3 Theoriebaukasten VI – Handlungsprogramme und Übersetzungen

Die Agenturen und Handlungsprogramme der sogenannten Medienregulierung liegen, wie deutlich geworden ist, quer zu vielen Modellen und Praktiken radialer Signalerzeugung. (Radio-)Medien realisieren sich, in dem sie Antworten auf diese konkurrierenden Inskriptionen und Mobilisierungen von Rundfunk finden, um ihre widerständigen Vorstellungen und Praktiken zu realisieren. Diese ständigen Stabilisierungen von Medien bilden für die weitere Untersuchung der gesellschaftlichen Legitimation von Radios ein wichtiges Moment. Deshalb sollen im Folgenden noch einmal drei Prämissen expliziert werden, die für die empirische Betrachtung anleitend sind.

Zunächst ist die Frage nach medialer Regulierung eine gute Gelegenheit, den nicht-intentionellen Handlungsbegriff der ANT herauszuarbeiten. Denn angewendet auf das Setting muss es von Beginn an heißen: Der konspirative Wunsch, die prekäre legale Situation unabhängiger Radios, oder anders gesagt, ihre soziale Stabilisierung, die ohne oder nur durch eine stark eingeschränkte legale Anerkennung auskommen muss, als Konsequenz eines handelnden Subjekts erfassen zu können, ist nicht einlösbar. Warum ist das so? Der allgemeine Hinweis, ANT verfolge einen »weniger weberianisch-emphatischen Begriff(s) sozialen Handelns«658 kann dabei zunächst nur eine negative Abgrenzung leisten. Erhellender ist die Prämisse, dass die in einem Akteur_innennetzwerk »verteilte Intelligenz«659 nicht mit der Vorstellung einer individuell beabsichtigten Handlung vereinbar ist. Distribuiertes, vernetztes Handeln muss erkenntnistheoretisch betrachtet in einem Fraktalmodell potentiell omnipräsent sein. Oder anders gesagt impliziert der Akteur_innenbegriff von ANT, dass alles intentional verständliche Handeln immer in nicht-intendierten Verknüpfungen aufgefächert werden kann. Wenn hier nun aber von Legitimationsstrategien die Sprache ist, wie lassen sich diese dann transparent für das Setting rekonstruieren?

Hilfreich ist für ein empirisches handling dieses scheinbaren Dilemmas, dass sich Intentionen (ebenso wie Ursachen)

»immer nur für den Verlauf von Operationsketten darstellen, in denen sie zugleich als Effekte in Mitleidenschaft gezogen werden. Insgesamt werden daher Attributionen der Verursachung vor allem als Effekte von Verkettungen bestimmbar […]«660

Die Legitimation von Medien lässt sich in eben solchen Operationsketten rekonstruieren, ohne diese dabei jedoch von den situativen Akteur_innen-Ensembles zu lösen. Denn deren heterogene Kompositionen werden eben nicht mehr auf nur einen masterplan zurückgeführt. Vielmehr lassen sich in ihren Anordnungen legitimierende Inskriptionen und Versuche diese zu stabilisieren aufspüren und als Strategien beschreiben.661 Als ein solcher Versuch kann beispielsweise die gesetzlich generierte Einschreibung von Community Radios gelten, die im folgenden Kapitel noch ausführlich besprochen wird.

Vorher möchte ich jedoch noch einmal zur Kategorie des Regulierens zurückkehren, oder vielmehr seiner Prozesshaftigkeit. In der auf Medien bezogenen Regulierungstheorie lässt sich eine Kontroverse zwischen weiten Regulierungsdefinitionen, die »alle möglichen Formen von Handlungskoordinationen (z.B. sozialer Einfluss, Normen, Marktprozesse von Angebot und Nachfrage)« hinzuziehen und einem engen »akteurstheoretischen Regulierungsbegriff, der Regulierung als intentionale Tätigkeit versteht, die von einem Akteur ausgeht«, ausmachen662. Im Handeln dieses einen, oftmals staatlichen Akteurs bündelt sich dann das prozesshafte Aufstellen von Regeln, deren Durchsetzung und die Sanktionierung von Verstößen.

Doch wie lässt sich dieses ebenso enge wie zweifellos schlüssige Verständnis von Regulierung empirisch nutzbar machen? Kaum, es sei denn das Forschungsinteresse begnügt sich nicht mit einer asymmetrischen Darstellung staatlicher Handlungsfantasien. Denn wie soll die empirische Realisierung von Regulierung (Durchsetzung, Sanktion) überhaupt beobachtbar sein, wenn auch die, die angeblich gegen die staatliche Regulierung verstoßen, nur innerhalb der Konzepte und (stark reduktionistischen) Operationsketten der Regulierenden sichtbar werden? Regulierung bekommt hier eine selbsterfüllende Qualität. Es beschreibt nur noch ein Verhandeln oder Aushandeln innerhalb staatlicher Institutionen und die folgende gesamtgesellschaftliche Durchsetzung dieses elitären Konsenses. Eine solche analytische Verklärung von Regulierung zu einem ready made macht die empirische Untersuchung von Legitimation in the making unmöglich.

Um das spannungsvolle Verhältnis von Regulierungs- und Legitimationsstrategien untersuchen zu können, ist es daher notwendig, die »Ethnotheorien der der beobachteten Agenturen und der von ihnen vorgenommenen Akteurs- und Handlungszuschreibungen«663 zu berücksichtigen. Gemeint ist damit innerhalb einer Operationskette, unveränderlicher Entitäten (Intermediäre), die aus der Sicht spezifischer Akteur_innen der Forderung nach Legitimation erhaben sind, durch die Beschreibungen anderer beteiligter Entitäten zu ersetzen und damit als aktive Vermittler_innen (Mediator_innen) erkennbar werden. In Ergänzung zu dem bereits erwähnten Öffnen von black boxes, lenkt die ANT den Blick von der Komposition des Sozialen hier nun eher auf Prozesse und Bewegungen des Sozialen bei dem weder »von einer vorgängigen Bestimmtheit aller Entitäten auszugehen« sei, noch »nur bestimmte Entitäten als soziale Kräfte zu berücksichtigen« wären.664 Wie in diesem Kapitel exemplarisch deutlich wurde, zerfällt die intermediäre Agentur Zensur in den konkreten Handlungszuschreibungen weiterer Akteur_innen in vielfältige Operationsketten, die das scheinbar legitimierte Verhältnis von »Repression für Nationale Sicherheit« ad absurdum führen.

Für die hier veranschlagte Erkundung der in black boxes und Intermediären gebundenen gesellschaftlichen Komplexität, möchte ich abschließend eine weitere empirische Differenzierung für die Betrachtung legitimierten Medienmachens einführen. Diese knüpft an die Absicht an, Legitimation als konkurrierende Operationsketten zu rekonstruieren, fragt aber zudem, inwiefern gerade in diesem Punkt von einer allgemeinen Wahrnehmbarkeit des Medienmachens ausgegangen werden kann. Sicher, implizites Ziel der Signalerzeugung ist es, dass dieses Signal auch gehört wird, denn wie noch deutlicher werden wird, hat eine spezifische Hörer_innenschaft großen legitimatorischen Anteil am Radiomachen. Im Kapitel 2.1.3. sind jedoch auch vermittelnde Akteur_innen angesprochen wurden, ohne dabei im Einzelnen darauf einzugehen zu können, wie unabhängige Radios mit bzw. gegenüber Regierungen, NGOs, sozialen Bewegungen, Bundespolizisten, etc. ihre gesellschaftliche Anerkennung stabilisieren. Es ist offensichtlich, dass die empirische Untersuchung dafür noch nicht weit genug gekommen ist. Eine allgemeine Frage lässt sich hier aber dennoch aufmachen: Inwiefern sind die spezifischen Operationsketten allesamt so öffentlich und gut hörbar wie die Radiosignale? Oder anders gefragt, warum annehmen, dass die Aushandlung von Legitimation allseits öffentlich und unter Mobilisierung der gleichen Akteur_innen erfolgt?

Eine perspektivische Erweiterung des »klassischen ANT-Repertoirs« infralinguistischer Konzepte, die auf eben diese Frage keine theoretisch-methodologische Antwort parat haben, bietet ein Rekurs auf sogenannte »public« und »hidden transcripts«665. Gemeinsam ist diesen Begriffen mit dem ANT-Konzept der Skripte ihr Interesse an strategischen Inszenierungen sozialer Beziehungen, die verallgemeinernde theoretische ready mades empirisch unterlaufen und den beteiligten Akteur_innen in symmetrischer Perspektive einen aktiven Part bei der Aushandlung sozialer Rollen und Beziehungen zusprechen.666 Entscheidend ist bezüglich der öffentlich wahrnehmbaren Interaktion unterschiedlicher Entitäten innerhalb eines transcripts, die Überlegung, dass diese Beobachtung »unlikely to tell us the whole story« ist, denn »[i]t is frequently […] the interest […] to tacitly conspire in misrepresentation«.667 Wenn also aus strategischen oder taktischen Gründen nicht alles öffentlich ist, dann muss es ontologisch eine zweite Dimension geben, innerhalb welcher ebenfalls kommuniziert wird, jedoch nicht immer weithin hörbar. Damit ist ein hidden transcript angedeutet, dass sich durch eine »reflexive quality« hervortut, »comprising the offstage responses and rejoinders to that public transcript«668.

Für die angestrebte Rekonstruktion medialer Skripte unter dem Gesichtspunkt ihrer sozialen Legitimation wird auf diese Weise ein Radiomachen denkbar, dass in seiner Anerkennungs-würdigkeit sowohl öffentlich als auch nicht-öffentlich stabilisiert wird. Wenn ein Radio beispielsweise die rechtliche Genehmigung öffentlich als Teil seiner Selbstbeschreibung affirmiert, muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es die gesetzlichen Normen auch 100% praktisch umzusetzen sucht. Im Gegenteil, das taktische Aussetzen des Gesetzes kann innerhalb eines anderen transcripts legitimationssteigernd wirken. Jenseits des Hörer_innenbegriffs lässt sich so gesehen fragen, wie viele Publika ein Radio eigentlich bedient.

***

Die Theoriebaukästen hatten den Anspruch, die Lesenden für die notwendigen Perspektivwechsel und Verfolgung der Akteur_innenkonstellationen und -bewegungen zu sensibilisieren. Denn trotz des großen erkenntnistheoretischen Potentials der ANT ist es nach wie vor ein nervenaufreibendes Unterfangen diese Methode zu operationalisieren, »defining trajectories by actants' association and substitution, defining actants by all the trajectories in which they enter669

Die vorgenommenen Operationalisierungen und relationalen Abstimmungen einzelner Begriffe waren nicht nur wegen des infralinguistischen Abstraktionsniveaus der ANT unumgänglich, sondern auch deshalb, weil die Methode zugleich die Prämissen der im ersten Kapitel entworfenen Konzepte Mediation, Legitimation und Regulierung reflektieren musste. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die ANT auch in einiger Entfernung ihres ursprünglichen Fokus der science and technology studies anwendbar ist. Teilweise allgemein abstrakt, teilweise exemplarisch konkret konnte dennoch eine Explikation des fraktalen Charakters von ANTs erfolgen, indem die analytische Öffnung von black boxes und die Dekonstruktion asymmetrischer Makroakteur_innen zugunsten heterogener Akteur_innen-Konstellationen näher gebracht wurde. Des Weiteren erfolgte eine allmähliche Annäherung an einen nicht-subjektiven Handlungsbegriff, der sich an distribuierten Handlungspotentialen und Operationsketten orientiert. Und schließlich wurde das nicht einfache Verhältnis von Ethno- und Beobachtertheorien reflektiert und diesbezüglich eine pragmatische Antwort für das Setting der vorliegenden Arbeit definiert. Damit ist die grundlegende Einführung in  die ANT und weiterer verwandter Theoriebausteine abgeschlossen. Dennoch werde ich an einigen Stellen den methodologischen Faden wieder aufgreifen, um einzelne Konklusionen in ihren theoretischen Rückgriffen transparent und verständlich zu halten.

 

2.4 Zwischenfazit I – die Wiederzusammensetzung von Radio

Im zweiten Kapitel habe ich verschiedene Flugbahnen aufgezeigt, entlang derer unabhängiges Radiomachen konstruiert wird bzw. sich beobachten lässt. Das Mapping hat nach Punkten gesucht, an denen die black box Brasilianischer Rundfunk für eine genauere Analyse der darin versammelten Akteur_innen-Netzwerke offen stand oder sich öffnen ließ. Anstatt von einer in ihrer Gesamtheit auf legitime Weise zu regulierenden Radiotechnologie und entsprechenden Praktiken auszugehen, wurde der Blick von vielfältigen operationalen Gebräuchen aus, Radio zu machen, entfaltet. Die Frage nach der gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit dieser unterschiedlichen Mediationen generiert sich damit nicht länger aus externen Referenzrahmen, sondern wird an einzelne medialen Entitäten herangetragen bzw. aus ihrer detaillierten Betrachtung entwickelt. Die Entwendung des Legitimierungsbegriffs aus staatlichen Händen radikalisiert sich, wird in letzter Konsequenz auch an eine Antenne übertragbar, nicht generell aber wohl in ihren spezifischen Vermittlungen, als Beitrag zu einer Signalerzeugung.

Anstatt den unterschiedlichen Radiokategorien spezifische legitimierende Eigenschaften zuzuschreiben, wurde versucht – soweit dies die Aussagen in der Literatur zuließen – den Fokus auf Handlungsprogramme und Operationsketten zu richten. Darin liegt keine methodische Spitzfindigkeit sondern eine Operationalisierung des im ersten Kapitel angekündigten Bruchs mit der konzeptuellen Einengung von Anerkennungswürdigkeit als Ausdruck von Zustimmung (oder deren Entzug) gegenüber dem Handlungsprogramm einer oder eines Makroakteur_in. Denn im Gegensatz dazu, wurde hier kein Mapping der gesellschaftlichen Legitimation von Rundfunk vorgenommen, sondern die diesen konstituierenden radialen Mediationen untersucht. Dabei wurden deutlich, welche unterschiedlichen Arten von Radio spezifische Akteur_innen inskribieren und welche Krisen der Anerkennungswürdigkeiten diesen widerum von anderen Akteur_innen askribiert werden.

Was kann nach diesem intensiven Mapping nun über das Senden unabhängiger Radioagenturen in Brasilien und ihre Legitimierungen gesagt werden, das vorher nicht sichtbar oder denkbar gewesen wäre? Generell lässt sich eine Bewegung beschreiben, die eine Delegitimation des status quo umfasst, um Räume für Agenturen unabhängigen Radiomachens zu schaffen zugleich jedoch daran interessiert ist, unabhängiges Radiomachen als spezifische Skripte zusammenzusetzen, in denen eine gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit angelegt ist. Drei solcher Inflektionspunkte, an denen der scheinbar kontinuierliche Verlauf medialer Legitimationskonstruktion eine Umkehrung erfährt, möchte ich hier abschließend nochmals in Erinnerung rufen, da diese auch in den kommenden Kapitel wiederholt eine Rolle spielen werden. Ein erster legitimatorischer Umkehrungspunkt betrifft die dargestellte Unschärfe vieler radialer Kategorien, die eine formale Unabgeschlossenheit und damit Spielräume für unabhängige Radios schafft. Daran gekoppelt ist jedoch auch die Frage der Deutungshoheit bei der Definition von beispielsweise Community Radios. Werden Skripte formuliert, die abseits oder über die legalen Skripte hinaus verlaufen, sind die staatlichen Legitimationshelfer_innen nicht nur punktuell sondern grundsätzlich gefordert, ihre Anerkennungswürdigkeit unter Beweis zu stellen.

Eine zweite Inflektion ist abrufbar, sobald die historische Dimension der aktuellen Mediengesetzgebung angesprochen wird. Der Entstehungskontext von Verordnungen und Gesetzen, sowie die Kontinuitäten einzelner Akteur_innen (z.B. Bundespolizei als Reguliererin) ist nur bedingt oder gar nicht mit rechtsstaatlichen Prämissen im allgemeinen und den konstitutionellen Garantien von 1988 im Besonderen vereinbar. Hinzukommt die lückenhafte Übersetzung der Verfassung in Regulierungsagenturen, da entsprechende Operationsketten entweder ganz fehlen oder in bestimmten Teilen in ihrer Begründung unsichtbar bleiben.

Auf ähnliche Weise lässt sich die krisenhafte Legitimation von Radio auch in einem dritten Punkt deutlich machen, nämlich bezüglich bestimmter Beiträge (z.B. Modernisierung) zu einem Gemeinwohl, die Radiomedien normativ zugeordnet werden. Wie ich gezeigt habe, sind dabei weder das Gemeinwohl noch seine radiale Übersetzung (z.B. Affiliationsnetzwerke) konstant legitimierte Größen, da diese keine innewohnenden Eigenschaften von Radiomedien, sondern an relationale soziale Prozesse in den Akteur_innen-Netzwerken gekoppelt sind.

Diese Inflektionen konnten bezüglich der davon ausgehenden legitimen Rekonstruktionen unabhängigen Radiomachens nur ansatzweise verfolgt werden. Hier zeigt sich auch eine strukturelle Asymmetrie der Beobachtenden, denn in den allgemeinen Darstellungen zum Radiomachen in Brasilien wurden Community Radios auch in neueren Texten (ab 1998) nur teilweise erwähnt, während Freie Radios, wenn sie Erwähnung finden, nur »verunsichtbart« in der pejorativen Klammer »Piratenradio« auftauchen. Um das Verhältnis zwischen lizensierten, genehmigten, nicht-genehmigten Radiomacher_innen und Regulierenden auf »symmetrische Füße« zu stellen, wird das folgende Kapitel nun das Wort an die networkbuilder, die Skriptschreiber_innen und Fürsprecher_innen der Freien und Community Radios weitergeben. Dabei werden ihre spezifischen Handlungsprogramme und bereits erste Operationsketten dokumentiert und ebenso akribisch »abgeklopft« wie die Inskriptionen staatlicher und kommerzieller Sender, denn die aufgenommene Spur eines komplexen story dealings zur Steigerung gesellschaftlicher Anerkennungswürdigkeit unabhängigen Radio-machens hat sich zwar bestätigen lassen, steht in ihrer empirischen Betrachtung jedoch noch ganz am Anfang.

3. Inskriptionen Freier und Community Radios

3.1 Selektion der network builders

Um bestehende radiale Akteur_innennetzwerke zu analysieren, empfiehlt es sich zunächst jene Entitäten in den Blick zu nehmen, die am Bau solcher Netzwerke beteiligt sind. Sich dabei einfach die sichtbarsten Akteur_innen herauszugreifen, birgt die Gefahr, die Analyse bereits im Vorfeld auf asymmetrische Füße zu stellen.1 Im vorangegangenen Kapitel wurde deshalb ein allgemeines mapping vorgenommen, um die Legitimationskontroversen unabhängigen Radiomachens und daran beteiligter Akteur_innen möglichst umfassend zu dokumentieren. Diese erste Annäherung allein kann die Selektion der im Folgenden analysierten network builder jedoch nicht begründen. Vielmehr ist es notwendig nach einem »Einbruch in den normalen Lauf der Dinge«2 zu suchen, der unterschiedliche Akteur_innen sichtbar macht und damit den Verdacht der Beliebigkeit oder Einseitigkeit abzuschütteln.3

Eine spannende Interruption im radialen business as usual Brasiliens fand im Jahr 2009 statt, als sich 24 Vertreter_innen der Bundesregierung, sozialer Bewegungen, kommerzieller und öffentlicher Medien zur ersten Nationalen Kommunikationskonferenz (CNC) in Brasilia trafen. Unter dem programmatischen Titel »Kommunikation: Medien für die Konstruktion von Bürger_innenrechten in der digitalen Ära« sollten Vorschläge für künftige Gesetzesrahmen und Regulierungen gesammelt werden. Als zu diskutierende Themen der Konferenz wurde explizit auch die Organisation »unabhängiger und regionaler Medienproduktionen« sowie »ComRads« auf die Tagesordnung gesetzt.4 Es überrascht deshalb kaum, auf der Teilnehmer_innenliste zunächst Vertreter_innen des größten brasilianischen Radioverbandes ABRAÇO zu finden, der seit 1996 ComRads repräsentiert und heute nach eigenen Angaben bis zu 10.000 Mitglieder hat.5 Ebenso vorhersehbar war die Anwesenheit des nationalen Ablegers des Weltverbandes der ComRads AMARC Brasil, der mit seinen etwa 50 Mitgliedern bereits an der Vorbereitung der Konferenz sehr aktiv beteiligt war.6 Bei genauerem Hinsehen, lassen sich während der Vorbereitung der CNC jedoch noch weitere network builder ausfindig machen. So waren auf den Regionaltreffen zunächst auch die über 20 bundestaatlichen Vertretungen von ABRAÇO präsent, wie zum Beispiel die gewichtige Gruppe ABRAÇO São Paulo aus der Provinzhauptstadt Campinas, der über 100 ComRads angehören sollen.7 Zugleich lassen sich auf den Teilnehmerlisten unabhängige regionale ComRad-Organisationen finden, unter anderen die bekannte Nichtregierungsorganisation VIVA RIO die in Kontakt mit über 500 ComRads stehen soll.8

Damit sind bereits die vier sichtbarsten Akteur_innen benannt. Für eine symmetrische Analyse ist es jedoch unerlässlich, den Kreis der untersuchten network builder9 begründet zu erweitern. Zunächst ist dabei der Vorsitzende der CNC, nämlich das brasilianische Kommunikationsministerium (MiniCom) zu nennen.10 Denn das Ministerium und die ihm bei der Rundfunkregulierung zuarbeitenden Behörde ANATEL sind Vertreter_innen der legalen Inskription von ComRads, die (symmetrisch betrachtet) ebenso um Legitimation bemüht ist wie alle übrigen Modelle unabhängigen Radiomachens. Dagegen werden zwei weitere wichtige Inkripteur_innen buchstäblich auf negative Weise sichtbar; sie »glänzen« durch ihre von Teilnehmenden und Berichterstatter_innen monierte Abwesenheit. Gemeint sind dabei zum einen die Integrant_innen des 1993 auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre gegründeten Freien-Radionetzwerks RIZOMA, dessen etwa 12 Stationen auf der CNC ihre Vision einer »Demokratisierung des Spektrums« hätten darlegen können, aber nur als Beobachter_innen auf den ersten regionalen Vorbereitungstreffen präsent waren.11 Abwesend war des Weiteren der Radioverband »Forum Demokratie in der Kommunikation« (FDC) aus dem metropolitanen Raum São Paulos, der »öffentlichen Auftritten meist aus dem Weg geht«12, jedoch ein einflussreiches regionales Radiomodell in Brasiliens größter Stadt und wichtigstem Medienstandort propagiert und dem zwischenzeitlich 1723 Radios angehört haben sollen.13 Unter Berücksichtigung dieser weiteren Akteur_innen bilden nicht mehr ausschließlich die Inskriptionen der sichtbarsten network builder das Blickfeld. Die vorgenommene Selektion verschafft auch sogenannten silent actors Gehör.14

Anhand dieser Vorauswahl organisierte ich während der Forschungsaufenthalte in Brasilien  wiederholt Treffen mit Sprecher_innen und Aktivist_innen der einzelnen kollektiven Entitäten. Das zentrale Interesse dieser encounters lag darin, die konkurrierenden Vorstellungen unabhängigen Radiomachens, die diese Akteur_innen im Einzelnen vertreten (und zu legitimieren suchen), zu dokumentieren. Das vorliegende Kapitel ordnet meine Beobachtungen in vier analytisch-deskriptiven Blöcken. Zunächst mache ich deutlich, wie einzelne radiale Inskriptionen in ihrer Entstehung, ihrem Verhältnis zum staatlichen Regulierungsanspruch des elektromagnetischen Spektrums und in Abgrenzung zu anderen unabhängigen Radiomodellen konstruiert werden (3.2.). Anschließend erfolgt eine detaillierte Dokumentation des modellhaft vorgeschlagenen Medienmachens unter Berücksichtigung aller dabei benannten Einflussgrößen, um einen ersten Einblick in die angestrebte Stabilisierung der Skripte zu erhalten (3.3.). Die hier bereits anklingende Legitimation radialer Praxen wird fortgesetzt in einer Nebeneinanderstellung der einzelnen – und oftmals konfliktreichen – Zielstellungen des Radiomachens im Verhältnis zu einem spezifischen gesellschaftlichen Gemeinwohl. Rekonstruiert werden zudem alle »ausgeschlossenen« Ziele, welche ein unabhängiges Radio meiden sollte, um gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit zu erfahren (3.4.) Abschließend wird betrachtet, wie konkret diese gesellschaftlichen Ziele der unabhängigen Radios auch in Anleitungen für ein Medienmachen übersetzt werden (3.5).

Damit ist ein perspektivischer Zugang abgesteckt, welcher die einzelnen Inskriptionen analytisch dimensioniert. Ganz im Sinne der ANT leitet dieser Blick den Versuch  »[de] seguir la manera en que los actores mismos estabilizan esas incertidumbres, construyendo formatos, estándares y metrologías« um so, mit den »ensamblados reunidos de esa forma« die arbeitsleitenden Konzepte der Radiomachenden nachvollziehen zu können und die Herstellungen medialer Legitimation nicht durch externe Theoretisierungen zu verstellen.15

 

3.2 Positionen

3.2.1 Retrospektiven und normative Radiomodelle

»Am Anfang waren die Freien Radios«, so oder so ähnlich beschreiben die network builder in den geführten Interviews übereinstimmend die Ursprünge ihrer radialen Inskriptionen.16 Fast alle, muss es heißen, denn im Kommunikationsministerium wird (aus Sicht der Exekutive) radiale »Kommunikation als öffentliches Recht« eigentlich erst mit der Verabschiedung der demokratischen Verfassung von 1988 denkbar. Im fünften Artikel (Art. V) ist dort das zu nationalem Recht gerecht geronnene lateinamerikanische Menschenrechtsabkommen »Pakt von San José« verbrieft, in dem Individuen die Garantie zugesprochen wird, ihre Meinung über Medien jedweder Art zu verbreiten, ohne dass dieses Grundrecht von staatlicher Seite eingeschränkt werden könne.17 Doch nachweislich haben die unabhängigen Radiomacher_innen Brasiliens nicht auf die »staatliche Henne« gewartet, vielmehr lassen sich die unterschiedlichsten radialen »Eier« schon vor Beginn der verfassungsbildenden Versammlung finden. Das Aufkommen unabhängiger Medien direkt aus dem Verfassungstext ableiten zu wollen, entspricht einem positivistischem Anachronismus.

Darüber, was das sogenannte Freie Radiomachen zu Beginn der 1980er Jahre ausmachte, gehen die Meinungen jedoch bis heute auseinander. Konsens scheint zunächst, dass die ersten organisierten Freien Radioligen ihre konzeptuellen Wurzeln in der zunehmenden Verflechtung meist jugendlicher Amateurfunkpraktiken und der Rezeption der »libertären Radiobewegungen in England, Italien und Frankreich« hatten.18 Infrage gestellt wird dagegen mitunter die retrospektive Projektion des aktuellen Netzwerks RIZOMA, die darum bemüht ist, freies Radiomachen bereits in den 1980er Jahren als einen allseits geteilten Katalog »fester Prinzipien« zu erklären. Carlos Rocha beispielsweise, der zu Beginn der 1980er Jahre neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität von São Paulo (PUK) auch in unterschiedlichen Radiokollektiven mitarbeitete, sieht die ersten Radios eher als vielgestaltigen »Ausdruck der unorganisierten Bevölkerung«, die ihre weitere Ausdeutung in konkreten Situationen und von spezifischen sozialen Gruppen erfuhren.

Folgt man dieser Aussage, dann sind zwei bis heute verbreitete generalisierende Behauptungen nicht länger haltbar. Zum einen wird die Vorstellung widerlegt, Freie Radios kämen historisch betrachtet »eher aus dem akademischen Umfeld«.19 Zum anderen wird die bereits benannte schematische Vermischung unterlaufen, die lediglich zwei Grundströmungen definiert: apolitische Bastelarbeit oder linke, radiale Bewusstseinsbildung. Neben Rocha legen auch die Erinnerungen anderer Inskripteur_innen den Schluss nahe, dass sich in die emergente Referenz »Freies Radio« in Brasilien zu Beginn ganz unterschiedliche Radiomachende einschrieben: neben Hobbybastler_innen, Studierenden, Gewerkschaften und Landlosen eben auch politische Parteien, religiöse Gruppen und kommerziell interessierte Sender.20 Eine nachträgliche »Pervertierung« des normativen Modells Freier Radios hat demnach nie stattgefunden, höchstens eine nachträgliche Purifikation, um die aktuelle Inskription zu legitimieren.

Doch gab es, bei aller radialen Vielfalt, nicht dennoch so etwas wie einen kleinsten gemeinsamen politischen Nenner beim täglichen Radiomachen? Zumindest gab es ein gemeinsames Feindbild, dass in den unterschiedlichen Interpretationen Freien Radiomachens gleichsam als wesentliches Übel des brasilianischen Rundfunks ausgemacht wurde. »Die Frage des Monopols war der Beginn von allem«, lässt sich Joaquim Carvalho von ABRAÇO stellvertretend zitieren.

»Während der Militärregierung hatten sich Rede Globo und andere große kommerzielle Netzwerke das Spektrum angeeignet und eine Pasteurisierung der Kommunikation vorgenommen. Kulturelle Vielfalt wurde absorbiert, lokale Rhythmen zerstört.«21

Gerechtfertigt und gefeiert wurde aus dieser Sichtweise heraus anfangs jede Besetzung von Radiofrequenzen, die den status quo praktisch angriffen. Und dieser Angriff artikulierte sich  weniger in differenzierten Inskriptionen, sondern verfolgte pragmatisch eine Strategie der Massifizierung. Zeitlich lässt sich diese Dynamik in einer Periode verorten, die sich von der Diskussion einer neuen Verfassung Mitte der 1980er bis zur Kampagne für ein »Gesetz der Demokratischen Information« (LID) 1994 erstreckt, das eine grundsätzliche Neuordnung der Mediengesetzgebung vorsah.21 Ohne hier die vielfältigen Modifikationen freien Radiomachens einer gesamten Dekade ausführen zu wollen, möchte ich auf zwei zentrale Erfahrungen eingehen, welche die spätere Ausdifferenzierung radialer Inskriptionen stark beeinflusst haben.

(1) Eine erste Erfahrung blitzt im allgemeinen Stolz auf, den alle network builder der »massiven Aneignung der Sendetechnik im Namen der Meinungsfreiheit« ungebrochen huldigen.22 In den einzelnen Erzählungen damals Beteiligter wird deutlich, dass vor allem jene Radioskripte Anerkennung fanden, die von Beginn an auch technische Massifizierungsstrategien umfassten. Während universitäre Einrichtungen und im Besonderen technische Institute teilweise direkt das praktische Wissen zum Bau von Sendetechnik reproduzierten, entwickelten vor allem Gewerkschaften und Parteien eigene Strategien. So ging beispielsweise der heutige Vorsitzende der NGO VIVA RIO, Tião Santos Ende der 1980er für die brasilianische Arbeiterpartei (PT) mit einem mobilen

»Radio auf Sendung, dass sich Rádio Cegonha (Radio Storch) nannte. Das bestand aus einem Sender und einer Antenne mit denen wir unterwegs waren, um für politische Aktivisten Kurse zu geben, im ganzen Land, für alle die lernen wollten, wie man mit einem Radio sendet.«

In São Paulo indes kauften Radiomacher_innen mit dem Erlös eines Festivals im Theater der Katholischen Universität São Paulo (PUC)1989 ein Haus im Stadtteil Barra Funda, in dem fortan fast in Fließbandarbeit Sendetechnik hergestellt wurde. Der Leiter der Operation, Carlos Rocha, der damals auch aktiver Gewerkschafter war, erinnert sich »dass bis 1995 täglich ungefähr fünf Radiosender für den Bundesstaat São Paulo hergestellt wurden«. Erklärtes Ziel war es immer acht fertige Geräte bereit zu haben, falls einer der Gewerkschaftssender von der Polizei geschlossen und das Equipment konfisziert werden würde. Rocha lieferte »an alle Freien Radios«, egal ob Petistas, Evangelikale, Studierende oder Gewerkschafter_in.23 Fakten sollten geschaffen werden, um eine »starke Radiobewegung aufzubauen.« Bis heute ist die Versorgung und der Support von Sendetechnik als ein wichtiges, wenn auch nicht immer sichtbares Handlungsprogramm in den einzelnen Radioskripten angelegt. Die einzige Ausnahme bildet AMARC, auf dessen Sonderstellung später noch einzugehen ist.24

(2) Eine zweite wichtige Erfahrung betrifft die juristische Verteidigung der unabhängigen Radiosender vor der damaligen Regulierungsbehörde DENTEL und der Bundespolizei. Denn die eingangs erwähnte broken-radio-Strategie, die vorsah, für jedes geschlossene Radio zwei neue zu eröffnen, hätte im Rahmen einer reinen Materialschlacht wohl keinen Erfolg gehabt.25 Bedeutend waren vor allem richterliche Entscheidungen, die in direktem Bezug auf Artikel V der brasilianischen Verfassung 1993 erstmals entschieden, »dass Radiomachen ohne Genehmigung keine Straftat mehr darstelle.«26 Von da an häufen sich die einstweiligen Verfügungen (habeus corpus) gegen die Regulierer. Eine gerichtliche Grundsatzentscheidung 1995 dynamisiert erneut den Zuwachs neuer Sender.

»Von 1995 bis 2010 gingen ungefähr 15.000 Radios auf Sendung. Das bedeutete aber auch, dass Equipment im Wert von 100 Millionen Dollar beschlagnahmt wurde. Hunderte zivilgesellschaftliche Organisationen wurden zum Schweigen gebracht, in über mehr als 500 Gerichtsverhandlungen auf Bundesebene wurden fortwährend Menschen kriminalisiert.«

Die schwer zu verifizierenden Zahlenangaben von Carlos Rocha verdeutlichen zumindest eines: der organisatorische Aufwand unabhängigen Radiomachens war hoch und innerhalb der Radiobewegung wuchs der Wunsch, das ausgeübte Recht freier Meinungsäußerung gesetzlich stärker anzuerkennen zu lassen. Da sich nach Aussagen der damals Beteiligten die LID-Reform politisch nicht durchsetzen ließ, verfiel man auf einen Plan, unabhängiges Radiomachen dann eben als medialen Ausnahmefall in das Medienrecht einzuschreiben. Auf einem Treffen 1996 entschieden sich die Vertreter_innen der anwesenden Freien Radio-Ligen mehrheitlich dafür, eine Legalisierung ihres Radiomachens anzustrengen. In Anlehnung an das Konzept Community Radio, dass seit der Gründung des Weltverbands für Community Radios (AMARC) in Kanada 1983 auch in Brasilien zunehmend bekannt wurde, schließen sich die Befürworter_innen zum Brasilianischen Verband der Community Radios (ABRAÇO) zusammen.27

Was dabei genau ein Community Radio ausmachen sollte, fasste das damalige Führungsgremium von ABRAÇO gleich in einem Gesetzesentwurf zusammen. Dieser sei nach Aussagen des damaligen ABRAÇO-Präsidenten Tião Santos

»für die damalige Zeit sehr fortgeschritten gewesen und sah weitreichende Befugnisse für die einzelnen Sender vor. Wir kämpften drei Jahre im Kongress für unseren Entwurf, aber damals waren ungefähr 70 Prozent der Abgeordneten direkt oder indirekt an kommerziellen Radio- und TV-Sendern beteiligt. Deshalb machten wir uns nie Illusionen, dass unsere Gesetzesvorlage tatsächlich unverändert durchgehen würde. Aber es war trotzdem ein wichtiger Beitrag für die Legalisierung, auch wenn das 1998 verabschiedete Gesetz [Lei 9.612/98, N.B] unsere Forderungen nur teilweise aufnahm. Zweifellos war es ein Qualitätssprung, um die Radios aus ihrer Klandestinität und Irregularität zu holen.«28

Diese Auffassung ist keineswegs Konsens. Vielmehr nährt die damalige Aushandlung der Legalisierungsbedingungen und des ComRad-Gesetzes eine anhaltende Kontroverse, die auch die Anerkennungswürdigkeit aktueller Radioinskriptionen berührt. Umstritten ist dabei zunächst, inwiefern die gleichzeitige Ausrufung eines Radiomodells (Community Radio) und seines Repräsentanten (ABRAÇO) unwidersprochen »Ausdruck einer organischen Notwendigkeit der brasilianischen Radiobewegung nach landesweiter Artikulation und Legalisierung« war, wie dies das Gründungsmitglied und heutiger Vorsitzender von ABRAÇO, José Sôter rückblickend darstellt. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln stellen sowohl das RIZOMA-Netzwerk als auch AMARC Brasil diese Behauptung in Frage. RIZOMA verteidigt dabei zunächst die Auffassung, ComRads seien nicht der einzige Ausdruck unabhängigen Radiomachens. Die These einer Art feindlichen Übernahme der Freien Radiobewegung durch Vertreter_innen des ComRad-Gesetzes in den 1980er Jahren ist, wie ich gezeigt habe, zumindest eine reduktionistische, vielleicht auch eine strategisch motivierte Rückschau.29 Dennoch verdeutlicht die Existenz eines Netzwerks Freier Radios das Interesse, unabhängiges Radio außerhalb der ComRad-Klammer zu organisieren, dass sich aus Sicht der Macher_innen in der nach wie vor aktuellen Notwendigkeit einer »radikalen Verteidigung der Meinungsfreiheit«30 legitimiert.

Ähnlich kritisch, wenn auch aus einem anderen Blickwinkel, bewertet AMARC Brasil die Genese der von ABRAÇO weitgehend mitgetragenen Schaffung des ComRad-Gesetzes. »Wenig transparent« sei die Ausarbeitung der legalen Inskription von Beginn an verlaufen, meint Tais Ladeira, die sich schon zur Zeit ihrer Mitarbeit bei Rádio Revolução in Rio de Janeiro an dem ihrer Meinung nach äußerst exklusiven Aushandlungen und einem zu engen ComRad-Konzept störte.31 »Zu den Treffen mit Regierungsvertretern ging damals nur eine kleine Avantgarde, die keinerlei Repräsentanz besaß, um im Namen der Radiobewegung ein legales Modell auszuhandeln«, dass neben technischen und sozialen Normen auch eine »sehr spezielle Vorstellung von Gemeinschaft« enthielt. Im Unterschied zur ComRad-Inskription von AMARC sah das von ABRAÇO in die Verhandlungen getragene Modell von Beginn an vor, Gemeinden und Gemeinschaften (comunidades) ausschließlich territorial und nicht auch als Interessensgemeinschaft zu definieren. Ein-Radio-pro-Gemeinde lautete die policy, die dann auch im Gesetz verwirklicht wurde. Lediglich bei der anfangs beabsichtigten Signalstärke mussten ComRad-Repräsentant_innen Abstriche machen.32

Dieser und weitere gemachte »Abstrichen« sind ebenfalls anhaltende Themen der aktuellen Debatte. Nicht alle Inskripteure teilen nämlich die Auffassung von  Octavio Pieranti, Leiter der Community-Radio-Abteilung im Kommunikationsministerium (MiniCom), die legale Inskription Lei 9.612/98 sei »der einzige damals politisch möglich gewesene Kompromiss zwischen Regierung, Unternehmern und der Zivilgesellschaft« gewesen.33 Selbst innerhalb von ABRAÇO gibt es heute Akteur_innen, wie das früherer Vorstandsmitglied und heute rechtlichen Berater von ABRAÇO, Joaquim Carvalho, der feststellt »das Gesetz wurde geschaffen, um ComRads nicht existieren zu lassen.« Den angeblichen Vorteil, mit dem Gesetz eine »legale Grauzone« eliminiert zu haben und somit »legalisierte Sender erfolgreicher vor staatlicher Repression zu schützen«, wie Sôter das Lei 9.612/98 verteidigt, habe in der Praxis zu einer

»zunehmenden Verfolgung nicht-genehmigter Sender, […] zu 60.000 Prozessen gegen Menschen, die lediglich ihr Recht auf Kommunikation einforderten« [geführt] und selbst die legalisierten Radios in eine schlimme Lage [gebracht], da es unzumutbare Auflagen beinhaltet«,

kritisiert auch Ladeira.34 Dass ein solches Gesetz überhaupt zustande kommen konnte, verdeutliche »die Naivität der damaligen Bewegung, die für die Demokratisierung der Kommunikation kämpfte«, resümiert Sofia Hammoe von AMARC.

Doch wie naiv waren die damaligen Verhandlungsführer_innen? Befeuert wird die Kritik an ABRAÇO, dem bis heute einflussreichsten Inskripteur unabhängigen Radiomachens in Brasilien, auch von dessen enger historischer Bindung an die PT. Auffällig ist, dass die interviewten, heutigen ABRAÇO-Mitglieder auf diese Beziehung nicht eingehen. Dagegen monieren RIZOMA in ihren Fanzines und Rocha im Interview, die PT habe die Radiobewegung unterwandert, habe beispielsweise die Reisekosten von PT-Mitglieder zu den frühen Radiotreffen gezahlt, und sich so bei den Abstimmungen Mehrheiten gesichert.35 Der damalige ABRAÇO-Präsident Santos befindet rückblickend, die PT sei eben jene Partei gewesen, »die zu dieser Zeit am meisten in eine Demokratisierung der Kommunikation investiert hat. […] Die Radiobewegung hatte ihre Basis zum größten Teil einfach in PT-Aktivisten.« Unabhängig davon, welchen Darstellungen der beteiligten Akteur_innen man im Einzelnen folgen mag, klar ist, dass sowohl die Inskription von ABRAÇO als auch das ComRad-Gesetz in ihrer Anerkennungswürdigkeit innerhalb der Radiobewegung von Beginn an herausgefordert sind. Angesprochen wird einerseits die PT-Bindung als ein hidden transcript des ABRAÇO-Modells, zugleich aber auch die problematische Repräsentativität des legalen Kompromiss, an dem ABRAÇO federführend beteiligt war.

Die hier skizzierte Retrospektive macht deutlich, in welchem historischen Spannungsverhältnis die konkurrierenden Radioinskriptionen in ihren relationalen Selbstbeschreibungen und Abgrenzungen stehen. Allen Divergenzen der network builder vorgelagert, scheint dabei zunächst die geteilte Kritik an einer monopolhaften Medienlandschaft. Ausgehend von dieser Legitimationskrise des Akteur_innennetzwerks Rundfunk, wurden widerständige Radiopraxen gerechtfertigt, getragen von einer massiven Proliferation von Sendetechnik und stabilisiert durch die einstweiligen Verfügungen zugunsten der Medienmachenden. Das damit zunächst grob inskribierte unabhängige Radiomachen definiert sich konzeptuell erst von dem Moment an stärker aus, da das für, wider und wie einer  legalen Anerkennung debattiert wird.

Spannend erscheint mir, dass diese Auseinandersetzung nie abgeschlossen wurde. Bis heute stellt die Aushandlung des ComRad-Gesetzes dem der Monopolisierung des Radios durch gewinnorientierte Akteur_innen ein zweites Krisen-Narrativ bereit, dass nicht länger die allgemeine Legitimation von Rundfunk, sondern das legale Skript unabhängigen Radiomachens betrifft. Zu diesem verhalten sich die radialen network builders deutlich differenzierter als gegenüber dem gemeinsamen Feindbild des kommerziellen Medienmonopols. Und aus der spezifischen Krisenhaftigkeit des Gesetzes 9.612/98 leiten die interviewten Radiomachenden auf zweifache Weise konkurrierende Legitimations-Claims für ihre Skripte ab. Zum einen wird die Beteiligung von network builders, insbesondere ABRAÇO, an einem für unabhängige Radios nachteiligen Gesetz herangezogen, um ausgehend von dieser fehlgeschlagenen historischen Mediation deren Skripte zu delegitimieren. Die Anschuldigungen variieren dabei in ihrer Intensität, unterstellen Naivität bis hin zu einer strategischen Komplizenschaft für eine politische Medienstrategie der PT.36 Zum anderen klingt in den Retrospektiven der Akteur_innen die Frage an, wie sich ein unabhängiges Radioskript im einzelnen gegenüber der legalen Inskription verhalten sollte. Begründet sich die Krise in einem Mangel an Repräsentativität, an punktuellen Versäumnissen oder in einem grundlegenden Konflikt zwischen dem Anspruch legaler Normierung und konstitutioneller und menschenrechtlicher Garantien von Meinungsfreiheit und dem Recht auf Kommunikation? Das folgende Unterkapitel wird diesen Fragen im Rahmen einer Bestandsaufnahme der aktuellen Skripte unabhängigen Radiomachens nun genauer nachgehen.

 

3.2.2 Bestandsaufnahmen

Rekonstruieren lassen sich ausgehend von den radialen Inskriptionen im Groben vier Skripte legitimen Radiomachens. (1) Im ersten Modell tritt legitimes Radiomachen nur als Zustand auf:  Es geht nicht um Legitimierung sondern um Legitimität und diese ist gleichbedeutend mit Legalität. Unabhängiges Radiomachen wird hier verstanden als die gesetzlich normierte und geregelte Organisation eines Community Radios. Octavio Pieranti vom MiniCom stellt dabei nicht in Abrede, dass es auch weiter Modelle geben kann, »die hier in Brasilien jedoch nicht existieren.«37 Weder vor noch neben dem ComRad-Gesetz gibt aus dieser Perspektive in Brasilien ein legitimiertes unabhängiges Radiomachen.

Als Zentrale Legitimationsträger werden das MiniCom und ANATEL eingeschrieben, die per Genehmigung Community Radios erschaffen. Der Community kommt lediglich die Rolle eines Territoriums zu, einer »Lokalität von kleinem Ausmaß«, welche geographisch von der »eingeschränkten Reichweite« des Radiosignals begrenzt wird. Ein ComRad ist verpflichtet, die kommunikativen Bedürfnisse der dort lebenden Bevölkerung zu »bedienen«.38 Da dieses erste legalistische Modell auf radikale Weise alle konkurrierenden Vorschläge zu unabhängigem Radiomachen negiert, kennzeichnet die folgenden Modelle jeweils immer auch eine explizite Kritik dieser Auffassung.

(2) Das zweite Modell wendet sich dabei zunächst gegen die vollständige Substitution aller ComRad-Inskriptionen durch nur ein legales Skript, erkennt jedoch wie auch das Gesetz, die territoriale Formel von ComRad an. Die Inskription von ABRAÇO übt sich dabei in dem Spagat, ihre eigene »aktive Rolle bei der Schaffung des legalen Dispositivs« mit ihrer Kritik an der »rechtlichen Einschränkung der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit« zu vermitteln.39 Damit werden die lokale Gemeinschaft und ihre Bedürfnisse zur »sozialen Basis« eines Senders erklärt, die für die Anerkennungswürdigkeit eines ComRads ebenso relevant sei wie das Gesetz. Denn Letzteres sei »gut gemacht, was die soziale Kontrolle des Mediums angeht«, sagt Carvalho, da es die gemeinschaftliche Verwaltung und Offenheit der einzelnen Sender garantiere.

»Mangelhaft sind aber die engen Grenzen die es beschreibt: nur 25 Watt Sendestärke, eine maximal 30 Meter hohe Antenne, ein einziger Kanal40, Frequenzen außerhalb des empfangbaren Bereichs (dial). Die technischen  Normen sind eine Schweinerei, der Rest ist perfekt.«

»Es ist klein aber es ist unseres« erkennt ebenso das FDC das aktuelle ComRad-Gesetz als Teil radialer Legitimation an. Auch wenn es seither dazu diene, »die Repression aufrecht zu halten« und »ein Schlangestehen nach Genehmigungen hervorrief, das bis heute anhält«, wird es dennoch als ein_e entscheidende_r Akteur_in bei der Definition unabhängigen Radiomachens betrachtet. Reformen seien notwendig, eine substantielle Kritik wird aus dieser Sichtweise jedoch vermieden.

(3) Dem widersprechen ComRad-Inskriptionen die sich in einem dritten Modell zusammenfassen lassen. AMARC, aber auch ABRAÇO São Paulo lehnen aus unterschiedlichen Gründen sowohl das territoriale Modell als auch das bestehende Gesetz gab. AMARC kritisiert seinerseits, dass ein ComRad nicht ausschließlich räumlich definiert werden könne, denn es gäbe »viele unterschiedliche Formen community zu denken und zu leben« und diese müssten auch berücksichtigt werden. Deshalb sei »ein ComRad auch viel besser anhand seiner politischen Mission, seiner Verwaltung, Selbstorganisation und Kommunikation« zu definieren. Die wichtigsten konzeptuellen Bausteine dabei seien: »Meinungsfreiheit, Recht auf Kommunikation und Pluralismus.«41 Dennoch wird dem nationalstaatlichen Recht grundsätzlich ein legitimierender Beitrag zugestanden, nicht jedoch in seiner bisherigen Form. »ComRads sind kein Spezialfall und müssen im Gesetz wie auch alle übrigen Verkehrsteilnehmer_innen [im elektromagnetischen Spektrum, N.B.] behandelt werden.« Die aktuellen Mediengesetze formulierten unterschiedliche Standards, eine wenig legitime Praxis, die deshalb auch für die Anerkennungswürdigkeit der ComRads wenig verbindlich ist.42

Entgegen der nationalen Vertretung seines Verbandes, findet auch Jerry de Oliveira von ABRAÇO São Paulo die legale Ungleichbehandlung problematisch: »Denn in Brasilien gilt leider: deinen Freunden alles, deinen Feinden das Gesetz.« Das Gesetz versteht er dabei als wichtiges Instrument, um Richtlinien einer sozialen Kontrolle zu formulieren, nicht jedoch als einzig verbindliches Kriterium der Legitimation, »denn nicht ein Zettel mit einem Regierungsstempel an der Wand entscheidet darüber, was ein ComRad ist und was nicht, sondern die von der gesamten Community organisierte Verwaltung.«43

In Oliveiras Skript klingt dabei erneut ein territoriales Konzept von ComRad an. Ganz klar wird in seinen Ausführungen nicht, ob er derzeit mehr als einen empfangbaren Sender in einem geographischen Territorium propagiert oder nicht. Für ihn löst sich diese Frage auch eher im Rahmen einer radikalen Umverteilung der Frequenzen, denn Oliveira tritt für die Substitution staatlicher und kommerzieller Radios durch ComRads, als »Medien des Sozialismus, die unter vollständiger Kontrolle der Arbeiter sind« ein. ComRads sind ihrem Anspruch nach damit die einzigen legitimen Inskriptionen »öffentlicher Kommunikation« unter weitgehender Selbstverwaltung: »Freiheit sollte die Regel sein, Gesetze die Ausnahme.«44

(4) Letztere Aussage ist auch vereinbar mit dem vierten und letzten hier umrissenen Modell, dass sich als eine Radioinskription im negativen Sinne verstehen lässt.45 Gemeint ist damit die Position von RIZOMA, die bestrebt ist, gerade in der Abwesenheit von Normen das eigentliche Prinzip unabhängigen Radiomachens zu suchen. Ausgehend von dem universellen Rechtsanspruch auf Meinungsfreiheit verfolgten sie ein anderes Projekt als ComRads, sagt Thiago:

»Freies Radiomachen kreist eher um die Sensibilität und das soziale Verhalten als um mediale Inhalte und deren Bewertung. Es geht mehr um die Verwirklichung einer ethischen und ästhetischen Perspektive, als um die Errichtung eines Radiosystems. Bifo [der italienische Medienphilosoph Franco Berardi, N.B.] spricht in einem Text über [Felix] Guattari von postmedialer Sensibilität. Ich glaube Freies Radiomachen kommt dem sehr nahe.«

Gerade in der Unbestimmtheit und Offenheit eines solchen postmedialen Raums sehen freie Radiomachende den idealen Grund für eine vielgestaltige Ausdeutung von Meinungsfreiheit.46  Freies Radiomachen heiße »selbstverwaltet und ohne feste Machtstrukturen ein gemeinsames Entdecken und Experimentieren als nicht-essentialistische Praxis zu organisieren.« Die Legitimation dieser Praxis wird dabei zunächst weder im Bezug auf eine spezifische Community und noch viel weniger gegenüber staatlichen Legitimationsträgern formuliert, denn »unser Prinzip ist die Redefreiheit, Meinungsfreiheit. Und dafür benötigen wir keine Genehmigung. Wir müssen uns nicht von einem Gesetz quadrieren lassen.« Grundsätzlich repräsentiere RIZOMA deshalb keine eigene Inskription noch irgend ein Radio, denn »jedes Kollektiv soll Freies Radio in jedem Moment definieren und redefinieren können.«47

Freies Radio sei deshalb konzeptuell ein »minoritärer Diskurs, der sich praktisch bewusst davon abgrenze, eine Gegenöffentlichkeit oder mediale Gegenhegemonie zu organisieren.« Experimentiert werde lediglich mit unterschiedlichen Formen von Autonomie. Daraus ein Indifferenz oder generelle Ablehnung jeglicher rechtlicher Regulierung des Radiomachens abzuleiten zu wollen, wäre jedoch voreilig. Denn wiederholt beziehen sich Freie Radiomacher_innen positiv auf Artikel V der brasilianischen Verfassung und ebenso auf Artikel 223 der eine Komplementarität  öffentlicher, staatlicher und privater Radios vorsieht. Teilweise verteidigen Freie Radios diesbezüglich den Anspruch „die öffentlichsten“ weil partizipativsten und offensten Radios Brasiliens zu sein.48 Die radikale Abgrenzung zu den meisten ComRad-Inskriptionen liegt in jedem Fall in der radikalen Kritik des Staates als medialen Legitimationshelfers: »Die freie Kommunikation erkennt die Regierung nicht als alleinige Entität an, um Gesetzte und daran gebundene Regeln als Fundament der Kommunikations-medien zu erstellen.«49

Deutlich wird in den rekonstruierten Modellen, dass die eingeschriebenen medialen Legitimationen variieren, was die Definition eines Gemeinwohls, das Erreichen eines Gemeinwohls und die Rolle spezifischer Legitimationsträger_innen angeht. Bezüglich des Gemeinwohls fällt auf, dass dieses im Fall der Community Radios in Bezug zu einer spezifischen Gemeinde definiert wird. Während das legale Skript diese jedoch als ein universelles Set, lokaler kommunikativer Bedürfnisse definiert, räumen die einzelnen ComRad-Verbände den Gemeinden eine aktivere Rolle ein, diese Bedürfnisse zu definieren.50 Bei Freien Radios wird das Gemeinwohl nicht an einer lokalen bzw. sich als solche beschreibenden Community festgemacht, sondern als Zusammenschluss individueller Rechtsträger_innen betrachtet, die ihr Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung gemeinsam artikulieren. ComRad-Inskriptionen, allen voran AMARC, beschreiben das Gemeinwohl demgegenüber stärker als kollektives »Recht auf Kommunikation«.51 Beide Konzepte sind sich auf der allgemeinen normativen Ebene dennoch relativ ähnlich. Die Unterschiede beider Positionen kommen, wie noch zu zeigen ist, eher bei der Ausdeutungen kommunikativer Akteur_innenrollen und ihrer kommunikativen Ziele zum Tragen.

Dennoch lässt sich bereits hier ein wesentlicher Unterschied erkennen. Während ComRad-Verbände gegenüber dem legalen Bedürfniskatalog alternative Kataloge formulieren, die mehr oder minder stark von den communities operationalisiert werden, beschränkt sich die Inskription Freier Radios ihrem Anspruch nach darauf, einen nicht-hierarchischen, offenen, medialen Raum zu artikulieren. Neben der Selbstorganisation wirft die hierarchiekritische Position jedoch auch die Frage nach alternativen Legitimationsträger_innen auf. Erneut in negativer Annäherung lassen Freie Radios diese Frage offen und sprechen lediglich dem Staat das alleinige Legitimationsmonopol ab. ComRads hingegen, erkennen die zentrale Rolle des Staates bei der Regulierung des Rundfunksystems an. Seine Funktion sei dabei vor allem, das Recht auf Kommunikation zu garantieren. Neben dem Staat werden zugleich auch spezifische Modelle von Gemeinden als Träger von Legitimation postuliert. Ihnen steht zu, von ihrem Recht auf Kommunikation Gebrauch zu machen, während es dem Staat zukommt, dieses Recht zu garantieren und ggf. auch zu regulieren.

Network builder beteiligen sich aktiv an der Formulierung spezifischer Rollen für ein legitimes Radiomachen. Und diese vermittelnde Funktion ist wiederum ein gewichtiger Bestandteil des relationalen Konkurrierens der Radioskripts um Anerkennungswürdigkeit. Die Glaubwürdigkeit der  anderen network builder wurde in allen geführten Interviews in Frage gestellt. Neben den divergierende Normen, werden dafür auch die Arbeitsweise und die Strategien, die andere Akteur_innen nutzen, um ihre Vorstellungen unabhängigen Radiomachens einzuschreiben, herangezogen. Versteckte Agendas, persönliche Bereicherungen, der Aufbau mafiöser und klientelistischer Strukturen aber auch die Unfähigkeit, das eigene Radiomodell zu vermitteln, sind wiederkehrende Narrative der jeweils Anderen.52 Die Frage die dabei stets aufgeworfen wird ist: Kann eine Nachricht (Radioskript) legitim sein, wenn ihrem Boten (network builder) nicht zu trauen ist?

Begleitet werden diese relationalen Abgrenzungen paradoxer Weise auch von wiederholten Aufrufen, stärker zusammenzuarbeiten und historische Differenzen zu überwinden.53 Ist hier also eine weitere Legitmationsstrategie angedeutet, die sich von einer zukünftigen Zusammenarbeit der network builders mehr Anerkennungswürdigkeit und Stabilität für das unabhängige Radiomachen verspricht als die bisher gepflegte gegenseitige Delegitimierung? Könnte nicht die Bejahung von Diversität sowohl auf der Ebene der network builders als auch der Radiomachenden ein stärker mobilisierendes Moment generieren, als der ermüdende Kampf um die Repräsentanz medienpolitischer Modelle und Praxen namens Freies oder Community Radio? Um einer Antwort auf diese Fragen näher zu kommen, werden im folgenden Kapitel die einzelnen Skripte erneut gegeneinander gelesen – und zwar in Bezug auf ihre perspektivischen Vorschläge für eine Veränderung des brasilianischen Rundfunksystems.

 

3.2.3 Perspektiven

»Community Radios sind unentwegt gezwungen politisch zu handeln, sei es gegenüber öffentlichen Institutionen, sei es gegenüber kommerziellen Radios. Sie müssen sich immer aufs neue mit Machtfragen auseinandersetzen. Niemand kann sich dem entziehen, alle sind betroffen.«54

Wie ich gezeigt habe, beschreiben network builders die bestehende Konzeption und Regulierung des Radiomachens als krisenhaft um ihre eigenen medialen Vorstellungen zu legitimieren. Diese wiederum nehmen konkret auf den Ist-Zustand Bezug und beschreiben von diesem ausgehend spezifische theories of change, die perspektivisch die Realisierung ihrer Modelle unabhängigen Radiomachens entfalten, wenn man so will, ihre Machbarkeit verdeutlichen. Erneut lassen sich aus den Antworten der Interviewten vier allgemeine Perspektiven destillieren, welche sich zwischen einem punktuellen Umbau der bisherigen Akteur_innen-Netzwerke und einer radikalen Verwerfung der aktuellen medialen Prämissen aufspannen.

(1) Die erste Perspektive fasst die Notwendigkeit das brasilianische Rundfunksystems zu verändern als ein rein »technisches Problem« auf, das auch technisch gelöst werden kann. »Das Gesetz an sich hat wenig Widersprüche. Diskussionswürdig sind vor allem technische Fragen«, resümiert Carlos Melo von der Regierungsbehörde ANATEL. Veränderungsbedarf bestehe vor allem bei der alltäglichen Umsetzung des ComRad-Gesetzes 9.612/98. Doch während ANATEL beispielsweise für den langwierigen Genehmigungsprozess einzelner ComRad-Sender (die entsprechend des legalistischen Blicks ja erst auf diese Weise ein ComRad bilden) vor allem den Antragsteller_innen die Schuld gibt, sehen Octavio Pieranti und seine Mitarbeiter_innen im MiniCom auch Bedarf, das legale Skript zu reformieren.49

»Der Genehmigungsprozess hat sich seit der Einführung des Gesetzes immer wieder verändert, die Wartezeiten bei der Antragstellungen sind inzwischen kürzer als früher. Heute geht es vor allem darum, die gleichzeitige Bearbeitung der eingereichten Dokumente voranzutreiben und verbindliche Fristen für amtliche Bearbeitungsprozesse einzuführen, da einzelne Akteur_innen wie die Bundespolizei die Genehmigung unendlich hinauszögern können.«50

Diese sogenannte »agilização« findet ihren konkretesten Ausdruck in einem 2011 auf den Weg gebrachten Genehmigungsplan (PNORC).51 Dieser sieht eine »Universalisierung« der staatlichen Interpretation radialer Meinungsfreiheit in Form von ComRads vor, d.h. jede brasilianische community sollte bis Ende 2012 »mindestens einen Sender« erhalten. Als community werden hier die kleinsten territorialen politischen Verwaltungszonen herangezogen, nämlich die 5.565 brasilianischen Kommunen (municípios).52 Eine Vielzahl von Verfahrensänderungen soll garantieren, dass die bestehenden 4.200 Genehmigungen erneut um die Hälfte wachsen. Doch der technical fix hat (abgesehen von der dem problematischen Anspruch der alleinigen Repräsentativität der legalen Inskription) ein entscheidendes Problem: Selbst eine vollständige Realisierung dieses rechtlichen Anspruchs würde nicht ausreichen, damit alle der mehr als 20.000 brasilianischen Sender, die sich selbst als ComRads bezeichnen ein Genehmigung bekommen. Doch solcherlei weiterführende Kritik an der legalen Inskription läge außerhalb der Befugnisse des MiniComs und der Regulierungsbehörde, sagt Vanessa Gomes von ANATEL: »Alle weiterführenden Modifikationen der Rundfunkdefinition müssen auf Verfassungsebene erfolgen und können nicht von Institutionen der Exekutive ausgehen.«

(2) Dieser Vorstellung steht eine zweite Perspektive entgegen, die vor allem der Position von ABRAÇO entspricht. Ausgehend von dem bereits bestehenden Verfassungsartikel 223, drängt die Organisation zunächst auf eine Anerkennung der ComRads als öffentliche Radios.53 Besonders ist an der Perspektive von ABRAÇO, dass sie der Forderung nach einem »Ende der Ein-Kanal-Politik« zugleich eine Festschreibung von exakt drei ComRads pro Gemeinde zur Seite stellt.54 Diese starre Formel erklärt sich daraus, dass ABRAÇO demokratisches Radiomachen, primär als gesellschaftlichen Aushandlungsprozess innerhalb eines ComRads einschreibt. Drei Sender sollen deshalb lediglich die Abdeckung des Sendegebiets gewährleisten und statt um Hörer_innen zu streiten »miteinander ein lokales Netzwerk aufbauen.« Was in diesen Radios läuft, solle künftig ein Bürger_innenrat (conselho de cidadãs)55 entscheiden.

Hier klingt bereits eine Verschiebung des Legitimationsträgers in Richtung der communities an. Darüber hinaus ist ABRAÇO jedoch auch an einer Modifikation des legalen Skripts auf föderaler Ebene interessiert, genauer gesagt an der Gründung einer spezifischen Ministerialabteilung für ComRads (Subsecretária de Rádios Comunitárias).56 Legitimiert sei dieses Organ jedoch nur dann, »wenn es mit Leuten besetzt wird, die die Bewegung kennen, sich damit identifizieren und die Genehmigungsprozesse vereinfachen.« Die Perspektive von ABRAÇO sieht also eine weitreichende Reform des bestehenden Gesetzes, entsprechend der eigenen Inskription vor. Gefordert wird hier, aus dem Verständnis heraus der/die einzige legitime Repräsentant_in der ComRads zu sein, eine Angleichung der legalen Inskription an ihre eigenen institutionellen Änderungsvorschläge, die bereits als allgemeiner legitimer Konsens verstanden werden. »Die Gesetzgebung muss schließlich immer Ausdruck des gesellschaftlichen Willens sein.«56

(3) Da weder das Gesetz noch die Perspektive ABRAÇOs erschöpfend den gesellschaftlichen Willen repräsentiere, schlägt AMARC in einer dritten Perspektive als künftige Grundlage des ComRad-Machens vor, »zunächst ein neues allgemeines soziales Gesetz für elektronischen Medien auszuhandeln.« Nur eine solche Sichtweise würde es ermöglichen, die Inskription von AMARC, die ja als ein nicht-territoriales Modell angelegt ist, auch in Brasilien zur Entfaltung zu bringen. Dabei wird ebenfalls auf Artikel 223 der brasilianischen Verfassung Bezug genommen und die dort verankerte Komplementarität staatlicher, öffentlicher und privater Radios an eine drittelparitätische Aufteilung des elektromagnetischen Spektrums gekoppelt.57 Potentiell gäbe es dann viel mehr Raum für ComRads, in dem sich einzelne Gruppen, die ihrem Verständnis nach eine Community bilden, einschreiben könnten. Die nationale Repräsentantin des brasilianischen Frauennetzwerks von AMARC, Denise Viola illustriert diese Forderung so:

»Eine community ist oft nicht geographisch geprägt. Eine Frauen-community, wie soll die allgemein geographisch fassbar sein? Sie passt in kein Raster. Eine strikte Begrenzung von communities im Vorfeld hat keinen Sinn. Jede Restriktion muss Ausdruck eines spezifischen Konsens sein.«

Damit öffnet AMARC perspektivisch der Idee radialer Selbstregulierung die Tür. Mittelfristig sieht diese zunächst eine Aufwertung der municípios als lokale Regulierungsinstanzen vor, die eine »Umverteilung der verfügbaren Frequenzen zugunsten der ComRads« vornehmen könnten. Zugleich sollte anstatt einer neuen Ministerialabteilung ein »Rat sozialer Kommunikation« (conselho de comunicação social) geschaffen werden, der erneut »paritätisch mit Vertreter_innen staatlicher, privater und zivilgesellschaftlicher Medien« besetzt werden sollte. Damit wird die zentrale Rolle staatlicher Legitimationshelfer_innen relativiert, bleibt jedoch immanenter Bestandteil der Inskription. Langfristig sympathisieren viele Vertreter_innen von AMARC mit einem weiterführenden Zurückdrängen staatlicher Legitimationsträger_innen, das aber »aus strategischen Gründen noch kein Thema« sei. Die weitere Modifikation der ComRad-Inskription müsse dennoch an einer »Selbstorganisation der Kommunikation ohne Staat, im Sinne einer wirklich öffentlichen Kommunikation« orientiert sein.58

(4) Dass eine solche Selbstorganisation nicht nur kurzfristig sondern schon immer möglich gewesen sei, darin lässt sich der Ausgangspunkt der vierten hier beschriebene Position festmachen.

»Das elektromagnetische Spektrum ist eine natürliche Ressource, deren kontrollierte soziale Nutzung auch ohne staatliche Vermittlung möglich ist. Grundlage dessen wäre eine allseitige Vermeidung von Interferenzen und der Respekt unterschiedlicher Interessen.«

Wie ein solcher Konsens im Einzelnen auszuhandeln sei, könne nicht vorab beantwortet werden, auch nicht als drittelparitätische Aufteilung der Frequenzen. Es sollte lediglich darauf geachtet werden, dass die gesellschaftliche Nutzung der Radiowellen an einer öffentlichen und freien Kommunikation im Zentrum stehe und nicht wie bisher kommerzielle Ziele.59

Erneut wird deutlich, dass RIZOMA Deregulierung nicht mit Regellosigkeit gleichsetzt, sondern vielmehr, an einer konsensuellen Neubestimmung legitimen Radiomachens interessiert ist. Dafür werden auch konkrete Vorschläge angeführt, wie beispielsweise »Radios künftig auf lokaler Ebene im Rahmen von Umwelt- und technischen Machbarkeitsstudien« (relatórios técnicos e de impacto ambiental) zu regulieren.60 Um solche Ideen zu verwirklichen, sei keine universelle Neuordnung der brasilianischen Radiolandschaft notwendig. Experimentell lasse sich die Selbstregulierung bereits heute in einem von Lizenzierungen und Genehmigungen befreiten Stück des elektromagnetischen Spektrums erproben.

»Wie reden hier von einer Art freiem Spektrum, verwaltet im Rahmen einiger, von den Nutzer_innen geteilten Grundprinzipien, wie zum Beispiel mit niedriger Frequenz, unter Vermeidung von Interferenzen, ohne Gewinnabsichten und ohne religiösen oder politischen Missionierungseifer (proselitismo) zu arbeiten.«61

Ganz neu sind Teile dieser Grundprinzipien indes nicht, sie werden von den meisten Radioverbänden geteilt und stehen in ähnlicher Form sogar im ComRad-Gesetz. Neu ist dagegen, diese Prinzipien unterschiedslos und symmetrisch für alle Kommunikationsakte im elektromagnetischen Spektrum, oder anfangs zumindest einem Stück davon zu veranschlagen. Auch die hier anklingende territoriale Eingrenzung wird an die kommunikativen Akteur_innen, die Medienmachenden selbst, weitergegeben. Communities sind dadurch anteilig immer auch geographisch dimensioniert, vermieden wird jedoch eine definitorische Gleichsetzung von einem Ort und einer community. Denn beide Vorstellungen sind dynamisch, Effekte und nicht Grundlage der gemeinsamen Konsensfindung. Gelingt letztere wird der staatliche Schiedsrichter bei der Legitimation von Medien überflüssig, denn »Meinungsfreiheit braucht keine Regierung.«62

Zusammenfassend lässt sich zu den radialen Perspektiven sagen, dass die erwünschten Modifikationen mit Ausnahme der legalen Inskription Lei 9.612/98 ihre Berechtigung allesamt von einer veranschlagten Legitimationskrise aus entfalten. Die erwünschten legalen »Korrekturen« im Verhältnis zu den eigenen radialen Inskriptionen werden dabei argumentativ jedoch sehr unterschiedlich akzentuiert. Die Position von ABRAÇO läuft auf institutionelle Reformen und Veränderungen einzelner Normen und Regeln hinaus, um sie mit der eigenen Inskription kompatibel zu machen. AMARC strebt dagegen eine Öffnung der bisherigen Vorstellung von ComRad und dessen Aufwertung als öffentliche Radios an. Letzteres wird dabei als eine von drei gleichberechtigten Sphären im Spektrum und einer davon abstrahierten geteilten Administration gesehen, wobei die radialen Vertreter_innen in den einzelnen Sphären darüber entscheiden, wie – in diesem konkreten Fall – ComRads im einzelnen organisiert werden sollten. RIZOMA schließlich proklamiert demgegenüber die Aufgabe eines einheitlichen Modells der Spektrumsverwaltung und eine experimentelle Annäherung an eine Selbstverwaltung ohne staatliche Vermittlungsleistung.

Insgesamt lässt die Betrachtung der unterschiedlichen Positionen der network builder den Schluss zu, dass unabhängiges Radiomachen auf allen drei konstruierten Abstraktionsebenen (Retrospektive, Bestandsaufnahme, Perspektive) legitimiert wird. Deutlich wird, dass die anerkannte Stabilisierung von medialen Modellen sich keineswegs auf eine technische Regulierungsfrage reduzieren lässt. Denn selbst jene network builder, die auf technische und punktuelle Lösungen insistieren, beteiligen sich zugleich an weiterführenden konzeptuellen Debatten. Selbst der Versuch, allein ein legales Skript als gültige Definition zuzulassen, ist schließlich keine neutrale Verteidigung technischer Normen, strotzt das Gesetz (Lei 9.612/98) doch vor nicht-technischen Normen und Definitionen.

Ebenfalls deutlich wurde in diesem Unterkapitel, wie stark die einzelnen Prämissen der network builder an eine relationale Aushandlung gekoppelt sind. Die Begriffe Freies Radios und Community Radio wurden nicht in Brasilien »erfunden«. Vielmehr zeigt sich eine spezifische situative Aneignung und Umdeutung und zwar nicht nur in historischer Perspektive, sondern auch in den aktuellen Kritiken und Zielstellungen. Davon betroffen sind nicht nur die bereits dargelegten Modifikationen von staatlichen Institutionen als (selbsternannte) zentrale Legitmationshelfer_innen, sondern auch die Rolle der Inskripteur_innen selbst. Einmal wird dabei der Anspruch laut, als Repräsentant_in direkt in einer Ministerialabteilung Aufgaben wahrzunehmen (in dem von ABRAÇO geforderten Subsekretariat), ein andermal empfehlen sich die network builder als Delegierte in einem Bürger_innenrat (AMARC), mal beschränken sie sich darauf, Stimme einer lokalen Konsensfindung zu sein (RIZOMA), die nicht nur an Menschen, sondern auch auch am störungsfreien Miteinander von Antennen und hybriden Umweltgrößen orientiert ist.64

Diese selbstreferentiellen Verortungen sind wichtig, da sie, wie die folgenden Kapitel zeigen werden, die weitere detailliert Zusammensetzung der Inskriptionen maßgeblich beeinflussen. Es ist spannend, jeweils mitzudenken, in welches Verhältnis sich die network builder bei der Montage, Mediation und Mobilisierung der unabhängigen Radios setzen. Wo fordern sie selbst eine wichtige Stellung ein, wo überlassen sie den unabhängigen Radios bestimmte Aufgaben und einen Spielraum, um ihre Legitimation mitzugestalten?

 

3.3 Montagen

Von A wie Antenne bis Z wie Zumbi,65 – die Zahl der am unabhängigen Radiomachen beteiligten Akteur_innen nähert sich dem Unendlichen. Die folgende Betrachtung zieht ihre analytischen Grenzen deshalb im Rahmen folgender Fragestellung: Welche unterschiedlichen Akteur_innen sind an der Konstruktion medialer Legitimation beteiligt? Bei der Beantwortung dieser Frage unterscheide ich analytisch zwischen all jenen Akteur_innen, die unmittelbar an der Signalerzeugung (3.3.1) beteiligt sind und solchen, die als wichtige Akteur_innen für weiterführende soziale Vermittlungen benannt werden (3.3.2).66 Dabei geht es auch darum, die einzelnen Grenzziehungen zu reflektieren und deutlich zu machen, wo diese unscharf werden,  Montagen unvollendet oder ambivalent bleiben. Denn dort deutet sich gegenüber konkreten Anleitungen (3.3.3), wie wir sehen werden, auch ein interessanter legitimatorischer Handlungsspielraum für die alltägliche Praxis der einzelnen Radiokollektive an.

 

3.3.1 Signalerzeugung – komplizierte Beziehungen

Über die bisher sehr allgemeinen Positionierungen unabhängigen Radiomachens hinaus, machen die einzelnen Inskriptionen ihre normativen Prämissen an spezifischen Akteur_innen fest, die direkt an der Signalerzeugung beteiligt sind. Erneut formuliert dabei das ComRad-Gesetz 9.612/98 spezifische, zu erfüllende Rollenanforderungen, sowohl an menschliche, nicht-menschliche oder auch hybride Akteur_innen. Erneut bemühen sich aber auch die weiteren network builders darum, sich in ihrer Legitimation nicht auf diese legalen Vorgaben festlegen zu lassen. Wie im Folgenden deutlich werden wird, nehmen sie selbst eine differenzierte Ordnung der medialen Entitäten vor.

 

3.3.1.1 Menschliche Akteur_innen

Im brasilianischen ComRad-Gesetz wird die Legitimität eines einzelnen Radios daran festgemacht, dass dieses von einem eingetragenen Verein oder einer Stiftung mit eine_r Präsident_in organisiert wird. Dies_r, wie auch die leitenden Mitarbeiter_innen (dirigentes), muss volljährig, geborene_r oder eingebürgerte_r Brasilianer_in sein und einen Wohnsitz innerhalb des Sendegebiets haben. Ausgedrückt werden hier zunächst eher die formalrechtlichen Auflagen und die Haftbarkeit eines Radios innerhalb eines geographisch eingegrenzten Raums beziehungsweise einer hierarchischen Ordnung, wobei deren situative Aushandlung vom Gesetzestext nicht näher berührt wird. Gefordert wird lediglich, »dem Gesetz treu [zu]sein.«67 Eingeschrieben wird eine organisatorische Hierarchie, wer dagegen im Einzelnen an der Signalerzeugung mitwirken soll, bleibt offen.

ABRAÇO, die diesen Ausdruck gesetzlich verankerter sozialer Kontrolle grundsätzlich unterstützen, kritisiert jedoch, dass eine solche »Professionalisierung« der ComRads nicht als eine »Unterscheidung von Bürokraten gegenüber weiteren Radiomachenden« missverstanden werden dürfe. Die dirigentes eines Senders müssten zugleich als allseitig geschulte Radiomachende mitwirken:

»Ein Radiomacher (radialista) muss plural sein. Er muss Vorsitzender, Telefonist, Moderator, Kontaktmann der Bevölkerung, Techniker, Produzent oder politischer Repräsentant der Gemeinde sein. Er muss alles machen können und dafür auch aus ausgebildet werden, um im Namen der Bewegung ein Radio leiten zu können.«68

In dieser arbeitsteiligen Vision des Radiomachens wird also einerseits den Leitenden explizit abverlangt, ein Signal erzeugen zu können. Zugleich werden alle, die ein Signal erzeugen dazu aufgefordert ihre Handlungsprogramme »im Namen der Bewegung« auszuführen. Damit ist ein Forderung nach Legitimierung formuliert, mit der ABRAÇO zugleich die sich selbst zugeschriebene Rolle als einzige_n anerkennungswürdige_n Repräsentant_in unabhängigen Radiomachens stärkt.69

AMARC hingegen verzichtet auf diese reziproke Rückkopplung. Während der arbeitsteilige Blick von ABRAÇO weitestgehend geteilt wird70, kritisiert die Inskription die vom Gesetz geforderte (und von ABRAÇO affirmierte) Vereins- oder Stiftungsstruktur als zu enges formal-rechtliches Kriterium, denn: »[M]enschen solidarisieren sich auf sehr viel komplexere Weise miteinander. Für ihre Organisation spielen anarchistische, ethnische, gender-spezifische oder ganz kontemporäre Prinzipien eine große Rolle.«

In seiner Inskription wird AMARC dieser Komplexität vor allem im Punkt der Geschlechtergleichheit gerecht. Die meisten ComRads in Brasilien würden von Männern geleitet und die Vorstellung dass sich dort kein Machismus reproduziere sei schlichtweg eine Illusion.71 Deshalb müssen laut AMARC die menschlichen Akteur_innenrollen in ComRads immer auch geschlechtsspezifisch reflektiert werden. Gefordert wird, das gesetzliche Gebot der »Nichtdiskriminierung« zu operationalisieren und die Benachteiligung von Frauen beim alltäglichen Radiomachen zu bekämpfen. Das selbstorganisierte Frauennetzwerk, auf dass ich später noch näher eingehen werde, stellt dabei eine wichtige Akteurin der ComRad-Inskription dar.72

Dass sich RIZOMA explizit nicht auf eine positive Diskriminierung einlässt, kann erneut aus ihrer negativen Medieninskription ableitet werden, welche auch Fragen wie Geschlechtergleichheit zunächst an die Machenden weitergibt. Zudem teilen sie zwar die Ansicht von ABRAÇO, »dass die einzelnen Programmverantwortlichen, potentiell alles können sollen.« Dieses alles zerfällt jedoch nicht in professionelle Rollenbilder. Stattdessen bleibt es »jedem einzelnen überlassen was er lernen will – auch wenn alle ein bisschen was wissen sollten.«73

Auch die Inskription des ABRAÇO-Ablegers im Bundesstaat São Paulo greift die hier anklingende Ablehnung einer Professionalisierung unabhängiger Radios ein Stück weit auf. Eine anfängliche Arbeitsteilung zwischen »populären Kommunikatoren« auf der einen Seite, »die keine Ausbildung wie Journalisten haben und Teil der Gemeinschaft sind« und einem »Team von Spezialisten«, welche erstere professionell bei der Produktion unterstützen könnten, sei jedoch aus pragmatischen Gründen zu rechtfertigen.74 Diese Rollenteilung wirft jedoch nicht nur für dieses Modell die spannende Frage auf, inwiefern hier bereits erneut dauerhaft-subtile Hierarchien eingeschrieben werden. Auch in den Inskriptionen Freie Radios gibt es Hinweise darauf, dass die Mitarbeit von »Profis« ein Stück weit akzeptieren und benötigt wird, zum Beispiel beim Bau und der Distribution von Sendetechnik, wo es nicht mehr ausreicht, das alle »ein bisschen was wissen«.

Mit den Beschaffer_innen und Konstrukteur_innen von Sendetechnik ist eine nicht immer sichtbare Akteur_innenrolle angesprochen. ABRAÇO und AMARC reflektieren sie in ihren Inskriptionen an keiner Stelle, obwohl die Bereitstellung von Sendetechnik für die Signalerzeugung unerlässlich ist. Bei RIZOMA, VIVA RIO und auch FDC wird diese_r Akteur_in dagegen als jemand beschrieben, der/die die Radios dabei unterstützt, ein kontinuierliches Medienmachen zu gewährleisten, beziehungsweise zu seiner Reproduktion oder Verbreitung beiträgt. 75 Zugleich helfe ihre Qualitätsarbeit dabei Konflikte zu vermeiden, da bspw. ein schlecht kalibrierter Sender Störungen verursachen und unnötig die Aufmerksamkeit der Regulierungsbehörde provozieren könnte.

Während die letztgenannten Radioverbände also spezifische Anforderungen für die legitime Beteiligung dieser Akteur_innen am Radiomachen formulieren, klafft in den Deskription von AMARC eine Lücke. Ob diese von einem hidden transcript oder von den Radiomachenden selbst gefüllt wird, lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten. Lediglich eine Vermutung kann formuliert werden. Da die Bereitstellung von Sendetechnik in diametralem Widerspruch zur legalen Inskription unabhängigen Radiomachens (und oftmals auch ihren spezifischen technischen Normen) steht, bildet sie ein zentrales Moment, um ihre Illegalisierungen zu rechtfertigen. Ihr Verunsichtbarung in den Inskriptionen könnte deshalb einen Versuch darstellen, das beschriebene Radiomachen nicht unnötig für legalistische Kritiken zu exponieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in den einzelnen Inskriptionen eine Umdeutung und Ergänzung gesetzlich vorgegebener Rollen stattfindet. Vor allem bezüglich der demokratischen Organisationsformen, der Geschlechtergleichheit und der Beschaffung der Sendetechnik werden konzeptuell und relational unterschiedliche Akzente gesetzt.76 Eine strategische Antwort auf die problematische Legitimierung von Bereitsteller_innen der Sendetechnik in nicht-genehmigten ComRads scheinen ABRAÇO und AMARC darin zu sehen, die Rolle der Technikfabrikant_innen auszublenden, während vor allem RIZOMA sie als professionelle Unterstützer_innen bei der Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit öffentlich einbezieht.77 Wenn dem so ist, dann müsste sich diese Strategie auch in Bezug auf die konzeptuelle Sensibilität widerspiegeln, mit der nichtmenschliche Akteur_innen in die einzelnen Radiomodelle eingebunden werden.

 

3.3.1.2 Nicht-menschliche Akteur_innen

Im brasilianischen ComRad-Gesetz werden die wichtigsten materiellen non-humans bereits im ersten Paragraphen in ihrer legalen Erscheinungsform definiert, und zwar als Vermittler_innen einer »niedrigen Sendestärke«. Nur Sendegeräte mit einer Leistung von »maximal 25 Watt« und »einem Ausstrahlungssystem nicht höher als 30 Meter« sind zugelassen. Zugleich ist in das Gesetz eingeschrieben, dass allein die Regulierungsbehörde ANATEL nicht-menschlichen Akteur_innen in ihrer Anwesenheit autorisieren darf.78 Die Signalerzeugung unter Beteiligung nicht-genehmigter Entitäten subsummiert Vanessa Gomes von ANATEL deshalb als »Piraterie«. Im Internet würde neben raubkopierter Musik und Filmen auch Radioequipment völlig unkontrolliert verbreitet. »Die Leichtigkeit für 1.000 bis 2.000 Reales Equipment zu bekommen und die personellen Grenzen von ANATEL, machen eine Überwachung unmöglich.«

In dieser Sichtweise wird deutlich, dass die pauschalisierende Wahrnehmung aller nicht-genehmigten Sender als Piratensender auch auf deren nicht-menschlichen Entitäten ausgedehnt wird. Und, ohne dass es dafür einen gesetzlichen Anhaltspunkt gäbe, wird der Bau und Handel von Sendetechnik unbegründet illegalisiert, denn kein Gesetz verbietet dies explizit. Auch die Frage, ob ihr nicht-genehmigter Einsatz pauschal als Straftat zu bewerten ist, bleibt wie bereits erwähnt, auf juristischer Ebene umstritten. Die von ANATEL gezogene Analogie zwischen Verstößen gegen Urheberrechte und dem Handel nicht-genehmigter radialer non-humans legt die Vermutung nahe, dass hier bewusst eine Delegitimierungsstrategie formuliert wird. Denn argumentativ ist die »Piraterie«-Analogie wenig schlüssig.

Doch weder AMARC noch ABRAÇO verteidigen nicht-menschliche Radiogrößen in ihren Inskriptionen vor solchen Beschuldigungen. Sie insistieren in ihren Legitimationsstrategien eher darauf, dass »Menschen Radio machen und nicht die Technik.« Kritisiert wird zwar die starre Normierung der nicht-menschlichen Akteur_innen im ComRad-Gesetz, aber vor allem deshalb, »weil damit die Arbeit unabhängiger Radiomachender einschränkt wird.«79 Erwähnt werden Antennen und Sendegeräte als Notwendigkeit, die in ihrer Relation zu den menschlichen Akteur_innen jedoch nicht weiter expliziert werden. Wenn überhaupt, wird darauf verwiesen, durch Schulungen und Handreichungen die demokratische Nutzung der Studiotechnik wie »Mischpult, Computer und Mikrofon« zu gewährleisten.80 Angesprochen werden also drei für die Signalerzeugung explizit nicht-genehmigungspflichtige Entitäten.

Dem gegenüber orientiert sich die Position von RIZOMA an der vollständigen, für die Signalerzeugung notwendigen Audiokette. So zum Beispiel, wenn darüber nachgedacht wird, welches die kleinste notwendige Menge nicht-menschlischen Akteur_innen sei, um Radio zu machen:

»Die drei wichtigsten Sachen sind der Sender, das Kabel zwischen Sender und Antenne und die Antenne. Das ist die Grundlage, das macht die Existenz oder Nichtexistenz eines Radios aus. Ein Radio ist ein Radio das ein Signal sendet, sonst ist es keins.«81

Diese Feststellung drückt mehr aus, als eine naive Faszination für materielle Sendetechnik, sie steht auch in direkter Kontinuität zur massiven Produktion von Sendern und Antennen, welche das bereits erwähnte historische Moment einer Besetzung des Spektrums zum Ziel hatte (vgl. 3.2.1). Vor allem wird reflektiert, wie einfach oder schwierig es für Radios in Städten oder dem Landesinneren (interior) ist, bestimmte nicht-menschliche Größen zu mobilisieren und zu stabilisieren. Deshalb versuche man so weit als möglich mit »Technik Marke Eigenbau« (caseira) zu arbeiten und keine komplizierte Technik zu verwenden. Gerade damit werde auch die Kontinuität eines Radios gewährleistet: »die Sendetechnik darf nicht zu teuer sein und muss auch von einer kleinen Gruppe bedient und verwaltet werden können«82 – denn sollte die Regulierungsbehörde alles konfiszieren, muss das Radio möglichst schnell wieder auf Sendung gehen können.

In ähnlicher Weise argumentiert auch ABRAÇO São Paulo, wenn es fordert, »dass man bei Entwicklung von Sendemodellen für die städtischen Peripherien den Materialkostenpreis von Anfang an mitdenken« müsse. Für kleine Radiokollektive sei das von ANATEL genehmigte Paket der Sendetechnik für 5.000 Reales einfach zu teuer. Damit relativiert sich die legale Anerkennungswürdigkeit pragmatisch im Anspruch zunächst einmal senden zu können. Die sozio-ökonomische Situation eines ComRads beeinflusst und legitimiert demnach auch die Anwesenheit spezifischer non-humans.83

Über die Auseinandersetzung mit legal vorgeschriebenen nicht-menschlichen Medien-bestandteilen und möglichen Alternativen, werden in den einzelnen Inskriptionen weitere komplizierte Entitäten mobilisiert, von denen ich im Folgenden drei genauer betrachten möchte. Computer, (freie) Software und Internet beeinflussen die Anwesenheit im Spektrum und haben damit, wie ich zeigen möchte, direkten Einfluss auf die konkurrierenden radialen Legitimationen.

(1) Ein_e erste_r Akteur_in, die/der laut übereinstimmender Meinungen der einzelnen Inskripteur_innen immer wichtiger wird, ist der Computer. Bei der Signalerzeugung ist er in den meisten Studios heute fester Bestandteil der Audioketten. Auf seinen Festplatten lässt sich beispielsweise Musik speichern und dann mit spezifischen Programmen abspielen, er bietet die Möglichkeit auf Datennetzwerke Zugriff zu nehmen und diese auf unterschiedliche Weise in die Sendungen einzubeziehen (z.B. die Retransmision eines »webradios« aus dem Internet) und er ermöglicht das digitale Schneiden von Audios. »Der Computer ist im Radio heute die wohl wichtigste Schnittstelle crossmedialer Kommunikation. In ihm finden gedruckte Medien, Rundfunk und Fernsehen zueinander«, beschreibt Carlos Rocha vom FDC deshalb die zentrale Größe seiner Inskription interaktiven Radiomachens.84

Neben der allgemeinen Wertschätzung von Computern beim Radiomachen wird besonders seine Fähigkeit betont, andere Akteur_innen zeitweilig vertreten oder auch längerfristig ersetzen zu können.85 Wenn gerade keine Menschen anwesend sind, um in ein angeschlossenes Mikrophon zu sprechen, kann ein Computer diese auf unterschiedliche Art und Weise vertreten. Die ComRad-Verbände erwähnen dabei vor allem sogenannte Automatisatoren, eine Art spezielle Wiedergabelisten für digitale Audioformate.86 Sie unterstützen die Kontinuität des Sendens und damit auch seine Anerkennungswürdigkeit.

RIZOMA hält die Bedeutung von Automatisatoren für die Inskription Freien Radiomachens dagegen für gering, »denn in Freien Sendern gibt es nicht so einen programmatischen Blick auf das Radiomachen. Eine einfache Playlist reicht aus.« Die Arbeit mit Automatisatoren sei nicht gekoppelt an ein freies sich Ausdrücken, schränke ästhetisch zu sehr ein und würde zudem die Herausbildung von Hierarchien und Expert_innennrollen im Radio begünstigen. »Denn oft sind diese Programme nicht so leicht zu installieren und zu bedienen. Es gibt für uns andere Prioritäten.«86 Diese definiert auch RIZOMA anteilig ebenfalls über den Einsatz von Computern. Die Legitimation ist dabei jedoch nicht an der Erfüllung kontinuierlichen Sendens orientiert, sondern an der Mobilisierung einer spezifischen Gruppe von non-humans: Freier Software (software livre). Denn »Konzepte wie Interaktivität, Konvergenz oder auch digitale Inklusion machen keinen Sinn, solange nicht auch die Verwendung Freier Software angesprochen wird.«87

(2) Ohne hier im Detail auf die Unterschiede zwischen open source und free software zu einzugehen, verbindet RIZOMA seine Radioinskription mit einem bestimmten Konzept von Software.88 Der Computer zerfällt in heterogene Hardware-Ensembles und einen Typ Software, der potentiell jene Zwänge vermeiden sollte, die in kommerziellen Programmen angelegt sind. Damit ist vor allem die »Warenform« von Lizenzsoftware angesprochen, die in ihrer Zirkulation, Verwendung und Modifikation urheberrechtlichen Einschränkungen unterliegt. Als unabhängiges Radio Geld für die Anwesenheit dieser kapitalistischen non-humans auszugeben » ist unnötig und politisch nicht zu rechtfertigen.«89 Deshalb beschreibt RIZOMA Freie Radios als Orte, die selbst Software herstellen oder mit Entwickler_innen kooperieren. Darüber hinaus sollen sie allen beteiligten menschlichen Akteur_innen die Softwarenutzung erleichtern, »denn jede Software ist ein Produkt voller sozialer Beziehungen und erst wenn man sie gemeinsam zu Nutzen weiß, zeigt sich die Überlegenheit Freier Software.«90 Software livre wird von RIZOMA demnach als ein fester Bestandteil freien Radiomachens veranschlagt, das damit in seiner Legitimation eine zusätzliche Dimension erhält.

Geteilt wird diese legitimierende Kopplung an Freie Software von VIVA RIO, die sich selbst und mit ihnen kooperierende Community Radios dazu verpflichten, »möglichst schnell nur noch freie Software [zu] nutzen, um demokratischer, partizipativer aber auch kollaborativer zu sein.« Auch ABRAÇO São Paulo hält den Einsatz von software livre in Community Radios als unabdingbar, da sich dort so, »für die Gesellschaft notwendige nicht-materielle Kapazitäten reproduzieren können, die neuen Formen kognitiver Dominanz entgegenwirken.«91 AMARC und ABRAÇO sind dagegen zurückhaltender und vermeiden es, die Legitimation eines Community Radios direkt an Software zu koppeln.

»Sicherlich ist die Aneignung Freier Software so wie in Freien Radios erstrebenswert, aber nicht für alle Radios ist das eine realistische Option. Es braucht Zeit, Personal und Energie um das hinzukriegen und jeder sollte seine eigenen Prioritäten setzen.«92

Deutlich wird in den Radioinskriptionen hier eine divergierende Auffassung der non-humans. Während Freie Software bei RIZOMA immanenter Bestandteil der Mobilisierung und Stabilisierung Freier Meinungsäußerung wird, bleibt es bei AMARC und ABRAÇO ein potentiell interessantes Werkzeug, um das Recht auf Kommunikation oder Meinungsfreiheit zu unterstützen, jedoch als eine Variable und nicht als fest Größe der eingeschriebenen radialen Mediationen.93

(3) Sehr unterschiedlich wird im Detail auch die Beziehung unabhängiger Radios zum Internet konstruiert. Ohne die recht grobe Referenz des Internets im Singular weiter zu entfalten, lässt sich festhalten dass es seitens der ComRad-Inskripteur_innen als »explosives aber auch ambivalentes Werkzeug« wahrgenommen wird, dessen »Bedeutung für das Radiomachen von seinen spezifischen Nutzungsmöglichkeiten aus gedacht werden muss.« Diese Möglichkeiten betreffen zunächst die Korrespondenz zwischen Radios, die den »Austausch von E-mails, schriftlichen Nachrichten, Programmen und Audios« umfasst.94 Darüber hinaus erlaubt es ComRads auch, neben dem Signal im elektromagnetischen Spektrum, auf den Internetservern als Webpage sichtbar und als Webradio hörbar zu werden. Doch inwiefern wird dieses Potential nun an die legitime Signalerzeugung im Spektrum gekoppelt?

Zunächst lassen sich zwei Hypothesen ausmachen, die das Internet als festen Bestandteil der radialen Inskriptionen rechtfertigen. Die erste besagt, das Internet habe als Kommunikationsmittel ComRads als organisierte Bewegung, die für eine plurale Spektrumsnutzung eintritt, überhaupt erst möglich gemacht. Die zweite beschreibt eine spätere Aneignung durch die brasilianischen ComRads.95 Beiden Positionen liegen zwar unterschiedliche empirische Analysen zugrunde, sie laufen jedoch auf die gemeinsame Konklusion hinaus, die große Bedeutung des Internets als Kommunikations- und Informationswerkzeug müsse in den radialen Inskription reflektiert werden. Bei AMARC ist beispielsweise der »Kampf für eine demokratische Internetnutzung« Teil der Aushandlung des allgemeinen Rechts auf Kommunikation. ComRads hätten beispielsweise (wie alle anderen gesellschaftlichen Akteur_innen) das Recht auf einen kostenfreien Zugang zum Internet.96

ABRAÇO aber auch das FDC, beziehen das Internet darüber hinaus als eine permanente Erweiterung des Radiomediums ein. Kurzfristig helfe das Internet dabei, das für ComRads geltende gesetzliche Verbot, sich im elektromagnetischen Spektrum durch die Retransmission von Signalen zusammenzuschalten, zu umgehen. Denn wie bereits erwähnt, senden kommerzielle Radios ihre Programme oft gleichzeitig über Dutzende Antennen aus, während es ComRads strikt untersagt ist ein Signal auf diese Weise zu vervielfältigen. Doch per Audio-Streaming lässt sich dieses Verbot umgehen, da Signale dabei ja zunächst nur im Internet übertragen werden, anschließend jedoch sehr wohl auch im Spektrum ausstrahlt werden können.97 Das Internet wird in den Inskriptionen damit als eine »digitale Brücke« legitimiert, die dabei hilft, die freie Meinungsäußerung im Spektrum zu potenzieren.98

Über diese Rolle als digitales Relais hinaus, wird die Kopplung von Radio und Internet weiterführend auch als gemeinsamer Ausgangspunkt einer gesellschaftlich erstrebenswerten »medialen Konvergenz« betrachtet. ABRAÇO erhebt Webradio in Form von Live-Streaming oder Podcasting auf der Senderseite zu einem»zusätzlichen Übertragungsweg des Radiomediums.« Das FDC entwickelt in seiner Version interaktiven Radiomachens darüber hinaus den Anspruch die Produktion von Audiosignalen im Internet crossmedial »mit Print- und TV-Angeboten auf den Radiowebseiten [zu] verknüpfen.«99 Auf der Seite der Radiohörenden drücke sich die Konvergenz in einer Vervielfältigung der Geräte aus, mit denen sich ComRads empfangen lassen,

»was zweifellos zu einer Stärkung der Bewegung führen wird. Denn die Sender werden global über webfähige Computer und Handys empfangbar sein. Umgekehrt sind sie jedoch schon heute auch wichtige Agenten bei der Verbreitung des Internets. ComRads werden ganz entscheidenden Anteil an der Verbreitung von Breitband-Internet in Brasilien haben.«100

Die bereits vorher anklingende funktionale Erweiterung des Radiomediums wird in dieser Aussage noch weiter zugespitzt. Ausgehend von empirischen Beispielfällen einzelner Sender, die ihre Infrastruktur nutzen im Sendegebiet über Radiowellen auch ein Internetsignal anzubieten, wird diese Leistung, neben der eigentlichen Signalerzeugung zu einem festen Bestandteil erhoben. »Die ComRads sollen sich zu Zentren der digitalen Inklusion entwickeln.«101

Interessant ist an solchen Inskriptionen, die eine mediale Konvergenz evozieren, dass dabei »Radio« stillschweigend als konzeptueller Fixpunkt voraussetzt wird, der in seiner Legitimation umso mehr gestärkt wird, je mehr er seinen Beitrag zum gesellschaftlichen Gemeinwohl erweitert. Doch hat Radio als Einzelmedium auch die Gravitationskraft, die sich vervielfältigenden non-humans zusammenzuhalten und aus eigener Perspektive legitimatorisch zu ordnen? Ist nicht die Vorstellung eines Internets, dass alle Einzelmedien in einen Medienverbund überführt (und dann auflöst) viel wirkmächtiger?

Die Auseinandersetzung von RIZOMA mit dem Verhältnis von Radio und Internet reflektiert solche  Fragen äußerst differenziert. Statt in einer Konvergenz wird die Legitimation zunächst von einer Verteidigung der Signalerzeugung im Spektrum aus entwickelt.

»Webradio ist nicht Radio, denn Radio heißt Signale durch elektromagnetische Wellen in der Luft zu senden. Klar, Webradio ist wichtig, um den Austausch Freier Radio zu stärken. Aber die Infrastruktur des Spektrums ist viel unabhängiger als Computernetzwerke. In gewisser Weise steht hier eine natürliche einer privaten Infrastruktur gegenüber.«

Freie Radios im Internet gebe es deshalb nicht.102 Wichtig sei allein, die taktische Nutzung der Möglichkeiten des www für das Freie Radiomachen im elektromagnetischen Spektrum. Das Internet diene durchaus der Kommunikation zwischen einzelnen Radios, »um sich zu organisieren, Material auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen. Es ist ein Hilfsnetz.«103 Für dessen weitere situative Aushandlung werden einige Prämissen aber auch konkrete non-humans eingeschrieben. Dazu gehört, analog zur Nutzung Freier Software, auch die Konzeption und Organisation Freier bzw. Autonomer Server, eines Webportales (http://radiolivre.org/), dass allen Freien Radios offen steht, sowie einer gemeinsamen Mailingliste.104 Angelegt sind dabei im Einzelnen jeweils Ensembles nicht-menschlicher Akteur_innen die kohärent zu den Inskriptionen Freien Radiomachens sind, jedoch nicht zwingend immanenter Teil dieser. »Die Beteiligung an radiolivre.org war nie besonders hoch aber es gab einige sehr dynamische Moment. Es ist und bleibt eine potentiell abrufbare Ressource.«

RIZOMA bezieht damit im Gegensatz zu Freier Software das Internet (und all seine non humans) nicht verbindlich in die Legitimation unabhängigen Radiomachens ein. Darin deutet sich auch eine Strategie an, die Forderung nach einer freien Nutzung des Spektrums nicht durch eine Anerkennung von Audio-Streaming im Internet als einen ebenbürtigen Signalweg zu relativieren. Ob in naher Zukunft eine öffentliche Grundversorgung mit Internet (und Webradio) für alle Brasilianer_innen gesetzlich garantiert wird oder nicht, scheint deshalb zweitrangig.105 Die Einbindung nicht-menschlicher Akteur_innen in ein Freies Radiomachen folgt perspektivisch immer der legitimierenden Forderung einer freien Meinungsäußerung im elektromagnetischen Spektrum im Allgemeinen und einer situativen Aushandlungen dieser Freiheit im Einzelnen.

Die ComRad-Verbände betrachten non-humans dagegen meist unter dem Gesichtspunkt, inwiefern sie die existente radiale Kommunikation einer spezifischen Community weiter potenzieren können. Diese Zielstellung relativiert auch die Verbindlichkeit, mit Freier Software zu arbeiten, während in der Sichtweise von RIZOMA ein Radio nur dann frei werden kann, wenn all seine konstitutiven non-humans frei sind. Deshalb muss dem Internet eine legitimierende Rolle beim Freien Radiomachen versagt bleiben, während es als nützliches tool in den ComRads durchaus eine protagonistische Qualität erhält. Denn es erscheint in seiner um Konvergenz bemühten Kopplung dort eher als eine soziale Frage des Zugangs oder als regulatives Problem – für dessen praktische Lösung sich ComRads als aktive (und legitime) Verhandlungsgrößen empfehlen.

Computer, Freie Software, Internet – die in diesem Kapitel betrachteten Nicht-Menschen lassen sich im Einzelnen immer auch in Akteur_innen-Netzwerke entfalten, in denen neben non-humans erneut  menschliche Akteur_innen sichtbar werden, oder Hybride, die sich trennscharfen Zuordnungen widersetzen. Wie sich unabhängige Radios mit diesen nur schwer fassbaren Entitäten auseinandersetzen und sie in ihre medialen Legitimation einbeziehen, ist Gegenstand des folgenden Kapitels.106

 

3.3.1.3 Hybride Akteur_innen

»Let’s be clear about what radio is: waves of electromagnetism moving through space107

Was sich zunächst nach einer schlüssigen Definition von Radio anhört, ist auf den zweiten Blick die perfekte Synthese seines medialen Dilemmas. Klar scheint zunächst, Radio ist etwas natürliches, dass in seiner Bewegung das elektromagnetische Spektrum induziert. Implizit wird damit jedoch gerade das ausgeschlossen, was Radio als Mediation ausmacht, nämlich eine spezifische Modifikation dieser elektromagnetischen Wellen, die eine Signalerzeugung ja erst möglich macht. Radio oszilliert in seiner medialen Bestimmung deshalb ständig zwischen etwas Natürlichem und etwas Gemachten auf der einen Seite, sowie bei der Signalerzeugung zwischen Apparaten der Wellenmodulation und ihren »Beherrscher_innen.«108 Unter diesem Blickwinkel lassen sich drei entscheidende hybride Akteur_innen des Radiomediums eingrenzen: Technologie(n), das elektromagnetische Spektrum und Umweltgrößen.

(1) Nicht unähnlich der bereits im Mapping dokumentierten Kontroverse zwischen einer Beherrschung der Technologie durch Techniker_innen oder einer Herrschaft der Technologie über die Technisierten (vgl. 2.1.3.6.) setzen sich auch die network builder intensiv mit der als technisch verstandenen Dimension von Radio auseinander. Eine erste Position lässt sich dabei seitens AMARC ausmachen, die eine explizit sozio-zentristische Strategie verfolgen. Der Verband kritisiert zunächst alle Definitionen von Technologie, die nicht das Primat menschlicher Akteur_innen anerkennen, denn »solcherlei futuristischen Ideen werden die [technologische] Lücke zwischen den Brasilianern weiter vergrößern.« Als Gegenprogramm wird darauf hingewiesen, dass Technologie neben seinen materiellen oder immateriellen Formen immer auch als menschliches Handeln angelegt ist, als

»die Art und Weise, wie sich Menschen organisieren. Technologien sind nicht nur Computer. Es gibt weitere Technologien, die in den communities entwickelt werden. […] Auch ein Radio zu verwalten ist eine Technologie.«109

Damit wird deutlich, dass Radio als Technologie nicht als etwas globales oder universelles verstanden wird, sondern als etwas, dass »an die Realität einer community gebunden« ist und dort situativ legitimiert wird.

Im Gegensatz dazu beschreibt ABRAÇO Technologie oder »neue Technologien« zunächst als etwas den ComRads äußerliches. Dafür, dass ein ComRads zu einem »wichtigen Ort der technologischen Konvergenz« werden könne, sei eine spezifische Vermittlungsleistung nötig – und diese leiste vor allem ABRAÇO. Denn auch wenn ComRads bereits viel geleistet, »sich Technologien angeeignet und damit zu einer breiten gesellschaftlichen Nutzung beigetragen haben«, benötigten sie Unterstützung um auch weiterhin »Technologien in ihren Besonderheiten verstehen zu können«. , Implizit wird hier eine technologische Evolution angedeutet, »die nicht zwangsläufig in allen gesellschaftlichen Bereichen erlebt werden kann.«110 Da sich das gesellschaftliche Gemeinwohl anteilig jedoch in einer eben solchen Inklusion ausdrücke, verdienten ComRads in ihren Aneignungsprozessen besondere Unterstützung und Anerkennung. Kurzum: anders als bei AMARC, die den cultural gap mit einem situativen sozialen Handeln in den communities entgegenzuwirken suchen, naturalisiert ABRAÇO den Fortbestand dieser Lücke, um ComRads und sich selbst als allgemeine Vermittler_inne zu legitimieren.111

Ein Lücke zwischen gesellschaftlicher und technischer Entwicklung existiere nicht, sagen dagegen die Regulierer_innen.112 Die von ANATEL betriebene Entpolarisierung scheint jedoch weniger an einer Enthärtung der technologischen Radiodimension interessiert, als vielmehr in einer Stärkung des »zentralen Mythos von Radio als eine unerreichbare Technik, für deren Beherrschung man ein großes technisches Wissen brauche.« Radio sei sozial und technisch schwer  beherrschbar und benötige deshalb eine strikte Regulierung. Einer solchen Logik hält ROZIMA entgegen, Radio als Technologie mit dem »Blick des Recyclings« wahrzunehmen, »um Maschinen zu entmystifizieren.« Technologie im Radio sei kein_e eigenständige_r Akteur_in, sondern beschreibe anteilig

»Experimente und Wiederentdeckungen. Das wichtige ist dabei, neue Beziehungen zu entwickeln. Selbst wenn diese anfangs schlecht funktionieren sollten, von so einer Erfahrung aus gemeinsam Möglichkeiten zu erarbeiten, darum geht es.«113

Nicht die vollständige Beherrschung der Technologie oder der Versuch eine Avantgarde zu bilden, die mit der technologischen Entwicklung Stand halten kann, ist bei RIZOMA Programm, sondern eine Absage an die Vorstellung von Technik und Technologie als eigenständige ontologische Sphäre. Die hybride Ambivalenz des/der Akteur_in wird als Einladung verstanden, eine »Annäherung von Technologie und Kultur anzustreben.« Wichtig sei dabei vor allem »die Suche nach einer organischen Verbindung von politischem Handeln mit Technologien.«114 Dies ist ein spezifischer Beitrag Freier Radios zum Gemeinwohl. Anders als bei AMARC und ABRAÇO ist er an einer Auflösung der beiden Seiten jenes Grabens orientiert, die einen cultural gap erst denkbar machen.

(2) Wie bedeutsam die Auseinandersetzung mit technologischen Größen ist, zeigt auch die Betrachtung eines zweiten zentralen Hybriden: dem elektromagnetischen Spektrum. Denn dieses ist in seiner Wahrnehmung als radiale Entität stark von seiner »technologischen Nutzung« geprägt. Die Festlegung einer endlichen Zahl von Radiofrequenzen, deren gezielte Modulation das Senden und Empfangen einer bestimmten Zahl von Radiokanälen ermöglicht, wird beispielsweise oft gleichgesetzt mit dem, was generell als Spektrum verstanden wird. Doch auch bei einer differenzierteren Betrachtung wird zumeist argumentiert, dass »das Spektrum nicht unendlich ist. Wir alle haben das einsehen müssen, so wie wir lernen mussten, dass Wasser eine endliche Ressource ist.«115 Von dieser Analogie, hin zu einer nationalstaatlichen Regulierung dieser endlichen Ressource als öffentliches Gut ist es argumentativ nur ein kleiner Schritt. Diesen nicht mitzugehen hält für unabhängige Radios ein legitimierendes Potential bereit, das sie auf unterschiedliche Weise in ihren Inskriptionen einbauen.

Ein erster Angriffspunkt entfaltet sich dabei in einer Auseinandersetzung mit der operativen Vorstellung des Spektrums als einen von ANATEL erstellten Frequenzplan. Dieser parzelliert die für Radioemissionen geeigneten Teile des elektromagnetischen Spektrums in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Internationale Fernmeldeunion (ITU), um eine störungsfreie Nutzung des Spektrums im Sinne des Gemeinwohls zu gewährleisten. Als Störungen werden dabei im ComRad-Gesetz Interferenzen unterschieden, die vom Frequenzplan aus gesehen »unerwünscht« oder »störend« sind.116 Beide Attribute werden aus Sicht der Regulierenden dann auch pauschalisierend auf alle nicht-genehmigten Sender angewandt. Die Fixierung des Spektrums als technische Norm macht alles davon abweichende soziale Handeln zum nicht-legitimierbaren Normbruch. Die Reduktion des Spektrums auf einen nicht-hintergehbaren Frequenzplan aufzubrechen, ist deshalb ein zentrales Moment, um konkurrierende Anerkennungswürdigkeiten unabhängigen Radiomachens zu inskribieren.

Eine erste Möglichkeit besteht nun darin, darauf zu verweisen, dass grundsätzlich jedes Radio Interferenzen erzeugt.117 Dass vornehmlich Radios ohne Genehmigung mit »störenden Interferenzen« gleichgesetzt werden, sei: »eher ein politisches Argument als ein technisches. Weil immer davon ausgegangen wird, dass die verfügbaren Frequenzen knapp sind, wird sich ständig ein Grund dafür finden lassen, nicht-genehmigtes Radiomachen von vornherein abzulehnen.«118

Die Knappheit von Frequenzen ist jedoch relativ. Auch ANATEL bestätigt, dass »das Spektrum nur an manchen Orten gesättigt«119 sei, vor allem in den metropolitanen Räumen. »In allen anderen Gebieten sind jedoch Frequenzen übrig«, ergänzt das FDC. Dennoch versuche die Regierung weiterhin alle Radiomachenden davon zu überzeugen, dass die Knappheit der spektralen Ressource direkt mit der restriktiven Frequenzvergabe für ComRads zu tun habe. Der Frequenzplan generalisiert die Sättigung des Spektrums auf dem Papier für das gesamte Territorium. Doch »[d]as ist eine Lüge. Aus einer republikanischen Sichtweise ist [das Spektrum] ein Gut aller, das sich in Millionen von Kanälen zerteilen lässt.«

Der konstatierten Knappheit des Spektrums eine politisch machbare Vervielfältigung der Kanäle gegenüberzustellen wird strategisch auch seitens der Freien Radios bemüht. In direkter Anlehnung an die Arbeiten David Weinbergs, wird der heutigen Regulierungspolitik in ihrer Argumentation ein physikalischer Anachronismus unterstellt.

»Das Spektrum ist kein so knappes Gut ist wie uns glauben gemacht wird. Es ist so ähnlich, als wenn man behaupten würde die Farbe grün sei knapp. Denn laut Weinberger ist das Spektrum eine Art Lichtkorpus, in  dem es möglich ist, auf der selben Frequenz mehrere Inhalte zu übertragen. Die Frage ist einzig, Systeme zu  entwickeln, die in der Lage sind, diese Inhalte auch getrennt empfangen zu können.«120

In dem Moment, wo die Legitimation des Spektrums als finite Ressource in ihrer Legitimation kriselt, wird auch seine bisherige regulierte Übersetzung in ein öffentliches Gut hinterfragbar. Denn bis dahin stabilisiert dieses Konzept immer auch eine zentrale Rolle für staatliche Akteur_innen, im Besonderen das MiniCom und ANATEL, die »bestimmen, wie die beste Nutzung des Spektrums zum Wohle der Bevölkerung organisiert werden soll.«121 Diesem Selbstbild der Regulierenden widersprechen AMARC und ABRAÇO in ihren Inskriptionen nicht grundsätzlich, »doch als Kulturgut der Menschheit (patrimônio cultural da humanidade) muss seine Verwaltung von den Regierungen der einzelnen Ländern einer ständigen Analyse und Evaluation unterliegen.« Wird das Wohl der Bevölkerung dabei nicht beachtet, habe diese das Recht, es sich zu erkämpfen.123 Octavio Pieranti vom MiniCom weist darauf hin, dass diese Diskussion nicht neu ist, sondern bereits mit dem McBride-Report in den 1970ern aufgekommen sei.122 »Heute heißt öffentliches Gut in Brasilien etwas ganz anderes als zur Zeit der Militärdiktatur. Noch immer befinden wir uns aber in einem Prozess der Restrukturalisierung.«

Doch inwiefern ist in dieser konzeptuellen Neuordnung auch eine Umverteilung des staatlichen Legitimierungsanspruchs denkbar? Eben diese Frage wird nicht nur von RIZOMA sondern teilweise auch von AMARC aufgeworfen, wenn beispielsweise gefordert wird, »die Entscheidung über die Spektrumsnutzung sollte in Händen der Zivilbevölkerung liegen.«124 RIZOMA weißt den staatlichen Anspruch bei der Verwaltung eines öffentlichen Gutes weitergehend damit zurück, in dem es das elektromagnetische Spektrum als ein »offenes Gut« umdefiniert, »das prinzipiell erst einmal jeder nutzen kann, um Erfahrungen zu machen«, anstatt es weiterhin vollständig »vom Staat als eine Art Eigentum verwalte[n]«125 zu lassen. Perspektivisch ist an diese legitimatorische Umdeutung des Spektrums zu einem offen Gut jedoch eine große Herausforderungen gekoppelt: Wie lassen sich die Konzepte offenes und öffentliches Spektrum miteinander vermitteln?

RIZOMA zieht zur Beantwortung dieser Frage zunächst die Idee eines »spectrum commons« heran.126 Im brasilianischen Kontext wird der Vorschlag eines spektralen Gemeinguts ohne dauerhafte Eigentumstitel und vom Staat vergebene Frequenzen dabei nicht als eine neue Definition, sondern als nicht eingelöste Verfassungsgarantie aufgefasst, da in der Konstitution »bereits von einer komplementären Nutzung die Rede« sei.127 Kritisiert wird dagegen die bisher formulierte Drittelung in einen privaten, staatlichen und öffentlichen Bereich. Vielmehr müsse Komplementarität neben einem kommerziellen Sektor zwei öffentliche Sphären enthalten, eine staatlich-öffentliche und eben ein Offenes Spektrum. Wie sich jede Sphäre dann im einzelnen weiter definiert, wird als Aufgabe an die dort wirkenden radialen Akteur_innen weitergegeben.128

Doch auch zwischen diesen Sphären ist eine Konsensfindung nötig, denn räumlich überlagern sie sich (oder grenzen sich zumindest gegenseitig ein), ausgehend beispielsweise von den Sendestärken der einzelnen Radios. Erneut deutet sich hier ein territoriales Dilemma an. Wie ließe sich die an einen konkreten Ort und Bevölkerung gekoppelte situative Konfiguration des Spektrums legitimieren? Entgegen dem Diktats republikanischer Gleichheit in Form eines starren Frequenzplans schlägt RIZOMA an diesem Punkt vor, das Spektrum als »Umweltgut von diffusem Charakter« zu behandeln129 Dieses weder öffentlich noch private Gut stünde dabei der Bevölkerung in seiner Nutzung generell offen und würde für seiner weiteren Ausdeutung

»im Rahmen einer lokalen Umwelt betrachtet, als essentiell für die dortige Lebensqualität. Allen communities, die von der Signalstärke einer Radioantenne konstituiert werden, sollte auch die Entscheidungshoheit über die dortigen elektromagnetischen Wellen zustehen.«

Diese konzeptuelle Perspektive evoziert noch stärker als die vorherig referierten Konfigurationen des Spektrums seine aktive Rolle bei der Aushandlung einer radialen Mediation zwischen einer menschlichen community, non-humans und sich selbst als Hybrid. Mehr noch als die Idee eines commons begünstigt die Beschreibung des Spektrums als Umwelt einen dezentralen und staatsfernen Legitimationsprozess von Radio. Auffällig ist dabei erneut, dass RIZOMA eine normative Positionierung vermeidet und allen potentiellen radialen Akteur_innen Raum beim Medienmachen lässt.130

(3) Die Sicht auf das Spektrum als Umweltgut wirft schließlich auch die Frage auf, wie sich andere als Umwelt beschreibbare Entitäten zum unabhängigen Radiomachen verhalten. Ich verwende den Begriff Umwelt hier für alle Entitäten, denen in den Inskriptionen generell oder situativ eine aktive Vermittlungsrolle bei der Signalerzeugung zugesprochen wird, die sich jedoch weder als menschliche oder nicht-menschliche (dezidiert materiell-apparative) Größen subsumieren lassen. Dabei richten die network builder ihren Blick vom Himmel auf den Boden. Gegenüber dem ComRad-Gesetz wird kritisiert, dass dieses »sich Brasilien wie einen flachen Tisch« vorstelle. Entgegen dieser Abstraktion entgegen lassen sich topographische Faktoren, wie Hügel oder Senken aber auch human-geographische Größen wie die Siedlungsdichte oder bestimmte architektonische Konfigurationen heranziehen, um situativ ganz unterschiedliche Signalstärken zu legitimieren:

»Ein Landarbeiter kann unmöglich einen Sender mit 25 empfangen, wenn er auf die Felder fährt. Genauso wenig können die Bewohner eines Viertels eine ComRad hören, wenn sie  eine Reihe Hochhäuser vor der Nase haben.«131

Gleiches gelte für »die großen Favelas von Rio, in denen ein Radio mit 25 Watt nie die gesamte Gemeinschaft erreichen kann.« Müsse es ja auch gar nicht, sagen die Regulierer_innen von ANATEL, da ComRads laut Gesetzestext nur »kleine Lokalitäten« versorgen soll.132 An dieser Stelle wird erneut deutlich, wie wichtig die anhaltende Debatte um eine territoriale oder nicht-territoriale Auffassung ihrer communities für die weitere Legitimation unabhängiger Radios ist.133

Neben der Reichweite des Signals beeinflusse die lokale Konstellation hybrider Größen auch viele weitere Dimensionen die Signalerzeugung konstatiert RIZOMA in einem Vergleich zweier Sender.

»Rádio Interferência ist beispielsweise von vielen Hügeln eingegrenzt und nur schwer zu erreichen. Wenn Stau ist, braucht man bis zu zwei Stunden um es [von einem Ort im Sendegebiet aus] zu erreichen. In Campinas, einer kleinen Stadt erreicht man Rádio Muda von überall aus in fünf Minuten mit dem Fahrrad. Das beeinflusst die jeweilige Mitarbeit stark.«134

Ohne hier Umwelt als hybride_n Akteur_in in seiner Vermittlung erschöpfend erfassen zu können, wird vielmehr eine konzeptuelle Ressource sichtbar, die es für die weitere Beobachtung im Auge zu behalten gilt. Die konkurrierenden Inskriptionen scheinen sich ihrer zu bedienen, wann immer es für die Legitimation des eigenen Radiomodells zuträglich erscheint, universelle Normen situativ zu unterlaufen. Gleiches gilt auch für die beiden weiteren genannten Hybriden, die in ihren analytischen Beschreibungen als Technologie(n) und Spektrum nicht erschöpfend zu definieren sind. Gemeinsam betonen sie die Veränderbarkeit der aktuellen Vorstellung, Regulierung und Praxis von Radio.

Hybriden Akteur_innen, aber auch non-humans, eine aktivere Rolle beim Radiomachen zukommen zu lassen, sie vom Postulat einer Neutralität hin zu einer relationalen Gemachtheit zu überführen, erscheint vor allem in den Inskriptionen von RIZOMA als wichtige Legitimationsstrategie. In den einzelnen Beschreibungen werden hybride Entitäten rekombiniert und – das ist entscheidend – beeinflussen damit relational auch die Rollen und Beziehungen mit und unter den menschlichen Anteilen der einzelnen radialen Mediationen.

Die Betrachtung der komplizierten Handlungsprogramme im Rahmen dreier Akteur_innengruppen zeigt, dass erster, die menschlichen Akteur_innen, nicht allein handeln. Die Inskriptionen weiterer Entitäten und ihre Kopplung an die »humanen KollegInnen« fallen nicht nur unterschiedlich aus. Es deuten sich sowohl innerhalb der Inskriptionen (z.B. beim Verhältnis offen/öffentlich der Freien Radios) Ungenauigkeiten an, als auch beim Versuch die Konzepte der Inskriptionen vollständig an die analytischen Kategorien auf der Beobachter_innenebene (menschlich, nicht-menschlich, hybrid) anzupassen. Computer sind beispielsweise als Teil von Technologien nicht nur non-humans. Auch Freie Software wird bereits anteilig als Prozess beschrieben und nähert sich hybriden Handlungsprogrammen an. Für die hier wichtige Schlussfolgerung, dass die unterschiedliche Benennung, Beschreibung und Verknüpfung von signalerzeugenden Entitäten auf unterschiedliche Art und Weise legitimierend wirken, ist diese methodische Kritik jedoch zunächst zweitrangig.135 Denn auch ohne eine detaillierte Auffächerung der Perspektiven auf die Akteur_innen lassen sich drei grundlegende Strategien erkennen. Zunächst, die vor allem der bei AMARC präsente Versuch, menschliche Akteur_innen zu den zentralen Größen der Signalerzeugung aufzubauen, deren Bedürfnisse nicht nur das Radiomachen sondern auch die Anwesenheit aller weiteren Größen legitimieren. Eine zweite Strategie beschreibt Community Radios als Akteur_innen-Ensambles die sich im Angesicht einer technologischen Evolution in ihrer Zusammensetzung anpassen müssen, um ihre gesellschaftliche Legitimation zu waren. Das Schreiben dieser Strategie schlagen sich die network builders, wie vor allem ABRAÇO dabei selbst zu. Drittens ist schließlich die Idee zu erkennen, in detaillierten und relationalen Beschreibung aller involvierten Entitäten, den Vorstellungshorizont radialer Mediationen radikal zu verändern. Besonders RIZOMA gelingt es dabei neue legitamatorische Dimensionen aufzumachen (z.B. Spektrumsnutzung, Freie Software) und als konkrete Übersetzungen der Meinungsfreiheit zu verteidigen.

Die hier präparierten Legitimationsstrategien der Signalerzeugung existieren nicht in Reinform (außerhalb der Beobacher_innenebene). Vielmehr stehen die hier zusammengetragenen Akteur_innen auch in Beziehung zu weiteren Entitäten, die nicht direkt am Senden beteiligt sind, wohl aber großen Einfluss auf die mediale Anerkennungswürdigkeit der unabhängigen Radios haben. Ihre Bedeutung in den Inskriptionen der network builders genauer zu ordnen, ist Anliegen des folgenden Kapitels.

 

3.3.2 Synchronisierung – komplexe Beziehungen

Da die komplexen Beziehungen einer radialen Mediation sich unendlich weit entfalten lassen, orientiert sich die folgende Auswahl an Entitäten an den prägnantesten Beschreibungen der untersuchten Inskriptionen. Die Art und Weise, wie Radiomodelle dabei über die Signalerzeugung hinaus mit äußerst diversen Akteur_innen synchronisiert werden, ist nicht nur der genaueren Eingrenzung legitimierender Größen zuträglich. Zugleich werde ich auch die Frage thematisieren, inwiefern einzelne der im Folgenden betrachteten Radiogrößen dabei ihrerseits zu Grenzgänger_innen werden und gerade deshalb legitimierend wirken, da sie ein Stück weit auch als komplizierte Entität veranschlagt werden.

 

3.3.2.1 Inskripteur_innen

Ein_e erste_r wichtige_r komplexe_r Akteur_in sind die network builder selbst, die in ihren Inskriptionen, wie ich bereits angedeutet habe (vgl. 3.2.2.) ihre Vorstellung unabhängigen Radiomachens (und sich selbst) gegenüber anderen Modellen (und ihren Inskripteur_innen) zu legitimieren suchen. Neben den bereits erwähnten Abgrenzungsstrategien, lassen sich auch Indizien für eine legitimationssteigernde Kooperation finden. Neben der historischen Rolle von ABRAÇO als Geburtshelfer_in des Lei 9.612/98, bildet die Arbeitsgemeinschaft des MiniCom, in der »seit 2004 unter Beteiligung von ABRAÇO der gesetzliche Genehmigungsprozess im Rahmen der Norm I modifiziert wurde«, ein aktuelles Beispiel für kollektive Inskriptionsprozesse.143 ABRAÇO wird hier seitens der Regulierer_innen als Repräsentant_in der brasilianischen ComRads anerkannt, zugleich jedoch auch für die Anerkennungswürdigkeit des legalen Modells vereinnahmt.

AMARC, die dem aktuellen Gesetz kritischer gegenüberstehen, befürwortet dagegen die Beteiligung ABRAÇOs an diesem Prozess, spricht ihm als »repräsentativsten und von den meisten ComRads anerkannten Radioverband in Brasilien« eine Berechtigung zu. Die Rolle von AMARC bestehe demgegenüber nicht darin, ebenfalls Repräsentativität anzustreben, sondern einen permanenten »Begegnungsraum« zu schaffen, »um über den gemeinsamen Horizont von Community Medien zu debattieren.« Diese Raumordnung sieht vor, dass nationale ComRad-Repräsentant_innen (und die ihnen angehörigen Sender) Mitglieder bei AMARC werden. In Lateinamerika versammeln sich in AMARC auf diese Weise 430 direkte Mitglieder und unter Vermittlung der nationalen Verbände 1500 Radios.144 ABRAÇO zählt bisher nicht dazu.145

Eine mögliche Anerkennung AMARCs – aber auch weiterer regionaler Verbände – wird an die Konditionen gekoppelt, sich im Konfliktfall jeweils der offiziellen Linie ABRAÇOs unterzuordnen, denn »unsere Radiobewegung wird nur fortschreiten, wenn alle Gruppierungen verstehen, dass sie auf der gleichen Seite stehen müssen.«146 Nur unter dieser Bedingung wäre ein Teil ABRAÇOs dazu bereit, den AMARC unterstellten Anspruch, ComRads auf internationaler Ebene zu repräsentieren, anzuerkennen.147 Um legitim zu werden, sollten alle weiteren Verbände deshalb die ihnen von ABRAÇO zugedachten Rollen akzeptieren.

»Ein absoluter Führungsanspruch führt zu nichts«, kritisiert dagegen ABRAÇO São Paulo die Position seiner nationalen Vertretung. ABRAÇO sei in seiner Legitimation seit längerem durch einen internen Machtkampf geschwächt, und nicht in der Lage anzuerkennen, dass »AMARC ABRAÇO in vielerlei Hinsicht helfen könnte. Ich denke ABRAÇO sollte eine nationale Entität sein, die sich AMARC anschließt, und umgekehrt sollte AMARC die ComRads dazu auffordern, ABRAÇO beitreten. Denn wenn sich ABRAÇO verändern lässt, dann nur von innen.«148 Einen solchen legitimationssteigernden Schulterschluss schließt das FDC dagegen kategorisch aus:

»ABRAÇO ist der Feind der ComRads, eine Art buchada de bode. Ihr eigentliches Ziel ist es, alle Sender möglichst gut zu kontrollieren, um sie auf Parteilinie zu halten. ABRAÇO ist eine Schande der Arbeiterpartei (uma vergonha petista).«149

Unabhängig davon, inwiefern die schwer zu überprüfenden Anschuldigungen zutreffend sind, wird hier eine konfrontative Legitimationsstrategie deutlich, die auf ein tabula rasa zugunsten der eigenen Inskription setzt. »Nur durch ein innovatives, interaktives Modell lässt sich die Repräsentativität wieder herstellen. Unsere Radioformel wird die brasilianische Kommunikation dominieren.«150

Auch RIZOMA, die ähnlich wie AMARC und VIVA RIO eigentlich keine Repräsentativität für ihre Inskription beanspruchen, sind bei dieser Auseinandersetzung nicht vollständig außen vor. Denn sie geraten unter Legitimationsdruck, wenn ComRad-Inskriptionen sich als alleinige Repräsentant_innen unabhängigen Radiomachens erheben.151 RIZOMA hält den ComRads deshalb oft vor, den staatlichen Regulieren gegenüber »viel zu viele Kompromisse« machen und dabei in ihrem »avantgardistischen Selbstverständnis eine Politik [zu] betreiben, die keine Rücksicht auf Freie Radios nimmt, und ihre Existenz, wie beispielsweise mit der Schaffung des Gesetzes 9.612/98, negativ beeinflusst«. Freie Radios legitimieren sich hier also vor allem mit dem Hinweis, dass ComRads »nicht der einzig möglich Ausdruck von Meinungsfreiheit im Spektrum« seien.152

Dementsprechend entrüstet reagieren sie auf die Prognose, Freie Radios würden sich trotz konzeptueller Unterscheide mittelfristig auf Konvergenzkurs mit ComRads befinden, oder bereits von ComRad-Verbänden repräsentiert werden.153 Vielmehr beanspruchen Freie Radios auch ComRads zu sein, die jedoch jegliche Repräsentanz ablehnen und die normativ »festgeschriebene Strukturen [von ComRads], die oftmals an hierarchische Gewerkschaftsorganisationen erinnern« oder »zu sehr an kommerziellen Sendermodellen orientiert« seien, nicht mittragen würden.154

Um einer Vereinnahmung zu entgehen, schließen die am RIZOMA-Netzwerk beteiligten Inskripteur_innen jegliche Repräsentativität aus. Ihr network besitze nur operativ Gültigkeit, habe keine festen Organisationsstrukturen und verzichte gemäß einer negativen Bestimmung Freien Radiomachens auf feste Kategorien. Die ComRad-Inskripteur_innen legitimieren sich dagegen gerade darin, ein spezifisches, normatives Modell zu repräsentieren. Beide Fraktionen teilen dabei jedoch implizit den legitimation claim, dass ihre jeweilige Inskription die Rechte auf Meinungsfreiheit und Kommunikation im elektromagnetischen Spektrum am adäquatesten übersetzt.

 

3.3.2.2 Hörer_innen als Community

Ein_e kollektiv_e Akteur_in, welche_r für das Radiomachen im Alltag bedeutend wichtiger ist als, die konkurrierenden network builder konstituiert sich in einer spezifischen Vorstellung von community. So unterschiedlich diese im Einzelnen auch aussehen mag, es fällt auf, dass die community zunächst einmal von allen als Ansammlung potentielle_r Hörer_innen aufgefasst wird. Während im Lei 9.612/98 diese potentiellen Hörer_innen unterschiedslos alle Anwohner_innen im Umkreis von einem Kilometer subsumiert (die keine formelle Rolle im Radio laut der legalen Inskription inne haben) fallen die Beschreibungen in den übrigen Inskriptionen deutlich detaillierter und aktiver aus.135

AMARC koppelt seine Inskription dabei zunächst an eine perspektivische Entgrenzung der Hörer_innenschaft, die sich in Zeiten von Audioübertragungen im Internet »nicht mehr territorial einfassen lässt.« Zugleich falle es den Hörenden in ihrem Auftreten als disperse community auch zunehmend zu, in die Rolle der Reguliererenden zu schlüpfen und ihr Medium selbst zu verwalten.136  ABRAÇO beschreibt zwar eine ähnliche aktive Rolle der Hörer_innen, erhält jedoch ein territoriales community-Konzept aufrecht. »Wir glauben, dass ab dem Moment, in dem eine Hörergemeinschaft sich ihres Recht am Radio gewahr wird, sie dieses verteidigen oder bei Missbrauch zurückerobern wird.«137 Legitim ist ein Radio demnach in beiden Inskriptionen, wenn es von den Hörenden aktiv unterstützt wird, anstatt dass einfach nur der richtige Kanal eingestellt wird.

Beide Vorstellungen des aktiven Hörenden konkretisieren sich in den weiteren Unterscheidungen von assoziierten (associados, AMARC) oder direkten Mitgliedern (sócios, ABRAÇO), die als Hörer_innen ihren Sender unterstützen. Am weitesten wird diese hier anklingende Auflösung der starren Polarität aktiver Sendender/passiver Hörender in der Inskription vom FDC getrieben, wo die Beschreibung der Hörer_innen zugunsten einer »interaktiven community« aufgegeben wird, »die zugleich Sender und Empfänger der Kommunikation ist.«138 RIZOMA hingegen beschreibt keine allgemeine zu operationalisierende organische Verbindung von Hörenden und Radio, sondern macht eine diesbezügliche Legitimation eher an der Bereitschaft fest, eine Radio, das in seiner Existenz bedroht ist aktiv und spontan zu unterstützen. Wichtig sei dabei immer auch, »dass seitens der Hörenden eine Erfahrung und Reflexion über die eigenen Kapazitäten stattfindet.«139

Neben einer spezifischen Teilhabe, werden Hörende teilweise auch als territoriale Gruppen mit spezifischen Eigenschaften unterschieden. ABRAÇO São Paulo beispielsweise definiert seine Hörer_innenschaft als »die Bewohner der großstädtischen Peripherien, Brasiliens Favelas.« Innerhalb dieses örtlichen Bezugs wird dann die radiale Zielgruppe weiter eingegrenzt, als »Publikum, das mehrheitlich von aktiven und bewussten Bürgern gebildet wird, sowie weiteren, in Gewerkschaften, Stadtteilkomitees oder Vereinen organisierten Menschen.«140 Seitens der ComRad-Verbände lassen sich darüber hinaus auch »lokale Unternehmer_innen« als spezifische Hörer_innengruppe nennen, »der Friseur, die Bäckerei und die Tischlerei, die einen Community Sender hören und dann dort werben, weil sie sich das in privaten Medien nie leisten könnten.«141 RIZOMA, das wie ich noch zeigen werde, eine solche finanzielle Beteiligung der Hörenden kategorisch ausschließt (vgl. Kap. 3.5.3.), koppelt Freie Radios dagegen stark an universitäre Institutionen und Gruppen. Zum einen finden sie auf den Campus gebündelt Fürsprecher_innen, »die im Radio ein eigenes Medium finden und zugleich eine räumliche Nische zum Radiomachen und Schutz vor Repression garantieren.« Zum anderen würden sie teilweise auch von Forschenden experimentell genutzt.142

Erkennbar wird in den unterschiedlichen Beschreibungen, dass die network builder hier nicht länger ein spezifisches Publikum oder eine Zielgruppe anrufen, sondern in ihrer radialen Mediationen einen spezifischen Nutzen für einzelne Hörer_innengruppen veranschlagen, an dessen Ausdeutung sich diese aktiv beteiligen sollen. Legitimierend wirkt sowohl diese Vermittlungsleistung als auch ihre darin implizierte Unterstützung. Die Hörenden werden unabdingbare aktive Legitimationshelfer_innen.

 

3.3.2.3 Kommerzielle und öffentliche Radios

Ihre gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit auch im Verhältnis zu kommerziellen und öffentlichen Sender(modelle)n zu behaupten, evoziert bei den network builders sehr unterschiedliche Strategien. »[I]n den legalen Inskriptionen eine friedliche Koexistenz [zwischen allen Sendern zu] etablieren« ist dabei zunächst erklärtest Ziel der Regulierenden.155 Darin sei jedoch eine Besitzstandswahrung der kommerziellen Radionetzwerke impliziert ist, lässt sich ABRAÇO stellvertretend für alle nicht-staatlichen Inskripteur_innen zitieren:

»Die Feinde sind die Monopolisten, die ein vertikales und exklusives kommerzielles Radiosystem etabliert haben, dass sich allein an einer möglichst großen Reichweite und Einschaltquote der Sender orientiert, statt an einem kulturellen und politischen Projekt für die Gesellschaft.«156

AMARC, teilt diese allgemeine Feststellung, sieht aber auch Möglichkeiten, mit einzelnen Repräsentant_innen kommerzieller Sender zu kooperieren.157 Abgelehnt wird jedoch der Interessenverbands ABERT und dessen Vorstellung kommerziellen Radiomachens, denn »ABERT tut sich als Wortführer bei der politischen und ideologischen Verfolgung von ComRads zur Wahrung des Status Quo hervor.«158 Demgegenüber, stimmten »die meisten Unternehmer kleiner Radios mit den Prinzipien und Vorschlägen von AMARC zur Spektrumsnutzung und Verteidigung des Rechts auf Kommunikation überein.« Zumindest potentiell sieht auch RIZOMA diese Möglichkeit, moniert jedoch die fehlende Kompromissbreitschaft und teilweise offen Feindseligkeit.159

Deligitimation der Monopolisten und gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Radio-Inskriptionen im Rahmen einer konsensuellen Spektrumsnutzung, so lassen sich die Legitimationsstrategien im Verhältnis zu den kommerziellen Sendern zusammenfassen. Die von ABRAÇO São Paulo geforderte gänzlich Abschaffung kommerzieller Medien bildet demgegenüber eine Minderheitenposition.160 Interessanter ist es deshalb eine vierte Strategie in den Blick zu nehmen, die unabhängige Radios in einer direkten Kooperation mit kommerziellen Radio zu mehr Legitimation verhelfen will. Als eine »Komplementierung des Radioservice« beschreibt VIVA RIO die »Annäherung der ComRads an das kommerzielle Segment«. Die NGO realisierte diesen Vorschlag Ende der 1990er Jahre in Rio de Janeiro, als Rede Globo einen seiner Lokalsender zur Verfügung stellte, um die Inhalte von Community Radios zu übertragen – unzensiert, aber eingebettet in die üblichen Werbeblöcke.161 »Und dafür sind wir von der [ComRad-]Bewegung stark kritisiert worden, erinnert sich Santos von VIVA RIO.

»Die Annäherung wurde als eine Art Adhäsion an das kommerzielle Segmentmissverstanden. Dabei ging es nur darum zu zeigen, dass auch Community Radios ihren Stellenwert, Qualität und Inhalte haben, dass es sich um einen wichtigen Prozess handelt, um Botschaften von der Basis zu artikulieren.«162

Ohne hier auf Anschuldigen einzelner Vertreter_innen von ABRAÇO und AMARC einzugehen, die neben einer Kommerzialisierung der ComRads off the record auch die nicht uneigennützige Vermittlungsleistung von VIVA RIO bei dieser Kooperation beklagen, ist dennoch spannend wie hier zeitweilig ein legitimatorisches Fenster in der kommerziellen Medienproduktion entstand, wie zum Beispiel eine Reportage in der Tageszeitung O Globo, »über einen Jungen aus den Favelas, der mit einem Sendegerät experimentiert. Gelobt wurde dabei explizit das Potential der Community Radios, Jugendliche von der Gewalt und dem Drogenhandel abzubringen«163. Das kooperative Experiment wurde nach einigen Monaten jedoch von Rede Globo beendet, die Beteiligten äußern sich bisher nicht öffentlich zu den Gründen. Vielleicht habe des daran gelegen, dass »VIVA RIO dieses Radio schnell zu einer Waffe in Händen der Community Radios machte«.

Während die Zusammenarbeit mit kommerziellen Radios umstritten bleibt, schreiben sich sowohl Freie als auch Community Radios gegenüber öffentlichen Radios nahezu einhellig in ein Verhältnis der Nähe ein. Gemeinsam ist zunächst allen die Forderung, auch unabhängige Radios konzeptuell als öffentliche Sender anzuerkennen. Dies erklärt sich, wie bereits erläutert, aus der in der Verfassung angelegten Dreiteilung des Spektrum in staatliche, private und öffentliche Sektoren. Da die Übergänge zwischen den letztgenannten Sphären in den Gesetzen (vgl. Kap. 2.1.2.2.) und in der alltäglichen Praxis jedoch unscharf verlaufen, müssen beide Positionen für die genauere Bestimmung des Verhältnis zu den ComRads und Freien Radios in den Blick genommen werden.

Groß ist der Zuspruch zunächst gegenüber einer Kooperation mit den Sendern des öffentlichen Radionetzwerks EBC. Denise Viola, die neben ihrer Mitarbeit im Frauennetzwerk von AMARC auch als Journalistin für den EBC-Sender MEC in Rio de Janeiro beschäftigt ist, sieht hier einen reziproken Gewinn an Legitimation, denn »öffentliches Radiomachen ist in Brasilien noch immer im Werden, es gibt kein wirkliches Konzept. Die EBC kann von den Community Radios lernen, wie Hörer_innen erreicht werden, welche Sprache und Inhalte ankommen«.164 Die ComRads könnten über eine Mitarbeit an Nachrichtensendungen der EBC dagegen ein größeres Publikum für ihre Belange erreichen, ihre Existenz verdeutlichen und sich für ihre Mitarbeit zugleich materielle und finanzielle Unterstützung erschließen. ABRAÇO macht letzteres sogar explizit zur Voraussetzung für eine Kooperation und beansprucht eine privilegierte Partnerschaft für die Mitglieds-Sender.165 Diese Haltung verdeutlicht, wie wichtig ComRads die Zusammenarbeit mit der EBC nehmen, sei aus finanziellen, inhaltlichen, edukativen oder eben legitimatorischen Gründen.167

Überraschend ist gegenüber dem Konkurrieren der ComRads um eine Zusammenarbeit mit der EBC, das geringe Interesse daran, mit staatlichen Bildungssendern zusammenzuarbeiten. Lediglich off the record werden vom FDC dafür einige Gründe benannt, wenn diesen Sendern pauschal unterstellt wird als »Geldwäschemachinen von Politikern« zu fungieren.168 Vor einer »Dämonisierung« der Bildungsradios warnt hingegen Denise Viola, da einige dieser Sender im Landesinneren durchaus eine wichtige Bedeutung hätten. Ihre finanzielle Lage und ihre institutionellen Strukturen seien dabei äußerst prekär, was eine Kooperation mit ComRads erschwere.169 Eine atavistische Delegitimierung betreibt dem entgegen ABRAÇO São Paulo, die wie schon den kommerziellen Radios jeglichen staatlichen und öffentlichen Sendern ihre Existenzberechtigung absprechen, da auch diese »den Interessen der Bevölkerung nicht gerecht werden, ebenso Kriege und Vorurteile anzetteln wie die Privaten. Wir müssen ein neues Radioformat schaffen, anstatt von Komplementarität zu sprechen«.170

Mit dieser Haltung isoliert sich ABRAÇO São Paulo jedoch von allen weiteren Inskriptionen. Denn abschließend lässt sich zur Kooperation mit privaten, öffentlichen und staatlichen Sendern bemerken, dass gerade das Konzept der Komplementarität als eine geteilte Prämisse fungiert, von der auch eine Stärkung der jeweils eigenen medialen Anerkennungswürdigkeit erhofft wird. Denn sie stabilisiert die Inskriptionen unabhängigen Radiomachens nicht nur konzeptuell, sondern auch in quantitativer Hinsicht bezüglich nutzbarer Radiofrequenzen. Die network builder schwanken deshalb in ihren relationalen Einschreibungen zwischen potentiell Verbündeten und Verhandlungspartner_innen, wobei letztere nicht die Verteidiger_innen des status quo umfasst, die weiterhin als »Gegner«171 betrachtet werden. Die Monopolisten bleiben für den Legitimationsprozess eine ambivalente Größen. Zum einen delegitimieren sie unabhängige Radios, indem sie Verhandlungen wie der CONFECOM fern bleiben. Zugleich aber generieren sie auch ein verbindendes Feindbild, denn »Feuer und Wasser gehen nun einmal nicht zusammen...«172

 

3.3.2.4 Weitere komplexe Akteur_innen

Neben diesen, in den Inskriptionen äußerst präsenten Akteur_innen-Gruppen, werden noch weitere relevante Entitäten beschrieben, die bei der Beschreibung komplexer Beziehungen ebenfalls wiederkehrende Protagonist_innen sind. Ihre Rollen werden nicht immer vollständig beschrieben, ich konzentriere mich deshalb jeweils auf jene Momente, in den explizit ihr (de)legitimierendes Potential für unabhängige Radios entfaltet wird. Es lassen sich dafür in den Inskriptionen sechs  Akteur_innengruppen identifizieren.

(1) Die Kooperation mit NGOs, Think Tanks, Agenturen und akademischen Akteur_innen ist nicht nur eine verbreitete und sichtbare Erfahrung vieler unabhängiger Radios in Brasilien, die auf Webseiten, T-Shirts und Stickern ihre Logos hinterlässt.173 Auch in den Inskriptionen wird diese Kooperation beschrieben und in ihrem idealen Verhältnis definiert. Diese drückt sich darin aus, dass NGOs unabhängige Radios zwar unterstützen sollten und dabei zunächst einmal auch »Aufgaben übernehmen, die eigentlich dem Staat zukommen«.174 Wichtig ist jedoch »dass sie wissen, was sie wollen und nicht den Staat langfristig von seinen Pflichten entbinden«. Eine ständige Herausforderung sei dabei, Projekte gemeinsam mit den ComRads zu entwickeln, denn noch immer gäbe es viel NGOs die den Sendern »Geld und Ressourcen abzapfen«175. Nicht länger als Dienstleister von Außen aufzutreten sei zugleich eine »Frage der Gerechtigkeit und der Legitimität«176. Eine anerkennungswürdige Kooperation, die auch den ComRads zugute kommt, begründet sich demnach zunächst in der Qualität dieser Beziehung.

Zugleich wird die legitime Anwesenheit von Nichtregierungsorganisationen im Prozess unabhängigen Radiomachens an einzelnen Merkmalen dieser Akteur_innen festgemacht. Für  ABRAÇO steht beispielsweise die Zusammenarbeit mit der NGO CRIAR außer Frage, da diese u.a. Dienste und Produkte für kommerzielle Radios anbieten.177 Auch innerhalb von AMARC Brasil gibt es ein ständige Debatte, inwiefern es aus historischen oder aktuellen politischen Gründen legitim für ComRads (oder network builder) sei, beispielsweise mit der Ford Foundation oder der Open Society Foundation zusammenzuarbeiten. Auch in RIZOMA lassen sich solche Debatte dokumentieren, es gibt jedoch wenige konkreten Beispiele für eine stattfindende oder stattgefundene Kooperation.178 Legitimiert scheint in jedem Fall die enge Kooperation mit dem informellen Think Tank Saravá, an dessen Studien zu Medien und Kommunikation auch viele Mitwirkende von Rizoma beteiligt sind.

Die Zusammenarbeit mit stärker institutionalisierten akademischen Akteur_innen, die über die Teilnahme der network builder an Seminaren und Kongressen hinausgeht, wird überwiegend kritisch betrachtet. Zunächst wird vor allem im Bereich der Sozialwissenschaften bemängelt, dass »die Universitäten nicht dazu beitragen, eine neue mediale Sprache für Community Radios zu entwickeln«.179 Ihre externen Forschungsperspektiven tragen nach Ansicht von AMARC Brasil nicht dazu bei, die Anerkennungswürdigkeit der Sender zu erhöhen, was das alltägliche Radiomachen betrifft. Darüber hinaus wird Forscher_innen aus dem Bereich der Informatik und Elektrotechnik vorgehalten, eine »futuristische Ideologie« zu vertreten, die »die Lücke zwischen den unterschiedlichen Brasiliens weiter vergrößert«.180 Mitwirkende von RIZOMA, die in ihren persönlichen Lebensläufen diesen Forschungsbereichen oft näher stehen, sehen dies differenzierter. Vor allem die Privatisierung von ehemals staatlichen Forschungseinrichtungen, habe dazu geführt, dass diese ihr Interesse an unabhängigen Medien zugunsten gewinnorientierten Kommunikationssystemen neu ausgerichtet hätten.181

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass (von der mangelnden Legitimationshilfe akademischer Akteur_innen abgesehen), die network builder neben der Formulierung allgemeiner Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit mit NGOs und Stiftungen in ihren Inskriptionen ständig vor der Herausforderung stehen, sich mit der potentiellen Anwesenheit spezifischer Akteur_innen auseinanderzusetzen, um zu verhindern, dass die Anerkennungswürdigkeit des von ihnen vermittelten Radiomachens dadurch ggf. negativ beeinflusst werden könnte.

(2) Eine ähnliche Anstrengung wird oftmals auch unternommen, um die Beziehung zu Staat, Regierung(en) und Parlament(en) zu legitimieren. Das Verhältnis zur brasilianischen Regierung beschreiben unabhängige Radios als äußerst zwiespältig, denn die Kommunikationspolitik der seit dem Jahr 2002 regierenden Arbeiterpartei (PT) sei »schizophren«182. Die Regierung handle nicht monolithisch.

»Auf der einen Seite lässt der offene Konflikt zwischen dem Kommunikationsministerium [MiniCom] und den Community Radios beschreiben. Darin involviert ist auch [die Regulierungsbehörde] ANATEL, die eigentlich eine Autonomiestatus hat, aber auch als Arm des MiniCom fungiert. Auf der anderen Seite unterstützt beispielsweise das Kultusministerium [MinC] Community Radios im Rahmen vielfältiger Programme.«

Innerhalb solcher Programme fungieren die network builder nicht selten als Vermittler_innen zwischen staatlichen Institutionen und den einzelnen Sendern.183 Selbst Vertreter_innen von RIZOMA bleiben bspw. bei der Organisation sogenannter Kulturpunkte (ponto de cultura), einem Programm des MinC nicht außen vor.184 Auch wenn das Verhältnis zur PT manchmal enger, manchmal distanzierter ist, verteidigen alle Inskripteur_innen das Interesse der Regierungspartei an einer Medienreform zugunsten unabhängiger Radios, die jedoch bisher wegen des Einflusses anderer Parteien in der Regierungskoalition nicht zustande gekommen sei.185 Vor allem die beiden Kommunikationsminister, Eunício Lopes de Oliveira und Helio Costa von der PMDB hätten konsequent alle Bestrebungen zunichte gemacht. Präsident Luis Ignacio da Silva habe deshalb den Vertreter_innen der Community Radios nahegelegt, Unterstützung besser bei der Legislativen zu suchen.

Dem Zuspruch der PT in der Regierung entspricht eine strukturelle Kritik des brasilianischen Kongress, als denkbar ungeeignetsten Ort, eine Mehrheit an Legitimationshelfer_innen für unabhängige Radios zu finden. Das parteiübergreifende Bündnis (bancadas) von Medieneigentümer_innen im Kongress, bzw. ihnen zuzurechnender Repräsentant_innen habe bisher die Diskussion einer Novellierung der Gesetze stets verhindert.186 Diese Blockade finde auch in den einzelnen Gremien und Ausschüssen der Abgeordnetenkammer und des Senats statt. Nichtsdestotrotz unterhalten die network builders ständig Kontakt mit der Parlamentarischen Front für die Meinungsfreiheit (Frente Parlamentar pela Liberdade de Expressão), die dazu beiträgt, punktuelle Erlässe und Beschlüsse zugunsten unabhängiger Radios zu unterstützen.187

Sowohl die Bundesregierung als auch der Kongress, werden auf Grund ihrer mangelnden Fähigkeit, die asymmetrische Medienpolitik zu korrigieren, in ihrer Anerkennungswürdigkeit herausgefordert. Erneut ist es die Krise institutioneller Akteur_innen, manifest in Koalitionszwängen und dem Einfluss von Lobbygruppen, die es verhindert, legale Normen zu reformieren und damit einen Beitrag zu legitimen Spielregeln für unabhängige Radios zu leisten. Zugleich wird aber auch das anhaltende Interesse einer erneuten Aushandlung der allgemeinen Bedingungen des Medienmachens deutlich. An dieser Stelle noch nicht zu beantworten ist dagegen die Frage, worin die punktuelle Kooperation mit einzelnen Ministerien motiviert ist, die sowohl Freie als auch Community Radios umfasst.188

(3) War bisher von staatlichen Institutionen die Rede, dann einzig auf Bundesebene. Dies lässt sich nur zum Teil damit erklären, dass kommunale und bundesstaatliche Organe nicht an der Kommunikationsgesetzgebung beteiligt sind. Zugleich findet aber auch ein Perspektivwechsel statt, wenn die network builders die regionalen politischen Bande unabhängiger Radios explizieren. Zum einen lässt sich eine Personifizierung beobachten; geredet wird nicht länger von komplexen Institutionen sondern von einzelnen Parteien und Politiker_innen. Zugleich sind diese individualisierenden Akteur_innen-Beschreibungen überwiegend negativ konnotiert. »Das Böse« tritt immer im Singular auf und bedroht eine idealisierte lokale demokratische Kultur. Die Ausnahme bildet hier interessanter Weise das Narrativ der bundesstaatlichen Regulierenden die generalisierend von »Städten im Landesinneren« sprechen, »wo der Einfluss der Kirchen und der Präfekturen sehr stark ist. Dort müssten wir ständig kontrollieren damit das MiniCom reagieren, Strafen verhängen und das Verhalten korrigieren kann«189

Die anderen network builders sprechen dagegen von Versuchen einzelner Politiker_innen, Community Radios unter ihrer Kontrolle zu bringen (oder sogar selbst zu gründen). Auch sehen sie die Möglichkeit gewahrt, diesen Offerten zu entgehen und punktuell konstruktiv mit lokalen und regionalen Institutionen (z.B. Stadträten) zusammenzuarbeiten und Abkommen treffen zu können. »Man muss eben vorsichtig sein, aber es geht«190. Ausgeschlossen sind hier jeweils individuelle Akteur_innen, die versuchen Radios zu korrumpieren oder für ihren Machterhalt zu instrumentalisieren.191

Wendet man diese Prämisse auf die lokalen Beziehungen zu einzelnen Parteien an, löst sich der allgemeine Zuspruch zur PT auf Bundesebene in einer Kontroverse auf:  Inwiefern ist, vor allem in Bezug auf Wahlkämpfe, eine enge Kooperation tatsächlich wünschenswert und legitimierbar?. Offen gegen jegliche Kooperation sprechen sich RIZOMA, AMARC Brasil und das FDC aus, wobei letzteres kritisiert, die PT versuche bis heute, die ComRad-Bewegung »unter Kontrolle der Partei zu halten«192. Demgegenüber steht exemplarisch Tião Santos Position, der seine PT-Kandidatur für die Abgeordnetenkammer von Rio de Janeiro im Jahr 2010 damit rechtfertigte, so die Belange der Community Radios effektiver vertreten zu können.193

Erst ein genauerer Blick auf die inskribierten Übersetzungsketten (3.5.) wird die Legitimation dieser kontroversen Kooperationen detailliert nachzeichnen können. Deutlich wird jedoch bereits hier, zum einen, dass die bundesstaatliche Exekutive kein Interesse hat, definitorische und regulative Befugnisse aus der Hand zu geben. Zum anderen sind die übrigen network builder darauf bedacht, ihre Skripte nicht pauschal delegitimieren zu lassen, sobald eine Kooperation mit lokalen Politiker_innen und Parteivertretungen stattfindet. Dem Generalverdacht eines Missbrauchs der ComRads für (partei)politische Zwecke auf der einen Seite, entspricht der Versuch eine Anerkennungswürdigkeit zu konstruieren, die ComRads als fähig zeichnet, selbständig interessenpolitische Grenzen zu ziehen, die mit ihrer gesellschaftlichen Rolle vereinbar sind.194

(4) Die Frage nach den Grenzen (partei)politischer Kooperation stellt sich in ähnlicher Weise auch für das Verhältnis unabhängiger Radios zu sozialen Bewegungen und Gewerkschaften: Inwiefern sollte sich ein Sender zum Sprachrohr einer Bewegungen machen und seine Mediationen an deren Bedürfnissen und Forderungen orientieren? Um darauf zu antworten, unterscheide ich zwei Perspektiven, eine erste, die unabhängiges Radiomachen selbst als Bewegung versteht, und eine zweite, die sich kritisch mit den spezifischen Relationen zu anderen kollektiven Akteur_innen auseinandersetzt, die sich als soziale Bewegungen verstehen.

Bereits unter dem Blickwinkel, der unabhängige Radios als soziale Bewegung auffasst, gehen die Inskriptionen der network builders weit auseinander. Das MiniCom bestreitet, dass die unabhängigen Radios in Brasilien eine Qualität erreicht hätten, um von einer Bewegung zu sprechen. Zwar habe »die Zivilgesellschaft eine Reihe von Forderungen artikuliert, die dann in der Gesetzgebung berücksichtigt wurden. Aber die Kriterien dafür sind im MiniCom entstanden.195 AMARC Brasil und ABRAÇO Nacional sprechen dagegen von einer historisch gewachsenen Radiobewegung, eingebettet in eine Bewegung für die Demokratisierung der Kommunikation, die sich in einer Phase der Neuorganisation befinde.196 Die Mitwirkenden von RIZOMA schließlich sehen weder eine homogene Bewegung noch erscheint ihnen eine solche als erstrebenswert. Ihr Anliegen konzentriert sich zunächst auf eine »allgemeine Sensibilisierung der Medienfrage« und einen selbstreflexiven »Bruch mit dem eigenen Verhalten«.197 Freie Radios seien vor allem »Türen, um andere Netzwerke kennenzulernen, Kontakte und Perspektiven kennen[zu]lernen«198. Während die Exekutive eine Radiobewegung als nicht existent delegitimiert, verteidigen die ComRad-Verbände ihre Bedeutung. Freie Radios dagegen erteilen der Frage nach Repräsentanz erneut eine Absage und gründen ihre allgemeinen Anerkennungswürdigkeit in einem individuellen Prinzip (kritischer (Selbst) Reflektion).

Von dieser ersten Selbstbeschreibung, ist auch das konstruierte Verhältnis zu (anderen) sozialen Bewegungen beeinflusst. Wo das MiniCom allenfalls »ein relativ neues Phänomen« des gegenseitigen Kennenlernens erkennen mag, spricht AMARC von einer Neuorganisation der historisch gewachsenen Akteur_innenbeziehungen. Für ABRAÇO Nacional steht dabei die Affirmation seiner Rolle als zentrale_n soziale_n Akteur_in im Vordergrund. Alle Entitäten und sozialen Bewegungen Brasiliens hätten einen Fuß in der sozialen Basis von ABRAÇO, eine Tatsache die jedoch viel zu wenigen »Gewerkschaften, Vereinen, Verbänden, NGOs und Gemeindeorganisationen« klar sei. Während sie allesamt die ComRads als Sprachrohre nutzen würden, »müssen sie dafür sensibiliert werden, dass sie auch eine gemeinsame Verantwortung für den Erhalt und die Verteidigung der ComRads haben«.199

Die Mitwirkenden von RIZOMA dagegen unterscheiden bei ihren Banden zu sozialen Bewegungen  zwischen dem »engen Kontakt Freier Radios zu Bewegungen sozialen Ungehorsams« und »Bewegungen, die einen missionarischen (proselitista) Diskurs pflegen und sich von Freien Radios fern halten«.200 Diese Unterscheidung sei wichtig, denn »während Landlose und Fabrikbesitzer genau wie Freie Radios keine Legitimation durch den Staat benötigen, um zu agieren«, sei das politische Agieren anderer Gruppen, die »eine bestimmte Vorstellung der Gesellschaft hegemonial werden lassen wollen«, nicht kompatibel mit dem Freien Radiomachen, das »nicht diesen hegemonialen Drang hat, und darauf bedacht ist, stets ein bestimmtes Publikum zu bedienen und zu vergrößern«.201

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Unterstützung sozialer Bewegungen seitens der ComRads ein ebenso klareres Legitimationskriterium bildet, wie der Anspruch, sich selbst als soziale Bewegung darzustellen. Freie Radios konstruieren ihre Anerkennungswürdigkeit dagegen distanzierter und eher indirekt. Sie knüpfen Bande über spezifische geteilte Prämissen politischer Handlungsprogramme (z.B. ziviler Ungehorsam) und der allgemeine Forderung des Rechts auf Meinungsfreiheit. Punktuelle Kooperationen mit sozialen Bewegungen werden nicht ausgeschlossen, jedoch nicht zur Legitimation des Medienmachens herangezogen.

(5) Was das Verhältnis zu religiösen Gruppen anbetrifft, lässt sich für fast alle network builder Freier und Community Radios zunächst festhalten: Missionieren in einem unabhängigen Radioprogramm ist ein no go. Das Gesetz verbietet genehmigten ComRads explizit jeglichen Bekehrungseifer und ANATEL findet es wichtig, »künftig noch stärker zu kontrollieren, denn vor allem die vielen Anzeigen belegen, dass so etwas häufig passiert«.202 Doch die These, vor allem evangelikale Freikirchen würden in jüngerer Zeit versuchen sich der unabhängigen Radios als Medium zu bemächtigen, ignoriere ihre permanente Präsenz auf Radiotreffen seit den 1980er Jahren, kritisiert Carlos Rocha vom FDC und erinnert sich an den Auftritt eines Pastors bei einer Podiumsdiskussion in den 1990er Jahren mit dem damaligen Kommunikationsminister Sérgio Motta:

»Er sagte: 'Wer Jesus in der Brust hat, der hat weder Angst vor der Polizei noch vor Abgeordneten. Wir werden das Radio mit Jesus im Herzen voranbringen, mit oder ohne die Zustimmung der Autoritäten.' Das sagte er so und so sind die Evangelikalen ja auch. Ich bin Katholik, aber ich denke die Evangelikalen haben großen Anteil am Kampf der Community Radios«.203

Die Kooperation des FDC mit evangelikalen Freikirchen, wird seitens der anderen network builders schnell herangezogen, um diese Inskription zu delegitimieren. Der FDC hält dagegen: »Der Kampf um Meinungsfreiheit bedeutet für [die Evangelikalen], die Wahrheit Christi zu vertreten«.204 Doch Meinungsfreiheit könne nicht mit Missionierung gleichgesetzt werden, weil »in ComRads Religion, wenn, dann als etwas offenes« artikuliert werden müsse, hält AMARC Brasil dagegen.205 Weder Evangelikale, noch Katholiken, noch andere Religionen sollten deshalb missionarisch auftreten. Dies sei eine Grundlage, um die Pluralität in einem Radio zu erhalten. Denn »wie kannst du die Gesellschaft demokratisieren, wenn du die Radios nicht für die LGTB-Gemeinde öffnest? Oder wenn nicht für afrikanische Religionen? Innerhalb der Religionen gibt es Ausschlüsse, die nicht im Radio reproduziert werden dürfen«.206

Die Frage der Pluralität stellt sich erneut unter anderen Vorzeichen, wenn die Anerkennungswürdigkeit unabhängiger Radios besprochen wird, die von einer religiösen Organisation, bspw. einer Kirche organisiert werden. Zunächst, wird dabei verhandelt, ob die Organisation eines unabhängiges Radios durch eine religiöse Gruppe oder Institution zu legitimieren ist. Weder die legale Inskription, noch die network builders schließen diese Möglichkeit (bis auf eine Ausnahme) kategorisch aus, sondern machen sie an einem spezifischen wie fest.207 Als einzelne legitimierende Kriterien werden benannt, der »Verzicht auf missionarische Botschaften« oder »offene, nicht religiös geschlossen« Sendepraxen, bei denen »Programm und Vorschläge von Bürgern und Bürgerinnen kommen«208 Nicht Religion per se wird also ausgeschlossen, sondern eine bestimmte qualitative Einbindung in die Inskriptionen formuliert.

Zwei extreme Positionen unterlaufen eine solche differenzierte Annäherung. Zum einen jene Haltung, die dezidiert die Anwesenheit Evangelikaler als delegitimierend auffasst, ohne dass hier eine symmetrische interreligiöse Auseinandersetzung stattfinden würde.209 Zum anderen erklärt sich das FDC zur/zum Legitimationshelfer_in evangelikaler Radiomacher_innen und geht soweit, auch Missionierung als einen Beitrag zum Gemeinwohl anzuerkennen. Wie ein Radio religiöse Inhalte außerhalb dieser polarisierenden Prämissen jedoch different in medialen Übersetzungsketten mobilisieren kann und sollte, wird von den network builders nicht genauer beantwortet und einmal mehr an die einzelnen Radiokollektive weitergegeben.

(6) Eine letze, schwer zu fassende Akteur_innengruppe, versammelt all jene Entitäten, die sich in den komplexen Mediationen unabhängiger Radios allein in der Vermittlungsleistung zwischen einzelnen Radiokollektiven und weiteren, vor allem staatlichen Akteur_innen ausdrücken. Hinweise darauf geben die network builder innerhalb der eignen Inskription oft nur insofern, als dass sie sich von spezifischen hidden actors zunächst distanzieren. Eine solche Akteur_innengruppe umfasst beispielsweise jene Vermittler_innen, die zwischen ComRads und den Ansprüchen der brasilianischen Rechteverwertungsgesellschaft der Musikindustrie (ECAD) monatliche Zahlungen für das Senden von Musik mit copyright aushandeln. Während Oboré dieses Vorgehen als einen »guten Weg« beschreibt, schließen Mitglieder von AMARC Brasil aber auch RIZOMA jegliche Zahlungen aus und sprechen sich gegen solcherlei Vermittlungen aus.210

Die eben erwähnte Organisation Oboré aus São Paulo tritt zugleich selbst als Vermittler_in von Community Radios in Erscheinung, zum Beispiel beim Monitoring bezahlter Radiospots des börsennotierten Stromkonzerns Eletropaulo.211 Auch Ministerien greifen mitunter NGOs oder network builders selbst heraus, um als agent Projekte mit unabhängigen Sendern zu koordinieren. Diese Art Akteur_innen-Konstellationen ist nicht unumstritten, weshalb die beteiligten Vermittler_innen stets herausgefordert sind, ihre Legitimation unter Beweis zu stellen. So verteidigte beispielsweise Oboré seine Monitoring-Tätigkeit auf einem Treffen mit ComRads mit der Begründung, es handle sich um ein »Pilotprojekt, dass ohne unsere Mediation nicht zustande gekommen wäre«212. Nur eine temporäre Vermittlung sei zulässig. In Berufung auf diese Prämisse unterstellte die Organisation ständigen Intermediären deshalb zugleich nicht legitim zu sein, alle voran Carlos Rocha, in seiner zentralen Vermittlerrolle zwischen im FDC organisierten ComRads und anderen externen Akteur_innen. »Diese Art Repräsentation ist problematisch und erschwert den Kontakt zu und zwischen den Sendern«.213

Wie zu sehen ist, sind die heterogenen Vermittler_innen bei näherer Betrachtung äußerst ambivalent. Ähnlich wie für die Gruppe der NGOs, stehen sie unter ständigem Druck, ihre Anwesenheit begründen zu können. Was leisten sie, was unabhängige Radios nicht auch selbst leisten könnten? Analog dazu lässt sich erneut nachfragen, inwiefern ihre Vermittlungen unabhängige Radios (de)legitimieren. Das Beispiel des FDC, das die Rollen des network builder und Vermittlers vereint, intensiviert diese Problematik noch zusätzlich, da hier zugleich die Anerkennungswürdigkeit seiner spezifischen Inskription von Community Radio herausgefordert ist.

Noch bevor ich erste Schlüsse aus den hier dokumentierten Montagen ziehe, ist festzuhalten, dass die Diversität der hier betrachteten komplexen Akteur_innen auf ein breites relationales Netzwerk verweist, dass in den unvollständigen Beschreibungen der network builders (auch aus eingangs beschriebenen theoretischen Überlegungen heraus) empirisch immer nur angedeutet und perspektivisch erschlossen werden kann. Dennoch hat die Verfolgung der hier skizzierten Spuren es möglich gemacht zunächst eine wichtige »Montage-Dynamik« nachzuzeichnen, nämlich den Versuch, komplexe Vermittlungen in die komplizierten Handlungsprogramme (d.h. die Signalerzeugung im engeren Sinne) einzuschreiben. Die prominenteste kategorische Grenzgängerin ist dabei die (Hörer_innen)-Community, deren aktive Beteiligung an der Signalerzeugung wiederholt eingefordert wird.214

Die dokumentierten Beobachtungen zeigen somit, dass die Unterscheidung von komplexen und komplizierten Akteur_innen der Konstitution radialer Akteur_innen-Netzwerke nicht vorgelagert, sondern Teil spezifischer Aushandlungen ist. Daran gekoppelt ist die Möglichkeit, durch eine enge Einbindung von Akteur_innen das Legitimationsnarrativ strategisch zu verändern. Wird beispielsweise, wie gesehen, die Hörer_innen-Community als eine komplizierte Größe einbezogen, dann intensiviert sich auch ihre Rolle bei der Betrachtung der Anerkennungswürdigkeit. Radio wird nicht länger nur für sondern mit der Community gemacht. Welche Bedeutung die network builder solchen spezifischen Modifikationen der Akteur_innen-Rollen im Einzelnen zukommen lassen, wird in den folgenden Unterkapiteln Mediationen (3.4.) und Mobilisierungen (3.5.) nun weiter aufgefächert.

 

3.3.3 Anleitungen – Handlungspotentiale 

Vor einer näheren Betrachtung der hier kompilierten Akteur_innengruppen innerhalb radialer Übersetzungsketten, möchte ich noch einmal auf die Formate und Formatierungen der besprochenen Inskriptionen unabhängigen Radiomachens eingehen. Zunächst ist dabei zu erwähnen, dass die hier rekonstruierten Skripte sich stark von herkömmlichen Bauplänen, Gebrauchsanweisungen oder Nutzungsvorschriften die zur Realisierung technischer Objekte geschrieben werden unterscheiden. Denn wie deutlich wurde, stammen die meisten Zitate der Skripte keiner schriftlichen und geschlossenen Handlungsanweisung sondern wurden in erst in den Interviews und Beobachtungen der Feldforschung expliziert. Lediglich das ComRad-Gesetz stellt seit 1998 einen nur punktuell veränderten geschriebenen Text dauerhafter Assoziationen dar, der in seinem Selbstverständnis legaler und legitimer Allgemeingültigkeit ohne zusätzliche Kommentare auskommt.

Spezifische Handlungspotentiale unabhängigen Radiomachens müssen ansonsten jedoch erfragt und rekonstruiert werden, besonders hinsichtlich des an medialer Legitimation interessiertem setting. Jenseits dieses spezifischen Interesses, ist bisher jedoch nicht beantwortet worden, ob und wie die network builders ComRads bzw. Freie Radios allgemeine Handlungsanleitungen für die Montage unabhängiger Sender handreichen. Dieser Frage nachzugehen ist jedoch äußerst relevant, da sie Aufschluss darüber gibt, welches Gewicht die Inskripteur_innen der Konfiguration komplizierter und mitunter auch komplexer Akteur_innen für die einzelnen Konstruktionen medialer Anerkennungswürdigkeit geben.

Einführend lässt sich bemerken, dass die untersuchten Akteur_innen allesamt dauerhafte Assoziation für die Montage verbreiten. Sie unterscheiden sich jedoch stark voneinander. Das von den legalen Inskripteur_innen verbreitete Skript in Form des ComRad-Gesetzes ist in Bezug auf seine formal-rechtlich formulierten Anforderungen und Normen an das Community Radiomachen bereits ausführlich besprochen worden.214 Entscheidend ist vor allem die stark regulierte Signalerzeugung, von der sich alle Charakteristik des verwendeten Equipments ableitet. Auch alle weiteren Eigenschaften werden vor allem unter der Perspektive des Erlaubtseins oder des Machenmüssens formuliert. Die Realisierung und konkrete Formulierung einzelner Handlungspotentialen wird jedoch an die Radiomacher_innen oder nicht-staatliche network builders weitergegeben.

Während des Forschungszeitraums verwies ABRAÇO Nacional vor allem auf zwei solcher konkreten Anleitungen zum Radiomachen, zum einen, auf das »in Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Entwicklungsministerium« publizierte Handbuch »Oficina de Capacitação para Radialistas Comunitárias« und auf das von »ABRAÇO Nacional editierte Para fazer Rádio Comunitária com »C« maiúsculo«215. Auch wenn der Radioverband laut Impressum für keinen der beiden Texte eine Autor_innenschaft beanspruchen kann, wird dennoch die Intention deutlich, präzise Modelle zu zirkulieren, in denen beschrieben wird, wie ComRads allgemein organisiert seien sollten.

Darüber hinaus bietet ABRAÇO Nacional auf seiner Website den Service an, Mitglieder bei spezifischen legalen und finanziellen Fragen zu beraten.216 Eine ebenfalls exklusiv für Mitglieder angebotene Beratung zu juristischen und technischen Fragen bietet auch das FDC an. RIZOMA wiederum macht die grundlegenden Elemente und Schritte, um »ein Freies oder Community Radio zu montieren« auf seiner Website offen allen Interessierten zugänglich und empfiehlt angehenden Radiokollektiven sich einen »Techniker aus dem Sendegebiet« zur weiteren Betreuung zu suchen.217 Während ABRAÇO Nacional und das FDC sich für die weitere Realisierung des Handlungspotentials eine potentiell äußerst zentrale Rolle verschreiben, schlägt RIZOMA die Bildung eines unabhängigen, an lokalen Akteur_innen orientierten Sendekollektivs vor.

AMARC Brasil schließlich fällt durch eine große Anzahl an Publikationen auf, von denen sich jedoch keine mit der Montage von ComRads beschäftigt. Vielmehr zieht sich die Organisation auf die Bereitstellung allgemeiner Prinzipien zurück, die bei der Gründung und dem kontinuierlichen Machen von Radio anleitend seien sollten. Wie bereits erwähnt (vgl. 3.3.1.) möchte AMARC Brasil auf diese Weise vermeiden, ein generelles Handlungspotential zu postulieren und gibt den assoziierten Mitgliedern ausschließlich im Rahmen von Workshops praktisches Wissen weiter.218

Die den unterschiedlichen Inskriptionen zuzuordnenden Anleitungen für eine Realisierung unabhängigen Radiomachens (Enrolements und Mobilisierung komplizierter Akteur_innen), divergieren demnach sowohl was ihre Öffentlichkeit und ihre Präzision angeht. Das legale Skript beschreibt das Handlungspotential vor allem auf restriktive Weise, in dem es ComRads die formellen Anforderungen ihrer Anerkennungswürdigkeit diktiert. AMARC formuliert demgegenüber alternative Prinzipien für eine Legitimation unabhängigen Radiomachens, setzt sich jedoch öffentlich nicht näher mit den komplizierten Akteur_innen auseinander, die diese Prämissen realisieren sollen. Gemein ist allen drei nicht-staatlichen ComRad-Inskripteur_innen, dass sie spezifische praktische Handreichungen nicht-öffentlich nur ihren Mitgliedern zugänglich machen und somit ihre Rolle als network builder stärken.

RIZOMA ist gegenüber diesem Agieren präziser und egalitärer. Während sich das Netzwerk bei seinen Beschreibungen Freien Radiomachens ansonsten vor allem entlang einer negativen Medientheorie bewegt, stellt es auf der Abstraktionsebene der Handlungspotentiale (inklusive Webradios) eine Vielzahl von Informationen zur Verfügung, um den Prozesse Freien Radiomachens zu initiieren.219 Zum Freien Radiomachen anregen, nicht jedoch den weiteren Weg abzustecken, ist der Effekt einer Inskription die entgegen den ComRads dort konkret wird (komplizierte Akteur_innen), wo diese sich öffentlich in Zurückhaltung üben und dort schweigt (weitreichende normative Prämissen) wo andere Inskripteure verstärkt um Anerkennungs-würdigkeit konkurrieren.

Abschließend lässt sich festhalten, dass keiner der network builder ein vollständiges Skript für die Montage liefert, sondern unterschiedlich weitreichende Hilfestellungen. Besonders in Bezug auf komplizierte Akteur_innen abstrahieren oder schweigen ComRad-Inskripteur_innen in ihren öffentlichen Anleitungen. Die Auseinandersetzung mit etwaigen technologischen Aneignungen findet nicht-öffentlich statt und hat, anders als im Fall des Freien Radiomachens  keine zentrale Bedeutung für die Legitimation des Medienmachens. Bei den Freien Radios widerum, ist, wie ich gezeigt habe, nicht ein spezifisches und kontinuierliches Handlungspotential legitimierend, sondern das Teilen von best pratices, die der Initiation einer Signalerzeugung zuträglich sind.

Aus entgegengesetzem Blickwinkel lässt sich dieses Fazit auch so formulieren: ComRad-Inskripteur_innen legitimieren ihre Skripte vor allem in Bezug auf normative Konzepte. Ob die fehlenden öffentlichen Anleitungen jedoch eindeutig als attribution gaps zu deuten sind, lässt sich an dieser Stelle noch nicht sagen. Denn diese Zuordnungen von Akteur_innen könnten auch in nicht-öffentlichen, hidden transcripts angelagert sein bzw. intentional offen gelassen worden sein, um ein »distribuiertes Handeln« anzuregen. Bleiben Radios sich selbst überlassen, werden sie im Rahmen von Dienstleisungen versorgt oder als fähig erachtet, sich selbst zu organisieren? Inwiefern die Skripte der network builders beim Medienmachen in die »Operationsketten« der Montagen eingreifen, kann erst ein späterer Blick auf die Organisation der einzelnen Radiokollektive klären.

 

Doch bereits vorher lassen sich die Inskriptionen der network builders über den bisher auf komplizierte Akteur_innen ausgerichteten Fokus weiter präzisieren. Mehr noch, für die Frage nach der Legitimation unabhängigen Radiomachens ist es unabdingbar die Übersetzung der im Kapitel 3.1. besprochenen Positionen in ihre angestrebten Realisierungen und Stabilisierungen nun näher zu betrachten.

 

3.4. Mediationen

Am Anfang der Übersetzungskette steht die Frage, was übersetzt werden soll? Einig allgemeine Ziele sind bereits deutlich geworden, als die Positionen der network builders betrachtet worden und von der Formulierung alternativer Normenkataloge (entsprechend den Bedürfnissen einer Community gegenüber dem bestehenden Gesetz bzw. der Proklamation postmedialer Räume) die Rede war (vgl. 3.2.2). Doch wie genau werden diese Ansprüche hinsichtlich eines spezifischen Gemeinwohls operationalisiert und wie lässt sich dieser Übersetzungsprozesses bei der Betrachtung der Inskriptionen methodologisch fassen? In den folgenden beiden Unterkapiteln folge ich der Prämisse erwünschte (3.4.1) und unerwünschte Vermittlungen (3.4.2) herauszuarbeiten, die für die Artikulation eines (Beitrags zum) Gemeinwohl(s) veranschlagt werden. Anknüpfend an diese Betrachtungen werde ich dann das qualitative Verhältnis zwischen unabhängigem Radiomachen und einer spezifischen Vorstellung von Gemeinwohl untersuchen (3.4.3). Auf diese Weise werden die network builders nicht nur gezwungen, abstrakte Prämissen und daran gekoppelte legitimation claims stärker zu explizieren. Zugleich wird auch ihr konzeptuelles Verständnis von Radiomediationen konkretisiert, das wie wir sehen werden, die Legitimation der einzelnen Radio-Skripte wesentlich prägt.

 

3.4.1 Erwünschte Vermittlungen

Die Inskripteur_innen dimensionieren die erwünschten Mediationen des Radiomachens entsprechend zweier bereits referierter abstrakten Prämissen: Medien demokratisieren (1) und einen medialen Dienst für bzw. mit einer Community zu verwirklichen (2).

(1) Die Demokratisierung der Medien wird dabei von ihrem spezifischen Machen aus betrachtet, einer Operationalisierung des Rechts auf Kommunikation. Dabei prallen zwei perspektivisch diametrale Skripte aufeinander. Das Kommunikationsministerium räumt zwar ein dass »es einer größeren Sensibilität gegenüber der Regulierung der Massenmedien bedarf«, beharrt jedoch zugleich darauf, dass bis zu legalen Veränderungen »die bestehende Gesetze eingehalten und von öffentlichen Angestellten in ihrer Einhaltung durchgesetzt«220 werden müssen. Demgegenüber beschreiben die Skripte unabhängiger Radios einen Prozess

»der seinen Ausgangspunkt in der Sicherstellung hat, dass Individuen und die communities die diese bilden kommunizieren können und dabei nicht den Aneignungen anderer Kräfte wie Staat, Kirche und Kapital ausgesetzt sind«221

Auch wenn MiniCom und ANATEL einer solchen Auffassung von Demokratisierung ablehnend gegenüberstehen dürften, scheinen sich die Regulierenden dennoch bewusst zu sein, dass sie ihren ambitionierten Anspruch, »nur selbst evaluieren zu können, ob unsere Regulierung der Nachfrage der Radiomachenden entspricht« auch legitimieren müssen. Konferenzen und Treffen mit unabhängigen Radiomachenden werden von ANATEL deshalb als »bereichernd« beschrieben, da man so „in direkten Kontakt mit den Radios komme«.

Mit der Affirmation solcher Evaluierungstreffen, die den Austausch über das radiale Akteur_innen-Netzwerk fördern sollen, ist jedoch weder eine symmetrische Aushandlungssituation garantiert, noch ein Kompromiss der Regulierenden, sich mit den Forderungen der übrigen network builders auseinanderzusetzen. Weder das MiniCom noch ANATEL teilen die von allen übrigen untersuchten Inskripteur_innen geäußerte Überzeugung, eine mediale Öffentlichkeit müsse in Brasilien erst noch geschaffen werden und sei unmittelbar von einer Umverteilung der Kommunikationsmittel abhängig. Öffentlichkeit sei in Brasilien »eher ein juristisches Konzept«, und statt einer Situation »in der alle die Möglichkeit haben zu sprechen« finde »ganz im Sinne von Habermas eine Subversion dieses Begriffs statt, die Aneignung des Phänomens der Kommunikation durch eine private Sichtweise«.222

In diese krisenhaften Öffentlichkeit schreiben Freie und Community Radios nun unterschiedliche Alternativen ein, die die Kritik teilen, das Format der Nationalen Kommunikationskonferenz (vgl. 3.1.) sei »zu stark konditioniert«, um dort Veränderungen auszuhandeln.223 Abgesehen von AMARC Brasil, der einer »direkten Aneignung der Produktionsmittel« verhalten gegenüber steht, stimmen alle übrigen nicht-staatlichen Inskripteur_innen darüber ein, dass »die Radios ihre Demokratisierung selbst unternehmen«, ihre »Kanäle vervielfältigen und ihre Kämpfe vereinen« sollten.224 Neben einem Zurückdrängen der kommerziellen Akteur_innen im elektromagnetischen Spektrum, werden eine Beschränkung der Macht »staatlicher Zentralinstanzen« sowie vermehrte »Selbstregulierung und Autonomie« bejaht.225

Die hier veranschlagten qualitativen Veränderungen sind nicht nur weitreichend, sondern werden zugleich auch als machbar verstanden. »Eine andere Kommunikation ist möglich«, dieses Leitmotiv wird von ComRads nicht nur als breiter prognostischer Horizont ausgebreitet sondern auch anhand temporärer Erfahrungen, wie unabhängigen Medienzentren und -netzwerken exemplifiziert.226 Konzeptuell am ausführlichsten ist diesbezüglich das Skript »öffentlicher interaktiver Kommunikation« des FDC, dass in der Errichtung multimedialer Community-Zentren die »Wiedererschaffung eines öffentlichen Raumes« anvisiert.227 Freie Radios dagegen interpretieren den Umstand »auf Sendung zu sein« und autonom Radio zu machen, ohne von jemandem abzuhängen«228 bereits als kontinuierliche Einlösung eines anderen Medienmachens.

In den referierten Positionen der einzelnen Radioskripte werden sehr anschaulich die divergierenden Vorstellungen von Medienmachen, Demokratie und Regulierung deutlich. Entgegen den Positionen des MiniCom und Anatel beziehen die übrigen Skripte ihre Legitimation gerade daraus, nicht nur eine punktuelle Verhandlung des Bestehenden anleiten zu wollen, sondern eine Demokratisierung der Medien an einer fundamentalen Veränderung der Bedingungen öffentlicher Kommunikation festzumachen.

(2) Für das alltägliche Radiomachen in und mit einer spezifischen Community lässt sich dieser Anspruch nun weiter explizieren. Dabei ist zunächst zu erwähnen, dass das ComRad-Gesetz im Verhältnis zu den übrigen Radioformaten in gewisser Weise ja ebenfalls eine »andere Kommunikation« und ein spezifisches Verhältnis zu einer »spezifischen community« beschreibt. Normativ ist dabei u.a. festgelegt dass ComRads »der Verbreitung von Ideen [und] kulturellen Elementen« (Art.3.I), »der Bildung und Integration der Gemeinde« (3.II) und »dem Angebot von Diensten von öffentlichem Nutzen (Art. 3.III) nachkommen sollen, sowie »künstlerische und journalistische Aktivitäten anzubieten« (Art.4.II).229

ComRad-Inskripteur_innen nehmen, wie ich zeigen werde, für die in ihren Skripten veranschlagten Mediationen durchaus auf diese relativ abstrakten Prämissen Bezug und explizieren sie weiter. Und auch Freie Radios »beschäftigen sich mit diesen Ideen“, lehnen die dafür verwandte Form staatlicher Regulierung jedoch ab, »weil diese überflüssig ist. Aber wir verwehren uns nicht gegen Ideen demokratischer Regulierung, welche der Bevölkerung zugute kommen«230.

Ein von allen Beteiligten intensiv diskutiertes Thema ist dabei die kulturelle Mediation unabhängiger Radios. Was im Gesetz als »kulturelle Elemente« beschrieben wird, explizieren die weiteren Skripte unabhängigen Radiomachens auf dreifache Weise. Eine erste erwünschte Vermittlung wird von in der Verfassung festgeschriebenen Prämissen abgeleitet, »unabhängige Produktionen« zu fördern (Art. 221) bzw. »unabhängige nationale und regionale Kultur zu fördern und zu quotieren« (ebd.).231 Damit wird zunächst konzeptuell die Relevanz von ComRads begründet, denen potentiell die erfolgreiche Vermittlung von Kultur zugesprochen wird. Erst in der weiteren Interpretation nicht-staatlicher network builder werden jedoch spezifische Ansprüche an ComRads formuliert, deren Erfüllung die Sender auch empirisch legitimiert. »Ein Community Radio muss die Kultur des Volkes schätzen, dessen Selbstvertrauen stärken und Identifikationsmöglichkeiten bieten«. Dabei solle »die große kulturelle Diversität des Landes« zum Tragen kommen, u.a. »die afrikanischen Regionen und Kultur« und zwar auf eine Weise, die

»die Menschen dazu bringt, zu kommunizieren und ein sich Kennenlernen als community zu ermöglicht. Wenn ein Community Radio tatsächlich die lokale Kultur widerspiegelt, spricht es die Sprache des Stadtteils (bairros)«.232

Eine dritte Sichtweise schließlich, bricht mit dem normativ-instrumentellen Anstrich, die Kultur im Radio in den beiden vorherigen Interpretationen erfährt. Ergebnisoffen wird von Mitwirkenden von AMARC Brasil und RIZOMA eingefordert, unabhängige Radios zu einer »Schnittstelle zwischen Kunst, Politik und ästhetischer Erneuerung« zu machen, »lokale Künstler einzubeziehen« und den »Leuten zu ermöglichen, sich einfach auszuprobieren und Dinge zu machen«233. Als anerkennungswürdig wird hier ein offener Raum vielfältiger kultureller Produktion veranschlagt, der sich mit den vorherigen normativen Prämissen nur die lokale Konnotation teilt. Darüber hinaus koppelt diese dritte Perspektive die kulturelle Produktion viel intensiver an eine offene Realisierung der Meinungsfreiheit und des Rechts auf Kommunikation. Die beiden ersteren stehen dagegen stärker in der im zweiten Kapitel beschriebenen Tradition eines historischen Bildungsauftrags von Rundfunkakteur_innen (vgl. 2.1.1.1), der jedoch nicht länger von einer urbanen Elite sondern einer lokalen Community gewährleistet wird und sich an deren Bedürfnissen orientiert: »Es werden Themen behandelt, die das Gemeinwohl betreffen«234.

Doch wie sieht dieses Gemeinwohl konkret aus und wie verhält es sich zu den erwähnten, im legalen Skript abgesteckten Zielen? Auf konzeptueller Ebene lassen sich die Antworten der network builder in zwei Gruppen einordnen. Die erste teilt die Auffassung des Gesetzes, wenn sie postuliert, dass »Community Radios Werkzeuge der Gemeinden sind«235. Die zweite hingegen verlangt von den  Sendern als aktive Mediator_innen »fit [zu] seien«, um »eine lokale Emanzipation der Community«236 anzuleiten. Die weiteren Dimensionierung des radialen Beitrags zum Gemeinwohl der communities, führt diese doppelte Konzeptualisierung fort. Bezüglich eines Informationsauftrags bspw. wird zum einen die konkrete Aufgabe »Grußbotschaften zu versenden« genannt, zugleich aber auch angemahnt, »die soziale Funktion von ComRads« müsse über eine »few-to-many Informationsweitergabe« hinausführen.237 Ähnlich verhält es sich bei der Diskussion um kommunikative Teilhabe (die sich auch im Integrationsgedanken des ComRad-Gesetzes findet).  Darin wird nicht gefordert dass ein »Radio erreichen muss, das es gehört wird«, sondern auch, das »alle sprechen können« und sollen: »Es geht vor allem darum Leute einzuladen, immer wieder, damit sie das Wort ergreifen«238. Dieser zweite Anspruch wird qualitativ über eine plurale und diverse Kakophonie hinausgeführt, sobald er teleologisch konkretisiert wird und von Radios verlangt wird: »Sie müssen organisatorisch sein und dazu beitragen »öffentliche Dienste« und »öffentliche Güter, die es »sonst nur an Orten der Mittelklasse gibt«239, in den communities zu verwirklichen.

Noch deutlicher kommt dieser organisatorisch Anspruch in der Prämisse zum Tragen, unabhängige Radios sollten zur Entwicklung der community beitragen. Benannt werden explizit der Aufbau öffentlicher Gesundheits- und Verkehrs- (besonders Asphaltierung) und Kommunikationsdienste  sowie von Freizeit- und Bildungsangeboten.240 Darüber hinaus sollten Radios auch den lokalen Handel und die industrielle Produktion fördern, sowohl als Schlichter_innen bei Streitfällen in der Community intervenieren.241 Viele der hier als kollektive Aneignungen formulierten Ziele werden auch in einer gemeinsamen Artikulation mit sozialen Bewegungen gedacht, von denen komplexer Präsenz beim Radiomachen bereits die Rede war (vgl. 3.3.2.4.). Im Rahmen erwünschter Vermittlungen geht es dabei entweder um dezidiert lokale Organisationen (z.B. Nachbarschaftskollektive) oder dem lokalen Ausdruck regionaler, nationaler oder transnationaler Bewegungen.

Auch wenn die network builders bei der praktischen Zusammenarbeit teilweise Probleme monieren, bleibt der allgemeine Anspruch bestehen, »als Radiobewegung selbst« mit Gewerkschaften, der Landlosenbewegung und Umweltgruppen zu kooperieren, oder gar »Instrumente der sozialen Bewegungen zu sein«342 Wie bereits angedeutet stehen Freie Radios dieser Vereinnahmung kritisch gegenüber, sehen sich auf Grund ihrer häufigen Situierung auf Universitätscampi jedoch »angehalten, die Interessen der Studierenden« zu vertreten und »das Recht auf Party« dieser community zu gewährleisten. Vorbehalte gegenüber einer instrumentellen Kopplung klingen auch bei anderen Inskripteur_innen wie AMARC Brasil an, da eine Kooperation mit sozialen Bewegungen die Legitimation eines Radios zwar erhöhen, zugleich jedoch negativ auf dessen veranschlagte Selbständigkeit und Unabhängigkeit zurückwirken könnte.

Zu guter letztt sollen hier noch zwei wichtige soziale Bewegungen angesprochen werden, die in vielen Skripten benannt werden, wenn auch im Lei 9.612/98 lediglich indirekt im Antidiskrimminierungsartikel (Art.4 IV), nämlich die feministische und die Lesbisch-Gay-Bi-Trans-Bewegung (LGBT). Die egalitäre Organisation von Männern, Frauen und LGBT-Akteur_innen in unabhängigen Radios bezeichnen alle befragten network builders als ein bedeutendes Kriterium radialer Legitimation. Außer ABRAÇO Nacional entwickeln alle nicht-staatlichen Inskripteur_innen von der empirischen Feststellung aus, »eine Verbesserung der aktuellen Verhältnisse ist notwendig, da es immer noch mehr Männer gibt« bzw. zu wenige nicht-hetero-normative Akteur_innen die Forderung: »LGBT muss stärker in die Community Radios involviert werden«243. Wie dieser Anspruch konkret übersetzt werden soll, wird außer bei dem in AMARC Brasil organisierten Frauennetzwerk und im allgemeinen Hinweis darauf, die unterdrückten Radiomacher_innen sollten stets selbstkritisch im eigenen Sender darauf achten, »nicht selbst zu den Unterdrückern zu werden«, in den Skripten nicht näher ausgeführt.244

Die Auseinandersetzung mit den einzelnen erwünschten Vermittlungen zeigt eine gemeinsame Schnittmenge an Perspektiven auf, macht aber zugleich auch unterschiedlich starke normative Setzungen sichtbar.245 Dabei werden einige in bewusster Abgrenzung (Bsp. »andere Kommunikation«) oder Konkretisierung zu Prämissen des ComRad-Gesetzes (Bsp. Gender) entwickelt. Zugleich deutete sich an, wie stark die mediale Konzeption von Radio als Werkzeug (ABRAÇO SP, ABRAÇO Nacional, VIVA RIO) oder als Mediator_in (AMARC Brasil, FDC, RIZOMA) die weiteren inskribierten Vermittlungen beeinflusst. Hier wird einmal mehr die Frage laut, ob Legitimation bedeutet, im Vorfeld spezifische, allgemein verbindliche Ziele festzulegen, oder die bewusst offen formulierten Vermittlungen, den Radiomachenden zu überlassen. Wird die letztere Prämisse verfolgt, verteilt sich auch die legitimatorische Beweislast entgegengesetzt: nachgewiesen werde müsste, dass die mediale Vermittlung unabhängiger Radios auf spezifische Weise das Recht auf Meinungsfreiheit oder Kommunikation verletzt, anstatt sie an einem festen Normenkatalog zu messen.

Ungeachtet der Frage, welche Prämisse im Einzelnen verwirklicht wird, lassen sich für beide Fälle nun entweder spezifische Verletzungen des Rechts auf Kommunikation bzw. spezifische normative »unerwünschte Vermittlungen« rekonstruieren, die die network builder in ihren Skripten ausschließen und die ich nun näher betrachten werde.

 

3.4.2 Unerwünschte Vermittlungen

Die Kontroversen von als unerwünscht erachteter Mediationen klangen bereits in den vorherigen Kapiteln an, etwa wenn die network builders über den non-profit-Charakter unabhängiger Radios (vgl. 3.1.f), oder die Anwesenheit bestimmter komplexer Akteur_innen (3.3.2.4.) diskutierten. Im Folgenden wird diese Debatte nun entlang vier spezifischer Vermittlungen expliziert, die zwar allgemein als delegitimierend veranschlagt, punktuell aber dennoch gerechtfertigt werden oder als hidden transcript inskribiert werden.

Erneut lässt sich eingangs das legale Skript unabhängigen Radiomachens zitieren, um die Kontroverse der network builders zu umreißen. Das Gesetz 9.612/98 schließt für ComRads eine »Gewinnorientierung« (Art.1), »Überzeugungsarbeit (proselitismo) jedweder Art« (Art. 4. IV, §1), das Senden von Werbung (Art. 18) sowie »finanzielle, religiöse, familiäre, parteipolitische oder kommerzielle Bindungen« (Art. 11) aus. (1) Dass kein unabhängiges Radio gewinnorientiert arbeiten sollte, wird von den übrigen Inskripteur_innen zunächst affirmiert. VIVA RIO relativiert diesen Anspruch jedoch, denn die  »[ComRad-]Bewegung ist noch in der Entstehung und wir unterstützen alle Radios, die zu uns kommen, auch wenn sie erst mal kommerziell ausgerichtet sind«246. Argumentativ wird das Aussetzen des non-profit-Anspruchs damit gerechtfertigt, dass das »Monopol großer Unternehmen stark« und der »Kampf ungleich«247 sei. Denn »wie soll sich ein unabhängiges Radio selbst erhalten und regelmäßig Programm machen«248, fragt auch das FDC.

Implizit wird hier ausgedrückt, dass das apoio cultural genannte Sponsoring (vgl. 2.1.2.2.) nicht ausreicht, um einen Sender zu organisieren. Daraus wird nicht der Schluss gezogen, eine generelle Gewinnorientierung zu befürworten, wohl aber fordern alle ComRad-Verbände eine bisher nur kommerziellen Radios eigene Finanzierungsmöglichkeit nutzen zu können, nämlich Werbung. Trotz aller Gefahren, die diese Vermittlung mit sich bringe, vor allem die von Freien Radios monierte schleichende Kommerzialisierung, dürfe das Senden von Werbung als Finanzierungsmöglichkeit nicht ausgeschlossen werden, argumentieren die Com-Rad-Inskripteur_innen.249 Denn zum einen existiere ein reales Interesse seitens der Werbenden und damit auch die Möglichkeit Werbung als transparente Einnahmequelle zu operationalisieren, anstatt finanziell bedürftige Sender »weiterhin in die Fänge von Politiker_innen und Unternehmen zu treiben«250. Werbung ist demnach kein Selbstzweck, ebenso wenig jedoch eine unerwünschte Vermittlung per se, sondern als anerkennungswürdige Kopplung an ein non-profit-Medienmachen konstruierbar.

RIZOMA lehnt Werbung dagegen vollständig ab, da diese Vermittlung nicht mit einem freien Radiomachen vereinbar sei (vgl. 3.5.2.). Auch die Regulierungsbehörde ANATEL spricht Werbespots in ComRads jegliche Legitimation ab, da eine »wettbewerbsverzerrende Benachteiligung kommerzieller Lokalradios«251 zu befürchten sei. Während das erste Argument eine kategorische Unterscheidung zwischen Freien und Community Radios aufzeigt, ist die Position von ANATEL relational begründet. ComRads suchen diese Auffassung mit dem Hinweis zu entkräften, dass ComRads Werbung weder als einzige Finanzierungsquelle noch gewinnorientiert einsetzen wollten und ein genereller Ausschluss dieser Vermittlung deshalb nicht gerechtfertigt sei.252

Generell schließen die Skripte unabhängiger Radios als Vermittlung auch politische Überzeugungsarbeit aus. Diese geteilte Überzeugung hat jedoch nur so lange Bestand, wie die Zusammenarbeit mit der Arbeiterpartei (PT) ausgeklammert wird. Anders als ABRAÇO SP, der öffentlich ein direkte Kopplung ablehnt, bestreitet ABRAÇO Nacional nicht ihre Nähe zur regierenden PT. Während der von Gewerkschaften und PT organisierten Veranstaltung Grito dos Excluidos in Brasilia im Jahr 2010 beispielsweise, rief ihr Vorsitzender, José Sôter, ComRads dazu auf, die Präsidentschaftskampagne von Dilma Rousseff zu unterstützen.253 AMARC Brasil ist »dagegen ganz und gar nicht damit einverstanden, dass die Community Radios Kampagne für Dilma oder andere Kandidaten machen sollten«. Deutlich distanziert sich auch RIZOMA und das FDC von derlei Vermittlungen.254 Wie ABRAÇO Nacional rechtfertigt dagegen auch VIVA RIO eine Kooperation mit der PT da »wir als Bewegung mehr Repräsentativität erreichen und uns einen Raum im Parlament erkämpfen müssen«.255 In seiner bereits erwähnten Kandidatur im Jahr 2010 für den Stadtrat von Rio de Janeiro sieht der Vorsitzende von VIVA RIO, Tião Santos deshalb auch keinen Interessenkonflikt:

»Ich habe bereits 1994 und 1998 kandidiert, Wir hatten keinen Erfolg und dennoch konnten wir damals für die Debatte über Community Radios eine große Öffentlichkeit gewinnen. Heute ist die Bewegung reifer. […] Der Slogan unserer Kampagne wird sein: Demokratische Kommunikation und voll Bürgerbeteiligung. […]. Wir wollen eine Stimme [im Stadtrat] die die populären Kämpfe (luta popular) repräsentiert«256

Dieser Versuch, eine begründete Ausnahme von der Regel der Unparteilichkeit und Offenheit unabhängiger Radios zu rechtfertigen, lässt sich auch für die gemeinhin ausgeschlossene religiöse Überzeugungsarbeit konstatieren. Anders als bei der Frage, unter welchen Umständen die Anwesenheit religiöser Akteur_innen legitim sei (vgl. 3.3.2.4) sprechen sich bis auf eine Ausnahme alle network builder öffentlich »gegen das Missionieren, Predigen und die Übertragung von Gottesdiensten im Radio«257 aus. Dieser Konsens scheint jedoch von hidden transcripts unterlaufen zu werden. Denn während ABRAÇO SP öffentlich dafür eintritt, »Community Radios müssen laizistisch sein, denn in Brasilien tobt ein religiöser Krieg«, finden sich in der Mitgliederliste der Organisation mehrere Sender, die von evangelikalen Kirchen organisiert werden und deren Programm zum größten Teil von Radioprediger_innen gemacht wird.258 Offen verteidigt diese Kooperation mit evangelikalen Organisationen dagegen das FDC, der auch religiöses Missionieren in ComRads als Beitrag zum »Kampf um die Meinungsfreiheit« deutet (vgl. 3.3.2.4.).

Im Vergleich zu den erwünschten Vermittlungen wird deutlich, dass die normative Bestimmungen delegitimierender Mediation entschiedener formuliert werden. Es mag zunächst überraschend, dass gerade das Skript des Freien Radiosmachens, welches sich sonst eher einen offenen medialen Raum formuliert, hier stringent fundamentale no-gos setzt: »Es gab nie Regeln, außer dem allgemeinen Werbeverbot und sich weder politisch, religiös noch kommerziell zu binden«.259 Anderseits lässt sich diese Positionierung als konsequente Fortsetzung einer negativen Medientheorie deuten, die sich paradoxer Weise mit dem legalen Skript überschneidet, dass Freie Radios in seinem Anspruch als zentrale Legitimierungsinstanz ablehnen.

Für die weitere empirische Arbeit noch interessanter, sind die erwähnten Versuche, öffentlich oder in hidden transcripts Ausnahmen zu unerwünschten Vermittlungen zu legitimieren. Auffällig ist dabei neben dem spezifischen Fall von ABRAÇO SP, wo nicht-öffentlich öffentlich ausgeschlossene Vermittlungen realisiert werden, dass die Nähe von ABRAÇO zur PT der Nähe des FDC zu Evangelikalen Akteur_innen entspricht und umgekehrt. Hier werden spezifische Vermittlungen inskribiert, die von der allgemeinen Norm abweichen und spezifische legitimiation claims abstecken, die sich auch auf das Verhältnis dieser ComRad-Skripte zum Gemeinwohl (der communities) auswirken.

 

3.4.3 Annäherungen an das Gemeinwohl

Die aufgeworfene Frage nach der Beziehung zwischen Medium und Gemeinwohl wird von den network builders selten präzise beantwortet. Auch wenn als legitimierendes Kriterium veranschlagt wird, »ein Community Radio darf niemals lukrativ sein, sondern muss alles für das Gemeinwohl geben«260, bleibt das, was das Gemeinwohl seien soll und sein Verhältnis es zu radialen Mediationen ausmachen soll, weiterhin im Dunkeln. Wie bereits erwähnt, lässt sich zumindest relational eine Unterscheidung treffen, zwischen Positionen, die Radio intermediär zur Erreichung eines davon unterschiedenen Gemeinwohls (z.B. Bau eines Abwasserkanals, Sprachrohr einer sozialen Bewegung) verstehen und jenen Auffassungen, die Radio eher als aktive Mediation bei der Artikulation eines spezifischen Gemeinwohls beschreiben (Erhalt und Entwicklung der community).

Die Grenze zwischen diesen zwei konträren Verständnissen von Radio ist fließend. Normativ zu fordern, ein unabhängiger Sender müsse »der Community helfen« kann zunächst beides heißen, Mittel oder Mediator. Sobald diese Helfen jedoch als ein »Öffnen von Räumen« verstanden wird, in denen »die community zueinander findet«261, wird die rein intermediäre Definition von Medium aufgegeben. Gemeinwohl ist nicht länger als ein fixes Set an von Radios zu erfüllenden Zielstellungen subsumierbar. Perspektivisch kann, wie im Fall der Freien Radios, bereits das Senden eines Signals, verstanden als Gewährleistung eines offenen medialen Raums ein Gemeinwohl darstellen, dessen community und Ziele der radialen Mediation nicht vorgelagert sind, sondern sich anteilig beim und als Radiomachen realisieren. Damit wird dem Versuch, legitimes Radiomachen im Rahmen von nur einem Skript (z.B. Lei 9.612/98) zu bestimmen per definitum ausgehebelt. Bei den Freien Radios wird lediglich ein minimaler Konsens an Regeln abgesteckt, der ein gegenseitiges Erkennen ermöglicht und die weitere Mobilisierung eines Akteur_innen-Netzwerks an die Radiokollektive weitergegeben.262

Die Skripte der »freien« network builders sind jedoch ebenso wie die von ComRad-Inskripteur_innen formulierten Mediationen nicht frei von atribution gaps. Denn gerade der Rückzug auf einen minimalen Konsens fördert bspw. im Fall des selbstkritisch reflektierten Defizits in puncto gender-sensiblem Radiomachen, nicht die Rekonstitution symmetrischer Beziehungen. Seitens der ComRad-Skripte sind darüber hinaus einige problematische hidden transcripts sichtbar geworden, vor allem die Kopplung an parteipolitische und religiöse Zielstellungen. Die Frage die sich diesbezüglich stellt, ist, ob es sich dabei um einen Versuch handelt, legitimation claims generell zu entgehen oder aber um Hinweise auf nicht-öffentliche Vermittlungen radialer Anerkennungswürdigkeit263.

Abschließend lässt sich noch einmal festhalten: Auf der Abstraktionsebene erwünschter und unerwünschter Mediationen werden Anerkennungswürdigkeiten entlang normativer Prämissen stabilisiert, die entweder ein festes Set legitimierender Kriterien bilden oder entlang relationaler Überlegungen definiert sind. Formuliert werden dabei von allen Ansprüche an ein demokratisches Medienmachen. Diese Prämissen grenzen sich kritisch vom bestehenden legalen Skript ab, bleiben dabei jedoch auf eine problematische Weise so allgemein, dass sie in ihrer Legitimation kaum angreifbar sind. Eben deshalb können sie noch nicht den Nachweis erbringen, inskribierte Ansprüche auch praktisch geltend machen zu können. Entsprechend der Prämisse einer symmetrischen Analyse der Radioskripte, müssen sich die network builders dieser Forderung nach Legitimation jedoch stellen. Die folgende Betrachtung untersucht deshalb nun die Mobilisierung spezifischer Handlungspinzipien und Arbeitsfelder unabhängigen Radiomachens, um festzustellen, inwiefern die Skripte hier ausführlicher ihre Anerkennungswürdigkeit explizieren.

 

3.5 Mobilisierungen

Dieses Unterkapitel geht der Frage nach, innerhalb welcher operativen Konzepte die veranschlagten Vermittlungen in konkrete Handlungszusammenhänge und -prinzipien übersetzt werden. Erneut wird dabei ersichtlich werden, dass die network builders vielfach keine vollständigen oder festen Operationsketten formulieren. Denn zwischen den relativ abstrakten Handlungsprinzipien (3.5.1) und den veranschlagten Arbeitsfeldern (3.5.2) unabhängigen Radiomachens bzw. ausgeschlossenen Mobilisierungen (3.5.3) klaffen erneut viele atribution gaps. Diese notorische Unabgeschlossenheit und Kontingenz lässt sich jedoch auch als ein Hinweis darauf verstehen, dass die network builder nicht die einzigen Schreibenden sind, sondern lediglich einen begrenzten Beitrag zur zirkulierenden Referenz »unabhängiges Radiomachen« leisten und leisten können (3.5.4).

 

3.5.1 Handlungsprinzipien

Bereits auf der Abstraktionsebene der Mediationen nutzten viele network builder das ComRad-Gesetz als Reibefläche für ihre eigenen Inskriptionen. Auch die Handlungsprinzipien unabhängigen Radiomachens nehmen auf das Lei 9.612/98 Bezug, modifizieren es punktuell jedoch stärker und formulieren eine Reihe abweichender Normen, die weit über die allgemeinen legalen Prämissen hinaus gehen, und von denen ich im Folgenden fünf genauer betrachten möchte. (1) Eine der intensivsten Auseinandersetzungen kreist dabei zunächst um die handlungsleitenden Prinzipien von Offenheit, Partizipation, Pluralität und Diversität. Das regulative Skript formuliert hierzu, »jeder Bürger der begünstigten Community hat das Recht Meinungen über jedwedes Thema in den Radiosendungen zu äußern […], muss dabei lediglich den adäquaten Moment im Programm berücksichtigen, um dies zu tun« und dafür bei der Sendeleitung einen Antrag stellen.264

Die ComRad-Verbände affirmieren den hier festgehaltenen Anspruch eines pluralen und partizipativen Radiomachens, formulierten jedoch Zugangsregeln, die vom legalen Skript abweichen.265 ABRAÇO Nacional versteht Pluralität dabei nicht als ein Merkmal von Individuen sondern von den einzelnen Gruppen einer geographisch verstandenen community. Diesen stehe es zu, Radio zu machen, »allerdings in nur einem Sender und nicht in mehreren Sendern in der Region«.266 ABRAÇO SP und VIVA RIO relativieren zwar den »Gruppenzwang« dahingehend, dass es in einem pluralen und partizipativen Sender »jedem Einzelnen zusteht Programm zu machen«, halten jedoch an der Ein-Sender-pro-Community-Prämisse fest.267 In der Gruppe von ComRad-Inskripteur_innen ist es AMARC Brasil, die Pluralität auch als eine potentielle Vielheit an Sendern auffasst und es den »Bürgern« zuspricht »vollständig frei zu sein, ihre Entscheidungen zu treffen«, wozu auch gehöre, die legal inskribierte Organisation von ComRads radikal zu hinterfragen.268

Formuliert ist diese Freiheit dennoch weiterhin primär als eine »Auswahl an Optionen« die darauf abzielt, einen minimalen Konsens über das Radiomachen in einer community zu erreichen.269 Der konsensuelle Gedanke als letztes legitimierendes Kriterium ist dabei zugleich der kleinste Gemeinsame Nenner aller nicht-staatlichen network builder. Die Mitwirkenden von RIZOMA stehen dem bisher exponierten Prinzip der Pluralität jedoch kritisch gegenüber, da eine Auswahl an Optionen bereits bestimmte Grenzen kommunikativer Freiheit impliziert. Unter bestimmten Umständen sei es notwendig, neue Optionen zuzulassen, so zum Beispiel bei der anteiligen Nutzung erzeugter Signale, denn es gäbe »unzählige konkurrierende Meinungen und Ideologien und deshalb auch einen möglichen Konflikt bei der Nutzung der Sendezeit«.270 Den medialen Raum zu erweitern falls nötig anstatt die Konsensfindung einzig auf bereits vorhandene Handlungsprogramme zu beschränken, gerade das sei Ausdruck partizipativer Demokratie.271 Neben der pluralen Aufteilung eines bereits operierenden Mediums, müsse zugleich der Anspruch bestehen, mediale Diversität zu gewährleisten, verstanden als »eine Ausdrucksmöglichkeit von Differenz in einer nicht bekannten Form, soll heißen, sie [die Differenz] selbst ist die Möglichkeit dieser Differenz.« Diesen legitimatorischen Anspruch, den Freie Radios an ihr eigenes Machen formulieren, fordert zugleich ComRads heraus, weil diese sich vorwiegend mit pluralem Medienmachen auseinandersetzen und die dafür entwickelten Normen der hier postulierten medialen Diversitität nicht gerecht werden.

Neben diesen Modifikationen von im Lei 9.612/98 angesprochenen Handlungsprinzipien, sind auch Strategien erkennbar, die daran interessiert sind, spezifische legale Inskriptionen in ihrer Legitimation grundsätzlich herauszufordern. Besonders in Normen und Erlässen verbriefte technische Anforderungen und Messverfahren werden kritisiert, wie zum Beispiel die Anforderung »konstanten Sendens«. Auch die vorliegende Arbeit formuliert als qualitatives Kriterium einer Radiomediation eine Signalerzeugung und die network builders affirmieren diese Prämisse. Dennoch dürfe sie kein Ausschlusskriterium darstellen, wie im Fall des gesetzlich formulierten Genehmigungsverlusts nach einer unberechtigten Sendepause von 30 Tagen.272 Denn gerade das zeitlich-linear fixierte konstante Senden 24 Stunden am Tag würden nur wenige Community Radios erfüllen können.273 Auch wenn es erstrebenswert ist, eine umfassendes Programm zu machen, formuliere das Gesetz einen Zwang, der beispielsweise Sendepausen, »die entstehen weil aus Gründen ökonomischer Präkarität kein Equipment gekauft werden kann«,274 nicht als Begründung zulässt.

(2) Freie Radios gehen auch in ihrem Anspruch Kriterien für ein konstantes Senden zu legitimieren  einen Schritt weiter als die ComRad-Skripte, wenn sie verteidigen »das Radios eine Weile zu, dann wieder aufmachen können, hier oder anderswo«275. Angelegt ist dabei ein Entkopplung von konstantem Senden im Singular und gegenüber einer fixen Norm. Freies Radiomachen bemüht vielmehr einen phänomenologischen Begriff von zeitlicher Konstanz der nicht linear zu messen ist. Deshalb müsse diese Dimension der Anerkennungswürdigkeit dem bisherigen Legitimationshelfer und -vermesser Staat auch vollständig entzogen werden, ohne dass jedoch klar wird, welche Akteur_innen in diesem Punkt künftig für Konsens sorgen sollten, was die Konstant der Radiomediationen im Gebrauch angeht.

(3) Eine weitere offene Frage betrifft das Kriterium der Repräsentativität. Anders als im Fall der Konstanz, ist auch das legale Skript undeutlich, und formuliert kein klares Handlungsprinzip. Denn neben erneuten formal-rechtlichen Anforderungen legt es für den Fall, dass verschiedene ComRads um eine Genehmigung im gleichen Sendegebiet konkurrieren, nur fest, die repräsentativere von beiden Assoziationen zu bevorzugen.276 »Repräsentativität ist immer schwer zu messen«, befindet das MiniCom und spricht sich für »ein Modell objektiver Kriterien, die eigentlich für den gesamten Rundfunk gelten sollten«277 aus. Bisher wurde ein solches allgemeines Handlungsprinzip zur Bestimmung der  Repräsentativität eines ComRads jedoch nicht formuliert.

Ohnehin gehe die Repräsentativität nicht von einer formalen Anerkennung der Regulierenden nach deren Kriterien, sondern von der Bevölkerung aus, hält beispielsweise ABRAÇO SP entgegen.278 Doch damit ist die Frage nach Repräsentativität ebenfalls nicht beantwortet, lediglich der/die Adressat_in wird ein_e andere_r. ABRAÇO SP schlägt deshalb die »Zahl der Hörenden« als ein messbares Kriterium vor, das jedoch nicht immer anwendbar ist, bspw. wenn beide Sender erst in der Entstehung sind. ABRAÇO Nacional, wiederum macht die Zugehörigkeit eines Senders zum Verband zum entscheidenden Kriterium, der sich damit implizit zuspricht die letzte Instanz in der Repräsentativitätsdebatte zu sein.279 Ein solches Vorgehen, oder auch die Idee lokale Autoritäten entscheiden zu lassen, stößt im MiniCom auf deutliche Ablehnung, da dann eher Freundschaften und andere nicht-objektive Kriterien handlungsanleitend wären. »Das Ideal wäre, darüber abzustimmen, wer am repräsentativsten ist«.280

Anstatt das Modell repräsentativer demokratischer Entscheidungsfindung als letztes objektives Kriterium medialer Repräsentativität (selbstreferenziell) ins Feld zu führen, schlägt AMARC Brasil vor, die spezifische Anerkennung eines Senders in einer community als entscheidendes Merkmal heranzuziehen.281 Auch das FDC vernachlässigt die Frage der Repräsentanz gegenüber Kriterien wie »Vertrauen und Anerkennung, die sich ein Radio erarbeiten muss«, wobei es »unter einer ständigen Qualitätskontrolle, direkt durch das Publikum« zu stehen habe.282 Dieser Perspektivenwechsel bringt die beiden ComRad-Verbände in die Nähe Freier Radios, die, wie bereits erwähnt, nicht repräsentieren wollen, wohl aber eine Anerkennung als legitimation claim an sich selbst formulieren. Ohne dabei formelle Kriterien definieren zu wollen, werden der Umstand »im Viertel gehört zu werden« bzw. »bekannt zu sein«, »die Nutzung der Infrastruktur rechtfertigen zu können« und im Rahmen von »Workshops« die Partizipation am Radiomachen und die »Gründung neuer Sender anzuregen« wiederholt als Indikatoren für das Handlungsprinzip der Anerkennung benannt.283

(4) Ein dem legalen Skript fremdes legitimierendes Handlungsprinzip, das von allen weiteren network builders jedoch intensiv diskutiert wird, betrifft die Operationalisierung der Unabhängigkeit eines Senders bzw. dessen politische Militanz und Aktivismus. Diese Auseinandersetzung ist erneut auch an das Medienverständnis der einzelnen Inskripteur_innen gekoppelt. Entweder wird Radiomachen als Option politischen Aktivismus verstanden oder als verbindlicher Mittel diesen zu unterstützen. Daraus werden zwei sehr unterschiedliche Schlüsse gezogen. Zum einen gibt es Skripte, in denen gefordert wird, das Radiomachen nach den Zielen einer breiteren Bewegung oder Ideologie auszurichten. »Ein Radio muss organisiert sein«, fordert beispielsweise ABRAÇO SP »Es geht nicht, dass man einfach Radio macht, damit die Freundin Musik oder Botschaften hört«.284 ComRads werden hier erneut in einen organischen gegenhegemonialen Block aus sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und mitunter auch der PT eingeschrieben

»Community Radios müssen sich mit niemanden verheiraten, um das Recht auf Kommunikation zu artikulieren«285, lässt sich eine gegenläufige Position zusammenfassen, die als unabhängiges und zugleich militantes Handlungsprinzip zunächst die Schaffung einer autonomen Mediation definiert. Während AMARC Brasil dieses Moment der Selbstbestimmung anschließend normativ konkretisiert, beschreibt RIZOMA die Freien Radios direkt als »das Ergebnis einer Autonomiebewegung, gegenüber kulturellen Ausschlüssen, kultureller Unterdrückung und staatlicher Repression«.286 Über diese »starke gemeinsame Wurzel« hinaus, gäbe es bis heute jedoch »unterschiedliche politische Auffassungen von Autonomie mit unterschiedlichen Staatsverständnissen«.287

In diesen beiden konträren Positionen kommt sehr anschaulich zum Ausdruck, dass die jeweiligen Reflexionen der network builders über das Radiomachen nicht nur die Mediationen sondern auch die Handlungsprinzipien beeinflussen. Sobald das Radiomachen selbst als potentieller Akt der Militanz verstanden wird, muss für seine Legitimation nicht der Nachweis einer Kopplung an weitere komplexe Akteur_innen (z.B. soziale Bewegungen) geleistet werden. Im umgekehrten Fall, scheint die Anerkennungswürdigkeit in ihrer Operationalisierung auf den ersten Blick offensichtlicher (z.B. Aufruf zu einer Demonstration), wobei eine enge Kopplung mit weiteren Akteur_innen jedoch auch die Frage aufwirft, inwiefern ein Radio dann weiterhin uneingeschränkt als unabhängig bzw. plural/diverses und partizipativ beschrieben werden kann.

(5) Ein zusätzliches Dilemma wird sichtbar, wenn die Analyse der Skripte deren Gendersensibilität in den Blick nimmt und nachfragt, inwiefern die bisher versammelten Kriterien (z.B. Repräsentativität, Diversität und Militanz) auch »gegendert« sind bzw. sich ein spezifisches Handlungsprinzip dieser Frage annimmt. Erneut macht das ComRad-Gesetz (über sein Gebot der Nichtdiskriminierung hinaus) zu diesem Thema keine Aussagen, ebenso wenig wie VIVA RIO, das FDC und ABRAÇO SP.288 ABRAÇO Nacional formuliert dagegen explizit das allgemeine Handlungsprinzip, »Frauen vor der Ausbeutung ihres Bildes zu schützen« und eine »Sicht der Gleichheit auf Mann und Frau« gewährleisten zu müssen.289 Doch wird dieses Verständnis von Gendersensibilität, dass sich vor allem dem Blick auf Frauen verschreibt von ABRAÇO Nacional auch im Rahmen der Entscheidungsfindung und der Teilhabe beim Radiomachen angewandt?

Ein konkretes Handlungsprinzip inskribiert ABRAÇO Nacional mit der Quotenreglung bei landesweiten Treffen des Radioverbands, die künftig eine Mindestbeteiligung von einem Drittel Frauen vorsieht.290 Indirekt würde auf diese Weise auch die Rolle der Frauen in den Radios gestärkt, da diese dadurch auch stärker für repräsentative Posten berücksichtigt würden. Dieses angekündigte Vorgehen wurde bisher jedoch nicht eingelöst.291 In den Freien Radios werden dagegen keinerlei genderspezifischen Handlungsprinzipien in den Skripten formuliert, lediglich Beispiele für Verbesserungen oder Aneignungen in den Radios selbst benannt, um innerhalb einzelner Radios eine Debatte anzustoßen. AMARC Brasil definiert ausgehend von einer globalen Prämisse des Weltverbands AMARC ein Frauennetzwerk als einen festen Bestandteil seiner Rolle als network builder.292 Dieses Frauennetzwerk ist als ein Korrektiv angelegt, denn es gäbe für Frauen in der Gesellschaft keine egalitären Strukturen und auch in den ComRads würden die »Frauen schon mit Schuldgefühlen Aktivistinnen werden«.293 Das  Handlungsprinzip des Frauennetzwerks ist deshalb im Allgemeinen an der Schaffung gleicher Zugänge zu Entscheidungen bzw. eigener Räume für Frauen orientiert.

Die relativ vage Inskription des Frauennetzswerks von AMARC Brasil verdeutlicht ein allgemeines Problem der inskribierten Handlungsprinzipien. Sie sind oftmals immer noch weit entfernt von einer Operationalisierung und lassen sich in ihrem Abstraktionsgrad nur schwer von den vorher behandelten erwünschten und unerwünschten Vermittlungen unterscheiden. Dennoch ist bei allen nicht-staatlichen network builders deutlich der Versuch erkennbar, unabhängiges Radiomachen entsprechend allgemeiner Handlungsprinzipien über den Horizont des legalen Skripts hinaus Anerkennung zu verleihen – die Anerkennung eines Radios selbst wird als Handlungsprinzip angeführt. Legitimationssteigernd ist dabei sowohl die pointierte Kritik und Modifikation legaler Prämissen (z.B. Pluralität) sowie die Formulierung zusätzlicher Prinzipien (z.B. Diversität), die nicht nur Ergänzungen darstellen, sondern die Deutungshohheit des Gesetzes zugleich quantitativ und qualitativ relativieren.

Dennoch verlangen die normativ und relational formulierten Handlungsprinzipien nach einer weiteren Ausdeutung. Die an den unscharfen Mediationen geäußerte Kritik, die sich legitimation claims, trifft auch hier zu. Erneut bleibt nur die Möglichkeit, das Fraktal des Akteur_innen-Netzwerks weiter zu öffnen, und in der Beschreibung spezifischer Arbeitsfeldern nach Antworten zu suchen.

 

3.5.2 Arbeitsfelder

Unter Arbeitsfelder verstehe ich spezifische Handlungsprogramme in denen Handlungsprinzipien weiter spezifiziert und operationalisiert werden. Trotz des sich fortschreibenden Problems der atribution gaps helfen ihre Beschreibungen, die Skripte legitimen Radiomachens weiter zu dimensionieren. Denn zunächst wird bei der Inskription von Arbeitsfeldern erneut die bereits erwähnte strategische Koppelung bestimmter Handlungsprogramme an komplexe mediale Mediatoren fortgesetzt, die somit stärkeres legitimatorisches Gewicht erhalten.294 Zudem wird auch sichtbar werden, inwiefern auf dieser Abstraktionsebene (jeweils gegenüber weiteren network builders) relational Anerkennungswürdigkeit konstruiert wird. Und schließlich wird die folgende Betrachtung von sechs spezifischen Arbeitsfeldern dabei helfen, die bisher äußerst unscharfe Gender-Position der Inskripteur_innen weiter zu schärfen.

(1) Ein erstes dieser Arbeitsfelder umfasst journalistische Aktivitäten unabhängiger Radios und die Frage, was die Berichterstattung im Gegensatz zu anderen (Radio)Mediationen ausmachen sollte. Das legale Skript definiert zunächst vor allem sehr allgemeine Aufgaben wie »die Perfektionierung der Professionalität der [im Radio arbeitenden] Journalisten« sowie die Verbreitung journalistischer […] Aktivitäten in der community«.295 ComRad-Inskripteur_innen nehmen die hier formulierte Anforderung auf und modifizieren sie. Zunächst schreiben sie allesamt journalistische Tätigkeiten als direkten Bestandteil der Signalerzeugung ein, denn »wenn die Sender nur CDs spielen, dann sind es keine Community Radios mehr.«296 Ambivalenter wird dagegen debattiert, ob und inwiefern sich ein Radio dabei professionalisieren sollte. Abgelehnt wird zwar die »traditionelle Formalisierung des Journalismus in Form eines geschützten Titels« zugunsten einer nicht-hierarchischen und partizipativen Prämisse: »Der beste Journalist ist die Gemeinschaft, denn die weiß, was passiert«.297 Zugleich sehen Inskripteur_innen wie AMARC Brasil oder das FDC jedoch auch die Notwendigkeit, qualitative Normen für den community-Journalismus zu etablieren und zwar durch das »politische Training der Kommunikatoren, damit sie wissen, wie sie mit Informationen umgehen sollten«.298

Diese Formel eines von der community produzierten Qualitäts-Info-Radios wird nun weiter dimensioniert. Neben der allseits geteilten Prämisse einer Lokalberichterstattung, wird die Anerkennungswürdigkeit im journalistischen Arbeitsfeld u.a. an der »Übertragung von Anhörungen [in Parlamenten] von nationalem Interesse«, »Menschenrechtsthemen«, einer kontinuierlichen Berichterstattung zu »sozialen Bewegungen und Gewerkschaften« sowie »Genderfragen« festgemacht.299 Letzterer Anspruch wird im Skript von AMARC Brasil und dem dort vorgesehenen Frauennetzwerk in der Schaffung von Sendeplätzen für Frauen konkretisiert, wo diese Raum für ihre journalistischen Tätigkeiten erhalten sollen. Damit wird von einem legitimen ComRad eine Menge gefordert, denn für die Realisierung der hier versammelten Kriterien gibt es wenig hörbare Beispiele im kommerziellen Rundfunk, der zwar abgelehnt, in der Praxis zugleich aber kopiert wird, was einzelne journalistische Formate angeht.300

Diesem potentiellen Widerspruch, der bei der Realisierung eines ComRad-Skripts auftreten kann, verallgemeinern Freie Radios in ihrer relationalen Abgrenzung dahingehend, dass sie ComRads generell unterstellen, auch im journalistischen Arbeitsfeld, nur das zu wiederholen, was bereits bekannt und beliebt ist. Das heißt, im Umkehrschluss, dass »Journalismus im Rahmen fester Formate« abgelehnt wird, was jedoch »nicht als Abkehr von sozialer Verantwortung« missverstanden werden sollte. Freie Radios legitimieren sich dabei jedoch in einer offeneren und unbestimmteren Beschreibungen ihrer erzeugten Signale, die darauf abzielen die »auditive Kultur zu verändern« und es als politische Aufgabe betrachten eine »andere Ästhetik« und »eine Radio-Sprache als etwas nicht fertiges« zu etablieren.301

In dieser knappen Nebeneinanderstellung des journalistischen Selbstverständnisses der Skripte, wird deutlich, dass ComRads explizit darauf abzielen ein bestimmte Art Journalismus zu machen und so ihre Anerkennungswürdigkeit zu steigern, während Freie Radios sich gerade in der Ablehnung dieses ihrer Meinung nach verbrauchten Konzepts und der Ausrufung einer ästhetischen Erneuerung zu legitimieren suchen. Während letzterer Anspruch abstrakt bleibt (ganz im Sinne des allgemeinen Rechts auf freie Meinungsäußerung), koppeln ComRads ihre normativ-inhaltlichen Prämissen direkt an das erzeugte Signal und erheben die journalistische Arbeit damit zu einer komplizierten Größe des unabhängigen Radiomachens.

(2) Ein legitimatorisch ebenfalls äußerst relevantes Arbeitsfeld umfasst die arbeitsteilige Leitung (gestão) unabhängiger Radios. Die gesetzlich festgeschriebene Organisationsstruktur verlangt dabei eine Trägerschaft durch eingetragene Stiftungen und Vereine, deren Leiter_innen (dirigentes) seit mindestens zehn Jahren die brasilianische Staatsbürgerschaft haben und im Sendegebiet wohnen müssen.302 Die weitere Ausdeutung bleibt den ComRads überlassen oder wird aus den formellen Anforderungen des Vereinsrechts abgeleitet. Wie zu erwarten, setzen sich die weiteren Inskripteur_innen normativ intensiv mit diesen Vorgaben auseinander, konkretisieren sie bzw. deuten den Referenzrahmen um. Dabei geht es zunächst um die Frage, wie sich die Leitung eines unabhängigen Radios im allgemeinen von anderen radialen Skripten unterscheidet. Seitens der ComRad builder wird darauf hingewiesen, dass ein Sender nicht formal-rechtlich einer Gruppe zugeschrieben werden könne, sondern immer Patrimonium der community bleibe. Damit wird das legale Skript als Legitimationsquelle relativiert. ABRACO und VIVA RIO ziehen das Konzept einer »gemeinsamen Verwaltung« heran. Anstatt sich nur an der Struktur des legalen Trägervereins zu orientieren, würden »wahre« ComRads »keine Besitzer haben und von Gremien geleitet, die die Zivilgesellschaft repräsentieren«.303

Auch AMARC Brasil grenzt sein Skript von den legalen Vorgaben ab, spricht sich für eine »horizontale Organisationsform« aus.304 Anstatt dieses Prinzip jedoch weiter zu operationalisieren, geben sie die Aufgabe ein »eigenes Leitungsmodell zu entwickeln« an die einzelnen Radios weiter, da sie »selbst ihre spezifische Situation analysieren und ihre Organisation daran anpassen« sollten.305 Anerkennungswürdig sind demnach bereits alle ComRads, die sich der Prämisse horizontaler Organisation anschließen, ohne diese jedoch empirisch vollständig verwirklichen zu müssen, in jedem Fall aber darauf hinarbeiten.305

Unter deutlich konkreteren Vorzeichen operationalisieren die Freien Radios von RIZOMA das »Prinzip horizontaler Koordination«, nämlich im Rahmen »regelmäßiger Versammlungen« bzw. »Plenen«.306 Die von einzelnen aufgestellte These »damit gibt es keine Hierarchien«307 wird jedoch auch selbstkritisch hinterfragt. Vielmehr müsse jedes Freie Radio damit rechnen, dass sich auch dort »Machteliten und Führerschaften«308 bilden. Um ihre Anerkennungswürdigkeit zu gewährleisten, müssten Freie Radios sich deshalb auch kritisch mit jenen Selbstbeschreibungen auseinandersetzen, die »schwer sichtbare Hierarchien«309  - hidden transcripts, wenn man so will, verdecken.

Eine kritische Auseinandersetzung sei besonders im Fall der Konsensfindung nötig – einem für die Freien Radios zentralen Moment ihrer relationalen Legitimation gegenüber ComRads. Denn während in den ComRad-Skripten mit Ausnahme von AMARC310 strittige Entscheidungen per Abstimmung (einfache Mehrheiten) gefällt werden, lehnt RIZOMA diese »Diktatur der Mehrheit« ab:

»Wir lehnen es ab, Entscheidungen per Wahl zu treffen, egal für was. Unser Prinzip ist: wer einverstanden ist macht mit, wer nicht nicht. […] Wir versuchen, Formen der Entscheidungsfindung zu nutzen, die dem Problem gerecht werden, anstatt allgemeine Regeln aufzustellen«.311

Doch genau dieser »Diskurs des Konsens« könne mitunter auch undemokratische Entscheidungs- und Organisationsstrukturen verdecken die folglich aufgedeckt werden müssten und somit selbstreflexiver Teil einer legitimen Konsensfindung wird.312

Ein letztes hier genanntes Kriterium einer legitimen Leitung unabhängiger Radios betrifft die Frage der inskribierten Rollenteilung und ggf. ihre Rotation. Die ComRad-Skripte zeichnet dabei tendenziell eine Festlegung einzelner Rollen aus, die innerhalb bestimmter Zeiträume rotieren sollten, was die Verwaltung des Radios angeht. Einzig ABRAÇO konstruiert als ComRad-Inskripteur_in an dieser Stelle jedoch eine spezifische Anerkennungswürdigkeit, die sich darin begründet, dass auch Führungskräfte ständig an der Signalerzeugung beteiligt seien sollten und damit kein feste Rollenverteilung angeleitet wird.313 Bei RIZOMA wird dagegen die Abwesenheit individueller und dauerhafter Rollen als legitimatorisches Merkmal ihrer Horizontalität angeführt. Lediglich die Bildung »temporärer Kommissionen« sei vorstellbar, in den »spezifische Aufgaben was Technik, Finanzen, Sauberkeit und anderes anbetrifft« bearbeitet werden.314

Deutlich wird, dass die Leitung eines unabhängigen Radios seine Anerkennungswürdigkeit stark beeinflusst. Während alle nicht-staatlichen network builders die gesetzlichen organisatorischen Vorgaben als unzureichend oder zu hierarchisch deligitimieren, inskribieren nur ABRAÇO (in der Rotation von Rollen) und RIZOMA (in der Horizontalität der Entscheidungsfindung) hier explizit konträre Prämissen. Der weitere modus operandi wird an die Radios weitergegeben, die damit dazu angehalten sind, selbst normative Prämissen zu entwickeln und ihre Mobilisierungen zu gewährleisten. dh. Radio in seinem Gebrauch demokratisch zu verwalten.

(3) Um diesem Anspruch gerecht zu werden, erachten es die Inskripteur_innen auch als notwendig, mit etwaigen Wissenshierarchien zu brechen und die Nachhaltigkeit (Stabilisierung in der Zeit) unabhängiger Radios zu gewährleisten. Operationalisiert wird dieser Anspruch vor allem in einem Arbeitsfeld das die Aus- und Weiterbildung von Radiomacher_innen betrifft und auch vage im Lei 9.612/98 vorgesehen ist.315 Seitens der nichtstaatlichen ComRad-Inskripteur_innen wird darunter sowohl die »technische und ästhetische Ausbildung« verstanden, als auch die »politische Schulung der Kommunikatoren«, um, wie es bei AMARC Brasil heißt, die Auseinandersetzung mit »Menschenrechten, der Idee der Gemeinschaft aber auch dem Umgang mit Informationen« anzuregen.316 Für die Leitung und das Programmmachen auszubilden sind Prämissen, die in allen ComRad-Skripten  zu finden sind. In den Beschreibungen von ABRAÇO Nacional wird dabei aber auch deutlich, dass das Modell der »gemeinsamen Verwaltung« stark hierarchisch konzeptualisiert ist, wenn von der »Ausbildung von Führungskräften« und »Kadern« die Rede ist.317

RIZOMA hingegen beschreibt als Workshops einerseits als Momente um spezifisches technisches Wissen zu sozialisieren, zum Beispiel die »Organisation von Freie-Software-Workshops oder für Streaming«318. Andererseits werden Workshops aber auch als Orte verstanden

»um die historische Dimension der Freien Radios, sichtbar zu machen, die Frage der Gesetze, Menschenrechte, des elektromagnetischen Spektrums mit praktischen Fragen wir der Meinungsfreiheit oder Technologienutzung zu verbinden.«319

Eine arbeitsleitende Prämisse ist dabei, Workshops als permanenten und organischen Teil des Radiomachens zu organisieren, »Leute zum Mitmachen in den Programmen einzuladen und sie dann immer wieder einzuladen«320. Aus dieser Perspektive wird auch die allgemeine Skepsis gegenüber Radiohandbüchern gehegt wird. Während spezifische Handbücher (z.B. fürs Streaming) als nützlich empfunden werden, sei es nicht möglich, die Freie Radio-Praxis in ein Handbuch zu pressen.321

Inwiefern die Anerkennungswürdigkeit unabhängiger Radios von den hier inskribierten Aus- und Weiterbildungen bedingt ist, lässt sich gut an deren Stabilisierung in der Zeit erörtern. Für die kontinuierliche Reproduktion der Signalerzeugung stellen Workshops ein kompliziertes Arbeitsfeld dar. Ihre Organisation erhält vor allem in den ComRad-Skripten dadurch eine starke legitimatorische Qualität, da Aus- und Weiterbildungen nachweislich normative Kriterien wie Professionalität, Konstanz und spezifische Ansprüche an den radialen Aktivismus verstärken und realisieren helfen. Im Skript der Freien Radios dagegen bedingen Workshops die Anerkennungswürdigkeit dahingehend, dass sie die horizontale Selbstorganisation stabilisieren und die teils avantgardistischen Ansprüche an eine radiale Erneuerung verwirklichen helfen.322

(4) Auch bei der inskribierten Finanzierung unabhängigen Radiomachens, lassen sich spezifische Arbeitsfelder unterscheiden, die auf unterschiedlichen Prämissen beruhen. Das legale Skript schließt, wie bereits erwähnt, für ComRads jegliche Finanzierung durch Werbung aus und steht den Sendern lediglich Einkünfte im Rahmen von Spenden und einem kulturellen Sponsoring (apoio cultural) zu. Alle weiteren ComRad-Inskripteur_innen kritisieren diese rechtliche Einschränkung, sehen es als legitim, Werbung zu senden, rufen jedoch zumindest in ihren public transcripts nicht dazu auf, diesen Anspruch auch in die Tat umzusetzen. Stattdessen werden bspw. Vergleiche mit Argentinien aufgemacht wo »Radios wie La Tribu FM auf limitierte und sehr bewusste Weise auch mit Werbung arbeiten« oder auf konzeptuelle Schärfung und Erweiterung des Sponsorings gedrungen.323

Alle konkreten Arbeitsfelder zur Finanzierung von ComRads wird zunächst immer das Narrativ ihrer chronischen Unterfinanzierung vorangestellt, das nahelegt, dass alle weiteren Einnahmequellen zwar wichtig aber nie ausreichend sind. »Existieren, um nicht zu existieren, das ist der Ist-Zustand der ComRads«. Damit wird ein mögliches Kriterium für legitime Finanzierungsmaßnahmen bereits a priori ausgeschaltet, nämlich ihr Potential ein Radio nachhaltig zu stabilisieren. Es sind deshalb nicht so sehr die einzelnen Operationalisierungen, um Geld in die Kassen eines Radios zu bringen, durch dass sich die Skripte unterscheiden, wie Parties, T-Shirts, Getränkeverkauf, Kooperation mit öffentlichen Radios, Beiträge von Radiomacher_innen und/oder Hörer_innen.324 Relevant ist zunächst vielmehr welche Art von Ausgaben gerechtfertigt sind.

Ein zentraler Streitpunkt dabei kreist dabei um die Frage, ob bezahlte Arbeit in einem unabhängigen Radio notwendig für dessen Stabilisierung in der Zeit ist. Ja, sagen die ComRad-Inskripteur_innen »weil Aktivismus (militança) ohne Mittel nicht möglich ist. Man muss die Bedingungen dafür schaffen«.325 Anders gesagt, wird Aktivismus als ein fester Job legitimiert. Einschränkungen an dieser Prämisse werden vor allem situativ formuliert, wenn beispielsweise die Zahlung von Honoraren von den finanziellen Mitteln der community abhängig gemacht wird und die Zentralisierung bezahlter Arbeit vermieden werden soll.326 Eben so gut lassen sich Radikalisierungen finden, wie im Skript des FDC, dass das Finanzierungsvolumen nicht länger an kontinuierlichem Aktivismus, sondern an eine mediale Expansionsstrategie koppelt, um unter den Radios die »absolute Führung in der community zu bilden«.327

»Kein Geld für die Mitarbeit, nur Freiwilligenarbeit, nur eine Gemeinschaftskasse zum Erhalt des Radios«, so lautet der präzise Gegenentwurf von RIZOMA. Die Finanzprobleme der ComRads seien zudem ein hausgemachter »Mythos«, denn »der Unterschied liegt nicht darin, dass ein Freies Radio von Studierenden mit Geld gemacht wird, sondern darin, dass sie sich nicht fürs Programmmachen bezahlen lassen oder vom Radio leben«.328  Die Anerkennungswürdigkeit eines Freien Radios bestehe gerade darin, »selbstfinanziert« eine Art »prekären Radioclub« zu organisieren der vor allem eines unter Beweis stellt: »es ist nicht teuer Radio zu machen«.329

Diese starke Polarisierung bezüglich der Legitimation bezahlter Arbeit verdeckt zumeist, dass es auch seitens der ComRads eine minoritäre Position gibt, die Selbstfinanzierung (auto-sustentabilidade) als legitimierendes Kriterium des Arbeitsfeldes formuliert. Bereits auf der Ebene der Skripte mangle es an einer Vision, findet bespielsweise eine Mitarbeiterin von AMARC Brasil da »die Radiobewegung lange Zeit von NGOs, Stiftungen, Kirchen und Vereinen finanziert wurde, ohne dass dabei die Frage aufgemacht wurde, ob dass die einzige Finanzierungsmöglichkeit und wie notwendig diese sei«.330 Auch im Skript von VIVA RIO wird vermerkt, es sei wichtig, »ein ComRad so zu bauen, dass es von den Personen in einer community ausgeht und auch von diesen partizipativ finanziert werden kann«.

Die konkurrierenden Definitionen des Arbeitsfeldes der Finanzierung, zeigen, dass abgesehen von der strittigen Prämisse der Werbefinanzierung (vgl. 3.4.2.) weniger die Anschaffung von Mitteln als vielmehr deren Ausgabe als (de)legitimierendes Kriterium angeführt werden. Den Fixpunkt der Debatte bildet, wie ich gezeigt habe, die bezahlte Mitarbeit in einem Sender. Ist es notwendig diese Art von Akteur_innenkopplung auszuschließen, um die Anerkennungswürdigkeit des Arbeitsfelds »Finanzierung« zu garantieren, oder sollte es darum gehen, spezifische Regeln zu definieren, die bestimmte Zahlungen bzw. bezahlte Jobs in ComRads rechtfertigen?

Neben dieser zentralen Frage wird auf der Ebene des Medienmachens zudem erneut deutlich, dass das Skript des Freien Radiomachens die Finanzierung an ein kompliziertes Arbeitsfeld koppelt, dass vor allem die Signalerzeugung im engeren Sinne betrifft, während ComRads sich am Begriff des Aktivismus orientieren und einen breiteren Rahmen für finanzierungswürdige Handlungsprogramme abstecken. Anders gesagt, stehen sich hier der enge finanzielle Horizont eines low-tech-Skript Freier Radios und der komplexere Entwurf der nicht-staatlichen ComRad-Inskripteur_innen gegenüber. Während erstere die Signalerzeugung mit geringem finanziellen Mittelaufwand bejahen und als mediale Stärke feiern, wollen letztere die gesetzlich inskribierte prekäre Existenz der ComRads zugunsten komplexerer Modelle überwinden und fordern deshalb auch eine Ausweitung des Arbeitsfelds der Finanzierung.

(5) Stand bei der Konstruktion der finanziellen Anerkennungswürdigkeit unabhängiger Radio die Frage für was? im Zentrum, geht es im Arbeitsfeld der Kooperation zusätzlich darum zu explizieren, mit wem zusammengearbeitet werden soll. Dabei lassen sich drei grobe Akteur_innengruppen unterscheiden: Medien in all ihren Formaten und darüber hinaus nicht-mediale staatliche und nicht-staatliche Akteur_innen.

Das Arbeitsfeld der medialen Kooperation beschreibt, wie zu erwarten, unterschiedliche Distanzen und Intensitäten zu den einzelnen Formaten. Angefangen bei den »entferntesten Verwandten«, d.h. privatwirtschaftlichen Radiounternehmen, blitzt neben der allgemeinen Ablehnung (»Wasser und Öl vermischen sich nicht«331) und der punktuellen Kooperation von VIVA RIO und Rede Globo auch ein interessanter Vorschlag des Frauennetzwerks von Amarc Brasil auf: das Kaufen von Sendezeit in kommerziellen Radios, um der Arbeit von Community-Radiomacher_innen (und in diesem Fall auch spezifischen Gender-Themen) mehr Gewicht zu verleihen.332

Während diese Kooperation unabhängigen Radios Kosten verursacht und einzig in der strategischen Ausweitung des Publikums legitimiert scheint, strebt die von allen nicht-staatlichen ComRad-Inskripteur_innen affirmierte Zusammenarbeit mit den öffentlichen Radios der EBC vor allem eine finanzielle Stärkung an.333 Ausgehend von Pilotprojekten in Brasilia und Rio de Janeiro, bei dem ComRads Programmanteile für die EBC-Sender produzieren, wird dafür eine Bezahlung oder Materialhilfe veranschlagt, und die »Produktionsbedingungen stark verbessern«.334

Was nun die spezifische Kooperation zwischen unabhängigen Radios betrifft, ist zunächst zu erwähnen, dass das legale Skript jegliche Zusammenarbeit beim Senden im elektromagnetischen Spektrum, d.h. die Vernetzung und Retransmission von Signalen kategorisch ausschließt. Die übrigen Inskripteur_innen fordern jedoch gerade diese Art von Kooperation in ihren Skripten ein und delegitimieren die gesetzlichen Einschränkungen als Angriff auf die Meinungsfreiheit und des Rechts auf Kommunikation.335 Erklärtes Ziel einer engeren Kooperation im Äther aber auch im Internet ist der Austausch von Programmen336 und spezifischem taktischen Wissen, sowohl hinsichtlich der Sendetechnik337 als auch bezüglich der Analyse »der politischen Situation und Notwendigkeit gegenseitiger Unterstützung«338. Die Forderung von FDC dafür »eine Plattform interaktiver Kommunikation zu bilden […] die bisher nicht umgesetzt wurde«339, übersieht jedoch Internetportale wie Radiotube und Radiolivre.org wo solche Ideen bereits praktisch umgesetzt werden.340

Zu fragen ist hier jedoch auch, ob Vorschläge, gemeinsame kommunikative Netzwerke und Plattformen aufzubauen, sich jeweils auf alle unabhängigen Radioformate beziehen und welche Rolle dabei den Inskripteur_innen selbst zukommen würde. AMARC Brasil spricht sich öffentlich für eine Kooperation zwischen den unabhängigen Radios aus, ohne dass dabei spezifische Vermittler_innen anwesend sind.341 ABRAÇO, FDC und auch das Frauennetzwerk von AMARC inskribieren dagegen einen Austausch innerhalb des eigenen Netzwerks und verknüpfen diesen mit bestimmten Zielen und Regeln.342  Bezüglich der Kooperation zwischen ComRads und Freien Radios inskribieren explizit AMARC Brasil und RIZOMA den Anspruch zu intensivieren. Was die Kooperation über die nationalstaatlichen Grenzen hinausgeht, ist es neben dem dezidiert weltweit agierenden Netzwerk von AMARC Brasil erneut RIZOMA, dass einen Austausch mit Freien Radios als erstrebenswert beschreibt. Neben einzelnen legitimatorischen Vorgaben für eine spezifische Stärkung eines Skripts durch Kooperation, wird zugleich deutlich, dass einzelne Inskripteur_innen diese nicht für alle Formate unabhängigen Radiomachens vorsehen und teils auch sich selbst als zentrale_n Vermittler_in in ihrer Anerkennungswürdigkeit aufzuwerten.

Angesichts der stärker ausgeprägten Kritik des Freien Radio-Skript an staatlichen Akteur_innen, ist es nicht verwunderlich, dass darin gewarnt wird, jegliche Kooperation dieser Art »mit Vorsicht zu genießen«343. AMARC Brasil macht die Zusammenarbeit dagegen situativ von einzelne Fürsprecher_innen und Programmen in den Ministerien abhängig und spricht sich dafür aus, entsprechende Möglichkeiten wahrzunehmen bzw. selbst Vorschläge zu machen.344 Auch das Kommunikationsministerium spricht sich für eine Kooperation in Arbeitsgruppen, auch wenn es die Entscheidungsfindung, »was das besten für die Bevölkerung ist« letztendlich nur im Rahmen einer Zusammenarbeit einzelner Regierungsorganisationen für legitim hält.345 Eine viel weiterführende, nahezu organische Kooperation klingt dagegen in den Visionen von ABRAÇO Nacional an, die »wichtige Partnerschaften mit dem Obersten Gerichtshof, dem Justizministerium und dem Innenministerium« vorsehen, »um Informationen zu produzieren, die zu unseren Gemeinden zugutekommen«.346 Hier hat es den Anschein, als versuche ABRAÇO Nacional im Rahmen solcher potentieller engen Zusammenarbeit die eigene Anerkennungswürdig zu steigern.347

Konkret wird die Frage der staatlichen Kooperation aber vor allem in einem Punkt diskutiert, nämlich der Teilnahme unabhängiger Radios an einem Programm des Kultusministeriums namens ponto de cultura.348 Im Rahmen dieser Initiative können unterschiedlichste Institutionen, von staatlichen Universitäten bis hin zu informellen Kulturprojekten mit geringem bürokratischem Aufwand Mittel erhalten, für deren Ausgaben sie wiederum keine detaillierten Abrechnungen vorlegen brauchen. Auch Community Radios die keine Sendegenehmigung haben, sind förderungswürdig, weshalb die ComRad-Skripte sich nahezu ausnahmslos positiv auf diese Art Zusammenarbeit beziehen.349 Kurzum, staatlich gefördert zu werden erhöht die Anerkennungswürdigkeit.

Doch diese Formel ist mit den Prämissen des Freien-Radio-Skripts nicht ohne weiteres vereinbar, auch wenn es nicht ausgeschlossen wird, dass ein Freies Radio an dem ponto de cultura-Programm teilnimmt. Die Argumenten die gegen eine solche Kooperation angeführt werden, werten es als »falsch, sich von der Regierung abhängig zu machen und Autonomie zu verlieren« denn ein »Verlust der Freiheit die Sachen so zu machen, wie ein Radio sie machen will« sei ab dem Moment zu befürchten, »in dem aus einem Radio ein Projekt gemacht wird«.350 Auch wenn eine Gefahr der Kooptation nicht auszuschließen sei, empfinden andere Mitwirkende von RIZOMA es als unproblematisch für die Legitimation eines Freien Radios, wenn es sich an einem staatlichen Programm beteilige. Den Verfechter_innen vollständiger Autonomie wird entgegengehalten, dass die meisten Freien Radios in Brasilien das Skript auf Universitätsgeländen realisieren und eine  »Unterscheidung deshalb schwierig« sei, »denn auch in der Uni leben wir indirekt vom Staat«.351 Wichtig ist es den Inskripteur_innen von Rizoma in jedem Fall die Kooperation mit dem Kultusministerium nicht einfach als eine unbürokratische Lösung an Geld zu kommen zu affirmieren, sondern jeweils zu debattieren, ab wann bei einer strategisch begründeten Nutzung der Kooperationsmöglichkeit konzeptuell und praktisch die Anerkennungswürdig Freien Radiomachens herausgefordert wird.

Die Legitimation unabhängiger Radios scheint auch bei der Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Akteur_innen herausgefordert und zwar unter einem ähnlich gelagerten Vorbehalt vereinnahmt zu werden, wie ihn die RIZOMA-Inskripteur_innen gegenüber dem Kultusministerium formulieren. Dabei setzt jede_r network builder eigene kritische Schwerpunkte. So formuliert ABRAÇO Nacional Bedenken gegenüber einer unkritischen Kooperation mit Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO), da eine »Zusammenarbeit nicht immer automatisch zum Vorteil der ComRads stattfindet«.352 Anstatt kostenlos von Dritten produzierte Kampagnen und Aufklärungssendungen auszustrahlen, müsse es Gegenleistungen geben.

Die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen wird sowohl von Freien als auch von Community Radios als legitimationssteigernd verstanden, von beiden jedoch ebenfalls an spezifische Visionen und Bedingungen geknüpft. ComRads sehen eine Steigerung ihrer Anerkennungswürdigkeit meist in einer Vervielfältigung ihrer Kooperation. So heißt es zum Beispiel: »AMARC hat die klare Linie, immer mehr Allianzen knüpfen«.353 Die Anerkennungswürdigkeit der ComRads sei davon jedoch nur dann positiv beeinflusst, wenn soziale Bewegungen »mehr Verantwortung für die Radios übernehmen« und nicht nur instrumentell auf diese Zugriff nehmen würden, »um ihre eigenen Kämpfe zu verbreiten«.354 Das Skript der Freien Radios geht hier noch einen Schritt weiter, und spricht von der notwendigen »Affinität für eine praktische Freiheit« als Grundlage der Kooperation. »Flache Hierarchien, das Interesse zu Teilen und zu Experimentieren« sollten verbindende organisatorische Prinzipien seien. Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass RIZOMA eine enge Kooperation mit den oftmals hierarchischen Studierendenorganisationen skeptisch gegenübersteht, dafür aber stets die Freie-Software-Bewegung (FSB) als strategische Partner_innen anführt.356

Die Kooperation mit der FSB weißt auf eine letztes relevantes Kooperationsmoment hin, nämlich die Beratung und Unterstützung bei Fragen der »technischen« Signalerzeugung. Im Rückblick auf die geringe Aufmerksamkeit die AMARC Brasil der konzeptuellen Einbindung »nicht-menschlicher« Akteur_innen in ComRads zu Teil werden lässt (vgl. 3.3.1.2.), überrascht es kaum, dass der Verband als einzige_r Inskripteur_in zu diesem konkreten Arbeitsfeld schweigt. Ebenso erwartungsgemäß misst RIZOMA der Stabilisierung der für die Signalerzeugung relevanten Handlungsprogramme eine große Relevanz zu, wobei es steter Anspruch eines Freien Radios seien müsse, »Sachen gemeinsam zu entwickeln, ohne von jemanden abhängig zu werden«.357 Der Verweis auf die »Unabhängigkeit« ist in Bezug auf die network builder auch durchaus selbstbezüglich zu verstehen, denn im Unterschied zu den übrigen ComRad-Inskripteur_innen, die sich mit der »Technik-Kooperation« befassen, schreibt sich RIZOMA keine exponierte Vermittler_innenrolle zu. Anders dagegen das MiniCom, dass sich vor als zentrale Größe bei der Frage der Frequenzwahl – und einem möglichen Frequenzwechsel inszeniert.358 ABRAÇO Nacional hingegen beschreibt sich als legitime_n Mediator_in, um ComRads Kontakte zu professionellen Techniker_innen zu vermitteln bzw. rahmengegebende Kooperationsprogramme zu planen. VIVA RIO hingegen verweist auf sein eigenes Technikerteam dass kostenlos ComRads unterstütze. Deutlich wird, dass dieses spezifische Arbeitsfeld die Anerkennungswürdigkeit der unabhängigen Radios dahingehend stärkt, als dass es ihre Stabilisierung in der Zeit, also den konstanten operativen Gebrauch positiv beeinflusst.

Für die unterschiedlichen Arbeitsfelder der »Kooperation« möchte ich zusammenfassend vor allem auf vier Besonderheiten bei der Konstruktion medialer Legitimation hinweisen. Zunächst lassen sich zwei Strategien zur Steigerung der Anerkennungswürdigkeit unterscheiden, die sich bei ComRads zumeist auf eine möglichst breite quantitative Einbindung von Akteur_innen stützt, oder aber im Fall der Freien Radios an einer kleineren, stärker qualitativ orientierten Kopplung orientiert. Des weiteren werden in diese Strategien spezifische Bedingungen eingeschrieben, die für eine legitimierende Einbindung spezifischer Kooperationen maßgeblich sind, wie zum Beispiel die ideologische und organisatorische Affinitäten, oder aber der Austausch und Erhalt von Leistungen. Schließlich wird deutlich, dass vor allem in der Beschreibung der Arbeitsfelder »Weiterbildung« und »Technikkooperation« die ComRad-Inskripteur_innen ABRAÇO, FDC und VIVA RIO die Legitimation unabhängigen Radiomachens so formulieren, dass dadurch zugleich ihre Anerkennungswürdigkeit als network builder gesteigert wird. In diesem letzten Punkt klingt bereits eine problematische Legitimation auf Kosten anderer unabhängiger Inskripteur_innen an, auf die später noch einzugehen seien wird.

(6) Ein letztes relevantes Arbeitsfeld umfasst die praktische Auseinandersetzung mit der Regulierung des Rundfunks und medialen Inhalten im weiteren Sinne. Dabei lassen sich in den Skripten des unabhängigen Radiomachens drei zentrale Narrative herausarbeiten: der Kampf um legale Anerkennung, der Widerstand gegen Angriffe auf die Sender und die Abwehr finanzieller Forderungen der Copyright-Industrie.

Beim Kampf um die legale Anerkennung stehen sich die Sichtweisen des legalen und der übrigen Skripte diametral gegenüber. Den Ausgangspunkt der Narrative der nicht-staatlichen Inskripteur_innen bildet, wie so oft, die Feststellung, dass menschenrechtliche und verfassungsrechtliche Garantien nicht weiter übersetzt werden. Im Unterkapitel »Perspektiven« (3.2.3) bin ich bereits ausführlich auf die einzelnen Positionen und Vorschläge eingegangen. Es genügt deshalb an dieser Stelle erneut festzuhalten, dass das Arbeitsfeld der Legalisierung auf Seiten der nicht-staatlichen network builder all jene Handlungsprogramme umfasst, die eine Re- bzw. Deregulierung der bestehenden Gesetze zugunsten unabhängiger Radios anstreben. Die staatlichen Inskripteur_innen beschreiben das Arbeitsfeld der Legalisierung dagegen perspektivisch vor allem als die strikte Operationalisierung der bestehenden gesetzlichen Normen, denn »die Regulierung auf dem Papier muss eingehalten werden. Da ist kein Platz für philosophische Debatten«.359

An dieser Stelle werden sehr anschaulich die unterschiedlichen Prämissen, die dem Arbeitsfeld der Legalisierung vorausgehen deutlich. Die staatlichen Inskripteur_innen negieren eine Legitimation außerhalb der bestehenden Gesetze, während AMARC Brasil beispielsweise »Legitimität als etwas versteh[t], dass die Bürger und Bürger_innen dem Radio verleihen«.360 Die fehlende Bereitschaft staatlicher Inskripteur_innen sich an einer »Veränderung der Rundfunkordnung« zu beteiligen begrenzt deshalb stark mögliche Bewegungen im Arbeitsfeld der Legalisierung. Eine Legalisierung bereits bestehender Sender ist gesetzlich beispielsweise gar nicht möglich, sondern nur Neugründungen von ComRads. Dieses enge staatliche Handlungsprogramm rechtfertige demnach den »zivilen Ungehorsam« der von nicht-staatlichen network builders als legitim inskribierten Formen unabhängigen Radiomachens.361

Die inskribierten widerständigen Handlungsprogramme richten sich direkt gegen die Delegitimation  nicht-legalisierten Radiomachens innerhalb des staatlichen ComRad-Skripts und weiterer Gesetze. Hier werden, anders als beim wenig erfolgreichen Kampf um legale Anerkennung, eine Vielzahl von Handlungsprogrammen benannt, die die Anerkennungswürdigkeit unabhängiger Sender stärken sollen.362 Zunächst zählt dazu, die öffentliche Verteidigung des nicht-genehmigten Sendens. Diese umfasst unter anderem die Denunzierung gewaltsamer Schließungen, bei der »ComRads wie Banditen behandelt« würden, die Dekonstruktion des bereits erwähnten Arguments, ComRad-Signale würden Flugzeuge zum Absturz bringen, aber auch Demonstrationen für das Recht auf Kommunikation sowie die Umsetzung verfassungsrechtlicher und rechtsstaatlicher Garantien.363 Während hier primär staatliche Akteur_innen angesprochen sind, weißt AMARC Brasil darauf hin, dass Radios gegebenenfalls auch öffentlichen Widerstand gegen weitere Bedrohungen artikulieren müssen, beispielsweise im Falle von Schutzgelderpressungen.364

Doch das widerständige Arbeitsfeld umfasst auch weniger öffentliche Dynamiken. Es sei wichtig Tipps und Ideen auszutauschen, um sich gegen Einsätze der Regulierungsbehörde und der Bundespolizei zu wehren.365 Einer der ComRad-Inskripteur_innen verweist dabei auch auf die Möglichkeit ein Frühwarnsystem zu etablieren und auf diese Weise das Sendeequipment in Sicherheit zu bringen, bevor ANATEL zum Kontrollieren vorbei schaut.366 ABRAÇO SP wiederum verweist auf den Nutzen, zwischen ComRads einen gemeinsamen »Repressionsfond« anzulegen, »damit ein Radios nach seiner Schließung die finanziellen Mittel hat, direkt wieder auf Sendung zu gehen«367. Neben diesen Strategien sich im »Katz-und-Maus-Spiel« mit der Regulierungsbehörde einen Vorteil zu schaffen, formulieren die network builders jedoch auch Handlungsprogramme, um Konflikte zu vermeiden. So sollten nach Meinung von ABRAÇO SP vor allem jene Frequenzen besetzt werden, die keine Interferenzen mit anderen Sendern erzeugen bzw. die Frequenz gewechselt werden, falls dies geschehe.368

Eine weiteres und letztes Moment der Auseinandersetzung mit der Rundfunkregulierung das hier Erwähnung finden soll, betrifft die Frage des Copyrights für Audioproduktionen. Während das ComRad-Gesetz und die staatlichen network builders keine Aussagen dazu machen, ob unabhängige Radios genauso wie staatliche, öffentliche oder private Sender zahlen sollten, besteht die in Brasilien tätige Rechteverwertungsgesellschaft ECAD (Escritório Central de Arrecadação e Distribuição) darauf, dass auch ComRads monatliche Zahlungen leisten sollten und schickt einzelnen Sendern immer wieder Zahlungsaufforderungen zu.369 Alle nicht-staatlichen network builder sprechen sich dagegen offen dafür aus, nicht zu zahlen. Dabei rechtfertigen sie zunächst die Verwendung von Copyright-Material vermittels zweier Strategien. Die erste besteht darin, ECAD als Akteur_in zu delegitimieren. Dies geschieht zum einen darin, seine Professionalität in Frage zu stellen, zum Beispiel vor dem Hintergrund von Strafzahlungen ECADs wegen Kartellbildung.370 Die Freien Radios stellen die Anerkennungswürdig der Rechteverwertung dagegen eher konzeptuell in Frage.

»Oft wird das Autorenrecht mit dem [geistigen] Eigentumsrecht des Autors über das Werk verwechselt […] Alles Geschaffene wird direkt in Eigentum umwandelt […] Doch diese  Eigentumsidee steckt in einer Krise, sie ist ineffizient und der Druck nach Veränderungen wird immer größer. Soziale Praktiken verändern sich nun einmal.«371

Die zweite Strategie entwickelt nun eine Argumentationslinie, die unabhängigen Radios die kostenlose Verwendung von Copyright-Material zuspricht. »Community Radios sollten nicht von Autorenrechten betroffen sein, denn sie stimulieren lokale Künstler und tragen zur Diversität Brasiliens bei«, meint ABRAÇO Nacional. AMARC Brasil, die sich bis 2013 kaum mit dem Thema auseinandersetzten, intervenierten per amicus curiae im Januar 2013 gemeinsam mit der ONG Artigo19 vor dem Obersten Gerichtshof (STJ) und forderten ComRads wegen ihrer kulturellen Funktion und ihres non-profit-Charakters.372

Begleitet wird dieses Vorgehen zusätzlich von der inskribierten Aufforderung, weniger Copyright-Material zu benutzen. ABRAÇO Nacional rät den ComRads »mehr lokale Musik« zu spielen und die »Künstler dazu aufzufordern, ihnen die Rechte zu überlassen oder Community Radios Material kostenlos zur Verfügung zu stellen«.373 RIZOMA spricht sich dagegen direkt für die verstärkte Nutzung von Copyleft-Titeln aus.374

Im Arbeitsfeld der praktischen Auseinandersetzung mit der bestehenden Regulierung wird erneut sehr deutlich, wie wichtig es für eine Stärkung der Anerkennungswürdigkeit unabhängiger Radios ist, in den Skripten immer wieder zwischen legal und legitim zu differenzieren. Die network builder kombinieren dabei auf unterschiedliche Weise, eine Kritik bestehender Gesetzen, rechtfertigen ihre Nichtbeachtung oder machen Vorschläge dazu, wie rechtlichen Konflikten beim Radiomachen aus dem Wege gegangen werden kann. Deutlich erneut auch, dass nicht alle dieser Strategien immer öffentlich sind und vor allem explizit widerständige Legitimationsstrategien als hidden transcripts angelegt sind.

Abschließend möchte ich hier noch einmal die konkreten inskribierten Arbeitsfelder aufzählen: Finanzierung, Training, Kooperation, Austausch zwischen Radios, journalistische Arbeit, Leitung und Verwaltung, praktische Auseinandersetzung mit der Rundfunkregulierung und dem Copyright. Auf der analytischen Ebene der Handlungsprogramme werden in den Skripten also endlich Vorschläge greifbar, die Akteur_innen befähigen sollen, ihr Medienmachen zu legitimieren. Zugleich wird sichtbar, dass nicht alle dokumentierten Arbeitsfelder für die Legitimation von ComRad-Skripten und dem Pendant von RIZOMA die gleiche Bedeutung haben und auf verschiedene Art und Weise konstruiert sind. Wie ich dargelegt habe, formulieren die ComRad-Skripte dabei Handlungsprogramme die normativ deutlich konkreter angelegt sind, vor allem in den Feldern der journalistischen Arbeit, der Weiterbildung und Kooperation. Werden keine expliziten Normen benannt, dann wird zumindest an ComRads der Anspruch weitergegebenen,  für ihre Legitimation im operativen Gebrauch ähnlich normgebend zu operieren.

Das RIZOMA-Skript freien Radiomachens artikuliert sich dagegen erneut als primär negative Radiotheorie, die besonders in no-gos wie beispielsweise dem Verzicht auf Werbung, hierarchische Strukturen konkret wird. Aber es rücken vermehrt auch positiv-gesetzte Features Freier Radios ins Blickfeld, u.a. hinsichtlich des inskribierten low-tech-Charakers der Sender, Horizontalität und der »organischen« Kooperation mit der Freien-Software-Bewegung. Dabei bleibt jedoch das weitere Bemühen erkennbar, Arbeitsfelder so zu definieren, dass dabei keine strukturelle Vorgaben gemacht werden. Auf die Inskription dauerhafter Assoziationen (z.B. Radio-Handbücher) die eine »Härtung des Sozialen« begünstigen könnten, wird verzichtet.

Auch ComRad-Skripte legen die radialen Arbeitsfelder keineswegs als vollständige Blaupausen an.375 Dennoch unterscheiden sie sich in ihrer Konstruktion vom RIZOMA-Skript, wenn es darum geht, Legitimation in den einzelnen Arbeitsfeldern durch die Einbindung bestimmter Akteur_innen zu erzeugen. Im Feld der Kooperation ist exemplarisch deutlich geworden, dass die ComRad-Skripte eine massivere Kopplung von Entitäten anstreben, die nicht direkt die Signalerzeugung betrifft. Freien Radios streben im Vergleich dazu explizit eine intensivere Einbindung von Akteur_innen, deren Selektion mit den eigenen medienpolitischen Prämissen kompatibel seien muss.

Neben diesen Unterschieden, lassen sich für die unterschiedlich inskribierten Arbeitsfelder jedoch auch geteilte Probleme benennen, was ihren Beitrag zur Legitimation des unabhängigen Radiomachens angeht. Zunächst scheint es mir wichtig, einzelne Zuweisungslücken bei der Operationalisierung von Prämissen in spezifische Arbeitsfeldern nicht darauf zu verfallen, diese »Ungenauigkeiten« allein mit dem »medialen Werden« und der aktiven Rolle der Radiomachenden bei der Konkretisierung der Skripte, erklären zu wollen. Wäre dies der Fall, dann ist erstaunlich, dass das nachträgliche Weiterschreiben der Skripte, also eine wirkliche Rückkopplung mit dem operativen Gebrauch der Mediationen das sichtbare Spuren hinterlässt, an keiner Stelle von den network builders reflektiert wird.

Des weiteren fällt auf der Ebene der Arbeitsfelder auch weiterhin eine geringe Auseinandersetzung mit der Operationlisierung einer »gegenderten« und egalitären Teilhabe und Berichterstattung in den Radios auf. Positiv hebt sich hier allein die Einschreibung des Frauennetzwerks als komplizierte Entität im ComRad-Skript von AMARC ab. Dafür mangelt es nicht an Versuchen, sich auf Kosten anderer unabhängiger Inskripteur_innen zu legitimieren, wenn z.B. RIZOMA ComRad-Skripten pauschal vorwirft, keine ästhetischen Neuerungen zu leisten und mit Formaten von kommerziellen Radios zu arbeiten. Zum einen sind die ComRad-Skripte, wie ich gezeigt habe, zu unterschiedlich und entziehen sich dieser Kritik. Zum anderen ist zu fragen, inwiefern solche Legitimationsstrategien sich nicht negativ auf unabhängige Radiomachen in Brasilien auswirken und zwar in seiner relationalen Konkurrenz mit staatlichen, öffentlichen aber vor allem privaten Radioskripten.

Schließlich möchte ich abschließend noch zwei Probleme benennen, die tendenziell jeweils gesondert ComRad- und Freie Radio-Inskriptionen betreffen. Die Gruppe der erstgenannten network builders muss sich die Frage gefallen lassen, inwiefern die zentrale Rolle, die sich einige von ihnen bei der Weiterbildung von Führungskräften oder der Kooperation selbst zuschreiben schlüssig ist und nicht eine argumenative Achilesferse bildet. Warum beispielsweise allein ABRAÇO Nacional bestimmte Mediationen vornehmen kann, ist nicht allein mit seinem exponierten Repräsentationsanspruch zu erklären und verlangt nach weiteren Explikationen. Im Skript von RIZOMA werden andererseits die Grenzen ihrer meist negativ formulierten Medientheorie deutlich. Zum einen werden positive Forderungen wie Horizontalität formuliert, zum anderen auch Dissens erkennbar. Wie verbindlich ist beispielsweise die Nicht-Kooperation mit dem Staat, wenn dessen Ministerien die Existenz eines Freien Radios positiv beeinflussen wenn nicht sogar legitimieren könnte? In der dokumentierten Auseinandersetzung mit diesem no-go klingt bereits das Thema des folgenden Unterkapitels an, ausgeschlossene Mobilisierungen.

 

3.5.3 Ausgeschlossene Mobilisierungen

(1) Politische Patenschaften einzugehen, (2) sich an den Formaten kommerzieller Radios zu orientieren beziehungsweise (3) mit oder ohne Gegenleistungen (mit dem Staat) zu kooperieren sind mögliche Mobilisierungen des unabhängigen Radiomachens, die bereits mehrfach in dieser Arbeit diskutiert worden. In diesem Unterkapitel möchte ich dagegen noch einmal darauf eingehen, warum diese Handlungsprogramme für einzelne network builder als »ausgeschlossen« gelten. Auf diese Weise werden noch einmal spezfische Unterschiede zwischen den ComRad-Skripten deutlich werden, die zu einer differenzierteren Wahrnehmung beitragen. Während das RIZOMA-Skript die hier versammelten ausgeschlossenen Mobilisierungen an keiner Stelle relativiert, ist seitens der ComRad-Inskripteur_innen der Versuch zu erkennen, spezifisch Ausnahmen von der Regel zu formulieren, welche die Konstruktion der radialen Anerkennungswürdigkeit maßgeblich beeinflussen.

(1) Auf die allgemeine Ablehnung politischer Patenschaften aber auch Versuchen, in einzelnen Fällen solcherlei Beziehungen zu rechtfertigen bin ich bereits eingegangen.376 Hier soll nun der Blick auf ein spezifisches Handlungsprogramm gerichtet werden, bei dem sich network builder selbst als »Pate« einer erfolgreichen Genehmigungsvergabe einschreiben. Wichtig ist es, hier zunächst auf eine empirische Situation zu verweisen, nämlich den Umstand, dass

»80% der Community Radio die heute genehmigt senden, vermittels einer spezifischen Patenschaft dazu gelangt sind. Ein Politiker bringt den [Genehmigungs]Prozess ins Laufen. Das heißt, das Radio ist von Beginn an kompromittiert, so wie auf einer Geburtsurkunde, wo der Name des Vaters eingetragen wird«.377

Dieses Handlungsprogramm umfasst nicht nur lokale Paten und Patinnen, sondern »reichen [nach Einschätzung von AMARC Brasil] bis in die Regierung hinein« und ermöglichen es den Antragsteller_innen ihre Community Radios »schneller zu legalisieren als andere«.378 Öffentlich schweigen die ComRad-Inskripteur_innen zu diesem Vorgehen oder distanzieren sich wie AMARC Brasil ohne jedoch potentiell beteiligte Sender auf Grund der Patenschaften in ihrer Legitimation anzugreifen. »Es ist ihre Sache wenn sie bei so etwas mitmachen«.379

Diesem kritischen Laissez-faire steht jedoch die pragmatische Affirmation dieser beschleunigten Genehmigungsvergabe gegenüber, bei der ABRAÇO Nacional sich selbst eine zentrale Rolle zuschreibt. Denn wer als Radio dem Verband beitrete »hat es leichter als Radios, die den [Gemehmigungs]Prozess allein bewältigen müssen. Die warten dann zehn bis 12 Jahre um legalisiert zu werden.«380 Die politischen Kontakt von ABRAÇO Nacional zu Parlamentarieren der PT verkürze diese Wartezeit auf weniger als vier Jahre.381 Anders ausgedrückt, rechtfertigt der network builder hier ein in seiner Legitimation strittiges Handlungsprogramm, dass sich eben dadurch begründet, mit der Sendegenehmigung eine für die mediale Anerkennungswürdigkeit bedeutende Entität zu mobilisieren. Was jedoch, wenn das Handlungsprogramm an dessen Ende von Paten beschleunigte Sendegenehmigungen stehen delegitimiert wird? Auch wenn bisher öffentlich niemand die Anerkennungswürdigkeit beteiligter ComRads auf diese Weise angreift, schafft das Skript von ABRAÇO zumindest die Möglichkeit dafür

(2) Auf ähnliche Weise ließe sich auch die Legitimation von Sendern herausfordern, die sich an den Formaten kommerzieller Radios orientieren. In den Aussagen der RIZOMA-Inskripteur_innen, die ComRads vorwerfen, sich nicht ausreichend kritisch mit ihren ästhetischen Anleihen auseinander zu setzen, klingen solche Argumente bereits an. Interessanter Weise bejahen die Skripte von AMARC Brasil und ABRAÇO Nacional den geforderten Ausschluss von »Kommerzradioformaten«, lehnen ihn jedoch als aktuell gültiges Legitimationskriterium ab. Denn so lange ComRads von Beginn ihrer Arbeit kein Training garantiert sei, »können sie eben nicht anders [Radio machen], da sie nichts anderes kennen und gelernt haben«.382 Lediglich das Nachahmen »massiver Werbeblöcke« im Programmverlauf stelle ein no-go dar.383

Kategorisch gegen die Interpretation einer kommerziellen Radioästhetik als delegitimierend stellt sich allein VIVA RIO. Differenzierter bestreitet die Inskripteur_in nach, dass wirklich jedes Format a priori abzulehnen und fragt in entgegengesetzte Richtung: »was lässt sich von kommerziellen Radios lernen?«.384 Inskribiert wird, auch in Hinblick darauf »dass es schon einmal eine fruchtbare Annäherung [in dem erwähnten Projekt mit Radio Globo] gab, die aber nicht gehalten hat«385, ein gegenseitiger Lernprozess, in den, wenn man so will, die besten Formate der unterschiedlichen Radioskripte einfließen sollen.

(3) Ähnlich polarisierend wie das Verhältnis zu kommerziellen Radios ist in den Skripten unabhängigen Radiomachens immer wieder die Frage nach der Kooperation mit NGOs und staatlichen Akteur_innen diskutiert worden. Als ausgeschlossen gilt dabei die Kooperation ohne Gegenleistungen. Während bei der Kooperation mit NGOs zwischen den Inskripteur_innen darüber Konsens herrscht, scheinen gemeinsame Handlungsprogramme mit staatlichen Akteur_innen problematischer zu sein. ABRAÇO Nacional, ist wie ich bereits vorher gezeigt habe, dabei am unvoreingenommensten und macht die »derzeit wenigen gemeinsamen Projekte zwischen der Regierung und weiteren Institutionen« vor allem daran fest, dass der Staat noch immer nicht verstanden habe,  »dass Gegenleistungen nicht nur auf inhaltlicher Ebene stattfinden darf«.386 RIZOMA und AMARC Brasil hegen dagegen weitere Vorbehalte, sich vereinnahmen zu lassen oder sich sich finanziell einseitig abhängig zu machen.387 Deutlich wird hier, dass nicht nur die Frage eines reziproken Tauschens eine Rolle spielt, sondern sich auch Bedenken im Raum stehen, ob der Staat ein_e Akteur_in ist dem eine zentrale Rolle bei der Stabilisierung unabhängigen Radiomachens anvertraut werden kann. Delegimiert scheinen Handlungsprogramme in denen staatliche Akteur_innen tendenziell zu viel Protagonismus oder Entscheidungsmacht zuzugestehen.

Die ausgeschlossenen Mobilsierungen beschreiben demnach keinen Katalog fester Kriterien, sondern zeigen vielmehr wie formbar einzelne Prämissen mitunter sind. Dabei denken die Inskripteur_innen auch immer wieder selbst darüber nach, wem das Recht zukommt, Ausnahmen zu definieren - allein den network builders oder auch den ComRads und Freien Sendern?

Diese Frage ist für die weitere Arbeit sowohl empirisch als auch methodologisch äußerst relevant. Denn falls die Radiomachenden in den Skripten der network builder dazu berechtigt werden, selbständig situative Ausnahmen zu definieren, dann wird die Frage der Legitimation – vor allem auf der Ebene der Handlungsprogramme – erneut »vertagt«. Zugleich verliert auch die ontologische Ordnung der ANT, die bisher ja so zu verstehen war, dass (implizit von oben nach unten) linear eine black box nach der anderen geöffnet wird, ihr Erklärungspotential. Wie schon bei der Schlussbetrachtung des mappings (Kap. 2) klingt hier erneut die (bisher nur unzureichend beantwortete) Frage an, ob und wie die  Artikulationen der von network builders inskribierten Akteur_innen an die Skripte rückgekoppelt sind. Diese zirkuläre Bewegung im Fraktalmodell der ANT denkbar zu machen, ist auch der Schlüssel die heterogenen und oftmals unabgeschlossen erscheinenden Inskriptionen dieses Kapitels zu analytisch zu resümieren.

 

3.6 Zwischenfazit II – Radio als zirkulierende Referenz

In diesem Kapitel wurden fünf Skripte unabhängigen Radiomachens dokumentiert. Öffentlich sichtbaren und weniger sichtbaren network builders wurde Raum gegeben wurde, ihre Visionen und Operationalisierungen legitimierter Mediationen zu erläutern. An dieser Stelle möchte ich nun darauf eingehen, inwiefern diese Radio-Skripte das im 2. Kapitel begonnene mapping konkretisieren und welche unterschiedlichen Legitimationsstrategien sowohl gegenüber bestehenden Gesetzen (1) aber auch darüber hinaus (2) zum Ausdruck gebracht wurden. Anschließend erfolgt eine analytische Auseinandersetzung mit den in den Narrativen der radialen Inskripteur_innen vielfach erwähnten Zuweisungslücken, um sie nicht länger als gap monieren zu müssen sondern sie als leak für die weitere Arbeit nutzbar zu machen (3).

(1) Bereits am Ende des 2. Kapitels hatte ich auf der Beobachter_innenebene drei mögliche Ansatzpunkte formuliert, um aus Sicht der unabhängigen Radiomachenden und von der bestehenden legalen Ordnung des Radiomachens aus jeweilige legitimation claims zu explizieren.388  Den so dokumentierten Inskriptionen ist eigen, dass alle nicht-staatlichen network builder mediale Anerkennungswürdigkeit anteilige immer auch in Bezug auf bestehende gesetzliche Normen und Regeln artikulieren. Dies beginnt mit der retrospektiven Kritik am Lei 9.612/98, das dabei scheitert die artikulierten Skripte unabhängigen Radiomachens adäquat in legale Assoziationen zu übersetzen (vgl. 3.2.1), setzt sich fort in der Modifikation bzw. Ablehnung gesetzlicher Nomen (vgl. 3.2.2) und gipfelt schließlich in unterschiedlich weitreichenden Forderungen nach einem anderen Mediengesetz bzw. einer anderen Kommunikation (vgl. 3.2.3, 3.4.1).

Die Akteur_innen und Handlungsprogramme, die dabei mobilisiert werden sollen, lassen sich als spezifische Neuregulierungen und Deregulierungen unterscheiden. Erstere sehen die Koppelung neuer und veränderter Normen und Entitäten sowie die stärkere Einbindung der network builder in das staatliche Radio-Skript Lei 9.612 vor. Dazu gehören etwa die erwähnte Gründung einer ComRad-Ministerialbehörde (ABRAÇO Nacional), Modifikationen des Frequenzplans von ANATEL (z.B. drei statt bisher einer Frequenz für ComRads), die kontrollierte Nutzung des elektromagnetischen Spektrums als öffentliches Gut, die rechtliche Gleichbehandlung aller Radioformate und eine Garantie ihrer verfassungsrechtlich inskribierten Komplementarität. Während das MiniCom und ANATEL das bestehende Skript lediglich im Rahmen eines technical fix verändern wollen, lassen sich die Positionen weiterer network builders – allen voran ABRAÇO Nacional – als socio-technical fix subsumieren, der die Legitimation legaler Normen und Regeln (als anteilige Größen einer breiter angelegten Anerkennungswürdigkeit unabhängigen Radiomachens) stärker auf ein spezifisches Gemeinwohl bezieht. Dabei soll das bestehende Akteur_innen-Netzwerk der Rundfunkregulierung nachhaltig modifiziert aber nicht als solches herausfordert werden.

Inskripteur_innen, die einer Deregulierung das Wort reden, nehmen viele Vorschläge der Neuregulierung auf, leiten davon jedoch weiterreichende Forderungen ab. Bei den veranschlagten Modifikationen werden verstärkt (legale) mediale Konzepte und die Zentralität des Staates als Legitimationshelfer herausgefordert. Besonders relevant sind dabei die Delegitimation des territorialen ComRad-Konzepts – besonders seitens AMARC Brasil –, die Häufung von Entscheidungsfindungen und Regulierungen in staatlichen Institutionen auf Bundesebene und -regierung sowie die Definition des elektromagnetischen Spektrums als öffentliches Gut. Demgegenüber wird unabhängiges Radiomachen in seiner Konzeptualisierung, Operationalisierung und letztendlich auch Legitimation stärker distribuiert, Gemeinden (municípios), communities Individuen und non-humans dabei potentiell in ihren kollektiven und individuellen Rechten gestärkt. Sie werden zunehmend aktive Legitimationshelfer_innen, sei es bei der Umdeutung von Radiofrequenzen in ein Weltkulturerbe oder ein den commons ähnliches Umweltgut oder aber auch im Rahmen von Legitimationsnarrativen die zunehmend auf situative Größen rekurrieren anstatt landesweite, einheitliche Normen zu veranschlagen. Der status quo des der staatlichen Rundfunkregulierung zugrunde liegenden Akteur_innen-Netzwerks ist perspektivisch damit auf zweifache Weise herausgefordert, zum einen in Form eines Mediengesetzes, dass sich durch eine positivistische Übersetzung des Rechts auf Kommunikation auszeichnet, zum anderen in einer konzeptuell weiterführenden Neuordnung, die Gesetze permanent an einen empirischen legitimation claim koppelt und damit in ihrer ständigen Gültigkeit einschränkt.

(2) Neben dieser intensiven, legitimationssteigernden Auseinandersetzung mit dem legalen Skript, umfassen die dokumentierten Agenturen und Handlungsprogramme der nicht-staatlichen network builders aber noch weitere mediale Übersetzungen, die die Anerkennungswürdigkeit unabhängigen Radiomachens erhöhen sollen. Dazu gehört zunächst die Koppelung normativer Konzepte (z.B. Aktivismus, Autonomie, Kooperation nur gegen Gegenleistungen, etc.), die nicht in Gesetze übersetzt werden. Auf der Akteur_innenebene lässt sich zudem eine strategische Aufwertung von heterogenen Entitäten zu komplizierten Größen des Medienmachens beobachten, wie beispielsweise die Einbindung einer spezifischen Form von Journalismus in den operativen Gebrauch. Ebenfalls deutlich wurde die quantitative bzw. qualitative Mobilisierung von als legitimationssteigernd verstandenen Akteur_innen und Handlungsprogrammen.389 Darunter fallen mitunter auch Größen, für deren potentielle Mobilisierung allgemein delegitimierende no-gos situativ außer Kraft gesetzt werden müssen. Dies ist beispielsweise der Fall bei der Einbeziehung von politischen (PT) und religiösen (Evangelikale) »Missionar_innen« in den Skripten von ABRAÇO Nacional, VIVA RIO und dem FDC. Und schließlich ist auch eine um Anerkennungswürdigkeit bemühte Abgrenzung von anderen Radioakteur_innen zu bemerken, sei es im Rahmen des fixen Feindbilds kommerzieller Medien oder aber in der Legitimation auf Kosten konkurrierender unabhängiger Radioskripte.

(3) Wie die inhaltliche Aufarbeitung der analysierten Skripte zeigt, hat sich der Einsatz der ANT-Methodologie als epistemoligisch gewinnbringend erwiesen. Die für das setting gezogenen Schlüsse stützen sich bei ihrer Dekonstruktion von Mikro- und Maktroakteur_innen und dem Objekt/Subjekt-Schisma aber auch bei der relationalen Rekonstruktion von Legitimationsstrategien auf Unterscheidungen komplexer und komplizierter Entitäten und Übersetzungen. Auch wenn eine vollständige methodische Operationalisierung der ANT-Prämissen noch aussteht, hat der Ansatz einer um Symmetrie bemühten Analyse der Radioskripte eine äußerst differenzierte Betrachtung ermöglicht – ganz im Sinne der explorativen Forschungsfrage.

Doch von diesem Erkenntnisgewinn abgesehen, wurden neben den vielfältigen (teilweise bereits im 2. Kapitel dokumentierten) attribution gaps des legalen Skripts auch eine Reihe konzeptueller Übersetzung- und Zuordnungslücken in den weiteren Skripten sichtbar. Dies ist problematisch, denn solcherlei Undeutlichkeiten und Kontigenzen erschweren den Nachweis medialer Legitimation, eben weil die unvollständigen Übersetzungen, vor allem in Bezug auf die radialen Mediationen (3.4) zu allgemein bleiben. Deshalb muss festgehalten werden: Der Anspruch nach dem Mapping, mit Hilfe der network builder die offenen Fragen der Wiederzusammensetzung von Radio (Vgl. Kap. 2.4) zu klären hat sich nur teilweise erfüllt.

Doch so unbefriedigend das ständige »Vertagen« des Legitimationsnachweis unabhängigen Radiomachens in seinem operativen Gebrauch zunächst erscheinen mag, so entscheidend war diese akribische Analyse radialer Entitäten und Übersetzungen die in ihrer Heterogenität allen Versuchen zuwiderlaufen, auf der Ebene der network builders vorschnell ein universelles Medien-Konzept zu verallgemeinern. Denn auch innerhalb der Akteur_innen-Netzwerk-Theorie ist die Existenz solcher blueprints im medientechnischen Bereich teilweise angedacht worden und zwar als »immutable mobiles« (unveränderliche mobile Elemente).390 Darunter sind Konfigurationen von Akteur_innen bzw. Handlungsprogrammen in denen bspw. Die »Visualität (der Papiermedien) und die Agonistik (der Machtkonstellationen) zusammengeführt werden«391 und innerhalb dieser festen spezifischen Kopplung eine vorteilhafte Stabilisierung erfahren. Wie ich gezeigt habe, lässt sich unabhängiges Radiomachen in all seinen heterogenen Größen und konkurrierenden Handlungsprogrammen nicht als ein solches immutable mobile subsumieren und somit auch kein fester und mobiler legitimation claim ableiten.

Die dokumentierten Praktiken lassen sich viel adäquater mit einem anderen ANT-Konzept fassen, dass sich mit den nachvollziehbaren »Amplifikation[en] unveränderlich mobiler Elemente […] innerhalb einer Kette«392 auseinandersetzt. Die Prämisse der »zirkulierende[n] Referenz« steht nicht in Widerspruch zu den immutable mobiles, relativiert jedoch ihre Erklärungskraft und – was noch viel entscheidender ist – ihre Autor_innenschaft. Denn während die unveränderlichen mobilen Elemente ihren konzeptuellen Selbstbeschreibungen zufolge in sogenannten »centers of calulation«393 inskribiert werden, die in unserem Fall mit den radialen network builders dieses Kapitels zusammenfallen würden, gehen die zirkulierende Referenzen auf einen distribuierten und schwer zu fassenden Inskriptions-prozess zurück.

»Das Ding an sich erscheint nie, immer besteht ein Vorwissen, eine andere Wissenschaft, die zuvor mindestens der Wahrnehmung und den Fragestellungen den Weg geebnet hat. [...] Die Welt ist schon immer in irgendeiner Art und Weise ein Labor.«

Wie lässt sich vor dem Hintergrund dieser Überlegungen nun der Beitrag der in diesem Kapitel analysierten network builder zur Legitimation unabhängigen Radiomachens lesen? Ihre unvollständigen Skripte legen nahe, dass sie nicht die alleinigen medialen Konstrukteur_innen sind. Interessant ist nun, dass sie zwar an vielen Stellen die Ko-Autorenschaft der Radiomachenden akzeptieren und einfordern, sich in Relation zu den weiteren network builders einen exponierten wenn nicht den alleinigen Anspruch zuschreiben, legitimes unabhängiges Radiomachen zu inskribieren. Das heißt, es blitzt ein Selbstverständnis als center of calculation auf, eines Rechenzentrums dass jedoch keinen metacode produziert, der von weiteren Rechenzentren geteilt würde. Stattdessen werden konkurrierende cultural codes artikuliert und zirkuliert, ohne dass dabei ein kleinster gemeinsamer Nenner ausgehandelt werden würde, von dem was auf der Ebene der Ethnotheorien als unabhängiges Radiomachen zu verstehen ist.

Diese Unabgeschlossenheit, die bei der bisherigen Analyse vor allem als frustrierend auffällig geworden ist, öffnet für die Radiomachenden ungefragt Räume, um legitimatorische Allgemeinplätze (z.B. Partizipation) in spezifische Handlungsprogramme zu übersetzen und damit  möglichen Einforderungen medialer Anerkennungswürdigkeit empirisch überhaupt erst etwas erwidern zu können. Ob und wie sich unabhängige Radiokollektive dieser Herausforderung stellen, leitet das erkenntnistheoretische Interesse des folgenden Kapitels.

Die offenen Fragen, die ich dabei von den Inskripteur_innen mitnehme, lassen sich grob in vier Perspektiven zusammenfassen. Zunächst ist es wichtig zu untersuchen, wie unabhängige Radiokollektive sich in Bezug zu den network builders und ihren cultural codes setzen. Wie arbeiten sie mit den konkurrierenden Prämissen? Wie vervollständigen sie die Skripte an jenen Punkten an denen die Legitimation für bestimmte Entitäten oder Handlungsprozesse unvollständig bleibt? Parallel dazu muss für eine vollständige Analyse betrachtet werden, welche möglichen weiteren Legitimationsketten geknüpft werden, die bisher nicht angesprochen wurden. Da innerhalb dieser beiden Blickwinkel potentiell vollständige und nachvollziehbare Skripte der radialen Mobilisierung und Stabilisierung rekonstruierbar sind, liegt das dritte zentrale Anliegen darin genauer herauszuarbeiten, wem gegenüber der legitimation claim behauptet wird und wer überhaupt Forderungen nach Legitimation stellt und stellen kann. Und schließlich, lässt sich hinsichtlich dieser drei Blickwinkel jeweils auch fragen wie sichtbar oder versteckt die Skripte und ihre Realisierung jeweils artikuliert werden. Im Rückblick auf dieses Kapitel lassen sich dabei eventuell auch einige deskriptive Lücken neu bewerten, da diese nicht zwingend bedeuten, dass keine Aussagen getroffen werden, sondern auch auf hidden trancripts hinweisen könnten, die erst noch empirisch entfaltet werden müssen.

Radiokollektive wird somit der Status eigener Welten mit eigenen Codes zuerkannt, die in einem spezifischen Verhältnis zu den hier referierten unterschiedlichen cultural codes der network builder stehen. Anstatt eine Zirkulation von Information zu dokumentieren, die meiner ANT-Lektüre nach nie in Reinform erreicht werden kann, sondern immer eine Transformation beschreibt, rücken im nächsten Kapitel nun spezifische Aushandlungsprozesse in den Fokus. Radiokollektive, die oftmals nur als ausführendes letztes Glied in einer konzeptuellen Kette und nicht als potentielle Koautor_innenschaft unabhängigen Radiomachens betrachtet werden, erhalten nun das Wort.

4. Radiokollektive

4.1 Noch ein Radiomanuskript – Spurenlesen im Forschungstagebuch

ANMODERATION

Als ich nach dreijähriger akademischer Arbeitspause im Jahr 2009 beschloss, das unabhängige Radiomachen in Lateinamerika im Rahmen einer medienethnographischen Studie zu untersuchen, stellte sich zunächst die Frage: Wo genau anfangen? Ich hatte zu diesem Zeitpunkt drei Jahre lang als Journalist in Mexiko gearbeitet, Radioworkshops gegeben und gemeinsam mit anderen Medienaktivist_innen Handbücher und media tools produziert, die allen Interessierten das selbständige Erstellen und Verbreiten von Radiobeiträgen erleichtern sollten.1 Dabei fiel mir auf, dass viele Freie Radios in Mexiko Stadt auf konzeptuelle Anregungen und Agenturen (z.B. Streaming Software) von Akteur_innen aus Brasilien zurückgriffen. Mehr noch, so wie ich lange Zeit von Berlin aus – einer Stadt, deren Mediengesetzgebung bis heute keine Freien Radios zulässt – elektrisiert auf die zahllosen lateinamerikanischen Radioprojekte geschaut und meinen kühnsten Projektionen freien Lauf gelassen hatte, wurden in Mexiko wiederum brasilianische Radios wie »Rádio Muda« als »chingonería« gefeiert.1a Mein Interesse war geweckt, die Spur gelegt...

Das folgende Radiomanuskript »Wie werden eigentlich induktive Kategorien gebildet?« fasst zusammen, wie aus der eingangs beschriebenen groben Route durch die Bundesstaaten São Paulo, Rio de Janeiro, Pernambuco und Ceará zunehmend eine analytische Bewegung wurde. Ohne es zu wissen, hatte ich den Anspruch der ANT-Methode, die ich später wählen sollte, vorweggenommen: follow the actors.2 Dieses anfänglich breite explorative Vorgehen verdichtet sich in meinem Forschungstagebuch rückblickend zu einem konsistenten sample und einer wichtigen Fragestellung: welche situativen Ähnlichkeiten lassen sich herausarbeiten, die für die mediale Legitimierung  einzelner Radios von Bedeutung sind? Ohne dabei die Singularität der radialen Mediationen in Abrede zu stellen, beschreibt das Radiomanuskript, wie sich im Dialog mit den Interviews der Radiomachenden, dem Forschungstagebuch und weiteren Diskussionspartner_innen vier Unterscheidungsmerkmale herauskristallisierten, die auch von den Akteur_innen genutzt werden, um sich situativ voneinander abzugrenzen.

BEGINN DES BEITRAGS »Wie werden eigentlich induktive Kategorien gebildet?«3

MUSIK Weltsozialforumshymne

Weltsozialforen sind seit 2001 der Szenetreff schlechthin für Altermundialist_innen, NGOs und soziale Bewegungen. Zugleich sind sie auch eine wichtige Begegnungsstätte für unabhängige Medienmachende - irgend jemand muss ja jene anderen Welten dokumentieren, die die Versammelten für möglich halten...

ATMO Kakophonie

ATMO Motorengeräusche, ein Bus bremst [Stille]

Und so pilgerten auch im Jahr 2009 zahlreiche freelancer und journalistische Kollektive zum neunten Weltsozialforum ins brasilianische Belém do Pará, um einmal mehr das Unmögliche zu wagen: Berichterstatten, von hunderten, oft zeitgleich stattfindenden Veranstaltungen. Ein Woche lang. Gefühlte 36 Stunden am Tag. Offline und online. In Worten, Bildern und Tönen. Medienmachende, überall Medienmachende...

ATMO Anmoderationen Radioprogramm

»...Bienvenido a un programa mas del Foro Mundial, aqui, en vivo, desde Belén, el puerto principal del Amazonas oriental...«

ATMO Mercado de Açai

Noch dazu organisierte sich auch in Belém wieder ein Radioforum, das bereits vorher auf ähnlichen Veranstaltungen aktiv gewesen war. Ideale Ausgangsbedingungen also, um sich gezielt in der Sendekabine oder eher zufällig über den Weg zu laufen. Zum Beispiel auf einem Fischmarkt...

»Du interessierst dich für Freie Radios? Echt? Na dann musst du unbedingt mal nach Campinas fahren. Dort sendet Radio Muda, das bekannteste Freie Radio Brasiliens. Wir selber arbeiten bei Indymedia in São Paulo und einem Radioprojekt in der USP mit, Rádio Várzea, schon davon gehört?«

Jingle Radiorevista Pulsar

Beim Radioforum lerne ich später auch die Journalistinnen von Pulsar Brasil, der hiesigen Nachrichtenagentur des Weltverbands der Community Radios, AMARC, kennen. Die Frauen kennen viele Community Radios im Südosten Brasiliens und sind gern bereit, Kontakte zu vermitteln.

»In Rio de Janeiro hat sich gerade ein neuer Sender in der Favela Santa Marta gegründet. In São Paulo arbeiten wir viel Rádio Heliopolis zusammen, auch einen Besuch wert, oder auch Rádio...«

MUSIK Rios, Pontes y Overdrives von Chico Science & Nação Zumbi

Sechs Monate später steht die Zulassung zur Promotion und ein Stipendium. Auch die Route der Feldforschung nimmt langsam Gestalt an. Rio de Janeiro, São Paulo, Pernambuco und Ceará – vier Regionen, in denen die Präsenz von kommerziellen Medien im Äther variiert. Deshalb müssten auch unabhängige Radiomachende  mehr oder weniger stark unter Legitimationsdruck stehen. Soweit die These, und folglich müssten sich dann ja auch unterschiedliche Strategien beschreiben lassen, die um mediale Anerkennungswürdigkeit bemüht sind. Oder?

ATMO Tastatur Computer, schreiben

Zunächst galt es jedoch Kontakt zu knüpfen, um die Landschaft Freier und Community Radios zu erkunden. Ich schrieb Mails, die mit dem Satz begannen, »Hallo, wir haben uns auf dem Sozialforum kennengelernt...« und ich bat zahlreiche Medienschaffende aus Deutschland und Mexiko, in ihren Adressbüchern zu kramen.  Danach beschloss ich, das meist genannte unabhängige Radio zum Ausgangspunkt der Spurensuche zu machen.

MUSIK Psycho Killer von den Talking Heads

An einem Februarmorgen 2010 stehe ich dann vor der Eingangstür eines Wasserturms auf dem Campus der Staatlichen Universität Campinas, der UNICAMP. Von hier aus sendet seit fast 30 Jahren Rádio Muda. Mein Herz klopft, ich klopfe an die Tür – doch niemand macht auf.

ATMO Campus UNICAMP

Am späten Nachmittag habe ich mehr Glück, treffe auf eine Gruppe von etwa 15 Leuten, die im Halbkreis auf dem Rasen sitzen. Ungewollt bin ich mitten ins wöchentliche Plenum geplatzt, erkläre in prekärem Portugiesisch, warum ich hier bin und werde eingeladen, mich dazu zu setzen. Der Anfang ist gemacht und bereits an diesem ersten Abend sammle ich viele wertvolle, nun ja, Reisetipps:

MUSIK Autobahn von Kraftwerk

»Es gibt ein Dutzend Freie Radios in Brasilien, am besten du besuchst alle. Das ist auch der beste Weg herauszufinden wer gerade auf Sendung ist. Rádio Interferência in Rio de Janeiro ist gerade fora do ar, aber Rádio Pulga wird dort nächste Woche wieder loslegen. Wenn Du dich beeilst, kannst Du helfen, die Antenne aufzubauen.«

ATMO Rádio Luta

»Nicht weit von hier sendet Rádio Luta aus der besetzte Fabrik Flaskô. Das ist ein guter Kontrast zur akademischen Fauna hier, weit weg vom Campusleben...«

 

ATMO Coco da Rádio Amnésia

»...und es ist nicht der einzige Sender außerhalb der Unistruktur. In Tefé, im Amazonas, sendet Rádio Xibé und in Olinda, im Nordosten ist Rádio Amnésia aktiv. Hast du was zum schreiben?«

ATMO Schreibender Stift

Mein Notizbuch füllt sich in den kommenden Wochen mit Namen, Adressen und Telefonnummern. Nicht immer ist es leicht, Kontakt zu kriegen, vor allem zu Radios ohne Sendegenehmigung, denn legal betrachtet begehen die ja eine Straftat und hier kommt nun ein gringo, der viele Fragen stellt. Doch es gibt Fürsprecher_innen wie Pulsar Brasil, es gibt Community Radio-Treffen und Workshops, auf denen persönliche Kontakte entstehen. Und es gibt Zufälle.

ATMO Busfahrten

Vor allem aber gibt es viel zu tun, wann immer möglich, besuche ich die Sender mehrmals, unterhalte mich mit möglichst vielen Beteiligten, höre mir die Programme an, mache manchmal auch mit, führe Interviews on air.

ATMO Sendemitschnitt, Rádio Independência

»Wir haben heute einen Gast im Studio, der fünf Stunden mit dem Bus durch den sertão gefahren ist, nur um unser Radio kennenzulernen. Herzlich Willkommen...«

ATMO Busfahrten

Rio de Janeiro-São Paulo-Campinas, hin und zurück, wieder und wieder. Oft schlafe ich im Bus. Einmal fliege ich in den Nordosten, nur um dann wieder Bus zu fahren, von Radio zu Radio. 29 Stationen lerne ich auf diesem Weg kennen. Mehr und mehr frage ich mich, wie ich bloß Ordnung in den wachsenden Berg an Interviews, Gesprächsnotizen, Einträgen ins Forschungstagebuch bringen soll. Habe ich bereits genug Material? Wohl eher zu viel Material. Macht es wirklich Sinn, dieses Unterfangen auch noch in Mexiko fortzusetzen?

ATMO Leiernder Kassettenrekorder, es läuft: Mexico von Mexican Institute of Sound

Der Entschluss, ausschließlich zu den unabhängigen Radios Brasiliens zu arbeiten, war am Ende schnell gefasst. Andere Antworten waren dagegen schwerer zu finden. Wie dem Anspruch gerecht werden, nicht von außen Kategorien an die Akteur_innen heranzutragen, sondern aus deren Beschreibungen analytische Unterscheidungs-merkmale bilden? Diese knifflige Frage stelle ich nicht nur mir, sondern zunehmend auch anderen Interessierten:

»Warum ordnest du nicht einfach nach den Regionen, die Du auch für das sample gewählt hast und fertig?«

ATMO Radio Comunidade

MUSIK Rep e Musica von Repper Fiell

...weil die für die meisten Radios keine Rolle für ihre situative Legitimation spielen. Es gibt so viele andere Faktoren, wie zum Beispiel die örtliche Geographie. Rádio Comunidade in Novo Friburgo zum Beispiel liegt in einer Kleinstadt im Bundesstaat Rio de Janeiro und hat wenig gemein mit den Sendern des Grossraums Rio de Janeiro, wie Rádio Santa Marta.

»Warum ordnest du dann nicht einfach nach Stadt und Land...«

ATMO Landarbeiter in Pernambuco

 

ATMO Program Radio Mulher

Weil auch das keine übergreifenden und trennscharfen Kategorien sind. Rádio Independência im interior von Ceará oder die Sender, bei denen das Kollektiv Rádio Mulher aktiv ist, in der Region Mata von Pernambuco, sind jeweils in ländlichen Region angesiedelt. Sie sind dort sehr einflussreich, weil es insgesamt nicht so viele Radios gibt. Rádio Gazeta News liegt dagegen in einer Kleinstadt im Bundesstaat São Paulo und da gibt es viel mehr mediale Konkurrenz. Die haben dann vielleicht mehr gemeinsam mit den Sendern an der Peripherie Rio de Janeiros, wie Rádio Novos Rumos. Stadt/Land, das führt zu nichts und auch die Radios selbst schreiben sich da nicht ein...

»Gut, dann gehen wir eben zu den Kategorien, die in den Interviews auftauchen. Hier steht unser Radio in einer Favela, Favela-Radio passt doch...«

MUSIK Baile Funk Mix von DJ Malboro

 

Musik Rap São Paulo

Naja, ich bin mir nicht so sicher, ob die Lagebestimmung mit einer kategorischen Aussage zusammenpasst. Außerdem ist »Favela« ein sehr schwammiger Begriff und ließe sich nur von außen weiter differenzieren. Und je nach Stadt sind die Dynamiken auch verschieden. Rádio Santa Marta sendet in Rio de Janeiro und versucht sich gerade als kritisches Medium in einem sicherheitspolitischen Prozess polizeilicher Befriedung zu definieren. Rádio Heliópolis ist in der gleichnamigen Favela in São Paulo dagegen eine Institution mit viel Einfluss. Rádio Cantareira widerum sendet in São Paulo erst seit kurzen mit Genehmigungen, versucht sein Profil zu schärfen. Und dann ist da noch Canal Mais, in einer Favela der Provinzhauptstadt Baurú gelegen, wo die Kategorie noch weiter ausfranst...

»...schon verstanden, dann suchen wir eben kleinere Klammern, für die religiös gefärbten Sender zum Beispiel. Gospel-Radio, auch das sagt jemand im Interview...«

ATMO Gospelradio

MUSIK Rock Cristiano

»Gospelradio« ist keine Selbstbeschreibung, das sagen andere über ein Radio, nicht die Macher und Macherinnen. Die Präsenz religiöser Entitäten im Radio zu untersuchen ist wichtig, klar, aber ebenfalls ungeeignet zur Kategorienbildung. Rádio Independência ist eng in befreiungstheologische Strukturen eingebunden, sendet mit Genehmigung vom Gelände einer Kirche. Rádio União und Rádio Sky verstecken sich dagegen ohne Genehmigung in Privathaushalten und stehen ganz anderen Forderungen nach Legitimation gegenüber.

MUSIK Legalize it von Peter Tosh

»Moment, mit oder ohne Genehmigung, das hört sich doch nach einem schönen Kategorienpaar an...«

ATMO Plenum bei Radio Muda

Stimmt, trotz aller Unterschiede ist das ein bestimmendes Merkmal, zumindest bei den Community Radios. Die Frage der Genehmigung erwähnen alle in den Gesprächen, das ist etwas ganz Zentrales...

»Und wie ist es bei den Freien Radios, die sagen doch alle, sie wollen sich unter den derzeitigen Bedingungen auf keine Genehmigung einlassen und polemisieren gegen jegliche ad hoc Regulierung...«

...ja, und das sagen sowohl die Campus-Sender als auch die Radios, die sich ohne den Bonus des institutionellen Autonomiestatus vor dem Zugriff der Regulierungs-behörde schützen müssen...

»sowohl...«

...als auch, genau, das ist es! Die entscheidende Frage ist doch, wie sich Freie Radios außerhalb der Unistrukturen stabilisieren und legitimieren. Damit sind es vier äußerst spannende Kategorien geworden...Einwände?

»Hmm, also die Frage, die sich stellt, ist was Du mit diesen Kategorien beschreibst. Erschöpfend ist diese Gruppe ja keineswegs und repräsentativ auch nicht, also nicht quantitativ besehen, sondern in Bezug auf dein sample...«

MUSIK Campo de Batalha von Edson Gomes

Das sehe ich anders, zum einen ging es nie um einen Panoramablick. Eine erschöpfende Erforschung aller Freien und Community Radios der drei Regionen des sample wäre im Rahmen einer viermonatigen Feldforschung allein aus zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen. Zur Frage steht dagegen weiterhin, ob allein die Präsenz kommerzieller Medien der entscheidende Faktor der situativen Legitimation unabhängiger Radios ist. Die Debatte zur Kategorienbildung deutet bereits an: eine Vielzahl von Größen beeinflusst die spezifische Legitimation der einzelnen Radios. Welches Gewicht dabei kommerzielle Medien spielen, kann jedoch erst die folgende Betrachtung zeigen. Die gerade gebildeten Kategorien werde dabei mit Sicherheit eine Hilfe sein...

»Ich bin gespannt...«

 

ENDE DES BEITRAGS

ABMODERATION

Auf dem Campus, abseits des Campus, mit und ohne Genehmigung – nachdem vier situative Kategorien gebildet wurden, soll nun näher betrachtet werden, wie die ihnen zugeordneten Radiokollektive sich als Mediationen legitimieren und stabilisieren. Im Folgenden werde ich unterschiedliche Akteur_innen, Handlungsprogramme und Operationsketten herausarbeiten, welche die vielschichtigen Übersetzungen dieser spezifischen Anerkennungswürdigkeiten erkennen lassen.

Die einzelnen Unterkapitel beschreiben zugleich sehr präzise die Inskriptionen und Mobilisierungen von insgesamt 17 Sendern und fordern das eingangs auf der Beobachter_innenebene entwickelte Konzept von Legitimation (vgl. Kap. 1.2)  in seinem allgemeinen Verständnis und einigen impliziten Prämissen hinaus. Damit meine ich zum einen den scheinbar öffentlichen Charakter, der Legitimation, verstanden als Aushandlung, anhaftet. Es wird deutlich, dass keine allgemeine Sichtbarkeit unterstellt werden kann. Auch die Adressat_innen der legitimation claims ebenso wie die Beiträge zu einem spezifischen Gemeinwohl bilden dabei keine Ausnahme.

Anstatt das im vorangegangenen Kapitel genutzte Analyseschema aufzugreifen und das Radiomachen erneut entlang von Positionen, Montagen, Mediationen und Mobilisierungen zu dokumentieren, orientiere ich das setting diesmal an vier Leitfragen, die die bisherigen Lücken bei der Betrachtung medialer Legitimation sowohl empirisch als auch konzeptuell schließen und  helfen, auf die (für dieses Kapitel relevanten) situativen Operationalisierungen zu fokussieren. Zunächst geht es dabei um die situativen Re-Inskriptionen, d.h. die erzählte Entstehung und allgemeine Konzeptualisierung der Radiokollektive im Verhältnis zu den network builders. Darauf folgt jeweils eine genau Analyse der legitimation claims, denen gegenüber sich die Radios behaupten – oder anders gesagt: Wer fordert eine spezifische Anerkennungswürdigkeit ein? Daran gekoppelt ist die Frage, wen die einzelnen Radiokollektive innerhalb ihrer Legitimationsstrategien mobilisieren, d.h. welche Legitimationshelfer_innen beschrieben und welche Legitimationsketten geknüpft werden.

Um diese detailreichen Erzählungen und Beobachtungen analytisch zu fassen, greife ich neben den bisherigen auch auf ein neues methodologisches Konzept zurück, die Audiokette. Entliehen ist dieses tool den Handbüchern für partizipatives Radiomachen des bereits erwähnten Kollektivs Flujos.org.4 Es dokumentiert im Allgemeinen alle Entitäten eines Radiosenders, die an der Signalerzeugung beteiligt sind, d.h. im Sinne der ANT alle komplizierten Akteur_innen. In der vorliegenden Arbeit dimensioniere ich die so rekonstruierten Akteur_innen-Netwerke nun durch die vier im zweiten Kapitel entwickelten perspektivischen Akteur_innen-Kategorien (vgl. 2.1.3.6)5 und vervollständige die Betrachtung um die ebenfalls mobilisierten komplexen Akteur_innen. Am Ende dieser Beschreibungen werden jeweils die Sichtbarkeit der rekonstruierten Radiokollektive und etwaige hidden transcripts bzw. actors thematisiert, um nicht der Gefahr zu erliegen, Widersprüche und Übersetzungslücken der Skripte wegzuwischen, sondern produktiv zu nutzen.

Der analytische Effekt, den diese vielfältigen Annäherungen ermöglichen, besteht darin, am Schluss des Kapitels das auf der Beobachter_innenebene konstruierte Legitimationsskripts in Bezug zu den spezifischen Modifikationen der Radiomachenden zu setzen. Anders als beim Mapping unabhängigen Radiomachens und bei den Skripten der networkbuilders können dabei erstmals auch konkrete Aussagen zur Mobilisierung von Akteur_innen und Handlungsprogrammen gemacht werden. Legitimation wird als ein sich ständig erneuernder situativer Remix sichtbar, mit dem die Radiokollektive auf Veränderungen im Akteur_innen-Netzwerk reagieren bzw. selbst Modifikationen einleiten. Anders gesagt, wird Legitimation hier nun endlich zu einer tanzbaren medien-politischen Melodie...6

 

4.2 Freie Radios auf dem Campus

Ob die technische Hochschule in Sorocaba oder die Katholische Universität in São Paulo -  in den vorangegangenen Kapiteln ist deutlich geworden, dass Freie Radios oft an akademischen Einrichtungen entstanden sind. Auch der im Radioskript (Kap. 4.1) kurz umrissene empirische Streifzug führt schnell zu drei Radioprojekten auf Universitätsgeländen. Zu den eingangs ebenfalls formulierten Leitfragen des Kapitels gesellt sich deshalb ein weiteres großes Fragezeichen: Warum an der Uni? Welche spezifischen Beziehungen können mobilisiert werden, die hier für die Legitimierung und Stabilisierung eines Freien Radiomachens von Vorteil sind? Im Hinblick auf die Aussagen der network builders (Kap. 3) lässt sich ergänzend nachfragen, inwiefern die gut informierte praktische Einbindung von Akteur_innen, wie »Freier Software« oder dem »Spektrum als Gemeingut«, an die akademische Wissensproduktion gekoppelt ist.7 Und schließlich erscheint es mir äußerst interessant, auch den latenten Widerspruch zwischen dem von RIZOMA vielfach geäußertem Anspruch autonomen Medienmachens und der bereitwilligen, kostenfreien Nutzung der universitären Infrastruktur in den Blick zu nehmen.8

Zunächst möchte ich den Blick jedoch darauf lenken, wie die heute aktiven Freien Radios an den jeweiligen Universitäten in Campinas, Rio de Janeiro und São Paulo entstanden sind. Keines von ihnen steht in direkter Nachfolge zu den frühen freien Radiokollektiven der 1980er Jahre.9 Rádio Pulga soll 1990 entstanden sein, zwei Jahre später dann Rádio Muda. Als der offizielle Sendebeginn von Rádio Várzea gilt der März 2003.10 Doch diese Angaben können stimmen oder auch nicht – den Beginn eines Freien Radios zu definieren, behauptet das Freie Rádio Bronka freimütig, gleiche dem physikalischen Gedankenexperiment »Schrödingers Katze«.11 Dieses Bild spielt auf den ständigen Überlagerungszustand an, in dem sich die Existenz und Nichtexistenz eines Freien Senders befindet, bis jemand kommt, um nachzusehen, ob es sendet. Anders als Lewis Carolls »Grinsekatze«, deren plötzliches Auftauchen und Verschwinden die Macher_innen von Radio Alice als charakteristisches Merkmal Freier Radios anführten, stellt sich in Analogie zu Schröders Stubentiger die Frage, ob und wie die Existenz eines Freien Radios von den Beobachtenden abhängt. Zudem können sich diese, wenn es darum geht, die Anfänge eines Senders auf einem Campus zu bestimmen, nicht direkt auf das Kriterium der Signalerzeugung beziehen. Ab wann ist ein Radio »lebendig«, ab wann »tot«? Auch die heutigen Radiomachenden sind von den Erzählungen ihrer Informant_innen abhängig, um diese Frage beantworten zu können.

Unabhängig von den jeweiligen Jahreszahlen der Gründungen fällt in den Narrativen der heutigen Radiomachenden auf, dass die drei Sender ihre Arbeit unter unterschiedlichen Vorzeichen aufnehmen. Rádio Muda entsteht scheinbar in direkter »Auseinandersetzung einiger Studierender mit den Ideen eines Freien Radiomachens, verstanden als die Besetzung elektromagnetischer Wellen, um auf diese Weise an der Universität einen offenen und partizipativen Raum zu schaffen«.12 Bei Rádio Pulga soll dagegen zunächst der Hobbybastler_innenaspekt im Vordergrund gestanden haben: Unter Anleitung eines technisch bewanderten Studenten wird ein Sender in einen Kochtopf eingebaut, später auch ein eigenes Mischpult hergestellt.13 Rádio Várzea wiederum entsteht 2002 während eines Studierendenstreiks an der Universität von São Paulo (USP), als »ein Laboratorium der Selbstverwaltung. Viele Räume wurden damals besetzt und ihre kollektive Nutzung diskutiert. In einem davon begann dann das Radiomachen.«14

Doch auch diese Erzählungen sind relativ und vage, es gibt weitere Gründungsmythen und es muss – um bei den physikalischen Analogien zu bleiben – auch immer ein Rest »Unschärfe« bleiben. Diesmal nicht wegen dem Effekt der Betrachtenden, sondern der Unmöglichkeit, die vielfältigen heterogenen Größen in einem Prozess multipler Erinnerungen erschöpfend zu rekonstruieren. Viel aufschlussreicher, als einen (unmöglichen) absoluten Ursprung zu bestimmen, ist deshalb auch, die von den Beteiligten erzählte ständige Wandelbarkeit der Sender in der Zeit aufzufächern. Abgesehen von Rádio Muda, auf dessen konstante Signalerzeugung ich später noch eingehen werde, kommt es bei den anderen beiden Sendern immer wieder zu Sendepausen, bei allen drei Radiokollektiven zu mitunter radikalen Verschiebungen der Akteur_innenkonstellationen. Rádio Pulga »sendet« zwischenzeitlich nur per Lautsprecher, »mal über einen Kongress anthropologischer Forensik, mal elektronische Musik, zwischenzeitlich wird das Radio auch von einem Frauenkollektiv angeeignet, ein Moment, dem heute als die 'Phase des Matriarchats' gehuldigt wird«.15 Radio Várzea gerät nach Aussagen eines Gründers »eine Zeit lang in die Hände von desorganisierten Anarchopunks« und DJ Palão, der seine professionelle Karriere bei Rádio Muda begann, beschreibt seinen ersten Besuch im Studio nach mehrjähriger Abwesenheit wie folgt: »Ich hätte heulen können, das hatte nichts mehr mit dem Radio zu tun, in dem ich vorher mitmachte.«16

Diesen pejorativen Beschreibungen lassen sich analytische Überlegungen der Machenden gegenüberstellen, die die eigene, örtlich und zeitlich situierte Interpretation von Freiem Radiomachen als Mosaik eines konzeptuellen Prozesses sehen:

»Freies Radiomachen ist eine ständige Mutation, nichts wird heute im Radio so gemacht wie vor zehn Jahren, als ich anfing. Und doch gibt es viele Ähnlichkeiten. Mutationen, das ist vielleicht der beste Ausdruck. Freie Radios können nur als Mutanten existieren.«17

Wenn dem so ist, dann müssen wir, um zu erfahren, warum Freie Radios bevorzugt an Universitäten senden, zunächst in Erfahrung zu bringen, wie sich die radialen Mutant_innen überhaupt gegenseitig erkennen und als erkennbare Gruppe artikulieren. Wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, ist ihre Organisationsform, das sogenannte Rhizom Freier Radios (RRL), ein – im Gegensatz zu den übrigen network builders – nicht-repräsentativer Zusammenschluss unter dem breiten Vorsatz, frei von Geld und Macht, selbst Radio zu machen und andere dazu zu ermächtigen.

»Doch bereits innerhalb eines Radiokollektivs wie Muda gehen die Meinungen darüber, was das genau heißt, auseinander. In RIZOMA vervielfältigen sich die Positionen dann weiter, was dazu führt, dass die Debatten ausfransen und es manchmal zu einer gewissen Inkonsistenz kommt.«18

Dieses, von allen Beteiligten affirmierte gemeinsame Selbstbild der Unabgeschlossenheit des freien Radiomachens wird auf Nachfrage jedoch um eine wichtige, ebenfalls von allen geteilte Einschätzung ergänzt: der herausragenden Rolle des Kollektivs Rádio Muda. »Rádio Muda hat eine Sonderstellung innerhalb von RIZOMA und auf entscheidende Weise das jüngere Konzept von Freiem Radiomachen geprägt«.19 Während Rádio Pulga sich [bis zu seiner Schließung 2011, N.B.] als eine Art »Studentenclub« begriff und Rádio Varzéa sich in einen langen internen Konflikt verstrickte, »begab sich Rádio Muda gemeinsam mit dem CMI [Centro de Midia Independente, also i.E. unabhängiges Medienzentrum, N.B.] ab 2002 auf einen Expansionstrip«.20 Spätestens ab dem von dieser Fraktion organisierten Gründungstreffen des RLL auf dem Weltsozialforum 2003 setzt der Versuch einer erneuten Massifizierung des Freien Radiomachens ein, diesmal unter Einbindung einer neuen zentralen Größe: freier Software.21

Auch wenn dieses Ansinnen eines konzeptuellen und praktischen update punktuell auf Widerstand stieß und »Konflikte« schuf, machte es das »Radiokollektiv Muda in ganz Brasilien bekannt, viele Menschen kennen Muda« – und das obwohl, oder gerade weil, der Sender nicht in São Paulo oder Rio de Janeiro, sondern versteckt auf einem Universitätscampus liegt.22 Ein Blick auf die Liste der in Rizoma vereinten Radios legt die Vermutung nahe, dass Rádio Muda konzeptuell die Gründung von Sendern auf Universitätsgelände forciert haben könnte, denn die meisten von ihnen sind dort zu finden.23 Doch das widerspräche gerade dem expliziten Anspruch, Freie Radios als individuelles Recht aller zu proklamieren und zu fördern. Ist das Senden auf dem Campus also ein nicht-intendierter Effekt, der sich nur indirekt aus dem Handlungsprogramm Freien Radiomachens ableiten lässt?

Aufschlussreich ist dabei zunächst eine kurze Analyse jener Akteur_innen, denen gegenüber sich die hier betrachteten Freie Radios explizit legitimieren bzw. die sie für die Konstruktion ihrer Anerkennungswürdigkeit zu mobilisieren suchen. Wie zu erwarten, reagieren die an Universitäten angesiedelten Freien Radios dabei zunächst auf den Legalisierungsanspruch des Staates, der ihnen, mit Verweis auf nationale Gesetze, ihre Anerkennungswürdigkeit abspricht. In völliger Übereinstimmung fordern die drei Sender nun ihrerseits die staatliche Inskription von Rundfunk in ihrer Legitimation heraus. Zunächst sei »die institutionelle Kontrolle illegal, weil sie die Meinungsfreiheit verletzt« und Gesetze immer der Effekt von Praktiken seien und nicht als abstrakte Normen definiert werden sollten, an die sich dann alle halten müssen.24 Zudem verlaufe die Sanktionierung legaler Regelbrüche »extrem ungleich und ein Freies Radio wird ganz anders behandelt als ein Privatradio, das ohne Lizenz sendet«. Aus diesem Grund sei »ziviler Ungehorsam gerechtfertigt und nötig«.

In ihrer allgemeinen Legitimation gehen die Freien Sender jedoch auf mögliche claims anderer Medien ein, die sie in ihrer Berechtigung herausfordern. An erster Stelle stehen dabei kommerzielle Radiosender, und zwar in ihrer Gesamtheit, wenn »von ihrer Vereinigung ABERT« die Rede ist, »die nicht müde wird, die Standardlüge zu wiederholen, Freie Radios würden Flugzeuge zum Absturz bringen«.25 Aber es werden auch Fallbeispiele genannt, Radios, »die Freie Radios bei der Regulierungsbehörde melden« oder Sender, die eine Frequenz in unmittelbarer Nähe eines Freien Radios akzeptieren und »uns dann aktiv in ihren Sendungen als Piratenradios denunzieren und anfeinden«.26 Delegitimert werden die kommerziellen Radio- und TV-Sender jedoch nicht nur als feindlich gesinnte Antagonist_innen, sondern auch ihrem »ungerechtfertigten Anspruch auf einen Großteil der verfügbaren Frequenzen« wegen. Diese Kritik sei fundamental, um nicht auf den Trick hereinzufallen, »sich als Webradio ins Internet abschieben zu lassen. Die Essenz von Freiem Radiomachen bleibt die Besetzung von Frequenzen.«27

Während sich die Freien Sender im Verhältnis zu den bisher genannten Entitäten vor allem in einer konzeptuellen und politischen Konkurrenz konstruieren, binden sie andere Akteur_innen, die sie ebenfalls in ihrer Anerkennungswürdigkeit herausfordern könnten, als Legitimationshelfer_innen in ihre Skripte ein. Trotz ihrer unterschiedlichen medienpolitischen Positionen und Strategien zählen dazu alle drei Sender zunächst ganz allgemein die brasilianischen Community Radios, denn »auch wenn wir ein anderes Modell der Kommunikation verteidigen, besitzen wir doch genug Spürsinn, um zu wissen, dass unsere Existenz ohne Kontakt zu ihnen noch schwieriger wäre«.28 Die Freien Radios sehen die Möglichkeit, sich durch einen Dialog gegenseitig in ihrer Anerkennungswürdigkeit zu stärken und bieten ihre Expertise bei der »technischen Dimensionierung« unabhängigen Radiomachens an, »die bei Community Radios oft vernachlässigt wird.«29

Doch auch situative Helfer_innen in puncto Anerkennungswürdigkeit werden inskribiert und diese nehmen explizit auf die (dem Sender unterstellte) Kategorie »auf dem Campus« Bezug. Die Universität als Legitimationshelfer_in zerfällt in den Erzählungen der freien Radiomacher_innen in zwei relevante Entitäten. Unterschieden wir »der Ort«, »der Campus«30, der dem Radio als ein Territorium der Wissensproduktion und Lehre, aber auch auf Grund seines relativen Autonomiestatus gegenüber anderen staatlichen Institutionen (wie bspw. der Regulierungsbehörde und der Bundespolizei) Schutz und Anerkennung verleihen kann. Kann, denn die Radiomachenden beschreiben nicht nur das wiederholte Eindringen der Polizei, sondern auch »unvorteilhafte Konjunkturen und Momente offener Feindseligkeiten« gegenüber studentischen Aktionen.31 Die Universität ist also ein_e durchaus ambivalente_r Akteur_in, deren (räumliches) legitimierendes Potential es zu mobilisieren gilt.

Dafür ist es nötig die akademische community als Legitimationshelfer_innen in das Skript einzubinden und auf diese Weise das Narrativ des individuellen Rechts auf freies Radiomachen zu ergänzen. Diese community ist in ihren Interessen jedoch äußerst heterogen: Es gibt Dozent_innen und Professor_innen, die selbst Programm machen oder sich an Sendungen beteiligen, andere die »aktiv gegen selbstorganisierte Aktivitäten auf dem Campus vorgehen, weil sie in Immobilien oder Bars in Campusnähe investiert haben«.32 Es gibt die oft »sektiererisch« und zugleich »schwach organisierten Studierenden«, die im Moment eines universitären Streiks jedoch schnell ein existierendes Radio wiederbeleben oder gründen.33 Und es gibt die Personen und Gruppen (z.B. das Sicherheitspersonal auf dem Campus), die den Freien Radios stets latent pejorativ gegenüberstehen, und »denen ständig gezeigt werden muss, dass im Radio nicht nur Bier getrunken wird, sondern dass der Sender funktioniert und einen Sinn hat«.34 Hier zeigt sich die community sehr plastisch als eine Entität, die Legitimation fordern und zugleich gewähren kann. Aus ihrer Heterogenität heraus sollen deshalb möglichst massiv komplexe Akteur_innen als Unterstützerinnen mobilisiert werden und zugleich auch komplizierte Akteur_innen gewonnen werden, die sich direkt an der Signalerzeugung beteiligen.

Es deutet sich ein konzeptuelles Dilemma an, denn ein Freies Radio auf dem Campus kann sich, dem allgemeinen Skript folgend, ja nicht von den dortigen Prozessen abhängig machen. Die Sender dürften sich »nicht instrumentell einbinden« lassen, sondern müssten als »ein gelungenes Experiment gesellschaftlichen Wandels im Kleinen« fungieren, »einem Experiment, bei dem es kein Außen mehr gibt«.35 Dieser Anspruch scheint nur bedingt mit der eher taktischen Auffassung vereinbar, gemäß welcher »Aushandlungen und Verständigung auf dem Campus wichtig sind, aber zugleich ein Schritt Richtung Autonomie« getan werden müsse.36 Hier ist sehr wohl ein Außen definiert, auch wenn die Grenze des Autonom-Werdens offen bleibt. Unterschiedliche Zielstellungen deuten sich an. Während die erste Position stärker an einem gesellschaftlichen Wandel im Alltag, dessen Ausgangspunkt der akademische Alltag ist, interessiert scheint, liegt in der veranschlagten Autonomie eher der Anspruch aufbewahrt, als Radio-Skript in den unterschiedlichsten Situationen reproduzierbar zu sein. Anders gesagt, deuten sich hier sowohl bei der Inskription von Akteur_innen als auch bei der Formulierung des Gemeinwohls wesentliche Unterschiede an.

Um diese konzeptuellen und praktischen Differenzen Freien Radiomachens besser herauszuarbeiten, werde ich im folgenden die Handlungsprogramme der drei Sender genauer untersuchen und zwar hinsichtlich der (für die mediale Anerkennungswürdigkeit relevanten) inskribierten/mobilisierten (1) Akteur_innen und ihre komplexen und komplizierten Beziehungen, in Hinblick auf die einzelnen (2) Strategien, die das Freie Radiomachen auf dem Campus in der Zeit zu stabilisieren und schließlich bezüglich des (3) spezifischen Beitrags zum Gemeinwohl, den Freie Radios leisten bzw. zu leisten vorgeben.

(1) Akteur_innen sind in Freien Radio versammelt, um auf bestimmt Weise ein bestimmtes Signal zu erzeugen. Freies Radiomachen auf dem Campus, ließe sich – ebenso wie andere unabhängige Sendeformate – ganz allgemein als heterogenes Ensemble von Entitäten beschreiben, bei dem als Technik verstandenden Akteur_innen die Rolle zukommt, menschliche Sozialität zu moderieren, bzw. ein sozio-technisches Netwerk zu ko-konsitutieren. Wenn freie Radiomachende die am Sendebetrieb beteiligten Größen unterscheiden, nehmen scheinbar auch sie eine solche Unterscheidung vor, da sie von »Plenata(Plenen¿)«, »Programmmachenden« und »Community« auf der einen und von »Sendetechnik« auf der anderen Seite sprechen.37 Doch bei näherem Hinsehen entspricht diese »Ordnung der Dinge« gerade nicht einer Trennung von Menschen und Nicht-Menschen. Vielmehr lassen sich innerhalb der vier veranschlagten Akteur_innengruppen heterogone und hybride Kopplungen dokumentieren, die die mediale Anerkennungswürdigkeit entscheidend anleiten.

Auch wenn, wie wir bereits gesehen haben, der Anwesenheit einer spezifischen Sendetechnik in Freien Radios für deren Legitimationsnarrativ eine besondere Bedeutung hat (vgl. Kap. 3.3.1.2), so ließe sich argumentieren, dass es zunächst (oder zumindest zugleich) ein Handlungsprogramm der Signalerzeugung geben muss, in dem auch deren »operativer Gebrauch« inskribiert und mobilisiert wird. Ein_e dabei entscheidende_r kollektive_r Akteur_in ist das Plenum (reunião), eine regelmäßige, zumeist wöchentliche zusammentretende Entität.38

Das Plenum ist ein_e Akteur_in, die den Radiomachenden meist bereits aus anderen basisdemokratischen Akteur_innen-Netzwerken39 bekannt ist. Ihre Beteiligung legitimiert die Signalerzeugung auf entscheidende Weise: Sie garantiert Horizontalität und einen offenen, hierarchiefernen Raum, in dem der operative Gebrauch ständig neu ausgehandelt wird. »Die reunião ist eine praktische Kritik an den bestehenden Medien, die seit der Gründung unseres Radios präsent ist. Keine Megaphone, sondern kleine Gruppendebatten, Konsensprinzip statt Abstimmung«.40 Und dennoch relativiert sich dieser Anspruch bei der beobachtbaren Übersetzung gewollt und ungewollt. Eine beabsichtigte Einschränkung ist die Bildung von »Arbeitsgruppen« und »temporären Kommissionen, um bestimmte Aufgaben wie Sicherheit, Information nach Außen, Weiterbildung und Finanzen zu organisieren«.41 Diese zeitweilige Vertikalität wird aus pragmatischen Gründen von allen drei freien Sendern auf dem Campus praktiziert, zugleich aber auch kritisch überwacht, denn »solche Gruppen waren im Radio auch immer wieder der Ausgangspunkt, um bestimmte Positionen zu zentralisieren und individuelle medienpolitische Agenden ins Radio zu tragen«.42 Dem Versuch, temporäre Akteur_innenkonstellationen zu instrumentalisieren, steht diametral die Verweigerung, sich an der horizontalen Entscheidungs-findung zu beteiligen gegenüber, was ebenfalls eine nicht-konsensuelle Spezialisierung von Akeur_innen und das Auftreten von Wortführer_innen zur Folge hat.43

Der damit verbundene Moment des Redens und sich Ausdrückens im Plenum ist ein weiterer entscheidender Punkt, der die erwünschte horizontale Entscheidungsfindung limitiert. Zunächst wird in allen drei Sendern die Präsenz von bereits seit längerer Zeit (oder besonders intensiv) involvierten Akteur_innen beschrieben, zum Beispiel »Technikgurus«, die entscheidend an der operativen Signalerzeugung beteiligt sind und deren Wort somit auch Gewicht auf den Treffen hat.44 Während die Beteiligten für solcherlei Asymmetrien sensibilisiert scheinen, gibt es jedoch auch  weniger reflektierte »Grenzen« des Miteinanderredens. »Freie Radios sind ein Mittelklassephänomen, ebenso wie Universitäten ein Mittelklassephänomen sind, mit all ihren Vor- und Nachteilen«.45 Diese Feststellung ist in ihrem allgemeinen Ton nicht unumstritten, es gibt jedoch viele ähnliche Beschreibungen, die die Kultur und den Ort der Universitäten als »elitär«, »geschlossen« und von »bestimmten Regulierungen durchzogen« beschreiben.46

Dass an diesen Grenzziehungen auch die Radiomachenden beteiligt sind, zeigt sich »wenn jemand von Außen kommt und sich die Frage stellt: „Wie gehen wir mit jemandem um, der ganz anders Radio machen will als wir?«.47 Das hier heraufbeschworene wir ist weder homogen noch konstant. Rádio Muda beispielsweise folgt bis heute dem Prinzip, den Zugang zum Radio möglichst breit zu halten und freie Meinungsäußerungen posteriori nur »von Fall zu Fall« dort einzuschränken, wo der Konsens legitimen Freien Radiomachens herausgefordert ist. Es verwundert deshalb nicht, dass bei Muda zu Hochzeiten 200 Progammmachende beteiligt waren, während bei den anderen beiden Sendern dieser peak deutlich niedriger verlief.48 »Wir waren halt immer sehr fokussiert auf politische Inhalte und Informationen und taten uns schwer mit Leuten, die reine Musiksendungen oder Klangexperimente machen wollten«49, heißt es bei Várzea. Ähnlich wie bei Pulga, habe das Radio zudem auch immer damit zu kämpfen, nicht zu einer rein studentischen ingroup zu verkommen, »wo stets erst mal gefragt wird ›wer bist Du denn überhaupt?«50. Heute sei man offener und leiste auch bei Várzea und Pulga Hilfestellung für eine breite Beteiligung, da diese die Anerkennungswürdigkeit der Radios positiv beeinflusse.51

Ob die Übersetzung des Plenums in eine legitimierende Größe des Radiomachens gelingt, daran sind noch zwei weitere Akteur_innen beteiligt, die nicht direkt als Interviewte angesprochen werden können. Zunächst ist da die Redner_innenliste, die zwar scheinbar dafür sorgt, dass alle Anwesenden zu Wort kommen,

»zugleich aber auch ein Ausschlusskriterium darstellt, für Leute, die keine Erfahrung damit haben und am Ende nur gehemmt zuhören. Denn auf bereits Gesagtes Bezug nehmen, das Wissen eines Diskurses organisieren, Fragen aufnehmen und später Punkt für Punkt zu beantworten, wer das nicht kann, der hat Probleme.«52

Bei Rádio Muda gibt es deshalb beispielsweise explizit keine Rednerlisten, was jedoch einen anderen problematischen Effekt begünstigt. »Denn dann redet nur der, der am lautesten schreit. Der Ton der Stimme macht viel aus. Das ist wohl ein Grund dafür, dass es bei Muda weniger beteiligte Frauen gibt als in anderen Radios«.53 Diesem Dilemma, einer deligitimierenden Härtung der sozial konstruierten Differenz gender, ist nicht vollständig zu entkommen. Ich werde in der weiteren Betrachtung deshalb auch kontinuierlich genderspezifische Ausschlussmomente in den Handlungsprogrammen betrachten, ebenso wie Möglichkeiten, diesen konkret etwas entgegenzusetzen – denn gerade darin liegt für die Skripte unabhängigen Radiomachens ja ein ebenso interessantes wie erstrebenswertes Legitimierungspotential.

Eine Möglichkeit, den beschriebenen Ausschlussmomente auf dem Plenum zu entkommen, bilden Mailingliste(n).54 Alle drei Radiokollektive organisieren seit mehreren Jahren solche Akteur_innen, die perspektivisch, ganz allgemein zunächst zur Härtung des Sozialen betragen. Soll heißen: wenn es schon keine schriftlich fixierten Regeln gibt und zugleich nur die persönlichen reuniões, eine breite, gemeinsame Verständigung anleiten, dann ermöglichen diese Listen eine weiterführende Kommunikation, ergänzend und erinnernd, im ständigen Prozesses der praktischen Organisation und konzeptuellen Selbstversicherung Freien Radiomachens auf dem Campus. Hier melden sich »ehemalige Beteiligte« zu Wort, hier werden »Schlüsselübergaben«, also der Zugang zur Sendekabine, geklärt und »hier diskutieren ganz andere Leute mit, als die, die sonst auf den reuniões reden«.55 Auch wenn Entscheidungen allein auf dem Plenum getroffen werden, scheinen die Sender hier eine_n Akteur_in mobilisiert zu haben, die ihren inskribierten Anspruch nach Horizontalität zu erweitern hilft.

Mailinglisten sind auch ein_e wichtig_e Akteur_in, um eine zweite, äußerst relevante Größe der hier betrachteten Radiokollektive sichtbar zu machen, die Programmmachenden. »Sendeplätze werden an einzelne Personen und Gruppen für eine bestimmte Zeit übertragen«.56 Alle haben die gleichen Rechte und die gleiche Verantwortung, so wie sie auf den wöchentlichen Treffen spezifiziert bzw. reaffirmiert werden. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass die Freien Radiokollektive sich dabei mit zwei wichtigen Charakteristika der Radiomacher_innen auseinandersetzen müssen, die eine anhaltende »Ungleichheit« betreffen.57 Gemeint ist dabei zum einen der Anspruch, per Definition möglichst vielfältigen Positionen im Radio einen Raum zu geben, also eine maximalistische Übersetzung der Meinungsfreiheit. Diese müsse aber nicht immer mit den medien-politischen Inskriptionen des Radiomachens übereinstimmen. Während Radio Várzea, durch seine enge Einbindung in die Studierendenbewegung und eine gewisse »Selbstbeschränkung« über lange Zeit sehr pragmatisch den Anspruch auf Meinungsfreiheit eingrenzte, bieten Muda und teilweise auch Rádio Pulga seit jeher jenen Spielraum für jene, »die einfach nur Musik auflegen, eine Antenne aufs Dach bauen wollen und das Radiomachen als Abenteuer und nicht als Aktivismus leben«.58 Denn die Abenteurer_innen helfen dabei, ein spezifisches Skript Freien Radiomachens in operativen Gebrauch zu übersetzen, würden dies auf Nachfrage aber nicht als bewusste Verteidigung der Meinungsfreiheit ausgeben. Anstatt das jeweilige Selbstverständnis der Programmmachenden jedoch in politisch und a-politisch zu unterscheiden, wird konzeptuell eine negative und relative Eingrenzung geschaffen. Negativ, weil, zunächst alles erlaubt ist, was das situative Skript freien Radiomachens nicht delegitimiert und relativ, weil die Kriterien hierfür variieren und auf dem Plenum ausgehandelt werden.

Ein zweites Moment der Ungleichheit betrifft die unterschiedlichen technischen Fertigkeiten der Programmmachenden, denn der legitimatorische Anspruch, es gäbe beim Freien Radiomachen keinerlei Unterscheidung zwischen Moderator_innen, Techniker_innen und weiteren Rollen, ist eher als an werdender Anspruch zu verstehen, als eine reale Beschreibung des alltäglichen Radiomachens. Einzelne Akteur_innenrollen (de)legitimieren sich gerade in Beziehung zu denen als Technik subsumierten Entitäten eines Radios. Bei den »Männern« werden diese Unterschiede vor allem als eine Frage der Affinität aufgefasst, soll heißen, jede_r der/die technisch viel können will, kann das im Radio lernen. Um Umkehrschluss heißt das, wer weniger kann, hat eben weniger Interesse gezeigt.59

Doch ganz so einfach ist es nicht, Rádio Várzea weißt zum Beispiel auf den Unterschied hin, dass es bei Muda durch die vielen naturwissenschaftlichen Disziplinen der dortigen Universität immer viele technisch versierte Akteur_innen gegeben habe, während im eigenen Radio teilweise auch Abhängigkeiten von den bereits erwähnten »Technikgurus« existierten, die als »sozial schwierige Typen« mitunter auch außerhalb der üblichen Konsensfindung agier(t)en.60 Aus gender-sensibler Perspektive wird von einigen Beteiligten in Rádio Muda zusätzlich angemerkt, dass das allgemeine Übergewicht männlicher Akteur_innen bei der »Technikbeherrschung« noch zunimmt.61 Als legitimatorischer Ausweg wird in diesem Fall vorgeschlagen, trotz aller Unterschiede ein spezifisches, minimal technisches Wissen aller zu fördern. »Die wenigsten lernen wirklich alle Schritte, um ein Signal zu erzeugen«, aber: »alle sollten zumindest wissen, wie man Kabel anschließt und nichts kaputt macht«.62

Damit wird die Anerkennungswürdigkeit der Programmmachenden also nicht an das vollständige Beherrschen der Signalerzeugung und eine vollständige Übersetzung des situativen Skripts freien Radiomachens auf dem Campus gekoppelt, sondern an einen anteiligen Beitrag, der dem legitimen  Medienmachen nicht zuwider läuft. Herausgefordert ist dieses trotzdem immer dann, wenn es die anteilige Beteiligung an einzelnen Handlungsprogrammen nicht empirisch gewährleisten kann, sei es bei der Stabilisierung in der Zeit oder dem Beitrag zu einem spezifischen Gemeinwohl. Doch bevor ich diese beiden Dimension genauer betrachte, fehlt noch eine detaillierte Analyse zwei weiterer entscheidender Akteur_innen, die alle bisherigen (in ihrer menschlichen Konfiguration sichtbar gewordenen) Größen der Radiokollektive ergänzen. Zunächst gilt es dabei die Sendetechnik als komplexe Akeur_in in ihren unterschiedlichen Mobilisierungen zu analysieren. Bevor ich dabei auf die weiter oben angekündigten »Audioketten« zu sprechen komme, werde ich kurz auf deren Situierung eingehen.

Alle drei Freien Sender haben sich in einem bestimmten Moment einen Raum angeeignet: Rádio Muda einen Wasserturm, Rádio Várzea und Rádio Pulga jeweils leerstehende Seminar- bzw. Arbeitsräume.63 Die Anerkennungswürdigkeit dieser Nahme wird jeweils aus dem Handlungsprogramm »studentischer Selbstverwaltung« abgeleitet. Unabhängig von den weiter oben besprochenen unterschiedlichen Ziel- und Vorstellungen von Autonomie, ist die Mobilisierung solcher selbstverwalteter Räume auf dem Campus entscheidend, um das Senden ohne Genehmigung auch gegen mögliche Widerstände in der Universität verteidigen zu können, »denn es gibt einen ständigen Konflikt mit Professor-innen und der Verwaltung, Räume sind immer knapp«.64 Auffällig ist, dass die Frage des legitimen Medienmachens auf dem Campus vor allem vom internen Konkurrieren um Räume charakterisiert ist: intendiert oder auch nicht, wird damit situativ die Mobilisierung der heterogenen Assoziation »besetzter Raum« neben der Besetzung der Frequenzen zu einem entscheidenden Kriterium. Die Forderung, den (studentischen) Anspruch auf selbstverwaltete Räume auch praktisch zu rechtfertigen, drückt sich deshalb auch nicht nur in der Hörbarkeit eines Senders aus, sondern auch in dessen räumlicher Präsenz, seiner Sichtbarkeit und allgemeinen Zugänglichkeit.

Die für die Anerkennungswürdigkeit relevante offene Zugänglichkeit beeinflusst nun gemeinsam mit den bereits besprochenen Handlungsprogrammen (der Horizontalität und der operativen Beteiligung an einer legitimen Signalerzeugung) auch die Konstitution der in die Audioketten eingebundenen Sendetechnik. Die Kette beginnt auf der »Objekt«-Seite dabei zunächst mit allen operativ verbundenen Entitäten, die an der Erzeugung oder Übersetzung akustischer Signale in einen elektromagnetischen Impuls beteiligt sind, der dann dem Sendegerät zugeführt wird. Die Sendetechnik ist ko-konstitutiv an der Erzeugung eines legitimierten Signals beteiligt und zerfällt bei ihrer näheren Dokumentation zumeist wieder in Artefakte, die allein genommen meist keine aktiven Mediator_innen sind: CD-Spieler, Kopfhörer, Verstärker, etc.65 Widerspricht dies nicht dem Anspruch der network builders Freier Radios, auch oder gerade »Nicht-Menschen« oder »Hybride« als Akteur_innen zu rekrutieren?66 Nein, denn bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass einige beteiligte Entitäten in ihren Beschreibungen dem Artefakt-Dasein durchaus widerstehen bzw. ihr Status strittig bleibt.

Unumstritten ist zunächst die Einbindung zweier wichtiger heterogener Assoziationen. »Offene Mikrofone« sind das Beispiel schlechthin, bei dem das Zusammenspiel zweier spezifischer Entitäten (heterogene Sprecher_innen und Mikrofone) eine veränderte Wirksamkeit erzeugen. »Die Mikrofone müssen während der Sendungen zunächst einmal allen zur Verfügung stehen, die sich im Radio ausdrücken wollen«, Einschränkungen dieser Offenheit müssen von dieser nicht-hintergehbaren Prämisse von Fall zu Fall begründet werden.67 Das heißt, das »offene Mikrofon« ist ein_e stets präsente_r Akteur_in in der Sendekabine, Programmmachende müssen sich mit dieser Entität in Beziehung setzten und ihre »zentrale Rolle bei der Garantie der Meinungsfreiheit« respektieren.68

Während die Mobilisierung »offener Mikrofone« bei der Übersetzung medialer Anerkennungswürdigkeit Konsens unter den Freien Sendern auf dem Campus ist, bleibt die Rolle »Freier Software« ein Stück weit umstritten. In Rádio Muda wird die Bedeutung Freier Software hoch gehängt, weil ihre Nutzung in den Radios entscheidend für die angestrebten »gesellschaftlichen Veränderungen« im Kleinen sei, beispielsweise für ein »nicht-marktorientiertes Miteinander«. »Im Grunde genommen müssten alle Kollektive und sozialen Bewegungen, die eine radikale Kapitalismuskritik artikulieren, diese auch praktisch unter Beweis stellten und Freie Software nutzen«69, Satzstruktur nicht ganz verstãndlichwird dieser Anspruch als selbst-referentieller legitimation claim formuliert. Während Rádio Pulga etwas vorsichtiger die stete »Nutzung von Alternativen zu proprietärer Software, wann immer möglich« vorschlägt, weist Rádio Várzea die schlichte Nutzung eines als Freie Software gelabelten Programms als Legitimationsquelle zurück – denn jedes Programm (und sein Entwicklungsprozess) könne nur empirisch und situativ darauf geprüft werden, ob es Effekte veränderter Wirklichkeit herbeiführt. Soll heißen: die Klärung dieser Frage wird auf die nähere Betrachtung der Stabilisierungen in der Zeit und des vermittelten Gemeinwohls vertagt.70

Bereits zuvor sind jedoch noch eine Reihe weitere relevante Akteur_innen des Freien Radiomachens zu nennen, darunter ein_e, der/die äußerst aktiv an der Härtung des Sozialen beteiligt ist, nämlich »DJ Random, der nachts in Radio Pulga auf Sendung ist«, aber auch in den beiden anderen Stationen »auflegt«.71 Gemeint sind damit entweder Programme oder externe Dispositive, die in einer bestimmten Reihenfolge (random inklusive) Audiodateien abspielen, um »auf diese Weise eine ständige Präsenz des Radios zu erzeugen«72.

Ein weitergehendes Interesse, diese Automatisierung mit spezieller Software oder die Mediationen im Internet zu intensivieren, gibt es jedoch nicht, vielmehr bleibt es Aufgabe von Dj Random, unvermeidliche Lücken im Programm zu schließen. Er erlangt jedoch nicht den Status eines autonomen Programmmachenden und seine hörbaren Mediationen sind eigentlich auch nie Bestandteil der Plenumsdebatten.73 Eine weitere Entität, der im Skript lediglich eine sekundäre Rolle eingeschrieben wird, ist das Internet und die sich darin entfaltenden Mediationen der Sender, vor allem ihre websites und Audioübertragungen per (live) streaming. Zwar wird der positive Effekt »weithin hörbar« zu sein geschätzt, zugleich wird auf den Plenen jedoch darauf geachtet, dass die im Spektrum verteidigte Freiheit des Sendens nicht gleichgesetzt wird mit den Mediationen im »World Wide Web, wo jeder ohne Genehmigung auf Sendung gehen kann«.74

Im Zentrum der reuniões steht dafür um so öfter jene Akteur_in, in der sich die bisher betrachtete Signalübersetzung fortschreibt: das Sendegerät.75 Dieses ist das sprichwörtliche »Herzstück« der Radios und ein äußerst prägnantes Beispiel dafür, wie Technik menschliche Sozialität vermittelt. Ihm fällt die Rolle einer obligatorischen Passage zwischen Sendenden und Hörenden zu. Sich als sendend zu legitimieren, darin liegt die alles entscheidende Bedeutung der kollektiven Einbindung in die Signalerzeugung, was auch darin ersichtlich wird, wie viele vermenschlichende Attribute für seine Beschreibung herangezogen werden, die zwischen einem »Rockstar« und einem »Baby« oszillieren.76 Automatisch legitimieren sich die Sender als komplizierte Größe dennoch nicht, da an einige ihrer Eigenschaften differenzierte Legitimierungsforderungen herangetragen werden können.

Wie lässt sich situativ beispielsweise eine bestimmte Sendestärke oder Frequenz als anerkennungswürdig beschreiben? Diesen Fragen sind die network builders Antworten schuldig geblieben. Die Radiokollektive greifen sie für ihre Legitimierung jedoch, wie vermutet, produktiv auf. Bezüglich der Frequenzen formuliert Rádio Pulga sehr prägnant: »Wenn eine Frequenz frei ist, warum sollte man sie nicht frei nutzen können? So einfach ist das.«77 Darüber, ob eine Frequenz frei ist, lässt sich jedoch streiten. Freie Radios argumentieren hier, entgegen dem nationalen Frequenzplan der Regulierungsbehörde Anatel, dass sich »viele Freiräume kartografieren lassen, in denen aus geographischen Gründen keine Interferenzen erzeugt werden und wo problemlos eine Koexistenz mit bereits existierenden Sendern möglich ist«.78 Delegitimiert wird demnach der modus operandi der staatlichen Frequenzvergabe, die »die Meinungsfreiheit in der Luft ungerechtfertigt stark einschränkt«79, legitimiert hingegen die heterogene Assoziation einer »besetzten Frequenz«.

Was die Sendestärke betrifft, propagieren die drei Kollektive keine feste Wattzahl, sondern ziehen situative Begründungen und Zielsetzungen heran. Rádio Muda sendet gewöhnlich mit 150W, »um das gesamte Universitätsviertel und auch einen Teil der Vororte von Campinas zu erreichen«.80 Legitimierend ist also eine bestimmte Hörer_innengemeinschaft, die sowohl als Interessengemeinschaft (akademische Community) als auch geographisch definiert ist. Die beiden anderen Radios definieren ihre Sendestärke zunächst ebenso, schränken ihre Reichweite jedoch weiter ein. Bei Rádio Pulga geschieht das pragmatisch: »bei den vielen Piratensendern im Viertel und den vielen Häusern, sind wir froh, überhaupt jemanden zu erreichen«81. Ihre Anerkennungswürdigkeit wird deshalb tiefstapelnd an studentischen Hörerinnen festgemacht. Bei Rádio Várzea wird diese Selbstbeschränkung dagegen konzeptuell begründet:

»Wenn wir eine praktische Alternative zu abstrakten und hierarchischen kommunikativen Vermittlung leisten wollen, dann heißt das, dass jeder potentielle Hörer die Chance haben muss, auch zu senden. Wozu also eine Riesenreichweite anstreben? Uns interessieren die, die zu Fuß ins Radio kommen können«.81

In diesen Aussagen erhärtet sich die bereits anfangs geäußerte Vermutung, dass Freie Radios das Skript der network builders, dass vor allem das individuelle Recht auf freie Meinungsäußerung betont, erweitern. Sie ergänzen es um eine Legitimierung, die auf eine bestimmte Hörerschaft oder community Bezug nimmt; aus einem diffusen komplexen Aktanten wird eine komplizierte Größe des Freien Radiomachens geformt. Diese community ist durch ihre Partizipation im operativen Gebrauch gekennzeichnet, und wird als situative Überwindung des als »entfremdend«82 bezeichneten Chiasmus zwischen Sendenden und Empfangenden erzählt. So will Rádio Várzea beispielsweise im Radiomachen »die Trennung von organisierten und nicht-organisierten Studierenden auflösen«.83 Rádio Pulga dagegen denkt, nach innen gewandt, auch über eine partizipative Aufgabenteilung nach, die Mitmachen nicht zwanghaft mit Reden im Radio gleichsetzt, »denn es gibt unterschiedliche Interessen und Motivationen. Einer kauft Bier, einer repariert Plattenspieler, wieder einer hält Kontakte aufrecht«.84 Die partizipative community ist also durchaus als heterogener Haufen gedacht, dem erneut nur dort Grenzen gezogen werden, wo Beteiligte die Anerkennungswürdigkeit eines Senders bedrohen, beispielsweise als »Nazis«, als »selbsternannte Repräsentant_innen« oder »parteinahe Jugendorganisationen«, die versuchen, Freie Radios für ihre Interessen zu instrumentalisieren.85

Um so willkommener sind alle Mitglieder der geographischen community, »die rund um unser Radio arbeiten, lernen oder leben«.86 Erwünscht ist auch in diesen Fällen eine möglichst intensive Beteiligung am Radiomachen, aber die Sender geben sich auch mit weniger zufrieden, d.h. der Mobilisierung komplexer Akteur_innen. Dabei handelt es sich um eine große Gruppe von Legitimationshelfer_innen, die sich mit der Gruppe potentiell komplizierter Größen überschneidet: Studierende, Angestellte der Universität, Anwohner_innen oder auch Austauschstudent_innen.87 Darüber hinaus wird die »Vernetzung« mit anderen unabhängigen Medienkollektiven als Quelle gesteigerter Anerkennungswürdigkeit angeführt, vor allem die stärkere Kommunikation und Organisation zwischen freien Radios (nach dem bereits erwähnten) Weltsozialforum 2003, »wo wir wieder neue Kraft gefunden haben«.88 Auch Amateurfunker_innen werden wegen ihrer »Expertise und langen Historie der Radiowellennutzung« als Verbündete geschätzt.89

Kaum berichtet wird hingegen über eine Kooperation mit Community Radios.  Auf Nachfrage wird lapidar erwidert, dass sei »eine andere Kiste« (outra onda) oder »deren Wunsch nach Legalisierung schaffe wenig gemeinsamen Boden.«90 Diese hier artikulierte Distanz steht in Widerspruch zu dem am Anfang des Kapitels beschriebenen Interesse, mit ComRads in Dialog zu treten und technische Expertise weiterzugeben. Einige Beteiligte sehen in der fehlenden Operationalisierung dieses Anspruch deshalb auch eine Schwäche der Freien Radios: ihr Verhältnis zu ComRads und anderen sozialen Bewegungen bleibe zu oft ein »großer Abgrund«.91 Eine gesteigerte Anerkennungs-würdigkeit hänge viel zu oft von »persönlichen Initiativen oder Beziehungen einzelner Programmmachender« ab oder beschränke sich auf Entitäten wie die »Freie Software-Bewegung, die Freien Radios ohnehin nahe steht« – doch  »das allein ist zu wenig«.92

Wenig oder viel Kooperation mit dem Staat, dass ist eine letzte und wichtige Frage bei der Mobilisierung von Unterstützer_innen. Paradoxer Weise waren es gerade die Freien Radios und allen voran Rádio Muda, das sich ab dem Jahr 2002 an Pilotprojekten beteiligen, die später intensiv von ComRads unter dem Namen ponto de cultura genutzt worden. Diese »Kulturpunkte« gehen demnach konzeptuell vor allem auf die Initiative des Freien Radios Muda zurück. Die Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium (MinC) wird allerdings 2004 von den meisten beendet, weil sie sich »von der Regierung vereinnahmt« fühlten.93 Diese Erfahrung prägt die Debatte bis heute, wenn abgewogen wird, »dass Rádio Muda es eine Zeit lang schaffte, die Verbreitung freier Technologien, Technik und Wissen zu einem festem Bestandteil der Arbeit des Ministeriums zu machen«, zugleich aber auch »die Verfolgung alternativer Medienmachender durch die Regulierungsbehörde und die Bundespolizei fortgesetzt wurde«.94 Als pragmatischen Ausweg aus diesem Dilemma und die Frage, warum man sich nicht »das Geld der Menschen, dass der Staat als Steuern eintreibt, zurückholen« sollte, wird vor allem in Rádio Pulga die Meinung vertreten, nur eine »indirekte Kooperation« sei legitim, bei der das Radio Nutznießer einer »strategischen Umverteilung« staatlicher Projektmittel ist.95 Der Aktant Staat erscheint hier als Entität, die eigentlich abgelehnt und anerkennungswürdig nur im streng kontrollierten Ausnahmefall wird.96

Die Kooperation mit staatlichen Akteur_innen, verstanden als komplexe Größe Freien Radiomachens, hat abschließend sehr anschaulich gezeigt, was auch auf viele weitere hier analysierte Entitäten zutrifft: Skripte werden situativ um spezifische Akteur_innen ergänzt, Abweichungen zu den Inskriptionen der network builders formuliert. Zugleich ist deutlich geworden, dass die Auseinandersetzung mit den anwesenden Akteur_innen nur einen Teil der Legitimationsstrategie ausmacht. Die bereits anklingende Einbindung in spezifische Übersetzungen (z.B. Selbstverwaltung) zeigt, dass die Radiokollektive ihre Anerkennungswürdigkeit stets auch an die Prozesshaftigkeit ihrer Mediationen koppeln – oder anders gesagt: die in die Akteur_innen inskribierten potentiell legitimierenden Eigenschaften sind erst in der dauerhaften Mobilisierung konkreter Handlungsprogramme verifizierbar.

(2) Die Stabilisierung Freier Radios auf dem Campus in der Zeit ist als analytische Perspektive äußerst hilfreich, um die Realisierung der situativen Skripte weiter zu erschließen. Ich möchte hier in Erinnerung rufen, dass sowohl die network builders als auch die Radiokollektive sich explizit gegen schriftlich fixierte Regeln aussprechen und die Stabilisierung des Radiomachens vor allem an die Konsensfindung in reuniões und die Signalerzeugung der Programmmachenden koppeln. Doch welche Handlungsprogramme leiten dieses kollektive Radiomachen an, gewährleisten seine Reproduktion und eine gewisse Kontinuität?

Die Reproduktion der drei Sender ist eng verbunden mit der Organisation des Campusalltags und des akademischen Kalenderjahres. Jeweils zum Beginn des Sommer- und Wintersemesters formiert sich ein besonderes Plenum, die »reunião de grade«, die vor allem dazu dient, Interessierten die Idee Freien Radiomachens näherzubringen und die Sendeplätze für einen Zeitraum von sechs Monaten zu vergeben. Diese Plenen, die in allen drei Sender mobilisiert werden, lassen sich als zyklische Übersetzung der situativen Skripte in Programme beschreiben, als ein temporäres update, ein Abkommen zwischen den wechselnden Beteiligten, bei dem auch der Anspruch und die Grenzen des Radiomachens ausgehandelt werden.97 Gehärtet und moderiert wird dieser Konsens in der Zeit durch »Sendeplatztabellen«98 und die bereits erwähnten Mailinglisten.

Eine solche reproduktive Dynamik ermöglicht eine Zirkulation der Referenz Freies Radios zwischen unterschiedlichen Beteiligten. Diese kontinuierliche Erneuerung scheint zunächst auch für das Handlungsprogramm radialer Kontinuität charakteristisch, doch die tatsächliche Mobilisierung im Alltag wird als schwierig und brüchig beschrieben. Die Gründe dafür sind vielfältig: das plötzliche »Aufhören von Programmmachenden«, deren »mangelnde Konstanz und Zuverlässigkeit«, »geringes Interesse am Radiomachen« oder sich studentisch zu organisieren allgemein, »Probleme mit der Sendetechnik«, von »Schließungen« ganz zu Schweigen.99

Im besten Fall ergänzen sich divergierenden Handlungsprogramme zu einem Freien Radiomachen, das »gekennzeichnet ist von unterschiedlichen Intensitäten«.100 In allen drei Sendern wird beispielsweise von Akteur_innen berichtet, die wichtig sind, sich aber nur unregelmäßig oder punktuell beteiligen. Beschrieben werden hier nicht nur individualisierte »Alte Hasen« oder »Technikgurus«, sondern ältere Semester, die zumeist »Generationen« genannt werden.101 Scheiden diese aus, wie beispielsweise im Jahr 2010 »als die letzte ausgebildete Generation Rádio Várzea verlässt«, wird jedoch nie vom Ende eines Freien Radios gesprochen, sondern davon, dass es normal ist, dass sich »ein Radio leert und dann wieder füllt«, es »unsichtbar wird« oder, dass »ein Projekt stirbt und das nächste geboren wird«.102 Dennoch sind solche Momente problematisch, denn »die Errungenschaften einer Generation können verloren gehen, zum Beispiel die erarbeitete Gendersensibilität, Kontakte mit anderen politischen Gruppen oder auch die begonnene Hilfe beim Aufbau anderer Medien«.103

Kann vor diesem Hintergrund überhaupt von Kontinuität als einem Merkmal medialer Anerkennungswürdigkeit gesprochen werden? Nein, wenn dafür die kontinuierliche Signalerzeugung nach fixen Regeln herangezogen wird. Doch dieses Kriterium wird von keinem der Radiokollektive selbst bemüht. Feste – womöglich noch verschriftlichte – Regeln werden abgelehnt, da man Freies Radiomachen »nicht den Orgafreaks überlassen« könne, die »ständig ordnen und sich bürokratisieren wollen« sondern »alle Abmachungen stets verhandelbar« gehalten werden müssen, um auch selbst den Anspruch zu erfüllen, dass »Gesetze immer Resultat einer Praxis seien müssen«.104 Diese spezifische Fortschreibungen schließt die Bereitschaft ein, »auch strukturell und, falls nötig, radikal auf verändernde Bedürfnisse zu reagieren«, die die Situation des Radiomachens beeinflussen. Hier wird deutlich, dass »hinter« den oben erwähnten Mutationen ein Handlungsprogramm steckt, dass Diskontinuitäten, sowohl auf konzeptueller Ebene als auch bei der Signalerzeugung vorsieht und »Radios, möglichst auch in Momenten geringer Beteiligung, am Leben erhalten« will, um jederzeit »Wortmeldungen« oder »Wiederbelebungen« des Freien Radiomachens zu ermöglichen, »wenn beispielsweise ein Streik losbricht« oder »doch mal ein Sendegerät konfisziert wird«.105

Erwünscht ist ein geringe Mobilisierung von Akteur_innen dauerhaft jedoch nicht, im Gegenteil. Die Machenden der Freien Radios auf dem Campus wägen in ihren Erzählungen stets auch ab, an welchem Punkt radikale Offenheit und variable Regeln die Stabilisierung eines Sender in der Zeit gefährden oder ihn anfällig für repressive Akte machen, die ein Radio entscheidend schwächen könnten, »denn selten ist die Beteiligung und Einbindung von Studierenden nach einem Polizeieinsatz ähnlich intensiv wie vorher«.106 Neben dem reproduktiven Handlungsprogramm ist deshalb noch eine weitere Dynamik angelegt, die sich dem Schutz der Sender widmet und bei der sich räumlich drei Dimensionen unterscheiden lassen. Die erste betrifft die komplizierte Größe der genutzten Frequenz im UKW-Bereich des elektromagnetischen Spektrums. Schutz wird dabei übersetzt in eine Wattzahl (wie viel Sendestärke lässt sich in ihrer Nutzung legitimieren und stabilisieren?) und eine freie Frequenz (wem funke ich möglicherweise dazwischen?). Eine freie Frequenz zu suchen, »um Stress zu vermeiden«, darin sind sich die drei Radiokollektive zunächst einig. Während Rádio Muda jedoch 150W als legitime Signalstärke betrachtet und auf dem Campus auch erfolgreich verteidigen kann, gab es bei Rádio Várzea, das anfangs eine ähnliche Sendestärke nutzte, »viele Probleme mit kommerziellen Radios, die sofort die Regulierer auf den Plan riefen. Danach sendeten wir nur noch mit 50 Watt, um Konflikte zu vermeiden«.107 Rádio Pulga wurde im Jahr 2011, wenige Monate nach der Erhöhung der Sendestärke, geschlossen, während man »vorher mit 40 Watt in einer Stadt voller Häuser und zwischen Dutzenden Piratenradios kaum aufgefallen war«.108 Nicht zu sehr auffallen, bzw. das eigene Potential zur Verteidigung eines Senders richtig einschätzen, dass eine bestimmte Signalstärke hervorrufen kann, ist die Devise.

Träger_innen dieses Verteidigungspotentials on the ground – der zweiten Dimension – scheinen dabei in erster Linie Studierende, die das Radio gegen Schließungsversuche von Außen aber auch gegen die Ansprüche von Professor_innen auf die Räumlichkeiten schützen, so geschehen beispielsweise bei Rádio Pulga, dem »eine Studierendenversammlung den Vorzug vor einem Räumungsantrag eines Lehrenden« gab. In den Reihen potentieller weiterer Unterstützer_innen von Lehrenden und Angestellten kommt dem Wachpersonal auf dem Campus eine entscheidende Rolle zu. Denn es kann die Signalerzeugung positiv beeinflussen, wie in Rádio Várzea, wo »Sicherheitsleute mitunter bei der Wartung der Antenne helfen«, oder anderen Sendern, wo sie die Sendetechnik mehrfach abbauten.109 Entscheidend ist bei der Mobilisierung, jeweils auf eine Mehrheit aktiver Unterstützer_innen zählen zu können, die es dem Rektorat, als wichtige Größe legaler Ordnung, »schwer macht, per Dekret gegen den Betrieb der Sender auf dem Campus vorzugehen oder mit der Regulierungsbehörde zusammenzuarbeiten«.

Die dritte Dimension betrifft schließlich das Studio selbst und alle darin versammelten Akteur_innen. Unterscheiden lässt sich dabei zunächst ein Schutz der menschlichen Akteur_innen vor einer etwaigen Strafverfolgung. Auch wenn Freie Radios per Definition von niemandem repräsentiert werden, wird auf Treffen immer wieder darauf hingewiesen, nicht im Namen des Radios zu sprechen und keine Erkennungszeichen oder vollständige Namen im Radio zu hinterlassen.110 Zugleich versuchen die Radiokollektive jedoch auch ihre Sender vor den menschlichen Akteur_innen zu schützen. In Rádio Várzea und Rádio Pulga beispielsweise herrscht Konsens darüber, die Legitimation nicht durch den Konsum von Drogen in der Radiokabine zu gefährden.117 Zudem müsse auch das Equipment vor unsachgemäßer Bedienung geschützt werden, ein Punkt, dem auch Rádio Muda zustimmt und eine Zeitlang sogar ein Anwesenheitsheft (caderno de presença) mobilisierte, um damit die Verantwortlichkeit der menschlichen Programmmachenden (vor allem gegenüber den non-humans) zu erhärten.118

 

Erhärtet werden soll der Schutz der Sendetechnik zudem gegenüber äußeren Einflüssen, wie Diebstahl, Sabotage oder etwaigen Räumungsversuchen staatlicher Akteur_innen. Die Schlüssel zu den Eingangstüren sind deshalb entscheidende Moderator_innen menschlicher Sozialität, sie regeln mehr als nur den Zugang.119 Der Besitz eines solchen Objekts ist auch ein Indiz dafür, wer als komplexe_r Akteur_in eines Radios verstanden werden kann. Die innerhalb der Plenen transparent und konsensuell geregelte Vergabe und Zirkulation von Schlüsseln drückt jeweils einen spezifischen Kompromiss zwischen angestrebter Offenheit und notwendigem Schutz aus. Denn die Sicherheitsfrage kann, wie in Rádio Várzea geschehen, wo es anfangs nur einen Schlüssel gab, auch »schnell zu einem vorgeschobenen Argument werden, wenn eigentlich die politische Kontrolle des Senders verhandelt wird«.120 Auch bei Rádio Pulga musste sich »das Recht auf einen Schlüssel erst erkämpft« werden, während Rádio Muda, das schon seit längerem nach dem Prinzip »Ein Schlüssel pro Sendeplatz« arbeitet, inzwischen dazu übergegangen ist, die Schlüsselvergabe auch außerhalb der Plenen, auf der Mailingliste, zu organisieren.121 Und sollte doch jemand wider Erwarten in die Sender eindringen, dann gilt die bereits mehrfach erwähnte Prämisse low tech: anstatt Abhängigkeiten von exklusiven oder kostenintensiven non-humans zu entwickeln, soll möglichst viel mit freier Software und einer Sendetechnik gearbeitet werden, die die Kreativität der Machenden nicht einschränkt, deren vollständiger Verlust aber auch nicht das Aus des Radios bedeutet – eben weil sie leicht zu ersetzen ist.122

Das »schützende Handlungsprogramm« legitimiert die Radiokollektive demnach eher auf indirekte Weise, in dem es die Reproduktion und Kontinuität stärkt und zugleich anteilig den Anspruch der Partizipation und horizontalen Organisation übersetzt und in der Zeit stabilisiert. Abschließend möchte ich kurz noch auf zwei weitere Handlungsprogramme eingehen, die für die Stabilisierung und Legitimierung ebenfalls von Bedeutung sind und sich infralinguistisch als »Weiterbildung« und »Finanzierung« beschreiben lassen. Ersteres umfasst sowohl regelmäßige Workshops für und von den Programmmachenden und informelle eins-zu-eins-Schulungen während des Sendens als auch Aktivitäten, die die Radiokollektive für andere Medienmachende organisieren.123 Die Weiterbildungen haben dabei den (bereits erwähnten) erwünschten Effekt, dass alle ein Minimum an Fähigkeiten und Wissen besitzen, um nichts kaputt zu machen.124 Zugleich übersetzen sie aber auch wichtige Aspekte der medialen Anerkennungswürdigkeit, so zum Beispiel die aktive Vermeidung von Hierarchien, auch wenn diese Übersetzungen sich »eher einem Idealzustand annähern, als ihn zu erreichen« und immer wieder spezifische Ausschlüsse (z.B. Gender, Nicht-Studierende, Religiöse) reproduziert werden, denen Freie Radios sich stellen müssen.125

Was die Systematisierung dieser Weiterbildung anbetrifft, gibt es erneut kaum schriftlich fixiertes Material. Stattdessen wird darauf gesetzt, das Freie Radiomachen immer wieder zu erzählen und situativ in einen operativen Gebrauch zu übersetzen, auch außerhalb der eigenen Radiokabine.126 »Wir hatten immer den Anspruch, Multiplikatoren einer freien Radiopraxis zu sein, um auch praktisch explizit unter Beweis zu stellen, dass ein Freies Radiomachen ohne Legalisierung möglich ist.«127 Wie bereits eingangs erwähnt, intensiviert vor allem Rádio Muda ab 2003 diese Schulungen. Auch Rádio Várzea ist zwischen 2006-2007 sehr aktiv und es entstehen in ganz Brasilien weitere Freie Radios auf dem Campus, aber auch einige Projekte außerhalb der universitären Orte.128 Erwähnenswert ist hierbei auch ein weiterer kollateraler Legitimationsfaktor, nämlich der eines selbstorganisierten Lerneffekts, der mit dem Stereotyp der Freien Radios als »hedonistischer Zeitvertreib« aufräumt.

»Ich hab viel mehr bei den beiden Freien Radios gelernt, bei denen ich während des Studiums mitgemacht habe, als bei den Vorlesungen. Vor allem auch was technisches Wissen angeht, hat da ein Lernprozess begonnen, der noch lange nicht abgeschlossen ist«.129

Die hier dokumentierten Effekte der Weiterbildungen leisten, ähnlich den schützenden Dynamiken, eher indirekt einen Beitrag zur medialen Anerkennungswürdigkeit der Radiokollektive. Das abschließend beschriebene, wiederkehrende »technische Interesse« ist dabei jedoch zugleich auch ein notwendiger Effekt der »low tech«-Prämisse und eng verwoben mit dem letzten hier dokumentierten Handlungsprogramm der »Finanzierung«. Dabei wird das Attribut frei von den Freien Radios auf dem Campus sehr plastisch operationalisiert: »Frei von Macht und frei von Geld«130. Gemeint ist damit kein vollständiger Ausschluss dieser monetären Entität, sondern das weitest mögliche Zurückdrängen aller durch Geld vermittelten Beziehungen«.131

Auch das Handlungsprogramm ist deshalb eher als no-go denn als Katalog legitimer Einnahmequellen definiert. »Es gab nie Regeln, außer einem allgemeinen Werbeverbot für politische, religiöse und vor allem auch kommerzielle Inhalte. Wir bestanden immer auf Selbstverwaltung und Selbstfinanzierung«132. Diese wird im Einklang zu den Ideen des network builder RIZOMA vor allem durch den Verkauf von Getränken, T-Shirts und die Organisation von Soli-Konzerten organisiert.133 Zugleich werden Programmmachende in Rádio Muda und Rádio Pulga jeweils zu Semesterbeginn aufgefordert, eine Betrag von zehn bis 20 Reais in die Gemeinschaftskasse einzuzahlen.134 Pro Semester genüge eine gelungene Party und die Spenden, um die jährlich für den Betrieb des Radios benötigten 3000 Reais aufzubringen.135 Aus Sicht der Kollektive ist dies eine kleine Summe und der Nachweis dafür, das Radiomachen nicht teuer ist. Und damit diese Übersetzung auch im Gebrauch möglichst reibungslos funktioniert, werden zwei Akteur_in explizit ausgeschlossen: bezahlte Mitarbeitende und kostspielige Technik.136

Die Analyse der Handlungsprogramme hat deutlich gemacht, dass die drei Sender in ihren situativen Mobilisierungen spezifische Anerkennungswürdigkeiten  konstruieren. Relevant ist dabei nicht unbedingt die Erfüllung sondern, wie ich gezeigt habe, die Affirmation, sich bezüglich ihrer Reproduktion, Kontinuität, Weiterbildung und Finanzierung mit Legitimationsforderungen auseinanderzusetzen und diese teilweise auch zu antizipieren. Letzteres verweist auch darauf, dass dieser hohe Grad an Selbstreflexivität gegenüber den eigenen Handlungsprogrammen Teil der  situativen Skripte ist, die außerhalb der Plenen und des Sendens kaum vermittels weiterer Assoziationen stabilisiert werden.

(3) Um die Dokumentation der Freien Radiokollektive auf dem Campus abzuschließen, fehlt nun noch die Betrachtung einer entscheidenden Größe des Legitimationskonzepts, die das Wofür der Mediationen subsumiert: das Gemeinwohl. Freie Radios ziehen sich in ihren Selbsterklärungen oft darauf zurück, ihr Skript als offenen bzw. freien Kommunikationsraum zu beschreiben, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass ein erster Beitrag zum Gemeinwohl darin gesehen wird, einen »offenen Treffpunkt zu schaffen«.137 Während Rádio Pulga, das, wie erwähnt, eine Zeitlang nur als Kulturprojekt existierte (und entsprechend der hier angelegten Definition zu dieser Zeit kein Radio im engeren Sinne war) und ausschließlich als ein solcher Treff fungierte, bemüht(e) sich Rádio Várzea den Sendebetrieb an die »Schaffung eines nicht-spektakulären, dialogischen Raumes« zu koppeln.138 Rádio Muda bespielt derweil auch die Wiese rund um den Wasserturm des Senders. Viele, die anfangen Radio zu machen, lernen die Programmmachenden dort off air »bei einem Bier oder einem Joint nach Vorlesungsende« kennen.139

Menschen miteinander in Kontakt und in Kommunikation zu versetzen, dieser gemeinwohltätige Beitrag wird nicht nur in und um die Sendekabine herum erfüllt, sondern auch bei der Organisation von Partys und Veranstaltungen. Denn diese haben neben der erwähnten finanziellen Bedeutung erneut den Effekt, freie Begegnungsräume zu schaffen. »Es gibt viele, die Rádio Muda zunächst nur wegen der Partys kennen und unterstützen«.140 Aber die Veranstaltungen sind zugleich ein Moment, der das Partypublikum potenziert, der offene Mikrophone mobilisiert und als Akteur_innen bekannt macht, oder, wie beispielsweise auf der jährlichen Veranstaltung Festa Ossama bin Reggae (in Rádio Várzeas, immer am 11. September) »eine kritische Debatte über Terrorismus provoziert«.141 Sowohl die Veranstaltungen im Radio oder anderswo auf dem Campus leisten dabei einen situativ wichtigen Beitrag, »selbstorganisierte Räume sichtbar [zu] verteidigen«, beziehungsweise an getroffene Abmachungen mit anderen Akteur_innen und Handlungsprogrammen zu erinnern und diese zu erneuern.142

Nun lässt sich fragen: Und das Programm? Und die Inhalte? Sind die kein Beitrag zum Gemeinwohl? Sie sind es und formuliert wird dieser Anspruch meist vermittels des Konzepts »alternative Kommunikation«. Die Inhalte einer solchen bestimmen die Sender jedoch auf unterschiedliche Weise. »Sollten wir mit Mainstream-Pop ein großes Publikum locken und dann mit alternativen Wortbeiträgen konterkariert, oder uns von vornherein auf einen reduzierten Hörer_innenkreis konzentrieren?« fragen sich die Machenden von Rádio Várzea bis heute.143 Zudem stoße man mit der ausgiebigen Dokumentation und Kommentierung der Universitätspolitik immer wieder auf Kritik, das diese Informationspolitik von einigen »als wenig freie Indoktrinierung kritisiert« wird.144

Der »alternative Informationsfokus« tritt bei Rádio Pulga hinter einen musikalischen Schwerpunkt zurück, denn entgegen den anderen beiden Sendern wird dort ein großes, gemeinsames Musikarchiv gepflegt, »dass die Kommunikation entscheidend prägt und seine Bedeutung ausmacht. Bei Rádio Muda hängt der musikalische Aspekt viel stärker von den Programmmachenden ab« - und nicht nur dieser.145 Erneut wir alternative Kommunikation hier nicht zwingend als Aktivismus verstanden, sondern als »die Möglichkeit, seine Neugier und seine Lust am Medienmachen auszuleben«.146 Das viele Programmmachende sich mit der Zeit auch politisch stärker engagieren, sei ein erwünschter Effekt, 

 

»einen Habitus zu entwickeln, darüber nachzudenken über was man reden will, eine persönliche Praxis der eigenen Begierden zu entdecken, die erst mal ungerichtet ist, aber auch eine Reflektion über das Radio- oder TV-Medium beinhaltet, in dem man spricht.«147

Eng verbunden mit dieser Übersetzung alternativer Kommunikation, als ein Prozess der  Selbstermächtigung, ist der experimentelle Anspruch Freier Radios auf dem Campus, in dem sich ein weiterer Beitrag zum Gemeinwohl entfaltet. Dazu lassen sich sowohl Handlungsprogramme zählen, die das »technische« Medienmachen erkunden, aber auch Ausbrüche aus etablierten medialen Formaten und der Radiosprache, die das Repertoire der für die Realisierung der Meinungsfreiheit mobilisierbaren Größen erweitern wollen.148 Die Radios werden zu medialen Laboratorien, deren Relevanz sich auch daraus ableitet, dass »ein Großteil der Kommunikationsprojekte der Linken weiterhin Formate und Strukturen nutzt, die weder den Zugang zu Medien erweitern noch die Kommunikationskanäle diversifizieren, sondern eine entfremdende Vermittlung fortschreiben«.149

Die explorativen Erweiterungen, die von den Freien Radios auf dem Campus inskribiert und mobilisiert werden, sind vielfältig, reichen von der Gründung von TV-Projekten, über die Unterstützung von Event-Radios bis hin zur Erkundung neuer Nutzungsmöglichkeiten des elektromagnetischen Spektrums.150 Zum konkretesten Experimentierfeld generiert sich dabei die Debatte um die Einführung eines digitalen Radiostandards, die sich spätestens ab dem Jahr 2010 intensiviert.

»Doch große Teile der Bevölkerung wissen nicht, welche neuen Nutzungs- und Produktionsmöglichkeiten dabei geschaffen werden könnten, wie eine Überwindung der Frequenzknappheit und eine Vervielfältigung der Formate, Bilder, Daten und Videos, also eine neue Art interaktiven Radios aussehen könnte«.151

Der Beitrag Freier Radios liege deshalb darin, »einen offenen digitalen Standard zu unterstützen und, von dessen Charakteristika aus betrachtet, auch die bestehenden Gesetze zu kritisieren oder ihren Bruch in der Praxis zu rechtfertigen«.152 Dass es sich dabei nicht um eine hypothetische Debatte handelt, belegen vor allem Mitwirkende von Rádio Muda immer wieder mit praktischen Experimenten, die zeigen, dass die neuen Akteur_innen digitalen Sendens und Empfangs auch »außerhalb des institutionalisierten Rundfunks beherrschbar und nützlich« sind.153

Diese Nützlichkeit gilt es jedoch weiter zu erkunden, denn bisher werden vor allem selbstreferentielle Beispiele angeführt, soll heißen, die Zunahme einer  »selbstverwalteten, medialen Vielfalt ohne ad hoc Regulierungen«. Diese Perspektive wird von den Radiomachenden »immer noch [als] Utopie« bezeichnet. Sie verweisen damit nicht nur auf eine poröse Grenze zwischen Machbarem und Erstrebenswerten, sondern benennen zugleich einen letzten Beitrag zum Gemeinwohl. Die drei Freien Radiokollektive bündeln ihre medialen Utopien vor allem im (bereits im vorherigen Kapitel erwähnten) Konzept eines Freien Spektrums (vgl. Kap. 3.2.3), das jedoch bisher vor allem im Rahmen einer staatsfernen Regulierung als ein Gemeingut (vgl. 3.3.1.3) beschrieben wurde. Die Radios erweisen sich nun als Situationen, an denen dieses ideale Modell für die Gesellschaft bereits ein Stück weit realisiert werden könnte, zum Beispiel entlang innovativer Akteur_innen wie smart radios154, oder auch entlang von Handlungsprogrammen, die eine Befreiung der Kommunikation durch eine »vereinheitlichte globale Kommunikationsplattform, die sowohl drahtlose digitale Netze und Radio in seiner analogen und digitalen Form beinhalten würde«155.

Der medien-utopische Fokus der Freien Radios auf dem Campus weißt damit klar über ihre eigene situative Anerkennungswürdigkeit hinaus. Und ganz ähnlich den unterschiedlichen Beiträgen zum Gemeinwohl, oszillieren auch die übrigen dokumentierten Akteur_innen und Handlungsprogramme der drei Sender zwischen situativen und kategorischen Skripten. Die eingangs aufgeworfene Frage, Warum an der Uni?, lässt sich deshalb zunächst so beantworten: Freie Radios finden auf dem Campus ein spezifisches Akteur_innen-Netzwerk vor, dass es ihnen ermöglicht, sich als Mediation zu stabilisieren und zu gleich auch zusätzlich zu legitimieren. Die Situierung auf dem Universitätsgelände ermöglicht es, einen gewissen Schutz vor den Regulierungsinstanzen auszuhandeln und die dortige community für das Freie Radiomachen zu mobilisieren. Wie ich gezeigt habe, ist, anders als eingangs vermutet, weniger die direkte Einbeziehung akademischen Wissens von Bedeutung, wohl aber die zyklische, semester-weise Erneuerung der Radiomediationen durch heterogene Akteur_innen, die wiederum in Relation zum akademischen Betrieb stehen: Freie Software, Studierende, aber auch Konzepte und weitere Entitäten finden beim Radiomachen in einem spezifischen situativen Bezug zueinander.

Doch inwiefern übersetzen diese medialen Konfigurationen die Behauptung der drei Sende-kollektive, Freies Radio sei billig, einfach und deshalb für jede_n machbar? Abgesehen von der weiter oben zitierten (schwer verifizierbaren) Selbstkritik, Freies Radiomachen sei ein reines »Mittelklassephänomen«156, sind mehrere Momente deutlich geworden, die die Anerkennungs-würdigkeit der Radiokollektive in diesem Punkt herausfordern. Unter anderem wurde deutlich, dass die Mobilisierung spezifischer Akteur_innen, z.B. beim Ersatz von Geräten, in ihrem Gelingen vor allem an die Campus-Community gekoppelt ist. Diese und weitere Vermittlungen (u.a. das Nichtzahlen von Strom- oder Mietkosten) lassen sich durchaus als hidden transcripts beschreiben. Sie tragen entscheidend zur Stabilisierung bei, sind aber wenig sichtbar und werden von den Radiomachenden öffentlich auch wenig reflektiert.

»Versteckt« werden aber noch weitere Aspekte des Akteur_innen-Netzwerks, die die Skripte der drei Sender realisieren. Das es kein genuines Interesse aller Beteiligten gibt, die Signalerzeugung zu 100% zu beherrschen, wird erst bei einer Teilnahme am Sendebetrieb und auf Nachfrage thematisiert, so wie auch die relative Ferne zu sozialen Bewegungen, spezifische subkulturelle Abgrenzungen, die Abhängigkeit von Gerätehersteller_innen156 oder auch die Dominanz männlicher Akteur_innen wird das gegendert¿ beim Gebrauch der Sendetechnik. Dass in den Interviews letztendlich doch offen all diese potentiell delegitimierenden Momente benannt und analysiert wurden, stärkt die Vermutung, dass es sich teils auch um bewusste, strategische Auslassungen im Skript handelt. So wurde beispielsweise die Behauptung eines Autonom-Seins in den Gespräch oft zugunsten einer Reflektion über das Autonom-Werden aufgeben.157

 

Die Prämissen, die die Inskriptionen und Mobilisierungen anleiten, sind keine negative Medientheorie in dem Sinne, dass sie ein Minimum fixer no-gos abstecken. Auch wenn dies beim Übersetzen der Skripte immer wieder geschieht, sind auch diese kein »letzter Rechtsgrund« Freien Radiomachens. Ausgangspunkt des operativen Gebrauchs ist zunächst immer eine Negation aller a priori abgesteckten abstrakten Regeln, angeleitet von dem Vertrauen in eine kollektive Entscheidungsfindung im Rahmen der Plenen, die die Mediationen permanent erneuern, festigen und ggf. korrigieren. Dies verleiht allen Legitimierungen der drei hier betrachteten Sendern letztlich immer auch einen temporären, veränderlichen, aber auch strategischen Charakter. So erscheint die schroffe Negation gegenüber allen staatlichen Akteur_innen bei näherem Hinsehen oft als strategisch inszenierte Distanz.158 Zugleich findet eine Verundeutlichung des operativen Gebrauchs statt, ein – um im Bild der network builders zu bleiben – Rückzug in eine rhizomatische Existenz, die Konstanz nicht als öffentlich sichtbare Mobilisierung definiert, sondern als nie vollständig dokumentierbaren Prozess, der nicht als komplexe Mediation eingrenzbar ist.

Abschließend lässt sich festhalten, dass sich das Freie Radiomachen auf dem Campus in ein doppeltes Spannungsverhältnis einschreibt und in in dem darin entfalteten Akteur_innennetzwerk legitimiert. Diese Spannung wird erstens genährt von einem Skript, das das Konzept Freien Radiomachens konzeptuell sowohl als immutible mobile (vgl.  Kap. 3.6) aber paradoxerweise zugleich auch als leeren Signifikanten inskribiert, der erst in seiner situativen Zirkulation der Referenz Freies Radio gefüllt wird. Konstant in Spannung versetzt wird jedoch auch das inskribierte Gemeinwohl, dass zwischen einem persönlichen und kollektiven »Selbstfindungs- und Bewusstseinbildungsprozess« in situ und dem Ziel, »die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse an der Universität und im Allgemeinen zu verändern«, oszilliert.159

Dass dieser Anspruch nachweislich realisiert wird, veranschaulichte die bereits beschriebene aktive Rolle, die Freie Radios im Rahmen des Handlungsprogramms Weiterbildung übernehmen. Dazu gehört explizit auch, Freie Radios außerhalb der Universitäten in ihrer Emergenz und Stabilisierung zu unterstützen, wie beispielsweise die bereits erwähnten Sender Rádio Amnêsia und Rádio Luta. Deren Betrachtung im nun folgenden Kapitel ist auch deshalb spannend, da sie die Legitimierung Freien Radiomachens in einem wichtigen Punkt ergänzen: dem Nachweis ihrer allgemeinen Reproduzierbarkeit abseits universitärer Räume und Diskurse.

 

4.3 Freie Radios in Kulturzentren und besetzten Fabriken

Zwischen 2006 und 2007 organisierte das Medienkollektiv Nordeste Livre eine Promotiontour für das Freie Radiomachen. Temporär wurden Frequenzen besetzt, lokale Kollektive zum Radiomachen animiert. Die Karavane machte auch beim Ponto de Cultura Coco de Umbigada halt, dass sich in Olinda im Bundesstaat Pernambuco für den Erhalt und die Verbreitung afrobrasilianischer Kultur im Allgemeinen, besonders aber für deren Musik einsetzt. Bereits Ende der 1990er Jahre war Coco de Umbigada mit seinen Darbietungen auf öffentlichen Plätzen und bei Veranstaltungen aktiv, organisierte ab dem Jahr 2002 aber auch regelmäßig Workshops in den eigenen Räumlichkeiten. Darauf, die eigenen Produktionen und Kulturarbeit auch über das Radio bekannt zu machen, war jedoch niemand gekommen.160

»Nordeste Livre musste uns förmlich zu diesem Radioexperiment überreden. Wir fanden anfangs vor allem den Namen spannend, den dieses mobile Radio hatte. Amnésie, eine Anspielung auf den nationalen Gedächtnisverlust Brasiliens, einem kulturell so reichen Land. Aber es fehlt an einem Bewusstsein dafür, besonders auch, was die afrikanischen Wurzeln angeht. Ein Radio kann da Abhilfe schaffen und nachdem wir eine Weile mitgesendet und  das verstanden hatten, über-redeten wir die Freien Radiomacher_innen, uns den Sender zu überlassen«.161

Aus dem mobilen Sender war unverhofft ein Freies Radio geworden, das bis heute im UKW-Band zu hören ist.

Um einiges organisierter begann dagegen das Radiomachen in der Fabrik Flaskô in der Industriestadt Sumaré nahe Campinas, im Bundesstaat São Paulo. In dem auf die Herstellung von Plastikbehältnissen spezialisierten Komplex übernahmen am 28. Februar 2009 die Arbeiter und Arbeiterinnen Arbeiter_innen die Kontrolle, nachdem der bisherige Eigentümer die Schließung angekündigt hatte. »Bereits vor der Besetzung hatten einige Gewerkschafter_innen sporadische Radiosendungen organisiert und das Mobilisierungskomittee hätte gern direkt an diese Initiativen angeknüpft. Aber von diesen companheiros war [nach] der Besetzung niemand mehr da und wir mussten uns anderswo Hilfe suchen«.162 Und die fanden junge Gewerkschafter_innen im nicht weit entfernten Rádio Muda und später auch in Rádio Várzea, die dazu beitrugen, dass Rádio Luta, der Sender der Fabrik Flaskô, ein Jahr nach der Besetzung bereits 24 Stunden täglich auf Sendung war.

Die beiden unterschiedlichen Entstehungsgeschichten illustrieren sehr anschaulich die aktive Rolle der Freien Radiobewegung, um die erwünschte Vervielfältigung auch außerhalb der Universitäten anzuleiten. Offen bleibt bei diesen Erzählungen zunächst jedoch, ob die Impulse und Hilfestellung bei der Entstehung der beiden Sender auch bedeuten, dass diese vollständig die Inskription des network builder RIZOMA übernehmen und welchen spezifischen Legitimationsforderungen sie sich stellen müssen.

Sowohl Rádio Amnésia als auch Rádio Luta lassen keinen Zweifel daran, dass sie sich als Freie Radios verstehen. Zugleich markieren sie jedoch auch eine gewisse Distanz zum Skript von RIZOMA und seinen zum größten Teil universitären Autor_innen. Rádio Amnésia kritisiert vor allem die kollektive Größe der Mailingliste, denn die dortigen Debatten seien oftmals »geschlossen« und es gäbe eine Tendenz, »abweichende Interpretationen Freien Radiomachens aus[zu]grenzen. Doch gerade unsere Erfahrungen außerhalb der Unis sind wichtig, denn erst hier in einer community entfaltet ein Freies Radio seine volle Wirkung«.163

Anders verhält es sich bei Rádio Luta, wo die Singularität des Senders auch auf definitorischer Ebene herausgearbeitet wird. Zwar teilen die Machenden das Selbstverständnis Freier Radios, ohne die Anerkennung bestehender nationaler Gesetze ein Recht auf Senden zu haben, beschrieben wird das eigene Medium aber nicht nur als freies, sondern ebenfalls als »Arbeiterradio« oder auch als »Community Radio«.164 Letztere Bezeichnung, die derweil nicht von allen Beteiligten geteilt wird, spiegelt sich auch im Kontakt mit einem anderen network builder, nämlich dem lokalen Ableger ABRAÇO-SP wieder, dessen Unterstützung beim operativen Gebrauch erwünscht ist, dem Rádio Luta jedoch die Mitgliedschaft verweigert und dessen Audioproduktionen (vor allem die tägliche Magazinsendung Jornal do Trabalhador) nicht ausgestrahlt werden.

Die in diesen ersten Selbstverortungen der beiden Radiokollektive anklingenden Rückgriffe auf spezifische communities und deren Kultur, die es später noch genauer zu rekonstruieren gilt, schlagen sich auch bei der Auseinandersetzung mit spezifischen legitimation claims nieder. Permanent werden solche Forderungen im Sendegebiet von Rádio Amnésia vor allem von radikalen evangelikalen Pastor_innen und deren Gemeinden formuliert,

»denen die afrobrasilianische Kultur als Teufelswerk gilt. Aus diesen Beschimpfungen leiten wir direkt die Aufgabe ab, mit dem Radio kulturellen Widerstand zu leisten. Irgendjemand muss ja eine konzertierte Aktion organisieren, wenn bereits unsere Kinderlieder als dämonisch stigmatisiert werden«.165

Rádio Luta sieht sich demgegenüber weniger Anfeindungen ausgesetzt. Dennoch fordern die Arbeiter_innen der besetzten Fabrik die Kommunikationskomission, die für den Sendebetrieb zuständig ist, dazu auf, »den Mehraufwand, den das Radiomachen verursacht und durch den Arbeitskraft für den Produktionsprozesse verloren geht, [zu] begründen«.166

Sowohl die problematischen Forderungen evangelikaler Hass-Prediger_innen, als auch die nachvollziehbaren Rufe der Arbeitenden den Radiobetrieb zu rechtfertigen, stellen sich beide Sender, indem sie ihre Arbeit zu einem weiteren claim nach Anerkennungswürdigkeit in Beziehung setzen, nämlich den Anzeigen und der Kritik seitens anderer Medien. Denn gerade auf diese Weise gelingt es den beiden Kollektiven, ihre besondere informations- bzw. kulturpolitische Bedeutung herauszustellen. Nur Rádio Amnésia bringe »die lokale musikalische Vielfalt im Radio zum Klingen, Rhythmen wie den Maracatú, der über 400 Jahre alt ist, oder auch den Frevo und den Coco, die es immerhin schon seit gut einem Jahrhundert gibt«.167 Und nur Rádio Luta informiere zuverlässig über »den Kampf der Fabrikbelegschaft, während andere Medien nur einer weiteren Entfremdung der Arbeitenden Vorschub leisten«.168 Die in diesen Aussagen mitschwingende Delegitimierung anderer Medien nimmt vor allem kommerzielle Medien ins Visier, deren Berichterstattung es zu »hacken« gelte.

Auch im Hinblick auf umliegende Community Radios nehmen beide Sender klare Abgrenzungen vor und kritisieren, sich dem vom Staat für diese Radiokategorie formulierten Legalisierungszwang zu unterwerfen. Rádio Luta beschwert sich darüber hinaus, dass »eine Reihe genehmigter Community Radios durchaus Gewinnabsichten verfolgen«, und die rechtliche Anerkennung deshalb kein erschöpfendes Kriterium medialer Legitimation sei.169 Rádio Amnésia hingegen lehnt die legale Formel von ComRad als eine zu starke Einschränkung ab und besteht zugleich darauf, dass Freies Radiomachen im Vergleich ein »offeneres Konzept« sei, dass »andere Verbindungen knüpft und breitere Bündnisse eingeht, vor allem im Bereich der Kultur und der Technologie«.170

Wenig Bedeutung schenken die beiden Sender im Vergleich zu den claims anderer Medien dagegen den Legitimationsforderungen des Staates, der vermittels seiner legalen Auslegung unabhängigen Radiomachens ja durchaus den gewichtigen Anspruch formuliert, zentraler Garant der Anerkennungswürdigkeit zu sein. Überraschender Weise resultiert diese geringe Aufmerksamkeit nicht aus einer vollständigen Zurückweisung des staatlichen Regulierungsanspruchs: Rádio Amnésia kann sich »eine rechtliche Anerkennung Freien Radiomachens entsprechend unserer Charakteristika« durchaus vorstellen und auch Rádio Luta schließt eine Legalisierung nicht aus, »wobei, wie auch bei allen anderen Entscheidungen, das letzte Wort die Arbeitenden haben. In der Zwischenzeit ist es wichtig, über die Illegalisierungsversuche des Staates zu informieren und über die Daseinsberechtigung von Freien und Community Radios aufzuklären«.171

Damit die Freien Radios dieser informativen Rolle und anderen sich zugeschriebenen medialen Vermittlungen gerecht werden können, müssen sie jedoch zunächst einmal ihren eigenen operativen Gebrauch stabilisieren, und dabei – wie bereits auf dem Campus –, (1) spezifische Akteur_innen mobilisieren, (2) Strategien entwickeln, die ihre Reproduktion sicher stellen. Wie wird der Schutzmantel des Autonomiestatus der Universitäten ersetzt? Wie lassen sich Alternativen zu spezifischen positiven Reproduktions-bedingungen auf dem Campus (z.B. Soliparties, Technikgurus, etc.) finden und dafür Akteur_innen mobilisieren? Und welcher Beitrag zu einem spezifischen oder ganz allgemeinem Gemeinwohl (3) wird herausgestellt? Wie ich zeigen werde, orientieren sich diese Beiträge sehr stark an kulturell konnotierten communties und werfen die Frage auf, inwiefern dabei die im Rizoma-Skript inskribierte Prämisse größtmöglicher Offenheit und Partizipation am operativen Gebrauch gewährleistet wird.

(1) Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass beide Sender, ebenso wie die Freien Radios auf dem Campus, eine spezifische Soziabilität vermitteln oder aus anderer Perspektive als Ko-Konstitution von Gesellschaft und Technik rekonstruierbar sind. Im Unterschied zu den im vorherigen Kapitel betrachteten Radiokollektiven lässt ihre Situierung in einem afrobrasilianischen Kulturzentrum und in einer besetzten Fabrik jedoch deutlich heterogene Mobilisierungsstrategien und weiterführende Modifikationen des allgemeinen Skripts Freien Radiomachens vermuten.

Dies zeigt sich bereits bei der Suche nach der zentralen kollektiven Größe des Radiomachens, denn obwohl eine horizontale Entscheidungsfindung bejaht wird, gibt es Plenen nur in eingeschränktem Sinne. Auch wenn Rádio Amnésia »Treffen einberuft, um gemeinsam zu entscheiden, konsensuell und ohne Abstimmungen«, gibt es zwei konkurrierende Akteur_innen, die nur teilweise an dieses Gremium gebunden sind.172 Da ist zum einen das als Stiftung registrierte Kulturzentrum Coco de Umbigada, das auf formeller Ebene durch einzelne Ämter und Auflagen die basisdemokratische Organisation des Radios potentiell einschränken könnte. Und da ist Mãe Beth de Oxum, Mitbegründerin und seitdem Vorsitzende dieses Kulturzentrums, die in Olinda und darüber hinaus Anerkennung als Gottmutter (mãe de santo) und kulturelle leader der afrobrasilianischen community genießt. Für sie ist »das Radio Teil eines größeren religiösen und kulturellen Universums«, einem terreiro, in dem sich alles gegenseitig beeinflusse und in dem sie in ihrer Rolle als mãe santa zugleich die wichtigste Autorität ist.173 Auch sie moderiert wie das Radio Soziabilität und ist dabei zugleich ein Stück weit weltlichen demokratischen Kriterien erhaben. Mãe Beth kommt deshalb eine ambivalente Rolle bei der Legitimation von Rádio Amnésia zu, die es auf den folgenden Seiten noch genauer zu dokumentieren gilt.

Bei Rádio Luta gibt es auf den ersten Blick keine solchen exponierten Rollen, würden doch »alle Entscheidungen im Radio gemeinsam von den Arbeitern getroffen«.174 Diese Aussage unterschlägt jedoch, dass innerhalb der besetzten Fabrik die Entscheidungsfindung für jeweils ein Jahr an spezifische Repräsentant_innen delegiert wird. Kollektive_r Träger_in des Radiomachens ist nicht die Vollversammlung der Arbeitenden, sondern eine von dieser gewählte Kommunikationskommission (auch Mobilisierungskomitee). Dieser Umstand lässt sich durchaus als eine strukturelle Härtung des Sozialen verstehen, die schwer mit dem Skript horizontalen Medienmachens vereinbar scheint. Dieser Anspruch würde jedoch sehr wohl erfüllt, da »das Mobilisierungskomitee ja lediglich die von der Arbeiterdemokratie auf der Hauptversammlung beschlossenen Aufgaben des Radios erfüllt und zudem von der Fabrikkommission bei seiner Pflichterfüllung überwacht wird«.175

Ähnlich strittig wie die nachweisliche Realisierung horizontalen Radiomachens scheint in Rádio Luta die basisdemokratische Rollenteilung der Programmmachenden. Zwei der drei von mir in längeren Interviews befragten Arbeiter, gaben an, entweder aus Zeitgründen nicht mehr im Sender mitzuarbeiten oder bisher, trotz großem Interesse, noch nicht aktiv geworden zu sein.176 Von den gewählten Mitgliedern des Mobilisierungskomittees, die für diese Funktion von der Arbeit an den Maschinen befreit sind, organisiert derweil nur eine Person (Fernando) direkt den operativen Gebrauch. Auch wenn die anderen Komiteemitglieder sich mit Wortbeiträgen am Programm beteiligen, finden Live-Sendungen nur statt, wenn Fernando anwesend ist.

Zu beobachten ist eine zentrale Rolle bei der Organisation des operativen Gebrauchs auch bei Rádio  Amnésia. Sie drückt sich in der täglichen Präsenz und den umfangreichen technischen Fertigkeiten von Daniel, einem jugendlichen Musiker aus dem Coco-Ensemble von Mãe Beth, aus. Diese Präsenz diene vor allem dazu, zu »gewährleisten, dass das Radio als ein kollaboratives Werkzeug für die Menschen aus der Favela funktioniert. Außerdem versuchen wir zu vermeiden, dass sich Technik-Spezialiste_innen herausbilden und legen Wert darauf, dass die Mitwirkenden von allem ein bisschen was können«.177 Die Programmmachenden von Rádio Amnésia, das sind vor allem Jugendliche, die meistens Interesse anmelden, ihre Sendungen an einen bestimmten Musikstil zu orientieren.

»Die einzelnen Sendeplätze werden beim Zusammentreffen aller Beteiligten an einem Tisch im Garten des Kulturzentrums vergeben. Solche Treffen gibt es immer dann, wenn sie notwendig sind und wir den Sendeplan neu aushandeln. Es ist aber stets auch möglich, ohne eigenes Programm im Radio vorbeizuschauen und mitzumachen«.178

Die Grenzen dieser Offenheit zieht der Sender vor allem auf musikalischer Ebene. Populäre brega-Songs werden nicht gespielt, da dieser Stil Pädophilie und Gewalt gegen Frauen fördere. In Rádio Luta gibt es weder solcherlei no-gos noch feste Regeln, die die Partizipation und demokratische Sendeplatzvergabe anleiten, vielleicht auch deshalb, weil der Sender sich bisher nicht von der zentralen Rolle Fernandos emanzipiert hat. Ebenso wenig ist bisher eine gender policy etabliert worden.179 Eine solche wurde bisher auch nicht bei Rádio Amnésia formalisiert, dafür werden bei der Mitarbeit dort jedoch die »starken Frauen und Kriegerinnen, die auch leaders vieler terreiros sind« als kulturelle Norm herausgestellt.180 Dabei handle es sich »nicht immer um sichtbare Protagonistinnen, da oft die babás, männliche religiöse leaders, die öffentliche Wahrnehmung dominieren. Aber Frauen sind in der populären Kultur Pernambucos ein ganz starkes Element. Geschlecht (genero) ist ein wichtiges Thema für die Kultur unseres Landes und für unser Radio«.

Mãe Beth bestätigt die Gültigkeit dieser Aussage auf vielfältige Weise, so auch bei der Organisation des Ortes, von dem aus gesendet wird. Sie organisiert nicht nur die lokale religiöse Gemeinschaft ihres terreiros, sondern ist zugleich auch Vorsitzende des eingetragenen Vereins, der das Haus mietet, in dem das Studio untergebracht ist. Die Radiokabine ist in einer Nische am Ende des größten Raumes angeordnet, in dem Proben, Veranstaltungen und Workshops stattfinden. Auf diese Weise gibt es stets »die Möglichkeit, alle Events des afrobrasilianischen Kulturzentrums auch zu übertragen bzw. besteht umgekehrt für alle Anwesenden die Möglichkeit, das Radio kennenzulernen und sich zu beteiligen«.181 Eine ähnliche Idee liegt auch die Einrichtung von Rádio Luta in einem großen Versammlungsraum der besetzten Fabrik zugrunde. In beiden Fällen wird somit deutlich, dass die Anerkennungswürdigkeit, zumindest ihrem Anspruch nach, auf Partizipation und Offenheit rekurriert. Dennoch ist im Folgenden genauer herauszuarbeiten, inwiefern für die Stabilisierung des operativen Gebrauchs ohne Genehmigung dabei gewisse Konzessionen gemacht werden.

Zuerst möchte ich den Blick jedoch auf die Akteur_innen der Audioketten (vgl. EN4) lenken, da diese insbesondere dabei helfen, das Handlungsprogramm des Sendens und dessen spezifische Legitimation zu erschließen. Wie bereits bei den Freien Radios auf dem Campus haben die als Studiotechnik subsumierbaren Akteur_innen Anteil an der medialen Anerkennungswürdigkeit, insofern sie die Signalerzeugung ermöglichen. Zugleich werden die meisten Entitäten nicht über ihren Artefakt-Status hinaus mobilisiert, möglicherweise auch deshalb, weil immer nur ein Teil von ihnen aktiv beteiligt ist, sei es, weil sie defekt sind oder aber, weil es gerade niemanden gibt, der sie erfolgreich in die Audiokette integrieren kann.182 Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied bei der allgemeinen Beschreibung der Technik. Für Rádio Luta bleiben Kabel, Computer und Mischpult Instrumente, schlichte Intermediäre für die Übertragung und öffentliche Organisation ihres Arbeitskampfes. Rádio Amnésia dagegen setzt sich – wie die im vorherigen Kapitel betrachteten Sender – mit dem Verhältnis von Gesellschaft und Technik eher im Sinne einer gegenseitigen Durchdringung und Befähigung auseinander, einer Ko-Konsitution, die die Grenzen beider Kategorien porös werden lässt und bei der das Senden als ein »komplexer Aneignungsprozess« verstanden wird, »bei dem sich alle Beteiligten [inklusive der »Technik«] um die afrikanische Matrix, um unsere Wurzel herum gruppieren«.183

Dieser Rekurs auf eine »Verstärkung und Fortführung der Anzestralität« durch neue Akteur_innen findet seine Fortsetzung bei der Einbindung Freier Software in die Signalerzeugung.184 »Sie ist wichtiger Bestandteil des Freien Radiomachens und die gemeinschaftliche Entwicklung und Pflege der Software ist 100% kompatibel mit unserer kollektiven Arbeitsweise«.185 Auch Rádio Luta sieht in der Freien Software eine_n wichtige_n, legitimationssteigernde_n Akteur_in, »die wir aber bisher nicht zu nutzen wissen, denn uns fehlen bisher die Kapazitäten. Das muss in der Praxis wachsen«.186

Die Anerkennungswürdigkeit sucht der Sender beim operativen Gebrauch deshalb unter Einbindung einer anderen Entität, nämlich dem Windows Media Player, der als Automatisierungs-Software genutzt und die Signalerzeugung in Abwesenheit menschlicher Programmmachender garantiert. Diese spezifische Härtung des Sozialen geht jedoch über die ununterbrochene Aufrechterhaltung des Signals hinaus. Gezielt werden auch aufgezeichnete oder vorproduzierte Wortbeiträge und weitere, für den Arbeitskampf relevante, Informationen wiederholt. »Das Radio läuft meistens auf Automatik, weil wir die Produktion in der Fabrik nicht vernachlässigen können und für mehr schlicht keine Zeit haben«.187

Diese spezifische Mobilisierung ließe sich analog zum Medienmachen von Rádio Amnésia als »Verstärkung und Fortführung des Arbeitskampfes« interpretieren, jedoch mit dem Unterschied, dass Rádio Luta seine Legitimation vor allem daran festmacht, konstant und weithin hörbar zu sein. Diese Strategie wird einmal mehr bei der Gewichtung von Übertragungen im Internet vermittels streaming deutlich. Was für Rádio Amnésia ein Experiment ist, preisen die Machenden von Rádio Luta als einen Weg, auch viele Hörer_innen außerhalb des Sendegebiets zu erreichen und die Bewegung der Fabrikbesetzungen damit auch international bekannter zu machen. »Die User-Statistiken belegen, dass wir auch in Europa oder Russland gehört werden. Wir wissen zwar nicht, ob man uns tatsächlich versteht, aber wir sind zumindest sichtbar«.188

Für die Hörbarkeit im Sendegebiet ist dagegen die Mobilisierung von Antennen und Sendegeräten entscheidend. Beide Sender haben ihr Equipment dabei ganz an den von ihnen als ihre communities verstandenen potentiellen Hörer_innen ausgerichtet. Durch die Nutzung eines hohen Gebäudes (35m) erreicht Rádio Luta mit einer Sendestärke von 50 Watt »eigentlich die anliegenden 30 Gemeinden, in denen ein Großteil der Arbeitenden und ihrer Familien lebt«.189 Rádio Amnésia beschallt dagegen mit einer in zwölf Metern Höhe installierten Antenne und einer Sendestärke von 150 Watt normalerweise alle Gemeinden im Umkreis von 40 Kilometern«. In beiden Aussagen wird diese Vermittlung jedoch durch die Adverbien eigentlich und normalerweise eingeschränkt. Denn die entscheidende Größe bei der Moderation menschlicher Sozialität ist nicht immer vollständig mobilisierbar. Rádio Amnésia »fehlt gerade das Geld«, das Sendegerät, das nicht mehr mit voller Stärke arbeitet, zu ersetzten und »alle Versuche, es zu säubern oder zu reparieren sind fehlgeschlagen«.190 Bei Rádio Luta sind neben knapper finanzieller Ressourcen auch die peripheren Gerät (Studiotechnik) und die Stromversorgung ein Problem, um den operativen Gebrauch des Sendegeräts ständig zu gewährleisten. Die Anerkennungswürdigkeit wird in den Erzählungen der Beteiligten deshalb auch stärker am Nachweis der Mobilisierung des Sendegeräts anstatt an dessen tatsächlich empfangbaren Übertragungen orientiert.

 

Dass der Empfang für die mediale Legitimation hingegen nicht unwichtig ist, illustriert sehr schön der Versuch von Rádio Amnésia, die Leistung ihres lädierten Sendegeräts zu messen: »Ich rufe im Radio immer wieder namentlich die Gemeinden auf, in denen wir vorher zu hören waren, um zu erfahren, ob das Signal auch jetzt noch dort ankommt. Das ist unsere einzige Möglichkeit« - den operativen Gebrauch zu testen.191 Wie schon im Fall der Freien Radios auf dem Campus wird deutlich, dass die Anerkennungswürdigkeit nicht allein als ein individuelles Recht auf Radiomachen, »als das Recht eines jeden Bürgers, seine Meinung oder Musik zu verbreiten« verteidigt wird. Zugleich wird auch »eine soziale Agenda für die Bevölkerung der Region« inskribiert, also zunächst eine relativ breite Legitimation, die sich an der Geographie des Sendegebiets orientiert.192 Rádio Luta wendet sich hierbei an »das dicht besiedelte Viertel« im Allgemeinen, dessen Bewohner_innen den Sender und damit auch die besetzte Fabrik potentiell unterstützen sollen. In Olinda hingegen versucht Rádio Amnésia vor allem das periphere Viertel zu erreichen in dem es liegt, »die Favela, denn das Radio ist ihre Stimme«.193 Doch warum beziehen sich beide Stationen hier ganz explizit auf eine Gemeinde, die eigentlich viel kleiner ist als die Gesamtheit potentieller Hörer_innen in ihrem Sendegebiet?

Eine Erklärung ist, dass bei diesen Beschreibungen vor alle eine »komplizierte« community angesprochen ist, d.h. eine Gruppe von Menschen, die in der unmittelbaren Nähe des Senders lebt und für eine aktive Beteiligung gewonnen werden soll. Demgegenüber steht das Interesse, zugleich eine Reihe komplexer Akteur_innen als Legitimationsträger_innen zu mobilisieren. Es fällt auf, dass beide Radio versuchen, dafür – analog zu der akademischen community der Freien Radios auf dem Campus – zunächst eine zentrale kollektive Entität zu inskribieren. Die Fabrik- und Arbeiter_innengemeinschaft ist es, die im Falle von Rádio Luta »stets ein Interesse am Erhalt des Sender haben sollte, denn das Radio ist eingebunden in die Selbstorganisation der Fabrik und nach Außen zugleich der hörbare Beleg, dass unsere gemeinschaftliche Verwaltung funktioniert«.194 Rádio Amnésia wiederum stellt sich in den Dienst der afrobrasilianischen oder auch noch weiter gefassten afroindigenen communities, die den Sender unterstützen, da er eine wichtige Rolle dabei spiele, ihre kulturellen Wurzeln zu erhalten und zu stärken.

»Religion, Symbolik, kulturelle Praktiken wie das Sprechen, das Essen, die Kleidung, die Musik – all das, was in anderen Radios ausgeblendet wird, kurzum die Kultur unserer Gemeinschaft, die populäre Kultur unseres Landes, lebt in Rádio Amnésia.«195

Doch wie inklusive und offen ist diese_r riesige kollektive_r Akteur_in? Kommt es nicht zu Reibungen, wenn Mãe Beth den Sender als »ein Spielzeug« (brinquedo) ihres terreiros oder als »spirituelles Transportmittel der schwarzen Schöpfungsgeschichte und der Magie des Candomblé« beschreibt? Diesen Einwand verneint das Radiokollektiv auf doppelte Weise. Zum einen gehe es nicht darum, zu missionieren, sondern »die universelle Geschichte der Orixás zu erzählen, um eine Reflektion über die mystische Dimension des Daseins« anzuregen.196 Zugleich sei die zentrale Rolle des Candomblé »keine Glaubensfrage, sondern darin begründet, dass gemeinschaftliches Leben und Handeln dort ein große Bedeutung haben, Prinzipien, die für das Radiomachen zentral sind«.197

Beide Radios lassen keinen Zweifel daran, dass sie neben diesen zentralen Entitäten weitere komplexe Akteur_innen mobilisieren, um ihre Anerkennungswürdigkeit zu stärken. Vor Ort sind dies vor allem Studierende, Künstler_innen- und Medieninitiativen.198 Sichtbar wird in diesen Beschreibungen auch die wichtige Rolle anderer Freier Radios, die nicht nur beim Aufbau behilflich waren, sondern auch bei der anhaltenden Vermittlung von Kontakten und weiteren Unterstützungs-leistungen.199 Diese Kooperation zeigt zugleich, dass sich beide Radiokollektive nicht darauf reduzieren lassen, lokale Radios sei sein. Rádio Amnésia versteht sich nicht nur als Teil von RIZOMA, sondern zugleich als spirituelle translokale Brücke zu anderen communties und deren kulturellen Größen.200 Und Rádio Luta sieht sich selbst als anerkannte_n Akteur_in der vernetzten Bewegung der besetzten Fabriken. Damit ist zugleich die wichtigste soziale Bewegung beschrieben, auf die Rádio Luta einen Teil ihrer Anerkennungswürdigkeit begründet. Während Rádio Amnésia an dieser Stelle eine ähnlich zentrale Bezugsgröße fehlt, handeln die beiden Sender praktisch ganz ähnlich, in dem sie »selektiv mit sozialen Bewegungen und Gruppen bei Kampagnen und der Ankündigung von Events kooperieren«, ansonsten aber feste institutionelle Bindungen meiden.201

Eine solche selektive Kooperation kennzeichnet auch die Beziehungen zu staatlichen Akteur_innen, wobei die Mobilisierungen von Rádio Amnésia dabei deutlich erfolgreicher und vielfältiger verlaufen. Sowohl die lokale als auch die bundesstaatliche Regierung nutzt den Sender, um Aufklärungs- und Gesundheitskampagnen zu verbreiten und bezieht das Kulturzentrum, zu dem das Radio gehört, jedes Jahr in die Vorbereitung und Realisierung des Karnevals ein. Auch in der besetzten Fabrik Flaskô gibt es einige »gemeinsame Initiativen mit dem lokalen Kulturdezernat, aber nicht direkt mit dem Radio. Andere Ämter arbeiten zudem offen gegen die selbstorganisierte Fabrik und unsere Wohnprogramme, wenn sie zum Beispiel den Anschluss von Wasserleitungen verweigern«.202 Solche offenen Konflikte mit dem Staat kennt Rádio Amnésia nicht. Im Gegenteil, die Förderung des Kulturzentrums Coco de Umbigada als ein ponto de cultura seit dem Jahr 2002 begünstige indirekt auch die Arbeit des Radios, ohne dass das Kollektiv dafür beim Radiomachen Zugeständnisse machen müsse.203

Für die Partizipation der komplizierten und komplexen Akteur_innen greifen beide Sender auf bereits aus dem vorherigen Kapitel bekannte Entitäten zurück. Studiotelefone moderieren menschliche Sozialität, wenn beispielsweise »Arbeiter anrufen, um sich an den Diskussionen der Sendungen zu beteiligen« oder »die community ihre Musikwünsche durchgibt«.204 Zugleich wird auch online kommuniziert: beide Sender »härten« ihre Organisation vermittels interner Mailinglisten und bieten auf ihren Internetseiten Möglichkeiten an, um mit den Radiomachenden in Kontakt zu treten oder, im Fall von Rádio Luta auch, um gemeinsam zu handeln.205

Deutlich geworden ist bei dieser ersten perspektivischen Annäherung an die beiden Radiokollektive auf der Abstraktionsebene der Akteur_innen, dass hinsichtlich der Mobilisierung komplexer Akteur_innen gewisse Veränderungen vorgenommen werden, jedoch ein ähnliches Muster wie bei den Freien Radios auf dem Campus erkennbar belibt: eine für die Anerkennungswürdigkeit zentrale community wird benannt und daneben eine Reihe weiterer Helfer_innen inskribiert. Gewichtige Modifikationen wurden dagegen bei der Organisation der zentralen kollektiven Trägerschaft des operativen Gebrauchs deutlich. Durch die Präsenz starker, individueller Akteur_innen (Mãe Beth, Fernando) und einer institutionellen Akteurin (eingetragene Stiftung), ist die horizontale Organisation der Sender und die daran gekoppelte Legitimation herausgefordert – ein Problem, das sich auch bei der Stabilisierung des operativen Gebrauchs mit der Zeit manifestieren wird?

(2) Rádio Amnésia und Rádio Luta sind im Vergleich zu vielen Freien Radios auf dem Campus jünger. Dennoch erklärt allein dieser Umstand nicht, warum in beiden Sendern immer noch die jeweils erste Generation der Machenden stark präsent ist. Vielmehr macht bereits dieser Umstand deutlich, dass die Stabilisierung des Medienmachens in der Zeit hier nicht an eine zyklisch (semesterweise) Mobilisierung gekoppelt ist, sondern bisher vor allem von der Kontinuität zentraler individueller Akteur_innen abhängt. Diese garantieren den operativen Gebrauch, auch wenn durch die Präsenz weiterer Machender »eine größere Intensität bei der Arbeit erreicht« wird.206

Auch wenn in beiden Radiokollektiven eine breite Beteiligung erwünscht ist, wird diese – vielleicht auch aus ganz pragmatischen Gründen – kaum für die Konstruktion medialer Anerkennungs-würdigkeit herangezogen. Entgegen den »colegas« auf dem Campus rekurrieren sie dagegen stark auf ein Handlungsprogramm kontinuierlichen Sendens und Hörbarseins. »Wir sind 24 Stunden auf Sendung und jede Minute zeigt, dass die Fabrikbesetzung lebt«, heißt es bei Rádio Luta. Auch Rádío Amnésia hat diesen Anspruch, um »die Existenz der afrobrasilianischen Kultur zu sichern« - und dennoch divergieren beide Strategien in einem wichtigen Punkt.207 Während die radialistas aus Olinda täglich mindestens acht bis neun Stunden Live-Sendungen organisieren, übernimmt bei Rádio Luta vor allem »Dj Random« diese Aufgabe. Auch wenn es Momente mit einer größeren Beteiligung geben soll, stellt sich hier deshalb die Frage, wie viel Abwesenheit menschlicher Akteur_innen die Legitimation eines Radios verträgt, dass sich ihnen gegenüber konzeptuell als offen und partizipativ definiert.208

Der entscheidende Garant für die Stabilisierung in der Zeit für Rádio Luta scheint ohnehin die erfolgreiche Organisation der Fabrik – ein Umstand, der auch bei der Verteidigung des Senders deutlich wird. In Rückgriff auf die bereits im vorherigen Kapitel (4.2) erprobten Kategorien lässt sich feststellen, dass der Sender sich nicht darum sorgt, on air mit seinen Signalen Interferenzen bei anderen Nutzer_innen zu vermeiden. Rádio Amnésia, die ihre Antenne nicht hinter dem Zaun eines bewachten Fabrikgeländes installiert haben, »versuchen Konflikte mit ANATEL aus dem Weg zu gehen. Wichtig ist dabei vor allem, nicht im Umfeld von Flughäfen hörbar zu werden oder großen Kommerzradios dazwischen zu funken«.209 Sich für die Konfliktvermeidung auf eine niedrige Sendestärke und eine entsprechend niedrige Reichweite einzulassen, stehe dagegen außer Frage, »denn was sollen wir mit einem Kilometer Reichweite? Unsere Trommeln dröhnen weiter, dafür muss ich mir nicht die Mühe machen, ein Radio zu organisieren.«210

Der Klang der Trommeln spielt auch für eine etwaige Verteidigung on the ground eine wichtige Rolle. Im Falle einer Aggression würden sie dazu genutzt, das terreiro zu mobilisieren. Während Rádio Luta durch den kontrollierten Fabrikzugang nicht auf den ständigen Zuspruch der angrenzenden Viertel angewiesen ist, fällt die Anerkennungswürdigkeit von Rádio Amnésia ein Stück weit mit der wachsenden religiösen Autorität von Mãe Beth zusammen. »Als sie hierher kam, kannte sie kaum jemand. Sie wurde öffentlich zuerst als Musikerin wahrgenommen. Nach und nach wuchs nicht nur ihr terreiro sondern auch die Anerkennung durch den Staat«.211 Heute empfängt Mãe Beth Anhänger des Candomblé-Glaubens zu Ritualen, organisiert Workshops für Musiker_innen und tritt vor lokalem Publikum auf - »und vielen von ihnen hören eben auch unser Radio und würden sich im Fall einer Aggression schnell mobilisieren«.212

Was schließlich die Verteidigung in the studio angeht, so ist in Rádio Luta festzustellen, dass alle Arbeiter_innen zunächst uneingeschränkt Zugang zur Sendetechnik haben und »darauf vertraut [wird], dass niemand einen falschen Stecker zieht«.213 Bei Rádio Amnésia hingegen gibt es wie in den Freien Radios auf dem Campus Schlüssel, die die sozialen Beziehungen härten und sogleich die menschliche Sozialität im Sinne einer Zugehörigkeit als komplexe Akteur_in definieren, denn neben Mãe Beth haben nur eine kleine Zahl ständiger Mitwirkender uneingeschränkten Zugang zum Sender.214

Mit diesen Verteidigungsstrategien allein ist die Kontinuität des operativen Gebrauchs jedoch nicht zu garantieren. Gerade angesichts der relativ dünnen Personaldecke menschlicher Akteur_innen in beiden Sendern erscheint die Weiterbildung von Radiomachenden als ein äußerst wichtiges Handlungsprogramm. Und tatsächlich inskribieren beide Kollektive eine »grundsätzliche Wissensvermittlung für alle, die Programm machen wollen, um schnellstmöglich loslegen und allein Radio machen zu können«.215 Bei der Mobilisierung solcher Akteur_innen ist Rádio Amnésia jedoch ungleich erfolgreicher. Im Kulturzentrum gibt es einen permanenten Radioworkshop, angelegt als »eher informelle Einführungen ins Radiomachen, wenn gerade keine Projektgelder vorhanden sind, oder aber als großer Workshop, wenn wir können«.216 In den Gesprächen ist erstmals auch von »verschiedenen Generationen Ausgebildeter« die Rede, »die jedoch nicht im Radio geblieben, sondern heute zum Beispiel als professionelle Musiker_innen in aller Welt unterwegs sind«.217 Rádio Luta ist dagegen weit davon entfernt, Opfer des eigenen Erfolgs zu sein, sondern darum bemüht, »in den wenigen kollektiven Sendungen immer auch über das Medium zu sprechen, gemeinsame Aneignung und Weiterbildungen zu planen und zu überlegen, wie man das Radio noch nutzen könnte«.218

Rádio Luta kann seine mediale Stabilisierung in puncto Weiterbildungen also nicht realisieren und lediglich versuchen, seine Anerkennungswürdigkeit in der Bemühung um eine Vermittlung praktischen Radiomachens zu stärken. Rádio Amnésia erfüllt zwar den Anspruch, »Leute auszubilden, die selbständig Freie Radios installieren oder einen Workshop machen können«, sieht sich aber mit dem Problem konfrontiert, diese Entitäten nicht dauerhaft im eigenen Sender mobilisieren zu können.219 Um zumindest immer einen minimalen operativen Gebrauch gewährleisten zu können, haben die Sender deshalb mit einem no-go der Campus-Sender gebrochen: bezahlte Arbeit im Radio. In Olinda handelte es sich dabei um einen punktuellen Versuch, »mit Hilfe einer finanzierten Stelle die Kontinuität im Radio sicherzustellen und die Ausbildung neuer Radiomacher_innen anzuschieben«.220 Was in Rádio Amnésia ein bisher nicht wiederholtes Experiment blieb, ist in der besetzten Fabrik die Regel: wie alle Arbeiter_innen werden auch die Mitglieder des Kommunikationskommitees monatlich entlohnt.

Während das vom network builder RIZOMA inskribierte Legitimationsmerkmals unentgeltlicher Mitarbeit, wenn nicht abgelehnt so zumindest praktisch nicht mobilisiert wird, greifen die beiden Sender die übrigen Strategien einer um Anerkennungswürdigkeit bemühten Finanzierung ihres Medienmachens weitestgehend auf. Trotz der weiter oben erwähnten prekären finanziellen Situation beider Radios, halten sie an dem Prinzip fest, keinerlei Werbung zu senden. Auch Sponsoring (apoio cultural), welches das Gesetz als legale Einkommensquelle der Community Radios zulässt, wird abgelehnt, denn »wir haben kein Interesse, ein hübsches Studio einzurichten, indem wir große Firmen für ein Sponsoring gewinnen oder für sie Promotionshows organisieren. Das wäre kein freies, sondern ein kommerzielles Radio«.221 Stattdessen greifen die Radios auf die,auch von anderen Radios häufig genutzten, Handlungsprogramme wie Spendensammeln, Soliparties oder den Verkauf selbst produzierter T-Shirts und CDs zurück.222 Auf einen Anteil der Gewinne aus der Fabrikproduktion kann Rádio Luta entgegen vieler Gerüchte jedoch nicht zurückgreifen, denn »Lage ist immer kritisch und obwohl es einen festen Kundenstamm gibt, werden alle Überschüsse für den Verkauf von Rohstoffen oder Reparaturen zurückgelegt«.223

Rádio Amnésia wiederum hat die Erfahrung gemacht, sich besser nicht zu stark von der finanziellen Kooperation mit dem Kultusministerium (MinC) abhängig zu machen. Zwar ist das Radiokollektiv überaus erfolgreich darin, die Projektmittel des Kulturzentrums Coco de Umbigada indirekt nutzzunießen und somit nicht den unabhängigen Charakter des Freien Senders zu exponieren. Budgetkürzungen, nicht gezahlte Preisgelder oder verspätete Zahlungen des MinC hätten jedoch die Gefahren aufgezeigt, denen alle jene ausgesetzt sind, die sich zu sehr auf eine Geber_in verlassen. Deshalb hat das Radiokollektiv sich dazu entschlossen, neben seiner gemeinnützigen Arbeit auch als kommerzieller Dienstleister aufzutreten und damit das Medienmachen anteilig zu finanzieren. Auf einer gesonderten Website werden Dienste für Grafik- und Webdesign, sowie professionelle Audioaufnahmen oder auch die Installation von WIFI-Antennen angeboten.224 Diese Einkünfte seien legitim, solange sie nicht mit Handlungsprogrammen kollidieren, die als kennzeichnend für eine stabile Signalerzeugung erachtet werden. Doch welche Handlungsprogramme gehören explizit dazu? Während einige Akteur_innen des Senders beispielsweise strikt gegen eine entgeltliche Ankündigung von Kulturveranstaltungen im Radio oder die Teilnahme an Workshops sind, sagen andere Mitwirkende, solcherlei Handlungsprogramme seien in Notsituationen gerechtfertigt.225

Handlungsprogramme, die das Medienmachen in der Zeit stabilisieren, sind also keineswegs statisch und eindeutig. Vielmehr ist in beiden Sendern ein pragmatischer Umgang mit den Inskriptionen von Rhizoma erkennbar, der sich an den spezifischen Situationen der Radiokollektive orientiert. Im Falle von Rádio Luta wurde deutlich, wie stark die relationale Kopplung an die besetzte Fabrik die Anerkennungswürdigkeit des Sender stärkt und vice versa. Die Belegschaft von Flaskô lässt sich als Nachweis einer aktiven Beteiligung beim Medienmachen heranziehen, welches seinerseits die hörbare Existenz der selbstorganisierten Fabrik garantiert. Ähnlich gelagert ist die Situation von Rádio Amnésia, wo das Radio zum kulturellen (Über)leben der afrobrasilianischen community beiträgt und diese wiederum das Medienmachen schützt und unterstützt. Zugleich hat eine genauere Analyse dieser Übersetzungsketten jedoch gezeigt, dass sie einige legitimatorische leaks aufweisen: die wenig erfolgreiche Strategie zur Mobilisierung direkt in den operativen Gebrauch involvierter Akteur_innen in Rádio Luta zum Beispiel oder dessen wenig partizipative Verteidigung, die ihre soziale Härtung vor allem an einem Fabrikzaun festmacht oder schließlich die Frage bezahlter Arbeit und die Grenzen entgeltlicher Dienstleistungen in Rádio Amnésia. Nur die Notwendigkeit, das darin liegende delegitimierende Potential nicht ohne eine akribische Dokumentation des operativen Gebrauchs sichtbar machen zu können, schützt die Sender ein Stück weit davor, ihre Anerkennungswürdigkeit ständig auch auf dieser Abstraktionsebene nachweisen zu müssen.

(3) Anders verhält es sich dagegen mit dem Beitrag der Sender zu einem spezifischen Gemeinwohl – denn gerade der exogene, oft instrumentelle Blick auf unabhängige Radios fordert diesbezüglich einen schlüssigen Nachweis ein. Die intensive situative Einbindung in zwei communities drückt sich erwartungsgemäß auch in der Übersetzung spezifischer Beiträge zu deren Gemeinwohl aus. Ähnlich den Freien Sendern auf dem Campus operationalisiert Rádio Amnésia das »Recht auf Party«, organisiert mit weiteren Entitäten des Kulturzentrums an jedem ersten Samstag im Monat einen Tanz auf der Straße. Das Radio versteht sich vor allem als ein Promoter der musikalischen Kultur, sorge aber auch für Begegnungen und »verwickelt Menschen in soziale Prozesse im Stadtviertel«.226 Auch Rádio Luta promoted erfolgreich Veranstaltungen, vor allem selbstorganisierte Aktivitäten in der Arbeiter_innen-Community, wie zum Beispiel Capoeira-Kurse, eine gemeinsames wöchentliches Feijoada-Essen oder künstlerische Projekte«.227 All das habe es vor der Besetzung und den Mobilisierungen im Radio nicht gegeben. Mit diesen Beiträgen legitimieren die beiden Sender ihre Aktivitäten in einer konkreten, lokalen Situation. Sie schaffen vorher nicht existente Räume, ganz ähnlich ihren Pendants auf dem Campus, die dort offene Treffpunkte und selbstorganisierte Veranstaltungen anleiten.

Während Rádio Muda, Várzea und Pulga dabei eine partizipative, universitäre Kultur fördern, lässt sich ein ähnlich gemeinwohltätiger Beitrag auch für die beiden anderen Medienkollektive feststellen. Rádio Amnésia tritt hier einmal mehr als Förderin der afrobrasilianischen Kultur auf, im Allgemeinen »aller schwarzen Musik, die nicht in anderen Sendern gespielt wird« und im Besonderen der

»schwarzen Musik Pernambucos und der Kultur unseres Candomblés, die wir weltweit bekannt machen wollen. Und auch vor Ort gibt es Nachholbedarf. All das, was lange Zeit verfolgt wurde und im Verborgenen stattfinden musste, können wir jetzt endlich öffentlich leben«.228

Die Arbeiter_innenkultur ist es, der sich dagegen Rádio Luta verschrieben hat. Um diese zu stärken, wird neben den bereits erwähnten Events auch immer wieder für Demonstrationen mobilisiert oder für Unterstützung, um unerwartete Schäden der Produktionsmittel zu beheben, die wiederum oft Arbeitsausfälle verursachen. Zugleich versteht sich der Sender als Fürsprecher_in der umliegenden Gemeinden und unterstützt deren Forderungen und Selbstorganisation.229 Es ist ihre Rolle als ein_e zentrale_r Mittler_in diesen Kulturen, die sich die Sender als legitimationssteigerndes Merkmal ihres operativen Gebrauchs zuschreiben. Die bereits erwähnte politische Bedeutung, die sich Rádio Luta als Instrument des Arbeiterkampfs zuschreibt, findet ihr Gleichnis in der Beschreibung Rádio Amnésias als ein »strategischer Bestandteil des Kulturzentrums, verstanden als politisches Projekt, das absolut notwendig ist, um sich an den Debatten in der Gemeinde zu beteiligen und auf die Lokalregierung einzuwirken«, oder auch »um mediale Räume zurückzugewinnen, die zu lange von Fußballmoderator_innen und evangelikalen Pastoren besetzt wurden«.230

Die Rolle politischer Fürsprecher_innen und -mittler_innen, die sich die Radios im Verhältnis zu spezifischen communities und Kulturen zuschreiben und die ihre Anerkennungswürdigkeit stärken, überschneidet sich mit einem weiteren Beitrag zum Gemeinwohl, nämlich der bereits im vorherigen Kapitel (4.2) beschriebenen »alternativen Kommunikation«. Ähnlich den Freien Radios auf dem Campus wird diese Mediation zunächst weiter gefasst als eine nachrichtliche Funktion.

»Es geht darum, die bereits bestehende Radiokultur zu erneuern, denn wir haben den Vorteil, dass die Fernsehkultur in unserem Viertel nicht so stark ist wie in anderen Landesteilen. Die Menschen verbringen die Nächte lieber auf der Straße als mit [dem kommerziellen TV-Sender, N.B.] Rede Globo«.231

Auch Rádio Luta versteht sich nicht »als reines talk radio« sondern hat den Anspruch, »neue Formate für Sport- und Musiksendungen [zu] entwickeln«.232 Neben dieser Überzeugung, anders Radio zu machen, teilen beide Sender zugleich ein vergleichsweise starkes Interesse, anders zu informieren. Rádio Amnésia inskribiert sich dabei »eine aufklärerische Rolle, was den Konsum von Drogen wie Crack oder den Gebrauch von Schusswaffen angeht« und organisiert regelmäßig »Themensendungen über Gewalt gegen Frauen, gegen Kinder oder Rassismus«. „Unser Ziel ist es, das Programm der kommerziellen Sender zu hacken«.233 Oberstes informatives Anliegen von Rádio Luta ist es dagegen, »gegen die mediale Isolierung der Bewegung der besetzten Fabriken anzukämpfen, die Wahrheit über die Situation der Fabrik zu berichten und immer wieder die Gerüchte einer Schließung zu widerlegen«.234 Auch wenn neben dieser strategisch-kommunikativen Rolle auch »individuelle Geschichten der Fabrikarbeiter_innen hörbar gemacht werden« sollen, ist nicht zu verkennen, dass die informative Pflicht des Senders stark auf die Fabrik fokussiert und die politische Mittler_innenrolle bezüglich der Anliegen umliegender Gemeinden nicht mit der gleichen Intensität übersetzt wird.235 Angesprochen werden »die Bewohner_innen der Peripherie und die ganze Welt« vor allem als Empfänger_innen, »von denen viele, Dank des Radios, eine besetzte Fabrik heute als ein ökonomisches Vorzeigemodell und nicht als deren hinausgezögerten Niedergang begreifen«.236 Die informationelle Legitimation läuft somit auf eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit der Fabrik Flaskô hinaus.

Dem von der Beobachter_innenperspektive durchaus als »propagandistisch« subsumierbare Informationsbeitrag von Rádio Luta fehlt es zudem an einer, in Rádio Amnésia sehr wohl angelegten Reflexion, über die eigene Art und Weise zu kommunizieren. Auch wenn in dem Fabrik-Sender betont wird, »Informationen sollten ohne Gewinnabsichten sozialisiert werden«, bleibt eine konkrete Übersetzung dieser anderen Art zu Teilen aus.237 Anders in Olinda, wo direkt an die Copyleft-Ideen des network builder RIZOMA angeknüpft wird, denn »die Rolle eines Freien Radios ist immer auch die praktische Unterstützung freien Wissens«. Dabei beteiligt sich der Sender zum einen aktiv am Kampf für eine Neuregelung des AutorInnenrechts und eine Ausweitung der öffentlichen Domäne von Audiomaterial.238 Zum anderen versucht das Radiokollektiv aber auch den creative commons-Gedanken in das eigene Projekt zu übersetzen.

»Auch deshalb spielen wir vor allem populäre regionale Musik. Für deren Musiker war creative commons immer schon normal. Autor_innenrechte sind eine Idee der Stars. Wir unterstützen dagegen einen einen anderen Prozess, denn wir wollen Musik aus der ganzen Welt hören und die ganze Welt soll unsere Musik hören können. Raus aus dem Ghetto, weg mit ECAD [der brasilianischen Rechteverwertungsagenur. N.B.]. Alle Musik, alle Informationen müssen frei sein«.239

Im Imperativ dieser Aussage klingt bereits eine Art Medienutopie an, die ich im vorherigen Kapitel ebenfalls als einen Beitrag zum Gemeinwohl identifiziert habe, da dabei erstrebenswerte Handlungsprogramme artikuliert werden.240 Während die Freien Radios auf dem Campus intensiv die Einführung einer offenen Plattform für Digitalradio und eine schrittweise Überwindung lizenzierten Rundfunks anstreben, schwebt Rádio Amnésia eher vor, »neue Telekommunikations-zentren (telecentros), so wie das unsrige, in anderen terreiros [zu] gründen und zu vernetzen.“ Nur so können wir mittelfristig die kulturelle Diversität in Brasilien stärken. Wir haben bereits eine neue Antenne aufgebaut«.241 Eine solche Vernetzung strebt auch Rádio Luta an. Unter dem Vorzeichen, »die internationalen Kämpfe der Arbeiter zu stärken«, sollen neben weiteren Radios auch »Community-TVs entstehen und Filmproduktionen organisiert« werden.242 Während die Pendants auf den Universitätsgeländen sich bei ihren Zukunftsvisionen vor allem auf eine geteilte Nutzung des elektromagnetischen Spektrums konzentrieren, versprechen sich die beiden anderen Sender eher von der Ausweitung der Formate und Übertragungswege einen legitimatorischen Schub für ihre Arbeit und einen Beitrag zum Gemeinwohl ihrer communities.243

Community – wie schon im vorherigen Kapitel wurde deutlich, dass Freie Radios diese_n kollektive_n Akteur_in auf zweifache Weise für ihr Medienmachen mobilisieren: zum einen als komplexe und potentiell auch komplizierte Größe der Signalerzeugung, zum anderen als (einen) Bezugspunkt des inskribierten Gemeinwohls. Gegenüber den Sendern auf dem Campus hat sich die Mobilisierung spezifischer communities jedoch noch einmal intensiviert und neben das von RIZOMA formulierte Skript Freien Radiomachens treten Einschreibungen, die nicht immer sichtbar, aber beim Besuch der beiden Sender doch präsent sind. Anders gesagt, lassen sich drei hidden transcripts aufspüren, die den allgemeinen Anspruch der Offenheit und Partizipation situativ einschränken. Zunächst koppeln beide Kollektive ihr Medienmachen an Orte (besetzte Fabrik, Kulturzentrum/terreiro), deren Zugänglichkeit bestimmten Regeln folgt, die außerhalb einer horizontalen Organisation der Signalerzeugung liegen. Zweitens inskribieren beide Sender eine deutlich homogenere community (Candomblé/Afrobrasilianische bzw. Arbeiter_innen-Communtiy) als die Radios auf dem Campus und schränken damit die Partizipation am operativen Gebrauch implizit ein. Und hinsichtlich der aktiv Beteiligten stellt sich in beiden Sendern schließlich die Frage, inwiefern auch der operative Gebrauch tatsächlich von horizontalen Handlungsprogrammen angeleitet ist: die mãe de santo in Rádio Amnésia ist irdischen Legitimationsansprüchen erhaben und bei Rádio Luta lässt sich nur von kollektivem Radiomachen sprechen, wenn neben der geringen Präsenz menschlicher Akteur_innen auch andere aktive Entitäten berücksichtigt werden.

Auch wenn diese Mobilisierungen in ihrer Legitimation angreifbar sind, so liegt in der Mobilisierung der spezifischen communities zugleich die Antwort auf die eingangs gestellt Frage, wie sich der Schutzmantel des  Autonomiestatus der Universitäten ersetzen lässt. Dementsprechend fokussiert ist auch der Beitrag zum Gemeinwohl definiert: für die eigene community oder ein Netzwerk ähnlicher Situationen. Prekär bleibt dagegen in beiden Fällen eine finanzielle und personelle Stabilisierung des Medienmachens. Dennoch leisten beide Sender den Nachweis, dass Freie Radios auch außerhalb des Campus existieren können, selbst wenn die dafür mobilisierten  situativen Akteur_innen-Konstellationen und Handlungsprogramme in einem ambivalenten Verhältnis zu dem Skript des network builder RIZOMA stehen.

Ambivalent deshalb, weil das Medienmachen von Rádio Amnésia und Rádio Luta nicht nur außerhalb der Perspektive eines immutable mobiles, sondern auch außerhalb des Verständnisses von Radio als zirkulierende Referenz liegt. Zum Vergleich: Freie Radios auf dem Campus verteidigen trotz ihrer situativen Dependenz von einer spezifischen community Freies Radiomachen weiterhin als ein abstraktes Konzept – selbst wenn dieses dabei der Idee eines empty signifiers entsprechen sollte (vgl. Kap. 1.1). Die beiden Sender außerhalb der universitären Räume hingegen entwickeln die situativen Modelle Freien Radiomachens dezidiert aus spezifischen communties heraus und verankern entweder sprachlich (Arbeiter_innenradio) oder konzeptuell (Fortsetzung der Anzestralität) zentrale Bezüge, die sich auch konsensuell schwer im Sinne eines gemeinsamen metacodes von Freiem Radiomachen auflösen lassen. Die »negative Medientheorie« von RIZOMA, die Legitimation vor allem an der Inskription eines medialen Raumes festmacht, der die größtmögliche Meinungsfreiheit garantiert, reibt sich in beiden Sendern an der essentialistischen bzw. funktionalistischen Kopplung an eine spezifische community, die dabei zur dezessiven Legitimationshelfer_in aufzusteigen scheint.

Auf oder abseits des Campus – Freie Radios legitimieren sich bei ihrem operativen Gebrauch, wie ich gezeigt habe, anteilig also auch durch Inskriptionen und Mobilisierungsstrategien von communities. Droht damit die konzeptuelle Grenze beider Formate unabhängigen Radiomachens zu verwischen? Und wenn ja, welche Konsequenzen hätte diese für den allgemeinen legitimation claim eines unabhängigen Radiomachens, dass sich gegen einen formal-demokratischen Legalismus als letzten Rechtsgrund auflehnt?  Eine Antwort darauf wird sich erst nach der folgenden Betrachtung von Community Radio-Kollektiven geben, die mit und ohne Genehmigung den brasilianischen dial bereichern.

 

4.4 Community Radios ohne Genehmigung

 

Auch wenn das Kommunikationsministerium darauf pocht, nur ein legalisiertes Community Radio sei tatsächlich auch ein Community Radio, gibt es in Brasilien Tausende Radiokollektive, die das anders sehen und ohne Genehmigung senden.244 Die Vermutung liegt nahe, dass diese Sender viel mit den bisher besprochenen Freien Radios gemein haben müssten, denn auch sie suchen ja nach einer Legitimierung und Stabilisierung, die ohne eine gesetzliche Anerkennung auskommt. Zugleich sind ihre medienpolitischen Positionen und Entstehungsgeschichten äußerst variabel, so auch im Fall der Sender, die ich in diesem Kapitel untersuchen werde. Da ist zunächst der Sender Canal Mais, gelegen im Parque Jaraguá, »einer Favela mit ungefähr 28.000 Einwohnern«245 an der Peripherie der Kleinstadt Bauru im Inneren des Bundesstaats São Paulo. Bereits seit 1998 ist eine Nachbarschaftsinitiative dort aktiv, um Radio zu machen. Schließungen durch ANATEL und die Polizei haben Canal Mais jedoch immer wieder zu Sendepausen gezwungen, so auch am 14. April 2010, als erneut das Equipment konfisziert wurde.

Etwa fünf Monate nach der Schließung von Canal Mais begann in Rio de Janeiro Rádio Santa Marta unter ganz ähnlichen Vorzeichen seine Arbeit. Die gleichnamigen Favela ist seit 2008 einer der Schauplätze des sicherheitspolitischen Programms UPP, einer polizeilichen Pazifizierungsmaßnahme. Einige Bewohner_innen entschieden sich, diesen Prozess medial zu begleiten, und zwar vermittels eines eigenen Radios, das sicherstellen sollte, »dass die lokale Bevölkerung auch als soziale Akteurin anerkannt wird« – ein Vorhaben mit großem aber nicht dauerhaftem Erfolg, wie wir im Weiteren noch sehen werden.246 Ununterbrochen auf Sendung sind dagegen zwei Community Radios, die in Vororten von Campinas in São Paulo arbeiten, nämlich Rádio Sky und Rádio União. Diese unterscheiden sich als dezidiert evangelikale Sender jedoch stark von den Stationen in Bauru und Santa Marta. Radio Sky entstand nicht als Anwohner_inneninitiative, sondern als privater Zeitvertreib eines arbeitslos gewordenen Metallarbeiters, der seine Abfindung in Radioequipment investierte und in mehrjähriger Arbeit einen Sender mit einem religiösen Profil schuf.247 Rádio União hingegen, das in der Nähe des Flughafens Viracopos liegt, wurde im Jahr 2004 von einem Pastor gegründet, »der der Gemeinde das Equipment schenkte und sich seitdem um die Organisation des Senders kümmert«.248

Ähnlich konstant, aber noch früher begann Radio Mulher im nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco seine Arbeit. Rádio Mulher ist unter den Community Radios ohne Genehmigung die »Exotin«. Die ursprünglich im Jahr 1999 von der NGO Mulheres do Cabo initiierte Radioarbeit hat keinen eigenen Sender, sondern versucht partizipative Strukturen in bereits bestehenden Radios zu etablieren, momentan im kommerziellen Radio Caletas in der Küstenstadt Cabo de Santo Agostinho und im ebenfalls kommerziellen Sender Farol FM in Catende, einer Kleinstadt in der Region Mata Sul, im Landesinneren von Pernambuco.

Community Radios, die sich innerhalb kommerzieller Sender organisieren oder als religiöse Projekte fungieren – sind das nicht Kriterien, die in direktem Widerspruch mit den Skripten aller weiter oben (Kap. 3) besprochenen network builder stehen? Durchaus und gerade deshalb ist es spannend zu untersuchen, welche Argumente diese Radiokollektive mobilisieren, um sich genau wie Canal Mais und Rádio Santa Marta als Übersetzungen dieser Inskriptionen zu legitimieren.249 Die beiden religiösen Sender bestehen dabei zunächst darauf, zugleich Community Radios und evangelikale Sender zu sein. Rádio Sky sieht die Vereinbarkeit beider Prämissen in seiner missionarischen Funktion. Der Dienst an der Gemeinschaft wird daran fest gemacht, in der lokalen Bevölkerung »Seelen für Gott [zu] gewinnen«.250 Rádio União hingegen pocht auf seine Offenheit, da es trotz seiner konfessionellen Position »der gesamten lokalen Bevölkerung zur Teilhabe offen« stehe.251 Es scheint ausgeschlossen, mit diesen Begründungen eine Mitgliedschaft bei AMARC Brasil erhalten zu können und beide Sender haben dies nach eigenen Angaben auch gar nicht erst versucht. Dafür hat ABRAÇO-SP beide Projekte anerkannt, weil es sich um defizitäre aber zugleich auch werdende Community Radios handle, meint der network builder – vielleicht aber auch deshalb, weil sie stets pünktlich ihre Mitgliedsbeiträge zahlen, wie beide Sender im Interview betonen.252

Rádio Mulher wiederum lehnt den network builder ABRAÇO ab, den es als »reinen Männerclub« bezeichnet.253 Vielmehr bestehen die Frauen darauf, sich gemäß den Prämissen von AMARC Brasil zu organisieren, wann immer sie die Studios anderer Radios benutzen und darüber hinaus auch aktiv im Frauennetzwerk von AMARC Brasil mitzuarbeiten, soweit das die personellen Ressourcen zulassen. Entlang des hier bereits implizit angesprochenen Legitimationskriteriums gender entfaltet das Frauenkollektiv zugleich seine Argumentation, um seine Anerkennungswürdigkeit gegenüber weiteren Forderungen zu behaupten, vor allem solchen, die auf eine Legalisierung von Rádio Mulher als Community Radio abzielen.

»Um hier in der Region ein Community Radio zu gründen, brauchst Du einen Politiker, der bei der Beschaffung der Genehmigung vermittelt, und darauf wollen wir uns nicht einlassen. Und uns einem bestehenden Sender anzuschließen, scheidet ebenfalls aus, denn überall müssen Programmmachende für ihre Sendezeit bezahlen. Das sind keine echten Community Radios, sondern eher eine Hybridform, mit Eigentümern und kommerziellen Interessen.«254

Die Frauen haben sich jedoch auch aus einem weiteren Grund gegen eine Legalisierung entschieden. Das legale ComRad-Skript sei inkompatibel mit dem Anspruch, die Interessengemeinschaft aller in der Region lebenden Frauen zu erreichen, denn dafür brauche es mehr als die gesetzlich vorgesehenen 25 Watt Sendestärke. »Und Genehmigungen für ein Netzwerk von ComRads in den einzelnen Gemeinden zu gründen, wäre viel zu viel Aufwand«.255

Als zu aufwändig und zu ungewiss beschreiben auch die weiteren Sender den Legalisierungsprozess, selbst dann, wenn sie im Gegensatz zu Rádio Mulher an einer Genehmigung im Rahmen der geltenden Gesetze interessiert sind. Einen Antrag gestellt haben allerdings nur zwei Sender, Rádio Mais im Jahr 2002 und Rádio União im Jahr 2004. Rádio Santa Marta wurde dagegen im Jahr 2011 geschlossen, noch bevor es den Versuch unternehmen konnte, sich zu legalisieren.256 Dieses »aggressive Vorgehen und die langen Wartezeiten auf eine Genehmigung« seien es, die den Staat als Legitimationshelfer entwerten.257 Die »Behörden sind ineffizient«, »sie behandeln uns wie Tiere und im besten Fall wie gemeine Verbrecher«.258 Das Senden ohne Genehmigung sei deshalb

 

»kein anarchistischer Akt, sondern eine legitime Protestform und zugleich ein Mittel der Bevölkerung, sich Zugang zum Medium Radio zu verschaffen. Das ist am Ende wichtiger, als alle Energie allein in einen langwierigen Legalisierungsprozess zu investieren, dessen Ausgang ungewiss ist«.259

Die begründete Ablehnung des staatlichen legitimation claims macht es wie im Fall der Freien Radios um so wichtiger, sich intensiv mit den Forderungen konkurrierender Radios und Medien auseinanderzusetzen. Dabei entwickeln die einzelnen Kollektive erneut situative Argumentationen. Unterscheiden lässt sich eine Kritik an legalisierten und nicht legalisierten Medien. Erstere delegitimiert zunächst legalisierte Radioformate, deren Beitrag zum Gemeinwohl in Frage gestellt wird.260 Zusätzlich wird jedoch auch die spezifische Bedeutung des Radiomediums gegenüber TV-Sendern oder Internetangeboten herausgestellt.261 Was die situative Legitimation gegenüber anderen nicht-legalisierten Sendern angeht, zeigt sich, dass hierbei weniger auf Solidarität, sondern auf eine Profilierung auf Kosten anderer gesetzt wird: die evangelikalen Sender Sky und União streiten darum, ob eine Kirche, oder aber die Hörer_innenzahl nun das entscheidende Legitimationsmerkmal sei.262 Radio Santa Marta stellt derweil klar, dass in »unserer Favela kein Platz für noch ein Community Radio ist«.263

Im Vergleich zu den Freien Radios der vorherigen Kapitel wird in dieser ersten allgemeinen Annäherung an die ComRads ohne Genehmigung deutlich, dass abgesehen von Rádio Mulher nicht die staatlichen Legalisierungsnormen als solche herausgefordert werden, sondern die Anerkennungswürdigkeit des nicht-legalisierten Sendens am »undemokratischen Legalisierungsprozess« festgemacht wird.264 Und diese Kritik spiegelt sich auch in den situativ orientierten Legitimationsstrategien wider. Besonders relevant scheint mir dabei, nun detaillierter darauf einzugehen, in welchen Punkten die Radios dafür gesetzliche Normen operationalisieren und in welchen Momenten eher alternative Legitimationsstrategien und –helfer_innen sichtbar gemacht werden. Ein zweite, daran anknüpfende Frage betrifft die dafür inskribierten und mobilisierten communities:  wie werden diese jeweils legitimationssteigernd für ein spezifisches Radiomachen eingesetzt? Wie bereits in den vorherigen Kapiteln werde ich zur Beantwortung dieser Fragen im Folgenden die beteiligten Akteur_innen (1), stabilisierenden Handlungsprogramme (2) und veranschlagten Beiträge zum Gemeinwohl (3) genauer betrachten.

(1) Gibt es eine, und wenn ja, welche ist die zentrale kollektive Entität, die den operativen Gebrauch der Sender anleitet? Hier zerfallen die untersuchten Radios äußerst trennscharf in drei Positionen. Die erste vertritt Rádio Santa Marta, wo

»alle 14 Tage ein Plenum organisiert wird. Da werden Ideen geäußert, aber auch Widersprüche sichtbar. Wir führen Protokoll und eine Anwesenheitsliste. Es wird festgehalten, wer fehlt, und wer zwei mal nicht da war, dessen Programm wird suspendiert. Das hört sich streng an, aber kein solidarisches, freiwilliges Projekt kommt ohne solche Regeln aus«.265

Dieser Feststellung stimmen Canal Mais und Rádio Mulher zu, auch wenn die dort geltenden Regeln andere zentrale Größen bemühen, die noch stärker institutionalisiert sind und auf Formate repräsentativer Demokratie setzen. Rádio Mulher wird von einem 24-köpfigem Gremium geleitet, in dem alle zwölf Frauengruppen der Region mit jeweils zwei Vertreterinnen präsent sind. Canal Mais hingegen wird von einem Verein mit einem gewählten Vorstand geleitet, ganz so, wie es auch das Gesetz vorsieht. Jede_r kann Mitglied werden, wir sind ein partizipatives Medium«.266

Weder Plenen noch Vorstände gibt es dagegen in den evangelikalen ComRads. Bei Rádio Sky organisiere ein Direktorium den Sendebetrieb, sagt dessen Gründer Samuel, die weiteren Mitarbeitenden sagen dagegen, den Sender organisiere allein der Direktor, nämlich Samuel.267 Eine ähnliche Rolle kommt Pastor Marcus in Rádio União zu. Dort gäbe es jedoch, wenn schon kein Plenum, zumindest »unregelmäßige Zusammenkünfte der Programmmachenden, auf denen Kritik geübt wird an Dingen, die unvereinbar mit dem Ethos der Radioarbeit sind. Wir kontrollieren uns also gegenseitig«.268 Regeln, um die gemeinsame Radioarbeit transparent zu organisieren und zu kontrollieren, dieses Anliegen scheint in den hier versammelten Aussagen als verbindendes Legitimationskriterium durch. Während Freie Radios immerzu darum bemüht sind zu zeigen, dass sie besonders horizontal operieren, werden – von Rádio Santa Marta abgesehen – spezifische Hierarchien affirmiert, solange diese Härtungen des Sozialen auf eine bestimmte Weise demokratisch gerechtfertigt sind. Auch dem »Ein-Mann«-Direktorium von Radio Sky kommt im öffentlichen Skript diese Bedeutung zu.

Die legitimierte Mobilisierung von Programmmachenden wird, wie in den beiden Kapiteln zu Freien Radios dargelegt, zumeist an den Kriterien Partizipation und Offenheit festgemacht. Eine breite Teilnahme wird auch in den ComRads ohne Genehmigung realisiert oder zumindest angestrebt: immerhin »acht Leute arbeiten trotz schwieriger Bedingungen ständig bei Rádio União« mit, in Canal Mais drängten sich »in Spitzenzeiten zwischen 19 und 23 Beteiligte«, in Rádio Santa Marta ist »ein großer Teil der Nachbarschaft involviert«, bei Rádio Sky »eine Vielzahl dynamischer Pastoren« und bei Rádio Mulher teilten sich »anfangs 12 Frauen« die Arbeit.269 Heute muss das Frauenradio dagegen oft mit weniger direkt beteiligten Mitarbeiterinnen auskommen:

»Uns fehlen derzeit einfach die Ressourcen, um differenzierter und mit mehr Mitwirkenden arbeiten zu können, mit Reporterinnen auf der Straße, so wie früher. Unser Programm steht allen offen und es gibt auch viele Ideen und Interessen. Nur fehlen uns und anderen Frauen oft die Mittel, das auch umzusetzen«.270

Die im Skript von Rádio Mulher angestrebte Offenheit wird beim operativen Gebrauch also nicht erreicht. Auch Canal Mais bleibt hinter diesem Anspruch zurück: die Illegalisierung des Senders wirke auf viele Interessierte abschreckend.271 Nur in Rádio Santa Marta, so scheint es, wird Offenheit erfolgreich mobilisiert. »Wir versuchen, das große Interesse, sich zu beteiligen, bestmöglich zu gewähren. Jeder kann in den Sender kommen und Redezeit erhalten, oder auf dem Plenum einen festen Sendeplatz beantragen«.272 Die evangelikalen ComRads wiederum stehen dem Legitimationskriterium der Offenheit gespalten gegenüber und knüpfen die Nutzung der Mikrophone an eine entscheidende Moderator_in menschlicher Sozialität, nämlich Geld. Rádio União schließe dabei alle zahlungswilligen Interessenten ein, die das Radio und die Community finanziell unterstützen wollen – »selbst satanistische Legionen sind uns da willkommen«.273 Rádio Sky dagegen lässt gegen ein Entgelt nur Pastor_innen Programm machen, die vom Direktor(ium) ausgewählt werden.

Unabhängig davon, wie offen der Zugang zu den Sendekabinen letztlich gestaltet wird, lassen sich in allein Sendern auch zentrale individuelle Akteur_innen dokumentieren, die für die erfolgreiche Signalerzeugung entscheidend und für die Legitimation eines demokratischen Sendebetriebs problematisch sein können. Durchaus kritisch setzen sich damit jedoch nur drei der fünf Radios auseinander: Rádio Mulher, in dem die starke Präsenz von drei Frauen, die derzeit die hörbare Arbeit organisieren, nur eine der Finanzkrise geschuldete Notlösung sei; Rádio Santa Marta, in dem die Rolle des Wortführers Repper Fiell derzeit notwendig sei, um die Existenz des Radios in Zeiten der UPP gegen Schließungen oder feindliche Übernahmen zu schützen; und schließlich Canal Mais, dessen konstante Verfolgung zwei seiner Vorstandsmitglieder ungewollt zu Protagonist_innen gemacht hat, um die Existenz des Radios zu sichern.274 Legitimiert ist diese exponierte Akteur_innenrolle damit jeweils nur temporär und in Beziehung zu einem der drei beschriebenen konkreten Ausnahmezustände.

In Rádio Sky und Rádio União werden diese Zentralisierungen von Aufgaben dagegen nicht kritisch reflektiert. Vielmehr findet in beiden Fällen eine pragmatische Aufgabenteilung zwischen jeweils einem Entscheidungsträger und ein bis zwei Programmverantwortlichen statt. In Rádio União kommt Pastor Marcus die Rolle eines Moderators menschlicher Sozialität zu, denn er arbeitet auf der einen Seite im Gottesdienst aktiv an der »Hörer_innengemeinschaften« des Senders und kontrolliert auf der anderen Seite die beiden Programmverantwortlichen,, das Herzstück des ohnehin kleinen »Sendekollektivs«. In Rádio Sky wiederum fällt alle Entscheidungsgewalt Samuel, dem Gründer des Senders zu und die Arbeit Eduardo, der den operativen Gebrauch garantiert.275

Dass die Leitung der evangelikalen Radios allein in den Händen von Männern liegt, verweist auf ein weiteres wichtiges Kriterium medialer Anerkennungswürdigkeit, dass bereits die network builder hinsichtlich der komplizierten Akteur_innen eines ComRads inskribiert hatten: gender. Explizit setzen sich damit jedoch nur Rádio Santa Marta und Rádio Mulher auseinander. Ersteres Kollektiv versucht die quantitativ geringere Beteiligung von Mädchen und Frauen im Sender durch ein feministische Programm und in den anderen Programmen durch »gemischte« Moderator_innen-Duos zu überwinden, »denn wir können als demokratischer Ort nur so wachsen, wenn wir gleiche Möglichkeiten für alle schaffen und im Radio keinen Machismus tolerieren«.276 Genau damit sieht sich Rádio Mulher jedoch fast täglich konfrontiert, denn die Sender, in denen sie ihr Programm organisieren,

»sind geprägt von einer maskulinen Dominanz. Es sind Orte, an denen Frauen nicht als Technikerinnen, sondern nur als lachende Moderatorinnen geduldet werden, die sich über frauenfeindliche Witze amüsieren sollen. Nur einmal gab es ein paar solidarische Gewerkschafter, die uns kostenlos Sendezeit zur Verfügung stellten, ansonsten kommt man nur gegen Geld vor ein Mikrophon«.277

Während Rádio Santa Marta sich darauf einlässt, seine Anerkennungswürdigkeit an einer gender-sensiblen Programmgestaltung festzumachen, delegitimiert das Kollektiv Rádio Mulher die ComRads in der Region Mata Sul, in denen Frauensendungen nur gegen Bezahlung hörbar werden.

Die Mobilisierung zentraler kollektiver Größen und Programmmachender hat gezeigt, dass die ComRads ohne Genehmigung legitimierende Kriterien wie Partizipation und Offenheit oft nicht oder nur teilweise erfüllen. Während Rádio Mulher, Rádio Santa Marta und Canal Mais dies jedoch selbstkritisch als zu überwindende Defizite beschreiben, streben die evangelikalen Sender weniger intensiv (Rádio União) oder fast gar nicht (Radio Sky) danach, Akteur_innen zu mobilisieren, die die mediale Anerkennungswürdigkeit diesbezüglich steigernd könnten. Anstatt einer punktuellen und begründeten Modifikation der Skripte der network builder, ist die Signalerzeugung dort von  Auslassungen oder auch intendierten Brüchen mit legitimierenden Kriterien geprägt. Es stellt sich beispielsweise schon früh die Frage, inwiefern ein Programmmachen gegen Entgelt, das Rádio Sky und Rádio União – aber auch die ComRads der Mata Sul – formulieren, legitim ist, denn, anders als die mehr oder wenig freiwilligen Beiträge in den Freien Radios, wird Geld hier zu einer wichtigen Größe, erstarrt zu einem fixen Intermediären. Und wie sich im Folgenden zeigen wird, schreiben sich diese Widersprüche auch auf der Ebene der Sendetechnik und komplexer Akteur_innen fort.

Interessant ist dabei zunächst der Ort, den die Kollektive für das Radiomachen gewählt haben. Abgesehen von Rádio Mulher, dass in seiner Geschichte unterschiedliche, immer bereits bestehende  Radios zum Senden genutzt hat, begannen alle weiteren Sender ihre Arbeit zunächst in Privathaushalten. Daran hat sich in drei Fällen bis heute nichts geändert: Canal Mais ist nach Schließungen durch die Polizei zwar mehrfach umgezogen, stets jedoch von einem Haushalt in den nächsten. Rádio Sky hat sich nach und nach im Haus des Gründers Samuel ausgebreitet und Rádio União ist im Gebäude eines Automechanikers untergebracht, wo dieser auch seine Werkstatt und Wohnräume organisiert. So sind es allein Rádio Santa Marta und, was dessen eigene Produktions-räume angeht, auch Rádio Mulher, die den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt haben.278 Wie kommt es, dass die anderen Sender sich gegen einen solchen Schritt entschieden haben? Canal Mais erklärt das klandestine Dasein aus der »prekären rechtlichen Lage und der damit verbundenen Finanznot«.279 Doch lässt sich diese Aussage auf alle Sender übertragen und gibt es vielleicht noch andere Gründe?

»Wer heute an Knochen nagt, wird Morgen Filet Mignon essen« - dieses von Rádio União gepflegte bon mot war zunächst in allen Sendern tonangebend, als diese die ersten nicht-menschlichen Akteur_innen für ihr Radiomachen mobilisierten. Computer gab es keine, lediglich Mischpulte, CD-Player, Mikrophone und außerhalb der Kabine Sender und Antenne. Heute haben alle Sender Computer und Internetzugang. Besonders zentral allerdings sind Computer, denn »sie erleichtern das Radiomachen ungemein, wenn man einmal gelernt hat, damit zu arbeiten«.280 Vor allem in den Sendern, die eine breite und intensive Beteiligung von Programmmachenden anstreben, werden die PCs zu einem entscheidenden Mediator menschlicher Sozialität, denn sie erleichtern für geschulte Beteiligte den Zugang zum Medienmachen und Härten zugleich die Signalerzeugung, in dem sie die Produktion stabilisieren helfen.

An die Präsenz von Computern gekoppelt ist auch die Mobilisierung von zwei Entitäten, die direkt an die Legitimation der Sender gekoppelt ist. Eine erste, nämlich Freie Software, wird insbesondere in Rádio Mulher, Rádio Santa Marta und Canal Mais als wichtige Akteur_in verstanden, sei es, weil sie die »Ausdrucksmöglichkeiten eines Senders erweitert«, die »Informationsbeschaffung unterstützt« oder aber »einen entscheidenden Beitrag für die Demokratisierung der Medien leistet, den auch wir im Radio mittragen«.281 Die evangelikalen Sender betonen demgegenüber die große Bedeutung ihrer DJ-Randoms, »denn auch wenn wir oft bis in den frühen Morgen Live-Sendungen organisieren, hilft die Automatisierungs-software ungemein, rund um die Uhr für unsere community hörbar zu sein«.282

Letztlich ist dieses Hörbarsein in allen Sendern vor allem von Sendegeräten und Antennen abhängig, deren Einbindung in das Medienmachen auch deutlich reflektierter und bewusster stattfindet, als die übrige Studiotechnik. Eine erste Strategie wird dabei von Rádio Santa Marta und Canal Mais verfolgt, nämlich die Selbstbeschränkung auf die gesetzlich vorgesehene maximale Sendestärke von 25 Watt. »Wir können damit gut leben und brauchen hier in der Stadt nicht unbedingt mehr Power, auch wenn ich durchaus die Kritik der Sender auf dem Land verstehen kann, die mit dieser Sendestärke niemanden erreichen«.283 Genau an dieser Stelle setzt die Argumentation von Rádio Mulher an, das sich jeweils kommerzielle Stationen oder ComRads zum Senden sucht, da wir »nur so unsere community, nämlich alle Frauen, die in der Mata Sul leben, erreichen können. Der personelle und finanzielle Aufwand beim Programmachen würde sich sonst nicht lohnen«.284

Diesen beiden Legitimationsstrategien, die entweder gesetzliche Normen affirmieren oder den legalen Status kommerzieller Sender (und deren höhere Sendestärke) nutzen, steht eine dritte Strategie gegenüber: der bewusst Bruch mit den gesetzlichen Beschränkungen im Namen einer ständig wachsenden community. Denn die 600 Watt (Rádio Sky) bzw. 400 Watt (Rádio União), mit denen die Evangelikalen auf Sendung sind, seien »notwendig, um die Seelen im Großraum Campinas zu erreichen und für Gott zu gewinnen«.285 Dieser missionarische Gedanke stiftet ein äußerst dynamisches Radiomachen an, da die Grenzen seiner geographisch und interessensmäßig abgesteckten community in letzter Konsequenz ein planetarisches Ausmaß haben. Der Sender wird zum Moderator menschlicher Sozialität, er schafft eine Glaubensgemeinschaft und legitimiert sich darin.

Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, dass es für die beiden evangelikalen Sender auch viel bedeutender ist, im Internet hörbar zu sein, als für die drei anderen ComRads ohne Genehmigung. »Web-Radio, ja, für die jüngeren Generationen ist das schon interessant, aber für die erwachsene Bevölkerung ist es nicht das wichtigste Element«.286 Zudem verursache das streaming »zusätzlichen Arbeitsaufwand und Kosten« – und bleibt deshalb bis auf weiteres ein nettes Extra, wird jedoch nicht direkt in die Legitimation der Radiokollektive eingebunden.287 Ganz anders liegt der Fall in Rádio União und Rádio Sky. Letzteres sei im Internet bereits in der ganzen Welt zu hören und »täglich kommen im stream circa 50 neue Hörer_innen dazu. Wir wachsen und damit unsere Bedeutung«.288 Auch Rádio União verfolgt diese Strategie, die aus einer wachsenden Internethörer_innenschaft eine (hypothetisch) gesteigerte mediale Anerkennungswürdigkeit ableitet – »es gibt bisher noch keine Anbieter hier im Viertel«.289

Bei dieser bisherigen Betrachtung der Studiotechnik ist deutlich geworden, dass in den ComRads ohne Genehmigung eine weniger intensive Auseinandersetzung mit den non-humans stattfindet, abgesehen von den beiden zentralen Größen, um die Signalerzeugung im UKW-Band bzw. im Internet zu gewährleisten. Im Gegensatz zu den freien Radios gerät jedoch eine weitere nicht-menschliche Akteur_innengruppe in den Fokus, sobald man nachfragt, auf welche Weise die Sender komplexe Entitäten mobilisieren und auf welche Weise sie mit diesen kommunizieren. Dieses Interesse nämlich, dass sicher auch bei Freien Radios vorhanden ist und sich in den Möglichkeiten ausdrückt, anzurufen oder Emails zu schreiben, wird in den ComRads ohne Genehmigung viel stärker genutzt. In allen Sendern gibt es Telefone bzw. Hybridtelefone, die es erlauben, mit den Radiomachenden zu sprechen und oft auch direkt an den Programmen teilzunehmen.290 Außerdem werden neben der Kommunikation per E-mail auch Chat-Programme (z.B. MSN Chat) oder soziale Netzwerke (Orkut, Facebook) genutzt, um »einen persönlichen Kontakt mit den Hörer_innen« bzw. einen »direkten Draht mit der community« herzustellen.291 Alle diese Entitäten leisten dementsprechend einen sehr aktiven Beitrag zur Legitimation der Radios, denn sie vermitteln und stabilisieren Sozialität. Doch mit wem genau?

Die von den ComRads ohne Genehmigung mobilisierten komplexen Akteur_innen lassen sich grob in drei Gruppen unterteilen. Die erste komplexe Größe sind erwartungsgemäß die Hörer_innen. Während Freie Radios jedoch stets bemüht sind, diese Kategorie (die latent immer eine Trennung von Sendenden und Rezipienten impliziert), aufzulösen, reden vor allem die beiden evangelikalen ComRads diese Größe stark, weil sie damit ihre Anerkennungswürdigkeit über das konfessionelle Klientel zu erweitern suchen. »Die Hörenden, das sind keine Evangelikalen, sondern die Bewohner_innen aller Stadtviertel, wo wir zu empfangen sind und Freude bringen«.292

Potentiell alle im Sendegebiet lebenden Menschen zu potentiellen Hörenden zu erklären, das machen auch Rádio Santa Marta und Canal Mais – und beschreiben damit zugleich eine spezifische community, die zweite mobilisierte komplexe Akteur_innengröße. Diese ist zunächst entweder rein geographisch definiert, als »Favela-Bewohner_in« oder, sozusagen, human-geographisch, wenn mit einer Wohngegend auch eine sozial »niedrige Klasse« (classe baixa) mit geringem Einkommen kombiniert wird.293 Die damit zunächst sehr allgemeine inskribierte kollektive Größe wird darüber hinaus aber auch in weitere, Anerkennungswürdigkeit spendende Interessensgemeinschaften entfaltet und jedes Radio bezieht sich dabei, wie schon die Freien Radios, zumeist auf eine ganz spezifische community. »Rádio Mulher macht insbesondere Programm für alle Frauen in der Zona Mata«, Rádio Santa Marta und Canal Mais senden »für und mit der organisierten Nachbarschaft« und die beiden evangelikalen ComRads definieren sich trotz ihres Anspruchs, für alle Hörer_innen da zu sein, auch über eine spezifische »Glaubensgemeinschaft, die es zu schaffen und zu verteidigen gilt«.294

Neben dem Bezug zu diesen spezifischen communities binden die in diesem Kapitel versammelten Sender noch weitere komplexe Akteur_innen ein, die sich als eine dritte Gruppe, nämlich als Partner_innen und Unterstützer_innen zusammenfassen lassen. Neben unverfänglichen Akteur_innen, wie lokalen Künstler_innen und Gewerbetreibenden, öffentlichen Schulen, sozialen Bewegungen, NGOs und internationalen Organisationen (z.B. UNESCO), aber auch öffentlichen und unabhängigen Medien, inskribieren die Sender mitunter jedoch auch Entitäten, deren Anwesenheit ein delegitimierendes Potential mitbringt. Dazu zählen beispielsweise religiöse Größen, allen voran evangelikale Kirchen und Prediger, die das Programm von Rádio Sky prägen oder im Fall von Rádio União direkt kontrollieren.295 Rádio Mulher und Rádio Santa Marta beharren gegenüber den evangelikalen Sendern darauf, dass ComRads ihre »Unabhängigkeit von Kirchen wahren« müssen und sich zugleich »nicht explizit einer Religion verschreiben« sollten.296 Andererseits müssen sich die Frauen Kritik gefallen lassen, was ihre exponierte Zusammenarbeit mit kommerziellen Radios betrifft. Auf Nachfrage verteidigt Rádio Mulher das kostenpflichtige Programmmachen mit dem Hinweis, dass man zum einen die Sendestärke benötige, um in der Region hörbar zu werden und zum anderen ja auch die ComRads Sendezeit nur gegen Bezahlung zur Verfügung stellten.297 Strittig ist zudem auch die Kooperation mit politischen Parteien.298

Es deutet sich einmal mehr an, dass sich die Anerkennungswürdigkeit nicht pauschal an Akteur_innenkategorien festmachen lässt, sondern an deren spezifischen Einbindung in Handlungsprogramme. Bevor ich auf diese zu sprechen komme, soll jedoch, wie schon zuvor, ein letzter komplexer Akteur beleuchtet werden: der Staat. Ganz allgemein gesprochen, streben alle fünf Radiokollektive ein unabhängiges Verhältnis zum Staat an, zum einen, um sich »vor Vereinnahmungen [zu] schützen«, zum anderen, »weil nur ein Teil des Staates uns als legitimes Kommunikationsmittel anerkennt, wie zum Beispiel das Kommunikationsministerium, aber auch individuelle Akteure, wie zuletzt ein Oberst vom Militär«.299 Während eher Distanz zu staatlichen Gegnern nicht-genehmigter ComRads gehalten wird, zeigen sich die Sender ansonsten offen für eine Kooperation und schöpfen daraus stabilisierendes und legitimierendes Potential. So wird beispielsweise eine Trägerorganisation von Rádio Mulher, das Centro das Mulheres do Cabo, als ponto de cultura staatlich gefördert. Rádio União sendet freiwillig die von den Ministerien produzierten Info-Spots, um ihrer »Hörerschaft staatliche Sozialprogramme näher zu bringen« und hofft damit »mehr offizielle Anerkennung als lokales Medium aufbauen« zu können.300 Und Rádio Santa Marta setzte trotz einem manchmal schwierigen Verhältnis mit den Sicherheitskräften der UPP darauf, dass die staatliche »Befriedung« des Viertels letztendlich die Anerkennungswürdigkeit des Radios als anerkannte soziale Größe stärken würde.301

Doch dann kam am 3. Mai 2011 plötzlich alles ganz anders: ein Einsatz der Bundespolizei und ANATEL beendete die Signalübertragung abrupt, das Equipment wurde konfisziert und zwei der leitenden Mitarbeiter vorübergehend festgenommen.302 Die Schließung ließe sich vor dem Hintergrund der bisherigen Betrachtung durchaus als »tragisch« bezeichnen, war Rádio Santa Marta von allen Sendern gerade derjenige, der am meisten bestrebt war, die Skripte von AMARC und dem ComRad-Gesetz besonders adäquat zu übersetzen. Nicht, dass dies automatisch dessen breite Anerkennungswürdigkeit garantieren würde. Aber die explizite Hinwendung half zumindest dabei, zwei sichtbar gewordene legitimatorische Probleme zu vermeiden. Zum einen fand keine Umdeutung oder ein Aussetzen von Kriterien statt, die in den Skripten der network builder als verbindlich formuliert sind (z.B. demokratische Organisation, Offenheit, Pluralität). Zum anderen hatte es der Sender geschafft, der, wie ich es nennen würde, »Falle der Klandestinät« zu entgehen, die, wie wir gesehen haben, nicht förderlich für eine partizipative und demokratische Stabilisierung der Sender ist. Die Art und Weise, wie sich vor allem Rádio União und Rádio Sky organisieren, stellt deren Anspruch, ein ComRad zu sein, in vielen Punkten in Frage und macht trotz des geäußerten Wunschs nach gesetzlicher Anerkennung, auch eine Legalisierung unwahrscheinlich.

Aus welchen Gründen auch immer eine Genehmigung bisher nicht erreicht wurde und im Fall von Rádio Mulher nicht erwünscht ist – sichtbar geworden ist auch, dass die ComRads im Vergleich zu den Freien Radios »instabiler« sind, weil die Sender – zumindest öffentlich – es nicht schaffen, Akteur_innen wie Universitätsgelände, schützende Fabrikzäune oder kulturelle Autoritäten als komplizierte Entitäten in ihre Skripte einzubinden. Rádio Santa Marta ist dafür der traurige Beweis. Die evangelikalen Sender dagegen, die seit langer Zeit mit der 20-fachen Wattzahl auf Sendung sind, scheinen sehr erfolgreich bisher nicht sichtbare Entitäten zu mobilisieren, die die Existenz der Radios sichern. Ihnen gilt es unter anderem im nun folgen Abschnitt auf die Spur zu kommen, der sich mit stabilisierenden Handlungsprogrammen und -strategien auseinandersetzt.

(2) Es lohnt zunächst einen Blick auf die Reproduktionsstrategien der Radios zu werfen, die deren operativen Gebrauch betreffen, denn – wie ich zeigen werde – beeinflussen diese sehr stark auch alle weiteren stabilisierenden Handlungsprogramme. Unterscheiden lassen sich dabei zwei Vorschläge, von denen einer die Fluktuation und die Beteiligung der Mitwirkenden in den Vordergrund stellt, während der andere die hörbare Kontinuität des Senders als wichtigstes Legitimationskriterium für eine Stabilisierung in der Zeit inskribiert. Erstere Strategie wird von Rádio Santa Marta, Canal Mais und Rádio Mulher verfolgt, wobei das Kollektiv aus Rio de Janeiro ungleich erfolgreicher dabei war, trotz einer hohen Fluktuation der Mitwirkenden immer einen hohen Grad an Partizipation zu gewährleisten.303 Rádio Mulher dagegen musste die »Abwanderung vieler junger Kommunikatorinnen miterleben, während es schwierig sei, neue Akteurinnen einzubinden«.304 Canal Mais habe zwar in Spitzenzeiten mit 23 Beteiligten täglich 24 Stunden Radio gemacht, wegen der Schließungen und legalen Verfolgung derzeit aber kaum neue Mitwirkende finden können.305 Der Anspruch einer ständigen personellen Erneuerung bleibt zwar bestehen, kann derzeit jedoch nicht verwirklicht werden.

Rádio Sky und Rádio União definieren eine erfolgreiche Reproduktion ihres Radiokollektivs demgegenüber als hörbare Kontinuität. Diese drücke sich nicht nur in einem Vollprogramm aus, sondern auch in einem geringen Anteil automatisierter Programmabläufe und der »ständigen Bereitschaft, Hörern, die anrufen, zu helfen«.306 Die Mitarbeit in den Sendern sei dagegen personell begrenzt und konstant. Eine Fluktuation erfolge lediglich untereinander, »wenn ein Prediger einen anderen ersetzt und sicherstellt, dass es ein Live-Programm gibt«.307

Diese Ausrichtung der Sender wirkt sich, wie bereits gesagt, nun stark auf weitere stabilisierende Handlungsprogramme aus, angefangen beim Schutz der Sender vor drohenden Schließungen. Die um Offenheit und Fluktuation bemühten – und damit auch viel exponierteren – Sender zeichnen sich gegenüber den evangelikalen Radios (und in diesem Fall auch Rádio Mulher) on air durch eine Vielzahl von Versuchen aus, Konflikte zu vermeiden, übertragen beispielsweise täglich die staatliche Informationssendung Hora Nacional oder verzichten auf das Senden von Sponsoring oder gar Werbung, »um nicht den Zorn kommerzieller Medien auf uns zu ziehen«.308 Doch diese Strategien seien nur bedingt erfolgreich, denn als ich bei einem Polizeieinsatz vor zwei Jahren unser Radiokonzept erklärte, sagte man mir, das spiele keine Rolle, „unsere Verbrechen würden die gleichen bleiben«.309

Diese Aussage unterstreicht die Dringlichkeit, auch on the ground schützende Handlungsprogramme zu mobilisieren. Allen Sendern ist zunächst der Versuch gemein, über drohende Einsätze von ANATEL und der Bundespolizei möglichst frühzeitig informiert zu werden. Mehrere der hier versammelten Radios, die auch aus dem Grund einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung nicht namentlich nennen werde, beteiligten sich dabei an einer Art Frühwarnsystem, dass es möglich machte, den Kontrollinstanzen immer 24 Stunden voraus zu sein.310 Damit das Schema funktionierte, wurden jedoch nicht alle nicht-genehmigten Sender in den jeweiligen Regionen informiert, um ANATEL auch gelegentliche Erfolgserlebnisse zu ermöglichen – ein Vorgehen, das letztendlich auf die Stabilisierung einer in group auf Kosten anderer hinausläuft.

Wer nicht Teil dieser in group ist, muss andere Mittel finden, sich zu schützen. Radios, die um Öffentlichkeit bemüht sind, greifen dabei entweder auf die Strategie zurück, den Ort des Sendens ab und zu zu wechseln, wie in Canal Mais geschehen, oder aber setzen, wie im Fall Rádio Santa Martas, auf eine breite Mobilisierung, die – wie gesehen – Schließungen nicht immer verhindern kann.311 Dass ein Rádio ins Raster der Kontrolleure gerät, zieht jedoch nicht immer eine sofortige Schließung nach sich. Sowohl Rádio Santa Marta als auch Rádio União berichten von erfolglosen Besuchen der Regulierungsbehörde: »Als ANATEL das erste mal aufkreuzte, hatten sie keine Vollmacht [mandato] dabei, um unseren Sender überhaupt betreten zu können. Wir kennen unsere Rechte«. Ähnliche Vorfälle berichten auch die beiden evangelikalen Radios, mit dem Unterschied, dass sie trotz einer jahrelangen Signalerzeugung ohne Genehmigung immer noch auf Sendung sind. Auf diesen Umstand angesprochen, halten sich die Radiokollektive bedeckt. Ein Mitarbeiter von Rádio União erzählte, Pastor Markus habe mehrmals erfolgreich mit der Polizei verhandeln und einen Kompromiss erzielen können. Zudem fungiere ein Schreiben von ABRAÇO, das den im Jahr 2004 beim Kommunikationsministerium eingereichten Antrag auf eine Genehmigung bestätigt, in solchen Situationen als eine Art Schutzbrief.312 Rádio Sky beschreibt die »gute Bundespolizei« als »nicht perfekt« denn es sei möglich, dort »gegen Bezahlung die Schließung eines Community Radios ohne Genehmigung zu beschleunigen« – ein Mittel dass besonders von kommerziellen Sendern genutzt würde – oder, durch die Zahlung von Schutzgeldern, eben jene Einsätze der KontrolleurInnen zu verhindern.313 Beide Radios vermeiden jedoch jedwede Aussage, die weitere Rückschlüsse darauf erlauben würde, ob die Sender bisher von der Möglichkeit gebraucht gemacht haben, für den Betrieb ohne Genehmigung Schutzgelder an die Kontrollinstanzen zu zahlen.

Was schließlich den Schutz des Senders  in the studio betrifft, sind zwischen den einzelnen Sendern kaum Unterschiede auszumachen. Überall werden spezifische Handlungsprogramme mobilisiert, die sicherstellen sollen, dass die Programmmachenden keinen Schaden an der Studiotechnik anrichten.314 Diesem Problem auch präventiv zu begegnen, führt zu einem weiteren entscheidenden Handlungsprogramm, dass wir bereits bei der Untersuchung der Freien Radios betrachtet haben, nämlich Weiterbildungsmaßnahmen. Als Ausgangspunkt wird nach dem Beginn der Signalerzeugung in den besuchten Sendern immerzu das gleiche Bild gezeichnet: Ein allgemein geringer Stand an technischem und journalistischem Wissen und jeweils ein oder zwei herausragende Expert_innen.315 Welche Strategien gibt es, den Radiobetrieb auf mehrere Schultern zu verteilen und dafür zu sorgen, dass trotz dem eventuellen Ausscheiden von Aktuer_innen eine stabile Signalerzeugung gewahrt bleibt? Bevor die Radios dabei Workshops und ähnliche Handlungsprogramme mobilisieren, nutzen sie oft eine Abkürzung: Sie motivieren Menschen mit spezifischen, im Sender benötigten Fertigkeiten, sich zu beteiligen und gewinnen damit potentiell nicht nur Unterstützung für den operativen Gebrauch, sondern eben auch Akteur_innen, die ihr know how weitergeben können.316

Weiterbildungen finden kontinuierlich in allen besuchten Sendern statt. Die Unterschiede werden am besten am Grad der Formalisierung und der Organisation der Wissenssozialisierung ersichtlich. In Rádio União »schult Pastor Markus die Programmmachenden, wann immer er Zeit findet«, in Canal Mais setzt man auf ein »gemeinsames Improvisieren und Erkunden der Technologie, manchmal von Null an« und in Rádio Sky vermittelt Samuel elementares Wissen, um auf Sendung zu bleiben.317 Nur in zwei Radios führt das Handlungsprogramm der Aus- und Weiterbildung jedoch über das Interesse eines internen Selbsterhalts hinaus und ist bewusst auch als öffentliches, stärker formalisiertes Legitimationskriterium angelegt. Die Strategie von Rádio Santa Marta übersetzt sich dabei in ein tägliches Angebot, in »Workshops um 19 Uhr, an denen alle teilnehmen können, die Radiomachen lernen wollen«. Auf ein eher zyklisches Angebot setzt dagegen Rádio Mulher, wo spezielle Kurse wie Mídia Vox oder Jovens Comunicadoras dafür sorgten, »Frauen und Jugendliche zu Protagonistinnen der Radiokommunikation [zu] machen«.318

Für die organisierte Weiterbildung im Sender oder die weitere Schulung von Mitwirkenden streben die ComRads ohne Genehmigung allesamt auch die Teilnahme von externen Akteur_innen organisierten Weiterbildungen an. Dazu gehören beispielsweise die network builder ABRAÇO und AMARC Brasil, aber auch internationale Organisation oder kirchliche Initiativen.319 Ob bereits die Teilnahme an diesen Kursen eine gesteigerte Anerkennungswürdigkeit garantiert, ist jedoch fraglich. Bereits die Organisator_innen insistieren oft darauf, die Teilnahme demokratisch zu organisieren bzw. die erlernten Fähigkeiten später in den Sendern zu sozialisieren.320 Davon abgesehen, ist der legitimatorische Effekt manchmal auch gar nicht an die Weitergabe und Nutzung erlernter Fähigkeiten gekoppelt. Denn die externen Workshops fungieren auch als eine Art öffentliche Bühne, auf der sich nicht-genehmigte ComRads gefahrlos neben genehmigten Sendern präsentieren können und oftmals auch gegenüber staatlichen Vertreter_innen zu Wort melden und verteidigen können.321

Die Weiterbildungskurse und -treffen sind auch Orte, auf denen sich über ein letztes, hier betrachtetes Handlungsprogramm ausgetauscht wird: die Finanzierung. Wie wir in den vorherigen Kapitel gesehen haben, werfen Freie Radios und deren network builder den ComRads in diesem Punkt auf pauschale und teilweise bewusst delegitimierende Weise vor, sich ständig über knappe Ressourcen zu beschweren, weil sie zu viel Geld für Equipment und bezahlte Arbeit ausgeben würden.322 Demgegenüber ist zunächst festzuhalten, dass ungenehmigte ComRads im allgemeinen höhere Fixkosten haben als die Freien Radios, die – abgesehen von Rádio Amnésia – die Infrastruktur anderer Akteur_innen nutzen (Universitäten, besetzte Fabrik) und somit nicht wie beispielsweise Rádio Santa Marta »monatlich 600 Reales für Miete und Strom aufbringen« müssen.323

Zudem trifft es nicht zu, dass in ComRads generell viel Geld für bezahlte Arbeit ausgegeben wird bzw. dies bereits in den Skripten der network builder als legitime Ausgabe angelegt ist, denn wie ich gezeigt habe (vgl. Kap 3.5.2), überlassen es die ComRad-Verbände den einzelnen Radios, hierauf eine Antwort zu finden – und diese fällt sehr unterschiedlich aus. Rádio Mulher zahlt den Programmmachenden wenn möglich eine geringe Aufwandsentschädigung, vor allem, um gewisse Produktionskosten (z.B. Spritgeld, Kopien, etc.) zu decken.324 Rádio Sky und Rádio União garantieren den Programmverantwortlichen ein niedriges Grundeinkommen, alle weiteren Programmmachenden erhalten hingegen nichts.325 Keinerlei Bezahlung erfolgt dagegen bei Canal Mais – das finanziell nie in der Lage war, sich diese Frage überhaupt zu stellen – und bei Rádio Santa Marta, das aus ihrem anti-kapitalistischen Selbstverständnis heraus bezahlte Arbeit strikt ablehnt.326

Die umstrittene Frage nach der Anerkennungswürdigkeit bezahlter Arbeit und die spezifischen Antworten der Sender darauf ziehen nicht nur unterschiedlich hohe Kosten nach sich, sondern auch dementsprechende Strategien, um diese auf legitime Weise zu decken. Die beiden evangelikalen Sender setzen dabei vor allem auf die evangelikale community als zahlende Unterstützerin: Rádio União bekommt einen festen Anteil von dem in der Kirche von Pastor Marcus eingetriebenem Zehnt und beide Sender zudem durch die Nennung von Sponsoren (apoio cultural) während der Sendungen, die zumeist lokale Gewerbetreibende und Kirchengänger_innen sind und schließlich von den programmmachenden Pastor_innen, die für ihre Sendeplätze eine Abgabe zahlen.327

Bezahlte Sendeplätze sollten hier nicht automatisch als ein delegitimierendes Kriterium missverstanden werden – auch bei den Freien Radios wird ja mitunter, wie ich gezeigt habe, auf diese Praxis zurückgegriffen. Die Frage der Anerkennungswürdigkeit entspannt sich vielmehr zwischen zwei extremen Polen: auf der einen Seite steht Rádio Mulher, die in ComRads bis zu 400 Reales zahlen müsste, um überhaupt hörbar zu sein und bspw. Rádio Santa Marta, wo Programmmachende dazu angehalten werden, sich mit monatlich mit 20 Reales an den Fixkosten des Radios zu beteiligen.328

Was bleibt den säkularen ComRads als weitere Einkünfte? Das bereits erwähnte Sponsoring wird auch in Rádio Santa Marta und Canal Mais angestrebt, die zudem wie die Freien Radios versuchen, ihre Budget durch Soliparties, das Sammeln von Sachspenden und Audioproduktionen zu garantieren.329 Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass ein Mix aus Finanzierungsstrategien die Handlungsprogramme bestimmt, bis auf eine wichtige Ausnahme: Rádio Mulher. Seit der Gründung hat sich das Kollektiv vor allem auf Projektmittel internationaler Geber (z.B. Ford Foundation) und staatlicher Partner_innen (z.B. Kultusministerium) verlassen. Die Arbeitsweise ist kostenintensiv, monatlich sind allein 2.200 Reais nötig, um die Sendezeit in zwei Radios zu zahlen – Kosten, die laut den Beteiligten in der nahen Zukunft kaum durch andere Strategien zu decken sind, die Rádio Mulher als legitime Einnahmequellen beschreibt.330 Hier zeigt sich, dass, der von den Frauen formulierte, hohe Anspruch nach Unabhängigkeit und Legitimation zugleich einen »hohen Preis« hat: die Nachhaltigkeit des Radiokollektivs, im Sinne einer finanziellen Stabilisierung, wird nicht erreicht.

Den dokumentierten Handlungsprogrammen ist gemein, dass sie eine spezifische Prekarität der betrachteten Sender ausdrücken. In einer ersten Gruppe, nämlich Rádio Santa Marta und Canal Mais, zeigte sich diese zunächst in der Abwesenheit einer Strategie, spezifische Größen für den dauerhaften Schutz des operativen Gebrauchs zu etablieren. Der Effekt dieser Anfälligkeit gegen repressive Maßnahmen von außen wiegt schwerer als alle Bemühungen, dort ein legitimes Radiomachen zu organisieren – der dauerhafte Betrieb kann nicht gewährleistet werden.

Demgegenüber ist ein zweite Gruppe, bestehend aus den evangelikalen ComRads Rádio Sky und Rádio União überaus erfolgreich darin, die Signalerzeugung zu finanzieren und gegen Angriffe von außen zu schützen. Nur stellt sich in diesem Fall die Frage nach der Anerkennungswürdigkeit der dafür mobilisierten Strategien und Akteur_innen. Eine Sonderrolle nimmt bei dieser Betrachtung schließlich Rádio Mulher ein, dessen zentrales Problem es ist, nie eine alternative Strategie zur lange Zeit erfolgreichen, jedoch überaus einseitigen Finanzierung durch Projektgelder internationaler Organisationen gesucht zu haben.

(3) Die unsichere Stabilisierung bzw. Legitimierung auf der Ebene der Signalerzeugung wird ergänzt durch ein weiteres, entscheidendes Handlungsprogramm, nämlich den radialen Beitrag zu einem spezifischen Gemeinwohl. Erwartungsgemäß deutlich fällt bei den in diesem Kapiteln betrachten Sendern, der dabei hergestellt Bezug zu bestimmten communities aus. Wie schon bei der Analyse der Freien Radios, schwanken die Definitionen dieser kollektiven Legitimations-Größe und die dabei inskribierten Rollen der Radiokollektive. Gemein ist den Sendern zunächst jedoch eine äußerst instrumentelle Kopplung: der konkrete Dienst an einer community und nicht etwa die Schaffung eines offenen Treffpunkts am Boden und im Äther – so wie bei den Freien Radios – steht im Vordergrund. Rádio Santa Marta beispielsweise verfolgt das konkrete Ziel, »das Leben im Viertel zu verbessern«.331 Der Sender war und ist als Mittler zwischen Bewohner_innen und dem Pazifizierungs-Personal aktiv, widmet sich in Kooperation mit dem Nachbarschaftskomitee Fragen wie Wohnraum, Wasser- und Stromversorgung und Räumungen.

Einen ganz ähnlichen Fokus formulieren Canal Mais und Rádio Mulher: »der Kampf für das Recht auf Stadt macht einen zentralen Teil unserer Arbeit aus«.332 Doch während Canal Mais, genau wie das Radiokollektiv in Santa Marta, sich an die gesamte community der Favela-Bewohner_innen wendet, richtet sich die Arbeit von Rádio Mulher vor allem an die Frauen der Region, die eine spezifische Interessensgemeinschaft bilden. Denn sie seien »machistischen Machtverhältnissen ausgesetzt« und hätten dabei oft »eine Unterwürfigkeit verinnerlicht, die es aufzubrechen gilt«.333 »Das Radio verleiht den Frauen eine Stimme, macht sie sprechen und schafft eine feministische Identität, damit die Frauen sich selbst erfahren und verstehen können«.334 Dieser allgemeine Anspruch übersetzt sich neben dem »Kampf für ein Recht auf Stadt« in viele weitere konkrete Beiträge zum Gemeinwohl der Frauen: Gesundheitsaufklärung, der Schutz sexueller und reproduktiver Rechte, Bildungsarbeit in einer feministischen Schule und auch Beiträge zur Regionalplanung.335

Direkt an das Programmmachen gekoppelt sind noch zwei weitere, sehr konkrete Dienste, die Rádio Mulher zu einer »Sprech-Autorität« (autoridade de fala) gemacht habe, »einer gewichtigen Stimme im lokalen Kontext«. Denn während der Sendungen besetzt neben der Moderatorin immer eine zweite Frau das Hörer_innentelefon, über das Frauen nicht nur Grüße senden können, sondern auch Hilfe vermittelt bekommen, wenn sie Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind.336 Diese Gespräche sind ein konstanter, nicht-öffentlicher Bestandteil der Programme. Hörbar gemacht und verurteilt werden dagegen

»Morde an Frauen, bei denen oftmals nicht gründlich ermittelt wird und wo wir dann medial Druck aufbauen. Wir haben schon oft dazu beitragen können, dass die Täter schließlich doch gefasst werden konnten. Oftmals handelt es sich um sogenannte Verbrechen aus Leidenschaft, wir sehen es dagegen als einen extremen Ausdruck der machistischen Kultur hier, gegen den wir kämpfen müssen«.337

Die aktive Unterstützung und direkte Kommunikation mit den Hörenden wird auch in den evangelikalen ComRads groß geschrieben. Anders als das Programm feministischen Empowerments haben die Vermittlungen von Rádio Sky und Rádio União eher einen karitativen Charakter. »Wir stehen allen Menschen bei, die anrufen und Probleme oder Depressionen haben. Wenn die Anrufenden einverstanden sind, machen wir ihre Fälle im Radio öffentlich, sammeln beispielsweise Spenden für Unfallopfer und Kranke«.338 Auch wenn dieses Angebot zunächst für alle Hörer_innen gleichermaßen gilt, verfolgen die beiden Sender noch eine weitere Mission: »Seelen retten für den Herrn«.339 Inskribiert wird hier ein Gemeinwohl, dass sich explizit nicht nur in den Dienst einer existierenden Gemeinde stellt, sondern an vielen geographischen Orten im Sendegebiet eine solche Interessensgemeinschaft erst erschafft. Im Unterschied zu Rádio Mulher haben die evangelikalen Projekte einen äußerst expansiven Charakter, der Gedeih und das Wachsen der community sind integrale Charakteristiken des radialen Beitrags zum Gemeinwohl.

Für die jeweiligen communities mobilisieren die einzelnen Sender auch ihre jeweilige Interpretation einer spezifischen Kommunikation. Im Gegensatz zu den Freien Radios, die sehr intensiv für ein »anderes Radiomachen« mobilisieren, konzentrieren sich die ComRads ohne Genehmigung vor allem darauf, anders zu informieren.340 Ihre Anerkennungswürdigkeit knüpfen die evangelikalen Sender dabei an den Anspruch, nur lokale Nachrichten [zu] senden, um direkt Leute zu mobilisieren. »Informationen von außen interessieren uns nicht, wir senden im Radio Informationen von der community für die community«.341 Die anderen Sender sehen ihren informativen Beitrag zum Gemeinwohl eher darin, Inhalte für die Hörer_innen aufzubereiten. »Uns ist wichtig, dass alle verstehen, was wir im Radio sagen. Wir machen ein Programm für normale Menschen, also für uns.«342 Der Fokus ist dabei oft ein lokaler, wenn beispielsweise Rádio Santa Marta Gesprächsrunden zur UPP oder die Stromversorgung organisiert oder aber Rádio Mulher eigene Umfragen und Studien vorstellt, um eine Bewusstseinsbildung für ein gerechtes Zusammenleben anzuregen.343 Zugleich werden aber, ebenso wie in Canal Mais, auch überregionale Themen aufgegriffen und von anderen Organisationen produzierte Materialien gesendet, wenn diese gesellschaftlich relevant sind.344

Die Nutzung der von anderen produzierten Materialien in den nicht-evangelikalen Radios deutet darauf hin, dass der kommunikative Beitrag zum Gemeinwohl auch ein spezifisches Teilen umfasst. Dieses ist auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus formuliert. Bei Rádio Mulher geht es um den konkreten »Austausch von Audiomaterial innerhalb des landesweiten Frauennetzwerks«, während Canal Mais und Rádio Santa Marta ihre Ziele allgemeiner formulieren, als Ansprüche für ComRads, die »ohne Gewinnorientierung kooperieren und operieren« und damit einen »nicht-kapitalistischen Modus« des Medienmachens initiieren wollen, »auch wenn das ist einem kapitalistischen Land schwierig, aber nicht unmöglich ist«.345

Die Möglichkeiten des Medienmachens kommen schließlich auch in spezifischen Medienutopien zur Sprache.346 Der hier formulierte Beitrag zum Gemeinwohl wird dabei nicht wie bei den Freien Radios auf dem Campus als eine globale Vision entwickelt, auch die Digitalisierung des Rundfunks oder die Regulierung des Spektrums spielen keine besondere Rolle.347 Vielmehr beziehen sich die Utopien konkreter auf die jetzigen praktischen Grenzen des Radiomachens. Angestrebt wird zunächst überall die Verbesserung der Produktionsbedingungen, oftmals formuliert im Wunsch, ein »eigenes Aufnahmestudio auf[zu]bauen und neue Formate zu entwickeln.348 Ebenfalls interessiert sind die Sender an der Einbindung neuer Technologien ins Radio, vor allem an der Organisation drahtloser Internetzugänge. »Dafür müssen wir auch die rechtlichen Grundlagen schaffen und falls nötig, Änderungen vornehmen.«349 Gekoppelt ist an diese Visionen bei Rádio Santa Marta, Rádio Mulher und Canal Mais eine Erweiterung der medialen Ausdrucksmöglichkeiten und eine noch breitere Einbindung von Akteur_innen, »damit diese erleben können, dass neue Technologien nichts Fernes, sondern etwas Machbares sind«, während die evangelikalen Radios eher daran interessiert scheinen, »weiter [zu] wachsen« und »ein weltweites Massenpublikum an[zu]sprechen«.350

Wie wir gesehen haben, finden die ComRads ohne Genehmigung bereits heute und trotz aller Schwierigkeiten, sich zu legitimieren und vor allem auch zu stabilisieren, ein Publikum. Nicht immer ließen sich die Skripte dabei im Interesses der Fragestellung vollständig entfalten, einige hidden transcripts blieben der Betrachtung verborgen, andere, wie zum Beispiel der missionarisch-expansive Charakter der evangelikalen ComRads wurde überaus deutlich sichtbar.351 Zudem konnte ich, wie eingangs formuliert zeigen, in welchen Punkten die Radios gesetzliche Normen operationalisieren und viele Akteur_innen und Handlungsprogramme alternativer Legitimationsstrategien sichtbar machen. Die äußerst situativ orientierten Skripte unabhängigen Radiomachens lassen sich abschließend grob in drei Gruppen zusammenfassen.

Eine erste Gruppe bilden Rádio Santa Marta und Canal Mais, die sich am stärksten an den staatlichen Normen orientieren. Beide Sender wollen sich auch unter jetzigem Gesetz legalisieren, nicht jedoch auf Genehmigung warten. Sie verstehen die Legalität als Teil ihrer Anerkennungswürdigkeit, der ihnen jedoch bisher formell versagt wird, denn ihre Skripte sind äußerst kompatibel mit den Inskriptionen des staatlichen network builder. Sie lösen zudem den Konflikt der geographischen bzw. interessensgeleitenden Defintion von community auf, in dem sie die Nachbarschaft in ihrer Gesamtheit auf beiden Ebenen ansprechen.

Auch Rádio Mulher ist durchaus bereit, staatliche Normen zu erfüllen, nicht jedoch die bestehenden. Denn dafür liegt die inskribierte community aller Frauen der Region auf doppelte Weise außerhalb des engen geographischen Rahmens des ComRad-Gesetzes. Frauen werden als Interessensgemeinschaft angesprochen, die nicht a priori einer bestimmten Sendestärke zuzuordnen ist. Da das Radio von Beginn an vor allem ein Werkzeug darstellte, um spezifische Forderungen der Landarbeiterinnen erfüllen und Probleme zu lösen, wird bei Rádio Mulher die message auch weiterhin über das Medium gestellt. Das geschieht, wie ich gezeigt habe, sehr wohl im Rahmen spezifischer, innerhalb des Frauennetzwerks als demokratisch verstandener Regeln. Und von diesem Standpunkt aus sucht die organisierte Frauen-Community auch ihre Kooperation mit allen weiteren Akteur_innen zu bestimmen, nicht im Sinne einer Erhabenheit, sondern in der Artikulation eines Radiokollektivs, dass sowohl ein kritisches Korrektiv der bestehenden machistischen Medienlandschaft ist, zugleich aber auch ein konkretes Angebot, gemeinsam ein anderes Radiomachen zu ermöglichen.

Ihr Radiomachen ebenfalls als breite Aushandlung oder auch in einem öffentlichen Dialog mit den staatlichen network builders anzulegen, davon sind die beiden evangelikalen Sender weit entfernt. Auch wenn Rádio União eine Legalisierung beantragt hat, wäre eine Genehmigung inkompatibel mit dem derzeitigen Skript des Radiomachens, das wie auch bei Rádio Sky als missionarischen, wachstums- und teils auch gewinnorientiertes Medium angelegt ist. Beide Sender haben sich finanziell äußerst gut stabilisiert und sich, anders als Canal Mais und Rádio Santa Marta, scheinbar auch ein effizientes, schützendes Handlungsprogramm zugelegt, auch wenn dieses in seiner Übersetzungskette weitestgehend ein hidden transcript bleibt. Prekär sind diese beiden Sender dagegen in puncto Anerkennungswürdigkeit, zumindest im Verhältnis zu den Skripten der network builders. Selbst die Rechtfertigung, diese ComRads seien »im Werden« begriffen, scheint wenig plausibel, denn die Abweichungen von einem offenen, partizipativen Verständnis von Radiomachen werden nicht nur teilweise unterlaufen, sondern aktiv durch gegenläufige Inskriptionen ersetzt. Darin ist eine problematische Erhabenheit gegenüber allen möglichen, von außen herangetragenen Forderung nach Legitimation formuliert. Nur die evangelikale Gemeinde und deren Wohl werden letztendlich als Legitimationsträger_in akzeptiert.

Die Betrachtung dieser fünf nicht-genehmigten ComRads zeigt die Grenzen des inklusiven Anspruchs der nicht-staatlichen ComRad network builders. Die vor allem von ABRAÇO praktizierte laissez-faire-Politik birgt die Gefahr, die Anerkennungswürdigkeit der ComRads im Allgemeinen zu unterminieren. Wie damit umgehen, wenn ComRads weder an einer Legalisierung, noch an einer offenen, partizipativen und demokratischen Organisation und einer transparenten, nicht-gewinnorientierten Arbeitsweise interessiert sind?

 

Wenn dieses Problem im Sinne einer zirkulierenden Referenz angegangen wird, sind auch die genehmigten Radios gefordert, sich hier zu verhalten. Setzen sie sich auf differenzierte Weise mit den »illegalisierten« Kollektiven auseinander, kooperieren sie punktuell und zeigen sich solidarisch oder nutzen sie die sichtbar gewordenen legitimatorischen Defizite, um die unliebsame Konkurrenz zu schwächen? Zugleich stellt sich die Frage: sind alle legalen ComRads immun gegen jene Probleme, die ich in diesem Kapitel sichtbar gemacht habe?

 

4.5 Community Radios mit Genehmigung

Die Geschichte vieler brasilianischer ComRads, die eine Sendegenehmigung haben, beginnt mit einem Paradox: obwohl die Gesetze keine Legalisierung bereits bestehender Radios vorsehen und es diesen explizit verwehren, nachträglich eine rechtliche Anerkennung zu erlangen, rekonstruieren viele Kollektive in ihren stories eben jenen Moment. Erklären lässt sich dieser scheinbare Widerspruch nur bei genauer Betrachtung der komplexen Prozesse, die viele ComRads in Brasilien nach ihrer Gründung durchlaufen und auf die ich im folgenden Kapitel deshalb immer wieder zu sprechen kommen werde. Denn auch wenn die Aushändigung der Sendegenehmigung für viele Radiokollektive sehr wichtig ist, lässt sich ihre Existenz eben nicht ausschließlich an dieser gedruckten Entität im A4-Format festmachen.

Besonders deutlich zeigt sich dies bei ComRads, die schon im operativen Gebrauch waren, lange bevor das brasilianische Parlament im Jahr 1998 das Lei 9612-98, das sogenannte Community-Radio-Gesetz, verabschiedete. Wie so viele andere unabhängige Sender entstanden sie in den 1990er Jahren, an den Peripherien der Metropolen, in Kleinstädten oder in entlegenen Dörfern im sertão.352 Doch nur einem Teil von ihnen gelang es, ihre Legitimierung als Medium auch durch eine rechtliche Anerkennung zu stärken – und wie ich am Beispiel sieben sehr verschiedenen Radiosender zeigen möchte, schien und scheint jeder Sender darauf angewiesen, hierfür ganz eigene Legalisierungsstrategien zu entwickeln.

Das nach eigenen Angaben älteste ComRad Brasiliens entstand bereits im Jahr 1991 in der jungen Gemeinde Queimados, in der Nähe Rio de Janeiros. Queimados hatte ein Jahr zuvor seine politische Unabhängigkeit von der Verwaltungseinheit Nova Iguaçu erstritten und »der Sender Novos Rumos war von Beginn an ein politisches Werkzeug, um die Unabhängigkeit der Stadt Queimados zu stärken.«353 Nach der Verabschiedung von Lei 9.612 beantragte das Radiokollektiv auch sofort eine Sendegenehmigung, doch

»wir hätten nie gedacht, dass dieser Vorgang viel schwieriger sein würde als der Kampf für ein unabhängiges Queimados. Denn erst nach zahlreichen Schließungen wurde unser Antrag im Jahr 2007 positiv bewertet. Und dann dauerte es erneut zwei Jahre, bis wir eine endgültige Sendegenehmigung ausgehändigt bekamen.«354

Während Rádio Novos Rumos schon sendete, arbeiteten in ganz Brasilien auch viele weitere Organisationen daran, einen eigenen Sender aufzubauen. Nur ein Jahr später ist auch im Inneren Rio de Janeiros, auf einem der grünen Hügel der Provinzstadt Nova Friburgo ein ComRad zu hören. Vorausgegangen waren der UKW-Initiative einige, von der Anthropologin Nina Magalhães initiierte rádio postes (Lautsprecheranlagen im öffentlichen Raum), die im Umland von Nova Friburgo Bildungs- und Kommunikationsprojekte mit der Landbevölkerung realisierten.355 »Da es zunächst keine spezifischen Gesetze für Community Radios gab, hielten wir uns an die Verfassung und Menschenrechtstexte. Wir sahen und sehen Community Radios als direkten Ausdruck der Meinungsfreiheit.«356 1998 gründete das Radiokollektiv dann einen Verein, das Radio wird jedoch erst Jahre später gesetzlich anerkannt.

Im Norden Rio de Janeiros formulierten im Jahr 1993 junge Aktivist_innen den Plan, mit Radioprogrammen die Gemeinde für den Umweltschutz und andere soziale Probleme zu mobilisieren. 1995 beginnen die Sendungen von Rádio Bicuda, 1998 gründet sich der Verein Bicuda Ecológica, um das Radio zu legalisieren. Was folgt ist ein Rechtsstreit, die Beschlagnahmung des Sendeequipments und immer neue Auflagen, um weiterhin für eine Frequenz zu kandidieren. »Nachdem unser Antrag schließlich 2006 angenommen wurde, mussten wir dann bis 2008 auf eine vorläufige Genehmigung warten« – eine endgültige hat der Sender bis heute nicht.357

Im gleichen Jahr wie Rádio Bicuda nehmen auch zwei Radiokollektive im Bundesstaat São Paulo den operativen Gebrauch auf. Rádio Gazeta News (das erst zwei Jahre später diesen Namen annimmt) wurde von einer Gruppe politischer Aktivist_innen der Arbeiterpartei (PT) in der Kleinstadt Mairinque ins Leben gerufen. »Wir waren alles Zugezogene und wollten das konservative Klima hier aufbrechen, nicht mit ideologischer Überzeugungsarbeit, sondern mit einem Radio, dass Stück für Stück zur Stimme der community werden sollte.«358 Das zweite Radiokollektiv fand sich in der Favela Brasililândia in der Metropole São Paulo zusammen. »Rádio Cantareira, benannt nach dem nahen Gebirgszug, der von vielen Fenstern der Favela aus zu sehen ist, wollte und will das Leben im Viertel verbessern und vor allem Bildungsarbeit leisten.«359 Obwohl beide Sender bereits im Jahr 1998 Vereine gründeten und einen Antrag auf eine ComRad-Genehmigung stellten, erhält Rádio Gazeta News erst 2006, Rádio Cantareira gar erst 2010 eine endgültige Sendegenehmigung.360

Etwas schneller als bei Rádio Cantareira verlief dagegen der Genehmigungsprozess von Rádio Heliópolis. Dieses ging aus den Sendungen eines rádio poste hervor, dass zu Beginn der 1990er Jahren von der Nachbarschaftsorganisation UNAS in einer Favela São Paulos gegründet wurde. »Das Viertel wuchs in dieser Zeit sehr schnell, die Mund-zu-Mund-Organisation des Alltags war nicht mehr ohne weiteres möglich und auch das rádio poste reichte irgendwann nicht mehr aus.«361 Mit Spenden von deutschen Missionar_innen wurde 1997 ein UKW-Sender erworben und abgesehen von einer zweijährigen Pause in Folge einer Schließung, blieb das Radiokollektiv aktiv und erhielt im Jahr 2008 unter Vermittlung eines namhaften Sportartikelherstellers die endgültige Sendegenehmigung.362

Gänzlich ohne Hilfe von außen und – im Vergleich zu den anderen hier betrachteten Sendern – in einer Rekordzeit von »nur« sechs Jahren erhielt im Jahr 2004 Rádio Independência seine Genehmigung. In der gute fünf Busstunden von Fortaleza – der Hauptstadt des nordöstlichen Bundestaats Ceará – gelegenen Gemeinde Independência war das Radio »lange Zeit das einige Medium, um in der isolierten Gegend zu Gemeinsamkeiten anzustiften. Die Debatte, dass wir ein Radio brauchen, entstand in einem Dialog der sozialen Bewegungen mit befreiungstheologischen Kräften der Katholischen Kirche«, wichtige Unterstützer_innen auch in jener Zeit, als sich das Kollektiv nach einer Schließung von ANATEL während seiner »illegalen Existenz« wird neu formieren musste.363

Ersichtlich wird in diesem kurzen Exkurs der verschiedenen Entstehungsgeschichten zum einen der instrumentelle Charakter, der den ComRads, in den Händen einiger Medienaktivist_innen oder lokaler Aktivist_innen, eingeschrieben wird. Dieser scheint auch die zielstrebigen Legalisierungsversuche anzuleiten, die in allen Fällen unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes erfolgen. Dem allgemeinen Interesse an einer legalen Anerkennung entspricht jedoch auch ein ebenso verallgemeinerbarer, langwieriger, und von Repressionserfahrungen geprägter Legalisierungsprozess, während dem sich die Radiokollektive bezüglich des Gesetzes lediglich dadurch legitimieren können, alle formalen Kriterien für den Erhalt einer Genehmigung erfüllt zu haben und auf einen positiven Bescheid zu warten.

Während dieser langen und verschlungenen Wege zu einer Sendegenehmigung nahmen alle hier betrachteten Radios auch Kontakt zu den network builders auf. Rádio Comunidade war sogar Gründungsmitglied von ABRAÇO.364 Doch auch wenn alle hier versammelten ComRads die Notwendigkeit sehen, sich gemeinsam zu organisieren und für politische Aushandlungen – besonders bezüglich der Mediengesetze – ihr gemeinsamen Interessen durch Verbände repräsentieren zu lassen, machen sie ihre Anerkennungswürdigkeit nicht an exklusiven Mitgliedschaften bei einem der network builder fest.365 Vielmehr unterhalten alle Radios nicht nur Kontakt zu ABRAÇO, sondern sind gegen deren Willen auch Mitglieder bei AMARC oder weiteren lokalen ComRad-Verbänden wie bspw. VivaRio.366 Auch wird immer wieder Kritik an dem »repräsentativem Gerangel« der Radioverbände laut, von Korruptionsvorwürfen und der Anklage politisch unlauter Praktiken ganz zu schweigen.367

Wozu dann überhaupt Kontakt zu network builders halten, die auf den ersten Blick die Anerkennungswürdigkeit der ComRads eher zu gefährden als zu festigen scheinen? Das Interesse scheint zum einen in einer pragmatischen und strategischen Nutzung der Verbände zu liegen, die es trotz aller Defizite mitunter schaffen, Veranstaltungen, Workshops, finanzielle Unterstützung, Petitionen für Gesetzesänderungen oder auch technische Hilfe zu organisieren.368 Da sich die Radios nie sicher seien können, wo sich gerade eine Chance auftut, lassen sie sich mehrfach repräsentieren. Zum anderen finden Sender wie Rádio Independência oder Rádio Comunidade jedoch auch, dass sich die Verbände trotz ihrer unterschiedlichen Positionen gut ergänzen und ein Radio von einer multiplen Mitgliedschaft nur profitieren kann.369 Und schließlich wahrt eine Präsenz in den Verbänden auch die Möglichkeit, politisch aktiv mitzuentscheiden und sich an sinnvollen Aktionen zu beteiligen. »Letztendlich halten wir durch unsere Unterstützungen und unsere Beiträge diese Repräsentationen am Leben.«370 Man sieht, dass die Interessen der ComRads Kontakt zu den network builders äußerst vielfältig sind. In jedem Fall wird aber deutlich: die Radiokollektive sehen sich selbst nicht als Ausführende eines von anderen formulierten ComRad-Skripts, sondern als unabhängige Akteur_innen, die ihre Legitimation nur punktuell an die Radioverbände koppeln.

Der überraschend zurückhaltende Rekurs auf die nicht-staatlichen network builders wirft nun die Frage auf, welche anderen Akteur_innen die genehmigten ComRads für ihre mediale Anerkennungswürdigkeit mobilisieren? Da ist zunächst das Gesetz Lei 9.612/98 und dessen Inskripteur, der Staat. Gemein ist den genehmigten Sendern ihre Legalität als ein Merkmal ihrer medialen Anerkennungswürdigkeit herauszustellen. Aber alle Sätze, die mit »Wir sind ein genehmigtes Community Radio beginnen« ergänzen die Radiokollektive stets um ein großes »aber...«. Rádio Cantareira, das ab 1996 mit an der Ausarbeitung einer Gesetzesinitiative für die Legalisisierung unabhängiger Radios beteiligt war, sagt ganz klar: »Das ist nicht das Gesetz, das wir wollten«.371 Wie schon die ComRads ohne Genehmigung kritisieren die Sender zunächst »den langwierigen Legalisierungsprozess«, inklusive der Auswahlkriterien, die angelegt werden, wenn mehrere Radios im gleichen Sendegebiet sich für die einzige verfügbare Frequenz bewerben.372 Die Erfahrung, unter Beachtung der gesetzlichen Normen Radio zu machen, evoziert zudem differenzierte Vorwürfe, die es dem Gesetz vorbehalten, ComRads gegenüber anderen Radios zu diskriminieren, ihre Hörbarkeit ungerechtfertigt stark einzuschränken und ihre finanzielle Existenz zu verunmöglichen.373 Das legale Skript wird deshalb nur unter Vorbehalt mobilisiert, zum einen, weil »Änderungen notwendig sind, um unser Überleben als Medium zu sichern. Die Legalisierung war der erste Schritt, der nächste ist eine Gesetzesreform, um mehr Frequenzen, einen besseren Empfang und eine besser Finanzierung zu garantieren«.374 Zum anderen weisen die Beanstandungen, das Gesetz diskriminiere und sichere nicht das Überleben, auch auf die Notwendigkeit hin, weitere Legitimationshelfer_innen zu suchen.

Als solche mobilisieren die ComRads wie zu erwarten spezifische communities, von denen später noch ausführlich die Rede seien wird. Wie auch immer diese_r kollektive_r Akteur_in letztendlich definiert ist, wichtig ist es, diese nicht automatisch mit Unterstützer_innen gleichzusetzen, sondern auch zu bedenken, dass es teilweise »ein langer Kampf war, um anerkannt zu werden, ein Reifungsprozess, bis die Leute wirklich verstanden, dass wir für sie da sind«.375 Legitimierend ist deshalb nicht jede community, denn sie kann einem Radio auch die Anerkennung verweigern.

Ähnlich ambivalent generiert sich auch das Verhältnis zu weiteren möglichen Legitimations-helfer_innen. Religiöse Autoritäten waren beispielsweise aktiv am Aufbau von Rádio Independência und Rádio Cantareira beteiligt; bei Rádio Heliópolis vermittelten deutsche Missionar_innen während des langen Legalisierungsprozesses.376 Demgegenüber haben die Sender Gazeta News und Novos Rumos eine eher distanzierte Beziehung zu kirchlichen Organisationen, dafür aber beste Kontakte zu den Lokalregierungen: »Hier im município gab es nie Probleme, im Stadtrat sitzen derzeit mehrere Gründungsmitglieder unseres Senders. Stress bekommen wir immer nur von außen«.377

Am intensivsten jedoch gestaltet sich die Bezugnahme auf andere Radios und Medien, um die eigene Anerkennungswürdigkeit zu stärken. Delegitimiert werden zunächst erwartungsgemäß »kommerzielle Radios und TV-Sender«, denn diese waren »immer erklärte Gegner« und versuchten deshalb von Beginn an, »uns als Piratenradios zu brandmarken«, wobei besonders der bereits weiter oben erwähnte Lobbyverband ABERT eine federführende Rolle spiele: »ABERT organisierte schon Kampagnen gegen Community Radios, bevor es eine gesetzliche Reglung gab und schürt bis heute die Repression gegen uns, indem es medial die Regierung immer wieder zum Handeln anstachelt«.378 Als legitimierend wird demgegenüber der Austausch und die Solidarität zu anderen Community Radios bezeichnet, »allerdings nur mit all jenen, die diese Bezeichnung auch verdienen«.379 Als Kriterien hierfür wird angeführt, keine kommerziellen, politischen oder missionarischen Interessen zu verfolgen, vor allem aber »verantwortungsvoll mit der eigenen Sendestärke um[zu]gehen und genehmigten Community Radios keine Interferenzen zu erzeugen«.380

Hier wird deutlich, wie genehmigte ComRads trotz aller Kritik mitunter auch positiv auf das Lei 9.612/98 Bezug nehmen und versuchen, sich somit trennscharf von konkurrierenden Radiokollektiven abzugrenzen.381 Sie projizieren dabei die dem legalen Skript inhärenten Normen auf sich selbst und leiten gerade aus deren Einhaltung ein zum Teil prioritäres Existenzrecht ab, das die Ein-Kanal-pro-Gemeinde-Politik auf problematische Weise affirmiert. Wenn genehmigte ComRads von anderen Radios im eigenen Viertel reden, dann produzieren sie ausnahmslos pejorative Erzählungen, die darauf abzielen, das eigene Radiomachen auf Kosten weiterer Sender zu legitimieren.382 Die Grenzen der Solidarität verlaufen deckungsgleich zum eigenen Sendegebiet. Allein Rádio Heliópolis erinnert daran, dass genehmigte ComRads ihren legal Status nicht als ein unantastbares qualitatives Kriterium ihrer medialen Anerkennungswürdigkeit missverstehen sollten: »Auch wir sind nicht zu 100 Prozent ein Community Radio, sondern vielmehr darum bemüht, gewisse Prinzipien auch einzuhalten. Aber das ist noch viel Arbeit, kein Radio kann die Ansprüche voll erfüllen«.383

Die strategische Affirmation des Gesetzes und seiner Normen, um sich nicht-genehmigten Sendern gegenüber einen legitimatorischen Vorteil zu verschaffen, hat jedoch einen entscheidenden Nachteil: zumindest in ihren öffentlichen Skripten akzeptieren die genehmigten ComRads damit auch die momentanen Beschränkungen, was die Signalstärke und ihre finanziellen Einkünfte angeht. Daraus erklärt sich ihre durchweg euphorische Kopplung des Radiomachens an ein symbiotische Internetnutzung. Während die freien Sendekollektive dieses bestenfalls als eine Ergänzung zum Primat des operativen Gebrauchs vermittels Radiowellen beschreiben, versprechen sich die ComRads von der Organisation eigener Webseiten und Übertragungen per streaming »eine Stärkung des Radios«, sei es weil wir dadurch »mehr Sichtbarkeit erlangen«, »mehr Hörer erreichen«, »besser informiert sind und informieren können«, oder aber »auf der Website Werbung schalten und somit zusätzliche Einkünfte erzielen« können.384 Das Internet erscheint hier nicht nur als ein Verstärker der Radiokollektive, sondern auch als ein Beweis, dass sie mehr als der im legalen Skript inskribierte Service für einen lokal eng abgesteckten Raum sind. Vielmehr öffnet die intensive Kopplung an das Internet einer, wenn man so will, translokalen Legitimation Tür und Tor: »Internet trägt unser Radio in alle Welt und findet dort Hörer«, während zugleich »Informationen aus aller Welt in einen lokalen Kontext übersetzt« werden.385

Bereits in dieser einführenden Betrachtung der hier versammelten genehmigten ComRads wird deutlich, wie komplex ihre Legitimationsstrategien angelegt sind. Radioverbände werden punktuell mobilisiert, andere Medien und unabhängige Radios äußerst instrumentell in die eigenen Erzählungen eingebunden. Mehr noch, die ständige performative Herausstellung der eigenen Bedeutung und des langen Leidenswegs auf dem Weg zu einer gesetzlichen Anerkennung scheinen auch nach dem Erhalt der Sendegenehmigung fortgeschrieben zu werden, eingebettet in ein Narrativ, das den permanenten medialen Überlebenskampf in den Vordergrund stellt. Dabei müsste die legale Stabilisierung den operativen Gebrauch doch eigentlich erleichtern...

Nein, sagen die genehmigten ComRad-Kollektive, denn das Lei 9.612/98 »ist ein hündisches Gesetz (lei cachorra), das das Recht auf Meinungsfreiheit eher verhindert, als fördert. Die Aufgabe der Community Radios ist es deshalb, für mehr Freiheit zu kämpfen«.386 Für die weitere Betrachtung der Radiokollektive lassen sich aus dieser Einschätzung zwei analytische Perspektiven ableiten. Der erste Blick ist darauf ausgerichtet, gemeinsam mit den Radiokollektiven legale Hindernisse zu dokumentieren, die ihren operativen Gebrauch, so wie sie ihn in ihren eigenen Skripten vorsehen, erschweren. Daran gekoppelt ist auch die Frage, ob die ComRads trotz ihrer legalen Anerkennung tatsächlich weiterhin von repressiven Maßnahmen der staatlichen Kontrollinstanzen bedroht sind, wie dies weiter oben anklang. Der zweite Blick meiner Analyse richtet sich demgegenüber stärker auf jene Momente, die aufzeigen, wie genehmigte ComRads trotz aller Widrigkeiten ihre Signalerzeugung stabilisieren und als ihr Recht auf Kommunikation und Meinungsfreiheit auch über legale Grenzen hinausführen und rechtfertigen. Einmal mehr greife ich dabei auf die bereits erprobten Kategorien zurück, die zunächst die dafür relevanten Akteur_innen versammelen (1), dann Strategien für eine Stabilisierung in der Zeit untersuchen (2) und schließlich die von den Sendern veranschlagten Beiträge zum Gemeinwohl unter die Lupe nehmen.

(1) Das gesetzliche Skript sieht für die Organisation eines ComRad eine ebenfalls legal formalisierte kollektive Größe vor: einen Verein oder eine Stiftung. Doch obwohl alle hier versammelten Sender diese Vorgabe erfüllen, mobilisieren sie auch davon abweichende Entitäten der kollektiven Entscheidungsfindung. Jenseits der offiziellen Vorstände der Trägervereine und neben den obligatorischen Vollversammlungen, die je nach Satzung ein bis drei mal pro Jahr stattfinden, treten in allen Sendern auch regelmäßig Plenen der Programmmachenden zusammen, bis auf Rádio Novos Rumos.387 Dort ernennt die Vollversammlung Entscheidungsträger_innen auf Zeit, die, »organisiert in unterschiedlichen Räten, alle wichtigen Entscheidungen treffen, die den Radiobetrieb angehen«.388 Programmräte (Rádio Independência) oder Koordinator_innen (Rádio Heliópolis) werden auch in anderen Sendern gewählt, um den operativen Gebrauch effizient zu organisieren, allerdings sind diese nicht nur den Vollversammlungen, sondern den zumeist monatlich zusammentretenden Plenen der Programmmachenden verantwortlich.389 »Das ist der Ort, an dem Entscheidungen getroffen werden«, »eine große Teamsitzung, auf der wir die Organisation klären und Orientierung geben«.390

Die Plenen und die ihnen verantwortlichen Gremien fungieren erneut als Moderator_innen von Soziabilität, indem sie aktiv die gesetzlich geforderte demokratische und partizipative Organisation der Community Radios operationalisieren. Zugleich erweitern sie, abgesehen von Rádio Novos Rumos, damit auch den Kreis der ständigen Entscheidungsträger_innen über die von den staatlichen network builders vorgegebenen Vereinsstrukturen. Die soziale Härtung entsprechenden klassischen repräsentativen Rollen wie bspw. Vereinsvorsitzende werden ebenso unterminiert wie daran gekoppelte Handlungsprogramme. Vereinspräsident_innen werden von formal registrierten Mitgliedern gewählt, auf den Radioplenen dagegen entscheiden die, die Programm machen – und das geschieht in den meisten Fällen per Konsensfindung anstatt durch Abstimmungen.391

Wenn unabhängige Radios auf ihre Programmmachenden zu sprechen kommen, dann werden als legitimierende Kriterien meist eine breite Beteiligung und allgemeine Offenheit angeführt. Das erste Kriterium erfüllen die genehmigten ComRads nach eigenen Angaben durch eine Gruppe Mitwirkender, die permanent Programm macht und deren Größe je nach Radiokollektiv zwischen 19 und 60 Aktiven schwankt.392 Es ist also zunächst ein quantitatives Argument, das hier vorgebracht wird, die Breite der Beteiligung im Sinne von Diversität wird dagegen kaum explizit herausgestellt – vielleicht auch deshalb, weil der allgemeine Zugang aller über das zweite Kriterium der Offenheit abgedeckt werden soll.393

Als Mediator_innen treten dabei zwei spezifische Entitäten in Erscheinung, die unterschiedliche Rollen partizipativen Radiomachens vermitteln. Da sind zum einen die »offenen Mikrophone«, deren menschlicher Anteil »jeder [seien] kann, der reden will und andere nicht beleidigt. Und die Leute kommen, ja, und sie reden, wünschen sich Musik oder tragen Debatten hierher«.394 Diese spontane Partizipation liegt in Form und Ausmaß im Ermessen der Programmmachenden, weshalb es auch auf dieser Ebene wichtig ist, Offenheit zu operationalisieren. Deshalb sind die genehmigten ComRads bemüht, einen transparenten Auswahlprozess zu mobilisieren, der mal mehr, mal weniger stark formalisiert ist und spezifischen Kriterien folgt, die Offenheit auf unterschiedliche Weise operationalisieren.395 Neben formalen Zugangsregeln werden zusätzlich inhaltliche Grenzen abgesteckt, die im Vergleich zu den wenigen no-gos der Freien Radios wesentlich umfangreicher ausfallen. Denn neben dem auch in den meisten anderen unabhängigen Sendern gepflegten Standard, »keine Programme [zu] senden, in den Menschen diskriminiert werden«, in denen beispielsweise »Frauen oder Schwarze erniedrigt werden, Vorurteile gegenüber sexuellen und religiösen Orientierungen verbreitet werden«, werden Akteur_innen auch auf Grund von Prämissen ausgeschlossen, die den Anspruch der Offenheit unterminieren.396 Dazu gehört beispielsweise das Verbot in Rádio Gazeta, sich positiv zur Legalisierung von Marihuana zu äußern, oder wie in Rádio Heliópolis, keine Parties anzukündigen, die nicht vom Radio oder Sponsoren organisiert werden.397 In mehreren Sendern wird außerdem keine Rap-Musik gesendet, beziehungsweise eine »Hygienisierung populärer Musik« vorgenommen.398 Wird diese Praxis zusätzlich aufgeladen mit dem Anspruch, nur »Qualitätsmusik« spielen zu wollen, müssen sich die Radiokollektive fragen, ob sie hier auf der inhaltlichen Ebene nicht eine Diskriminierung anleiten, die sie eigentlich vermeiden wollten.

Ein Programm zu gestalten, dass nicht diskriminierend ist, heißt dabei auch, zwei spezifische Ausschlüsse zu vermeiden, die bereits bei allen vorher besprochenen Skripten unabhängigen Radiomachens problematisiert wurden. Der eine betrifft die Beteiligung von Programmmachenden, die nicht über die technischen Fertigkeiten verfügen, ohne Hilfe eine Sendung zu gestalten. In Sendern, wie Rádio Comunidade und Rádio Novos Rumos, die ihre Anerkennungswürdigkeit nicht daran fest machen, die feste Rollenverteilung zwischen (Ton-)Techniker_innen und Moderator_innen aufzubrechen, stellt sich diese Frage nicht, wohl aber in allen anderen, wo ein »aktives Kennenlernen der Technik« propagiert wird.399 Das Problem sei, »dass es trotz aller Anstrengungen Leute gibt, die nicht alles erlernen können oder lernen wollen«.400 Deshalb macht letztendlich keiner der Sender die Technikbeherrschung zur Pflicht, sondern es wird versucht, anzuregen, »dass alle ein bisschen alles machen« und darüber hinaus immer jemand im Studio ist, der die Grundlagen des operativen Gebrauchs vollständig beherrscht.401

Eine letzte wichtige »menschliche« Akteur_innengruppe, die von den Radiokollektiven auf unterschiedliche Weise mobilisiert wird, sind Frauen. Auch wenn in Radios wie Cantareira, Independência, Helipólis und Comunidade Frauen bei der Gründung eine wichtige Rolle spielten, stimmen die Kollektive zugleich darin überein, dass bis heute zu wenige Frauen in den Sendern präsent sind und dass sie ihre mediale Anerkennungswürdigkeit nur dadurch steigern können, wenn die weibliche Beteiligung erhöht wird.402 Allerdings wird dieser Anspruch nur in wenigen Sendern aktiv realisiert, viele Radiokollektive verweisen auf »die persönliche oder familiäre Agenda von Frauen«, die eine intensivere Beteiligung verhindere.403 Wie Rádio Bicuda zu zu behaupten, dass es im eigenen Sender und vielen anderen ComRads »keinerlei Diskriminierung und Machismus« gäbe, dagegen verwehren sich vor allem die weiblichen Radiomacherinnen.404 So fehle immer noch viel, »um in Rádio Independência für Gleichheit zu sorgen und Frauen in allen Aufgabenbereichen auszubilden, auch wenn sich schon vieles verbessert hat«.405 Zudem sei die »Mehrfachbelastung von Frauen in Beruf, Familie und freiwilliger Arbeit ein strukturelles Problem, dem sich auch die ComRads noch stärker widmen müssen«.406 Ein Lippenbekenntnis reiche nicht aus, um sich als gendersensibles Medium zu profilieren. Deshalb hat beispielsweise Rádio Comunidade »in den Statuten des Radios eine mehrheitliche Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen eingeschrieben, denn das Radio muss ein Raum der Wiedergutmachung gegenüber der sonstigen Benachteiligung sein«.407 Rádio Heliópolis legt derweil Wert darauf, dass »in den Workshops mit Jugendlichen immer mehrheitlich Frauen und Mädchen vertreten« sind.408 Hier zeigt sich, dass sich die Beteiligung weiblicher Akteurinnen sehr wohl in spezifische Handlungsprogramme übersetzen lässt, die den beiden Sendern in puncto Geschlechtergleichheit deutlich mehr Anerkennungswürdigkeit verleihen als die schlichten Inskriptionen oder wenig formalisierten und sporadischen Operationalisierungen der anderen Radiokollektive.

Die Debatte rund im die Beteiligung von Frauen macht deutlich, dass den genehmigten ComRads die partizipative und offene Einbindung »menschlichen Akteur_innen« in den operativen Gebrauch nicht immer vollständig gelingt. Zudem stellt sich die Frage, ob neben der Affirmation bestimmter Prinzipien wie gemeinsame Entscheidungsfindung und Geschlechtergleichheit auch tatsächlich eine konkrete Mobilisierung aller dafür relevanten Akteur_innen angestrebt wird. Legitimation scheint hier mitunter auf eine rein normative und zugleich intensive Inskription beschränkt zu bleiben. Damit unterscheiden sie sich sowohl von einigen der nicht-genehmigten Sendern, deren Skripte in diesem Punkt weniger explizit sind als auch von den Freien Radios, deren Inskriptionen im Vergleich weniger differenziert erscheinen und ihre Anerkennungswürdigkeit im operativen Gebrauch zu operationalisieren suchen.

Besonders prägnant ist allerdings der »anthropozentrische« Duktus, der den Skripten der genehmigten ComRads anhaftet. Einerseits gelingt es ihnen damit, sich von den gesetzlich vorgesehenen sozialen Härtungen freizumachen und die Legitimation stärker an selbst gewählte kollektive und individuelle Akteur_innen zu übertragen. Dabei werden jedoch nicht nur die legalen Intermediäre in ihrer Verbindlichkeit ausgehebelt, zugleich scheint auch die Kopplung der menschlichen Akteur_innen an weitere Entitäten – mit Ausnahme der heterogenen Assoziationen der »offenen Mikrophone« – für die Konstruktion medialer Anerkennungswürdigkeit keine Rolle zu spielen. Das war bei den Freien Radios (vgl. Kap. 4.2) anders. Lässt sich daraus schlussfolgern, dass die sogenannten nicht-menschliche Akteur_innen für die Legitimierung und Stabilisierung genehmigter ComRads insgesamt nur eine nachgeordnete Bedeutung haben?

Ein erster Blick in die Sendekabinen suggeriert zunächst eher das Gegenteil. Untergebracht sind die Radios nicht in besetzten Hörsälen, Fabriken oder Privathaushalten. Die genehmigten ComRads organisieren sich wie Rádio Bicuda in Gewerberäumen, mieten wie Rádio Novos Rumos oder Rádio Comunidade Appartements oder Häuser bzw. sind wie Rádio Heliópolis, Rádio Independência und Rádio Cantareira selbst Eigentümer_innen von Immobilien.409 Die Ausstattung der Räumlichkeiten und der Sendekabinen ist allseits geprägt von komplexen Ensembles nicht-menschlicher Entitäten: Mischpulte mit bis zu 24 Kanälen, verschiedenste Wiedergabegeräte und Computer, sowohl in den Sendekabinen, aber auch als zentrale Akteur_innen in weiteren Arbeitsräumen und Schnittplätzen.410 Auf den Dächern sind bis zu 30 Meter hohe Antennenmasten zu sehen. Diese Konstellationen sind weit entfernt von den low-tech-Mediation der Freien, aber auch vieler nicht-genehmigter ComRads. Dies ist teilweise auf die gesetzlichen Verpflichtungen zurückzuführen, öffentlich zugängliche Räume und Signale unter Verwendung bestimmter von ANATEL genormter Geräte zu erzeugen. Zugleich bezeichnen genehmigte ComRads ihre Studios jedoch auch gern als »professionell«, ein erkennbar um Anerkennungswürdigkeit bemühtes Attribut.411 Doch was ist damit genau gemeint?

Handelt es sich bei den Konfigurationen der Studios und der Technik um reine Intermediäre, die instrumentell eine perspektivisch an Menschen festgemachte Legitimation unterstützen oder werden hier auch einige Ko-Konstitutionen und Moderationen inskribiert, die mit klassischen Subjekt/Objekt-Dichotomien brechen? Angefangen bei der Einbindung der Computer in den Sendebetrieb, lässt sich zunächst feststellen, dass die Nutzung von Freier Software auf Nachfrage für wichtig gehalten wird, aber nicht, weil diese als kollektiver Produktionsprozess oder distribuierte Ko-Konstitutionen verstanden wird, sondern ihre instrumentelle Einbindung die Kosten im Radio senkt. Zudem wird als Freie Software alles subsumiert, was kostenlos im Internet herunterzuladen ist.412 Ganz anders liegt der Fall bei der Internetnutzung. Vor allem bei der Mobilisierung von streaming-, E-mail-Dispositiven, und eigenen  Webseiten wird diesen Entitäten zuerkannt, aktiv menschliche Sozialität zu vermitteln: »das Internet hilft uns, unseren Hörerkreis zu erweitern«; »die, die sich bei uns um die Nachrichten kümmern, haben ganz andere Möglichkeiten, sich zu informieren als früher« und »seit wird das Internet nutzen, sind wir viel besser verbunden, wir kommunizieren anders«.413 Auch die Kommunikation mit den communities sei dort eine andere geworden, wo die Radios ihre Studios öffnen, um der Bevölkerung direkten Zugang zum Internet zu gewähren. Hier deutet sich ein zusätzlicher kommunikativer Beitrag zum Gemeinwohl an, der außerhalb des eigentlichen Radioskripts liegt, von dem später noch die Rede seien wird.414

Am intensivsten vermitteln jedoch nach wie vor die Entitäten der UKW-Sendetechnik (Sender, Antenne, Frequenz) die menschliche Soziabilität zwischen den Radiokollektiven und weiteren Akteur_innengruppen. Deutlich wird dies zunächst an einer Verlusterfahrung, die alle hier versammelten genehmigten ComRads teilen: Die Legalisierung bedeutete für alle Sender, sich von einem präsenten Frequenzplatz mitten im UKW-Band und Sendestärken von bis 150 Watt zu verabschieden und fortan mit 25 Watt am äußersten unteren oder oberen Rand des UKW-Bereichs zu operieren.415 Was folgte, war nicht nur ein »Verlust der Hörer_innen« sondern oftmals auch eine »Krise«.416 Während auf der einen Seite der Kreis der Hörenden abnahm, die Beteiligung am Radiomachen zurückging, Sponsor_innen ihre Engagement zurückzogen und der finanzielle Sockel der Radios bröckelte, stiegen andererseits die Kosten für ein normgerechtes Equipment und dessen Wartung.417 »Eben deshalb ist es so wichtig, für legale Reformen zu kämpfen. Wir müssen das perverse Gesetz beseitigen, dass uns zu ersticken droht. Im Internet zu senden war für uns die einzige Alternative, um nicht zu viele Hörer zu verlieren«.418

Als genehmigtes ComRad im Spektrum seine Anerkennungswürdigkeit zu verteidigen, wird damit zu einer doppelten Herausforderung: Zum einen müssen argumentativ immerzu die starken normativen Einschränkungen der Sendestärke delegitimiert werden, zum anderen müssen es die Sender schaffen, trotz aller Limitationen, sich die Unterstützung der community, die sie als Medium bereits vor der Legalisierung hervorgebracht hat, zu erhalten, da ihre nachhaltige Stabilisierung ohne sie nur schwer möglich erscheint. Argumente, die gegen die gesetzlichen Beschränkungen sprechen, habe ich bereits zu Beginn des Kapitels referiert und bereits auf die zentrale Bedeutung der communities als Legitimationsträgerinnen verwiesen. Deren uniforme gesetzliche Definition als die im Senderadius von einem Kilometer lebenden Menschen wird als inadäquat abgelehnt: »unsere Gemeinschaft lässt sich nicht in dieses Raster pressen«.419 Was nun die Mobilisierung der community betrifft, lässt sich zunächst feststellen, dass neben dem Senden im Internet mitunter auch auf zivilen Ungehorsam im Spektrum gesetzt wird. Einige der ComRads organisieren neben dem offiziellen Sender noch weitere Geräte auf anderen Frequenzen und dann mit einer deutlich höheren Signalstärke.420

Weitaus verbreiteter (oder zumindest leichter sichtbar) sind Mobilisierungsstrategien, die die community über ihre Rolle als passive Empfänger_innen hinaus ansprechen. Das geschieht äußerst intensiv im Rahmen einer Beteiligung in den Programmen, die von verschiedenen Entitäten vermittelt wird. Die community, die auf diese Weise täglich als kompliziertes Akteur_innen-Kollektiv hörbar wird, erfährt in den Mobilisierungen der ComRads eine große Wertschätzung. »Wenn das Radio die Stimme der Gemeinde seien will, dann muss die community auch als ständige Stimme im Radio präsent sein«.421 »Eine Beteiligung auf allen Kanälen« soll erreicht werden und dafür stellen die Sender auch eine breite Möglichkeit an Kanälen zur Verfügung, die gemeinsam mit den menschlichen Akteur_innen Community Radios perspektivisch als ein sozio-technisches Netzwerk konstituieren.422 Dabei findet eine reziproke Stabilisierung statt: Die an der Signalerzeugung beteiligte community erbringt einen Teil des empirischen Beweises, für den partizipativen Charakter der Sender. Dieser wiederum ermöglichen es der Gemeinde, »Diskussionen [zu] lancieren«, »Anzeigen und Beschwerden« loszuwerden und auch »das Programm in ihrem Sinne zu kontrollieren«.423

Wie bereits bei anderen unabhängigen Radioskripten, wird die community auch als komplexe Entität auf vielfältige Weise für die mediale Anerkennungswürdigkeit mobilisiert. Dies erfolgt neben einer breiten, geographischen Einbindung als »unser Hügel«, oder »unsere Favela« auch durch die Identifizierung einzelner Interessensgruppen.424 »Es gibt unterschiedliche Konzepte von community. Es gibt hier in der Stadt Leute, die sich als befreiungstheologische Basisgemeinde verstehen, aber auch weitere Gemeinden, die uns unterstützen in den Vierteln, in denen wir zu hören sind«.425 Zugleich wird erneut darauf hingewiesen, dass Unterstützung nicht immer von Beginn an vorhanden ist und dass die »communities, anders als es sich das Kommunikationsministerium vorzustellen mag, nicht immer der lokalen Logik von bspw. Nachbarschaftsorganisationen folgen«.426 Dazu gehören beispielsweise künstlerische Initiativen und Netzwerke, migrantische communities und Frauennetzwerke.427

Letztere verweisen, je nach der angelegten Perspektive, bereits auf soziale Bewegungen, eine erste von weiteren vier Akteur_innengruppen, die genehmigte ComRads, ähnlich den weiteren Skripten unabhängigen Radiomachens, als Unterstützer_innen zu gewinnen suchen. Ihre Anerkennungswürdigkeit suchen die ComRads dabei zunächst dadurch zu steigern, dass sie ihrer Informationspflicht nachkommen, und über die Aktivitäten von bspw. Gewerkschaften öffentlicher Angestellter, organisierten Lehrer_innenverbänden, Organisationen von Landarbeiter_innen und Landlosen, der Schwarzen- und Obdachlosenbewegung oder auch kirchlich-karitativer Initiativen berichten und Veranstaltungen ankündigen bzw. direkt gemeinsam organisieren.428 Erhoffen tun sich die Sender davon auch eine stärkere Unterstützung des Radiomachens, doch »eine konstante Mitarbeit kommt nur selten zustande«, und das, obwohl »wir einen mächtigen gemeinsamen Gegner haben: die großen Medien«429

Angesichts dieser Aussage verwundert es nicht, dass kommerzielle Entitäten nicht genannt werden, wenn die zweite komplexe Akteur_innengruppe beschrieben wird, die genehmigte ComRads in ihrer Anerkennungswürdigkeit stärken sollen, nämlich Medien. In Brasilien tätige Medien-organisationen werden dabei vor allem im Rahmen einer Kooperation und gegenseitigen Stärkung inskribiert, sei es auf rein repräsentativer Ebene oder auch vermittels praktischer, gegenseitiger Hilfeleistungen.430 Kontakte und Kooperation mit Medien aus anderen Ländern seien hingegen wichtig, um neue Erfolgsmodelle kennenzulernen, zugleich verleihe es den Medien aber auch ein gewisses Prestige.431

Während der Kooperation mit nicht-kommerziellen Medien und sozialen Bewegungen für die Anerkennungswürdigkeit der Radiokollektive eine uneingeschränkt positive Wirkung zugeschrieben wird, ist das Verhältnis zu staatlichen Institutionen weniger klar definiert. Obwohl viele der besuchten Sender bezüglich der immer wieder aufgeschobenen Medienreform die Aussage von Rádio Gazeta News teilen, dass »die PT-Regierung nach dem Amtsantritt ihre Basis vergessen« hat, lässt sich zugleich eine sehr differenzierte Einbindung staatlicher Entitäten in die medialen Skripte feststellen.432 So senden beispielsweise alle besuchten Sender die von Ministerien produzierten Radiospots, wobei es »Aufgabe der Radios bleibt, zu sichten, was von dem Material wirklich relevant für die community ist und zugleich aufzupassen, wo Informationen enden und politische Kampagnen anfangen«.433 Die Audioproduktionen staatlicher PR-Abteilungen zu senden, ohne dafür direkte Gegenleistungen zu erhalten, zeigt, dass die ComRads den Disput um ein neues Mediengesetz nicht pauschal auf die Regierung projizieren, sondern nach Verbündeten suchen, die sie beispielsweise im Kultusministerium finden. Dessen bereits mehrfach erwähntes Programm ponto de cultura wird beispielsweise von drei Radiokollektiven genutzt, »um das Radio und vor allem Workshops zu finanzieren« bzw. auch »als Bühne, um unsere Radioarbeit bei gemeinsamen Treffen als Modell anzupreisen«.434

Diese gezielte Kooperation oder Informationsweitergabe weist auf eine äußerst strategische Mobilisierung staatlicher Entitäten hin, wobei es vor allem deren Anwesenheit ist, die zur Steigerung der medialen Anerkennungswürdigkeit beiträgt. Auch gegenüber lokalen Regierungen lässt sich eine solche Kopplung dokumentieren, wobei im Fall einer Kooperation hier jedoch immer auch die »politische Unabhängigkeit« betont wird.435 Diese öffentlich artikulierte Distanz soll Vorwürfen zuvorkommen, die Sender würden nicht mit staatlichen Institutionen, sondern mit gewählten Politiker_innen – und solchen die es werden wollen – paktieren. Auch wenn man, wie im Fall von Rádio Bicuda, viel Unterstützung einzelner Politiker_innen erfahre, »dann heißt dass nicht automatisch, sich zu verkaufen. Wir sind deshalb so gefragt, eben weil wir als unabhängiges Medium bekannt sind, das alle politischen Richtungen zu Wort kommen lässt und respektiert«.436

Die Betrachtung der von genehmigten ComRads inskribierten und mobilisierten Entitäten hat gezeigt, welche exponierte Rolle menschlichen Akteur_innen in diesen Skripten zukommt. Nicht-menschliche Entitäten bleiben in ihren Beschreibungen über weite Teile Werkzeuge, die die Aufgabe haben, die »menschgemachten« Legitimierungsstrategien umsetzen zu helfen. Lediglich jenen Entitäten, die explizit Signalübertragungen übersetzen (Sender, streaming) wird zuerkannt, menschliche Sozialität zu moderieren und zwar insbesondere, was das Verhältnis der Radiokollektive zu ihren communities betrifft. Alle weiteren komplexen Akteur_innen werden perspektivisch vor allem als potentielle Unterstützer_innen inskribiert und zumindest in den public transcripts Konflikte und Probleme minimalisiert, die es mit Medien, sozialen Bewegungen sowie staatlichen Institutionen und politischen Akteur_innen gibt oder geben könnte.

Das Gewicht, das genehmigte ComRads auf das Verhältnis zwischen Radiokollektiven und spezifischen communities legen, überrascht zunächst – die legale Anerkennung scheint weitaus weniger zentral. Doch die Haltung dem Gesetz gegenüber ist nicht ambivalent, sondern strategisch erklärbar. Ein positiver Rekurs auf das Lei 9.612/98 erfolgt immer dann, wenn es der Stabilisierung eines Senders zuträglich ist. Die legalen Rahmenbedingungen werden hingegen delegitimiert, wenn sie den ComRads schaden. Dieses Vorgehen als »opportunistisch« abzutun übersieht, dass gerade diese »lose Kopplung« an legale Prämissen verhindert, dass das Gesetz als ein nicht hintergehbarer, letzter Rechtsgrund naturalisiert wird.

Diese strategische Schwächung der legalen Assoziationen öffnet zwei wichtigen Handlungsprogrammen den Weg: der Forderung nach einer Gesetzesnovelle und zugleich die Legitimierung punktueller Brüche mit dem Gesetz, z.B. durch den Einsatz nicht-genehmigter Sendegeräte. Der sichtbare Kampf für ein ComRad-Gesetz, dass diese tatsächlich fördere und nicht, wie von den Machenden beschrieben, ihre Existenz erschwere auf der einen Seite und die Realisierung nicht sichtbarer hidden transcripts auf der anderen Seite– diese beide Bewegungen finden nicht nur zeitgleich statt, sie erklären bereits auch ein Stück weit, warum sich genehmigte ComRads bei ihrer Stabilisierung in der Zeit nicht nur (oder gerade nicht) auf den Gesetzestext von Lei 9.612/98 verlassen können.

(2) Bei der Betrachtung der Stabilisierung in der Zeit, möchte ich den Blick zunächst auf die Handlungsprogramme richten, die entscheidend für die Reproduktion der Radiokollektive sind: die Fluktuation der Beteiligten und die Kontinuität der Signalerzeugung. Was ersteren Moment betrifft, lässt sich zunächst feststellen, dass in zwei der sieben Sender, nämlich Rádio Heliópolis und Rádio Novos Rumos, die Gründer_innengenerationen bereits von nachrückenden Radiomachenden ersetzt wurden.437 Auch in den weiteren Sendern ist die Mobilisierung neuer Programmmachender stetes Ziel und dass in manchen Sendern die Präsenz der älteren Semester hoch ist, liege nicht immer daran, dass diese ihre Aufgaben nicht teilen wollen – im Gegenteil. Alle Radiokollektive beklagen, wie schwer es sei, auf Grund der gesetzlich stark eingeschränkten Finanzierungsmöglichkeiten genehmigter ComRads Jugendliche auch eine Aufwandsentschädigungen zahlen zu können und so nachhaltig am Sendebetrieb zu beteiligen. »Auf der einen Seite sind wir stolz darauf, Techniker_innen und Moderator_innen auszubilden, aber das freiwillige Engagement hat Grenzen. Die Besten wandern zu [den kommerziellen Sendern, N.B.] CBN und Globo ab«438. Deshalb sei es »wichtig, Anreize dafür zu schaffen, dass immer wieder Jugendliche nachrücken«, wobei diese auf Grund fehlender finanzieller Ressourcen zumeist in Form einer Ausbildung oder anderen immateriellen Vorzügen angeboten werden439.

Neben finanziellen Restriktionen übt das Gesetz auch einen weiteren pejorativen Effekt auf die Stabilisierung in der Zeit aus: ein genehmigtes ComRad muss täglich mindestens acht Stunden lang auf Sendung sein, sonst drohen Strafen oder gar der Verlust der Genehmigung.440 Kontinuierlich zu senden ist demnach kein – wie bei den Freien Radios – selbstbestimmtes Legitimationskriterium, sondern eine fixe Norm. Die davon betroffen Sender versuchen auch nicht, diese legale Norm zu delegitimieren, sondern die Auflage zu erfüllen, auch wenn die Beteiligung von Freiwilligen vor allem am Abend und am Wochenende am höchsten ist. Die dabei von fast allen genutzte Strategie ist es, Programmmachenden die verbindliche Organisation von jeweils zweistündigen Sendeblöcken zu übertragen und Teams zu bilden. Diese Handlungsprogramme helfen dabei, etwaige individuelle Ausfälle menschlicher oder nicht-menschlicher Akteur_innen zu kompensieren.441

Die hier beschriebenen legalen Effekte auf die nachhaltige Beteiligung und kontinuierliche Signalerzeugung verlangen den genehmigten ComRads demnach ab, zusätzliche Handlungs-programme zu inskribieren, um sich als Medium zu stabilisieren. Doch damit nicht genug, denn auch wenn es zunächst widersinnig erscheint, zwingen die legalen Handlungsprogramme dadurch was sie regeln und was sie nicht regeln, die Sender dazu, trotz ihrer Legalisierung auch weiterhin einen Teil ihres Medienmachens auf die Verteidigung gegen antagonistische Akteur_innen (oder zumindest solche mit konkurrierenden Handlungsprogrammen) aufzuwenden.

Diese notwendige Widerständigkeit beginnt genau genommen nicht nach der Legalisierung, sondern bereits zuvor. Alle hier versammelten Sender blicken auf eine lange Reihe von Repressionserfahrungen zurück.442 Einmal als »illegaler Radiosender« identifiziert worden zu sein, bedeutet jedoch eigentlich den unwiderruflichen Ausschluss von einem Verfahren, um rechtliche Anerkennungswürdigkeit zu erlangen. Um diese Regel zu umgehen, inskribierten einige der untersuchten Radiokollektive für den Fall eines Einsatzes der Regulierungsbehörden ein Standard-Handlungsprogramm: »Wir verständigten uns darauf, bei Razzien der Polizei immer als Individuen die Verantwortung für das nicht-genehmigte Senden zu übernehmen« und darüber hinaus »gaben wir im Genehmigungsantrag einen anderen Sendeort an als den aktuellen«.443 Es ist diese strategische Entkopplung, die letztlich die Legalisierung eines illegalisierten Radiokollektivs ermöglicht.

Doch, wie bereits gesagt, sind die ComRads auch nach der gesetzlichen Anerkennung permanent gefordert, ihre Signalerzeugung zu verteidigen. On air müssen sie versuchen, sich allein gegen Interferenzen anderer Sender zu wehren, denn Lei 9.612/98 sieht explizit nicht vor, sie vor der Störung durch andere Radios zu schützen.444 Der asymmetrische Charakter der staatlichen Kontrollen zeigt sich in der äußerst genauen Überprüfung der genehmigten ComRads. Können die Radios jederzeit eine aktuelle Sendegenehmigung vorweisen? Entspricht die Signalstärke genau der legalen Norm, die keinem anderen Sender Interferenzen verursacht? Nennt das Radio die Sponsor_innen in adäquater Weise?445 Weisen die Kontrollen und Messungen von ANATEL Verstöße nach (oder behaupten dies zumindest), »müssen wir dafür hohe Strafen zahlen. Die Repression ist heute nicht mehr polizeilich organisiert, sondern ab dem Moment der Genehmigung finanzieller Natur. Die Strafen sind gewaltig, das kann immer das Aus bedeuten«.446 Es sei aussichtslos, sich dagegen gerichtlich zu wehren, ein erfolgreiches Handlungsprogramm müsse vielmehr zwei Mobilisierungen vereinen: die Normen genau einzuhalten und »einen guten Kontakt zur community zu pflegen, um diese bei Strafzahlungen schnell für eine finanzielle Unterstützung gewinnen zu können«.447

Der hier inskribierte »gute Kontakt« zur community ist jedoch noch aus einem weiteren Grund wichtig. Als Teil einer Vereinsstruktur, ist ein genehmigtes ComRad, rechtlich-formell betrachtet, dem mehrheitlichen Willen der dort versammelten Mitglieder unterworfen. Und Mitglieder können alle Bewohner_innen werden, auch solche, die an einem offenen und unabhängigen Betrieb eventuell gar kein Interesse haben. »Das Radio muss daran denken, sich vor feindlichen Übernahmen zu schützen, damit unsere Offenheit nicht dazu führt, dass sich jemand des Direktoriums bemächtigt. Wir kennen uns hier in der Gemeinde untereinander, klar, aber es ist wichtig, wachsam zu bleiben.448 Das beste Mittel sei jedoch ein anderes, meint Rádio Heliópolis: »eine aktive und möglichst breite Beteiligung der community, das ist der beste Schutz«.449

Dennoch heißt breite Beteiligung nicht unbeschränkter Zugang zum Sender. Während bei direkt Mitwirkenden ein Handlungsprogramm die Vergabe und Nutzung von Schlüsseln regelt, stehen Besucher_innen in den meisten Fällen zunächst vor verschlossenen Türen oder werden auf Hinweistafeln darum gebeten, nicht direkt in die Sendekabinen zu gehen, sondern ihr Anliegen zunächst anderen Mitarbeitenden zu erklären und gemeinsam zu schauen, ob und wann der beste Moment zum Mitmachen on air ist.450 Diese Regeln haben zugleich das Ziel, die Kommunikation mit »ungebetenen Gästen« zu formalisieren. Als solche erscheinen in den Erzählungen der genehmigten ComRads wiederholt die Mitarbeiter_innen von ECAD (Escritório Central de Arrecadação e Distribuição), eine private non-profit-Organisation die in Brasilien als Verwerterin für Autor_innenrechte auftritt. ECAD versucht seit Bestehen der ComRads durchzusetzen, dass diese monatlich pauschal mehr als 200 Reales für die Nutzung autoriell geschützten Audiomaterials abführen sollen. Bis auf Radio Bicuda wehren sich alle hier versammelten Sender dagegen.

»Wir heften die Zahlungsaufforderungen ab und verweisen bei persönlichen Besuchen darauf, dass es ein Richter in Santa Catarina [Bundesstaat im Süden Brasiliens, N.B.) vor ein paar Jahren entschieden hat, dass Community Radios keine Autor-innenrechte zahlen müssen. Wir lassen uns bei diesem Kampf auch anwaltlich beraten«.451

Diesen Bedrohungen gegenüber erscheinen die für den Schutz der Radio in the studio inskribierten Handlungsprogramme weniger bedeutsam. Überall wurden Regeln aufgestellt, um vor allem die nicht-menschlichen Akteur_innen vor Schaden zu bewahren, die den Radiosendern Kosten verursachen könnten.452 Vielmehr ist bei der Betrachtung der Verteidigung der Sender deutlich geworden, dass auch genehmigte ComRads Handlungsprogramme für eine Stabilisierung  mobilisieren müssen, die in ihrem Umfang durchaus mit den Skripten nicht-genehmigter Sender vergleichbar ist. Der Unterschied scheint vielmehr ein qualitativer, an situativen Szenarien orientierter.  Als senderübergreifende gemeinsame Gefahren lassen sich der Verlust der Sendegenehmigung, feindliche Übernahmen oder der durch mögliche Strafzahlungen provozierte finanzielle Ruin herausstellen.

Doch die hier referierten defensiven Stabilisierungsstrategien und die weiter oben betrachteten Inskriptionen, die eine ständige Mitarbeit und kontinuierliche Signalerzeugung sicherstellen sollen, werden noch von zwei weiteren wichtigen Handlungsprogrammen ergänzt. Zunächst organisieren die genehmigten ComRads, wie auch alle anderen unabhängigen Radios, spezifische Weiterbildungen. Wie bereits weiter oben beschrieben, vermitteln alle Sender zunächst einführendes Wissen, folgen dann jedoch unterschiedlichen Strategien. Rádio Comunidade, Independência, Novos Rumos und Gazeta News setzen vor allem auf ein learning by doing, sei es, weil sie keine Kapazitäten oder Ressourcen haben, ein anderes Angebot zu organisieren, sei es, weil »wir finden, dass es der beste Weg ist, Radiomachen direkt in der Praxis zu lernen, vorm Mikrofon und vor den Reglern« [des Mischpults, N.B.]453 Demgegenüber setzen Rádio Bicuda, Cantareira und Heliópolis auf ein »ständiges eigenes Angebot an Workshops und Kursen«.454 Explizit organisieren die beiden letztgenannten Sender die Weiterbildungen nicht nur, um die Existenz des Radios zu sichern, sondern verstehen sich auch als Ausbildungsradios für Jugendliche. Das Handlungsprogramm trägt damit öffentlich sichtbar direkt zur Anerkennungswürdigkeit bei und zwar nicht nur innerhalb der community. Intensiver als die übrigen Sender übersetzen sie auch das legale Skript, das fordert, »die Weiterbildung von Bürgern [zu] erlauben«.455

Weitaus konkretere Forderungen stellt das Gesetz dagegen, wie schon oft gesagt, an die rechtmäßige Finanzierung der ComRads. Ihrem eigentlichen Handlungsprogramm vorangestellt ist deshalb immer der Vorwurf, das Lei 9.612/98 würde es erschweren, die monatlich anfallenden Kosten von bis zu 4.000 Reais zu decken.456 Zudem verhindere das Gesetz ein geteiltes Anliegen: in den Radios allen Beteiligten entweder Aufwandsentschädigungen oder Gehälter zahlen zu können.457 Denn ComRads sehen einen zentralen Grund ihrer diverser Schwierigkeiten (wie bspw. die nachhaltige Beteiligung im Allgemeinen oder die Anwesenheit von Frauen am Sendebetrieb im Besonderen, aber auch Sendeausfälle aufgrund nicht sofort bezahlbarer Reparaturen) eben darin, keine konstanten finanziellen Anreize für ihre menschlichen Akteur_innen schaffen zu können. Damit  schreiben sich die genehmigten ComRads selbst eine ständig klaffende Finanzierungslücke ein, vor deren Hintergrund ständig versucht werden muss, alle legitimen finanziellen Mittel zu mobilisieren, auch wenn klar ist, das nie erreichen zu können.

Doch was sind in den Augen der genehmigten ComRads legitime Einkünfte? Ausgeschlossen werden der Verkauf von Sendezeit, sei es an Künstler_innen und Musiker_innen, sei es an Politiker_innen.458 Als ebenfalls illegitim wird eine reine Werbefinanzierung betrachtet, denn man dürfe sich nicht von einer einzigen Einnahmequelle abhängig machen.459 Auch eine exklusive Finanzierung vermittels staatlicher Ressourcen wird deshalb ausgeschlossen.460

Dementsprechend vielfältig ist das Handlungsprogramm der Finanzierung angelegt. Der wichtigste, in allen Radios zu findende Eckpfeiler ist dabei das Sponsoring durch das lokale Gewerbe, der sogenannte apoio cultural. Rádio Gazeta News finanziert sich ausschließlich auf diese Weise, bei Rádio Heliópolis macht der Anteil an den Gesamteinnahmen 50 Prozent aus, andere Radios, wie z.B. Rádio Independência sagen, in einer Kleinstadt ließen sich mit so einer geringen Sendestärke nur geringe Einkünfte mit dem apoio cultural erzielen.461 Rádio Novos Rumos bemängelt, nicht explizit für Produkte werben zu können mache diese Art der Kooperation nur begrenzt interessant für lokale Gewerbetreibende.562 Erneut wird also das Gesetz dafür verantwortlich gemacht, dass ComRads das Potential dieser Einnahmequelle nicht vollständig nutzen können – ein Grund dafür, dass einzelne Radios sich im operativen Gebrauch immer wieder über die Grenzen des Sponsoring hinwegsetzen und Werbung senden.563

Eine zweite Finanzierungsmöglichkeit erschließen sich die genehmigten ComRads in ihren Programmmachenden und Mitgliedern. Nur Rádio Bicuda geht dabei jedoch soweit von den Programmmachenden »eine regelmäßige Unterstützung des Senders [zu]verlangen. Wenn sie selbst kein Geld haben, können sie ja einen apoio cultural für ihr Programm organisieren und sich so an den Kosten des Senders beteiligen«.564 Vielmehr setzen die anderen Radiokollektive auf regelmäßige Spenden von Privatpersonen oder Institutionen, achten dabei aber streng darauf, dass daraus nie ein Anspruch auf Sendezeit abgeleitet wird.565 Ähnlich verhält es sich mit den Beitragszahlenden der Trägervereine der ComRads, die davon jedoch kein Anrecht auf einen Sendeplatz ableiten können.566

Eine dritte wichtige Einnahmequellen bietet die finanzielle Kooperation mit staatlichen Institutionen bzw. Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen. Bereits weiter oben ist deutlich geworden, dass alle hier versammelten genehmigten ComRads grundsätzlich an einer Kooperation interessiert sind, so lange dabei die Unabhängigkeit der Radiokollektive gewahrt bleibe.567 Dies gilt auch für die Kooperation mit NGOs und anderen Geber_innen.568 Dabei muss nicht unbedingt, wie im Beispielfall von Rádio Independência, die für die Erneuerung des Studios finanziell von Misereor unterstützt wurden, direkt der operative Gebrauch stabilisiert werden. Rádio Cantareira, vor allem aber Rádio Heliópolis führen auch soziale Projekte (z.B. Hip-Hop-Tanz-Kurse) aus, die außerhalb der Sendekabine stattfinden. »Die Einkünfte aus dieser Projektarbeit helfen dabei, das Radio zu finanzieren und das Radio hilft zugleich dabei, eine hohe Bekanntheit und Teilnahme an den Aktivitäten zu garantieren«.569

Damit ist bereits eine letzte Finanzierungsmöglichkeit der ComRads angesprochen, die darin besteht, ein spezifisches Angebot zu generieren, sei es in der Form von Events oder speziellen Serviceleistungen. Events sind vor allem die jährlich organisierten Geburtstagspartys der Sender und an diesen Tagen – oder unabhängig davon organisierte Bingowettbewerbe, Auktionen oder Verlosungen.570 Oder die ComRads lassen sich als Organisator_innen für Veranstaltungen dritter verpflichten.571 Angeboten werden auch kostenpflichtige Audioproduktionen, so wie in Rádio Heliópolis, bzw. die Nutzung des radio-eigenen Aufnahmestudios bei Rádio Novos Rumos.572

Der Blick auf das Handlungsprogramm der Finanzierung zeigt deutlich, dass alle ComRads, mit Ausnahme von Rádio Gazeta News, auf einen Mix diverser Einkünften setzen, um die Kosten der Signalerzeugung zu decken. Erneut beeinflusst ihre legale Anerkennung dabei auf ambivalente Weise  die Stabilisierung: zum einen eröffnet sie den Sendern eine breitere Palette an finanziellen Kooperationsmöglichkeiten, zum anderen schränkt sie die staatliche Kontrolle des Sponsorings in der Mittelakquise ein. Zumindest öffentlich versuchen die genehmigten ComRads jedoch keine davon abweichenden Werbeformate zu legitimieren.

(3) Was bleibt, ist, nun eine Analyse auf den nach außen hin wohl sichtbarsten Teil der um Legitimität bemühten Skripte der genehmigten ComRads zu werfen, nämlich die von ihnen inskribierten und mobilisierten Beiträgen zum Gemeinwohl. Diese sind, wie bereits bei den nicht-genehmigten ComRads, um einiges instrumenteller angelegt als bei den Freien Radios, die ihre Anerkennungswürdigkeit ja vor allem an der Realisierung offener kommunikativer Räume fest machen. Das soll nicht heißen, dass genehmigte ComRads sich abschotten. Im Gegenteil, wie dargestellt, organisieren viele von ihnen Internetcafés in den Studioräumen und »tragen mit der Organisation von Events direkt zur Schaffung offener Räume bei«, wie es Rádio Heliópolis formuliert.573 Die Signalerzeugung selbst spielt dafür jedoch keine Rolle und folgt in ihrer Legitimation, wie ich zeigen werde, anderen Prämissen.

Dabei ist zunächst zu bedenken, dass der strukturierte operative Gebrauch der genehmigten ComRads erneut vom legalen Skript Lei 9.612/98 beeinflusst wird. Darin wird der Beitrag der Sender zum Gemeinwohl bereits an einigen expliziten Aufgaben festgemacht, die direkt auch die Programmgestaltung betreffen. Legalisierte ComRads sind verpflichtet, für die community relevante Nachrichten und Informationen zu senden und einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Doch es ist nicht nur die Erfüllung dieses »Pflichtprogramms«, das spezifische Beiträge zum Gemeinwohl anleitet, sondern auch die von den Radios weiter oben beschriebenen konkreten Missionen, der sich die Sender seit ihrer Entstehung angenommen haben. Anstatt das Radiomedium als Bereitstellung eines offenen und leeren Raumes zu definieren, in dem die Meinungsfreiheit und das Recht auf Kommunikation realisiert werden können, nehmen die Radiokollektive eine konkretere Ausdeutung dieser universellen Garantien vor bzw. koppeln sie an von ihnen beschriebene konkrete Bedürfnisse der verschiedenen communities.

In den Beschreibungen der ComRads lassen sich dabei vor allem fünf konkrete Mediationen von Gemeinwohl herausarbeiten. Eine erste, nämlich die aktive Vermittlung von Urbanisierungsprozessen und alltäglichen Fragen des Zusammenlebens als Gemeinschaft, wird explizit von Rádio Heliópolis, Rádio Novos Rumos und Rádio Cantareira inskribiert. Novos Rumos, die sich von Beginn an als Sprechrohr des eigenständigen municípios Queimados verstanden, befinden: »Es gibt heute noch immer viele Probleme im Viertel, Straßenschäden oder Wassermangel, wo wir als Radio versuchen, zu einer Lösung beizutragen«.574 Diese Beiträge definieren Novos Rumos und die beiden anderen Sender darin, die Bewohner_innen zu beraten und die Regierenden zur Behebung von Missständen zu verpflichten.575 Rádio Heliópolis stellt jedoch heraus, dass die Rolle eines Radios dabei nicht nur reaktiv sein muss. »Es geht auch darum, eigene Perspektiven zu entwickeln, denn wir haben die Chance, unsere Lebensqualität zu verbessern, wenn wir uns dauerhaft gemeinsam organisieren«.576

Während diese Mediation den operativen Gebrauch strategisch an konkrete Ziele koppelt, werden drei weitere Beiträge zum Gemeinwohl vor allem als »Sensibilisierung« und »Aufklärungsarbeit« umschrieben. Dazu gehört zunächst der Umweltschutz, der bei Rádio Cantareira, Rádio Independência und Rádio Bicuda »ein zentrales Thema« und bei letzterem, das seine Arbeit als Umweltinitiative begann, »auch weiterhin zentral für die Programmgestaltung und -auswahl ist, denn das ist der Schlüssel, um unser aller Lebensqualität zu verbessern«577. Auch der Bildungsarbeit im Radio wird in eben jenen drei Sendern ein hoher Stellenwert eingeräumt, z.B. im Rahmen von speziellen Programmen, um Jugendliche und Erwachsene zur Alphabetisierung zu motivieren.578 Noch intensiver wird bei der aufklärerischen Nutzung des Radios jedoch die Gesundheitsvorsorge und insbesondere die Suchtprävention angesprochen. Hier geht es jedoch nicht nur um das Senden von Informationen, Spots und Aufrufen. Vielmehr wird das Radio auch als Mittel inskribiert, um Kontakt mit Konsument_innen aufzubauen und für sie kulturelle Räume zu schaffen, oder aber um für die community im Allgemeinen »Alternativen zur Alkohol dominierten Ausgehkultur auf[zu]zeigen« und zu organisieren.579

Eine fünfte und letzte konkrete Mediation ist die Unterstützung lokaler Künstler_innen. Die positive Auswirkung für die Anerkennungswürdigkeit der ComRads ist eine dreifache. Zum einen bringt sie Künstler_innen dazu, sich wie bei Rádio Novos Rumos sichtbar und aktiv im Vorstand zu organisieren.580 Zugleich helfen vor allem Musiker_innen, ein für die community interessantes Programm zu organisieren und erhalten ihrerseits in den Sendern die Möglichkeit, ihre Arbeit vorzustellen.581 Und schließlich unterstützen viele Künstler_innen ihrerseits die Sender bei öffentlichen Veranstaltungen und helfen dabei, für rege Teilnahme zu sorgen.

In dieser Vielzahl von Beiträgen zum Gemeinwohl hallt deutlich die situative Entstehung der einzelnen ComRads nach. Sichtbar wird auch, dass sich der operative Gebrauch der Radios mit Handlungsprogrammen verbindet, die weit über die Signalerzeugung hinausgehen: Demonstrationen, Organisation von Veranstaltungen, Beratungen und bezüglich der Vermittlungen, die sich an einem Recht auf Wohnen orientieren, auch explizite politische Vermittlungen.

Richten sich die bisher umrissenen gemeinwohltätigen Handlungsprogramme an spezifische Bedürfnisse der community, inskribieren die Radios zudem auch einen Beitrag, der sie auf allgemeinere Art und Weise als politische_n Mittler_in charakterisiert. Perspektivisch beschreibt sich Rádio Novos Rumos dabei als »Ombudsmann der Gemeinde, um reale Probleme zu lösen«.582 Ähnlich positioniert sich Rádio Heliópolis, das sein politisches Gewicht nutzt, um in Gesprächen mit dem Stadteilbürgermeister direkt Forderungen der community zu präsentieren und verbindlichen Antworten einzuholen.583 Rádio Bicuda und Rádio Gazeta News dagegen sehen sich eher in der Rolle, an öffentlichen Debatten teilzunehmen oder solche anzuregen; Rádio Comunidade setzt auf Kooperation statt Konfrontation.584 Alle hier versammelten Sender verorten sich damit implizit dauerhaft als Mediator_innen zwischen einzelnen communties und den politischen Autoritäten eines lokalen Territorium – mit einer entscheidenden Ausnahme. Denn Rádio Independência sieht die politische Mittler_innenrolle gerade darin, »die bestehenden politischen Strukturen, soziale Klassen und die kapitalistische Ordnung [zu] überwinden«, um jenseits davon »eine neue Art von Gemeinde [zu] verwirklichen«.585

Während diese befreiungstheologisch inspirierte politische Mediation bei den anderen hier versammelten Radios keinen Anklang findet, scheinen sich die genehmigten ComRads um so einiger darin, eine neue Art von Kommunikation zu realisieren. Unter Verwendung der bereits zuvor benutzten Kategorien lässt sich zunächst festhalten, dass anders Radio machen für die hier versammelten Sender heißt, an einer anderen Sprache zu arbeiten und zugleich die Stimme der Gemeinde zu sein.586 »Wir reden so, wie der Kassierer an der Supermarktkasse und bringen die Menschen doch dazu, nachzudenken«.587 Das Insistieren auf die radial verstärkte, überindividuelle »Stimme«, als das Ergebnis einer »demokratischen Techniknutzung« und »ethischer Prinzipien« legitimiert die Sender hier sehr anschaulich als die Ko-Konstitution eines heterogenen Akteur_innen-Netzwerks – auch wenn die dafür öffentlich angeführte Metapher eine menschliche bleibt.588

Doch nur die Stimme des Kassierers nachzuahmen reicht nicht aus: die genehmigten ComRads wollen zudem auch anders informieren. Statt sich mit einer reinen Polyfonie zufrieden zugegeben, wird bei der Operationalisierung der Informationsarbeit erneut der instrumentelle Charakter der Sender deutlich. »Alle Sendungen sind zu einer Informationsarbeit verpflichtet« denn »Ziel ist es, den Zugang zu Informationen zu erhöhen«.589 Dabei wird zunächst ein lokaler Fokus veranschlagt: »Wir wollen erreichen, dass Leute im Radio verstehen, dass alles um sie herum Nachrichtenwert hat und sich in eine Nachricht fürs Radio verwandeln kann«.590 Dazu gehörten sowohl »Service-Informationen« als auch »die Berichterstattung über soziale Bewegungen, nicht nur auf lokaler Ebene. Kurzum, wir müssen über all das informieren, was kommerzielle Medien außen vor lassen«.591

Doch woher diese Informationen beziehen? Die genehmigten ComRads veranschlagen dafür ihre spezifische Interpretation von anders teilen: ein reger und weitverzweigter Austausch von Informationen (aber auch Musik, etc.) zwischen öffentlichen Institutionen, alternativen Nachrichtenagenturen und anderen ComRads bzw. network builders.592 Anders als bei dem Copyleft-Praktiken der Freien Radios (vgl. 4.2), wird hier nicht auf ein Handlungsprogramm des Teilens rekurriert, sondern die direkte Kooperation mit spezifischen Akteur_innen mobilisiert, wobei – wie schon im Fall der oft Software – der kostenlose Zugang und Austausch im Vordergrund steht und nicht die Ausarbeitung spezifischer Tausch-Regeln.

Anders zu Kommunizieren, das ist wie bei den weiteren unabhängigen Radiokollektiven, ein Anspruch, der sich nicht nur auf die unmittelbare Übersetzung spezifischer Beiträge zum Gemeinwohl beschränkt. Während die genehmigten ComRads jedoch kaum an einer experimentellen Signalerzeugung interessiert sind, beteiligen sie sich dafür umso intensiver an der Inskription von Medienutopien.593 Der bisher starke Fokus auf menschliche Akteur_innen legt nahe, dass die Sender hier weniger an technischen Neuerungen interessiert sein sollten. Ihre Positionen gegenüber eine Digitalisierung der Radioübertragungen bestätigen diesen Verdacht zunächst auch, die Meinungen oszillieren zwischen Ablehnung und Skepsis.594 Äußerst wohlwollend wird dagegen die Entität des Internets besprochen, um das klassische Radioangebot zu erweitern. Breitband-Internet, Webradios, Technologiezentren, Online-Werbung, Online-Nachrichtenportale – das Internet ist das Akteur_innen-Netzwerk schlechthin, das alle Sender entfalten, wenn sie Modifikationen des Radiomachens an spezifischen non-humans und daran gekoppelten Handlungsprogrammen festmachen.595

Also Breitband-Internet und weiterhin ein extrem niedrige Sendestärke von 25 Watt- wie passt das zusammen? Nicht sonderlich gut, finden die genehmigten ComRads und artikulieren in ihren Medienutopien deshalb auch andere Formen der Spektrumsnutzung. So schlagen die Sender gerechtere Formen der Frequenzvergabe bzw. Aufteilung verfügbarer Kanäle vor und formulieren zugleich Visionen einer nachhaltigen Finanzierung.596 Zentraler Bezugspunkt dieser Ideen ist jedoch nicht das elektromagnetische Spektrum, sondern das legale Skript, dem aus Sicht der genehmigten ComRads bisher nur im Rahmen von hidden transcripts beizukommen ist.597 »Deshalb ist unser Bestreben nach Veränderungen so stark am Lei 9.612/98 orientiert, denn dieses schädigt die Radios.  Unsere Aufgabe ist es, unsere Bedeutung als Kommunikationssystem klarzustellen, denn die Regierung hat uns bis heute nie wirklich anerkannt«.598 Das mediale Trajekt, das ComRads für sich selbst skizzieren, setzt perspektivisch deshalb immer an der »öffentlichen Politik [an], die den Radios Technologien zugänglich machen muss, denn in den Radios gibt es bereits Erfahrungen und Strukturen, der community fehlt es jedoch an Kenntnissen. Es gab zu lange ein Vakuum zwischen Radio- und Kommunikationstechnologien«.599

Laufen damit die Zukunftsvisionen, zugespitzt formuliert, nicht auf eine Anrufung des Staates hinaus? – eine Frage, die auch für ein breiteres Fazit interessant ist. Zunächst ist bezüglich der Beiträge zum Gemeinwohl jedoch zu sagen, dass die ComRads zwei unterschiedliche legitimatorische Übersetzungsketten knüpfen. Die erst setzt dabei bei konkreten Prozessen und Bedürfnissen der community an (bzw. solchen, die die ComRads als solche verstehen) und verknüpft diesen Fokus mit dem Anspruch, darüber hinaus einen Informationsbeitrag zu leisten, der sich besonders an lokalen und sonst nicht hörbaren Themen orientiert. Demgegenüber entspringt die zweite Übersetzungskette den gesetzlich inskribierten Beiträgen zum Gemeinwohl und zielt darauf ab, diese öffentlich sichtbar und hörbar zu realisieren. In gewisser Weise setzt sich damit auch bei der Analyse der Beiträge zum summum bonum fort, was sich bereits bei den Stabilisierungs- und Mobilisierungsstrategien angedeutet hatte: die Legitimation der genehmigten ComRads entspannt sich dezidiert zwischen Lei 9.612/98 und dem Selbstverständnis der Sender als unabhängige Radios im Dienste einer spezifischen community.

Wenn ich weiter oben von einer »Anrufung des Staates« gesprochen haben, dann deshalb, weil die genehmigten ComRads ihr legitimatorisches »Spagat« nicht allein aus einem Zwang heraus realisieren. Die Radiokollektive verstehen es sehr genau, die Legitimationsforderungen der scheinbar erhabenen gesetzlichen black box anzubohren: sie argumentieren klar und auf Erfahrungswerte gestützt, warum sie das Lei 9.612/98 bei der vollen Entfaltung als ComRad behindere. Zudem führen sie stringent den Nachweis einer legalen Ungleichbehandlung und denunzieren repressives Verhalten bzw. den Amtsmissbrauch staatlicher Akteur_innen. Ein offener »Bruch« mit den gesetzlich inskribierten Regeln ließe sich also leicht rechtfertigen.

An know how dafür fehlt es nicht, Alternativen sind bekannt und werden auch mobilisiert: die ComRads koppeln ihr Medienmachen eng an die situativen Charakteristika und Bedürfnisse spezifischer communities. Menschliche Akteur_innen und von ihnen dominierte Handlungsprogramme schieben sich in den Legitimationsnarrativen immer wieder vor gesetzliche Paragraphen. Auch gibt es Hinweise auf hidden transcripts, die außerhalb eines breiten und öffentlichen Legitimationssrahmens Anerkennungswürdigkeit übersetzen.600 Und dennoch achten die genehmigten ComRads darauf, zugleich weiterhin die eher limitierenden gesetzlichen Normen und Regeln einzuhalten, eben weil diese Legitimationsquelle in zweierlei Hinsicht zu ihrer Stabilisierung beiträgt. Die erste betrifft eine Abgrenzung gegenüber den nicht-genehmigten Sendern, mit denen es zwar mitunter solidarischen Kontakt gibt, die aber auf dem eigenen turf eher als unliebsame Konkurrenz betrachtet und dementsprechend bewusst delegitimiert werden.

Das zweite Interesse an der legalen Anerkennung erklärt sich dagegen aus einer Affirmation der legalen Assoziation Lei 9.612/98 heraus. Die genehmigten ComRads teilen zunächst die Auffassung, die Sender sollten instrumentell an der Übersetzung von Informationen und kulturellen Ausdrucksformen beteiligt sein, anstatt das Radiomachen, wie die Freien Radios, als Bereitstellung eines offenen Raumes zu inskribieren. Noch entscheidender aber ist die Affirmation eines Legitimationsdispositivs, in dem der Staat und seine Gesetze auch weiterhin die zentralen Legitimationshelfer_innen bleiben. Ohne Frage, für die community wird eine aktivere Rolle eingefordert, jedoch ist kein Interesse an völliger Selbstorganisation oder einer grundlegenden Modifikation des status quo erkennbar. Vielmehr scheint es so, dass die hier versammelten ComRads, die ja allesamt bereits vor der Verabschiedung von Lei 9.612/98 existierten, an einer symmetrischen Aufwertung ihres medialen Status gegenüber anderen legalen Sendern interessiert sind und dabei nicht nur mehr Sendestärke, sondern auch eine anteilige staatliche Förderung als legitimen Anspruch geltend machen. Oder anders gesagt läuft die Legitimation der genehmigten ComRads auf ein kontrolliertes »Vermischen« des legalen Skripts mit eigenen, davon abweichenden Inskriptionen hinaus, die darauf abzielen, den davon angeleiteten operativen Gebrauch in Form einer Gesetzesreform zu stabilisieren.

 

4.6 Zwischenfazit III – Skriptswitching & Skriptmixing

Die Skripte Freier Radios und Community Radios in 17 verschiedenen Sendern haben gezeigt, dass die einzelnen Kollektive bei weitem nicht nur die Ideen und Normen der network builder ausführen und etwaige Lücken schließen. Vielmehr spielen die Radios eine ganz entscheidende Rolle bei der Umdeutung von Konzepten und vor allem auch ihrer erfolgreichen Stabilisierung. Harte kategorische Grenzen lösen sich auf, immer wieder werden situativ Ausnahmen gerechtfertigt, die der allgemeinen Anerkennungswürdigkeit zwar manchmal zuwiderlaufen, aber zugleich nicht automatisch einen delegitimatorischen Effekt haben, da eben diese Brüche, zumindest situativ, neue Legitimationsstrategien inskribieren und mobilisieren helfen.

Ist es angesichts dieser Beobachtungen überhaupt noch möglich, kategorische Aussagen zur Legitimation von Freien oder Community Radios als Skripte unabhängigen Medienmachens zu treffen, wenn Anerkennungswürdigkeit letztlich nur noch situativ rekonstruierbar ist? Ja, denn trotz der heterogenen Mobilisierungen verwenden die einzelnen Radios ja nach wie vor die beiden »lables«. Anstatt den Skripten der network builder MiniCom, AMARC, ABRAÇO, usw. keinerlei Bedeutung mehr zuzumessen, ist es überaus spannend zu betrachten, wie diese situativ in die jeweiligen Handlunsprogramme eingebunden werden.

Unterscheiden lassen sich dabei zwei allgemeine Strategien, wenn man so will Handlungs-programme auf der Ebene einer Re-Inskription und Re-Mobilisierung.601 Die erste Strategie nenne ich Skriptswitching. Diese beschreibt einen Wechsel der Legitimationsstrategie, je nach dem wer gerade einen claim an ein Radio heranträgt. Nichtgenehmigte oder genehmigte Radios weisen gegenüber den Regulierten beispielsweise zumeist eine Sendestärke von 25 Watt aus und zeigen damit, dass sie den zentralen Legitimationshelfer Staat und die von ihm definierten Normen anerkennen. Bei Besuchen und Gesprächen mit den Radiokollektiven wurde jedoch deutlich, dass diese Signalstärke im operativen Gebrauch viel höher ist und damit gerechtfertigt wird, dass es sonst nicht möglich sei, als Medium tatsächlich der community zu nützen, sei es als Hörer_innen, Sponsor_innen oder direkt Beteiligte.

Ein weiteres Beispiel für diese situative Switchen ist beispielsweise die öffentliche Selbst-beschränkung der ComRads auf eine Finanzierung durch ein Sponsoring lokaler Gewerbetreibender (apoio cultural), also ein »werbefreies Senden« und ein Verzicht auf »politisches Campaigning«. Beim Besuch und beim Hören verschiedener Sender lies sich mitunter jedoch sehr wohl die Verwendung von Spots feststellen, bei der bestimmte Produkte bzw. bestimmte Parteien angepriesen wurden. Auf Nachfrage wurde dieses nicht-öffentliche Skriptswitching von den Radiokollektiven dann entweder negiert bzw. Versucht, das switching zu legitimieren: das Radio sei »auf diese Einnahmen angewiesen, um seinen Dienst an der community erfüllen zu können«, das Radio unterstütze auf diese Weise die lokale Ökonomie, das Radio müsse politisch Kampagnen für die PT machen, »um der negativen Berichterstattung der bürgerlichen Presse etwas entgegen-zusetzen«. In diesen hidden transcripts, blitzen auch neue Größen im operativen Gebrauch auf (z.B. politische Parteien), die das unabhängige Medienmachen nicht nur punktuell delegitimieren, sondern in Form konkurrierender mediale Skripte (z.B. parteiische Öffentlichkeitsarbeit) durchkreuzen.

Weniger problematisch scheint demgegenüber, das in Freien Radios realisierte Switchen bezüglich ihres eigenen Autonomieanspruchs: die Operationalisierung wird äußerst flexibel gehandhabt. Geht es um eine öffentliche Abgrenzung von staatlichen Akteur_innen (inklusive der Universitäten), dann wird auf die Ablehnung jeglicher Kooperation bzw. auf ein konstantes Autonomwerden insistiert. Geht es in nicht-öffentlichen Gesprächen perspektivisch darum, stabilisierende Handlungsprogramme zu beschreiben, wird eine indirekte, als Aneignungstrategie definierte Kooperation mit staatlichen Entitäten nicht ausgeschlossen. Die Frage ist hier, inwiefern dieses strategische Switchen nicht die Inskriptionen eines Autonomwerdens erodiert oder lediglich ein Hinweis auf dessen unterschiedliche situative Ausdeutungen seitens der Radios und ihres network builder RIZOMA ist (vgl. Kap. 3.5.1).

Doch während die Kombination scheinbar unvereinbarer Prämissen lediglich ein switching zulässt, ermöglicht ein zweites Handlungsprogramm die explizite Kombination zweier unterscheidbarer Legitimationsstrategien, was ich als Skriptmixing bezeichne. Darunter lässt sich ein situatives Ausdeuten unabhängigen Radiomachens zusammenfassen, in das bewusst abweichende oder originäre Entitäten inskribiert werden, um damit, dem eigenen Verständnis nach, die mediale Anerkennungswürdigkeit zu erhöhen. Dieses pragmatische Mischen scheint zunächst legitim,  allerdings nur solange, wie es a priori als Versuch aufgefasst wird, positiv konnotierte Beiträge zum Gemeinwohl zu übersetzen.

Rádio Luta ist eines dieser Positivbeispiele. Es spielt nicht nur mit seiner kategorischen Selbstbeschreibung als ein Freies Community-Arbeiter_innenradio, sondern kombiniert zugleich das Recht der Frequenzbesetzung, das von einer radikalen Kritik des Staats als zentraler Legitimationshelfer (nicht nur des Radiomachens) befeuert wird, mit der Prämisse, sich in den Dienst einer spezifischen community zu stellen. Damit wird  das Recht auf Radio nicht länger nur als individueller, persönlicher, sondern zugleich als ein kollektiver Anspruch konstruiert.

An die communities gekoppelt ist auch ein zweites, ambivalenteres Beispiel des Skriptmixings. Dieses betrifft die Frage der konzeptuellen Bestimmung einer community. Während das Gesetz und ABRAÇO eine geographische Definition von community inskribieren, und AMARC zu deren Konzeptualisierung den Ansatz von Interessensgemeinschaften vorschlägt, mischen viele der unabhängigen Radios in ihren Skripten beide Prämissen. Dieses mixing hilft im besten Fall dabei, die Inskription von AMARC um eine Interessensgemeinschaft zu ergänzen, die sich auf die Organisation eines gemeinsamen Territoriums bezieht und zugleich den statisch geographisch geprägten Ansatz einer politischen Verwaltungseinheit zu erweitern sucht. Im schlimmsten Fall könnte der Bezug auf ein Territorium jedoch auch ein exklusives Nutzungsrecht für eine bestimmte, an das Radio gekoppelte community beinhalten.

Ein äußerst problematisches Vermischen zweier Skripte realisieren schließlich jene Sender, die sich zugleich als »evangelikale Radios« bezeichnen, öffentlich aber auch den Anspruch pflegen, von einer offenen community getragen zu werden. Bei genauerer Betrachtung ist dagegen deutlich geworden, dass die anteilige Selbstbeschreibung als ComRad nicht mit einer empirischen Übersetzung der Skripte von network builders oder eigener Alternativen einhergeht. Vielmehr wird die Legitimation aus einer karitativ-religiösen Mission abgeleitet: inskribiert wird eine seelsorgerische Funktion des Radiomachens, die mit dem Aufbau einer Religionsgemeinschaft auf einem bestimmten Territorium einhergeht. Der Begriff der community, der diesem Skriptmixing entspringt, führt nicht nur weg von den Skripten vieler network builder, sondern wird auch von anderen Radiokollektiven kritisiert und als nicht adäquate Übersetzung delegitimiert.

Damit wird auch deutlich, dass ein bloßes Wechseln oder Vermischen und eine Vervielfältigung mobilisierter medialer und nicht-medialer Handlungsprogramme nicht zwingend legitimationssteigernd ist. Unbestritten machen die beiden, auf der Beobachter_innenebene angesiedelten, infralinguistischen Konzepte zunächst die politische Wirkungsmacht und Dynamik deutlich, die ein unabhängiges Radios nutzen kann, wenn es sich auf die Operationalisierung medialer Legitimation einlässt: Es ist von Vorteil, die eigene Anerkennungswürdigkeit außerhalb des engen legalen Horizonts eines Nationalstaats und der dort sehr effizient stabilisierten Akteur_innen (z.B. Institutionen) zu thematisieren, um auf diese Weise alle weiteren Einflussgrößen in ein symmetrisches »Kräftemessen« zu überführen und zugleich die Möglichkeit zu haben, aktiv eine situative »Existenzberechtigung« des Medienmachens konstituieren zu können – inklusive aller stabilitätsstiftenden Akteur_innen und Handlungsprogramme, die an der Übersetzung eines Beitrags zum Wohl einer community oder der Gesellschaft im Allgemeinen beteiligt sind.

Doch die aktive Aus- und Umdeutung der metacodes »Freies Radio« und »Community Radio« seitens der einzelnen Radiokollektive birgt auch ein immanentes Problem: ein möglicher »instrumenteller« Zugriff, der weniger daran interessiert ist, das Recht auf Kommunikation oder Meinungsfreiheit im elektromagnetischen Spektrum zu stärken, sondern die allgemeine gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit, die diese Art Radiomachen erfährt, ausnutzt, um Skripte zu mobilisieren, die oftmals in offenem Widerspruch zu den Prämissen der network builder, aber auch vieler unabhängiger Radiokollektive stehen. Dabei ist es jedoch nicht einfach möglich, jedes abweichende oder hidden transcript als Indiz eines zweckentfremdeten Zugriffs auf die metacodes zu deuten. Nicht immer den Vorgaben der network builders zu folgen kann unter Umständen ja äußerst gerechtfertigt sein. Und die Operationalisierung allgemeiner Prämissen unabhängigen Radiomachens ist, wie bereits mehrfach bemerkt, eben keine top-down Realisierung medialer Skripte, sondern eine viel kompliziertere Aushandlung.

Um diese Aushandlung nachzuzeichen, ist es notwendig, den operativen Gebrauch der Radiokollektive, der hier als ein switching und mixing eigener Skripte und Prämissen mit denen verschiedener network builder beschrieben wurde, in die Analyse von »Radio als zirkuläre Referenz« zurückzuführen. Denn Kapitel für Kapitel ist die vorliegende Arbeit nun immer weiter bis zum operativen Gebrauch der unabhängigen Radiokollektive vorgedrungen. Doch deren erfolgreichen, aber mitunter auch problematischen Stabilisierungsstrategien verlangen nun danach, in die Aushandlung der radialen metacodes zurückzufließen – denn wie sonst ließe sich letztendlich bestimmen, ob eine situative Ausdeutung konsensfähig ist bzw. das Potential hat, den bestehenden metacode zu transformieren?

Leider schlagen sich die Stabilisierungsstrategien rückblickend kaum in der allgemeinen Literatur zum brasilianischen Rundfunk (vgl. Kap. 2) und erstaunlicher Weise auch nicht in den Inskriptionen der network builder (vgl. Kap. 3) nieder. Zugleich ist zu beklagen, dass letztere mitunter interessante Einschreibungen anstrengen, die von den Radiokollektiven wiederum nicht aufgenommen werden bzw. nicht sichtbar werden. Woran liegt das? – das ist eine Frage, die sich eben nicht nur auf der Ebene einer intentionalen Handlungsbegriffs beantworten lässt.

Es ist also notwendig, abschließend noch einmal das Potential des »Kampfbegriffs« mediale Legitimation – oder wie auch immer man die interessanten Versuche, ein gesellschaftlich anerkanntes Radiomachen zu inskribieren, zu mobilisieren und zu stabilisieren nennen mag – in allen seinen Größen und in allen bisher entfalteten Dimensionen unter die Lupe zu nehmen und dabei auch zu reflektieren, warum die Zirkulation der Referenz »legitimes, unabhängiges Radiomachen« nicht sonderlich rund verläuft.

Konklusion – Détournements, mediale Räume und trading zones

Legitimationskonzepte zwischen Ethno- und Beobachter_innentheorie

 

»You know, when the puppet starts talking back to the puppeteer, the puppeteer is in bad shape…«1

Um die Mediationen Freier Radios und Community Radios in Brasilien als Prozesse medienpolitischer Aushandlungen und als Ausdruck des Rechts auf Kommunikation zu analysieren, hätte es sicherlich andere Wege gegeben, als sich ihnen über die vertrackte Frage der Legitimation zu nähern. Doch da die Radiomachenden bereits selbst dieses Konzept in den Mund genommen hatten, erschien es spannend, die Vorlage aufzugreifen und in einem Dialog zu vertiefen. Entgegen dem in der politischen Debatte geäußerten Einwand, der Begriff würde an Relevanz verlieren und in einen inflationären Gebrauch abrutschen, wenn er sich nicht exklusiv auf staatliche Herrschaft beziehen würde, hoffe ich gemeinsam mit den in dieser Arbeit zu Wort gekommenen Akeur_innen genau das Gegenteil gezeigt zu haben: ein scheinbares Exklusivrecht der Staaten wurde sich partizipativ angeeignet, aus einem etatistischen bon mot wurde erneut ein politischer Kampfbegriff, der ein nachvollziehbares Instrumentarium für aktuelle (medien)politische Kontroversen bereitstellt.

Der erste – und  vielleicht entscheidende – détournement (Entwendung) auf konzeptueller Ebene war dabei die bewusste Anwendung des Begriffs der Legitimation auf einen Prozess: den operativen Gebrauch, der das Machen unabhängiger Radios beschreibt und sich nicht am fixen Zustand eines Mediums aufhält. In Rückgriff auf die Akteur_innen-Netzwerk-Theorie operationalisierte ich diesen Prozess als Momente von Einschreibungen, Mobilisierungen und Stabilisierungen medialer Skripte. Da diese nur in der Zeit existieren, veränderte sich auch der Blick auf Legitimation: neben fixen Normen und Prämissen rückte auch das alltägliche Radiomachen in den Fokus. Medien bestimmen folglich nicht mehr nur unsere Lage (vgl. Kap. 1.1) sondern auch die von politischen Konzepten: Mediationen, verstanden als der operative Gebrauch spezifischer medialer Skripte, beeinflussen in ihrem konzeptuellen Insistieren auf eine Prozesshaftigkeit auch das an sie herangetragene Konzept der Legitimation. Kurzum, aus Legitimation wird Legitimierung.2

Damit wandelt sich auch der Raum, in dem Legitimationsforderungen gestellt und befriedigt werden. Es sind nicht mehr nur die »Staatsmänner« die in Palais oder Parlamenten über die abstrakte Anerkennungswürdigkeit ihres und anderer Staaten debattieren. Wie, wer, wo den Anspruch erheben kann, ein unabhängiges Radio zu organisieren, ist in Brasilien auch Gegenstand von Debatten in den Räumen von Nachbarschaftsorganisationen, Kulturzentren, besetzten Fabriken und Universitäten. Doch impliziert die Ausweitung des Gegenstands und der Orte der Debatte auch eine entsprechende Demokratisierung der Entitäten des eingangs (vgl. Kap. 1.2) explizierten klassischen Legitimationskonzepts? Und falls nicht, was sind Gründe – und mögliche Auswege?

Um diese Fragen differenziert zu beantworten, möchte ich mein anfangs aufgestelltes infralinguistisches Legitimationskonzept zunächst in den Dialog mit den in drei Kapitel gemachten Beobachtungen stellen. Als konzeptuellen Ausgangspunkt meiner Untersuchung hatte ich zunächst vorgeschlagen, die Legitimation unabhängiger Radios als »eine relationale Konfiguration« zu operationalisieren, »die eine als Radiomachen definierte Signalerzeugung im elektromagnetischen Spektrum an ein spezifisches Gemeinwohl spezifischer sozialer Gruppen koppelt« (vgl. Kap. 1.2.). Damit ist ein Unterschied beschrieben, der sich im Vergleich zu »klassischen« Legitimationsbegriffen der politischen Theorie tabellarisch wie folgt darstellen lässt:

Tab 1.

In dieser Gegenüberstellung wird erneut sehr anschaulich der asymmetrische Charakter »klassischer« Legitimationsbegriffe deutlich, der Sujet, Telos und Akteur_innen a priori stark eingrenzt bzw. fixiert. Eine Aneignung seitens unabhängiger Radiomachender muss es zum Ziel haben, eben jene Asymmetrien aufzubrechen – und die Positionen der nicht-staatlichen network builders und der einzelnen Radiokollektive füllen die vorgeschlagenen infralinguistischen Begriffe in diesem Sinne aus. Die staatlichen Inskripteur_innen, also das Kommunikationsministerium (MiniCom) und die staatliche Regulierungsbehörde (Anatel) dagegen schreiben die Asymmetrien fort und verstärken diese punktuell noch, indem sie Legitimität und Legalität gleichsetzen:

Tab. 2

Abgesehen von dem konzeptuellen »Kurzschluss« von Legalität und Legitimität, zeigt die Tabelle, wie stark die staatlichen Akteur_innen darauf drängen, in letzter Instanz über Regeln und Formate des Radiomachens zu entscheiden.3 Für sie existieren unabhängige Radios allein in der Form von Community Radios und dies nicht etwa als Übersetzung menschenrechtlicher Prämissen, sondern primär als Ausdruck nationalstaatlicher Gesetze. Diese problematische Perspektive spiegelt sich auch in der Literatur wieder (vgl. Kap 2), die nicht-legale Radios in weiten Teilen pejorativ behandelt und in ihren allgemeinen Beschreibungen der brasilianischen Radiolandschaft auch die Kategorie genehmigter ComRads schlichtweg nicht erwähnt.

Um sich gegen diese Auslassungen und Ungleichbehandlungen zu wehren, gehen die unabhängigen Radios zwei Wege. Zum einen stellen sie das staatliche reduktionistische Legalitäts-Narrativ in Frage, indem sie dieses nicht als letzten Rechtsgrund anerkennen – Gesetze sind Legitimierungsforderungen nicht erhaben.4 Zum anderen suchen die unabhängigen Radios und nicht-staatliche network builder die zentrale Rolle des Staates als Legitimationshelfer (und korrespondierender Handlungsprogramme) aufzubrechen. Um diese black box aufzubohren, wird zunächst deren internes Akteur_innennetzwerk entfaltet. Widersprüche werden deutlich. So übersetzen die Gesetze und staatliche Entscheidungsträger_innen beispielsweise bis heute nicht verfassungsrechtliche Prinzipien wie die Komplementarität des Rundfunksystems oder die per Dekret zu konstitutionellem Recht geronnenen Prämissen des Pakts von San José.5 Verfassungsrechtlich und menschenrechtlich problematisch sind auch der diskriminierende Charakter des ComRad-Gesetzes gegenüber anderen Gesetzestexten und die strafrechtliche Verfolgung nicht-genehmigter Radiosender.6 Und schließlich werden die widersprüchlichen Positionen und Handlungsprogramme der Regierung aufgezeigt, deren Ministerien parallel unabhängige Radios finanziell unterstützen (MinC) bzw. deren Repression anleiten (MiniCom).

Sicherlich wird der Staat durch dieses kritische talking back, nicht grundsätzlich in seiner zentralen Rolle im Legitimationsdispositiv erschüttert und ein »Legitimationsentzug« mit »bestandskritische[n] Folgen« verursacht.7 Vor allem genehmigte ComRads haben daran ja auch kein genuines Interesse.8 Aber die konzeptuelle und empirische Infragestellung werfen ein »schlechtes Licht« auf seine scheinbar natürlichen politischen Mediationen und ermöglichen es im Zeichen einer medialen Legitimationskrise alternative Vorstellungen von Legitimation zu inskribieren und dafür – und das ist das Entscheidende – auch alternative Legitimationshelfer_innen zu mobilisieren.9

Entscheidend ist dieses Bemühen deshalb, da es das Handlungsprogramm des legitimation claim demokratisiert. Denn beinahe unmerklich hat zwischen dem Wiener Kongress und der Verabschiedung des brasilianischen ComRad-Gesetzes eine entscheidende konzeptuelle Verschiebung auf der Akteur_innenebene stattgefunden. Waren es im 19. Jahrhundert andere Staaten, die die Forderung nach Legitimation stellen konnten, wurde in der weiteren Theoriedebatte auch zwischenstaatlichen Akteur_innen diese Möglichkeit zugestanden.10

Unabhängige Radios beziehen sich dabei strategisch in besonderem Maße auf menschenrechtliche Garantien, die die Meinungsfreiheit und das Recht auf Kommunikation betreffen. Denn Nutznießer_innen des Menschrechts sind Menschen, die Adressaten, die ihre Einhaltung garantieren sollen jedoch sind Staaten (FN).11 Doch, tun sie das auch? Genau diese Frage wird zum dauerhaften claim den unabhängige Radios, als eine Art Übersetzer_innen menschenrechtlicher Garantien, an staatliche Akteur_innen herantragen.

Neben Menschenrechten gibt es noch weitere Legitimationshelfer_innen, die nicht Ausdruck einer begrifflichen Inflation, wohl aber deren Demokratisierung sind.12 Aus Sicht der Radiokollektive sind dabei besonders relevant die Skripte nicht-staatlicher Akteur_innen, die zwar ein unterschiedliches unabhängiges Radiomachen vorschlagen, jedoch darin übereinstimmen, dass mediale Anerkennungswürdigkeit sowohl über Gesetzestexte als auch über den staatlichen Regulierungsanspruch hinaus weist. Dabei operieren sie in zwei Richtungen. Die eine entfaltet sich in einem übersetzenden Handlungsprogramm, das universelle Garantien in Form von Skripten konkretisiert. Wie ich gezeigt habe konzentriert sich RIZOMA dabei vor allem (aber nicht ausschließlich) auf eine Rekonstruktion des Rechts auf Meinungsfreiheit im elektromagnetischen Spektrum, an dem eine Vielzahl heterogener Akteur_innen beteiligt ist. Die nicht-staatlichen ComRad-Skripte wiederum insistieren auf ein Recht auf Kommunikation, das sich aus menschlichen Kollektivrechten ableitet.13

Die zweite inskribierte Linie dieser network builders ist darum bemüht, den Anspruch des Gesetzes zu delegitimieren, der darin besteht, als einzige Entität legitimes Radiomachens in Form legaler ComRads anleiten zu wollen. Als Legitimationshelfer_in einen solchen negativen legitimation claim zu formulieren, wirft die Frage auf, was network builder dazu befähigt, eine solche Forderung vorzubringen und inwiefern sie sich qualitativ von einer bloßen Kritik unterscheidet. Sie scheinen sich dabei nicht auf das Menschenrecht als Skript zu beziehen, sondern auch auf Entitäten, die dieses realisieren: unabhängige Radiokollektive, die eigentlichen Legitimationsträger_innen.14 Wie die historische Betrachtung gezeigt hat, stellt sich die Frage nach Huhn oder Ei in diesem Zusammenhang nicht: Unabhängige Radios, populäre Aneignungen und Modifikationen der Sendetechnik lassen sich als paralleles – manchmal verborgenes – Trajekt  der Rundfunkgeschichte rekonstruieren (vgl. 2.2.2.). Die Gründung von Verbänden unabhängiger Radios ist immer Effekt eines operativen Gebrauchs.

Die bisherige Revision meines Legitimationskonzepts aus Sicht der Akteur_innen zeigt: Um die anfangs aufgeworfene Forschungsfrage beantworten zu können, wie es unabhängigen Radios gelingt, sich zu legitimieren, ist es entscheidend, die einzelnen Legitimationshelfer_innen in den Blick zu nehmen. Es ist deutlich geworden, dass diese nicht komplementär nebeneinander stehen, sondern sich gegenseitig übersetzen. Und als solche Übersetzer_innen sind auch die Radiokollektive tätig. Wie ich gezeigt habe, affirmieren sie dabei nicht allein die bereits genannten Legitimationshelfer_innen, vielmehr setzen sie diese auf spezifische Weise zueinander in Beziehung, delegitimieren sie mitunter auch. So weisen beispielsweise die Freien Radios das nationalstaatliche Recht in seiner aktuellen Kopplung zurück und fordern eine Paradigmenwechsel der korrespondierenden Handlungsprogramme: Reguliert werden soll nur, wenn dafür eine empirisch nachweisbare Notwendigkeit besteht. ComRads wiederum affirmieren staatliche Akteur_innen uneingeschränkt als Legitimationshelfer_innen, inskribieren jedoch, ebenso wie die Freien Radios, Menschenrechte und bestimmte nicht-staatliche network builders als Legitimationshelfer_innen. Dabei übernehmen sie eine äußerst aktive Rolle und re-kombinieren die Skripte der network builder mit eigenen Prämissen. Auch übersetzen sie situativ die Idee individueller sowie kollektiver, kommunikativer Menschenrechte, im zweiten Fall entlang spezifischer communities.

Letztere werden in den Skripten (stärker als Individuen und Personen als abstrakte Rechteempfänger_innen) zu weiteren, äußerst relevanten Legitimationshelfer_innen. Sie sind es, deren soziale Konfigurationen letztendlich das Gemeinwohl bestimmen, an denen sich die unabhängigen Radios orientieren. Sie können darauf wie der Großteil der Freien Radios reagieren und offene mediale Räume für die community anbieten oder aber, wie in vielen ComRads, situativ, stärker normativ geprägte Inskriptionen formulieren. Wichtig ist in jedem Fall, dass die communities neben den menschenrechtlichen und verfassungsrechtlichen Assoziationen in den Skripten der Radiokollektive zur wichtigsten Legitimationshelferin aufgebaut werden. Denn vermittels ihrer strategischen Einbindung lässt sich das Legitimations-Ensemble sehr gut formen und stabilisieren. Das summum bonum wird nicht länger auf eine abstrakte Vorstellung von Gesellschaft oder Nation bezogen, sondern orientiert sich an Gemeinschaften, die zwischen territorialen und interessens-orientierten Definitionen oszillieren. Die Radiokollektive denken zu Ende, was ich auf der Beobachter_innenebene anfangs als post-universelles Radiokonzept beschrieben habe (vgl. 1.1).

Dieses situative Ausdeuten unabhängigen Radiomachens kann ein relationales und prozesshaftes Legitimationskonzept nicht unberührt lassen. Neben einer Multiplikation der Legitimationshelfer_innen und des Gemeinwohls (in eine Vielzahl von summa bona) geraten auch die zentralen Handlungsprogramme in Bewegung. Situativ Regeln zu erfüllen oder konsensuelle Regeln aufzustellen (siehe Tabelle), kann auch bedeuten, menschrenrechtliche Prämissen oder die Inskriptionen von network builders zu unterlaufen, öffentlich oder innerhalb von hidden transcripts.

Dabei lassen sich beispielsweise Handlungsprogramme unterscheiden, die sich als eine freiwillige Erfüllung bestimmter legaler Normen verstehen, wie im Fall der meisten genehmigten ComRads (4.5) und der beiden nicht-genehmigten Sender Canal Mais und Rádio Santa Marta (vgl. Kap. 4.4). Sie tragen dabei die Legitimationsforderung als eine Art rhetorische Frage an sich selbst heran, um sich damit – wenig erfolgreich – vor Einsätzen der Regulierenden zu schützen. Oder aber sie inszenieren sich gegenüber den staatlichen legitimation claims als erhaben, weichen, so die wie Freien Radios auf dem Campus als radiale Cheshire Cat (vgl. Einleitung), vor der Repression zurück und tauchen kurze Zeit später wieder auf (vgl. 4.2.). Oder aber, sie brechen mit säkularen Kategorien und inszenieren sich als Wille einer auserwählten religiösen Gemeinschaft (vgl. 4.3).15 Mitunter trotzen sie der staatlichen Delegitimierung auch weithin sichtbar, mobilisieren öffentlich starke Akteur_innen, so die mãe de santo in Rádio Amnésia, oder etablieren hidden actors, wie z.B. Watt-starke Sender oder explizite Werbespots (vgl. Kap. 4.5), die das legale ComRad-Skript herausfordern. Oftmals werden verschiedene dieser Handlungsprogramme kombiniert – auch seitens der nicht-staatlichen network builders – und zusätzlich ergänzt von einem Angriff auf das legale Skript und seine Legitimationshelfer_innen: Öffentliche Demonstrationen, die Zurückweisung staatlicher Regulierungsansprüche auf öffentlichen Veranstaltungen oder auch Beschwerden vor der interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) sind dafür prägnante Beispiele.16

Mit der Analyse dieses vielgestaltigen talking back, als ein komplexes Akteur_innen-Netzwerk erfülle ich bereits die beiden ersten eingangs formulierten forschungsleitenden Ziele dieser medienethnographischen Studie. Sie sind daran orientiert gewesen, zum einen eine differenzierte Betrachtung unabhängigen Radiomachens unter Beteiligung ihrer Akteur_innen zu realisieren, zum anderen aber auch daran, ein Korrektiv zum wenig hinterfragten ordnungspolitischen Anspruch von Staaten zu entwickeln, der danach trachtet, Medienlandschaften innerhalb nationaler Grenzen zu normieren und zu regulieren (vgl. Einleitung).

Hier wurde eine analytisch gewinnbringende und zugleich auch problematische Heterogenität der unabhängigen Radiokollektive deutlich. Gewinnbringend war diese detailreiche Vielschichtigkeit zunächst, um die Grenzen universeller Kategorisierungen von unabhängigen Medien aufzuzeigen. Zugleich bot diese Herangehensweise oftmals die Möglichkeit, gemeinsam mit den actors, genauere Kategorien zu bilden, anstatt fortwährend zu behaupten, dies sei nicht möglich.17 Darüber hinaus machen die Skripte unabhängigen Radiomachens auch die legitimatorischen Defizite der staatlichen Rundfunkregulierung sichtbar. Stellvertretend für viele weitere Nationalstaaten, zeigt die Betrachtung des brasilianischen Staats als Regulierer, dass die Entitäten und Handlungsprogramme seiner Medienpolitik in vielen Punkten widersprüchlich sind und oftmals willkürlich das Recht auf Meinungsfreiheit und Kommunikation einschränken.18 Anstatt der menschenrechtlichen Prämisse folgend als Staat dann aktiv zu werden, wenn nötig, werden dauerhafte Assoziationen inskribiert, die sich in ihrer Setzung demokratischen Aushandlungsprozessen entzogen haben bzw. die diversen, in der Arbeit nachgezeichneten legitimation claims zurückweisen.19 Auch die genaue Analyse der von den Regulierenden inskribierten Akteur_innen, die zunächst als Technologien (z.B. UKW-Sender) oder Natur (z.B. elektromagnetisches Spektrum) scheinbar nicht veränderliche Grenzen bilden, wurden mithilfe der ANT in ihrer sozialen Konstruiertheit entfaltet.

Problematisch ist die Heterogentität dagegen aus zwei gewichtigen Gründen. Zwar gelingt es, in einem Dialog zwischen Beobachter_innen- und Ethnotheorie nachzuzeichnen, wie unabhänige Radios sich in ihren Inskriptionen das Konzept der Legitimation aneignen und dieses, durch ein Re-Kombination von Akteur_innen-Netzwerken, demokratisieren. Eine vollständige Mobilisierung der eingeschriebenen Entitäten bleibt hingegen oftmals aus – sowohl seitens der Radiokollektive als auch seitens der network builders. Die wohl augenscheinlichsten Beispiele dafür sind die von nahezu allen Radios inskribierte Gendersensibilität bzw. die Verwendung Freier Software. Im ersten Fall bejahen alle Befragten die Bedeutung eines Radiomachens ohne Machismus und unter Beteiligung vieler Frauen, bleiben aber bis auf wenige Ausnahmen, wie Rádio Heliópolis und Rádio Comunidade (und auf der Ebene der network builder AMARC Brasil), dahinter zurück, diesen Anspruch in mehr als nur »Lippenbekenntnissen« zu mobilisieren. Ähnlich verhält es sich bei der Freien Software, die überall affirmiert, letztendlich aber nur in den Freien Radios und dem network builder RIZOMA kontinuierlich im operativen Gebrauch anwesend ist.

Das zweite Problem besteht darin, dass die Vervielfältigungen, Spezifizierungen und Re-Kombinationen der Skripte unabhängigen Radiomachens nicht direkt einer Demokratisierung der Praktiken entsprechen bzw. einen Zuwachs medialer Legitimation ausdrücken. Die konzeptuelle Abkehr von einem universellen Radioskript und die Berücksichtigung situativer Mediationen dynamisiert die Legitimationsnarrative – und zwar zunächst ungebremst. Nicht öffentliche Formen medialer Anerkennungswürdigkeit werden inskribiert, claims mit unterschiedlichen Reichweiten und unterschiedlichsten Legitimationshelfer_innen werden formuliert. Auch instrumentelle Kopplungen an die summa bona geschlossener Gruppen, die in großem Abstand zum allgemeinen Recht auf Medienmachen operieren (egal ob nun individuell oder kollektiv konzipiert), sind zu beobachten.

Woran liegt das? Ist das Legitimations-Konzept, ohne staatliche »Vormundschaft«, letztendlich doch unscharf und inflationär geworden? Nein, denn wenn wir uns die Rekonstruktion medialer Legitimation anschauen, dann wird deutlich, dass das Problem kein konzeptuelles sondern ein politisches ist. Zwar gibt es eine Vielzahl von Übersetzungen, was fehlt sind jedoch solche, die dazu beitragen, unabhängiges und legitimes Radiomachen als eine zirkulierende Referenz am Laufen zu halten, die zu einer zyklischen Erneuerung des metacodes (vgl. Kap. 3.6) beiträgt. Dieses Unterfangen könnte beispielsweise darin bestehen, einen strategischen kulturellen code unabhängigen Radiomachens zu entwickeln, der versuchen würde auch jene Akteur_innen zu Aushandlungen zu bewegen, die darin bisher kein Interesse haben und von bestehenden Asymmetrien der aktuellen Mediengesetzgebung profitieren. Welches könnte der kleineste gemeinsame Nenner von Freien und Community Radios für medienpolitische Debatten sein? Auf welche Weise ließe sich das breite und heterogene Akteur_innennetzwerk der Radiokollektive dafür mobilisieren? Diese Frage zirkuliert zu selten und es wird zwischen den unterschiedlichen Akteur_innen zu selten die Anstrengung unternommen, den Konsens (oder produktiven Dissens) darüber zu erneuern.

Es würde zu kurz greifen, dafür ausschließlich das Gesetz als zu engen Vorstellungshorizont verantwortlich zu machen, der die Sicht auf Alternativen versperrt und als eine spezifische Härtung von Soziabilität von ihm abweichende Skripte und Aushandlungen unterdrückt. Woran es fehlt sind trading zones und Begegnungsräume. Darin sehe ich den (weiter oben angefragten) Grund für die anhaltenden Asymmetrien innerhalb der verschiedenen Skripte. Dafür einen »Ausweg« zu inskribieren, stellt gewiss ein »Beitrag zur aktuellen medienpolitischen Debatte in Brasilien« dar, wie ich es als ein drittes forschungsleitendes Ziel zum Beginn der Arbeit formuliert hatte.

 

Mediale Räume und trading zones

Eine trading zone beschreibt ein Ort, an dem es möglich ist Situationen und Probleme in gemeinsamen Aushandlungen so zu definieren, dass sie einen, von allen akzeptierten, temporären meta code bilden.20 Einen solchen gemeinsamen Raum (und meta code) gibt es in Brasilien jedoch nicht, wenn es um einen konzeptuellen Abgleich unabhängigen Radiomachens geht. Interessant ist jedoch, dass viele der actors, die auf den vorangegangenen Seiten zu Wort gekommen sind, in ihren Ethnotheorien für die Beschreibung radialer Mediationen stark auf räumliche Metaphern und Konzepte zurückgreifen und so jenen Übersetzungsprozess kartographieren, den ich auf der Beobacher_innenebene als Akteur_innen-Netzwerk konzipiert habe. Deshalb möchte ich abschließend ein letztes Mal den Akteur_innen folgen und meinen Vorschlag, eine gemeinsame trading zone zu realisieren, in Bezug zu drei ihrer räumlichen Narrative von Radiomediationen stellen.

Vorab scheint es mir wichtig, erneut einen Blick auf die Inskriptionen der staatlichen network builders zu werfen. Handelt es sich tatsächlich, wie beispielsweise von AMARC Brasil kritisiert, um eine rein geographische Eingrenzung unabhängigen Radiomachens entlang der Grenzen territorialer, politischer Verwaltungseinheiten? Richtig ist, dass das Gesetz Lei 9.612/98 einen Raum beschreibt, der sich für die Bestimmung eines Sendeortes zunächst an der Entität des municípios orientiert. Um die einzelnen Radiomediationen zu dieser Größe in Bezug zu setzen, werden jedoch auch weitere Akteur_innen herangezogen: Es muss zunächst hypothetisch Platz geben, um störungsfrei eine Signalstärke von einem Kilometer (Radius) auf einer fixen Frequenz erreichen zu können, ein non-human der Regulierungsbehörde (d.h. ein spezifischer Radioempfänger) muss diese spezifische Wellenmodulationen bei Messungen jederzeit empirisch bestätigen können und eine community, hier verstanden als all jene menschlichen Akteur_innen, die sich innerhalb dieses Sendegebiets befinden, muss am ComRad-Machen partizipieren. Das heißt, auch wenn geographische Kategorien eine wichtige Rolle spielen, ist für die legale Anerkennungswürdigkeit noch eine Vielzahl weiterer Größen vermittelnd tätig.

(1) Und an eben jenen Größen setzten die nicht-staatlichen Inskripteur_innen an, wenn sie ein erstes eigenes Narrativ positionieren: das Bestreben, gemeinsam einen Raum für das Radiomachen zu schaffen. Dazu gehört zunächst meist eine Örtlichkeit am Boden, die Antenne, Sender und Studiotechnik dauerhaft stabilisiert und, mal sichtbar, mal weniger sichtbar, organisiert. Einzig Rádio Mulher hat keinen eigenen Sender und definiert diesen Raum vielmehr als eine temporäre (wenn auch kontinuierliche) »Aneignung« innerhalb der Strukturen kommerzieller Radiostationen. Die Frauen aus Pernambuco haben keine andere Wahl, als eine monatliche Mietgebühr aufzubringen, um ihre Anwesenheit zu garantieren.

Dieser medialen Notwendigkeit (einen Raum zu schaffen, um anwesend zu sein) müssen sich unabhängige Radios in Brasilien stellen, seit der Staat im Jahr 1924 per Dekret das vormals frei zugängliche elektromagnetische Spektrum – damals de facto ein Gemeingut – zu einer staatlich regulierten Ressource deklarierte. Die in den 1980er Jahren laut werdende Forderung nach einer »Agrarreform in der Luft« und die Aufrufe zu »Frequenzbesetzungen« zeigen deutlich, dass die damals erstarkende unabhängige Radiobewegung beginnt, ethnotheoretisch, eine politische Raumordnung vorzunehmen (vgl. Kap. 2.1.1.1). Doch die Hoffnung, de jure ließe sich eine Neuordnung der Spektrumsnutzung erreichen, die die Konzentration lizenzierter »Eigentumstitel« beendet, erfüllt das 1998 verabschiedete ComRad-Gesetzt nicht: die Ein-Kanal-pro-Gemeinde-Politik führte vielmehr verbindliche Normen ein, die legale Unschärfen beseitigte und die bis dato vielfältig interpretierbare, nicht-genehmigte Nutzung von Radiofrequenzen durch ein präzises Regulierungsdispositiv ersetzte.

Unabhängige Radios kritisieren diese kommunikativen Restriktionen bis heute als ungerechtfertigt und illegitim. Und sie setzen ihnen Alternativen entgegen, die, wie ich gezeigt habe, weiterhin räumliche Kategorien inskribieren und über die reduktionistische, am bestehenden Gesetz orientierte Perspektive (Frequenzbesetzung vs. legalisierter Nutzung) hinausweisen. Doch während ABRAÇO Nacional sich dabei auf ein technological adjustment (vgl. Kap. 2.2.2.2) zurückzieht und statt einer ComRad-Frequenz drei Frequenzen pro Gemeinde fordert, gibt es auch zwei Vorschläge, die sich als eine Operationalisierung der immer wieder vertagten Novellierung der brasilianischen Mediengesetzgebung im Sinne einer »Agrarreform in der Luft« lesen lassen. So schlägt AMARC Brasil eine paritätische Dreiteilung des elektromagnetischen Spektrums vor, bei der jeweils ein Drittel der verfügbaren Frequenzen öffentlichen, kommerziellen und Community Radios zukommen würden. RIZOMA und auch einzelne Freie Radiokollektive übersetzen ihre Forderung nach einem nicht länger lizenz- und genehmigungspflichtigen Radiomachen, in das regulierend nur im Fall von Konflikten eingegriffen wird, konzeptuell als »freies Spektrum« (espectro livre).21 Konkret fordern sie dabei, die Machbarkeit ihres Vorschlags in einem bestimmten Frequenzbereich empirisch unter Beweis stellen zu können, eine, wenn man so will technological reconstitution auf Probe. Während AMARC Brasil direkt eine allumfassende Modifikation inskribiert, findet die räumliche Re-Kombination bei RIZOMA zunächst experimentell im Kleinen statt.

(2) Diese Positionierungen beeinflussen auch das zweite hier betrachtete Narrativ: nämlich die geteilte Nutzung der medialer Räume. Für den operativen Gebrauch sind die Akteur_innen-Ensembles am Boden dabei erneut zweitrangig, beziehungsweise folgen Prämissen, die sich am elektromagnetischen Spektrum orientieren. Wie lassen sich Radiowellen teilen? Die Debatte der network builders (vgl. Kap. 3.2.3) offenbart unterschiedliche politische Positionen, die zu einem guten Teil Effekte konträrer ontologischer Prämissen sind. Für die Inskripteur_innen der ComRads stellen Radiowellen eine natürliche Ressource da, die sich räumlich in Frequenzbänder und einzelne Frequenzen zergliedern lässt. RIZOMA wiederum besteht darauf, dass diese räumlichen Ordnungen nicht natürlich sind, sondern Menschen anteilig an der Schaffung dieser Hybride beteiligt sind. Während die ComRad-Inskripteur_innen an konventionellen Kategorien festhalten und im besten Fall eine erweiterte Nutzung der Frequenzbänder vorschlagen, macht RIZOMA eine Demokratisierung der Medienlandschaft auch an einem Bruch mit diesen medialen und politischen Kategorien fest.

Diese recht abstrakte Debatte lässt sich anschaulich in einen fiktiven Beispielfall übersetzen:

In der Gemeinde Utopolis gibt es ein unabhängiges Radio und alle, die sich als communities dieses Senders verstehen, sind gekommen, um die Vergabe (der wie immer knappen) Sendeplätze zu diskutieren. Das anwesende Frauennetzwerk von AMARC schlägt vor, die Frequenz in feste Sendeplätze aufzuteilen und darauf zu achten, Frauen ausreichend Raum für ihre journalistischen Tätigkeiten zu geben. Andere Fürsprecher_innen von 1000 Interessensgemeinschaften machen ähnliche Vorschläge. Im Grunde sind alle mit dem modus operandi zufrieden, jede_r steckt claims ab, doch der Raum reicht nicht aus. Da wirft AMARC Brasil ein, dass der mediale Raum der communities ja nicht nur eine Frequenz im UKW-Band ist, sondern ein Drittel aller Frequenzbänder umfassen sollte. Die Sendeplatz-Debatte vervielfältigt und verteilt sich nun auf mehrere Frequenzen, genauer gesagt 1001. Doch das würde auch 1001 Radiosender nötig machen und dafür ist kein Geld da. Schweigen.

Nun meldet sich RIZOMA zu Wort, erklärt sich mit der Idee einer ausgedehnten Spektrumsnutzung einverstanden, weist jedoch darauf hin, dass es effizientere und kostengünstigere Möglichkeiten gäbe, um Frequenzen zu nutzen. Der network builder erklärt, dass eine digitale Modulation elektromagnetischer Wellen es möglich macht, die Bandbreite einer Frequenz gleichzeitig für mindestens vier Radiosignale zu nutzen (multiplexing). Damit das Signal gut zu empfangen ist, könnten spezielle Empfänger, sogenannte smart radios, das Signal über mehrere Frequenzen und Frequenzbänder verfolgen. Und schließlich sei es, ganz im Sinne von Brechts Radiotheorie, ja schon immer wünschenswert gewesen und heute nun endlich auch möglich, aus jedem Empfangsgerät einen Sender zu machen – lokale mesh networks könnten der Anfang einer völlig neuen partizipativen und interaktiven Kommunikation bilden. Hört sich kompliziert an und ist sicherlich auch nicht umsonst zu haben. Schweigen.

(3) Diese fiktive »Schweigen« hat mehrere Gründe und weist bereits auf einen notwendige aber bisher kaum vorhandenen Austausch, ein trading, auf konzeptueller Ebene hin, auf das ich gleich noch zu sprechen kommen werde. Wichtig ist zuvor jedoch ein entscheidendes drittes Narrativ zu benennen, das den Inskriptionen unabhängiger Radios eigen ist: die Verortung unabhängiger Radios in einem gesellschaftlichen, kommunikativen Raum, der über einzelne communities hinausführt. Dabei stehen sich erneut zwei unterschiedliche Prämissen gegenüber. Auf der einen Seite, die Erschaffung, Demokratisierung oder Wiedererschaffung eines öffentlichen Raums (vgl. Kap. 3.4.1). Der daran gekoppelte mediale Raum ist ein institutionell strukturiertes Terrain, das Pluralität und Diversität ausdrücken soll und zu dem u.a. ComRads (und manchmal auch andere unabhängige Formate) einen normativ eingegrenzten Beitrag leisten.

Davon unterscheiden lässt sich eine postmediale Prämisse, die »mehr um die Verwirklichung einer ethischen und ästhetischen Perspektive, als um die Errichtung eines Radiosystems«22 kreist. Radios sind hier eher Erfahrungsräume, die die erkundende und experimentelle Organisation Freier Meinungsäußerung und Kommunikation inskribieren. Anstatt fester Normen wird ein von wenigen NoGos geleitetes anything goes als der Beginn eines öffentlichen Raums definiert. »In diesem Sinne sind Freie Radios vielleicht die öffentlichsten Radios von allen«.23

Freie Radios sind die öffentlichsten – solche begrifflichen Aneignungen sind sicherlich spannend und äußerst relevant für medienpolitische Debatten – wenn sie denn stattfinden. Ansonsten verwirren sie eher und verundeutlichen den radialen meta code weiter. Das scheinen auch die Akteur_innen so zu sehen, wenn AMARC Brasil beispielsweise fordert, einen permanenten »Begegnungsraum« zu schaffen, »um über den gemeinsamen Horizont von Community Medien zu debattieren« (vgl. 3.2.2).

Damit wird ein vierter Raum inskribiert, den ich auf der Beobachter_innenebene als trading zone bezeichnet habe. Allerdings beschränke ich mich dabei nicht wie AMARC Brasil auf »Community Medien« sondern frage nach Begegnungsräumen, in denen möglichst viele relevante Akteur_innen präsent seien sollten, um an einem gemeinsamen metacode legitimierten Radiomachens zu arbeiten. Welche Angebote gab oder gibt es dazu in Brasilien? Da ist zunächst die Nationale Kommunikationskonferenz (ConFeCom), die im Jahr 2009 versuchte, alle Radiomachenden und etwaige Repräsentant_innen zusammenzubringen.24 Kommerzielle Medien blieben der Veranstaltung jedoch fern und der unter Federführung des damaligen Präsidenten Ignacio Lula da Silva inskribierte Konsens wurde nie über die Abschlusserklärung hinaus mobilisiert und geriet in Vergessenheit, anstatt weitere Debatten anzuleiten. Den Artikulationen des Forum de Midia Livre wiederum verwehren Freie Radios seit seiner Gründung im Jahr 2008 die Anerkennung, da sie sich zu Repräsentant_in Freier Medien erklärt haben, ohne jemals den Kontakt mit der Freien Radiobewegung Brasiliens zu suchen.25 Als dann drei Jahre später das Kollektiv Espectro, Sociedade e Comunicação (ESC), dem viele Akteur_innen der Freien Radios angehören, versuchte, einen breiten Dialog über die Nutzung des elektromagnetischen Spektrums aus Sicht unabhängiger Radios zu initiieren, blieben viele Vertreter_innen der ComRads der Veranstaltung fern bzw. stießen sich an dem expliziten Fokus auf non humans und technologische Trajekte.26

Ein überaus breites Bündnis von mehr als 260 Organisationen entstand ebenfalls im Jahr 2011 unter maßgeblicher Vermittlung des Fórum Nacional pela Democratização da Comunicação (FNDC) und der Medien-NGO Intervozes. Die von dieser Gruppe initiierte Kampagne Para expressar a liberdade strebt im Rahmen einer massiven Unterschriftensammlung eine Gesetzesreform von unten (PLIP) an.27 Das brasilianische Recht sieht vor, dass im Fall einer großen Unterstützung der Bevölkerung auch Gesetzesnovellen im Parlament beraten werden müssen, wenn dafür nicht die notwendige Zustimmung der gewählten Vertreter_innen zustande kommt. Allerdings ist das PLIP erneut ohne die Beteiligung von Vertreter_innen kommerzieller Medien bzw. Freier Radios entstanden und weist trotz einer Vielzahl interessanter Vorschläge Widersprüche auf, die bisher nicht diskutiert werden konnten: die Sprecher_innen der Kampagne verweigern bis zu einer etwaigen Besprechung im Parlament jegliche inhaltliche Diskussion.28

Die Frage des meta codes bleibt also offen, viele unterschiedliche Skripte zirkulieren, verursachen mitunter politische Friktionen oder zumindest Reibungsverluste, die das von vielen geteilte Ziel einer Demokratisierung der Medienlandschaft unerreichbar machen. In die black box Rundfunkregulierung werden zwar viele leaks gebohrt und situativ spannende Re-Kombinationen unabhängigen Radiomachens stabilisiert – doch wird von ihnen bisher kein gemeinsamer legitimation claim mobilisiert (artikuliert? Formuliert? Verbreitet?), der die politische Entscheidungshoheit der zentralen staatlichen Legitimationshelfer_innen entscheidend herausfordern könnte.

Dennoch bleibt das Konzept medialer Legitimierung für die unabhängigen Radios ein interessanter Kampfbegriff, der, wie ich mit Hilfe der ANT gezeigt habe, eine äußerst heterogene Gruppe von Akteur_innen zueinander in Beziehung zu setzen vermag. Die symmetrische Wende in dieser Legitimationsdebatte ermöglicht es auch die medialen Skripte und darin inskribierte Akteur_innen zu vervielfältigen und hat das Potential, die Forderungen nach einer Demokratisierung der brasilianischen Medien in konkrete Ensembles und Handlungsprogramme zu übersetzen. Doch bisher bleiben die inskribierten Räume unabhängigen Radiomachens oft fragmentarisch und unvermittelt. Das demokratische Potential vieler Akteur_innen, nicht zuletzt einer Vielzahl interessanter non humans, bleibt ungenutzt oder geht verloren. Ein gemeinsamer metacode ist nicht in Sicht.

Wo und wann wird sich für die Artikulation eines solchen kleinsten gemeinsamen Nenners eine trading zone etablieren? – diese Frage können letztendlich nur die Akteur_innen beantworten. Auch ist ungewiss, ob der konsensuelle meta code von Radio dabei von Signalübertragungen im elektromagnetischen Spektrum ausgehen wird, so wie ich es im Rahmen dieser Arbeit, für »meine« trading zone getan habe. Aktuell ist beispielsweise seitens der brasilianische ComRads ein viel größeres Interesse zu erkennen, ihre Mediationen im Internet (websites, streaming) auszudehnen, anstatt sich auf das, wenn man so will, radiale Trajekt der Freien Radios einzulassen, das als technologisches Paradigma die Digitalisierung der terrestrischen Signalübertragung propagiert.

Relevant und spannend könnte eine Annäherung innerhalb des u.a. von der Europäischen Rundfunkunion vorgeschlagenen Konzepts eines »hybrid digital radio« sein, da es die Übertragungswege, Reichweite und Empfangbarkeit von unabhängigen Radiokollektiven stärken und vervielfältigen würde - im Internet und im elektromagnetischen Spektrum.29 Es würde erlauben, diese beiden dominanten Narrative der unabhängigen Radios Brasiliens miteinander produktiv in Beziehung zu setzen – man denke nur an die vielen distribuierten Legitimationshelfer_innen im Internet oder die mögliche Erschließung des elektro-magnetischen Raums für interaktive Community Mediationen.

Es geht nicht darum, hier abschließend einen oder sogar den technical fix zu verkünden. Weit gefehlt. Vielmehr verspricht die beginnende Debatte um hybrid digital radio feste Intermediäre in Bewegung zu setzen, black boxes aufzubrechen – nicht als telos-geleitete Modernisierungs- oder Demokratisierungsmachine – sondern mit all jener problematischen Ambiguität, die auch analogen Radiomediationen von Beginn an anhaftete. Diese Unbestimmtheit und Modifizierbarkeit der Akteur_innen und erwünschter Vermittlungen von Radio haben statt seines 1001 mal ausgerufenen Tods, immer wieder mediale Re-Kombinationen, Wiederauferstehungen (Hallo Alice!) und Mutationen angeleitet. Die brasilianische Medienlandschaft ist dafür ein hervorragendes Beispiel.

An den legitimen Skripten unabhängigen Radiomachens auch in Zeiten medialer Digitalisierungen weiterzuschreiben, ist unerlässlich, um einen metacode mobilisieren zu können, der sich nicht in einer nostalgischen Nabelschau erschöpft oder auf eine Renovierung des »legalen Hühnerstalls« beschränkt. Vielmehr geht es darum, den terrestrischen analogen Rundfunk – das immer noch populärste elektronische Medium Brasiliens – weiter für eine (inter)aktive partizipative Kommunikation zu erschließen. Unabhängige Radios haben zu diesem medialen summum bonum bereit vielfältige Beiträge geleistet und sollten daran auch für ihre künftige Legitimationen anknüpfen.

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Appendizes

Interview-Fragebögen

A. Fragebogen für Radiomachende

 

I SURGIMENTO DA RÁDIO

1.1. Como surgiu o seu projeto? Porque neste lugar? Porque com este nome? Porque surgiu neste momento e nesta situação específica?

1.2. Existem práticas radiofônicas anteriores (no Brasil, América Latina, no mundo) que tinham/ ou ainda tem influencia a sua prática radiofônica?

1.3. Quais foram atores importantes para dar continuidade à radio?

1.4. Existem manifestos, "regras", princípios da primeira geração que ainda se usa?

1.5. Quais são reivindicações originais da rádio que continuam definindo a prática da sua radio?

1.6. Quais são elementos/ferramentas/eventos/novos contatos mais recentes que tiveram uma influencia sobre a prática da radio?

1.7. A quem se dirige a programação da sua radio? De que maneira os ouvintes são diferentes do público de outras rádios?

 

II PRÁTICA DA RADIO LIVRE/COMUNITÁRIA

2.1. Quais são os atores que não fazem parte do grupo que influenciou de maneira positiva o projeto da radio?

2.2.Quais são os atores que não fazem parte do grupo que influenciou de maneira negativa o projeto da radio?

2.3 Quais são os lugares onde se pode perceber o trabalho da sua radio? (pautas: internet, festas, etiquetas ou folhetos)

2.4. Como se organiza e como se faz "a radio dentro da sua prática?" (pautas: programação, mantenimento tecnológico, reuniões).

2.5 De que maneira chegam a um consenso ou se toma uma decisão ?

2.6 Quais são mídias de comunicação que utilizam @s participantes da radio para preparar eventos, discutir, etc? (pautas: software livre, plataformas virtuais, mensagens de texto, twitter etc.

2.7. De que maneira se distingue a prática da sua radio de outras rádios sem fins de lucro?

2.8. Qual seria uma razão para empedir a alguém o acesso ao microfone? Como regulam o acesso à rádio entre programas fixas?

2.9. Existem regras especificas utilizando a tecnologia? Como alguém novo que começa participar na radio aprende transmitir? Como enfrentam possíveis agressões, confiscações?

 

III APROPRIAÇÃO / USO DE TECNOLOGIA

3.1. Quais são os dispositivos tecnológicos mais importantes para realizar suas transmissões?

3.2. Até que ponto vocês tem conseguido de produzir seu próprio equipe de transmissão?

3.3. De que maneira seu projeto mantêm e gestiona:

3.3.1. Transmissores

3.3.2. Antenas

3.3.3. Servidores de áudio

3.3.4. Acesso ao Internet

3.4. Quais são obstáculos para adquirir hardware e materiais? De que maneira seu projeto gera recursos para manter a radio, construir dispositivos o pagar viagens?

3.5. Tod@s @s participantes da sua radio estão involucrados no mantenimento dos equipamentos de transmissão? Como influa o tipo de estudos, trabalhos d@s diferentes participantes na radio?

3.6. Quais são pessoas/instituições que não estão presentes na radio constantemente que tem contribuído à aprendizagem? (caso que necessário de dar pistas: artistas, radioamadores, programadores, hackers, Indymedia, GNU, FSF, Software Livre)

3.7. Qual é o seu interesse principal em (não) transmitir radio pela internet? Que experimentos, novos formatos vocês tem explorado ou lhes parecem possíveis?

3.8. Como enfrentam possíveis "exclusões" ou "discriminações" que poderiam ocorrer durante a apropriação de uma certa tecnologia? (pautas: gênero, saberes básicos)

 

IV COMPARTINDO SABERES Y TECNOLOGIAS

4.1. De que maneira vocês se capacitam o compartilham saberes sobre certas tecnologias? Você tem um exemplo? (caso que não voltar aos exemplos em 3.3)

4.2. Que foram e são fontes importantes onde vocês encontram informações, instruções e respostas para encontrar / juntar novos dispositivos de transmissão e comunicação?

4.3. Quais são dinâmicas ou plataformas tecnológicas que vocês tem testado para produzir materiais didáticos? Como vocês documentação soluções e procedimentos da pratica radial? Com que formato/ mídia vocês tem experimentado para difundir / publicar saberes?

4.4 Que importância tem para você o uso de Software Livre?

4.5 Você tem um exemplo concreto da transferência de tecnologias ou saberes da sua radio para outros lugares? Vocês seguem em contato?

 

V. A RADIO EM TEMPOS DA INTERNET

5.1. Porque segue importante revindicar frequências FM ou FM digital?

5.2. De que maneira influem as possibilidades comunicacionais da internet sobre sua prática radiofônica?

5.3. Sua radio tem participado em campanhas , iniciativas vinculada à legislação de rádios?

5.4. Como você vê a política do Estado Brasileiro relacionado à digitalização da radio e da TV? (pauta: triple play). Que você pensa sobre a Conferência de Comunicação organizado no final do ano passado (2009)?

5.5. Que elementos redefinem o acesso à mídias de comunicação, na sua opinião? (pautas: acesso a Internet, saturação frequências)

5.6. Vocês tem participado em Installfests ou encontros de Software livre (com um enfoque particular à comunicação e a radio)

 

VI A RADIO E MOVIMENTOS SOCIAIS

6.1. De que maneira se vincula a sua prática radiofônica com outros grupos ou movimentos sociais?

6.2. Você tem exemplos quando grupos ou movimentos sociais pediram ajuda ao Radio Muda em termos de transmissão ou conselhos técnicos? (pautas: oficinas /intervenções da radio em outros lugares / ambientes)

6.3. Como você descreve o contato com rádios comunitárias da AMARC? Você lembra uns momentos de colaboração?

6.4. Quais são projetos de rádios, software, mídias de fora do Brasil com os quais vocês tem trabalhado bastante? (pautas: México, Flor de palavra, Antena Negra, Radio Bronka, etc.). Que tipo de contato ou colaboração vocês estabeleceram? Vocês seguem em contato?

6.5. Você acha que a sua radio tem aplicações/ implicações praticas que vão além de „fazer radio“ que devem ser compartilhados com mais pessoas ou colectivos?

6.6. Você lembra intercâmbios de experiências entre rádios e outros grupos sociais relacionados à defesa diante repressões por diversos atores? (pauta: criminalização, confiscar o equipamento)

6.7. Muitas movimentos sociais reclamam o uso de mídias eletrônicos como um Direito Humano de comunicação. Como você vê esta postura? (pauta: commons)

 

VII SER E FAZER POLÍTIC@

7.1. Em que sentido falta a sua radio completar na prática o próprio conceito da radio? Vocês se definem como um projeto político? Caso que sim, em que praticas ou posturas esta sua postura política se baseia?

7.2. Como você avalia a político do Estado Brasileira com respeito à comunicação, o uso de novas tecnologias e o uso de mídias de comunicação? Quais são as instituições mais visíveis e ativas? Que você pensa sobre os telecentro do governo?

7.3. Quais são as tecnologias cujo uso será debatido ou negociado no futuro próximo? De que maneira se interconectam, do seu ponto de vista, as ideias políticas, tecnologias y a pratica radial? (pautas: trabalhar em rede, autonomia, commons, redes, brecha digital, bens digitais)

7.4. Qual é o incentivo político que você atribui à Software Livre? Existe uma configuração de atuar politicamente vinculado com tecnologias denominadas livres, desde seu olhar? (pautas: commons, bens digitais, gestões de acessos)

7.5. Que será um modelo para gestionar frequências em um espaço regulatório pós-estadual?

 

VIII DANDO VOLTA

Tem outras coisas que você gostaria de mencionar / adicionar?

Você tem perguntas relacionadas ao meu trabalho / a minha pesquisa?

 

B. Fragebogen für institutionelle network builders

I. A REGULAÇÃO DA RADIO NO BRASIL

1.1. Quais são particularidades da paisagem mediática no Brasil?

1.2. Existem deficiências com respeito a um acesso plural ao mídias de comunicação? De que maneira a época da ditadura teve um impacto nas formações deste paisagem?

1.3. O estado mantêm o monopólio regulatório da frequência da radio e televisão. Como se articula este monopólio na pratica? Como e com a ajuda de quais agências o estado realiza o seu poder relacionado ao uso das frequências? O Estado investiga, ou apenas reaciona em casos de denuncias ?

1.4. Como tem que ser entendido o interesse dos municípios que propõe a regularização do uso das frequências? Quem será o beneficiário de uma mudança legal neste sentido?

1.5. Você (O Sr. / A Sra.) está falando neste momento de “rádios piratas“ ? Como se podia descrever este fenômeno? Como se caracteriza?

 

II. RADIO LIVRE/COMUNITARÍA

2.1. Que importância tem a pratica da radio comunitária no Brasil? Como se explica o interesse neste tipos de mídias?

2.2. Uma radio comunitária só é uma radio que tem uma licença para transmitir? Como se atribui estas licenças? Quais são os elementos que influenciam a admissão de uma licença de transmissão?

2.3. Que você (O Sr. / A Sra.) pensa sobre o procedimento de legislar uma radio? Porque uma radio recebe a licença e a outra não? Quais são os fatores decisivos para uma decisão?

2.4. A Suprema Corte recentemente expressou que uma nova lei de mídia se tornou necessária dados alguns mudanças legais / formais e a posição pouco clara da radio comunitária. Que você (O Sr. / A Sra.) pensa a respeito deste anuncio?

2.5. E que tal as rádios livres? Que você (O Sr. / A Sra.) acha sobre a acusação de interferir nos sinais do aeroportos? (pauta: Anatel)

 

III USO DE NUEVAS TÉCNOLOGIAS EN BRASIL

3.1. Como enfrenta o Brasil o desafio de fomentar o uso de novas tecnologias e mídias? Existe um programa ou uma postura regulatória neste respeito?

3.2. De que maneira se discute o acesso a mídias eletrônicas e à Internet?

3.3. Tem regulamentos sobre o uso de software em instituições públicas? Que editor de texto você (O Sr. / A Sra.) utiliza?

 

IV. INICIATIVAS PARA FOMENTAR SABERES E TÉCNOLOGIAS

4.1. Que iniciativas existem no Brasil para incentivar um maior uso de tecnologias, mídias eletrônicas, etc.? Quem são os atores/ as instituições importantes?

4.2. Como você (o sr. / a sra.) avalia o trabalho dos telecentros? Existe um consenso / acordo regulamento / regra sobre que software se deve utilizar nestes lugares? Existem outros projetos comparáveis?

4.3. Qual é a postura do Estado respeito a Software livre?

 

V. A RADIO EM TEMPOS DA INTERNET

5.1. Qual é a importância da radio pela Internet no Brasil?

5.2. Que se espera pela digitalização de frequências FM/TV? Que modelos para distribuir as novas frequências foram discutidos / considerados ?

5.3. Porque no Brasil se decidiu aplicar a norma digital japonesa? Porque a norma japonesa?

 

VI. A RADIO Y MOVIMENTOS SOCIAIS

6.1. Como se explica o grande interesse dos movimentos sociais de ser e fazer sua própria mídia eletrônica?

6.2. O Direito Humano à Comunicação envolve também o direito de "fazer / produzir mídias". No caso da mídia eletrônica, como se pode realizar este direito no Brasil?

 

VII IMPACTOS POLÍTICOS

7.1. Você (o Sr. / a Sra. ) vê uma relação entre reivindicações de mídias mais participativas e politicas no Brasil?

7.2. De que modo se distingue partidos políticos brasileiros na sua postura com respeito ao uso da mídia eletrônica? Até que ponto os TICs etc. se tornaram conceitos chaves nos programas e discursos?

7.3. Como se avalia a Conferencia de Comunicação realizada no final de 2009 / do ano passado?

7.4. Como você (o Sr. / a Sra.) vê a reivindicação de algumas rádios que o Estado deveria retirar-se completamente da gestão das frequências?

7.5. Uma outra proposta se concentra na ideia de gestionar frequências com instituições com diferentes representantes da população que não sejam dependente da política conjuntural.

7.6. Quais são as tecnologias, dos quais o uso seja debatido / ou ponto de controvérsia / negociado futuramente no Brasil? Quais são os interesses que entram em conflito? (pautas: economia, commons, segurança, educação, participação).

 

VIII. DANDO VOLTA

Tem outras coisas que você gostaria de mencionar / adicionar?

Você tem perguntas relacionadas ao meu trabalho / a minha pesquisa?

 

Abkürzungen und Erklärungen zu Akteur_innen

Abkürzung Vollständiger Name, Beschreibung (Bundesstaat bzw. Land)

 

ABERT: Associação Brasileira de Emissoras de Rádio e Televisão, brasilianischer  Unternehmerverband im Mediensektor (landesweit)

ABRAÇO: Associação Brasileira de Rádios Comunitárias, größter brasilianischer ComRad- Verband (landesweit)

ABRAÇO-SP: Vetretung von ABRAÇO im Bundesstaat São Paulo (São Paulo)

AM: Amplitude modulation, Modulationsart von Radiowellen (vor allem auf Kurz- und  Langwelle)

AMARC: Associação Mundial de Rádios Comunitárias, ComRad-Weltverband mit Sitz in  Kanada

AMARC ALC: Associação Mundial de Rádios Comunitárias América Latina e Caribe, Vertretung  von AMARC in Lateinamerika und der Karibik (derzeitiger Sitz: Lima, Peru)

AMARC Brasil: Associação Mundial de Rádios Comunitárias – Brasil, brasilianische Sektion von  AMARC (z.Z. Rio de Janeiro).

ANATEL: Agência Nacional de Telecomunicações, staatliche Regulierungsbehörde Brasiliens  (landesweit)

Ciranda: Ciranda internacional de comunicação compartilhada, Kommunikations-NGO  (landesweit)

CMI-SP: Centro de Mídia Independente de São Paulo, unabhängiges Medienzentrum, Teil  des weltweiten Indymedia-Netzwerks (São Paulo)

CNPq: Conselho Nacional de Desenvolvimento Científico e Tecnológico, staatliches  Forschungszentrum und Think des Wissenschaftsministerium (São Paulo)

ComRad: Community Radio

CRIAR: Centro de Imprensa, Assessoria e Rádio, Kommunikations-NGO mit Schwerpunkt  Radio (Rio de Janeiro)

DENTEL: Departamento Nacional de Telecomunicações, frühere brasilianische  Regulierungsbehörde

EBC: Empresa Brasil de Comunicação, staatliches Radionetzwerk (landesweit)

FDC: Fórum Democracia na Comunicação, lokaler Radioverband (São Paulo)

FM: Frequency modulation. Modulationsart von Radiowellen, die im Deutschen auch  UKW (Ultrakurzwelle) genannt wird. In Brasilien ist ComRads ausschließlich das  Senden mit FM-Sendern im UKW-Band gestattet

FNDC: Fórum Nacional pela Democratização da Comunicação, landesweites  Bündnis zur Demokratisierung der Medien (landesweit)

Intervozes: Kommunikations-NGO (landesweit)

MDMS: Mulheres da Mata Sul, regionales Frauennetzwerk (Pernambuco)

MDS: Ministério do Desenvolvimento Social e Combate à Fome, Ministerium für soziale  Entwicklung und Ernährungssicherheit (Distrito Federal)

MiniCom: Ministério das Comunicações, Kommunikationsministerium (Distrito Federal)

Mulheres do Cabo: feministische NGO mit Radioprojekten (Pernambuco)

NGO: Non-governmental organization

Oboré: Privates Unternehmen, dass ComRads schult und Audiomaterial produziert (São  Paulo)

OSF: Open Spectrum Foundation, Stiftung, die sich für die nicht-lizenzierte Nutzung des  elektromagnetischen Spektrums einsetzt (Prag, Tschechische Republik)

PF: Policia Federal, brasilianische Bundespolizei (landesweit)

PSB: Partido Socialista Brasileiro, brasilianische Zentrumspartei (landesweit)

PT: Partido dos Trabalhadores, brasilianische Arbeiterpartei (landesweit)

Pulsar ALC: Nachrichtenagentur von AMARC ALC

Pulsar Brasil: Nachrichtenagentur von AMARC Brasil

RIZOMA: Rizoma das Radios Livres, nicht-repräsentatives Bündnis Freier Radios (landesweit)

Rádio Amnésia: Freies Radio in Olinda (Pernambuco)

Rádio Bicuda: Com Rad in Rio de Janeiro (Rio de Janeiro)

Rádio Buda: temporäres Freies Radio in Campinas (São Paulo)

Rádio Canal Mais: ComRad in Baurú (São Paulo)

Rádio Cantareira: ComRad in São Paulo (São Paulo)

Rádio Comunidade: ComRad in Nova Friburgo (Rio de Janeiro)

Rádio Cultura: Privatsender in Palmares (Pernambuco)

Rádio Gazeta News: ComRad in Mairinque (São Paulo)

Rádio Globo: kommerzielles Radionetzwerk des Medienunternehmens Rede Globo (landesweit)

Rádio Heliópolis: ComRad in São Paulo (São Paulo)

Rádio Independência: ComRad in Independência (Ceará)

Radio La Tribu FM: ComRad in Buenos Aires, Argentinien

Rádio Luta: Freies Radio nahe Campinas (São Paulo)

Radio MEC: staatlicher Radiosender, Teil des EBC-Netzwerks (Rio de Janeiro)

Rádio Muda: Freies Radio in Campinas (São Paulo)

Rádio Mulher: Radioprogramm in verschiedenen Privatsendern (Pernambuco)

Rádio Novo Ar: ehemaliges ComRad in São Gonçalo (Rio de Janeiro)

Rádio Paraisópolis: ComRad in São Paulo (São Paulo)

Rádio Novos Rumos: ComRad in Queimados (Rio de Janeiro)

Rádio Núcleo Barreto: ComRad in Niteroi (Rio de Janeiro)

Rádio Ponte: Cabo de Santo Agostinho (Pernambuco)

Rádio Poste: Öffentliches Lautsprechersystem in Cabo de Santo Agostinho (Pernambuco)

Rádio Pulga: Freies Radio in Rio de Janeiro (Rio de Janeiro)

Rádio Queimados: ComRad in Queimados (Rio de Janeiro)

Rádio Radiola: ehemaliges Freies Radio (Distrito Federal)

Rádio Real: ComRad nahe Baurú (São Paulo)

Rádio Revolução: ehmemaliges ComRad in Rio de Janeiro

Rádio Santa Marta: ComRad in Rio de Janeiro (Rio de Janeiro)

Rádio Sky: evangelikales ComRad nahe Campinas (São Paulo)

Rádio União: ComRad nahe Campinas (São Paulo)

Rádio Várzea: Freies Radio in São Paulo (São Paulo)

Rádio Verde é Vida: ComRad in Itapui (São Paulo)

Rede de Mulheres: Landesweites und intenationalisiertes Frauennetzwerk von AMARC Brasil

Saravá: Thinktank zu technopolitischen Fragen (São Paulo)

UFABC: Universidade Federal do ABC, Staatliche Universität (São Paulo)

UFF: Universidade Federal Fluminense, Staatliche Universität (Rio de Janeiro)

UFRJ: Universidade Federal do Rio de Janeiro, Staatliche Universität (Rio de Janeiro)

UNICAMP: Universidade Estadual de Campinas, Staatliche Universität (São Paulo)

UNIRR: União e Inclusão em Redes e Radio, NGO die Radiomachende weiterbildet

VIVA RIO: Regionale Kommunikations-NGO und ComRad-Organisation aus Rio de Janeiro

Abstract

 

The overall radio landscape of Latin America can generally be characterized by a rather high concentration of broadcasting licenses. Individual companies or cross-media commercial corporations are responsible for the control of their allocation and use. Brazil is no exception to that, on the contrary it is one of the most extreme examples in this regard. After the end of the civil-military dictatorship (1964-1985) fundamental right were included in the democratic Constitution of 1988. They were aimed at encouraging the freedom of expression and the right to communicate. Yet the movement of independent radio broadcasters, which was gaining strength at this time, did not achieve to establish an »agrarian reform in the air.« Such a reform would have contributed to make more durable a spontaneous occupation of radio waves that occurred in the late 1980s by guaranteeing those spaces within a legislative framework, in which the constitutional right of »complementarity« would have been a strong base to build on. However, this did not happen. Instead, the electromagnetic spectrum, which use by radio amateurs, collective and non-commercial actors has been severely restricted since the second decade of the 20th century by state regulators, was selectively opened up in 1998. Since then a specific law (Lei 9.612 / 98) allows the creation and operation of so-called community radios.

Although today there are more than 4,000 such stations approved in Brazil, many non-governmental and non-commercial radio broadcasters (and their representatives) clearly state that the legal framework has not been an adequate putting into the practice of »the right to do radio.« That is why these actors confront the legal restrictions of their media making by another powerful concept, which is the one of (media) legitimation. Formerly reserved by rulers (and government at most institutions) as a measure of their political creditworthiness, the symmetrical application of this concept to all relevant social entities of radio making now clearly allows two things. On the one hand, the currently valid legal premises of the Brazilian broadcast regulations can be narrated as a legitimacy crisis. On the other hand this crisis opens up the opportunity for radio broadcasters and their »legitimacy helpers« to construct alternative ensembles of media creditworthiness and to stabilize them in due time.

The present dissertation outlines those media ensembles and their specific actors on an interdisciplinary terrain. By using an exploratory mapping of the Brazilian radio narrative, I show firstly at which points the legitimacy of established actors is vulnerable and under attack. In a further step, I document the specific suggestions of »another« radio-making formulated in relation to the government instructions (scripts) of Community Radio, both by specific network builders, such as radio associations or NGOs, as well as by radio broadcasters themselves. On the basis of 17 well selected case studies all over Brazil I document how different radio collectives situationally legitimize their transmissions in the electromagnetic spectrum. This ethnographic collection elucidates a central dilemma. This is the one of the decay of radio, its entities, formats and concepts in post-universal set pieces as it accelerates and multiplies its medial definition. New spaces are created in the electromagnetic spectrum for a justified creation and making of independent radio making. At the same time, however, it becomes clear that those individual scripts are hardly ever incorporated into media policy negotiations. One can even go further and state that in Brazil there is currently no place where all the relevant actors can work on a consensual (new) definition of »broadcasting.« Still, from the viewpoint of »alternative ensembles« such a trading zone would be highly desirable to continuously shape the reference of broadcasting which they offset into circulation. As a matter of fact this could guide the basis of a balanced reorganization of radio mediations. To finish, my study concludes with stating that the absence of such a trading zone is not solely due to resistive state actors or commercial media, but can also be attributed to the heterogeneous entities that are involved in the diverse and sometimes contradictory making of »another broadcasting« in Brazil.

On a theoretical level, my research contributes to the most recent media policy debates in Brazil and in Latin America in general. It mainly focuses on the question of media legitimacy and highlights how different social actors appropriate this concept to break up controversial normative and legal limitations of participatory radio usage. The approach of actor network theory as part of a (multi-sited) media ethnography makes possible a differentiated analysis of situated approaches of doing radio and all its involved entities. It permits the overcoming of static definitions and categorizations of broadcasting that on a conceptual level currently block broader social negotiation and adoption of this medium. This is the case as the question of democratic control has never been conditioned a priori by constraints on the technical and legal level or by a fixed normative. Rather, the moment of regulation is relocated as part of a broader media-policy debate that as a premise inscribes the broadest and most active use of (radio) media and measures a democratic regulation through the contributions to this process. Asking all involved actors to legitimize their doings has proved to be an extremely useful mediator to investigate inherent power structures of Brasilian broadcasting.

Zusammenfassung

Die Radiolandschaften Lateinamerikas sind im Allgemeinen von einer hohen Konzentration von Sendelizenzen geprägt. Einzelne Unternehmen oder medien- übergreifende kommerzielle Körperschaften kontrollieren deren Vergabe und Nutzung. Brasilien ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme, sondern eines der extremsten Beispiele. Zwar wurden hier nach dem Ende der militärisch-zivilen Diktatur (1964-1985) in der demokratischen Verfassung von 1988 Grundrechte formuliert, die die Meinungsfreiheit und das Recht auf Kommunikation fördern sollten. Doch es gelang der damals erstarkenden Bewegung unabhängiger Radiomachender nicht, eine »Agrarreform in der Luft« zu etablieren. Ein solche hätte auch die in den späten 1980er Jahren einsetzende, spontane Besetzung von Radiowellen im Rahmen einer Gesetzgebung gefestigt und damit das konstitutionelle Recht einer »Komplementarität« unterschiedlicher Radioakteur_innen „hörbar“ umgesetzt. Allerdings wurde 1998 die seit der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts von staatlichen Regulierungsinstanzen stark eingeschränkte Nutzung des elektromagnetischen Spektrums durch Radioamateur_innen oder kollektive, nicht-kommerzielle Akteur_innen punktuell geöffnet. Seitdem ermöglicht ein Gesetz (Lei 9.612/98) die Gründung und den Betrieb sogenannter Community Radios.

Auch wenn es in Brasilien heute mehr als 4.000 solcher genehmigter Sender gibt, empfinden viele nicht-staatliche und nicht-kommerzielle Radiomachende (sowie ihre Repräsentant_innen) die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht als adäquate Übersetzung des »Rechts auf Radio«. Sie setzen den legalen Einschränkungen ihres Medienmachens deshalb ein wirkmächtiges Konzept entgegen, nämlich das der medialen Legitimation. War der Terminus vormals Regierenden (und im Höchstfall staatlichen Institutionen) als Maß ihrer politischen Anerkennungswürdigkeit vorbehalten, so ermöglicht seine symmetrische Anwendung auf alle für das Radiomachen relevanten gesellschaftlichen Größen nun zweierlei: Zum einen werden nun die aktuell gültigen, legalen Prämissen der brasilianischen Rundfunkregulierungen als eine Legitimationskrise erzählbar; zum anderen eröffnet diese Krise Radiomachenden und ihren spezifischen »Legitimationshelfer_innen« die Möglichkeit, alternative Ensembles medialer Anerkennungswürdigkeit zu konstruieren und in der Zeit zu stabilisieren.

Die vorliegende Arbeit zeichnet diese medialen Konstruktionen und ihre spezifischen Akteur_innen auf interdisziplinärem Terrain nach. Mithilfe eines explorativen mapping des brasilianischen Radionarrativs zeige ich zunächst, an welchen Stellen die Legitimation etablierter Akteur_innen angreifbar ist und angegriffen wird. Danach dokumentiere ich, welche spezifischen Vorschläge eines »anderen« Radiomachens gegenüber der staatlichen Anleitung (script) von Community Radio formuliert werden, sowohl von spezifischen network builders, wie zum Beispiel Radioverbänden oder NGOs, als auch von Radiomachenden selbst. Anhand von 17 Fallbeispielen dokumentiere ich, wie Sendekollektive sich situativ zu legitimieren suchen. Diese ethnographische Erhebung macht ein zentrales Dilemma sichtbar: Der Zerfall von Radio, seiner Entitäten, Formate und Konzepte, in post-universelle Versatzstücke beschleunigt und vervielfältigt seine medialen Definitionen. Für ein »anderes« Radiomachen werden auf diese Weise zwar Räume im elektromagnetischen Spektrum geschaffen und ihre Nutzung gerechtfertigt. Zugleich wird aber auch deutlich, dass diese einzelnen Skripte kaum in medienpolitische Aushandlungen einfließen. Mehr noch: In Brasilien gibt es derzeit keinen Ort, an dem alle relevanten Akteur_innen zusammentreffen, um eine konsensuelle (Neu)Bestimmung von »Rundfunk« vorzunehmen. Eine solche trading zone wäre aus Sicht der »alternativen Ensembles« jedoch erstrebenswert, um die von ihnen in Zirkulation versetzte Referenz Radio weiterführend zu verändern. Denn diese könnte die Grundlage einer symmetrischen Neuordnung der Radiomediationen anleiten. Als Ergebnis zeigt die vorliegende Dissertation, dass das Fehlen eines solchen Aushandlungsorts nicht allein auf widerständige staatliche Akteur_innen oder kommerzielle Medien zurückzuführen ist, sondern auch auf die heterogenen Entitäten, die am vielgestaltigen und widersprüchlichen »anderen« Radiomachen in Brasilien beteiligt sind.

Auf theoretischer Ebene leistet die Arbeit einen Beitrag zu medienpolitischen Debatten in Brasilien und Lateinamerika. Sie fokussiert auf die Frage medialer Legitimation und zeigt, wie unterschiedliche gesellschaftliche Akteur_innen sich dieses Konzept aneignen, um strittige normative und legale Eingrenzungen einer partizipativen Radionutzung aufzubrechen. Der Ansatz der Akteur_innen-Netzwerk-Theorie im Rahmen einer (multi-sited) Medienethnografie ermöglicht eine differenzierte Analyse situativen Radiomachens und aller beteiligten Entitäten. Diese erlaubt es, statische Definitionen und Kategorisierungen des Rundfunks zu überwinden, die einer breiten gesellschaftlichen Aushandlung und Aneignung des Mediums abträglich sind. Denn die Frage nach einer demokratischen Regulierung ist nie a priori von festen normativen, technischen oder legalen Zwängen konditioniert. Vielmehr wird das Moment der Regulierung selbst als Teil einer umfassenderen medienpolitischen Debatte resituiert, die als Prämisse eine möglichst breite und aktive Nutzung von (Radio)Medien inskribiert und eine demokratische Regulierung an ihrem Beitrag dazu misst. Die an alle beteiligten Akteur_innen herangetragene Forderung nach Legitimation erweist sich als eine äußerst hilfreiche Mediatorin zur Untersuchung der diesem Prozess inhärenten Machtstrukturen.

 

Danksagung

Seit dem Weltsozialforum in Belém do Para im Jahr 2009, auf dem die Idee zu dieser Arbeit entstand, sind sechs Jahre vergangen. Dafür, dass nun endlich eine fertige Dissertation vorliegt, möchte ich vielen Menschen danken, die mich auf diesem langen Weg auf unterschiedlichste Weise begleitet haben.

Zunächst gilt mein Dank all jenen, die mir in Brasilien Türen geöffnet haben, und zwar nicht nur zu Sendekabinen. Dazu gehören alle (Medien)Aktivist_innen, Forschenden und Journalisten_innen aus Lateinamerika, von denen viele bereits in der Liste der geführten Interviews Erwähnung finden. Im Besonderen Danke ich Andreas Behn, Diego Amoedo,  Diana Helene, Eva-Maria Rößler, Freddy Strack, Hector Guerra Hernandez, Jan-David Hauck, Kaila Lima, Leslie Loreto,  Lucybeth Camargo de Arruda, Pablo Barreira und Samuel Leal, die mich während meiner achtmonatigen Feldforschung immer wieder ausgehalten haben.

Unendlich dankbar bin ich den über 30 besuchten Radios und Organisationen, die ich besucht und beforscht oder bei denen ich auch mitgearbeitet habe. Ohne eure Hilfe und euer Vertrauen hätte ich vieles nicht sehen oder beschreiben können. Es schmerzt mich, viele mir lieb gewordene Radiomachenden hier nicht namentlich nennen zu können, um sie nicht unnötig für staatliche Verfolgung zu exponieren. Ich verzichte aus Solidarität mit den Illegalisierten deshalb darauf, einzelne herauszustellen. Muito obrigado todXs. É nós!

Herzlich danken möchte ich auch dem Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dessen finanzielle und ideelle Förderung die ersten drei Jahre dieser Forschung ermöglicht hat. Und dankbar bin ich auch den Mitarbeiter_innen von Brot für die Welt sowie den Kolleg_innen des Weltverbands der Community Radios (AMARC) in Brasilien, für die ich seit 2012 tätig bin und die mir die Möglichkeit gegeben haben, die vorliegende Arbeit fertig zu stellen.

Marianne Braig gilt mein Dank, diese Untersuchung auf akademischen Terrain ermöglicht und nachhaltig betreut zu haben. Markus-Michael Müller bin ich für viele schlaue Hinweise und Literaturtipps dankbar. Von der »wissenschaftlichen Fraktion« möchte ich außerdem danken: Alvaro Garreaud, Christof Mauersberger, Daniela Cuadros, João Paolo Malerba, Leonel Yañez, Marco Antonio Ceballos, Pablo Cottet, Takashi Tomé und Viviana Uriona. Für die kritische Revision einzelner Textabschnitte geht Dank an: Andreas Behn, Astrid Schäfers, Börries Nehe, Gundo Rial y Costas, Frank Müller und Stefanie Lipf.

Über den Schreibprozess der Dissertation hinaus gilt mein Dank: Angela Isphording, Christoph Dietz, Flujos,org, Luis Militão, meinen Freund_innen und Kolleg_innen des Nachrichtenpools Lateinamerika, Octavio Pieranti und Radio Zapote. Ihr wisst wofür.

Last but not least, möchte ich mich bei meinen Eltern und meiner Schwester bedanken, für ihre Liebe, Hilfe und Verständnis, in all den Jahren. Ebenso dankbar bin ich meinen »anderen Familien« Bravo, Barreira und Cuadros Garland, für alles.

Widmen möchte ich diese Arbeit meiner Partnerin Pamela und meiner Tochter Olivia Luz, die mir unendlich viel Kraft gegebenen haben wirklich den letzten Punkt unter diese Arbeit zu setzen. Gracias. Las quiero mucho.

Punkt.


1 Ein Radiomanuskript liest sich ein bisschen wie ein Drehbuch. Auf der linken Seite sind chronologisch die «Regieanweisungen« für das Einspielen von Geräuschen und Musik angeführt. Auf der rechten Seite ist ebenfalls chronologisch der Sprecher_innentext dokumentiert. So wie das Manuskript sind zum besseren Verständnis auch alle weiteren portugiesischen Zitate vom Autor ins Deutsche übersetzt worden.

2 KOLLEKTIV A/TRAVERSO 1977: 146.

3 Das Adjektiv »unabhängig« verwende ich hier im Sinne der Akteur_innen-Netzwerk-Theorie als ein infralinguistisches Konzept (vgl. Kap. 1. bzw. 2.1.3.6.). Damit ist das Interesse beschrieben, anfangs ein möglichst breites, deskriptives Konzept zu formulieren, dass im Laufe der Arbeit im Dialog mit weiteren Akteur_innen an Schärfe gewinnen wird.

4 MACHADO et. al. 1987: 9.

5 Neben dem staatstreuen und dementsprechend privilegierten Mediennetzwerk Rede Globo stieg ab Ende der 1970er Jahre die Zahl zusätzlicher Privatsender rapide an. Radiolizenzen entwickelten sich zu einem inflationären politischen »Zahlungsmittel“ mit dem die Regierenden Gefälligkeiten goutieren oder sich Wählerstimmen sicherten.  Bereits zwischen 1979 und 1984 verdoppelt sich die Gesamtzahl zugelassener Radiosender auf 1628. Unter dem Mandat von José Sarney wächst diese Zahl erneut um 946 private Radiostationen (vgl. ARAUJO 2007: 98f, ABERT 2009:47f).

6 Ende der 1990er Jahre machte der Anteil staatlicher Sender insgesamt gerade fünf Prozent des Rundfunks aus (vgl. PRADO 2004: 85). Für einen historischen Überblick der Medienzensur in Brasilien vgl. FERNANDO 2008.

7 SÔLHA 2010: 220.

8 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte http://www.un.org/Depts/german/grunddok/ar217a3.html. (01.07.2011.), MACHADO et. al. 1987: 23.

9 Interview NETO. Neto konstruiert den Vergleich mit der Broken-Window-Theorie auf folgende Weise. Während diese die Hypothese aufstellt, dass bereits eingeschlagene Fensterscheiben Nachahmer_innen auf den Platz rufen, wendet Neto dieses (implizit stigmatisierende Bild) in eine widerständige Strategie: jedes gewaltsam geschlossene Radio provoziere nicht die Schließung weiterer Sender, sondern die Gründung neuer Stationen.

10 Vgl. NETO 2002: 56.

11 Diese Schätzung stammt von einem der damals beteiligten Radiomachenden und dem heutigen Vorsitzenden des brasilianischen Verbands der Community Radios (ABRAÇO), José Sôter (Interview).

12 Vgl. SILVEIRA 2001.

13 LUZ 2007: 15; COELHO 2002: 135; SILVEIRA 2001: 23f.

14 Die Zahl der genehmigten Sender entspricht einer ständig aktualisierten Statistik des brasilianischen Kommunikationsministeriums (MiniCom) unter ist einsehbar unter: http://www.mc.gov.br/radiodifusao/dados-de-outorga/23457-dados-gerais (1.11.2011). Die Angaben zu Sendern ohne Genehmigung geben die Schätzungen von Vertreter_innen unabhängiger Radioverbände (AMARC Brasil, ABRAÇO, RIZOMA) wider (vgl. Interviews mit João Paulo Malerba, José Sôter und Rafael).

15 LUZ 2007: 15f.

16 Vgl. u.a. SATURNINO 2006; LUZ 2007; GIRARDI et. al. 2009.

17 Vgl. dazu die Arbeit von MAUERSBERGER 2014.

18 Dieses Vorgehen beschreibt (nicht nur in Brasilien) den Mainstream von Arbeiten zur Rundfunkregulierung. Vgl. im Allgemeinen: GIBBONS 1998; DOYLE 2002; KÜNZLER 2009. Zur Regulierungsdebatte in Brasilien vgl. CRUZ et.al. (eds.) 2005; SARAVIA et.al. (eds.) 2008.

19 Unterscheiden sich dabei grob drei Kritiklinien, die im zweiten Kapitel der Arbeit differenziert herausgearbeitet werden:  Erstens, die Infragestellung staatlicher Legitimation bei der Rundfunkregulierung (vgl. MACHADO 1987: 16, SOUSA 1997), zweitens, die Kritik an der Rolle kommerzieller Medien als dem Staat zuträgliche Legitimationshelfer, vor allem während der Militärdiktatur (vgl. JAMBEIRO 2002: 73ff) und drittens, die Konstruktion medialer Legitimation seitens unabhängiger Radios (vgl. LUZ 2007; SÔLHA 2010: 223).

20 Zur Definition von blueprints, als transferierter pre-existenter Modelle, vgl. ROTTENBURG 2009: 72. Ich greife die Kritik an dieser Art konzeptueller Transfers auf, da sie sich explizit gegen Versuche richtet, die Legitimation unabhängiger Radios innerhalb exogener Kategorien zu ordnen, welche der empirischen Analyse vorausgehen. Wie problematisch ein solches Vorgehen ist zeigt bspw. die Theoriebildung  Vizers, welche die globalen medialen Kategorien Downings in den brasilianischen Kontext überträgt (VIZER 2007; DOWNING 2001).

21 Die derzeitige Vorsitzende des Weltverbands der Community Radios (AMARC) María Pía Matta kritisiert dieses Vorgehen pointiert:  »Die Universitäten waren anfangs nicht in der Lage unsere Arbeit zu theoretisieren, deswegen haben wir das übernommen und zwar ausgehend von unserer Praxis. Das ist eine Geschichte von Fehlern, Niederlagen und zum Glück auch vielen Erfolgen, die wir selbst dokumentieren« (BROCK 2011a). Zur Unterscheidung von Beobachter- und Ethnotheorien vgl. SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 137ff.

22 Eine trading zone bedeutet hier einen Ort, an dem es möglich wird »situations and problems in a way that seems acceptable to all sides« zu definieren (Vgl. ROTTENBURG 2009: 104).

23 Vgl. FLICK 2010.

24 »[Si] la acción es deslocalizada, no pertenece a ningún sitio específico; es distribuida, variada, múltiple, dislocada y es un acertijo para los analistas y los actores« (LATOUR 2008: 92).

25 SCAFF 1996: 464.

26 Als landesweite operierende Verbände habe ich gemäß einer Auswahlmethode, die ich zu Beginn des 3. Kapitels beschreibe, ABRAÇO, AMARC Brasil und RIZOMA dokumentiert. Als relevante regionale Verbände traten die ABRAÇO-Vertretung im Bundesstaat São Paulo, der lokale Radioverband FDC in São Paulo und die Radio-ONG Viva Rio in Rio de Janeiro in Erscheinung (zur Auswahl vgl. ebenfalls Kap. 3.). Darüber hinaus habe ich eine Reihe ergänzender Interviews mit Wissenschaftler_innen, Kommunikations-NGOs und Medienmachenden, die in der Literatur wichtige Beiträge zu meiner Fragestellung formulierten bzw. von den bereits erwähnten network builders als relevant bezeichnet wurden.

27 Die Kriterien für diese räumlichen Unterscheidungen entspringen ebenfalls Interviews mit Radiomachenden und network builders zu Beginn der Arbeit. Diese Leitkriterien waren im Einzelnen: Radio auf dem Land bzw. in Kleinstädten mit geringer Präsenz anderer Radiomedien; Radios in metropolitanen Zentren bzw. an deren Peripherie, Radios in Favelas, Radios auf Universitätsgeländen, Radios von Nachbarschaftsorganisationen, Radios mit Nähe zu religiösen Akteur_innen, Radios mit Bezug zu sozialen Bewegungen, Radios, die Mitglieder in unterschiedlichen Radioverbänden sind und Radios mit einem offenen Anspruch für Gendersensibilität. Ausgehend von diesen Kategorien habe ich im Laufe der Arbeit eigene Unterscheidungskriterien entwickelt, deren genaue Herleitung ich zu Beginn des 4. Kapitels darlege.

28 Insgesamt führte ich 74 semi-struktierte, ethnographische Interviews (BEAUD et. al. 1998) mit network builders, Radiokollektiven und weiteren Akteur_innen durch (vgl. Appendix). Als Abschluss der empirischen Arbeit im Feld definierte ich für dieses dynamische sample den Moment, ab dem ich trennscharf verschiedene Legitimationsstrategien unabhängigen Radiomachens unterscheiden konnte, die sowohl die situative Erklärung dieser Medien, jedoch auch die nicht abgeschlossene Übersetzung eines symmetrischen Rundfunk-Ensembles erklären konnte (vgl. Konklusion).

29 Für eine Einführung in die Akteur_innen-Netzwerk-Theorie vgl. BELLIGER et.al. 2006.

30 Im Gegensatz zu vielen anderen ANT-Studien, ergründe ich die Netzwerke auch in ihrer spezifischen »historischen« Tiefe. Darüber hinaus verwende ich in der Arbeit auch viel Raum darauf, vermittels eines mappings die Auswahl der Akteur_innen nachvollziehbar machen, um jene Momente transparent zu machen, in denen eine Spur erkannt wird.

31 Vgl. BROCK 2011b.

32 Vgl. CLARKE 2005, GEERTZ 1973. Methodisch rekurriert die Arbeit bei ihren »dichten Beschreibungen« vor allem auf drei ethnographischen Methoden: das Mapping textueller Beschreibungen von Radiomedien in Brasilien, Leitfrageninterviews mit Akteur_innen, die am unabhängigen Radiomachen beteiligt sind oder dieses beeinflussen sowie eine spezifische Form teilnehmender Beobachtung, der Militant Ethnography (Vgl. JURIS 2007).

33 Zu einer weiteren Explikation der fraktalen Akteur_innen_netzwerke vgl. Kapitel 2.1.2.4. Die vier Phasen innerhalb welcher die Untersuchung dimensioniert wird, heißen im infralinguistischen Vokabular der ANT Askription, Inskription, Präskription und Deskription (vgl. BELLIGER et. al. 2006:43f). Ich werde diese im 2.2.2.4. noch ausführlich erläutern.

34 Zu den auch system builders genannten Akteur_innen vgl. CRESSMAN 2009, SCHÜTTPELZ 2008.

35 Vgl. LATOUR 2008: 177ff.

36 Beispiele von Studien, die die hier kritisierte Tendenz widerspiegeln sind u. a.: VAN DER ZON 2005, HERNÁNDEZ BACA 2010, AGUIAR 2007, SOUSA 1997, PERUZZO 1998. LAHNI 2008, NUNES 1995.

37 Im ANT-Jargon ausgedrückt, wird hier der Moment der modellhaften Inskription verlassen. Mit Blick auf die weitere Realisierung einzelner Radios wird die Untersuchung medialer Skripte vervollständigt, inklusive eines dafür notwendigen Bruchs mit der Prämisse, einzelne Sender an der Realisierung eines normativen Modells zu messen.

38 Zur Definition von hidden transcripts vgl. SCOTT 1990:4f Eine ähnliche analytische Unterscheidung trifft Rottenburg, der von official und unofficial scripts spricht, auf die ich ebenfalls eingehen werde (Vgl. ROTTENBURG 2009: 30f).

39 Vgl. GEISSLINGER et.al. 2007.

 

Endnoten Kap. 1

1 DELEUZE et. al. 1991: 13.

2 Diese Analogie entstammt Richard Rottenburgs Analyse der heterogenen und selten explizierten Prämissen, die der  entwicklungspolitischen Projektplanung und -durchführung in Afrika zugrunde liegen (ROTTENBURG 2009: 167).

2 Vgl. ROTTENBURG 2009: 200. Die Frage nach dem Metacode greife ich auch im Schlusskapitel dieser Arbeit erneut auf, dann allerdings nicht mehr nur auf der Ebene des settings, sondern in Bezug auf die Aushandlungen der unabhängigen Radios (vgl. Konklusion.).

3 BINGHAM et. al. 2004: 286f, zitiert in THIELMANN 2008: 180. Ein solches Vorgehen ist neueren Arbeiten der Grounded Theory oder weiteren Theorien die mit der Prämisse von sensitizing concepts arbeiten nicht unähnlich. Vgl. CHARMAZ 2006, FLICK 2010.

4 Der Begriff der trading zone geht auf Peter Galison zurück und meint Aushandlungszonen in denen »Objekte« ausgetauscht werden, obwohl diese Objekte für Geber und Empfänger radikal unterschiedliche Bedeutungen mit sich führen« (GALISON 2004: 42, zitiert in ROSSLER 2008: 93).

5 Zur Unterscheidung zwischen Beobachter- und Ethnotheorie vgl. SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 137.

6 Die beiden ersten Zitate entstammen von mir geführten Interviews. Robert Horvitz ist Mitbegründer der Stiftung Open Spectrum Foundation, Claudia Buono ist Mitarbeiterin im brasilianischen Ministerium für soziale Entwicklung und Ernährungssicherheit. Zum Zitat von Franco Bifo Berardi vgl. http://www.generation-online.org/p/fp_bifo7.htm (12.12.2010).

7 Vgl. MÜNKER et. al.  2008: 11.

8 Vgl. u.a. IGARZA 2008, RILEY 2009, ATTON: 2004, LOVINK 1992, DOWING 2001, LANGLOIS 2005.

9 LIMA 2006: 52. Übersetzung N.B.

10 LACLAU 1993.

11 Vgl. HAGEN 2006: 21. An dieser Stelle ließe sich »Medium« vorschnell als ein immaterielles Element verstehen, welches unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung existiert. Diese Sichtweise entsteht, wie Hagen zeigt, jedoch vor allem vermittels einer übersetzerischen Interpolation von Thomas von Aquin, der den Begriff des Mediums »unter dem Vorwand, die Unklarheiten eines gegebenen Textkorpus zu glätten, als einen Zentralbegriff« in den Text schmuggelt (vgl. ebd 2006: 17).

12 HICKETHIER 2003: 228.

13 Vgl. ROSSLER 2008: 88f.

14 HICKETHIER 2003: 228f.

15 Einer Eingrenzung des Mediums entspräche dabei beispielsweise einem informationstheoretischem Modell, welches Medien anhand von Inputs und Outputs beschreibt. Eine Negation findet statt, sobald Medien definitorisch um ihre »Dazwischen« gebracht werden. Exemplarisch stehen dafür zwei antagonistische Perspektiven, welche in der Literatur als soziodeterministisch bzw- technikdeterministisch beschrieben werden. Während erstere Medien zu passiven tools in den Händen omnipotenter Subjekte macht, legt die zweite Perspektive den Umkehrschluss nahe, der eine Evolution (technischer) Medien annimmt, welche von gesellschaftlichen Prozessen entkoppelt verläuft (vgl. BROCK 2011b: 309f.

16 Zu unterschiedlichen Kategorisierungen von Medien vgl. HICKETHIER 2003. Zur Frage, ob es aus post-universeller Perspektive noch angemessen ist, von Einzelmedien zu sprechen vgl. THIELMANN 2008: 181f.

17 Vgl. ebd 2008: 207. Als Vertreter werden genannt: Frederic Jameson, Manuel Castells und David Harvey.

18 LATOUR 2008: 252.

19 Zu einer ausführlichen Diskussion dieser beiden Perspektiven vgl. KRÄMER 1998.

20 KITTLER 1986: 3.

21 WINTHROP-YOUNG 2005: 76.

22 Dass die Signalübertragung mittels elektromagnetischer Wellen beständig »esoterisiert« wird, hat für Tetsuo Kogawa Anlass zu einer produktiven Auseinandersetzung gegeben:

 http://anarchy.translocal.jp/radio/micro/howtotx.html (21.12.2011).

23 MARTÍN-BARBERO 1993: 187.

24 »[P]apiermaschinen waren von Anfang an nichts anderes als Science Fiction. Sie waren imaginäre Argumente im Spiel des Wissens, Faltungen des Wissens, so würde Gilles Deleuze das wohl nennen. Papiermaschinen sind, so oder so, Einfaltungen eines Wissensraums« (KASSUNG et. al. 2008: 170).

25 Als wichtige Mediationen unabhängigen Radiomachens werden seit den 1960er Jahren immer wieder besprochen  Brecht, Benjamin und Enzensberger. Vgl. dazu u.a. NETWORK-MEDIEN-COOPERATIVE. 1983.

26 Spezifische Skripte unabhängiger Radiopraxen ins Internet zu verlagern und diese dann als Freie oder Community Webradios zu machen, verlangt zumindest nach einer Auseinandersetzung mit den veränderten medialen Konstellationen. Die Literatur zu diesem Thema, übernimmt jedoch Beschreibungen wie »Community Radio« oder »Alternatives Radio« für unterschiedlichste Formen der Audioübertragungen im Internet, ohne die relationalen Auswirkungen dieser konzeptuellen Übertragungen zu reflektieren. Vgl. u.a. CEBRIÁN HERREROS 2008, GIRARD 2004, 2007. Des Weiteren vgl. die Kongressbeiträge der Group de Recherches et d'etudes sur la radio (GRER): http://www.grer.fr/agenda.php?id="53" (07.01.2013).

27 Vgl. VIZER 2007: 34. Vizer bezieht sich bei seinen Kategorisierungen auf Downing (DOWNING 2001).

28 Vgl. DRACKLÉ 2005.

29 Vgl. MORLEY 1992, JENKINS 2006, WINTER 1999.

30 »Der Mensch erscheint […] als ein Wesen, umringt von all dem, was sich nicht genauer erklären lässt […]« (Hubert Dreyfuss; Paul Rabinow: zit. In: FOUCAULT 2008: 24. Übersetzung N.B.

31 DRACKLÉ 2005: 204.

32 Damit beziehe ich mich explizit auf den Akteur_innen und Handlungsbegriff der Akteur_innen-Netzwerk-Theorie. Da diese in ihren epistemologischen und ontoligschen Prämissen einführend nur schwer in ihrer Komplexität zu erklären ist, findet eine umfassende Einführung erst im folgenden Kapitel statt (Vgl. Kap. 2).

33 »[C]ounterhegemony and counterhegemonic have become fairly common among writers influenced by [Gramsci´s] thinking […] Many radical alternative media clearly belong within this frame.« Vgl. DOWNING 2001: 15.

34 Vgl. dazu SCOTT 1990: 70ff.

35 Downing (vgl. Endnote 33) bleibt trotz seinem Interesse am infrapolitischen Handeln unabhängiger Medien vage, was dessen Subsumtion als gegenhegemoniale Projekte angeht. Anstatt auch die Validität und Relevanz des Konzepts in den Ethnotheorien der Akteur_innen zu suchen, scheint er trotz der Forderung nach differenzierten empirischen Medienstudien die Kategorie der radical media allein auf der Beobachterebene zu definieren und dort mit explizit gegenhegemonialen und wiederständigen Attributen aufzuladen (vgl. DOWNING 2001: 18).

36 »[L]os científicos sociales […] han retirado de la investigación el principal fenómeno de la ciencia social: la producción misma del lugar, el tamaño y la escala. Contra tal forma tridimensional, tenemos que mantener el dominio social completamente plano« (LATOUR 2008: 245f).

37 Explizit sucht dieses Konzept Kompatibilität mit dem vagen Medienbegriff der ANT der dennoch impliziert, »dass Medien nur im operativen Gebrauch zu Medien werden. Zur Beschreibung der Mediationen und Medialisierungen scheint dabei die Differenz zwischen Ding und Zeichen, zwischen Form und Inhalt entbehrlich« (THIELMANN 2008: 212).

38 Zur Spezifität von prozesshaften Medien in Abgrenzung zu Werkzeugen und Instrumenten schreibt Krämer: »Auf ein Instrument findet man sich verwiesen, seiner bedient man sich; und was mit ihm bearbeitet wird, hat eine vom Werkzeug durchaus ablösbare Existenz. An ein Medium dagegen ist man gebunden, in ihm bewegt man sich; und was in einem Medium vorliegt, kann vielleicht in einem anderen Medium, nicht aber gänzlich ohne Medium gegeben sein« (KRÄMER 1998: 83f). Um den zweiten Teil dieses Zitat nicht als eine Trennung von Inhalt und Form misszuverstehen, möchte ich zusätzlich darauf verweisen, dass die bei Krämer angedeutete intermediale Vernetzung nicht als ein Weitergabe informationeller Container (der Inhalt bleibt unverändert) sondern als ein Übersetzungsprozess zu verstehen ist: »kein Transport ohne Transformation« LATOUR 2000 zit. In: ROSSLER 2008: 101).

39 LATOUR 2008: 362.

40 Vgl. RAMMSTEDT 1976: 109.

41 WEBER 1980: 822.

42 Zur Methodik ethnographischer Interviews vgl. BEAUD et. al. 1998.

43 Ich paraphrasiere an dieser Stelle Zitate aus von mir 2010 und 2011 geführten Interviews: »As Rádios Livres não reconhecem o Estado como legítimo dono do espectro, enquanto as rádios comunitárias preferem um dialogo sobre a regulação da radiodifusão. [...] Também tem muita pressão da mídia comercial pra deslegitimar rádios comunitárias« (Mitarbeiter von AMARC Brasil). »A Lei 9612 existe para que não existem rádios comunitárias. Hoje e melhor fazer radio sem outorga. Mas a luta das rádios comunitárias inclua o seu reconhecimento legal como parte da sua legitimidade« (Mitarbeiter von ABRAÇO). »O movimento das rádios livres não precisa ficar legitimado pelo Estado pra poder atuar.« (Mitwirkender von RIZOMA). »A ocupação do espectro por tantas rádio evangélicos e comerciais faz legitimo tomar as ondas e fazer rádio livremente, sem outorga« (Mitwirkender von RIZOMA). Auf eine Unterscheidung zwischen Freien und Community Radios verzichte ich an dieser Stelle, da diese und damit verbundenen abweichenden Legitimierungen erst im Verlauf der beiden folgenden Kapitel mit der dafür notwendigen Differenziertheit dargelegt werden wird.

44 HENNIS 1976: 13; RAMMSTEDT 1976: 118.

45 Vgl.  ANSELL 2001: 8704; BEETHAM zit. in ebd. 2001: 8704;  BERGER et. al zit. in: ebd. 2001: 8705. An dieser Stelle kann keine ausführliche Betrachtung dieser Debatte erfolgen, verwiesen sei jedoch auf die bis heute häufig zitierte Typologisierung von legitimer Herrschaft im Sinne Webers (vgl. WEBER 1980), ihre konzeptuelle Kopplung an spezifische systemische Verfahren (LUHMANN 1978) beziehungsweise eine evolutionistisch-universelle Rationalitätsgenese (HABERMAS 1973, 1976).

46 Vgl. HABERMAS 1976: 40.

47 Vgl. HENNIS 1976: 14.

47 »[L]os conceptos tienen y seguirán tener su propia firma […] Pero, además, algunos reclaman con insistencia una palabra extraordinaria, a veces bárbara o chocante, que tiene que designarlos, mientras a otros les basta con una palabra corriente absolutamente común que se infla con unas resonancias tan remotas que corren el riesgo de pasar desapercibidas […]« (DELEUZE et. al. 1991: 13).

48 RAMMSTEDT 1976: 110.

49 Vgl. RAMMSTEDT 1976: 109ff. Damit ist nicht gesagt, dass légitime nicht auch vor 1814 als Begriff genutzt wurde, um staatliche Gewalt oder Herrschaft zu rechtfertigen. Rammstedt verweist darauf, dass der Begriff bereits während der Französischen Revolution genutzt wurde – unter anderem zu Rechtfertigung des Aufbegehrens gegen die dynastische Ordnung.

50 O'KANE 1993 zit. In: ANSELL 2001: 8705.

51 Der feine Unterschied liegt im Fall politischer Herrschaft dann lediglich darin ob die Beherrschten ihre Anerkennung als Gehorsam (Weber) oder in Form demokratischer Teilhabe im Rahmen vernünftiger Entscheidungen (Habermas) artikulieren. Sie bleiben jedoch stets eine Masse von Beherrschten, denen als »subordinate actors« (BEETHAM zit. in ANSELL 2001: 8705) lediglich die Möglichkeit zugestanden wird, ein bestimmtes Handeln entsprechend seiner Orientierung am Gemeinwohl anzuerkennen oder nicht. Auch Civil Disobedience im Sinne Thoreaus ist eher eine individualistische Verweigerungshaltung. Zwar macht er das »right of revolution« (vgl. THOREAU 1949: 3) wieder sichtbar, welches bei der Frage nach legitimer Herrschaft lange Zeit unterschlagen wurde (vgl. RAMMSTEDT 1976: 109). Seinen Hinweis, nicht Gesetze sondern das individuell als gut empfundene zu respektieren, verbindet Thoreau jedoch nicht mit Vorschlägen, der anleitend für dessen gesellschaftliche Aushandlung wären. Vielmehr tritt er den Rückzug in die Blockhütte an.

52 Vgl. CALLON et. al. 1987: 280. In diesem Text eigenen sich die beiden Vertreter der ANT das Konzept der Symmetrie an, zu dessen theoretischer Fundierung vor ihnen der Sozialkonstruktivist David Bloor. Callon und Latour nehmen ihrerseits jedoch eine theoretische Aneignung (oder auch Entwendung, vgl. FN 71) vor, die in den folgenden Jahren zu einem polemisch geführten science war führte (vgl. dazu u.a. BLOOR 1999a, 1999b, LATOUR 1999).

53 Laut Rammstedt legitimieren die Beherrschten (seit dem Wiener Kongress) durch den Zustand ihres allgemeinen »Glücklichseins« ihre Beherrschung (RAMMSTEDT 1976: 110). Fortan gerann die strategische Konnotation von Legitimation als einem spezifischen Handeln zugunsten des summum bonum, also eines spezifischen gesellschaftlichen Gemeinwohls, zu einem Zustand der Legitimität. Dieser Zustand beschreibt dabei jedoch allein das Verhältnis anerkennenden Gehorsams der Beherrschten gegenüber Herrschenden.

54 Damit ist eben keine inflationäre Ausdehnung des Begriffs angedeutet, sondern neben einem empric turn zugleich eine Rückkehr vor seine strategische Einschränkung, die sich explizit gegen das Postulat einer nicht hintergehbaren Naturalisierung von Legitimität als Eigentum der Herrschenden oder als exklusive Eigenschaft politischer Ordnungen stellt.

55 SCAFF 1996: 464.

56 Vgl. HABERMAS 1976: 50f.

57 Vgl. HORWITZ 2005.

58 Besonders die Arbeiten rund um das Konzept des Open Spectrum haben auf vielfältige Art und Weise den staatlichen Regulierungsanspruch herausgefordert (vgl. WEINBERGER 2003, WERBACH 2003, 2007, HORWITZ 2008). Im Rahmen der Open-Spectrum-Texte hat außerdem eine Relektüre »klassischer« regulierungskritischer Texte stattgefunden. Vgl. v.a. RIEGEL 1934, HAZLETT 2001.

59 Damit ist im Sinne Habermas eine Legitimationskrise beschrieben und im Sinne Latours ein Punkt, an dem Bewegung stattfindet und empirische Forschung erst möglich macht.

60 Zu Legitimationshelfern vgl. HABERMAS 1976: 50f. Von dieser Prämisse auf der Akteur_innensebene ausgehend, wird u. U. auch der Staat zu einem Helfer, da sein Wesen nicht länger mit dem alleinigen Anspruch auf Legitimität zusammenfällt, sondern beispielsweise zur Legitimität einer politische Ordnung (z.B. Demokratie) beiträgt. Anders als bei Weber, bei dem (als zentrales Merkmal des Politischen) jeweils Herrscher die Herrschaft legitimieren, kommt Legitimationshelfern eher eine Art Schiedsrichterfunktion zu, die in ihrer Anerkennungswürdigkeit verlierbar ist.

61 Angedeutet ist hier bereits ein Fraktalmodell, dass es möglich macht die Konstruktion medialer Legitimation in unterschiedliche Richtungen (und Akteur_innen) aufzufächern (Vgl. dazu Kap. 2.1.1.3.). Wichtig ist angesichts des Beispiels hier jedoch vor allem der Schluss, dass es auf Grund dieser Konstruiertheit, keinen letzten Rechtsgrund geben kann, auf den sich Legitimationsketten berufen können.

62 RAMMSTEDT 1976: 119.

63 Ebd.

64 Vgl. O'KANE 1993 zit. In: ANSELL 2001: 8705.

65 Zum Konzept der idealen Sprechsituation vgl. HABERMAS 1981.

66 »Habermas excludes by definition, all »strategic action and dominated discourse from the ideal speech situation and, hence from the search for rational consensus« (SCOTT 1990: 38).

67 Vgl. VIZER 2007: 33. Auch wenn Vizer keine explizite Kritik an universellen Medienbegriffen vornimmt, scheint er durchaus die Singularität einzelner Konstruktionen und Realisierungen von Medien (Mediationen) im Blick zu haben, wenn er von »méios próprios que divulguem suas idéias e suas políticas« spricht (ebd. 2007: 33).

68 Zum Konzept der silent actors vgl. CLARKE 2005, zu hidden transcripts SCOTT 1990.

69 SCOTT 1990: 4.

70 Mit Stabilisierung ist hier die andauernde Verknüpfung heterogener Assoziationen gemeint, die – in diesem Fall – zum prozesshaften Bestehen und Operation einer Mediation beitragen. Eine weitere Diskussion erfolgt im Theoriebaukasten II (Kap. 2.1.2.4).

71 Zur politischen Strategie eines détournement im Sinne der situationistischen Revolutionstheorie vgl. BAUMEISTER et. al. 2005: 116f. Zur exklusiven Beanspruchung von Konzepten durch Philosophen vgl. DELEUZE et. al. 1993: 17f. Zum Begriff des Quasi-Objekts vgl. SERRES 1987: 77f.

72 VOWE 2003: 99.

73 Vgl. KÜNZLER 2009: 37, 44, 47. Zum Ansatz der Public-Interest-Theorien vgl. weiterführend MCQUAIL 1992. Eine Arbeit die sich stärker der Regulierung von Medien im Spannungsverhältnis zwischen Regulierung von staatlichen und Markakteur_innen widmet. Als Beitrag zur Regulierungsdebatte unter eigentumsrechtlichen Vorzeichen vgl. DOYLE 2002.

74 KÜNZLER 2009: 54.

75 Vgl. CALLON et. al. 1981. Gerade die umstrittene Normierung und Regulierung des elektromagnetischen Spektrums zeigt exemplarisch, wie gewinnbringend ein Hintergehen der normativen Faktenlagen sein kann, um den aktuellen modus operandi des Frequenzmanagements herauszufordern (Vgl. WERBACH 2007).

76 Davon betroffen ist auch die scheinbar feststehende Rollenverteilung. Regulierung ist weder ein reiner Staatsakt, noch eine allein von Märkten erbrachte Leistung oder ein jointventure beider Akteur_innen. Denn auf diese Weise bereits verbindliche Regulierungsträger_innen zu formulieren, denen dann, zur Befriedigung pluralistischer Bedürfnisse, noch einige Helfershelfer_innen zur Seite gestellt werden, würde erneut asymmetrische Moment an die Analyse herantragen.

77 Das Recht Medien zu machen lässt sich ausgehend von der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen bzw. dem Pakt von San José (einem Abkommen der Organisation Amerikanischer Staaten) auf sehr unterschiedliche Weise interpretieren. Vor allem der Zugang und die Organisation von Medien ist dabei in ihrer Verbindlichkeit und Reichweite variabel.

78 Vgl. zu Brasilien: PIERANTI et. al. 2007.

79 Vertreten wird eine solche Position bspw. seit den 1980er Jahren von der UNESCO, die eine Zentralität des Staates bei der Formulierung von (gesetzlichen) Richtlinien für die Regulierung von Kommunikationsmedien befürwortet (vgl. PIERANTI 2008: 131f.

80 Vgl. PIERANTI 2008: 140.

81 Einen spezifischen historisch-kulturellen Erklärungsansatz für die Regulierung brasilianischer Medien über gesetzlich verankerte Normen und Regeln hinaus stellt beispielsweise das Konzept des »coroenlismo eletrônico« dar, das eine Kontinuität zwischen Formen lokaler. politischer Herrschaft und Landverwaltung zur aktuellen gesellschaftlichen Nutzung von Radiowellen herstellt. Vgl. v.a. LIMA et.al. 2007.

82 Vgl. KÜNZLER 2009: 54, 63.

83 Anschaulich hat diese Schwierigkeiten vor allem der frühere Bundespolizist und heutige Herausgeber der Zeitschrift der brasilianischen Polizeigewerkschaft Armando Coelho Neto beschrieben. Vgl. NETO 2002.

84 Eine solche Definition, die sich ja durchaus als spezifischer Teil einer Operationalisierung der Akteur_innen-Netzwerktheorie verstehen lässt, grenzt sich damit explizit von Regulierungsbegriffen ab, die Regulierungen als potentiell nicht mehr hintergehbar deuten: »Actor Network Theory […] allows us to conceptualize the interplay between the different modalities of regulation as a power game that may lead to irreversible outcomes« (TSIAVOS et. al. 2002: 55). Gerade die Möglichkeit, in bestimmten Situationen die Frage nach der Legitimation von Regeln stellen zu können, hält das power game im Rahmen meiner Definition dagegen für nie abschließbar, ohne dabei in eine sozialdeterministische Postionen zu verfallen (Vgl. dazu DEGELE 2002: 35f.).

85 Vgl. BOLAÑO 2005: 31.

86 MARX, zit. nach:  http://de.wikisource.org/wiki/Zur_Kritik_der_Hegelschen_Rechtsphilosophie._Einleitung. (31.01.2012).

 

Endnoten Kap. 2

1 Interview mit María Pía Matta vom 06.12.2010. Auch veröffentlicht in: Lateinamerika Nachrichten # 442, Berlin. http://www.ln-berlin.de/index.php?/artikel/4065.html (07.02.2013).

2 Die verwendete Literatur erklärt sich in ihrer Auswahl aus drei relevanten Bewegungen: 1. Breite Materialsuche in öffentlichen und universitären Bibliotheken (Rio de Janeiro, São Paulo, Campinas) von 2010-2011, 2. persönliches Archiv zu unabhängigen Radios in Lateinamerika 2005-2013 und 3. der von AkteurInnen (und ihren Veröffentlichungen) in Brasilien erwähnten relevanten Literatur.

3 Die arbeiten von James C. Scott wurden bereits einführend erwähnt (vgl. SCOTT 1990, Einführung, EN 32). 

4 Vgl. TAVARES 1997: 22ff.

5 SIQUEIRA 1997: 41.

6 Ebd. 1997: 13.

7 TAVARES 1997:25;37.

8 Vgl.  FIORILLO 2000: 123ff.

9 DERRIDA 1976: 433.

10 Vgl. TAVARES 1997: XV.

11 ROCHA 2007: 16.

12 Vgl. CALABRE:2002: 10f.

13 SEVENKO 1998: 522.

14 Vgl. CALABRE 2002: 31.

15 RAYNALDO 1999 in: CALABRE 2002: 31.

16 Vgl. ARAUJO 2007: 52.

17 SEVENKO 1998: 545.

18 Vgl. ARAUJO 2007: 50. Diese Jahreszahl ist jedoch anzuzweifeln, da die dokumentierten Reisen des Kriegsschiffs Von der Tann (bei AURAJO Von den Tann) entlang der brasilianischen Küste bereits ein Jahr früher stattgefunden haben sollen (vgl. STAFF 2006).

19 ARAUJO 2007: 51ff.

20 Vgl. SECRETARIA ESPECIAL DE COMUNICACAO SOCIAL: 33.

21 Vgl. TAVARES 1997: 50.

22 Vgl. ebd: 50; JAMBEIRO 2002:46. Ob die These Jambeiros, es hab sich dabei um das erste private Radio Brasiliens gehandelt angesichts der wenigen vorhandenen Quellen zu halten ist, bleibt fraglich. Vielmehr ist anzunehmen, dass der Hinweis polemisch zu verstehen ist, da es neben der offiziellen Radiogeschichte Brasiliens, immer auch abweichende Narrative gibt, welche hier vor allem Erzählungen des Radios als rein technische Innovation oder – worauf  noch einzugehen ist – als Mittel einer karitativen Bildungsmission unterläuft.

23 Vgl. ARAUJO 2007: 53,56.

24 JAMBEIRO 2002: 47.

25 Vgl. ebd.; ARAUJO 2007: 53.

26 TAVARES 1997.

27 Dazu zählen im weitesten Sinne u.a.  Charles Coulomb, Alessandro Volta, Georg Ohm, Hans Christian Oerstd, André-Marie Ampère, Michael Faraday, James Clark Maxwell, Luigi Galvani, Alexander Graham Bell, Elisha Gray, William Thomson (ak.a. Lord Kelvin), Heinrich Hertz, Guglielmo Marconi, Lee de Forest, Oliver Lodge, Alexander Popow, Edourd Brandly, Augusto Righi. (vgl. FIORILLO 2000:123f, SIQUEIRA 1997:24f. BRIGGS et. al 2002: 174).

28 JAMBEIRO 2002: 47.

29 SECRETARIA ESPECIAL DE COMUNICACAO SOCIAL 2003: 12.

30 MURCE 1976 zit. in ARAUJO 2007: 59.

31 Vgl. PACHECO FIORILLO 140ff.

32 Vgl. CALABRE 2003: 163.

33 ARAUJO 2007: 59.

34 Ebd. 2007: 16.

35 Vgl. CALABRE 2003: 163.

36 Vgl. ebd. 2003: 162; ARAUJO 2007: 61.

37 CALABRE 2003: 163.

38 Sich auf diese Weise das letzte Wort bei der Regulierung eines in seiner gesellschaftlichen Nutzung noch nicht vollständige ausgehandelten Kommunikationsmittels zu bewahren, stellt eine Fortsetzung der frühen staatlichen Medienpolitik Brasiliens dar. Per Kaiserlicher Verordnung (Decreto Imperial 2614) wird ab 1860 die Nutzung der Telegrafie staatlich reguliert, ab 1870 werden in einer weiteren Verordnung (Decreto Imperial 4653) alle Telefonverbindungen zu Staatseigentum erklärt, neun Jahre später auch deren Regulierung ausformuliert (Decreto Imperial 7539). Die Republik dehnt diese Ansprüche 1917 auf das elektromagnetische Spektrum aus, als die Föderale Regierung sich erneut per Verordnung (Decreto 3296) das exklusive Regulierungsmonopol für die Radiotelegrafie und Radiotelefonie zuspricht (vgl. JAMBEIRO 2002: 54f).

39 CALABRE 2003: 163.

40 Wird in den USA das regulierende Eingreifen des Staates in die Nutzung des elektromagentischen Spektrums für Radioübertragungen vor allem aus ordnungspolitischen Gründen gerechtfertigt, um ein »Chaos im Äther« zu vermeiden (vgl.  HORVITZ 2005, HAZLETT et.al. 2009). In Brasilien wird diese Begründung nicht expliziert, die Nutzung des elektromagnetische Spektrum bleibt anfangs informellen Absprachen zwischen den einzelnen Radiomacher_innen, im Rahmen »informeller« »Gentleman Agreements« überlassen (vgl. TAVARES 1997: 53).

41 ARAUJO 2007: 61.

42 Ebd. 2007: 41.

43 Vgl. CASQUEL 1972 zit. in ebd. 2007: 58.

44 Vgl. Ebd. 61.

45 Vgl. ARAUJO 2007: 59f; JAMBEIRO 2002: 47; LAGO 1969: 37; CALABRE 2005: 289.

46 Vgl. SEC 2004: 65.

47 Diesen Zahlen liegt eine ständig aktualisierte Statistik des brasilianischen Kommunikationsministeriums zugrunde, die online abrufbar ist: http://www.mc.gov.br/radiodifuSão/dados-de-outorga/23457-dados-gerais. 01.09.2011.

48 CAVALCANTI 2008: 174.

49 Vgl. TINHORÃO 1981 zit. in ARAUJO 2007: 62.

50 Vgl. LUZ 2007: 14.

51 SECRETARIA ESPECIAL DE COMUNICACAO SOCIAL 2003: 19.

52 TAVARES 1997: 176.

53 Vgl. PEPPINO 1999: 128f; ROCHA 1995: 38f.

54 MACHADO et. al. 1987: 29f.

55 Vgl. Ebd. 1987: 132.

56 Ebd: 18.

57 Ebd: 17.

58 Ebd: 1987: 29.

59 Ebd. 23.

60 SÔLHA 2010: 220.

61 Einen Erklärungsversuch, der die Urspünge unabhängigen Radiomachens allein als brasilianische Entwicklung nachzeichnet liefert SILVEIRA 2001.

62 Vgl. MACHADO et. al. 1987: 150.

63 Vgl. SANTORO 1981: 97.

64 In direkter Anspielung auf die musikalischen Vorlieben britischer Piratensender wird ein Ursprungsnarrativ unabhängiger Radios in der Provinzstadt Sorocaba im Bundesstaat São Paulo manchmal als »Brasilianisches Liverpool« bezeichnet (vgl. NETO 2002: 52). Als eine anteriore und »völlig andere Geschichte« bewerten dagegen weitere Autoren die Sendungen dänischer, schwedischer und britischer Radiopiraten (vgl. MACHADO et. al. 1987: 59f).

65 Vgl. ebd. 1981: 99f; MACHADO et. al. 1987: 62ff; PERUZZO 2004: 242. Für eine detailierte Auseinandersetzung mit der Geschichte Freier Radios in Frankreich siehe auch die Arbeiten der Group de recherches et d'études sur la radio. http://www.grer2.fr/recherche.php (18.05.2013).

66 GARCIA DE SOUSA 1997: 46.

67 GUATTARI et. al. 2006: 130.

68 Vgl. SANTORO 1981: 97f; MACHADO et. al. 1987: 150.

69 Vgl. PERUZZO 2004: 193.

70 Ebd. 2004: 216ff;  MACHADO et. al. 1987: 96. Im Falle vieler weiterer Radiopraktiken ist nicht belegt, ob diese zu Beginn der 1980er Jahre in Brasilien tatsächlich bekannt waren. Dazu gehören unter anderem auch die Erfahrungen des katholischen Radio Enriquillo in der Dominikanischen Republik, dass 1976 versuchte, den scheinbaren Widerspruch zwischen einem populären und einem Massenmedium aufzulösen (vgl. PERUZZO 2004: 205ff).

71 Vgl. ARAUJO 2007: 215.

72 NETO 2002: 36.

73 Vgl. NUNES 1995 zit. in: ARAUJO: 253.

74 Vgl. PERUZZO 2004: 246ff.

75 Ebd. Diese Station, die sich anfangs noch Rádio Educativa und später Rádio Continental nannte ist nicht zu verwechseln mit dem privaten Mediennetzwerk Rede Globo, dem gleichnamige Radiostationen angehören (vgl. zu letzteren CALABRE 2005).

76 Vgl. NUNES zit. in ebd. 2004: 249.

77 Vgl.  MACHADO et. al. 1987: 17, 153; NETO 2002: 52).

78 MACHADO et. al. 1987: 17.

79 Vgl. PERUZZO 2004: 244.

80 Vgl.  MACHADO et. al. 1987: 38. Die Frage nach der politischen Bedeutung des Musikprogramms und weiterer kultureller Ausdrucksmöglichkeiten – die nicht zuletzt das Radiomachen selbst betreffen - wird in der Dokumentation unabhängiger Radios immer wieder gestellt. Guattari verweist beispielsweise auf die musikalischen Praktiken afrikanischer Migrant_innen in Radio Tomate: »Radio Tomate fue la primera en poner en el aire inmigrantes africanos: ellos divulgaban la música que les gustaba, que en la época era totalmente desconocida. Tenían aun un estilo de presentación muy particular. Ahora en las radios oficiales ya se comienza a escuchar el mismo tipo de música y el mismo estilo de presentación« (GUATTARI et. al. 2006).

81 81Ebd.

82 82Vgl. PERUZZO 2004: 244.

83 Vgl. MACHADO et. al. 1987: 42, 153.

84 Vgl. ebd.

85 Vgl. dazu Kap. 2.1.3.5.

86 Vgl. NETO 2002: 57, Übersetzung N.B.

87 Vgl. ebd: 58.

88 Ebd: 66.

89 Vgl. Lei 9612/98,  http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/leis/l9612.htm (18.05.2013).

90 Vgl. LUZ 2007:22f.

91 Vgl. SILVEIRA 2001: 15ff.

92 Vgl. LIMA 20:16.

93 Vgl. LUZ 2007: 40f.

94 CALLON 1987: 93.

95 BELLIGER et. al. 2006: 43. Vgl. auch ebd.: 40.

96 Ebd. 2006: 44.

97 Damit sind hier im Sinne der ANT spezifische Übersetzungen gemeint. Siehe dazu den Theoriebaukasten VI.

98 BELLIGER (ebd.)

99 Ebd.  Dieser Bewegung auf der Ebene des Settings entspricht auf der Ebene des sozialen Fraktalmodells das Interessment.

100 Die binäre Unterscheidung von Modellen und operativem Gebrauch von Medien wird später vom ganzheitlichen Konzept des Skript abgelöst. Vgl. Theroiebaukasten V.

101 Für eine Einführung in die »Radiotechnik« vgl. CRESPO 2008; LÓPEZ et. al. 2000.

102 Vgl. VILLEGAS 2004: 114.

103 Vgl. ebd. 2004: 117; PERUZZO 2004: 159.

104 Vgl. CALABRE 2005: 288.

105 Für eine praktische Einführung ins streaming vgl. NPLA 2010; KÜNKEL 2001.

106 Vgl. GALLOWAY 2004.

107 Staatliche Akteur_innen versuchen jedoch immer wieder, ihren Einfluss auf die Regulation des Internets, seine Inhalte und Protokolle zu erweitern. Vgl. dazu bspw: »Críticos comparam lei sobre internet ao AI-5 e anunciam protesto em SP« erschienen in Folha.com (2009)  http://www1.folha.uol.com.br/folha/informatica/ ult124u562920.shtml (20.10.2010).

108 Als weitere Übertragungsart ließe sich der direkte Empfang oder die anteilige Weiterleitung von Radiosignalen mittels geostationärer Satelliten anführen. Da die Übertragung dabei jedoch ebenfalls mittels Radiowellen durchgeführt wird und in der Literatur keine gesonderte Kategorie eines »Satellitenradios« benannt wird, verzichte ich hier auf eine weitere Untersuchung. Ebenso wenig wird hier die Kategorie »Kabelradio« betrachtet, welches gemeinsam mit kostenpflichtigem Kabelfernsehen zu empfangen ist (vgl. MOREIRA 1991: 66). Es gibt in der Literatur keinerlei Hinweise darauf, dass diese Kategorie von unabhängigen Radios beansprucht würde.

109 Neben den spezifischen lassen sich auf der Beobachter_innenebene auch allgemeine Einwände gegen breite technische Kategorien formulieren. So ist es beispielsweise schwierig, jeden öffentlichen Lautsprechers uneingeschränkt als Radio aufzufassen, ohne dabei genauer auf das Verhältnis zu einem erwünschten Publikum einzugehen, beziehugnsweise seitens der Sendenden zu bestimmen, welche Art Übertragung als Radioporgramm verstanden werden kann oder soll.Streaming schließlich beschreibt eher einen Datenversand, der nicht allein an ein auditives Moment gekoppelt ist, denn auch Photos oder Stummfilme können schließlich gestreamt werden. Eine solche genauere Rekonstruktion des Mediums aus Sicht der Akteur_innen scheint der einzig mögliche Weg, das Verhältnis dieser Kategorien zueinander zu klären, sobald auf eine deduktive Grenzziehung verzichtet wird. Damit wird auch die Legitimationsfrage bezüglich der Signalübertragungen weitergegeben. Auffällig ist in jedem Fall, dass unabhängige Radioensembles konzeptuell vor allem die legitime Nutzung des elektromagnetischen Spektrums forcieren (Vgl. Kapitel 2.2.3.). Deshalb ist es problematisch diese Modelle als eine Art »standardized package«  ins Internet zu übertragen oder auf öffentliche Lautsprechersysteme anzuwenden (Zum Konzept des standardized package vgl. ROTTENBURG 2009: 72. Zu unabhängigem Radiomachen im Internet vgl. CRUZ BRITTOS et. al 2005: 13). Entsprechend der Fragestellung wird deshalb vorgeschlagen, ausschließlich die Nutzung von Signalübertragungen die mittels Radiowellen erfolgen, in ihrer anteiligen Bedeutung für die Legitimation des Radioskripts zu untersuchen.

110 Im deutschen Sprachgebrauch wird FM meist mit UKW (Utrakurzwelle) abgekürzt. Für den Vorliegenden Text wird jedoch die im Englischen und Portuguisischen gebräuchliche Abkürzung beibehalten.

111 Vgl. LÓPEZ et al. 2000: 50ff.

112 Die von AM-Radios genutzten Frequenzbänder werden auch in Brasilien entsprechend international geläufigen Kategorien in Kurz-, Mittel- und Langwellen unterschieden, wobei letztere auch als ondas tropicanas bezeichnet werden (vgl. ARAUJO 2007: 121; LÓPEZ et. al. 2000: 32).

113 Vgl. Kapitel 2.2.2.1 und  MACHADO et. al. 1987: 19.

114 Auszüge aus den Regulierungsempfehlungen der ITU unter: http://life.itu.ch/radioclub/rr/frr.htm (27.02.2013).

115 Angedeutet ist hier ein Handlungsspielraum bezüglich empfohlener Standards, wie  beispielsweise der von der ITU vorgeschlagenen FM-Bandbreite (87,5 MHz - 108,0 MHz) aber auch bezüglich des Abstands zwischen einzelnen Radiofrequenzen. Vgl. http://pt.wikipedia.org/wiki/Very_High_Frequency#Brasil oder auch: http://paraisopolis.org/ Beide zuletzt besucht am 21.01.2013). Beide Normen schreiben vor, wie viele Sendefrequenzen genutzt werden können und drücken dabei einen spezifischen Kompromiss zwischen der größtmöglichen Senderanzahl und der Audioqualität der übertragenen Signale aus.

116 Vgl. LIMA 2007: 3.

117 Vgl. JAMBEIRO 2002: 109.

118 Vgl. Lei 9612/98.

119 Vgl. MACHADO et. al. 1987: 107f.

120 Vgl. PERUZZO 2004: 253.

121 Vgl. Lei 9.612/98, Art. 1.°, § 1.°.

122 Vgl. SILVEIRA 2001: 5, 109.

123 Vgl. MOREIRA 1991: 57. Neben diesem Extrembeispiel lässt sich festhalten, dass in Brasilien Privatradios und Bildungssender für gewöhnlich immer mit mehr als 5000 Watt senden. (vgl. SILVEIRA 2001: 109).

124 Ebd. 2001: 108f.

125 Vgl. für eine Bejahung des Lokalen im Radio: LUZ 2007: 133.

126 Vgl. SILVEIRA 2001: 108.

127 Auch wenn man die technische Relevanz Interferenzen zu vermeiden als gegeben ansieht, bleibt ihre Übersetzung in Senderkategorien mit unterschiedlichen Signalstärke dennoch eine gesellschaftliche Rechtfertigung schuldig. Gesetzlich ist Interferenz definiert als »jegliche Sendung, Ausstrahlung oder Induktion die vollständig oder teilweise radioelektrische Dienste obstruiert oder wiederholt unterbricht« (vgl. Lei 4117, Art. 32°, §2°). Dass auch die Vermeidung von Interferenzen als technisches Paradigma gemacht und hintergehbar ist, zeigen Arbeiten zu »kognitivem Radio« und »offenem Spektrum« (vgl. HORVITZ 2008, DOYLE 2009).

128 Vgl. BELLIGER et. al 2006: 17f.

129 Nahezu alle hier zitierten Autor_innen greifen jedoch auf eine solche Unterscheidung zurück, wobei nicht immer klar ist, wann »kommerziell« einer legalen und wann einer normativen Kategorie entspricht.

130 Die Kategorie des Amateurfunk (servico de rádio-amador) wird an dieser Stelle nicht betrachtet, da sie außerhalb der konzeptuellen Klammer broadcasting angesiedelt ist.

131 JAMBEIRO 2002: 64

132 Ebd.

133 Vgl dazu Dekret 6.246 http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/_Ato2007-2010/2007/Decreto/D6246.htm und Dekret 6.689 http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/_Ato2007-2010/2008/Decreto/D6689.htm sowie Gesetz 11.652 http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/_Ato2007-2010/2008/Lei/L11652.htm (19.09.2011).

134 Siehe dazu die Selbstbeschreibung der EBC http://www.ebc.com.br/ Zuletzt besucht am 18.09.2011. Im Moment zählt die Kategorie »öffentlliche Sender« sieben Radios und eine Radioagentur (ebd.).

135 In Gesetz 11.652 (Siehe Endnote 30) ist in Art. 17, Abs. VII, § 2° der allgemeine non-profit-Status eingeschrieben. Die erlaubten Finanzierung öffentlicher Sender wird in  Art. 11 konkretisiert. Dennoch bleibt die veranschlagte redaktionelle Unabhängigkeit in der Praxis prekär, da der zum EBC gehörige Sender TV Brasil beispielsweise weder finanzielle noch politische Autonomie genieße, die Mitglieder des Verwaltungsrats beispielsweise allesamt von der/dem Präsident_in ernannt werden (vgl. MORAIS 2011: 74).

136 Vgl. BOLAÑO 2005: 29.

137 Die genehmigten Bildungssender wurden seit 1962 von unterschiedlichen Regulierer_innen und Träger_innen organisiert. Der Jahrzehnte lang verantwortliche Service für Bildungsrundfunk (SRE) wurde 1981 von der Stiftung Brasilianisches Zentrum für Bildungsfernsehen (FUNTEVÊ) und dem ihm einggliederten Zentrum für Bildungsrundfunk Roquette Pinto abgelöst. 1991 wurde dieser umgewandelt in die Stiftung Roquette Pinto, welche ab 1998 widerum von der Assoziation für Bildungskommunikation Roquette Pinto (ACERP) abgelöst wurde (vgl. SECRETARIA ESPECIAL DE COMUNICACAO SOCIAL 2003: 62), die schließlich teilweise von der EBC übernommen wurde (vgl.  Gesetz 11.652 Art. 26, Art. 30).

138 Zur Kritik der paraktischen Arbeit der brasilianischen Bildungssender vgl. LIMA 2007.

139 Vgl. JAMBEIRO 2005: 58f.

140 Für einen ausführlichen Überblick vgl. PRADO 2004.

141 Vgl. dazu u.a. DO LAGO 1969:81; PEPPINO 1999: 37;

142 Vgl. MOREIRA 1991: 20; PRADO 2002: 43f. Vgl. auch 2.1.3.4.

143 Vgl. LIMA 2007: 10.

144 Vgl. Portaria  Interministerial n° 651, Art. 3°, zit in: LIMA 2007: 11.

145 Ebd.

146 Vgl. JAMBEIRO 2002: 64.

147 Lei 4.117, Art. 33, §3°.

148 Vgl. LIMA 2007: 11, 14. Dass die gesetzlich vorgesehene Kontrolle der konzessierten Radios in der Praxis nur sehr bedingt umgesetzt wird, ist eine andere Frage, auf die noch einzugehen ist (vgl. MORAES 2011: 105).

148 Eine weitaus größere Differenz wird innerhalb der Gesetzestexte dagegen erreicht, wenn einzelne Radiokategorien technisch eingeschränkt werden. Genehmigte Radio können dabei als AM- oder FM-Sender operieren, ihre Sendestärke je nach ihrem lokalen oder überregionalen Charakter von weniger als 300 bis maximal 100.000 Watt variieren (Vgl. dazu die Resolution N° 116 von ANATEL (Kap. 3.3.1.) für die gesetliche Klassifikation von Mittelwellesendern und den Anhang von Ressolution N° 67 (Kap. 3.3.1.) bezüglich der Klassifikation von FM-Sendern. Diese technischen Kriterien gelten auch für öffentliche Radios.Weniger transparent wurde dagegen lange Zeit der Genehmigungsprozess gehandhabt, der jedoch formal an Legitimation gewonnen hat, seit sowohl die Exekutive und Legislative an der Prüfung, Auswahl und Abstimmung von Anträgen beteiligt sind. Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Vergabe von Genhmigungen vergleiche auch die nationalen Genehmigungspläne (PNO) des Kommunikationsministeriums: http://www.mc.gov.br/acoes-e-programas/radiodifusao/planos-nacionais-de-outorga (20.05.2013).

149 Vgl. MACHADO 1987: 19.

150 Vgl. Lei 4.117, Art. 117°.

151 Vgl. Lei 4.117, Art. 38°, e), h).

152 Vgl. Lei 4.117, Art. 124°.  Andererseits scheint es schwer vorstellbar, ein konzessioniertes Radio ohne den Verkauf von Sendezeit (z.B. für Werbung) kostendeckend zu finanzieren – aktuelle Beispiele für eine nicht-gewinn-orientierte Praktik innerhalb von Konzessionen sind zumindest nicht dokumentiert. Retrospektiv verdeutlichen jedoch die Namen einiger älterer konzessionierter Sender, wie beispielsweise Rádio Cultura dos Palmares, die noch auf die Gründung als nicht-staatlicher, allgemeinnütziger Radio Club hinweisen. Vgl. http://www.rcpalmares.com.br/ (20.09.2011).

153 CAVALCANTI JUNIOR 2008: 174.

154 ARAUJO 1972: 107.

155 Lei 4.117, Art. 38°, d).

156 Vgl. die aktuelle Statistik des Kommunikationsministeriums unter: http://www.mc.gov.br/radiodifuSão/dados-de-outorga/23457-dados-gerais (21.09.2011).

157 Vgl. EN 47.

158 Vgl. Lei 9612 Art 1°, Art 3°, Art. 6°.

159 Vgl. ebd. Art. 4°.

160 Vgl. Lei 9612, Art. 11°, Art 23°. Für die hier als »gemeinhin« von »weiteren Skripten« vertretenen Positionen vgl. u.a. LUZ 2007, GIRARDI et. al. 2009, SOARES 2005.

161 Vgl. NETO 2002:122f.

162 Vgl. Lei 9612, Art. 18°. Damit ist es beispielsweise sowohl der UNESCO, öffentlichen Unternehmen (z.B. Spromversorger_innen) oder bundesstaatlichen Institutionen unmöglich direkt in ComRads zu werben.

163 Vgl. ebd. Art. 22°, 23°.

164 Das mit dem Decreto-Lei  236 eingeführte Pressegesetz ist inzwischen nicht mehr in Kraft.

165 Vgl. Lei 9612, Art. 2°.

166 NETO 2002: 131.

167 Vgl. JAMBEIRO 2002: 61, 70.

168 Vgl. SILVEIRA 2001: 237ff, NETO 2002: 122.

169 Vgl. NETO 2002: 129.

170 Vgl. LUZ 2007: 14f.

171 Technische Kategorien werden als solche reproduziert und nicht in ihrer sozialen Gemachtheit expliziert und begründet. Darüber hinaus werden einzelne technische Kategorien wie beispielsweise Signalstärke nicht transparent an die legalen Kategorien gekoppelt.

172 MOREIRA 1991: 57.

173 Vgl. BASTOS zit. in. NETO 2002: 78.

174 PEPPINO 1999: 35, Übersetzung N.B..

175 Vgl. u.a. LIMA 2007: 2, 10; SECRETARIA ESPECIAL DE COMUNICACAO SOCIAL 2003: 5, 19, 24, 67f; JAMBEIRO 2002: 41; PEPPINO 1999: 37f.

176 Es wird deshalb auf eine weitere Betrachtung allgemeiner deskriptiver Kategorien »konventioneller Sender« (emissora convencional) oder  »Musiksender« (emissora de música) verzichtet (vgl. MACHADO et. al. 1987: 32; CALABRE 2005: 289).

177 Vgl. Decreto-Lei 236, Art 72°.

178 Vgl. Lei 4117, Art. 70°, Decreto-Lei 2848, Art. 322. Genauer gesagt handelt es sich dabei um einen Akt »arbiträrer Gewalt«, der mit Haftstrafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren sanktionierbar ist.

179 Vgl. CAVALCANTI 2008: 169.

180 NETO 2002: 152.

181 Vgl. Ebd. 2002: 25.

182 TOME et. al 2008.

183 Vgl. NETO 2002: 152.

184 TAVARES 1999: 291.

185 Vgl. NETO 2002: 52.

186 Vgl. MACHADO et. al. 1987: 18f.

187 LUZ 2007: 15, 23.

188 Vgl. NETO 2002: 143.

189 Vgl. ebd. 184f.

190 Zu den genannten Kategorien unabhängiger Radios vgl: SANTORO 1981: 99; PEPPINO 1999: 153; PERUZZO 2004: 216, 242.

191 Vgl. PERUZZO 2004: 160, 165.

192 Eine in ähnlicher Weise problematische Kategorie ist die Bezeichnung »peripheres Radio« (rádio periférico), das auch dieser Begriff diskursiv pejorativ besetzt ist (vgl. MACHADO et. al. 1986: 61).

193 Damit sind all jene Theorien gemeint, die für ihre Erklärungen zwar Medien beanspruchen, jedoch keine genauere Analyse des Medienbegriffs, oder in empirischer Hinsicht, der medialen Konstellationen liefern (vgl. HICKETHIER 2003: 5).

194 Vgl. LUZ 2007: 40f.

195 Vgl. NETO 2002; 54. Die Erwähnung dieser politischen Entscheidung ist deshalb wichtig, weil damit bereits eine weitere zu untersuchende spezifische Ausdeutung der Kategorie »Freies Radio« in Brasilien angerissen ist. Demgegenüber argumentieren einige Autor_innen, dass sich Freie Radios als gemeinsamer »ergreifender Aufschrei« (grito agazapado) in Argentinien, Uruguay und Brasilien zum Ende ihrer respektiven Militärdiktaruren entstanden sind (vgl. PEPPINO 1999: 158). Ohne den verbreiteten Zugriff auf den Begriff in Abrde zu stellen, bleibt jedoch fraglich ob »Freies Radio« damit kategorisch auch zu verallgemeinern ist. Die noch folgende Auseinandersetzung mit einzelnen Modellen wird zeigen, dass weder zeitlich noch geographisch eine konstante Kategorie existiert, sondern jeweils nur situative Ausdeutungen.

196 Vgl. MACHADO et. al. 1987: 9.

197 Ebd: 1987: 13, 23.

198 PERUZZO 2004: 216.

199 Vgl. MACHADO et. al. 1987: 63.

200 Vgl. MACHADO et. al. 1987: 22, 42; PERUZZO 2004: 252.

201 Vgl. BROCANELLI 2001.

202 Vgl. MACHADO et. al. 1987: 23.

203 SILVEIRA  2001:3.

204 Ebd.

205 MACHADO et. al. 1987: 11.

206 Vgl. SILVEIRA 2001: 4.

207 Auffällig ist dabei, dass die Gründung des Weltverbands der Community Radios (AMARC) im kanadischen Quebec 1983 und seine weitere internationale Arbeit zwar erwähnt wird, anders als im Fall der Freien Radios Europas nie versucht wird, ein direkter Einfluss auf die brasilianischen Radiokategorien und Modelle zu konstruieren (vgl. NETO 2002: 61).

208 Vgl. SILVEIRA 2001: 4.

209 PERUZZO 2004: 252.

210 Vgl. u.a. PERUZZO 2005: 252f; PEPPINO 1999: 42; LUZ 2007: 24f; SILVEIRA 2001: 4f.

211 CARVALHO zit. in PERUZZO 2005: 252.

212 Vgl. LUZ 2007: 40f.

213 Ebd. 2007: 41.

214 Vgl. LUZ 2007: 15f.

215 Betroffen ist davon unter anderem auch die Frage nach der Beschreibung von ComRads als religös, wie zum Beispiel im Rahmen des in den 1990er Jahren aktiven Nationalen Verbands Katholischer Community Radios (ANARC) (vgl. NETO 2002: 61). Neben dem Gesetz, gibt es jedoch auch viele weitere ComRad-Kategorien, welche eine explizit religiöse Ausrichtung als Bruch mit dem Pluralismus-Prinzip von ComRads beschreiben (vgl. LUZ 2007: 19f).

216 Vgl. PERUZZO 2005: 253; MACHADO 1987: 18; LUZ 2007: 22f).

217 Interview mit Octavio Pieranti.

218 Vgl. LUZ 2007: 15.

219 CRESSMAN 2009: 6. Für eine weiterführende Begriffsgeschichte vgl. KASSUNG et. al. 2008.

220 CRESSMAN 2009: 4

211 Doch wie lässt sich ein analytisches Öffnen der Black Boxes methodisch kontrollieren, ohne dabei in sich selbst erfüllende Prophezeiung abzudriften? Oder, um ein ein nicht minder großes Problem aufzuwerfen, wie verhindern, dass die hier herausgearbeiteten Kategorien fälschlicherweise als kommensurabel missverstanden werden? Denn bisher stellen sie eher eine vorläufige sichtbare Ordnung dar, die es analytisch weiter zu öffnen gilt. Eine erste relationale Antwort findet sich in der Hypothese, dass alle Black Boxes »leaky« sind (vgl. CALLON/LATOUR 1981: 248f). Damit ist gemeint, dass ihre Selbstevidenz immerfort von konkurrierenden Ideen und Praktiken herausgefordert wird. Eine analytische Strategie liegt deshalb darin, zu dokumentieren, wer wo Löcher bohrt. Dabei lässt sich eine Black Box, die bis dato nur als ein Knotenpunkt im Akteurs-Netzwerk sichtbar war, erneut weiter auffächern. Die Schaffung von solchen blackgeboxten Knotenpunkten wird innerhalb der ANT auch als Punktualisierung bezeichnet (vgl. CRESSMAN 2009: 6ff) Eine zweite Antwort ist in dem Verhältnis zwischen Akteur_innen-Netzwerken und spezifischen Settings angelegt, bei dem letztere perspektivisch immer nur einen Ausschnitt ersterer eingrenzen. Im Fall der vorliegenden Arbeit umfasst das Setting ein Sammelsurium »unabhängigen Radiomachens«, Übersetzungen des Akteur_innen-Netzwerks Radio entlang bestimmter Zielstellungen und Akteur_innen. Darunter fallen entsprechend des breiten Akeur_innenbegriffs der ANT, auch Kategorien, denn als Akteur_in zählt »[a]ny element which bends space around itself, makes other elements dependent upon itself and translates their will into a language of its own« (CALLON/LATOUR 1981: 286). Die Öffnung von Black Boxes zu dokumentieren, bedeutet demnach die »emergence of new actors«, sowohl innerhalb der ehemals undurchsichtigen Kisten, als auch bezüglich der sie »anbohrenden« Akteur_innen (die sich im Sinne einer symmetrischen Betrachtung ebenfalls weiter öffnen lassen) genau zu beschreiben. Die diskutierten Kategorien von Freien und Community Radios zeigen exemplarisch, welche bis dato nicht sichtbaren medialen Entitäten sich dabei aufspüren lassen.

212 Vgl. ebd 1981: 280.

213 »Soziologie der Assoziation« lässt sich von der Prämisse aus definieren, dass »es keine Gesellschaft gibt, weder eine gesellschaftliche Domäne noch gesellschaftliche Verbindungen. Es gibt dagegen einzig Übersetzungen zwischen Vermittlern (mediadores) die aufspürbare Assoziationen generieren können« (LATOUR 2008: 158; Übersetzung N.B.)

214 Ebd. 1987: 284.

215 CALLON et. al 1981: 279

216 Damit wird die eingangs dargelegte Kritik (vgl. 1.1.) von gesetzlichen Normen als »letzten Rechtsgrund« untermauert, denn auch wenn sich Gesetze ihrerseits auf eine Reihe dauerhafter Assoziationen stützen können, lässt sich entlang der Frage ihrer gesellschaftlichen Anerkennungswürdigkeit die Dauerhaftigkeit Punkt für Punkt herausfordern. Diese mit dem Mapping begonnene analtische Bewegung wird in den folgenden Kapiteln auf anderen empirischen Baustellen fortgesetzt.

217 Rundfunk bedeutet perspektivisch dann eher eine empirisch-deskriptive Rekonstruktion der Verweisungszusammenhänge zwischen einzelnen Radiomedien und deren konsensueller Nutzung des elektromagnetischen Spektrums, anstelle nur einer normativen medialen Inskription. Die Auseinandersetzung mit technischen, legalen und normativen Beschreibungen von Radio hat gezeigt, dass die Legitimation von Radioskripten eine Vielzahl heterogener Elemente und Assoziationen umfasst, welcher die Grenzen der einzelnen Kategorien immer wieder unterlaufen. Eine »technische Norm« beispielsweise ist nicht klar zuzuordnen. Auch wenn die kategorischen Unterscheidungen anteilig für die Beschreibungen einzelner Radiomodelle einen relevanten Zugang liefern, scheint der Nachweis dafür, dass sie die einzelnen Radiomodelle kommensurabel und erschöpfend beschreiben können, nur schwer zu erbringen.

218 Der Begriff der Konfiguration meint hier »eine bestimmte Aufteilung der physischen und sozialen Welt« (vgl. AKRICH 1987: 49).

219 Vgl. SCHÜTTPELZ 2008: 238.

220 Neben den Begriffen Entität und Akteur_in wird in der ANT mitunter auch von Aktanten oder Mediatoren (mediador) gesprochen.

221 Vgl. BELLIGER et. al 2006: 15.

222 Vgl. DO LAGO 1969: 19.

223 Vgl. TAVARES 1999: Xii; XV.

224 Vgl. ebd.: 1999: 54, 79; CALABRE 2002: 33; ARAUJO 1972: 81.

225 Vgl. ARAUJO 1972: 81; TAVARES 1999; 89, 114; SECRETARIA ESPECIAL DE COMUNICACAO SOCIAL 2004: 12, 52.

226 Oftmals werden die Erzählungen des Radios auch chronologisch entlang bekannten Moderator_innen und ihrer Künstlernamen entfaltet, wie zum Beispiel dem »Katziken der Lüfte«, der »Nachtigall des Sambas«, dem »Maschinengewehr-Moderator« oder «dem Mann des unverwechselbaren Tores« (vgl. TAVARES 1999: 79f).

227 Vgl. TAVARES 1999: 222.

228 Vgl. Ebd. 1999: 79; SECRETARIA ESPECIAL DE COMUNICACAO SOCIAL 2004: 63.

229 Vgl. PERUZZO 2004: 212; SANTORO 1981: 102.

230 Vgl. MACHADO et. al. 1987: 133. Die Bezeichnung Bastler hintergeht ein Stück weit die funktionalistische Gliederung von Radioakteur_innen. Feste Kopplungen einzelner Rollen an einzelne menschliche Akteure scheinen in stärker formalisierten ComRads wiederum durch eine gewisse Rotation dieser Rollen konterkariert zu werden, wenn beispielsweise vom »Moderator der Stunde« die Rede ist.(vgl. LUZ 2007: 94).

231 Vgl. LUZ 2007: 49. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit staatlichen, öffentlichen oder genehmigten Radios findet in der Literatur nicht statt. Die Differenz wird vor allem in einer Abgrenzung zu den als »kommerziell« bezeichneten Radios gesucht. Als einziges abweichendes Kriterium gegenüber von staatlichen Institutionen kontrollierten Sendern, lässt sich indirekt auf die Unabhängigkeit der Radiomachenden verweisen (vgl. LUZ 2007: 24, 52).

232 Vgl. PERUZZO 2004: 187, 202.

233 LUZ 2007: 21.

234 Vgl. LUZ 2007: 17, 100; PERUZZO 2004: 174.

235 PERUZZO 2004: 165, 187, 202.

236 Vgl. Lei 9612/98, Art. 7°, Art. 3°.

237 Diese legal erzwungene Akteur_innenordnung in genehmigten ComRads scheint deren praktischer Legitimation »in verschiedenen Fällen« keineswegs zuträglich. Empirische Studien beschreiben wiederholt Situationen, in denen »Community Radios für kommunitäre 'Fassaden'-Vereine (associações comunitárias »de fachada«), in Wahrheit Teil eine breiteren Projekts von politischen Gruppen im Wahlkreis waren« (LIMA 2007: 50).

237 Vgl. PERUZZO 2004: 202.

238 Vgl. MACHADO et. al 1987: 29.

239 Denn selbst wenn Qualität anders gemessen wird als in konzessionierten Radios, bleibt die daran gekoppelte Beschreibung von spezifischen Akteur_innen problematisch. Vgl. LUZ 2007: 83f.

240 Vgl. MACHADO et. al. 1987: 36; LUZ 2007: 124f. Besonders im zweiten Text fällt auf, dass performativ eine Sensibiliserung für Gender-Fragen erfolgt, diese jedoch bei der Operationalisierung des Radiomodells keinerlei Erwähnung findet, geschweige denn praktische Konsequenzen hätte.

241 Vgl. PERUZZO 2004: 181.

242 MEADEL 2010: 5f. Übersetzung N.B. Für eine ausführliche Besprechung der ANT-Studie von MEADEL vgl. BROCK 2012a.

243 Eine allgemeine Analyse des Publikumsbegriffs kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Als zwei Schlüsseltexte zur aktiven Vermittlung des Publikums verweise ich auf MEADEL 2010; RANCIERE 2008.

244 Vgl. ARAUJO 1972: 55; ROCHA 2007: 174.

245 Vgl. JAMBEIRO 2002: 47; ROCHA 2007: 51.

246 Vgl. SECRETARIA ESPECIAL DE COMUNICACAO SOCIAL 2004: 56.

247 Vgl. ARAUJO 1972: 151; SECRETARIA ESPECIAL DE COMUNICACAO SOCIAL 2004: 26; CALABRE 2005: 297.

248 Ebd. 2004: 55.

249 Vgl. ARAUJO 1972: 143.144; SIQUEIRA 1997: 81, 92, 99.

250 Vgl. ARAUJO 1972: 76.

251 Vgl. dazu einführend MATTELART 1997: 32ff.

252 LUZ 2007: 28f.

253 MACHADO et. al. 1987: 27. Als Feedback nur call-in-Sendungen, als Programme in denen sich Hörer_innen per Telefonanruf beteiligen können, übersieht vielfältige weitere, historische und aktuelle Beteiligungsmöglichkeiten. Dazu zählte bspw die komplexe Wahl von Radioköniginnen im Brasilien der 30er-50er Jahrem (TAVARES 1999: 120). Weitere Sendeformate mit einem organsiertem Publikum sind dokumentiert bei: PEPPINO 199: 128.

254 Als theoretische Anleihen werden dabei häufig auch Bertold Brechts Radiotheorie und Hans Magnus Enzenbergers Baukasten zu einer Theorie der Medien (vgl. BRECHT 1987; ENZENSBERGER 1970 und auch kritisch dazu NETWORK MEDIEN-COOPERATIVE 1983). Für die brasilianische Situation vgl. MACHADO et. al. 26f.

255 MACHADO et. al. 1987: 35.

256 SANTORO 1981: 101.

257 Vgl. LUZ 2007: 29. Strittig bleibt, inweifern ein Radio auch an der Schaffung einer spezifischen Gemeinschaft beteiligt sein und sich in diesem Ziel gesellschaftlich rechtfertigen sollte. Besonders die Frage, inweifern die Evangelisierung, die Schaffung einer »prophetischen Gemeinschaft« ein Radio legitimiert. ist umstritten (vgl. PERUZZO 2004: 216). Im Rahmen dieser Arbeit wird diese Frage im Rahmen von Fallstudien untersucht werden (vgl. Kap. 4.4.)

258 Vgl. ARAUJO 1972: 87; PERUZZO 2004: 162f.

259 SANTORO 1981: 99f

260 Vgl. dazu ausführlich den folgenden Theoriebaukasten 2.1.3.6.

261 Zur Konstruktion von »Katzenschnautzern« (bigotes de gato) genannten Detektorempängern bgl. u.a. CALABRE 2002: 22; TAVARES 1999: 38; ROCHA 2007: 36; SEVCENKO 1998: 586.

262 Vgl. MARQUES 2006: 50.

263 Vgl. CANELA 2008: 153.

264 Vgl. LIMA 2006: 53. Von beiden kann, beispielsweise im Moment ihrer gesellschaftlichen Regulierung, auf spezifische Weise auch ihre Anerkennungswürdigkeit gefordert werden.

265 LUZ 2007: 30.

266 Vgl. PERUZZO 2004: 161, 163, 194.

267 MACHADO 1987: 22.

268 Vgl. TOME 2008: 1226.

269 Vgl. LATOUR 2007: 171. Als weitere Akteur_innen werden perspektivisch dann auch die Ionen der »Sonnenstrahlung« sichtbar, welche die Ausbreitung eines Radiosignals beeinflussen. Vgl. ARAUJO 1972: 147; TAVARES 1999: 167. Auch architektonische und geographische Bedingungen, wie Hochhäuser und Bodenprofile haben als Akteur_innen möglicherweise Anteil an der Signalausbreitung. Auf sie wird in der Literatur jedoch nicht eingegangen. Empirisch hat sich ihre hypothetische Bedeutung als Akteur_innen jedoch bestätigt, wie beispielsweise der Plano Direitor de Radcom da Capital – SP, ein Mapping des Unternehmens Oboré in São Paulo aus dem Jahr 2008 zeigt (Interview mit Sérgio Gomes vom 09.03.2010).

270 Vgl. CALABRE 2002: 28.

271 Vgl. http://anarchy.translocal.jp/radio/micro/howtotx.html Zum Begriff des Metacode vgl. Vgl. ROTTENBURG 2009: 200.

272 Vgl. CRUZ BRITTOS et. al 2008: 84.

273 Vgl. zur Debatte zwischen Realist_innen und Konstruktivist_innen LATOUR 2007: 126.

274 Ebd.

275 NUSS 2006: 205.

276 Vgl. PEPPINO 1999: 338; ROCHA 2007: 42.

277 Vgl. MACHADO 1987: 16.

278 Vgl. CALABRE 2002: 12f; JAMBEIRO 2002: 47.

279 Vgl. JAMBEIRO 2002: 47; CANELA 2008: 159.

280 Vgl. BRITTOS et. al. 2008: 84; CANELA 2008: 157.

281 PIERANTI 2008: 131.

282 Vgl. PACHECO 2000: 82.

283 LUZ 2007: 37.

284 Vgl. GINDRE et. al. 2007: 51. Das Konzept des »offenen Spektrums« ist in seiner begrifflichen Entwicklung wesentlich mit der Arbeit der 2005 gegründeten Open Spectrum Foundation verbunden. http://openspectrum.info/ (10.10. 2011).

285 Gemeint ist damit hier die These, dass technischer Wandel in seiner Geschwindkeit dem sozialen voraus geht (vgl. DEGELE 2002:15).

286 Vgl. SILVEIRA 2007: 51.

287 Für eine allgemeine Einführung zum Konzept der commons vgl. APuZ 20011, HELFRICH 2012. Für die perspektivische Ausdeutung des elektromagnetischen Spektrums als commons vgl. HATFIELD 2005. Für die spezifische brasilianische Debatte vgl. GINDRE 2007.

288 CANELA 2008: 158.

289 Teil an der Signalerzeugung haben, wenn man so will auch die vermittels Schallwellen transformierten Inhalte. Auch an diese lässt sich die Legitimationsfrage herantragen, indem analysiert wird, inwiefern sie sich als Realisierung des veranschlagten radialen Gemeinwohls interpretieren lassen. Eine solche vollständige Inhaltsanalyse ist im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht vorgesehen.

290 Wenige Autor_innen gehen heute so weit gehen, den Rundfunk per Definition vollständig »freien Unternehmen« oder dem Markt zuzuschlagen (vgl. ARAUJO 1972: 143). Deshalb sind Regulierungsansätze problematisch, welche sich unkritisch auf eine solche Sichtweise einlassen, beziehungsweise nicht transparent machen, dass sie nur einen perspektivischen Ausschnitt von (Radio)Medien beschreiben. Vgl. zu möglichen Regulierungsszenarien für drahtlose, digitale Netzwerke allgemein WELLENIUS et. al. 2005.

291 PERUZZO 2004: 244; ARAUJO 1972: 134; CANELA 2008: 144. Diese Beschreibung impliziert nicht, dass direkt an der Signalerzeugung beteiligte Akteur_innen – zum Beispiel Journalist_innen – nicht auch als Teil des Medienmarkes beschrieben werden können. Allein ihre häufige Einbindung als Lohnarbeiter_innen verdeutlicht dies. Zugleich veranschlagt die Idee redaktioneller Autonomie jedoch den Anspruch einer professionellen Unabhängigkeit, welche sich auch in einer spezifischen Distanz zu Marktprozessen ausdrückt. In der Literatur wird das  Verhältnis der Kommunikator_innen gegenüber wirtschaftlichen Aktivitäten von Medium nur selten kritisch hinterfragt. (vgl. LIMA 2006: 155).

292 Vgl. LUZ 2007: 14. Analytisch deshalb, weil es durchaus Anstrengungen gibt, das soziokulturelle Konzept der brasilianischen Grundherrschaft (coronelismo) für eine Betrachtung der Machtstrukturen elektronischer Medien (Radio und TV) nutzbar zu machen (vgl. LIMA 2007: 2f). Vgl. auch Kapitel 2.3.2.

293 Vgl. LIMA 2006: 122. Darüber hinaus machen sich einige gewählte Politiker_innen nicht einmal die Mühe, nach »Strohpuppen« zu suchen. Trotz eines bestehenden gesetzlichen Verbots besaßen im Jahr 2005 11 von 40 Mitgliedern der Wissenschafts- und Technikkommission der Abgeordnetenkammer und 51 von 513 der Senatsmitglieder direkte Konzessionen für Radio und TV-Sender (ebd. 2006: 132).

294 CRUZ BRITTOS et. al. 2005: 13.

295 Dazu gehören vor allem Rede Globo, SBT (Sistema Brasileiro de Televisão),  Rede Bandeirantes und Record (vgl. REPORTEIROS SEM FRONTEIRAS 2013).

296 Vgl. ARAUJO 2007: 98. In anderen Ländern Lateinamerikas ist diese Organisation besser bekannt als Pare de Sufrir. Für eine journalistische Annährung vgl. http://jungle-world.com/artikel/2005/23/15388.html (21.05.2013).

297 ARAUJO 2007: 109.

298 Vgl. CANELA 2008: 151.

299 SÔLHA 2010: 211.

300 FERREIRA 2005: 43.

301 Organisierte wurde dieses Netzwerk zu Beginn der 1960er Jahre von der befreiungstheologischen »Bewegung der Basis-Bildung« (Movimento de Educação de Base) dem zeitweise bis zu 7353 »Radioschulen« angehörten. Diese Radioschulen waren Sender, deren Programme sich aus massiven Alfabetisierungskursen und weiteren Bildungsangeboten zusammensetzte. Die rechtliche Grundlage dieser Radiopraktiken bildete ein Abkommen zwischen dem brasilianischen Bildungs- und Kultusministerium und der Nationalen Bischofskonferenz 1961 (Vgl. PEPPINO 1999: 128).

302 Vgl. JAMBEIRO 2002; 64. Warum für genehmigte Radios in Brasilien aktuell keine organisierten Netzwerke mehr dokumentiert sind, lässt sich hier nicht beantworten. Zumindest im Rahmen der Reorganisation der EBC wird von beteiligten Akteurinnen auf journalistischer Ebene jedoch eine vernetzte Zusammenarbeit thematisiert (Interview mit Tais Ladeira 12.05. 2010).

303 FERREIRA 2005: 43.

304 Lei 9612/98, Art. 16°.

305 Vgl. LUZ 2007: 34.

306 Genannt werden in der Literatur u.a. Reuters, Asociated Press und United Press International (AURAUJO 1972: 73; MARQUES et. al. 2006: 9). Vgl. u.a. Zur Entwicklung der Werbeagenturen in Brasilien vgl. LIMA 2006: 102.

307 CALABRE 2002: 14.

308 Vgl. PEPPINO 1999: 228; LUZ 2007: 227.

309 PEPPINO 1999: 228.

310 Freie Radios lehnen Werbung meist grundsätzlich ab, da sie den Verkauf von Sendezeit mit kommerziellem Radiomachen gleichsetzen (vgl. MACHADO 1987: 63f). RadComs dagegen argumentieren, dass der Verkauf von Sendezeit kein medialer Selbstzweck sein darf, jedoch ethisch zu rechtfertigen ist, wenn damit die nicht-kommerzielle Operationalität des Radiomediums unterstützt wird (vgl. LUZ 2007: 20). Hypothetisch wäre dabei auch eine Vermittlung von Werbenden durch Werbeagenturen möglich. Empirische Beispiele werden in der Literatur dafür hingegen nicht dokumentiert, was zumindest teilweise in dem legalen Werbeverbot für RadComs begründet zu sein scheint. Dennoch sind im lateinamerikanischen Kontext Beispiele dafür bekannt, dass spezifische Vermittler_innen  mitunter Sendezeit für die Werbung von transnationalen Kooperationen wie Coca Cola in nicht-genehmigten RadComs kaufen. (Interview mit Arturo Camas 10.04. 2008).

311 Lei 9612/98, Art. 18°. Weiter ausgedeutet vom Kommunikationsministerium: http://www.mc.gov.br/radio-comunitaria/perguntas-frequentes (10.05.2010). Vgl. dazu auch Kap. 2.3.1.

312 Diese Sponsor_innen müssen jedoch innerhalb des Senderadius von einem Kilometer leben beziehungsweise dort geschäftlich tätig sein. Diese Auslegung ist jedoch rechtlich nicht eindeutig definiert und bleibt strittig. (Interview mit Joaquim Carvalho von Abraço Nacional am 10.05.2010).

313 PERUZZO 2004: 172.

314 Die inflationäre und unscharfe Kategorie dient hier vor allem als deskriptiver Sammelbegriff. Gemeint ist damit kein konzeptueller Dreiklang zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft, sondern Akteur_innengruppen, die durchaus auch in Akteur_innennetzwerke des Marktes oder des Staates eingebunden sind, wie z.B. Stiftungen, die staatliches Budget verwenden, etc.

315 Vgl. PERUZZO 2004: 160; PEPPINO 1999: 228.

316 Vgl. VILLEGAS 2004: 113; PERUZZO 2004: 162, 168, 203, 208, PEPPINO 1999: 160. Seitens sozialer Bewegungen werden dabei zum einen solche benannt, welche die Bedürfnisse und Forderungen der im Sendegebiet lebenden Bewohner_innen artikulieren, vor allem in Bezug auf Landbesetzungen und Wohnverhältnisse (moradia) (vgl. PERUZZO 2004: 167). Darüber hinaus werden jedoch auch Gruppen von Akteur_innen angeführt, welche die Bedürfnisse von »Frauen«, »Homosexuellen«, »Schwarzen«, »Umweltaktivisten« (ecologistas), »psychiatrischen Patient_innen« (psiquatrizados), »Gefangenen«, »Straßenkindern« und »Migrant_innen« artikulieren (vgl. MACHADO et. al. 1987: 36, 43).

317 Ebd.

318 Es lassen sich in der Literatur einige Hinweise finden, dass in Freien Radios jedoch nicht immer ein vollständiger Ausschluss von professionellen Politiker_innen stattgefunden hat und teilweise auch offen politische Kampagnen unterstützt wurden, so zum Beispiel 1985 für die Kandidatin der Arbeiterpartei (PT) für das Bürgermeister_innenamt in São Paulo und weiterer Einflussnahmen der PT (vgl. PERUZZO 2004, 191, 250).

319 LUZ 2007: 19. Zurückhaltend werden dabei beispielsweise »die diskreten Interferenzen von einer linken politischen Partei beschrieben« oftmals mit dem Ziel, ComRads für die Diffusion von Wahlkampagnen zu gebrauchen (vgl. PERUZZO 2004 180, 191). Doch ihre Einfluss scheint sich nicht auf diskrete und temporäre »Besetzungen« von ComRads zu beschränken, auch nicht in genehmigten ComRads, denen gesetzlich eine politische Unparteilichkeit auferlegt ist (Lei 9612/98, Art. 4°).

320 LIMA 2007: 50.

321 Vgl. ebd. 2007: 26f.

322 Vgl. MACHADO 1987: 17. Etwa 45 Prozent aller genehmigten und konzessionierten Radios Brasiliens sollen sich 1999 »in Händen von Politkern« befunden haben (vgl. ARAUJO 2007: 98).

323 LIMA 2007: 49.

324 JAMBEIRO 2002: 104.

325 Vgl. ebd. 2002: 61.

326 LIMA 2007: 4.

327 Vgl. SILVEIRA 2001: 269. Dazu sind in den vergangenen Jahren unterschiedliche Gesetzesentwürfe für eine kommunale Regulierung von ComRads entstanden (vgl. z.B. ebd. 2001: 441ff). Umstritten ist jedoch die Frage, ob in der anhaltenden »Usurpation kommunaler Kompetenzen« tatsächlich das das hauptsächliche Hindernis für eine Demokratisierung der Kommunikation liegt (SILVEIRA 2001: 263). Denn, dass Stadt- oder Gemeinderäte als Vermittler_innen uneingeschränkt als demokratische Verbündete der ComRads gelten können, wird bereits in ihrer erwähnten politischen Vereinnahmung konterkariert.

328 Ebd. 2001: 269.

329 Dabei sind sowohl Interventionen von Richter_innen des brasilianischen Bundesgerichtshofs, aber auch bundesstaatlicher Gerichte (Tribunais Regionais Federais) dokumentiert (vgl. NETO 2002: 105f). Ihre Analysen haben sich jedoch nicht gegen die »unheilvolle Sichtweise des vom politischen, ökonomischen und polizeilichen Etablissements« durchsetzen können (ebd.).

330 Vgl. SANTORO 1981: 97.

331 Vgl. SATURNINO 2006: 9.

332 Vgl. NETO: 2002: 132. Zusätzlich verwandelte sich ein positiver Entscheid der Regierung nach einer Frist von 90 Tagen auch ohne Zustimmung des Kongress in eine provisorische Genehmigung für ein ComRad. Die 90-Tage-Frist beschrieb vor der provisorischen Maßnahme den Zeitraum, innerhalb welchem der Kongress auf eine veröffentlichte Autorisierung eines ComRads seitens des MiniCom reagieren sollte. Er blieb bis dahin jedoch die entscheidende Instanz, um genehmigt auf Sendung gehen zu können. Die Fristsetzung relativiert diese Kompetenz und gibt ihr ein »Verfallsdatum«.

333 Vgl. JAMBEIRO 2002: 71, LIMA 2007: 36.

334 Vgl. ebd 2007: 36.

335 Bereits ab 1845 reguliert im imperialen Brasilien Pedro II. das Nationale Dramaturgische Konservatorium öffentliche Theateraufführungen. Noch weiter zurück reicht der Anspruch der Katholischen Kirche, als Autorisierungsinstanz ab 1747 die Veröffentlichung und Zirkulation gedruckter Bücher zu kontrollieren (vgl. LOYOLA 1974: 27f).

336 Als erste zentrale Regulierungsbehörde für Radiomedien gilt die »Offizielle Propagandabehörde« (Departamento Oficial de Propaganda) welche unmittelbar nach dem Putsch der Integristen unter Getulio Vargas 1932 gegründet wurde. Unter wechselnden Namen arbeitete diese Institution bis 1945 weiter. Sie unterstand dabei stets direkt dem Präsidialkabinett und war beauftragt alle Aktivitäten der »Massenkommunikation« zu überwachen und zu kontrollieren (vgl. JAMBEIRO 2002: 56).

337 Vor Gründung des MiniCom waren unterschiedliche Ministerien, wie das Transport oder Justitzministerium für die Radioregulierung zuständig. Der im Rahmen des CNT 1962 geschaffene Nationale Kommunikationsrat (Conselho Nacional de Telecomunicações) wurde nach dem militärisch-zivilen Putsch von 1964 wieder von dieser Aufgabe entbunden, die daraufhin der Bundesbehörde für Öffentliche Sicherheit (DFSP) unterstellt wurde, bis diese Tätigkeiten schließlich auf die Nationale Kommunikationsbehörde (DENTEL) übergingen (vgl. JAMBEIRO 2002: 57, 82; SIQUEIRA 1997: 58;  LOYOLA 1974: 31).

338 JAMBEIRO 2002: 83.

339 NETO 2002: 129.

340 Vgl. SARAVIA 2008: 67f.

341 Ebd. Die Verlängerung von Konzessionen und Genehmigungen bleibt allgemein nur an die Einhaltung »technischer« Normen gekoppelt, während eine Kontrolle der einzelnen Radiokategorien – ComRads inklusive – ausbleibt.

342 Vgl. PERUZZO 2004: 256.

343 Vgl. NETO 2002: 94f.

344 Vgl. NOGUEIRA 2001 zit. in RAMOS 2004: 10.

345 Ebd. Beispielhaft stehen dafür die Vermittlungen der Stiftung CPqD, welche als unabhängige Expert_innen dazu beigetragen haben, die technische Faktiztität, dass Radios ohne Genehmigung Flugzeugabstürze verursachen, empirisch ad absurdum zu führen (vgl. TOME et. al 2008). Zu weiteren »akademischen« und »wissenschaftlichen« Vermittler_innen siehe auch Kapitel 4.

346 Vgl. LUZ 2007.

347 Es ließe sich an dieser Stelle einwerfen, dass das hier dargelegte Akteur_innenmapping analytisch zu unscharf bleibt. Viele der genannten heterogenen Regulierer_innen bleiben weiterhin Intermediäre, d.h. unzureichend geöffnete »schwarze Kisten« und werden dem Anspruch einer synchronen Betrachtung nicht gerecht. Notwendig wäre deshalb eine weiterführende intensive Textanalyse. Darauf wird aus folgendem Grund verzichtet. Die vollständige Entfaltung der Akteur_innennetzwerke soll, wie eingangs beschrieben, gemeinsam mit den stärker am operativen Gebrauch beteiligten Akeur_innen erfolgen, während das Mapping methodologisch vor allem die Aufgabe hat, das hypothetische Auspannen des Forschungs-Settings in seiner allgemeinen Relevanz zu unterfüttern. Aus Sicht der notwork builer und media maker werden viele hier lose liegengelassene Stränge in den folgenden Kapiteln analytisch wieder aufgenommen werden.

348 JAMBEIRO 2002: 169.

349 ABERT 2009: 52. http://www.abert.org.br/site/index.php?/downloads/artigos/124-ahistoriadoradionobrasi/download.html (16.03.2013). Vgl. auch SECRETARIA ESPECIAL DE COMUNICACAO SOCIAL 2004: 56.

350 JAMBEIRO 2002: 169f.

351 Das Engagement von Abert für ein restriktives Vorgehen gegen Radios ohne Sendegenehmigung wird von »akademischen«, ihnen zugewandten Beobachter_innen unverblümt als »tapferes Agieren gegen die Auswüchse der Piraterie« gelobt (Vgl. TAVARES 1999: 291). Zu Hinweisen bezüglich der gezielten Einflussnahme von Abert bei der Normierung von ComRads vgl. NETO 2002: 127. Zu den delegitimierenden Strategien gehört vor allem der von Abert und den ihre angehörenden Sendern bis heute verbreitete Mythos, Radios ohne Sendegenehmigung würden Flugzeuge zum Abstürzen bringen (Vgl. Endnoten 182, 268). Zur Einflussnahme kommerzieller Radios auf politische Entscheidungsträger_innen allgemein vgl. PERUZZO 2004: 256.

352 Die Associação das Rádios Publicas do Brasil (Arpub) füllt in gewisser Weise auch eine »repräsentative Lücke«, die mit Auflösung der Fundação Roquette Pinto entsteht. Hingewiesen sei hier, ohne weitere Ausführungen, darauf, dass Arpub im Gegensatz zu EBC eine breitere Definition von »öffentlichen Radios« entwirft, die alle jene Sender umfasst, die mit »öffentlichen Mitteln« finanziert werden. Vgl. http://www.arpub.org.br/index.php?option=com_content&task=view&id=43&Itemid="186" Zuletzt besucht am 16.03.2013.

353 Der früheste lokale Zusammenschluss, in der von mir gesichteten Literatur, ist die »Associação Brasileira pela Reforma Agraria no Ar« (MACHADO et. al. 1988: 181). Als weitere erwähnte lokale Vereinigungen werden u.a. genannt: Associação das Rádios Livres do Estado de São Paulo (Aperloc), Forum Democracia na Comunicação (FDC), Farc Rio, Viva Rio  (vgl. NUNES 1995: 48).

354 Vgl. COSTA et. al. 2002: 103.

355 Vgl. COSTA et. al. 2002: 103. Weitere, ihrem Anspruch nach landesweite, genannte Repräsentationen sind  Associação Brasileira das Ondas Livres do Ar und CORA-LIBRA, Cooperativa de Rádios Livres do Brasil (ebd.), und das Coletivo Nacional de Rádios Livres (vgl. NUNES 1995: 48), Associação Nacional Católica de rádios Comunitárias (Anarc) und die später gegründete Associação Brasileira de Rádios Comunitárias (Abraço) bzw. Associação Mundial de Rádios Comunitárias - Brasil  (Amarc Brasil) sowie Rede Brasil de Comunicação Cidadã (RBC) (AGUIAR 2005:8f).

356 Zur UNE vgl. COSTA et. al. 2002: 103, zu den Funkamateur_innen vgl. AGUIAR 2007: 138

357 Vgl. COSTA et. al. 2002: 103.

358 Ein gutes Beispiel für einen solchen Forderungskatalog bildet das Programm des FNDC »Bases de um programa para a democratização da comunicação no Brasil« aus dem Jahr 1994. Darin wird neben vielen weiteren Reformanliegen auch eine »neue Genehmigungspolitik und Lizenzerneuerung für Rundfunksender“, »Spektrumsreserven« für »Radio- und TV-Sender mit niedriger Sendestärke« und die »Teilhabe von sozialen« gefordert. Vgl. http://bit.ly/1FJ88eo (19.03.2013).

359 Ob es sich dabei tatsächlich um das Zweite Nationale Treffen (ARAUJO gehandelt hat, ist zweifelhaft. Bereits für 1992 wurde in  Goiânia ein Treffen mit internationalen Gästen aus El Salvador (Radio Venceremos) und Argentinien abgehalten (vgl. COSTA 2002: 103).

360 Vgl. ARAUJO 2007: 339, AGUIAR 2007: 138

361 Ein Beispiel für einen solchen Beitritt ist die Eingliederung der Associação de Radiodifusão Comunitária de Bahia (Arcoba) in ABRAÇO im Jahr 1999 (Vgl. VENTURA 2004: 101). http://www.revistabecan.com.br/arquivos/1168789970.pdf (19.03.2013).

362 Ebd. Zur allgemeinen Geschichte von Amarc vgl. auch. NETO 2002: 71, PEPPINO 1999: 35, 184, 228. Hier ist bereits auch der transnationale Charakter von Amarc angedeutet, der im folgenden Kapitel ausführlicher Erwähnung finden wird. Ungenannt bleibt hingegen die brasilianische Sektion der Asociación Latinoamericana de Educación Radiofónica (Aler). Nach eigenen Angaben der Oganisation (vgl.  https://docs.google.com/spreadsheet/pub?key=0Asz2bL6GM98adDZsaEhibV9lRkJlWG9QbzhoOTJ0ZVE&output="html" Zuletzt besucht am 19.03.2013)  exitieren auch lediglich zwei radiale Vertretungen in Brasilien, weshalb hier lediglich von einer lokalen oder regionalen Repräsentanz die Rede seien kann. Zur Geschichte des 1972 gegründeten Aler im Allgemeinen vgl. PEPPINO 1999: 35, 223.

363 Das 2003 auf dem 3. Weltsozialforum gegründete Netzwerk Freier Radios Rizoma wird in der allgemeinen Literatur nicht erwähnt, soll an dieser Stelle jedoch nicht verschwiegen werden. Ich werde im 3. Kapitel der Arbeit ausführlicher auf diese_n Akteur_in eingehen (vgl. auch http://www.radiolivre.org/node/1 19.03.2013). Von einer fehlenden konzeptuellen Abgeschlossenheit und der Schwierigkeit die Frage der Repräsentation Freier Radios klären zu können spricht auch NUNES 1995: 28. Die Frage der Repräsentanz wird auch deutlich in den Befragungen von MALERBA zur Zugehörigkeit von ComRads zu einzelnen Verbänden, wobei er dokumentiert, dass 47% der befragten Radios keinerlei Dachverband angehören (vgl. MALERBA 2006: 67).

364 Diese punktuelle Zusammenarbeit umfasst die damals bedeutsamen Verbände ABRAÇO, AMARC Brasil und das FNDC (vgl. FRICAUDET 2005: 42).

365 NETO 2002: 23f. Ein weiterer Widerspruch wird deutlich, wenn Akteur_innen wie der Nationale Zeitungsverband (ANJ) sich im Printbereich für eine »freie Information, ohne Kontrollen, für die gesamte Gesellschaft»« stark macht, sich jedoch 2009 von den Verhandlungen der Nationalen Kommunikationskonferenz zurückzieht, wo eben diese Frage auch bezüglich der oligopolistischen Nutzung von Radiowellen problematisiert werden sollte (vgl. SÔLHA 2010: 226ff.

366 Zur Kritik des »klassisch maskuline[n] Panoramablick-Fantasma[s]« vgl. Kapitel 1.1.

367 Zu silent actors vgl. CHARMAZ 2006, zu hidden transcripts vgl. SCOTT 1990. Die versteckten Transkripte werden auch im Theoriebaukasten VI besprochen.

368 SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 118.

369 Die Argumente der folgenden Abschnitten gehen zurück auf den Artikel: »Ansichtssache ANTenne Überlegungen zu einer medienethnographischen Untersuchung des Radiomachens« (BROCK 2012).

370 DEGELE 2002: 23ff.

371 Vgl. u.a. WINNER 1977, NEGROPONTE 1995. McLUHAN 1994.

372 CASTELLS 2007: 175.

373 KASSUNG et. al. 2008: 170.

374 Vgl. MACKENZIE/WAJCMAN 1985. Siehe dazu auch: http://labspace.open.ac.uk/file.php/7257/!via/oucontent/course/2267/t890_2_reading1.pdf (27.05.2013).

375 KRÄMER 1998: 83.

376 Ebd. 1998: 76.

377 MANOVICH 2001. Siehe auch: http://www.manovich.net (22.06.2012).

378 LATOUR 2000: 236f.

379 ROSSLER 2008: 87.

380 SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 111.

381 ROSSLER 2008: 81.

382 Dabei sollte auch der Begriff der nun-humans gerade »die Sozialisation von Entitäten unterschiedlichster Art« beschreiben und über eine dingliche Form hinausweisen (ROSSLER 2008: 81).

383 Ebd. 2008: 83.

384 Ebd. 2008: 82. Objekte und tools stehen den Subjekten auch in anderen Theorien nicht als beherrschbar oder losgelöst gegenüber. Anders als jedoch bei einer Auflösung der Subjekte in Modi der Subjektivierungen (vgl. MOREY 2008) unterläuft die Subjekt/Objekt-Trennung in einem gegenläufigen Verfahren, nämlich vom benutzen Objekt aus.

385 Ebd. 2008: 84.

386 Eine weitere, hier nicht weiter ausgeführte Unterscheidung wird in der ANT auch zwischen Akteur_innen und Aktant_innen getroffen. Ohne die komplexe Begriffsentwicklung vollständig wiedergeben zu wollen, lassen sich als Aktant_innen präfigurative Entitäten bezeichnen, die im Gegensatz zu Akteur_innen in einem »plot« noch keine figurative oder nicht-figurative Rolle zugewiesen bekommen haben (vgl. LATOUR 1994:13 zit. In SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 110).

387 Diese Unterscheidung orientiert sich vor allem an der bereits zitierten Arbeit »Technik in heterogenen Assoziationen. Vier Komponenten der gesellschaftlichen Wirksamkeit von Technik im Werk Latours« (SCHULZ-SCHAEFFER 2008:108ff).

388 Ebd. 2008: 124.

389 Ebd. 2008: 137. Schulz-Schaeffer verweist an dieser Stelle auch auf die generelle Unmöglichkeit einer vollständigen Kongruenz zwischen Ethno- und Beobachtertheorie, wenn man der sogenannten Duhem-Quine-These folgend jeglicher Beobachtung immer auch eine Theoriegeladenheit unterstellt.

390 Ebd. 2008: 140. Dieses Vorgehen ist auch im Hinblick auf »silent actors«, d.h. alle seitens der Beobachtenden vermuteten aber von den Beobachteten nicht genannten Entitäten äußerst relevant (vgl. CLARKE 2005: 75). Um eine symmetrische Betrachtung unter Einbezug auch jener Akteur_innen zu erreichen, die nicht für sich selbst sprechen können, schlägt LATOUR methodologisch vor,  »simply [to] imagine what other humans or non-humans would have to do were this character not present« (LATOUR 1992: 229, zit. in SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 115). Ausgedehnt wir im Fall der vorliegenden Arbeit damit potentiell die Akteur_innengruppe, die an der Legitimation von Radiomedien beteiligt sind.

391 Vgl. HAHN 2008: 467.

392 Vgl. TAVARES 1999: 17, 56.

393 Vgl. SIQUEIRA 1998: 47; CALABRE 2005, 21, 25.

394 Vgl. CARVALHO 2004: 20.

395 Vgl. CALABRE 2005: 23; ROCHA 2007: 81.

396 Vgl. CARVALHO 2004: 11, 13; ROCHA 2007: 27.

397 Kritisch wird zumindest die Förderung des kommerziellen Radiosektors erwähnt, bei der, trotz weitestgehender Nichteinmischung des Staates in die inhaltliche Produktion, das »ideologische Projekt – die brasilianische Gesellschaft zu normalisieren, disziplinieren und organisieren - [...]« zur Stärkung der kapitalistischen Ökonomie beiträgt, in dem »Konsumenten sonorer Botschaften geformt wurden« (GURGUEIRA 1995: 167).

398 Vgl. dazu: ARAUJO 1972: 144; CARVALHO 2004: 32, CALABRE 2005: 288.

399 CALABRE 2005: 8.

400 Ebd.

401 JAMBEIRO 2002: 92; ROCHA 2007: 16, 27.

402 CALABRE 2005: 288.

403 CARVALHO 2004: 32, 52; JAMBEIRO 2002: 101.

404 ROCHA 2007: 189.

405 Vgl. LIMA 2006: 83. Für eine einführende Übersicht zur brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) vgl. BETHELL et. al. 2008. Mitunter werden die 1960er noch als Epoche der Radiobras, dem damaligen staatlichen Medienunternehmen bezeichnet (CARVALHO 2004: 35.). Beschrieben sind dabei jedoch nicht länger Modifikationen, die gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben, sondern medieninterne Dynamiken betreffen oder den schwindenden Einfluss des Radios ankündigen, wie beispielsweise die technische Perfektion, Restrukturierung und die Redimensionierung seiner gesellschaftlichen Rolle (CALABRE 2005: 288). 

406 ROCHA 2007: 30; SIQUEIRA 1998: 58. Teil der umfassenden Reorganisation ist auch die »Expansion internationalen Kapitals« (JAMBEIRO 2002: 95), die jedoch, wie ich noch zeigen werden im Rundfunksektor entgegen anderen Telekommunikationsbereichen nur äußerst punktuell stattfindet.

407 SIQUEIRA 1998: 69.

408 ROCHA 2007: 30.

409 Vgl. CALABRE 2005: 296; TAVARES 1999: 281.

410 Vgl. NETO 2002: 27f.

411 SIQUEIRA 1998: 75.

412 TAVARES 1999: 165, 166, 233; SILVEIRA 2007: 21; SIQUEIRA 1998: 75, 79, 103. Wiederholt wird bei den hier zitierten Autoren die zunehmende Einbindung in eine von Computern vermittelte Hyperkommunikation beschrieben, die mitunter in einer technozentristischen Robotisierung des Denkens kuluminiert und sich immer stärker menschlichen Subjekten entledigt. 

413 MACHADO et. al. 1988: 12. Auch in Reaktion auf den allgemeinen Technozentrismus wird seitens unabhängiger Radios bereits in 80er Jahren eine subjektive Medienproduktion veranschlagt. Proklamiert wird perspektivisch die Aneignung von Technologien, zu denen anteilig auch viele Elemente des Radiomachens gehören.  Nicht die Nutzung eines fixen Mediums sondern seine Verundeutlichung und Vervielfältigung steht im Mittelpunkt. Stichwortgeber ist neben Félix Guattari, der den Begriff der »postmedialen Ära« prägt auch der Künstler Eric Satie, der bezüglich gesellschaftlicher Aneignung wie folgt zitiert wird: »O futuro será dos amadores, isto é, daqueles que amam o que fazem...« (ebd. 1988: 35).

414 Die vollständige Zitat lautet: »uma dimensão central e constitutiva das atividades humanas, dado que é um modo peculiar de interação mediadora e mediada entre sujeitos - agentes sociais” (PEREIRA 2004: 134, zitiert in MALERBA 2006: 19).

415 Beispielhaft für diese Position: CAVALCANTI 2008.

416 Vgl. LATOUR 2007: 67. Übersetzung N.B.

417 Zu dem Begriffspaar »Purifikation« und »Hybridisierung« vgl. ebd. 2007: 56f.

418 Ein solche analytische Sichtweise ist beispielsweise den Schriften Marchal McLuhans zu eigen. Vgl. McLUHAN 1994 und kritisch dazu HORROCKS 2004.

419 Vgl. TAVARES 1999: 79. 120, 166. Interessant sind auch die für das Radio erfundenen Superhelden, deren Fortsetzunggeschichten von Comicstrips inspiriert waren (ebd. 1999: 207). Vgl. Außerdem: CARVALHO 2004: 42; ROCHA 2007: 180.

420 Vgl. CARVALHO 2004: 45, TAVARES 1999: 234.

421 JAMBEIRO 2002: 49. Diese Investitionen sollen auch in den 1970er Jahren noch sehr hoch und konitnuierlich gewesen sein (vgl. ROCHA 2007: 82).

422 TAVARES 1999: 239; CARVALHO 2004: 13f.

423 TAVARES 1999: 44.

424 Beispielhaft steht dafür der Name von Walter Foster, der nach seiner Kariere beim Radio, bereits 1951 als Autor der ersten brasilianischen Telenovela einen Namen macht (vgl. TAVARES 1999: 230). Vgl. auch ROCHA 2007: 33.

425 BRASIL 1972: 145.

426 426JAMBEIRO 2002: 53. Der Autor verweist hier auch darauf, dass das TV sich anfang der etablierten Legitimation von Radiomedien bediente, um sich als Medium für das Publikum interessant zu machen – bei seiner Einführung in Brasilien wird zunächst noch von »rádiotelevisão« gesprochen.

427 Vgl. u.a. CARVALHO 2004: 65; BRASIL 1972: 63.

428 Und es ließe sich hinzufügen, sie behaupten auch einen quantitativ größeren Teil es Spektrums. Während terrestrisches Fernsehen (vor seiner gerade stattfindenden Digitalisierung) 12 Kanäle zwischen 54 und 216 MHz umfasst, vereinen das AM- und FM-Band ein Vielfaches an (möglichen) Räumen für Radiosender (vgl. JAMBEIRO 2002: 57).

429 PERUZZO 2004: 200. Die Übersetzung »Volksradio« oder »-empfänger« verbietet sich aus bekannten historischen Gründen.

430 Vgl. LUZ 2007: 37. Die euphorische Feststellung, mit dem Community TV sei eine »novo linguagem para núcleos rurais e pequenas localidades, levando-lhes educação de base e comunicação de emergência, entre outros programas« (SIQUEIRA 1993: 63f) entspricht deshalb eher eine medialen Utopie als beschriebener Realität.

431 CARVALHO 2004: 69; LIMA 2006: 113.

432 SILVEIRA 2007: 24.

433 Vgl. http://www.teleco.com.br/pnad.asp (02.04.2013).

434 SILVEIRA 2007: 26.

435 Interview mit Robert Horvitz vom 02.10.2010. An dieser Stelle aus einem Itnerview zu zitieren, bricht ein Stück weit mit dem veranschlagten Fokus einer Literaturschau. Die Ausnahme begründet sich im Umstand, zu diesem spezifischen Punkt keine ausführenden Erklärungen in der brasilianischen Literatur finden zu können. Aber für ein besseres Verstänis von drahtlosen digitalen Netzwerken ist dieser Rekurs hier unumgänglich. Vgl. auch den Radiobeitrag: „Offenes Spektrum - oder vom Menschenrecht auf Kommunikation". http://www.npla.de/de/onda/serien/menschenrechte/content/1099 (20.05.2013.)

436 Vgl. SILVEIRA 2007: 21, 47. Zur Netzwerktopologien vgl. ebd: 44; und Allgemein: GALLOWAY 2004.

437 Zum Konzept »distrubiertes Netzwerk« vgl. GALLOWAY 2004: 35f.

438 Wichtige Ausgangspunkte dieses scheinbaren »Naturgesetzes«, eine strikte Regulation sei Voraussetzung und unabänderliche Notwendigkeit von Radiomediation, lassen sich in der Regulierungsdebatte der USA in den späten 1920er Jahren herausarbeiten. Dabei lässt sich die Hypothese aufstellen, dass nicht das »Chaos im Äther« Grund für eine Lizenzierung des Rundfunks gewesen sei, sondern kommerzielle Interessen, die nur unter Durchsetzung eines strikteren Eigentumsdenkens im Äther gedeihen konnten (Vgl. HAZLETT 2001: 95f).

439 Interview mit Robert Horvitz.

440 Ebd.

441 Vgl. SILVEIRA 2007: 47. »Com a capacidade de roteamento inserida em cada computador, é possível construir redes com a topologia mesh ou malha, que garantam uma comunicação mais econômica« (ebd.).

442 Einen wesentlichen Beitrag zu diesem strategischen Konzept hat auch der bereits zitierte Silveira geleistet (vgl. SILVEIRA 2003). Der ehemalige Regierungsberater gehört inzwischen jedoch zu den entschiedensten Gegnern einer weiteren Ausdehnung des Regulierungsanspruchs. Vgl. http://www1.folha.uol.com.br/opiniao/1255169-sergio-amadeu-da-silveira-a-rede-e-a-liberdade-de-criacao.shtml (04.04.2013).

443 Vgl. CARVALHO 2008: 111, 113.

444 Für die intermediale Grenzziehung in Brasilien ist es außerdem notwendig, auf die konzeptuelle Trennung zwischen Rundfunk (radiodifusão) und Telekommunikation (telecomunicação), die auch die Regulierung unabhängigen Radiomachens entscheidend beeinflusst, wie ich im Kapitel 2.2.3.1. noch ausführlich erläutern werden.

445 ROSSLER 2008: 81.

446 CRESSMAN 2009: 3.

447 LATOUR 2006 zit. in SCHÜTTPELZ 2008: 245.

448 Ebd. Sehr deutlich tritt hier auch noch einmal die konzeptuelle Distanz der ANT zu den Arbeiten von Langdon Winner zu Tage. Dieser kommt mit Verweis auf die Lektüre von Friedrich Engels Essay »On Authority« zu dem Schluss, es gäbe einen direkten »link between complicated systems and centralization« sowie einem damit einhergehenden Autoritarismus« (WINNER 1986: 25). Ohne eine Definition von kompliziert zu liefern, läuft dieses Argument jedoch ins Leere, da damit jede arbeitsteilige Beziehung einen autoritären Drive bekäme. Analytisch werden seine empirischen Arbeiten zu architektonischen Akteur_innen damit konzeptuell so eng, dass der Winner oft pauschal unterstellte Technikdeterminismus gerechtfertigt scheint.

449 SCHÜTTPELZ 2008: 246.

450 SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 142.

451 Vgl. u.a. SCHÜTTPELZ 2008: 242; BELLIGER et. Al 2006: 37; SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 141; KASSUNG et. al. 2008: 155.

452 Vgl. SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 142.

453 Die theoretische Darstellung des Handlungsbegriffs der ANT wird im Theoriebaukasten VI fortgesetzt, wenn es darum geht, wie miteinander konkurrierende Agenturen empirisch untersucht werden können (vgl. 2.2.3.5).

454 SCHMIDGEN 2008: 18; HAHN 2008: 463.

455 Vgl. DEGELE 2002: 49.

456 Zum Konzept der technikhistorischen Meilensteine vgl. THIELMANN 2008, zu technologischen Dramen siehe PFAFFENBERGER 1992.

457 Vgl. THIELMANN 2008: 183.

458 Zur Geschichte der Elektronenröhre(n) und ihrer Nutzung in Brasilien vgl. SIQUEIRA 1998: 37, PERUZZO 2004: 59;  TAVARES 1999: 26ff.

459 Vgl. PERUZZO 2004: 59; BRASIL 1972: 145. Mitunter ist auch von einer Transistorisierung der Empfangsgeräte die Rede (vgl. ebd.).

460 CARVALHO 2004: 55; ROCHA 2007: 33. Für die folgenden Bemerkungen zu medialen Kopplungen und dem Batteriebetrieb vgl. BRASIL 1972: 145; TAVARES 1999.

461 MELO et. al. 1976: 50.

462 Vgl. ROCHA 2007: 174.

463 Vgl. MACHADO et. al. 1986: 17 ; LUZ 2007: 26.

464 Vgl. TAVARES 1999: 165ff; CARVALHO 2004: 44-46, 60, 63; BRASIL 1972: 70.

465 Mit der Digitalisierung von terrestrischen TV- und Radiosignalen, wenn Medienvielfalt und audio(visuelle) Qualität bei der Nutzung einer endlichen Zahl von Frequenzen direkt kollidieren, gewinnt diese Frage für die Diskussion medialer Legitimation weiter an Bedeutung. In Brasilien wurde diese Problematik erstmals bei der Einführung digitalen terrestrischen TVs deutlich und wiederholt sich nun bei der Debatte des künftigen digitalen Radiostandards (vgl. PINHEIRO 2007; http://www2.camara.leg.br/camaranoticias/tv/materias/CAMARA-HOJE/201567-MINISTRO-REAGE-A-DENUNCIA-SOBRE-FAVORECIMENTO-DE-EMPRESA.html (28.05.2013).

466 CALABRE 2005: 288.

467 Ebd. 2005: 289.

468 TAVARES 1999: 258f

469 Vgl. ROCHA 2007: 75.

470 CALABRE 2005: 296. Als erster dokumentierte Sender im UKW-Band wird im Übrigen Rádio Imprensa (1955) erwähnt (vgl. ebd.).

471 Ebd. 2005: 288.

472 JAMBEIRO 2002: 90.

473 SIQUEIRA 1998: 93.

474 TAVARES 1999: 167; SIQUEIRA 1998: 86. Der Aufbau eines eigenen Satellitensystems, war Ziel der staatlichen Telekommunikationspolitik der 1960er und 1970er Jahre und wird in der Litaratur durchgängig als positiver Beitrag für die Verbesserung von Radioübertragungen besprochen, vor allem sogenannte direct digital broadcasting satellites (vgl. SIQUEIRA 1998: 85; PERUZZO 2004: 64). Vgl. Darüber hinaus vgl. JAMBEIRO 2002: 89f.

475 TAVARES 1999: 167, X; JAMBEIRO 2002: 89f.

476 PERUZZO 2004: 78.

477 Zur Aktualität von Kurwellenübertragungen vergleiche: »Shortwave Broadcasting – Challenges and Opportunities«. http://www.unesco.org/new/?id="72725" (10.04.2013). Zur Geschichte der Kurzwellenübertragungen in Brasilien vgl. ROCHA 2007: 46.

478 SIQUEIRA 1998: 88. Einige nicht spekulative Überlegungen, betreffen die weitere Miniaturisierung von Radio, ermöglicht durch den Ersatz von Elektronenröhren durch Chip- und aktuell Microchipsätzen, sowie Mikroprozessoren (vgl. PERUZZO 2004: 4, 59, 60; SIQUEIRA 1998: 83, 86; BRASIL 1972[!]: 145.

479 PERUZZO 2004: 60, 78.

480 SIQUEIRA 1998: 92.

481 Vgl. SIQUEIRA 1998: 79; LIMA 2006: 113. Internet steht in seiner Erklärungskraft einer black box näher als an einem kohärenten Medienbegriff. Diese Debatte kann hier jedoch nicht ausgeführt werden, wird in der Schlussbetrachtung der Arbeit jedoch erneut aufgegriffen werden (vgl. Kap. 5).

482 Vgl. CALABRE 2005: 288, 301; BRITTOS et. al. 2005: 13.

483 SILVEIRA 2007: 39. 

484 Vor allem die Übertragunsform des sogenannten Streamings, einem spezifischen User-Client-Dispositiv zur Übertragung von audio(visuellen) Daten wäre hierbei zu nennen.

485 SIQUEIRA 1998: 88; CARVALHO 2004: 69; PERUZZO 2004: 5.

486 Zum Internet als privilegiertem Raum der Digitalisierung vgl. SILVEIRA 2007: 27f. Vgl. auch GALLOWAY 2004: 55.

487 SILVEIRA 2007: 47f.

488 Ebd. 48.

489 CAVALCANTI 2008: 173.

490 SÔHLA 2010: 221. Zu den debattierten Digitalradiostandards vgl. Im Allgemeinen DINIZ 2011 und in Bezug auf Community Radios DINIZ et. al. 2012, BROCK 2012b, BROCK 2013. Interessant ist beim Vergleich dieser neueren Arbeiten zu vergangenen Texten, dass inzwischen nicht mehr die reine Übernahme eines Standards diskutiert (vgl. TAVARES 1999: 285), sondern auch dessen weitere Modifikationsmöglichkeiten in Beziehung zu spezifischen medialen Bedürfnissen in Brasilien besprochen werden.

491 491Es ließe sich hier noch ein dritter potentieller technikhistorischer Meilenstein arwähnen, der sich am besten mit dem Konzept des Offenen Spektrums (vgl. WERBACH 2007) eingrenzen lässt. Hier würde statt einer vollständigen oder einer einzelmedialen Perspektive die Transformation der Nutzung des elektromagnetischen Spektrums als Fokus dienen, in dem statische Paradigma der Regulierung überwunden und software-defined Kommunikationsmittel gänzlich andere mediale Möglichkeiten (u.a. des Radiomachens) eröffnen würden (vgl. SILVEIRA 2007: 49, 50).

492 MELO et. al. 1976: 9. Aus soziozentristischer Sicht lässt sich dieses Argument wie folgt zuspitzen: »Tecnologia nunca e neutra, porque sempre esta nos mãos de homens, de grupos e instituições que nunca são neutros [...]« (SIQUEIRA 1993: 59).

493 MATOS MARTINS et. al. 2008: 22f.

494 SARAVIA 2008: 66; MARTINS et. al. 2008: 22.

495 PFAFFENBERGER 1992b: 282.

496 Vgl. ebd 1992.

497 Ebd. 1992: 285.

498 Ebd.

499 Ebd. 1992: 286

500 Ebd.

501 PERUZZO 2004: 5.

502 SEVCENKO 1998: 514ff, 585ff.

503 MELO et. al. 1976: 9. Melo thematisiert an dieser Stelle auch die importierten Radiomodelle, eine Feststellung die andere Autor_innen in der These konkretisieren, Brasilien habe das »nordamerikanische Rundkfunkmodell« übernommen (vgl. CARVALHO 2004: 14). Auch wenn sich die analytische Unterscheidung der europäischen und der us-amerikanischen Entwicklung von Radiomediationen durchaus anwenden lässt (vgl. HAGEN 2005), scheint es für eine differnzierte Diskussion der lateinamerikanischen Moderne aufschlussreicher, deren Konfigurationen nicht prinzipiell an den Produktionen einer »fremden Macht« festzumachen, sondern in einem ziemlich komplexen Netzwerk, einer Neuordnung von Ungleichheiten und neuen Formen diese aufrechtzuerhalten zu suchen (vgl.  ROCHA 2007: 24f).

504 CALABRE 2003: 9; PRADO 2004: 5, 13. 17.

505 Ebd. 2004: 33; CALABRE 2003: 7f.

506 ROCHA 2007: 33.

507 Vgl. ebd. 2007: 190; JAMBEIRO 2002: 106.

508 SIQUEIRA 1998: 11; LAGO 1969: 12.

509 Ebd. 1969: 14.

510 Ebd. 1969: 36, 18.

511 PRADO 2004: 46f.

512 CALABRE 2003: 23.

513 CLARK, zit. in. ROCHA 2007: 95.

514 Ebd. 2007: 95f.

515 ROCHA 2007: 33; JAMBEIRO 2002: 96.

516 Ebd. 2007: 77;

517 CARVALHO 2004: 14, 56; MELO et. al. 1976: 50; ROCHA 2007: 47.

518 CALABRE 2005: 292, 296; TAVARES 1999: 55.

519 JAMBEIRO 2002: 56f.

520 Als Gegenargumente ließe sich hier anführen, dass auch Medienunternehmen bei der »Konfiguration einer Konsumgesellschaft« den »gesellschaftlichen Pflichten des Marktes« nachkommen würden (ROCHA 2007: 83). Weniger konstant, sondern als jüngeres Phänomen der Konstruktion von Anerkennungswürdigkeit seitens kommerzieller Rundfunkakteur_innen wird außerdem ein spezifisches (benthamsches) Konzept »sozialer Verantwortung« beschrieben (vgl. LIMA 2006: 147f).

521 PERUZZO 2004: 6.

522 Zu einer Kritik des kommerziellen Übergewichts im elektromagentischen Spektrum vgl. LUZ 2007: 37. Das Zitat stammt von CAVALCANTI JÚNIOR 2008: 7.

523 MACHADO et. al. 1988 : 18ff.

524 Vgl. CAVALCANTI JÚNIOR 2008: 173.

525 CABRAL et. al. 2008: 98.

526 Zu antisignifikations vgl. PFAFFENBERGER 1992: 303f. Das Zitat ist von MACHADO et. al. 1986 : 12.

527 Ebd. 1988: 18f.

528 Damit ist nicht gesagt, dass vor 1964 keine Zentralisierung der staatlichen Entscheidungsfindungen und eine zunahme der technologischen und inhaltlichen Kontrolle der (elektronischen) Medien in Brasilien zu beobachten wäre. Vgl. dazu ausführlich JAMBEIRO 2002: 70f.

529 CHATEAUBRIAND zit. in ROCHA 2007: 61f. Dokumentiert ist auch die direkte Intervention Chateaubriands, der die angekündigten Pläne das staatliche Rádio Nacional, einen Fernsehsender zu gründen massiv bekämpfte, um alle nicht-kommerzielle Konkurrenz vom TV-Sektor fernzuhalten (vgl. ebd. 2007: 49f).

530 CALABRE 2002: 50.

531 Zu repressiven Maßnahmen gegen Rádio Nacional vgl. ROCHA 2007: 51f: CALABRE 2005: 294 und zur allgemeinen Repression gegen Jounralist_innen LOYOLA 1974: 302; TAVARES 1999: 104.

532 Ebd. 2007: 48. Vgl. auch CALABRE 2002: 50.

533 CALABRE 2005: 294. Zur frühen Geschichte von Rádio Globo vgl. ebd. 289ff.

534 SIQUEIRA 1998: 58, 63.

535 JAMBEIRO 2002: 79, 87.

536 Ebd. 2002: 78.

537 Ebd. 2002: 75 Übersetzung N.B..

538 Ebd. 2002: 88.

539 Ebd. 2002: 78.

540 Ebd. 2002: 99 Vgl. auch ROCHA 2007: 52f.

541 Ebd.

542 CALABRE 2005: 296.

543 JAMBEIRO 2002:

544 Vgl. ROCHA 2007: 74; LAGO 1969: 42.

545 ROCHA 2007: 74f.

546 Vgl. JAMBEIRO 2002: 90ff.

547 Seitens der Programmacher_innen einer Mutterstation, bedeute die Organisation von Affiliationsnetzwerken die garantierte Übernahme ihrer Sendungen (mindestens 85%), den Zugang zu einem größeren Publikum und die zentrale Kontrolle der Werbeeinnahmen (Vgl. JAMBEIRO 2002: 109ff).

548 Vgl. ROCHA 2007: 75, 79. Zur Umsetzung der allgemeinen und Vorab-Zensur in TV und Radio vgl. das aufschlussreiche Handbuch für Zensoren Censura e Liberdade de Expressão (LOYOLA 1974).

549 JAMBEIRO 2002: 90f.

550 ROCHA 2007: 79, 73.

551 ROCHA 2007: 80.

552 Ebd.; CALABRE 2005: 297.

553 Ebd. 2005: 298. Bezeichnender Weise werden heute alle Aktivitäten des Unternehmens Organizações Globo im Print-, Radio- und TV-Sektor meist unter dem Namen Rede Globo zusammengefasst.

554 JAMBEIRO 2002: 75.

555 Neben der legalen Nichtoperationalisierung verfassungsrechtlicher Garantien ist auch die generelle Verlängerung der Rundfunkkonzessionen im Jahr 2008 um weitere 15 Jahre zu erwähnen, die ein demokratische Umverteilung der verfügbaren Frequenzen erschweren wird (Vgl. MORAES 2011: 105).

556 JAMBEIRO 2002: 76, 102. Entgegen der These ideologischer Neutralität, gibt es ebenso Arbeit, die enge und kontinuierliche personelle Kontakte zwischen dem Militärregime und Rede Globo herausarbeiten und letzteres als aktiven »Legitimationsagenten« charakterisieren (Vgl. DREYFUSS, in: LIMA 2006: 83f).

557 STRAUBHAAR, zit. In JAMBEIRO 2002: 81.

558 JAMBEIRO 2002: 40. 75, 76, 99, 101. Vgl. auch LIMA 2006: 83ff.

559 Ebd.

560 Ebd. 2006: 84f.

561 JAMBEIRO 2002: 141. Vgl. auch LIMA 2007: 2.

562 JAMBEIRO 2002: 73, 143.

563 LIMA 2006: 87.

564 Vgl. Carta Capital, LIMA, LUZ

565 Vgl. Lei 9612/98, Art. 16.

566 Siehe 15 Punkte der CONFECOM.

567 Inwiefern die regierende Arbeiterpartei diese Position stützt ist umstritten. Auch quantitativ kommen jüngere Untersuchungen zu konkrären Ergebnissen. Während bespielsweise die Verteilung öffentlicher Werbeaufträge an Rede Globo unter der Regierung von Dilma Rousseff wieder zugenommen hat vgl. http://www.cartacapital.com.br/destaques_carta_capital/o-ministro-dos-meios-de-comunicacao 30.05.2013), verweist die Regierung – diesen jüngeren Trend ignorierend – darauf, dass in der über zehnjährigen Regierungsperiode der Arbeiterpartei (PT) der Anteil von Rede Globo als Empfänger von Mitteln des staatlichen Werbeetats von 61% auf 44% zurückgegangen ist. (Vgl. http://www1.folha.uol.com.br/fsp/poder/105375-cai-fatia-da-globo-na-publicidade-federal.shtml 30.05.2013).

568 Vgl. LIMA Meinungsfreiheit gegen Kommunikationsfreiheit

569 ROCHA 2007: 80.

570 Es sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass weiterhin Übertragungen per AM und Kurzwelle gesendet und gehört werden, die sich auch angesichts der starken inhaltlichen Homogenität der FM-Netzwerke in ihrer Anerkennungswürdigkeit behaupten können.

571 An dieser Stelle sei ein methodologischer Kommentar gestattet. Sowohl die technikhistorischen Meileinsteine als auch das technologische Drama fallen konzeptuell ein Stück weit hinter den Anspruch der ANT zurück. Beiden Methoden hafftet ein latent evolutionäres und disjunktives Technologieverstädnndis an, das ich jedoch in Kauf nehme, da sie andererseits gut dazu geeinget sind, den heterogenen Bewegungen von Akteur_innen-Netzwerken eine historische Tiefe zu geben. Der analytische Preis dafür sind wiederum äußerst deskriptive Darstellungen, die ich in den kommenden Kapiteln vermeiden werde – auch Dank der beiden noch folgenden Theoriebaukästen, die helfen, das Setting analytisch weiter zu schärfen.

572 AKRICH 1987: 50.

573 AKRICH 2006 [1987]: 411.

574 Ebd.

575 ROSSLER 2008: 87.

576 Das Konzept des boundary objects ist daran interessiert »preconceived notions of control or contingency« zu vermeiden. »Attention is then directed to the ways in which they serve as media of mediation, negotiation and translation between the reciprocal expectations and requirements of many people or organizations (and especially of those who represent them, who are authorized to speak for them)« (JOERGES 1999: 424). 

577 ROSSLER 2008: 86.

578 BELLIGER et. al 2006: 39.

579 Ebd. 2006: 26ff. Der Verweis, des aus der Linguistik entliehenen Konzepts »zirkulierender Referenten«, unterstreicht das der ANT typische Denken aus der Mitte heraus, die sich sowohl Ursprünglichkeiten als auch evolutionären Denkweisen verschließt. Was Radio im Einzelnen und Medien im weiteren Sinne sind, wird damit nicht zu einer Frage des Entdeckens von Anfängen oder universellen Prinzipien. Vielmehr stellen sie die andauernde, soziale Übersetzungsleistung eines sprachlich-konzeptuell-praktischen Bezugs (Referent) dar, den es seitens der Forschenden empirisch zu erfassen gilt (vgl. dazu auch 3.6.).In Bezug auf Übersetzungen möchte ich hier erwähnen, dass diese nicht etwa nur zwischen den einzelnen analytischen Phasen bzw. bei der Realisierung von Skripten stattfinden. Vielmehr bestimmen Übersetzungen den Handlungsbegriff von ANT im weitesten Sinne, da sie Veränderungen und damit Beobachtungen möglich machen. In Bezug auf die Phase der Inskriptionen heißt es beispielsweise, dass die darin artikulierten Einschreibungen »all jene Transformationen [beschreiben], durch die eine Entität in einem Zeichen, einem Archiv, einem Dokument, einem Papier, einer Spur materialisiert wird. In der Regel, wenn auch nicht immer, sind Inskriptionen zweidimensional, überlagerbar und kombinierbar. Immer sind sie mobil [...] während sie gleichzeitig einige Typen von Relationen unverändert lassen« (ROSSLER 2008: 93).

580 Ebd. 2006: 40.

581 Ebd. 2006: 42.

582 Oftmals werden die komplexen Delegationen der Akteur_innennetzwerke in der Literatur zu stark auf einen  »Merkmalsaustausch zwischen Menschen und Dingen« (NITSCH 2008: 229) reduziert, oder alleinig als »Auslagerung menschlicher Handlungsprogramme in nicht-menschliche Wesen« (ebd: 222). Diese Sichtweise reproduziert jedoch auf problematische Weise die Dichotomie von Menschen und Nicht-Menschen und verklärt letztere implizit immer zum Ausgangspunkt aller stattfinden Delegationen. Auch die reziproke Spielart dieser Sichtweise kann daran nichts ändern. Wenn es heißt: »[w]e delegate to technologies the work of many humans. Then, technologie delegate back«. (CRESSMAN 2009: 10), dann bleibt die anthropozentristische bias erhalten. Delegation sollte deshalb besser als der Austausch von Handlungsprogrammen zwischen heterogenen Entitäten konzipiert werden, die nicht disjuntiv nach menschlich oder nicht-menschlich geordnet werden, sondern den Blick auf Delegationen erkenntnistheoretisch (und pragmatisch) an die Forschungsfrage koppeln.

583 BELLIGER et. Al 2006: 18. Gesellschaftliche Stabilisierung, die über den Augenblick hinausreicht und auch an nicht-lebende Akteur_innen delegiert werden kann, wird innerhalb der ANT teilweise auch als entscheidendes Merkmal von Sozität definiert, da damit Assoziationen ins Spiel gebracht werden, »that last longer than the interactions that formed them« (CALLON et. al. 1981: 283).

584 Ebd. 2006: 26ff. Vgl. auch SCHÜTTPELZ 2008: 248. Die damit eng verwandten infralinguistischen Begriffe der immutable mobiles bzw. travelling cultures operationalisiere ich für die weitere Arbeit nicht (vgl. dazu THIELMANN 2008: 199). Auch wenn sie dabei helfen, black boxes im Rahmen der ANT weiter zu spezifizieren und auf ihren Bahnen verfolgen zu können, ist die Forschungsfrage ja weniger am »Export« unabhängigen Radiomachens interessiert und nimmt diese in ihrer Zirkulation eben nicht in ihrer Unveränderlichkeit sondern vielmehr ihren ständigen Modifikationen ins Auge.

585 BELLIGER et. Al 2006: 44.

586 Die erste sogenannte »Verfassung des Imperiums« stammt aus dem Jahr 1824 und formulierte zumindest in formeller Hinsicht überraschend breite Garantien der Meinungs- und Pressefreiheit (vgl. SARAVIA 2008: 62). Die zweite Konstitution Brasiliens ist die erste republikanische, die folgende von 1934 schreibt diese Tradition fort und hatte vor allem zum Ziel, die durch einen Militärputsch an die Macht gekommen Getulio Vargas in seinem Aktionsradios zu beschränken (vgl. NETO 2002: 38f; JAMBEIRO 2002: 126f).

587 Ebd. 2002: 130.

588 Vgl. Constituição dos Estados Unidos do Brasil de 18 de Setembro 1946, Art. 147.  http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/constituicao/constitui%C3%A7ao46.htm (08.05.2013).

589 JAMBEIRO 2002: 136.

590 Vgl. Constituição da República Federativa do Brasil de 1988, Art. 5 XXIII,  http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/constituicao/constituicao.htm (08.05.2013). Vgl. auch CRUZ BRITTOS et. al 2008: 85.

591 591Vgl. Constituição da República Federativa do Brasil de 1988, Art. 5 VIII, IX, Art 223. Kommentierend dazu: LIMA 2006: 60, 100, 119, 173.

592 Vgl. JAMBEIRO 2002: 52.

593 Vgl. CAVALCANTI 2008: 169.

594 Vgl. JAMBEIRO 2002: 87.

595 Vgl. LIMA zit. In ebd. 2002: 71.

596 Vgl. PIERANTI 2002: 140.

597 Ebd. 2008: 135.

598 NETO 2002: 144.

599 Vgl. Ebd. 2002: 33; SILVEIRA 2001: 134.

600 Vgl. LUZ 2007: 5. An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass der universelle Anspruch des Rechts auf Kommunikation als eine fundamentale Referenz für den Kampf um die Demokratisierung des [Medien]Sektors nie in menschenrechtliche Abkommen aufgenommen wurde, dafür jedoch kürzlich in Verfassungstexten aufgetaucht ist. (vgl. INTERVOZES 2010).

601 Vgl. NETO 2002: 31, 32, 102. In das Recht auf Kommunikation bzw. Auf Antenne, die in beiden Fällen einen universellen Regulierungsanspruch unterlaufen, deutet sich bereits deren Relevanz für Freie Radios an, die sich gegen eine Legalisierung unter dem konsanten »Regulierungszwang« organisieren.

602 Vgl. dazu auch NETO NETO 2002: 32; LIMA 2007: 5; JAMBEIRO 2002: 59, 68ff.

603 Vgl. SÔLHA 2010: 220f.

604 LIMA 2007: 3.

605 BRASIL 1972: 136f.

606 Código Brasileiro de Telecomunicação (Lei 4.117)1962, http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/leis/L4117Compilada.htm (08.05.2013).

607 Lei Geral das Telecomunicações (Lei  9472) 1997,http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/leis/l9472.htm, Lei de Radiodifusão Comunitária (Lei 9.612/98) 1998, http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/leis/l9612.htm. Hinzukommen zwei weitere Gesetze, die eine Reformulierung von Lei 9612 (Lei 10.597, 2002, que dá nova redação à Lei 9.612/98, de 1998 http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/leis/2002/L10597.htm) und die Regulierung administrativer Prozesse der öffentlichen Verwaltung auf Bundesebene (Lei 9.684, de 1999, http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/leis/L9784.htm) betreffen (Alle 08.05.2013).

608 Vgl. CRUZ BRITTOS et. al. 2008: 72, 83. Vgl. auch CABRAL et. al. 2008: 91.

609 Vgl. CNC 1962, Art. 70 bzw.  Lei 9.472, Art. 183.

610 Vgl. NETO 2002: 152f.

611 Vgl. Lei 9612/98,Art. 22, Art. 16.

612 Vgl. Lei 9612/98,  Art. 1º § 1º; LUZ 2004: 15, 22.

613 Vgl. Lei 9612/98 Art. 1º § 2º,  Art. 5º, bzw. LIMA 2006: 16.

614 Vgl. Art. 18, Art. 21.

615 MALERBA 2012. http://www.observatoriodaimprensa.com.br/news/view/_ed712_panorama_da_situacao_legal_na_america_sul (08.05.2013). Von einer »Strategie des Ausschlusses« spricht auch: LIMA 2006: 17. Zusätzlich möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal auf spezfische Einwände verweisen, die die Verfassungskonformität von Lei 9612/98 herausfordern. Dazu gehört erneut die nicht beantwortet Frage, wie sich ComRads zur veranschlagten Komplementarität verhalten, sowie die  »Freiheit journalistischer Information «, die in Art. 220 fordert, dass  »kein Dispositiv « (und dazu lässt sich das ComRad-Gesetz zählen)  »die Freiheit journalistischer Information in jedwedem Mittel sozialer Kommunikation « (und dazu zählen auch ComRads) einschränken dürfe.

616 SIQUEIRA 1993: 8.

617 LATTMAN-WELTMAN 2008: 44.

618 SÔLHA 2010:221.

619 MACHADO et. al. 1986: 20, 77, 118. Vgl. zu dieser Position auch LUZ 2006: 40, der etwas zu pauschal urteilt, Freie Radios würden überhaupt keine Legalisierung anstreben und dabei übersieht, inwiefern Gesetze auch zu einer weniger strikten Regulierung beitragen könnten.

620 NETO 2002: 34.

621 Ebd. 2002: 139: LUZ 2004: 16.

622 CANELA 2008: 152f, 155.

623 Für eine einführende Übersicht vgl. JAMBEIRO 2004: 52ff. Zu spezifischen zensierenden Dekreten vor und während der Militärdikatur vgl. LOYOLA 1974: 257. Zu Dekreten und Erlässen vor 1962 vgl. auch CANELA 2008: 154; CARVALHO 2004: 20.

624 Prägnante Beispiele für diese Politik sind die Gesetzesverordnung 236 von 1967, die das Lei 4.117 von 1962 komplementiert, unter anderem bezüglich der Definition von Aktivitäten, die als »Missbrauch bei der Ausübung der Freiheit im Rundfunk« gewertet werden (vgl. http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/decreto-lei/del0236.htm 14.05.2013). Ein_e weiterhin gültige_r und einflussreiche_r Akteur_in ist Dekret 52.795 von 1963 dass wichtige Konzepte und technische Klassifizierungen der Rundfunkregulierung einführte (vgl. http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/decreto/Antigos/D52795.htm 14.05.2013). Eine wichtige Übergangsreglung stellt die Medida Provisória 2143-32 aus dem Jahr 2001 dar, die auf provisorischer Ebene die Verlängerung aller bestehenden Rundfunklizenzen garantierte, bis sie im Jahr 2008 von einer Gesetzesinitiative der Regierung unter Ignacio Lula da Silva (Lei 11.655 ) um weitere 15 Jahre verlängert wurden (vgl. http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/mpv/Antigas_2001/2143-32.htm; http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/_Ato2007-2010/2008/Lei/L11655.htm Beide zuletzt besucht am 14.05.2013; Vgl. dazu auch MORAES 2011: 105). Ein Beispiel für einen aktuell bedeutsamer Erlass ist Portaria 462 von 2012, die wesentlichen Charakteristiken für den digitalen Rundfunk in Brasilien definiert (vgl. http://www.mc.gov.br/acoes-e-programas/radio-digital/273-lex/portarias/26087-portaria-n-462-de-12-de-novembro-de-2012 Zuletzt besucht am 14.05.2013).

625 Das erste spezfische Dekret (Decreto 2.615) verabschiedete 1998 die gesetzlichen Vorschriften des Community Rundfunks (vgl.http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/decreto/D2615.htm 14.05.2013). Die Medida Provisória 2143-33 aus dem Jahr 2001, betraf eine Überarbeitung des Lei 9.612/98/98 (vgl. http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/mpv/Antigas_2001/2143-33.htm 14.05.2013). Die beiden Normenkataloge aus dem Jahr 1998 und 2004 kompletieren und korrigieren zum Teil unscharfe Begrifflichkeiten (vgl. Norma Complementar do Serviço de Radiodifusão Comunitária no. 02/98 http://www.teleflash.com.br/lei10.htm; Norma Complementar no 1/2004 http://www.cefuria.org.br/doc/normacomplementar_01_2004.pdf 14.05.2013). Von den Erlässen sind neben der ersten Portaria (nº 191) aus dem Jahr 1998, die den komplementären Normenkatalgo n° 02/98 verabschiedet (vgl. http://www.mc.gov.br/acoes-e-programas/redes-digitais-da-cidadania/273-lex/portarias/21826-portaria-n-191-de-06-de-agosto-de-1998 14.05.2013) vor allem ein Erlass aus dem Jahr 2011 (Portaria 462) zu erwähnen, der die Regulierung der ComRads weiter konkretisierte und auf den ich noch genauer eingehen werde (vgl. http://www.mc.gov.br/index.php? option=com_mtree&task=att_download&link_id=99&cf_id="24" 14.05.2013).  Weitere wichtige Erlässe sind: Portaria 83 von 1999, die die Neuformulierung komplementärer Normen betrifft (vgl. http://www.mc.gov.br/o-ministerio/273-lex/portarias/21828-portaria-n-83-de-19-de-julho-de-1999 14.05.2013), Portaria 83 von 2003 die eine Arbeitsgruppe zur Regulierung der ComRads gründete (vgl. http://www.mc.gov.br/acoes-e-programas/redes-digitais-da-cidadania/273-lex/portarias/21831-portaria-no-83-de-24-de-marco-de-2003 14.05.2013), sowie die Erlässe 131 und 244 aus dem Jahr 2001 die die praktische Aufnahme von Community Radioübertragungen einleiten und zugehörige Übergangsreglungen verabschieden (vgl. Portaria 131, http://radiodifusaoenegocios.com.br/normas/radio-comunitaria-radcom/portaria-mc-131-de-19-03-2001/133 Zuletzt besucht am 14.05.2013; Portaria 244, http://www.anatel.gov.br/hotsites/Direito_Telecomunicacoes/TextoIntegral/NOR/prt/minicom_20010508_244.pdf  14.05.2013).

626 Vgl. LIMA 2007: 31ff.

627 Ebd. 2007: 39.

628 Vgl.  http://www.direitoacomunicacao.org.br/content.php?option=com_content&task=view&id="9596" 14.05.2013.

629 Ebd.

630 »Apoio cultural - É a forma de patrocínio limitada à divulgação de mensagens institucionais para pagamento dos custos relativos à transmissão da programação ou de um programa específico, em que não podem ser propagados bens, produtos, preços, condições de pagamento, ofertas, vantagens e serviços que, por si só, promovam a pessoa jurídica patrocinadora, sendo permitida a veiculação do nome, endereços físico e eletrônico e telefone do patrocinador situado na área de execução do serviço.« (vgl. http://www.mc.gov.br/index.php?option=com_mtree&task=att_download&link_id=126&cf_id=24  Zuletzt besucht am 14.05.2013).

631 MACHADO et. al. 1986: 17.

632 JAMBEIRO 2004: 84.

633 NETO 2002: 96f

634 MEIREILLES zit. In Ebd. 2002: 97f.

635 Ebd. 2002: 80.

636 Ebd. 2002: 23f.

637 Vgl. http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/_Ato2007-2010/2010/Dnn/Dnn12700.htm 14.05.2013.

638 Vgl. http://www1.folha.uol.com.br/fsp/poder/99846-proposta-de-regular-midia-nao-vira-do-governo-diz-presidente-do-pt.shtml 14.05.2013.

639 HAZLETT 2001: 20.

640 Vgl. LOYOLA 1974: 27f; JAMBEIRO 2004: 83.

641 Vgl. zur exemplarischen, langewährenden Kooperation der brasiliansichen Journalisitengewerkschaft mit dem Regime der militärisch-zivilen Diktatur: DANTAS 2012: 76. Eine noch aktiver Kooperation stellt der Fall des bereits besprochenen Medienunternehmens Rede Globo dar.  Zu individuellen (z.B. Rückzug auf journalistische Faktizität) oder redaktionellen Praktiken (z.B. Schweige-Pinnwand mit allen Tabuthemen) vgl. ebenfalls DANTAS 2012: 95, 63.

642 Ebd. 2012: 115.

643 Vgl. http://www.fenaj.org.br/materia.php?id="3736" 15.05.2013.

644 Vgl. LIMA 2006: 17.

645 Vgl. MELO 1976: 13, LUZ 2007: 42.

646 So erschöpft sich die Schilderung der Überwachung von Radio Totó, einem Freien Radio Sao Paulos aus den 1980er Jahren in der irnosierten Erwähnung des »Wägelchens« der damaligen Regulierungsbehörde DENTEL vor dem Sitz des Senders (vgl. MACHADO et. al. 1986: 49).

647 LIMA 2007.

648 Daran hat sich auch nach Einführung der nationalen Genehmigungspläne nur graduell etwas verändert. Transparent ist jetzt eine Frist, bis zu der in allen Regionen des Landes Ausschreibungen erfolgt haben sollen. Dennoch bleibt die Öffnung des Zugangs zum Spektrum einseitig in Händen der Regulierenden, ohne dass die Bevölkerung direkt an der Aushandlung dieser Pläne beteiligt wäre.

649 Vgl. LIMA 2007: 5, 26.

650 Vgl. Ebd. 2007: 26.

651 Vgl. Ebd. 2007: 48f.

652 Vgl. Ebd. 2007: 9, 155.

653 Vgl. Ebd. 2007: 2f. Zur historischen Dimension vgl. LEAL 1980.

654 Vgl. Ebd. 2007: 26f.

655 Vgl. Ebd. 2007: 49f.

656 CANELA 2008: 151.

657 Vgl. LUZ 2004: 6; LEMOS SOLHA 2010: 211.

658 SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 112f.

659 ROSSLER 2008: 77.

660 SCHÜTTPELZ 2008: 237.

661 In eben diesem Vorgehen sieht Latour auch den Horizont und die Relevanz von ANT-Studien, da diese es schaffen »ensamblar lo colectivo, es decir, darle una arena, un foro, un espacio, una representación a través del medio muy modesto de algún informe arriesgado, que la mayoría de las veces es una intervención frágil consistente sólo de texto« (LATOUR 2008: 357).

662 KÜNZLER 2009: 33.

663 SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 147. Vgl. auch LATOUR 2008: 60.

664 Ebd. 2008: 148.

665 SCOTT 1990.

666 Ein wesentlicher Unterschied zwischen Skript und transcript liegt hingegen darin, dass letzteres »almost in its juridical sense (procès verbal) of a complete record of what was said« gebraucht wird (SCOTT 1990: 2). Analytisch grenzte Scott damit pragmatisch seinen empirischen Zugang (literarische Diskursfragmente) ein, als unveränderbare konzeptuelle Ränder. Im Rahmen der Forschungsfrage erweitere ich deshalb das Verständnis von transcripts auch auf alles was zwischen unterschiedlichen Entitäten getan wird und nähere transcripts methodisch den rekonstruierten Operationsketten an.

667 Das ungekürzte Zitat etabliert einen engen Fokus auf dominante und subordinierte Akteur_innen. Ohne das darin angedeutet Erkenntnisinteresse an gesellschaftlichen Machtverhältnissen aufzugeben, vermeide ich für die Arbeit ganz im Sinne der ANT jedoch eine a priori Unterscheidung von starken und schwachen Akteur_innen. Vielmehr gehe ich davon aus, wie dies auch Scott in seinen Arbeiten wiederholt anspricht, dass sowohl dominante als auch dominierte Akteur_innen aus taktischen Gründen nicht immer alles öffentlich sagen können.

668 SCOTT 1990: 111.

669 LATOUR 1991: 129 zit. in SCHULZ-SCHAEFFER 2008: 147.

 

Endnoten Kap. 3

1 Denn einer bestimmten Zahl konstitutiver Entitäten innerhalb eines fraktalen Netzwerks zu folgen, heißt immer auch eine Auswahl treffen und diese sollte begründet und sichtbar gemacht werden.

2 Vgl. dazu die verschiedenen Vorschläge Latours, von denen hier die »zweite Lösung« ausgewählt wurde (LATOUR 2008:118f).

3 Auch wenn ANT-Studien ihrem Anspruch nach die disjuntive Trennung Levy-Strauss zwischen bricoleur und ingénieur aufheben (vgl. NIETSCH 2008: 227), lässt sich dennoch bemängeln, dass die meisten empirischen Analysen ihr Interesse auf »professionelle« Wissenschaftler, Ingenieure und Regierungsinstitutionen beschränken (vgl. CRESSMAN 2009: 7, SCHÜTTPELZ 2008: 241).

4 Vgl. http://proconferencia.org.br/a-conferencia/resolucao-1-de-10-de-setembro-de-2009/ (12.12.2011.). http://www.direitoacomunicacao.org.br/blogconfecom/confecom-aprova-resolucoes-importantes-para-as-organizacoes-sociais/ (12.12.2011.).

5 Diese Zahlenangaben von ABRAÇO lassen sich, über die Interviews mit José Sôter und Joaquím Carvalho hinaus, nicht durch weitere Quellen belegen.

6 Diese Angaben entstammen dem Interview mit João Paulo Malerba und stimmen mit den, in der von AMARC ALC herausgegebenen Zeitschrift Cara y Señal, überein.

 AMARC aber auch ABRAÇO waren zudem in der Bewegung Pró-Conferência vertreten, einem breiten Bündnis welches maßgeblich daran beteiligt war, dass die Konferenz überhaupt zustande kam. Vgl. http://proconferencia.org.br/quem-somos/ (12.12.2011).

7 Auf einer Liste, die mir Jerry de Oliveira von ABRAÇO-SP in Kopie übergeben hat, waren namentlich 102 Radios vermerkt.

8 »Wir haben heute 527 Radios in unserer Datenbank. Mit denen arbeiten wir mehr oder weniger direkt zusammen, hier im Bundesstaat von Rio und der Stadt« (Interview Carlos Rocha).

9 Damit meine ich explizit Produzent_innen radialer Inskriptionen, im Sinne modellhafter ComRad-Beschreibungen (Siehe auch Kap. 2.2.2.4).

10 Dieser Vorsitz wurde im zweiten Artikel des Präsidialdekrets vom 16.04.2009 festgelegt. Vgl. http://proconferencia.org.br/a-conferencia/decreto/ (12.12.2011).

11 Diese Hoffnung hegte jedenfalls der Poltikwissenschaftler Sergio Amadeu da Silva vor Beginn der CNC. Vgl. http://samadeu.blogspot.com/2009/02/conferencia-nacional-das-comunicacoes.html (2.12.2011.). Zur Gründung des Netzwerks RIZOMA vgl. die Website http://www.radiolivre.org/ (13.03.2014) oder das Fanzine RadioZineFônica.

12 Interview Sergio Gomés, Oboré.

13 Im Interview vom 19.03.2011 räumt Carlos Rocha, der von Beginn an das FDC leitet, ein, dass diese Zahlen konjunkturell stark schwanken. Außerdem ist festzuhalten, dass es sich beim FDC eigentlich um einen »Fantasienamen« handelt, wie Rocha 2011 in einem mir vorliegenden Projektantrag einräumt, denn eigentlich ist der Verband seit 1996 unter dem Titel »Brasilianischer Verein für Freie und Community Radios und TVs« registriert.

14 Zum Konzept der silent actors vgl. CLARKE 2005. Programmatisch ist damit vor allem der Anspruch umschrieben, zusätzliche empirische Strategien zu entwickeln, um nicht einer impliziten Gleichsetzung von sichtbar und bedeutsam zu erliegen.

15 LATOUR 2008: 348.

16 Interviewt wurden für dieses Kapitel hauptsächlich: von ABRAÇO Joaquím Carvalho und José Sôter; von ABRAÇO-SP Jerry de Oliveira; von AMARC Brasil Sofia Hammoe, Tais Ladeira, João Paulo Malerba, Arthur William, Andreas Behn; von VIVA RIO Tião Santos; von FDC Carlos Rocha; von Oboré Sérgio Gomes; von RIZOMA Rafael, Dani, Samu, Juliano, Julinha, Thiago; vom Kommunikationsministerium Octavio Pieranti und von ANATEL Vanessa Gomes und Carlos Melo. Die Mitwirkenden von RIZOMA werden jeweils nur mit Vornamen genannt, um sie vor etwaigen strafrechtlichen Verfolgungen zu schützen.

17 Zitat aus Interview mit Octavio Pieranti, MiniCom. Der im Artikel V der brasilianischen Verfassung aufgenommene Auszug aus dem Pakt von San José findet sich dort im Artikel 13.

18 Interview mit Jerry de Oliveira.

19 Interview João Paulo Malerba, AMARC Brasil

20 Erstaunlich ist, dass die Interviewten in ihren Erzählungen die eigenen Generalisierungen immer wieder selbst unterlaufen. »Viele Segmente sind an der Debatte beteiligt in ganz Brasilien, und es fanden die zusammen die sich mit Radio auseinandersetzten. Das waren fragmentierte Erfahrungen, die Studien zu rádio popular anstellten und sich auf Plätzen und Festen installierten, die rádios livres, die individuelle Radios aufbauten und nach ihrem Geschmack Programm machten, die Piratenradios, die mit politischem Profil, die Frequenzen besetzen und andere störten, um politische Nachrichten gegen die Diktatur zu senden« (Interview José Sôter, ABRAÇO).

 Zu den Landlosen äußerst sich VIVA RIO wie folgt: »Ich bin in der Bewegung für die Demokratisierung der Kommunikation seit 1986 aktiv, seit wir an einem demokratischeren Verfassungsentwurf mitarbeiteten, der 1988 eingebracht wurde. Wir bemerkten schon damals, dass die Frage der Kommunikation vital für Brasilien seien würde. In der Bewegung gab es eine große Organisation namens UDR, União Democrática Ruralista, die dafür kämpften, dass es bezüglich Landfragen und der Agrarreform in der Verfassung keine entscheidenden Vorstöße geben würde. Aber die Lobby der Unternehmer im Kommunikationssektor war noch viel stärker, um Fortschritte im konstitutionellen Kapitel das die Kommunikation betraf zu verhindern. Wir sahen schon zu dieser zeit, dass der Kampf nicht einfach seien würde und ab 1989 fingen wir dann eigenständiger mit der Schaffung eines Forums für die Demokratisierung der Kommunikation in Brasilien an« (Interview Tião Santos, VIVA RIO).

21 Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO.

21 Vgl. ROCHA 1995:39.

22 Auch hier muss ich, der Genauigkeit halber, erneut das Kommunikationsministerium und ANATEL ausklammern, da diese in der unkontrollierten Ausbreitung nicht-genehmigter Radiosender eher eine Gefahr sehen.

23 Auf dem Seminar »Espectro Sociedade Comunicação« an der Staatlichen Universität Campinas (Unicamp) am 01.12.2012 erinnert sich der damalige Freie Radiomacher DJ Palão an einen Senderkauf in São Paulo zurück. »Ich musste einen gewissen Rocha von einem öffentlichen Telefon aus zu einer bestimmten Uhrzeit auf einem anderen öffentlichen Telefon aus anrufen, um Preis und Ort der Übergabe auszumachen. Man musste vorsichtig sein, die Strafen für nicht-lizenziertes Radiomachen waren zu dieser Zeit sehr hart.«

24 Vgl. Kap. 3.3.1.2. Eine weitere erfolgreiche Strategie scheinen bereits zu diesem Zeitpunkt auch evangelikale Gruppen zu organisieren, die in den Erinnerungen Rochas jedoch nicht über eine verallgemeinernde Übertragung der Weberschen These der Protestantischen Arbeitsmoral auf evangelikale Freikirchen hinaus beschrieben wird: »Das war ein push, ein gesellschaftlicher Übergang vom Katholizismus hin zum evangelikalen Pfingstlertum (pentacostalismo). Die Evangelikalen haben die Macht der Kommunikation mit als erste verstanden.«

25 Überzeugter Anhänger der broken-radio-Strategie ist (zumindest im Interview) bis heute Jerry de Oliveira von ABRAÇO-SP: »Wenn heute eines unserer Radios geschlossen wird, gehen wir bereits morgen wieder auf Sendung. Für jedes geschlossene Radio machen wir bis zu zehn neue auf. Als unser Radio in Boavista [ein peripheres Viertel von Campinas, N.B] geschlossen wurde, stellten die Moderatoren und Mitarbeiter vier neue Radios auf die Beine.«

26 Die Aussage des hier zitierten Carlos Rocha wird gestützt von den Berichten eines der damals beteiligten Richter (vgl. SILVEIRA 2001). Auch Denise Viola, die heute dem Frauennetzwerk von AMARC Brasil angehört, beschreibt diese Jahreszahl als wichtigen Wendepunkt. »Die massenhafte Existenz radialer Kommunikationsmittel belegt die Fähigkeit von Organisationen und einzelnen Bürgerinnen sich auf eine bestimmte Art und Weise zusammenzuschließen, um ihr Recht auf Kommunikation auszuüben. Der in die Verfassung aufgenommen Artikel XIII des Pakts von San José ließ sich nun vom Staat als Bringschuld einfordern«

27 Zur Gründung von AMARC und ABRAÇO vgl. Kapitel 3.2.1) Die brasilianische Vertretung von AMARC war Gründungsmitglied von ABRAÇO (Interview Tais Ladeira, AMARC Brasil).

28 Eine parallele Strategie wurde eine Zeit lang von einer Gruppe um Carlos Rocha in São Paulo verfolgt. Diese Bestand darin, den damaligen brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso davon zu überzeugen, die legale Anerkennung von Community Radios in Form eines Präsidialdekrets zu sichern. Als diese Pläne  nicht fruchteten, habe er schließlich maßgeblich an einem Gesetzesentwurf mitgeschrieben, der nach nur 18 Monaten Gesetz wurde (Interview Carlos Rocha, FDC).

29 Ein Fanzine des heutigen Freie-Radio-Netzwerk RIZOMA fasst die damalige Entwicklung bspw. so zusammen: »In den 80ern gab es eine starke Bewegung Freier Radios, die dann nachträglich von ComRads absorbiert wurde.«

30 Interview Juliano, RIZOMA.

31 Interview Tais Ladeira, AMARC Brasil.

32 José Sôter, der nach eigenen Aussagen damals an den Verhandlungen beteiligt war, beschreibt den zustande gekommenen Kompromiss so: »Wir hatten anfangs Community Radios mit einer Sendestärke von 300 Watt vorgesehen. Aber wir verloren die Verhandlungen, und mussten uns am Ende mit 25 Watt begnügen. Wir gewannen aber auch, weil die Regierung anfangs nur ein Watt Sendestärke zulassen wollte« (Interview José Sôter, ABRAÇO).

33 Tião Santos teilt diese Ansicht, wenn auch mit einigen wichtigen Einschränkungen: »Ich denke wir haben nicht einfach für die Legalisierung um der Legalisierung Willen gekämpft, sondern weil sie ein Recht garantieren sollte. Leider repräsentiert das Gesetz bis heute nicht das was ComRads als ihr Recht einfordern, sondern bringt einen historischen Prozess, ein spezifisches Kräfteverhältnis zum Ausdruck. Das Gesetz war das damals Erreichbare aber der Kampf um eine bessere Gesetzgebung geht seitdem weiter, damit sie irgendwann den Interessen der ComRads gerecht wird« (Interview Tião Santos, VIVA RIO).

34 Die beiden ersten Zitate sind von Tais Ladeira, das letzte Zitat von Carlos Rocha.

35 Rocha behauptet in diesem Zusammenhang, ABRAÇO sei »bis heute im inoffiziellen Organigramm der PT als Parteiorgan aufgeführt« (Interview Carlos Rocha, FDC). Ob es ein oder solche Organigramme tatsächlich gibt, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.

36 Der FDC spricht von historischer Korruption und behauptet, ABRAÇO sei im ersten Jahr nach Amtsantritt von Präsident Ignacio Lula da Silva in die Veruntreuung von einer Million Reales involviert gewesen, die die PT eigentlich zum Aufbau eines 4.000 Stationen umfassenden regierungstreuen ComRad-Netzwerks gezahlt habe (Interview Carlos Rocha, FDC). 

37 Implizit negiert Pieranti (analog zur Kontroverse, ob freie Meinungsäußerung eine Reaktion auf die brasilianische Verfassung gewesen sei, oder dieser voraus ging) auch alles organisierte Radiomachen vor Verabschiedung von Lei 9.612/98, denn geschaffen wurde dieses ja gerade deshalb, damit ein bestimmtes Segment, das aus organisatorischen oder finanziellen Gründen nie die Möglichkeit hatte, den staatlichen Rundfunkdienst zu nutzen, nun Community Radio machen konnte« (Interview Octavio Pieranti).

38 Vgl. zu den Zitaten im vorherigen Satz im Gesetz Lei 9.612/98:  Kap. 3 Art. 9, Kap. 2 Art. 8 II, §2. Zur weiteren Definition kommunikativer Bedürfnisse vgl. Art. 3 I-V.

39 Das erste Zitat ist von José Sôter, das zweite von Joaquim Carvalho, beide ABRAÇO.

40 Gemeint ist hier nicht die Zulassung mehrerer empfangbarer Kanäle, in einer geographisch identischen Community, sondern die Zulassung mehrerer Sender, in geographisch besonders großen Territorien, in denen bisher Radiosender mit maximal 25 Watt nicht überall zu empfangen sind.

41 Die ersten beiden Zitate stammen von Sofia Hammoe, das letzte aus dem AMARC-Kalender 2010.

42 Mehr noch, in seiner jetztigen Form beeinflusse das ComRad-Gesetz die Radiolandschaft auf negative Weise, sagt Tais Ladeira: »Wenn ein Sturkopf daher kommt und behauptet, ohne das aktuelle Gesetz würde jeder zweite eine falsche Fassade aufziehen und sich ComRad nennen, dann sage ich, das gibt es längst. Und diese Praxis wurde maßgeblich vom Gesetz geschaffen. Die meisten regulierten ComRads gehören heute Politiker_innen, Kirchen, gehören Unternehmer_innen oder übertragen die Inhalte kommerzieller Sender« (Interview Tais Ladeira, AMARC Brasil)

43 Mit »Zettel« ist die ministerielle Genehmigung gemeint, die viele ComRads tatsächlich an die Kabinenwand pinnen. Dies, so berichten die Radiomachenden, geschehe auch um die Legalität des Senders zu unterstreichen, sowohl gegenüber der community aber auch gegenüber einem möglichen Besuch der Regulierungsbehörde oder der Bundespolizei.

44 Innerhalb dieses Modells lässt sich sicherlich auch am ehesten die Position von VIVA RIO lagern. Dennoch vermeidet es Tião Santos im Interview explizit eine allgemeine Inskription zu formulieren. Als NGO habe VIVA RIO keinen Anspruch darauf, ein eigenes normatives Modell zu artikulieren oder ComRads zu repräsentieren. »Wir wollen die Radiobewegung unterstützen und nicht die Organisationen ersetzen, die die ComRads repräsentieren« (ebd).

45 Als eine Einführung zur Idee »negativer Medientheorien« vgl. MERSCH 2008.

46 Die Nähe zu BIFO und GUATTARI ist nicht verwunderlich. Denn Freie Radios stilisieren sich teilweise auch als konzeptuelle Erben der Freien Radios in Europa.

47 Das erste Zitat stammt von Juliano, das zweite von Rafael, das dritte von Julinha (alle RIZOMA). Das folgende Zitat stammt erneut von Juliano.

48 Im Interview führt Thiago von RIZOMA diesen Punkt wie folgt aus: »Freie Radios artikulieren eine Subversion der Idee des Öffentlichen, als einen spezifischen Ort, als etwas Gemachtes und als eine Repräsentation des Staates. Denn diese Vorstellung ist total falsch. Ein öffentliches Radio ist nur öffentlich wenn es auch offen für sein Publikum (publico) ist. Freie Radios sind in diesem Sinne vielmehr öffentliche Radios als andere Modelle« (ebd).

49 FAN1:12:

50 Die im Gesetze eingeschriebenen Bedürfnisse sind in Art. 3 I-V festgehalten und lassen sich wie folgt zusammenfassen: I. Diffusion von Ideen, Kultur, Traditionen; II. edukative und integrative Mechanismen gewährleisten; III. Dienstleistungen von öffentlichem Nutzen bereitstellen; IV. zur Perfektionierung der journalistischen Arbeit beitragen und V. die Weiterbildung der Bürger_innen und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung sichern.

51 Der Begriff des Rechts auf Kommunikation steht in enger Tradition zum McBride-Report.

52 Die konkreten Anschuldigungen beinhalten im Einzelnen den von RIZOMA-Mitwirkenden gemachten Vorwurf, ABRAÇO sei eine mafiöse und machistische Organisation (Interview Rafael). AMARC Brasil muss sich von eigenen Mitgliedern wiederum den Vorwurf gefallen lassen, ihre lokalen Vertretungen nicht angemessen wahrzunehmen und Macht zu zentralisieren (Interview mit Sérgio Gomes, Oboré). Zugleich wird der Organisation vorgeworfen an einem »Putschversuch« gegen den amtierenden Präsidenten von ABRAÇO beteiligt gewesen zu sein (Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO). AMARC Brasil wiederum kritisiert ABRAÇO dafür, ihren Mitgliedern mit dem Ausschluss zu drohen, falls diese auch Mitglieder von AMARC Brasil werden sollten (Interview Arthur William, AMARC). Außerdem habe ABRAÇO wiederholt mit einer feindlichen Übernahme gedroht (Interview Andreas Behn, AMARC). Des weiteren sabotiere ABRAÇO wegen seiner Nähe zur PT jegliche Zusammenarbeit zwischen den network builers, um die Entstehung einer starken, parteiunabhängigen Bewegung zu verhindern (Interview Arthur William, AMARC). Als diesen Debatten erhaben präsentiert sich wiederum Carlos Rocha vom FDC gemeinsam mit »Tião Santos und Luiz Carlos Vergara als einzige legitime Repräsentanten der brasilianischen Community Radios« (Interview Carlos Rocha). Dieser Anspruch wird ihm ebenso vehement abgesprochen, wenn von Rocha als »illegitimen Vermittler« von Community Radios in São Paulo die Rede ist (Interviews: Sergío Gomes, João Brandt).

53 So sprechen zum Beispiel sowohl Vertreter_innen von ABRAÇO als auch AMARC Brasil von einem Interesse stärker zu kooperieren, bezeichnen die anhaltenden Differenzen vor allem als »persönliche Probleme« (Joaquim Carvalho) bzw. als »historischen Ballast« (Arthur William). Mitwirkende von RIZOMA sprechen sich ihrerseits dafür aus, Community Radios zu respektieren (Dani) bzw. von der Notwendigkeit, sich mehr mit den VertreterInnen von AMARC Brasil und ABRAÇO auszutauschen (Rafael). Ein konkretes Beispiel für eine bereits stattfindende Kooperation wird in Kap. 3.3.2.1. erläutert.

54 Interview João Paulo Malerba, AMARC.

49 In den Interviews mit ANATEL wurde wiederholt deutlich, dass die Behörde beständig darum bemüht ist, ihrem Handeln einen apolitisch-technischen Charakter zu geben, der allein auf Erfüllung des Gesetzes ausgerichtet ist. Ich werde diese Strategie in den weiteren Kapitel mit einigen Gegenbeispielen konterkarieren.

50 Interview Octavio Pieranti, MiniCom.

51 Zum »Plano Nacional de Outorgas para Radiodifusão Comunitária« vgl. http://www.mc.gov.br/plano-nacional-de-outorgas/316-temas/radiodifusao/planos-nacionais-de-outorga/23936-pno-2012-2013-radiodifusao-comunitaria (20.12.2013).

52 Für eine aktuelle Statistik zu den municipios Brasiliens vgl. http://www.ibge.gov.br/home/estatistica/populacao/indicadores_sociais_municipais/tabela1a.shtm ( 20.12.2013).

53 Dazu sagt José Sôter im Einzelnen: »Wir verteidigen ganz im Sinne des Verfassungspassus, die Komplementarität des brasilianischen Radiosystems, der Raum für alle drei Systeme [öffentlich, privat, staatlich] garantiert. Wie verteidigen ComRad als Form öffentlichen Radios also ganz im Sinne der Verfassung, fordern lediglich eine Veränderung des öffentlichen Sektors« (ebd.).

54 Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO.

55 Vorheriges Zitat und Paraphrase nach José Sôter.

56 Das Konzept einer spezifischen Ministerialabteilung formulierte ABRAÇO erstmals in einer Sonderausgabe seiner Vereinszeitung ABRAÇO no ar vor der CONFECOM. In einer Sonderausgabe nach dem Kongress, veröffentlichte  ABRAÇO die Unterschrift von Mitarbeitern des Ministeriums, die den Vorschlag stützen würden. Aus »organisatorischen Gründen« habe das MiniCom jedoch bisher auf eine Umsetzung dieser institutionellen Reform verzichtet.

56 Das programmatische Zitat von Joaquim Carvalho geht so weiter: »Wenn man von dem Kampf für die Demokratisierung der Medien aufnimmt und Frequenzen besetzt, dann schafft man irgendwann auch die Bedingungen, um das Gesetz zu verändern. Das Gesetz ist nicht der Naturzustand« (ebd.)

57 Das vorherige Zitat stammt von Tais Ladeira, ebenso wie die Explikation der drittelpartitätischen Aufteilung des elektromagnetischen Spektrums. Diese Vorstellung nimmt konkret Anleihen an der Novellierung des argentinischen Mediengesetzes.

58 Das vorletzte Zitat stammt von Tais Ladeira, das letzte von João Malerba.

59 Das vorherige Zitat sowie die letzteren paraphrasierten Aussagen stammen beide von Rafael (RIZOMA). Problematisch  findet er an der Dreiteilung des Spektrums die Gefahr, damit per Definition erneut Radioinskriptionen auszuschließen, »denn dieses Konzept tut so, als ob alle gleich wären und dennoch kann es schnell passieren, dass dann erneut kein Platz für Freie Radios ist« (ebd.). Gegen eine drittelpartitätische Lösung spricht sich auch Jerry de Oliveira aus, jedoch ausgehend von einer grundsätzlich anderen Überlegung: »In einem sozialistischen Mediensystem kann es keine Komplementarität der drei Systeme geben. Nicht nur in Brasilien, sondern auf der ganzen Welt müssen wir mit dem Privatsektor Schluss machen« (ebd.) Damit ist zwar in diesem Punkt eigentlich eine fünfte Perspektive formuliert, andererseits verfolgt er dieses Ziel explizit kaum weiter und argumentiert perspektivisch sonst eher im Rahmen der ABRAÇO-Linie.

60 Thiago von RIZOMA bezieht sich bei seinen Ausführungen explizit auf die Arbeit von PACHECO 2000.

61 Das hier von Thiago benannte Konzept des Offenen Spektrums wird in Brasilien seit einiger Zeit als konkrete Übersetzung eines spektralen commons besprochen. Zudem verwiesen die interviewten Mitglieder auch auf die Texte von WERBACH (2004) und HORVITZ (2005, 2008), die bis heute maßgeblich an der Konzeptualiserung des Offenen Spektrums beteiligt sind. 

62 Carlos Rocha würde diesem Zitat von Thiago (RIZOMA) wohl zustimmen, denn auch er beschreibt als Perspektive eine Selbstkontrolle öffentlicher Kommunikation. Dabei sieht er jedoch eine Ausdehnung der Befugnisse innerhalb von Mediengesetzen vor. Weder Rocha, noch Tião Santos, der die Entwicklung von Perspektiven gänzlich den ComRads überlässt, entwickeln jedoch so trennscharfe Position, die in ihrer Dichte wie die Visionen von ABRAÇO, AMARC oder RIZOMA beschreiben werden könnten.

64 RIZOMA Greift letztendlich das Konzept der Frequenz an.

65 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Zumbi (01.04.2014).

66 Diese Vorgehen entspricht der bereits vorgestellten analytischen Unterscheidung der ANT zwischen komplizierten und komplexen Größen eines Akteur_innen-Netzwerks (vgl. Kapitel 2.1.3.6.)

67 Vgl zu diesem Zitat alle vorher erwähnten gesetzlichen Rollenerwartungen: Lei 9.612/98,  Art. 1; Art. 7; Art 9, §2 Abs IV.

68 Dieses und alle vorherigen Zitate stammen von José Sôter, ABRAÇO. Als ethische Tugenden eines radialistas definiert Sôter im Einzelnen: »Führungskraft, Verantwortung, Charisma, Verwaltung, Organisation und soziale Mobilisierung« in und um eine ComRad herum.

69 Uneinigkeit herrschte bei den interviewten Repräsentanten von ABRAÇO in der Frage, ob die Trägerschaft für ComRads in ihrer formellen Anerkennung nur dem Ziel des Radiomachens verpflichtet seien sollte, oder noch noch zusätzliche gesellschaftliche Vermittlungen ausüben sollte.

70 Die von João Paulo Malerba im Einzelnen genannten Akteur_innenrollen sind dabei zum Beispiel: Reporter, Berichterstatter, Leitende (dirigentes), Kommunikatoren, Moderatoren aber auch lokale Künstler und Künstlerinnen.

71 Das vorherige Zitat stammt von Thais Ladeira. Die beiden Paraphrasen sind von João Paulo Malerba und Denise Viola. Letztere ist bis heute aktiv an der Organisation des Frauennetzwerks von AMARC Brasil beteiligt.

72  Vgl. Lei 9.612/98, Cap. VIII, Art. 30, Abs IV.

73 Das erste Zitat stammt von Rafael (RIZOMA), das zweite von Julinha. Ersterer schlägt als minimalen Konsens einer arbeitsteiligen Organisation vor »sicherzustellen kein Equipment zu zerstören« (ebd).

74 Der erste Teil des Zitat stammt aus dem von mir geführten Interview, der zweite Teil aus einem Faltblatt der von ABRAÇO SP produzierten Radiosendung Jornal do Trabalhador, dass laut Aussage von Jerry de Oliveira alle ComRads im Großraum Campinas täglich ausstrahlen. An der Produktion beteiligt sind neben ihm eine Team eigener professioneller [Radiomacher_innen] und Journalisten von [der Elektrizitätsgewerkschaft] Sinergia CUT.«

75 Antennen- und Sendegerätfabrikant_innen sind Profis denen vertraut wird, die »Probleme lösen« und »einen guten Preis machen«, »denn einen homologenisierten Sender zu kaufen wäre zu teuer« (Paraphrasiert und zitiert werden: Rafael, Tião Santos und Carlos Rocha). Dass die Fabrikant_innen von Sendetechnik historisch immer schon eine professionelle Dimension hatte, die über das »Basteln von Geräten« hinausging zeigt auch ein Zitat von Carlos Rocha, indem er die Herstellung von Sendern Mitte der 1990er Jahre beschreibt: »Es gab einen Japaner, der eine Fabrik besaß, ganz offiziell, als Vertreter für japanische Technologie. Er vertrieb Equipment für die Radiokommunikation und den Mobilfunk. Wir sprachen mit ihm und er löste unser Problem, in dem er eine Fabrik zur Herstellung von Sendern gründete, für billige Sender. Wir stellten Sender für 800 Reales her, während zu dieser zeit ein Sender für gewöhnlich 2000 bis 5000 Reales kostete. 50 Watts hatten die Geräte damals, das war unser Ziel« (ebd.).

76  Die legale Anforderung sich als Vereine zu organisieren legitimiert eine Mitarbeiterin des Freien Radios Pulga in Rio de Janeiro bspw. mit dem Verweis darauf, dass man als Medium daran interessiert sei »autonome und horizontale Organisationsformen zu erkunden« was wiederum nach einer »bestimmten Unbestimmtheit« verlange. Als Freies Radio müsse man keine Rechnungen nachweisen, es gebe keine Funktionäre, festen Regeln und Projektformen, was ein demokratisches Medienmachen erleichtere.

77 Neben RIZOMA benennt auch ABRAÇO-SP die Notwendigkeit eines Technikfabrikanten und -supporters für unabhängige Radios. Bei AMARC Brasil wiederum, war es die assoziierte Organisation Oboré, die einen konkreten Techniker benannte, der gegen Bezahlung den örtlichen Community Radios bei der Bereitstellung und Wartung der Sendetechnik behilflich ist (Interview Sergio Gomes, Oboré)

78 Vgl. Lei 9.612/98 Art. 1, §1. und  CAP VI Art 21. Damit wird rückblickend erneut die problematische Rolle der Bereitsteller_innen von Sendetechnik ersichtlich, da bspw. RIZOMA diesen Anspruch von ANATEL nicht anerkennt.

79 Beide Zitate stammen von Tais Ladeira.

80 Diese drei nicht-menschlichen Akteur_innen wurden sowohl in den Interviews mit Denise Viola aber auch José Sôter auf diese Weise zusammengefasst.

81 Alle weiteren nicht-menschlichen Akteur_innen wie Computer, Mischpulte, etc. beschreibt Rafael von RIZOMA als variable Größen des Radiomachens. »Klar gibt es noch mehr Geräte im Studio für die Wiedergabe der Stimme und der Musik. Der Sound ist wichtig. Aber das wichtigste sind ein Sender, Kabel, eine Antenne und Ideen im Kopf.«

82 Die beiden ersten Zitate sind von Rafael , das letzte von Thiago (beide RIZOMA). Letzterer hält dem Argument vieler ComRad-Verbände, die Kosten der Sendetechnik stellten ein teils unüberwindliches Hindernis für die einzelnen Radios dar folgende Rechnung gegenüber: »Es heißt immer Radio ist teuer, aber für 3000-3500 Reales ist heute schon ein Sender mit allem notwendigen Equipment zu haben. Wie teuer ist es dagegen, einen Omnibus mit Radioaktivist_innen zu füllen um einen Ausflug von Campinas nach São Paulo zu organisieren? Vielleicht 8000 Reales. Für einen allein ist das viel, aber für eine organisierte Gruppe, eine Gewerkschaft oder Partei ist es billig. Das Problem ist also nicht finanzieller sondern vor allem politischer Art.[…] Auch der Erhalt eines Radios ist eher deshalb schwierig, weil man Menschen mobilisieren muss und nicht deshalb, weil das Equipment teuer ist. Denn zu einem einfachen, gebrauchten Equipment hat eigentlich jeder Zugang. Das ist auch die stärker Freier Radios. Sie sind zunächst mal eine praktische Idee. Die PF [Bundespolizei] kann ein Radio nicht einfach dadurch zerstören, dass sie das Equipment konfisziert« (ebd.).

83 Auch die weiteren regionalen Radioinskripteure setzen sich mitunter stark mit non humans auseinander. Tião Santos von VIVA RIO beispielsweise weißt darauf hin, dass nicht-menschliche Akteur_innen »dabei helfen, dass sich [menschliche] Radiomacher besser kennenlernen und kommunizieren« können. Carlos Rocha vom FNDC legt in seiner Inskription »interaktiver ComRads« zudem eine ständige Ausweitung der nicht-menschlichen Mediengrößen an, die im Folgenden weiter erörtert werden.

84 José Sôter von ABRAÇO fasst diese Tendenz auf ähnliche Weise konzeptuell als »technologische Konvergenz« zusammen.

85 Ein Blick zurück auf die kleinste notwendige Menge von non humans macht das deutlich. Denkt man die dort beschriebene Audiokette weiter in Richtung des anliegenden Eingangssignals, dann lassen sich beispielsweise materielle Akteur_innen wie Mischpult und CD-Player als Software in einen Computer verlagern. João Paulo Malerba von AMARC Brasil hat dafür ein sehr plastisches Beispiel: »Im Osten von Rio litt ein Community Radio unter der ständigen Repression einer Miliz, in der paramilitärische und polizeiliche Einheiten zusammenarbeiteten. Sie kassierten von Bewohnern und Organisationen Geld ein. Von dem Radio wollten sie monatlich 200 Reales. Das wollte es aus ethischen und konnte aus finanziellen Gründen nicht bezahlen. Drei Monaten, nachdem das erste Mal Geld gefordert wurde, raubte die Miliz die Studiotechnik. Aber das Radio konnte weitermachen, weil sie nicht den Computer mitgenommen hatten, den der Leiter des Radios jeden Abend versteckte. Computer vereinen verschiedene Werkzeuge, das ist ihre Stärke« (ebd.)

86 Der von den Inskripteuren am häufigsten benannte Automatisator heißt ZaraRadio, ein von Studierenden der spanischen Universität Zaragosa entwickeltes Programm.

86 Interview Juliano, RIZOMA.

87 Ebd.

88 Open Source beschreibt zunächst kostenfrei distribuierte Software, die ihren Quellcode (source code) nicht verschlüsselt und unter bestimmten Bedingungen (Lizenzen) weiter modifiziert werden kann. Freie Software hingegen legt weiterführende ethische Prämissen an. Zur Unterscheidung beider Konzepte vergleiche NUSS 2006.

89 Beide Zitate stammen von Thiago, RIZOMA.

90 Das Zitat ist von Juliano. Deutlich wird diese soziale Beziehung beispielsweise im Fall der Software Dark Snow, einer grahical user interface (GUI) für das Audiostreaming -Programm Darkice. Dieses wurde mitentwickelt von einem ehemaligen Informatikstudenten der UNICAMP, der auch bei RIZOMA und einem Freien Radio mitarbeitet. Dies ist ein Beispiel der angestrebten engen Beziehung zu Forschungszentren und Universitäten. Weitergegeben wird dieses Wissen an Radios in denen keine Informatiker mitarbeiten (z.B. Rádio Interferência in Rio de Janeiro) dann über die »Kontakte zur Freien-Software-Bewegung und der Organisation von Workshops« (Interview Juliano. RIZOMA).

91 In seiner sozialistischen Radiovision spricht Jerry de Oliveira (ABRAÇO SP) software livre sogar das Potential zu, »ein nicht gelöstes Problem marxistischer Theorie« bewältigen zu können. »Denn obwohl der Klassenkampf sowohl Gleichheit im Bezug auf Arbeit und die materielle Basis der Gesellschaft beinhaltet, findet die Frage, wie sich unterschiedliche Denkkapazitäten reproduzieren zu wenig Beachtung. Software Libre zeigt praktisch, wie sich Denkprozesse kreativ freisetzen und distribuieren lassen. Andere Beziehungen werden möglich. Ein 15-hähriger hackt die Homepage von der NASA – das ist doch phantastisch« (ebd.).

92 Dieses Zitat von AMARC (João Paulo Malerba) findet ihr Echo in der operativen Überlegung José Sôters (ABRAÇO), die Nutzung Freier Software verlange nach einem Wandel der Mentalität, für den man erst Workshops organisieren und eine langfristige Unterstützung der einzelnen Radios gewährleisten müsse. »Besonders dann wenn es nicht nur um den punktuellen Einsatz von Freier Software geht, sondern um den Wechsel des gesamten Betriebssystems« (ebd.). Anzumerken ist hier die implizierte Rolle eines zentralen Organisators dieser Umstellung. Zugleich möchte ich aber auch darauf hinweisen, dass ABRAÇO, und im Besonderen José Sôter und Joaquim Cavallho in ihren Darlegungen im Gegensatz zu den anderen Inskripteuren nicht trennscharf zwischen Software ohne urheberrechtliche Einschränkungen und kostenfrei zirkulierender Software unterscheiden, wie die von ihnen geleistete Aufzählung von Programmen ersichtlich macht: »Zararadio, Audacity, Winamp, Shoutcast und Freehippie« (ebd.).

93 Thiago von RIZOMA sieht darin ein Indiz, dass Community Radios bewusst »für den Markt ausbilden«, auf dem ein »Radiomachen mit kommerzieller Software« forciert würde. »Sie halten nach wie vor an dem Mythos fest, dass Freie Software schwieriger zu beherrschen sei als kommerzielle, eine Annahme die sie nach wie vor davon abhält, sich stärker darauf einzulassen« (ebd.). Dieser Vorwurf ist auf der Ebene der Inskriptionen nicht weiter diskutierbar, da sich keiner der ComRad-Inskripteure öffentlich als Ausbilder für den Markt darstellt. Ich werde die Kritik jedoch später wieder aufgreifen, wenn von der Übersetzungskette der Fortbildungen die Rede ist (vgl. Kap. 4).

94 Die ersten beide Zitate stammen von Sofia Hammoe, das letztere von João Paulo Malerba (beide AMARC).

95 Vertreter der ersten Position ist Carlos Rocha vom FNDC. Die zweite wird übereinstimmend von den übrigen ComRad-Verbänden vertreten, teilweise auch gestützt auf empirischen Untersuchungen wie im Falle João Paulo Malerbas der »fast vom Pferd gefallen« sei, als er in einer Studie im Jahr 2005 feststellte »wie weit die Aneignung des Internets seitens der ComRads bereits fortgeschritten war« (ebd.) Auch für die Artikulation des radialen Frauennetzwerks Ciberela habe das Internet ein wichtige Rolle gespielt (Interview Denise Viola).

96 Explizit wird diese Forderung in der Kampagne für eine banda barga artikuliert. Neben dem kostenlosen Zugang zum Internet, verweist Arthur William von AMARC zugleich auf die Notwendigkeit, Dienstleistungen im Internet, wie beispielsweise die Administration von Websites oder streaming, für die Community Radios bezahlen, durch kostenfreie und wenn möglich auch Freie Software zu ersetzen. Auf eine legitmatorische Kopplung lässt er sich dabei jedoch nicht ein, da er den universellen Zugang Freier Software in Frage stellt, und die konkreten Nutzungspotentiale und nicht ideologische Überzeugungen mit der sozialen Anerkennungswürdigkeit vermittelt werden müssten (Interview Arthur William, AMARC)

97 Es gibt keine klaren gesetzlichen Einschräkungen, die eine Retransmission von streaming-Inhalten untersagen würden.

98 Mit der Bejahung dieses kommunikativen Potentials wendet sich ABRAÇO ein Stück weit gegen das enge territoriale Verständnis von ComRads, auch wenn der Verband, wie ich noch zeigen werde, die Möglichkeiten radialer Kooperation im Internet auf spezifische Art und Weise einschränkt.

99 Das erste Zitat stammt von Jerry de Oliveira, das zweite von José Sôter und das dritte von Carlos Rocha. Deutlich wird bei den Beschreibung von Webradio hier auch die Vielzahl der beteiligten non humans. Dabei lassen sich Vorstellungen vom kleinsten sichtbaren Akteur in Form einer URL (die sich manchmal hinter einem Button versteckt) bis hin zu komplexen Akteur_innennetzwerken (entfaltbar als Webseiten, Server, etc.) dokumentieren. Da sich die vorliegende Arbeit perspektivisch jedoch primär auf eine an das elektromagnetische Spekrum gekoppelte Signalerzeugung bezieht, verzichte ich an dieser Stelle auf eine weitere Analyse und lasse einige black boxes ungeöffnet.

100  Interview José Sôter, ABRAÇO. Ähnlich enthusiastisch äußern sich auch Tião Santos und Jerry de Oliveira. Während er der Präsident von VIVA RIO »eine Verschmelzung von Internet und Radio« anpeilt, bei der »jedes Radio eine webgestützte multimediale Plattform bildet, wo alle Teil der Bewegung sich ausdrücken können«, forciert Oliveira auch eine weitere Kopplung an (nicht-digitale) Druckereien »um Informationen zirkulieren zu lassen.« Unter der Vertreter_innen einer medialen Konvergenz ist Oliveira zugleich der in dieser angestrebten Entwicklung auch mögliche negative Folgen für die Legitimation von ComRads  anspricht: »Ich verteidige die Konvergenz in allen Belangen. Meine einzigen Zweifel sind, wie man sicherstellen kann, dass diese Entwicklung auch immer im Dienste des öffentlichen Interesses stehen wird. Wir dürfen kein neues Monopol zulassen« (ebd.).

101  José Sôter, aber auch Tião Santos und Carlos Rocha greifen mit dem bon mot der digitalen Inklusion auf ein Konzept zurück, dass in Brasilien vor allem von Sergio Amadeu erarbeitet und z.T. auch praktisch mobilisiert wurde (vgl AMADEU 2001).

102  Zitat und Paraphrase von Rafael, RIZOMA.

103  Zitat von Julinha, RIZOMA. Auch Freie Radios übertragen im Internet und nutzen streaming als digitale Brücke zur Retransmission. Es bleibt dabei jedoch stets ein Hilfsmittel und wird nicht zu einer festen medialen Erweiterung des Radiomediums erhoben.

104  Als Freie bzw. Autonome Server wird verstanden einen Akteur des nicht-menschlichen Akteur im Internet zu mobilisieren, d.h. einen auf spezifische Weise konfigurierten Computer gemeinsam zu nutzen. Die Notwendigkeit erklärt sich auch von der Erfahrung aus, im Jahr 2004 alles konfisziert bekommen zu haben. »Wir brauchen deshalb Freie Server um, wenn nötig, anonym kommunizieren zu können, Daten zu sichern und trotz repressiver Maßnahmen mit Hilfe von Backups Kontinuität garantieren. Denn auch wenn wir leicht einfach die offene Infrastruktur von Universitäten nutzen können, bleibt immer ein Risiko.« (Interview Juliano, RIZOMA).

105  Zur Debatte um eine kostenfreies Internet vgl. http://www.mc.gov.br/programa-nacional-de-banda-larga-pnbl (13.12. 2012).

106  Darauf, dass auch unabhängige Radios konzeptuell ebenfalls als hybride Akteur_innen betrachtbar sind, bin ich bereits im Mapping eingegangen. Vgl. Kap. 2.

107  Vgl. HORVITZ 2008.

108  Bis heute ist es auch in der Physik umstritten, wie Radiowellen am adäquatesten zu fassen sind. Die hier erwähnt problematische Unterscheidung von Technik, Natur und Gesellschaft ist innerhalb der ANT immer wieder problematisiert und zum Ausgangspunkt spezifischer Studien gemacht worden.

109  Das vorletzte Zitat stammt von Thais Ladeira, das letzte und folgende von Sofia Hammoe (beide AMARC).

110  Alle Zitate in diesem Absatz stammen von José Sôter, ABRAÇO. Zum Konzept des cultural gap vgl. Kap. 2.

111  Ohne Technologien als immanente Akteur_innen unabhängiger Radios zu thematisieren, setzen sich auch ABRAÇO SP und VIVA RIO mit deren sozialer Bedeutung auseinander. Jerry de Oliveira formuliert dabei die Forderung, dass »Technologien immer im Dienst der Gesellschaft stehen müssen, im Sinne einer technisch-wissenschaftlichen Entwicklung, im Dienst der Menschheit und nicht im Dienst des Markts« (ebd.). Carlos Rocha dagegen hält solcherlei Forderungen für überflüssig, da er »in der fortgeschrittenen Aneignung von Kommunikationstechnologien und einer Entwicklung hin zu mehr und mehr Interaktivität« bereits jenen für ihn wesentlichen Wandel ausmachen will, »der mit dem Imperium der Massenmedien brechen wird, dass sich seit der Erfindung des Buchdrucks herausgebildet hat« (ebd.).

112  Vanessa Gomes (ANATEL) sagt dies vor allem in Bezug auf ihre eigene Arbeit, welche die Normierung, Regulierung und Durchsetzung des legalen Skripts von ComRads angeht: »Das ist ein gemeinsamer Prozess, da kann man nicht trennen zwischen technischen und sozialen Dimensionen« (ebd.). Ich stelle dieser Sichtweise im Text das folgende Zitat von Thiago (RIZOMA) gegenüber.

113  Das vorletzte Zitat stammt von Juliano, das letztere von Rafael (beide RIZOMA).

114  Dieses Zitat stammt von Rafael, das vorherige von (beide RIZOMA).

115  Das Zitat stammt von Tião Santos, VIVA RIO.

116  »Interferência indesejável: é a interferência que prejudica, de modo levemente perceptível, o serviço prestado por uma estação de telecomunicações ou de radiodifusão regularmente instalada. […] Interferência prejudicial: é a interferência que, repetida ou continuamente, prejudica ou interrompe o serviço prestado por uma estação de telecomunicações ou de radiodifusão regularmente instalada« (Lei 9.612/98, Kap. 2, Art. 8, Abs. III, IV). Ähnliche Definitionen von Interferenzen finden sich auch in weiteren Gesetzen.

117  Die These von Vanessa Gomes: »Interferenzen gehen nicht von ComRads aus, sondern von Piratenradios«, ist gerade vom Standpunkt technischer Neutralität um den sich ANATEL bemüht, nicht haltbar (ebd.).  Vgl. dazu auch HORVITZ 2005.

118  Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO SP.

119 Interview Carlos Melo, ANATEL. Octavio Pieranti vom MiniCom bestätigt diese Sicht aus umgekehrter Perspektive: »Es gibt nach wie vor die Möglichkeit, viele neue Sender im UKW zu genehmigen, aber es fehlt dafür vielerorts das Interesse« (ebd.). Die interessierten ComRads werden dabei jedoch nicht beachtet, da diese ja entsprechend der aktuellen Gesetzeslage ja kein Interesse über eine Frequenz pro Gemeinde haben dürfen. Damit wird implizit erneut der politische Charakter bei der Bewertung spektraler Knappheit sichtbar.

120 Die Gemachtheit der Knappheit und ihre mögliches Ende fordert nicht nur die aktuelle Regulierung des Spektrums in seiner Legitimation heraus. Deutlich wird zugleich, »dass man Radio auch anders denken kann. Im Moment wird das Spektrum als eine finite Ressource behandelt, wegen des sozio-technologischen Systems, dass wir gewählt haben.« Interferenzen sind ein Effekt dieses Dispositivs, kein Naturphänomen, sondern »ein Mythos, der der Kontrolle dient« Beide Zitate: Thiago, RIZOMA). Die beiden zentralen Artikel von WEINBERGER für diese Debatte sind The myth of interferences und The End of the Braodcasting Nation. Ich möchte darauf hinweisen, dass Weinbergers Überlegungen dabei vor allem explizit auf die Arbeiten des »internet architect« David P. Reed zurückgehen: »Interference is a metaphor that paints an old limitation of technology as a fact of nature.« (vgl. WEINBERGER 2003). Die Metapher vom Mythos der Interferenz nehmen Freie Radios auch in ihren Fanzines immer wieder auf.

121  Interview Carlos Melo, ANATEL.

123  Das Zitat stammt von Sofia Hammoe (AMARC), die folgende Paraphrase von José Sôter (ABRAÇO).

122  Vgl. http://unesdoc.unesco.org/images/0004/000400/040066eb.pdf (12.12.2012).

124  Interview João Paulo Malerba, AMARC.

125  Zitate von Juliano und Thiago (beide RIZOMA).

126  Vgl. WERBACH 2004: 868.

127  Interview Thiago, RIZOMA:

128  Damit geht RIZOMA ein Stück weit der Debatte über die kapitalistische Verwertung von Gemeingütern aus dem Weg. Ihre Verlagerung des Problems in unterschiedliche Sphären wird beispielsweise vom Konzept der supercommons in Frage gestellt, dass davon ausgeht dass: »there is no such thing as spectrum. It is an intellectual construct whose utility is rapidly decreasing as technology develops. Because spectrum is not a concrete thing, oft-used analogies to land or to natural resources break down« (WERBACH 2004) Dagegen ließe sich wiederum einwenden, dass Werbach neben der radikalen Dekonstruktion einen existentialistischen Eigentumsbegriff weiter pflegt und schließlich nur einen technical fix nicht aber eine, wie von ihm behauptet, »unified theory of wireless communication« (ebd.) auf den Weg bringt.

129  Vgl. PACHECO 2000: 182f.

130  Vielmehr scheint Spektrum eine zirkulierende Refrenz zu bilden, die sich in den genannten Konzepten commons, Umweltgut und Offenes Spektrum perspektivisch entfalten lässt. In den Interviews mit Rafael, Juliano und Thiago , aber auch Julinha (alle RIZOMA) switchen sie ergänzend zwischen den einzelnen Begriffen. Angesprochen auf die Frage, welches davon das beste Konzept sei antwortete Thiago: »Es ist schwer zu bewerten, was der beste Weg ist, jedes Radio muss das selbst herausfinden« (ebd.).

131  Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO SP. Diese Kritik teilt auch die Organisation Oboré in São Paulo, die sich dort als »lokale Vertretung von AMARC Brasil« beschreibt. Ausgehend von der spezifischen Geographie der Stadt, gelang es Oboré auf einer topographischen Karte nachzuweisen, dass das elektromagnetische Spektrum nicht vollständig gesättigt ist und sehr wohl Räume existieren, um Community Radios zu legalisieren. Diese konkrete Legitimationsstrategie hatte Erfolg und 2010 gingen in São Paulo mehr als zehn Radios auf Sendung (Besuch von Oboré und Interview mit Sérgio Gomes).

132  Das erste Zitat stammt von João Paulo Malerba (AMARC Brasil), das zweite aus dem ComRad-Gesetz.

133  Eine wichtige Akteur_innengruppe stellen bei dieser Auseinandersetzung auch Flughäfen und Flugzeuge dar. Ihre Handlungsprogramme würden, so die generelle Meinung von ANATEL, von nicht-genehmigten Sendern in ihrer Sicherheit bedroht. Ich werde diese Argument später noch genauer betrachten. An dieser Stelle soll jedoch ein Zitat von Carlos Melo illustrieren, dass sich auch ANATEL bewusst ist, das die restriktive Regulierung von ComRads nach einer situativ blinden, universellen Norm vielerorts weder begründbar noch notwendig ist: »Eigentlich spricht in vielen Regionen nichts dagegen weitere ComRads oder kommerzielle Sender zu genehmigen oder lizenzieren, solange diese weit genug von Flughäfen entfernt sind. Die spezifische Lage eines Senders ist natürlich von Bedeutung. Man könnte einwenden, dass ein ComRad auch in 50 Kilometer Entfernung noch eine leichte Interferenz erzeugen kann. Aber klar, im Amazonas sind 50 gar nichts, da ist eigentlich alles egal« (ebd.).

134  Interview Juliano, RIZOMA.

135 Die schematische Unterscheidung von nicht-menschlichen Akteur_innen und Hybriden als Perspektive der Beobachter_innenebene für die gesamte Arbeit zu veranschlagen, ist problematisch, denn auch nach den Inskriptionen der network builder soll die situative Ausdeutung aller radialen Entitäten weiter offen gehalten werden, um auch den Positionen der Radiomachenden Raum für ihre Entfaltung zu gewähren. Ich werde, wie angekündigt, im folgenden Kapitel, wo die Betrachtung der radialen Operationsketten ohnehin eine genauere Beschreibung der Agenturen notwendig macht, deshalb stärker auf die vier Perspektiven von Handlungsprogrammen aus dem Theoriebaukasten IV zurückgreifen.

143  Interview Octavio Pieranti (MiniCom).

144  Erstes Zitat von Thais Ladeira, zweites Zitat und die folgenden Mitgliederzahlen aus dem von AMARC ALC herausgebrachten Kalender zum Weltkongress von AMARC im argentinischen Mar del Plata 2010.

145 Die Begründung für den Nichtbeitritt stellt ABRAÇO als ein normatives Problem dar. AMARC wird vorgeworfen, auch kommerzielle Radios oder Körperschaften, die selbst kein Radio machen als Mitglieder zu akzeptieren. Diese Argumentation lässt sich jedoch auch als gezielte Delegitimation von AMARC deuten, um den Anspruch ABRAÇOs zu verteidigen, als alleiniger Repräsentant der brasilianischen ComRads aufzutreten. Joaquim Carvalho sagt dazu im Einzelnen: »Während wir ABRAÇO als einen Verband verteidigen, der sich aus ComRads generiert, fehlt AMARC eine solche Perspektive. Bei ihnen kann jede physische Person oder Organisation mitmachen. Die meisten Mitglieder von AMARC sind daher auch gar keine Radios, sondern einzelne Personen oder Institutionen, die kein Radio machen« (ebd.). Aus eben jenem Grund hätten sich historisch auch regionale Verbände von ABRAÇO abgespalten: »ABRAÇO war immer daran interessiert, dass diejenigen, die eine Repräsentanz fordern auch selber in ComRads arbeiten sollen. Das schuf Probleme, für die die nur noch als Berater auftraten, Dienstleistungen oder Sender verkaufen wollten« (ebd.).

146  Joaquim Carvalho bescheinigt allen weiteren Verbänden, ausgehend von der sicherlich diskussionswürdigen Feststellung, dass alle abtrünnigen ComRad-Repräsentant_innen in Brasilien irgendwann Teil von ABRAÇO waren, nicht nur einen Mangel an Repräsentativität. Zugleich weist er auch darauf hin, dass ihre Arbeit kontraproduktiv für die Radiobewegung sei: »Rocha [vom FNDC] macht sicherlich eine wichtige Arbeit, aber er besitzt Null Repräsentanz auf nationaler Ebene, wo viel entschieden wird. Auch Tião Santos [von VIVA RIO] hat an nationaler Reichweite verloren. Je stärker jedoch solche lokalen Gruppen werden, desto schwerer ist es, sich gemeinsam auf nationaler Ebene zu artikulieren. Sie versehen nicht, dass dadurch viel Zeit vertan wird. Die Verbände von Santos und Rocha existieren nur wegen ihnen und könnten allein nicht fortbestehen. Ziel muss es sein diese ganzen Energien in ABRAÇO zu bündeln. Die Leute müssen verstehen, dass der  Streit intern verlaufen sollte und nicht dazu führen kann, das jedes Mal neue Organisationen gegründet werden« (ebd.)

147  Auch wenn AMARC auf national-staatlicher Ebene seine repräsentative Rolle negiert, so lässt sich bei der Artikulation einer internationalen Begegnungsstätte dennoch ein gewisser Führungsanspruch ausmachen. Sicherlich ist dieser offen, er wird in seinem Umfang dennoch als größtes existentes ComRad-Netzwerk beschrieben. Dass einige national-staatliche Verbände diese Situation gern ändern würden, wurde 2008 deutlich, als die Schließung einiger kommerzieller Rundfunkstationen in Venezuela durch die dortige Regierung von AMARC als Angriff auf die Meinungsfreiheit kritisiert, von ABRAÇO und einigen weiteren Verbänden in Bolivien, Cuba und Venezuela als legitim verteidigt wurde. Seitdem wachse »in Lateinamerika eine Opposition zu AMARC. Nach deren Kritik an [Hugo] Chavez trat ABRAÇO mit Verbänden aus anderen Ländern in Kontakt. Wir haben insgesamt zwar nicht so viele Partner ie AMARC, aber wir sind repräsentativer.« Während meines Forschungsaufenthalts habe ich über dieses Zitat hinaus jedoch keine weitere Anhaltspunkte für die Existenz eines solchen Netzwerks gefunden.

148  Alle Zitate in diesem Absatz stammen von Jerry de Oliveira.

149  Carlos Rocha benutzt die Metapher buchada de bode. Als Beispiele für die enge Bindung von ABRAÇO an die PT greift er einige virulente, aber laut meiner Kenntnis nie bewiesenen Anschuldigung auf: »ABRAÇO ist bis heute Teil der Arbeiterpartei, taucht im informellen Organigramm der PT als Körperschaft auf. Bis heute zahlte die PT parteinahen Funktionären von ABRAÇO die Fahrtgelder, um an den nationalen Treffen teilzunehmen. Wenn immer es darum ging, die Radioformel der ComRads innerhalb oder außerhalb von ABRAÇO zu revolutionieren, haben sie das sabotiert« (ebd.) Rochas Kritik an der Radioinskription von AMARC generiert sich dagegen in nationalistischer Perspektive: AMARC, das sind die Illuminierten, Aufklärer aus der Ersten Welt, die der organisierten Bevölkerung eine Lektion erteilen wollen. Was damals die Jesuiten für die Indios waren, ist AMARC für die brasilianischen ComRads« (ebd.).

150  Im Gegensatz zum hier zitierten Repräsentationsdrang von Carlos Rocha, beansprucht VIVA RIO keinerlei Repräsentativität. Laut Tião Santos unterstütze man vielmehr »alle Radios, die nicht Teil des kommerziellen Medienmonopols sind« (ebd.). Dass diese Selbstbeschreibung in Bezug auf die Geschichte VIVA RIOs widersprüchlich wird im folgenden Unterkapitel deutlich werden.

151 Mal wird »ihr Bestreben, sich nicht legalisieren zu lassen« als »veraltete Position« diskreditiert, mal werden sie als »Spalter der unabhängigen Radiobewegung« beschrieben. Und selbst wenn ihr Position, »Radiomachen sei grundsätzlich frei und verlange nicht automatisch nach staatlicher Regulierung« gelobt wird, führe ihre »anarchische Attitüde« praktisch zu nichts. Zitiert werden in dieser Reihenfolge: Tião Santos, José Sôter und João Paulo Malerba. Die staatskritische Haltung wird dabei geteilt, dann jedoch wieder aus pragmatischen Gründen seitens der ComRad-Verbände zurückgenommen. »ComRads suchen den Dialog mit dem Staat. Sie haben eine eher republikanische Position und streben eine Reform der staatlichen Institutionen an« (João Paulo Malerba, AMARC).

152  Interview Rafael, RIZOMA.

153  Die Konvergenzthese stammt von João Paulo Malerba, die Repräsentationsdebatte wurde von dessen Kollegen Arthur Williams entfacht, als er in einer E-Mail auf der offenen Verteilerliste von RIZOMA. AMARC als eine weltweite Bewegung von Community und Freien Radios […]« darstellte. Darauf hin antwortete Thiago von RIZOMA: »AMARC REPRÄSENTIERT NICHT die FREIEN RADIOS, nicht nur deshalb, weil die Freien sich der Repräsentativität entziehen, sondern auch deshalb weil sich AMARC ebenso wie ABRAÇO zu Handlangern des monopolistischen Status Quo gemacht haben« (ebd).

154  Paraphrase von Rafael (RIZOMA), erstes Zitat von Thiago (RIZOMA), zweites Zitat aus einem Fanzine von Radio Muda.

135  Vgl. Lei 9.612/98. Vanessa Gomes expliziert diese Auffassung noch einmal sehr treffend: »Die Menschen irren sich, wenn sie denken, dass ComRads dafür da sind, eine gesamte Gemeinde zu versorgen. Dabei sollen sie lediglich einen Stadtteil abdecken der eben nicht größer ist als eine Community die im Umkreis von einem Kilometer liegt« (ebd.).

136  Interview João Paulo Malerba, AMARC Brasil.

137  Interview José Sôter, ABRAÇO. Auf die hier implizierte Vorstellung, dass die hörende Community (politisch) stets gut und richtig handelt, wird im weiteren noch kritisch eingegangen.

138 Interview Carlos Rocha, FDC.

139  Interview Rafael, RIZOMA.

140  Das erste Zitat stammt von Jerry de Oliveira, das zweite aus dem Informationsfaltblatt der von ABRAÇO São Paulo produzierten Sendung Jornal dos Trabalhadores.

141  Interview José Sôter, ABRAÇO.

142  Beide Zitate stammen von Rafael, die folgende Paraphrase von Thiago (beide RIZOMA). Auch innerhalb der, wenn man so will akademischen community lassen sich jedoch Gegner_innen der Freien Radioinskriptionen ausmachen. »Konflikte mit den Rektoren gibt es oft. Sie können das Radio bedrängen, sich zu legalisieren oder seine Schließung verlangen, wenn beispieslweise der Vorwurf im Raum steht, dass dort Gras geraucht wird« (Interview Juliano, RIZOMA). Deshalb sei es wichtig eine gute Beziehung zum Rektorat aufzubauen, die Lehrer_innengewerkschaft und einen Großteil der Studierenden für sich zu gewinnen« (Interview Rafael, RIZOMA). Auf diese Aushandlungsprozesse werde ich im 4. Kapitel noch genauer eingehen.

155 So sei beispielsweise darauf zu achten, dass kleine werbefinanzierte Sender, die für ihre Lizenzen zahlen und anspruchsvollere technische Normen erfüllen müssen, nicht Opfer eines unlauteren Wettbewerbs werden, da Genehmigungen für ComRads leichter zu bekommen seien und auch diese Einkünfte durch ein spezielle Art von Sponsoring (apoio cultural) erzielen können. Die hier zitierte und paraphrasierte Vanessa Gomes (ANATEL) meint mit kleinen kommerziellen Sendern solche, die im Gesetz als »Klasse 3« (Wattzahl) normiert sind. Auf die legale Figur des apio cultaral gehe im Kapitel 3.3 noch genauer ein.

156  Interview José Sôter, ABRAÇO.

157  Als reformistisch würde ich eine Position beschreiben, welche einen Wandel der »dominanten Machtstellung eines Medienmonopols, das von ANATEL, dem Staat, der Bundespolizei und ökonomischen Gruppen gestützt wird«, fordert (José Sôter). Als atavistisch verstehe ich dagegen Jerry de Oliveira (ABRAÇO-SP) der den Konflikt der Inskriptionen so zusammenfasst: »Wasser und Öl gehen nicht zusammen, es kann keine Annäherung geben. Erklärtes Ziel muss es deshalb sein, den Gegner zu vernichten« (ebd.).

158 Interview João Paulo Malerba. Das folgende Zitat stammt von Sofia Hammoe, ebenfalls AMARC Brasil.

159 »Es gibt genug Raum im Spektrum für kommerzielle und Freie Radios. Aber die kommerziellen Sender sind nicht daran interessiert, das die Freien diesen Raum nutzen können. Dabei sollte jeder seinen Platz bekommen, kommerzielle, Community und Freie Radios, jeder auf seine Weise« (Juliana, RIZOMA). Neben dem Desinteresse kommerzieller Sender an der Realisierung unabhängiger Radios wird zugleich eine aktive Teilhabe kommerzieller Sender an der Repression beklagt. »Rádio Bandeirantes berichtete in Sao Paulo beispielsweise live über die Schließung des Freien Radios Várzea an der Staatlichen Universität von Sao Paulo (PUC). Sie moderierten das wie eine Art Befriedung. Die kommerziellen Medien haben in Brasilien sehr viel Macht« (Interview Rafael, RIZOMA).

160 »Nicht nur in Brasilien, sondern auf der ganzen Welt müssen wir mit dem Privatsektor Schluss machen. Das sollte auch bei AMARC und ABRAÇO diskutiert werden. Das Privateigentum an Medien muss ein Ende haben, ebenso, wie der Staatsfunk, denn wir haben hier einen repressiven Staat. Deshalb verteidigt ABRAÇO Sao Paulo die Idee, die öffentliche Kommunikation unter vollständige Kontrolle der Arbeiter zu stellen« (Interview Jerry de Oliveira).

161 Carlos Rocha erklärt das Zustandekommen dieser ungewöhnlichen Kooperation mit folgender Anekdote: »Ende der 1980er Jahre, vielleicht auch etwas später, kam ein spanischer Spezialist für Lokalradio als Gastprofessor nach São Paulo. Ich war sehr interessiert ihn zu treffen und mit ihm über lokale und Community Radios zu sprechen. Wir verabredeten uns für einen Donnerstag Nachmittag, aber er kam nie. Denn der Sohn von Roberto Mourinho, des Gründers von Rede Globo, war schneller und überredet ihn, sich lieber erst mit ihm zu treffen. Denn man kann von Rede Globo vieles sagen, aber sie beherrschen ihre Kunst ganz ausgezeichnet. Der Spanier erzählte ihnen also alles was er über Lokalradios wusste. Als er später von der ComRad-Bewegung und dem Konflikt [mit kommerziellen Medien] erfuhr, war er betrübt. Doch bei Rede Globo hatte sein Besuch Interesse für Experimente mit lokaler Programmproduktion geweckt. Entgegen dem Rat von ABERT und dem konservativen Sektor von Rede Globo, entschied sich das Unternehmen den Community Radios, oder genauer gesagt einer NGO namens VIVA RIO ein Radio in Rio zur Verfügung zu stellen. Es war ein kleiner Sender, der aber in der ganzen Stadt zu hören war« (Interview Carlos Rocha, FDC).

162 Interview Tião Santos. Laut Joaquim Carvalho, einer der schärften Kritiker der Kooperation mit kommerziellen Sendern, beinhaltete die Kooperation von VIVA RIO und Rede Globo auch ein »Abkommen, bei dem die NGO Radios kostenlosen Internetzugang per Satellit unter der Bedingung anbot, dass diese auch Inhalte von O Globo übertragen« würden. »Dieser Weg von VIVA RIO war seltsam. Ich denke an der Basis herrscht Einigkeit darüber, dass man nicht zwei Herren dienen kann« (Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO).

163 Dieses und das folgende Zitat stammen von Carlos Rocha.

164 Interview Denise Viola, AMARC Brasil.

165 Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO.

167 ComRads durch eine Kooperation mit der EBC finanziell zu stärken, kann auch als ein legitimierender Effekt für die vermittelnden network builders bedeutet werden. Vor allem zwischen ABRAÇO und AMARC wird hier ein intensiver Konflikt ausgetragen. Joaquim Carvalho von ABRAÇO reklamiert dabei, federführend bei der Aushandlung der Kooperationsbedingungen eines Pilotprojekts in Brasilia gewesen zu sein, wo ComRads für ihre Zusammenarbeit einmalig Equipment im Wert von 1800 Reales und monatlich weiteren 100 Reales erhalten. Dass anschließend weitere Organisationen zu Projektpartner_innen gemacht worden (vor allem die NGO CRIAR aus Rio de Janeiro), die noch dazu assoziierte Mitglieder von AMARC seien, stelle »einen Versuch dar, ABRAÇO zu schwächen und den weiteren Ausbau seines Netzwerks zu verhindern«. Maßgebliche Verantwortung dafür trage laut Carvalho die ehemalige nationale Repräsentantin von AMARC, die heute bei der EBC mitarbeitet. Der aktuelle nationale Repräsentant von AMARC, Arthur William, stellt dagegen klar, dass diese Erweiterung der beteiligten Partnerorganisationen  auch eine Reaktion auf die Vorwürfe gegen die Führung von ABRAÇO gewesen seien, die 20 Prozent, des an die ComRads gezahlten Geldes, unterschlagen haben sollen.

168 Interview Carlos Rocha. Vgl. dazu auch die in Kap. 2 erwähnte Studie von LIMA 2007.

169 Interview Denise Viola, AMARC Brasil

170 Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP.

171 Diese Bezeichnung sowie die folgende Paraphrase entstammen dem Interview mit Sofia Hammoe, AMARC Brasil.

172 Interview José Sôter, ABRAÇO. Kritik an diesem gemeinsamen Feindbild äußert allein Carlos Rocha vom FDC, »denn die Monopolisten sind längst tot. Wichtig ist es neue Märkte in den Blick zu nehmen«. Rocha rechnet vor, dass bspw. Rede Globo einen Rückgang der absoluten Einschaltquote von 87% auf 17% zu verbuchen habe und die kommerziellen TV-Sender in den Haushalten São Paulos nur 36 Prozent der Haushalte erreichen würden. Die Quellen dieser Zahlen bleibt er schuldig, sein Argument zielt jedoch darauf ab, die steigende Bedeutung von »Internet, DVDs, Kabelfernsehen, Handydiensten und Tablets« als Contentprovider zu unterstreichen und damit seine Zukunftsvision eines interaktiven Kommunikationssystems zu unterstreichen. Für ein Unternehmen allein »ist es unmöglich alle Inhalte zu produzieren. Es gibt kein Massenpublikum mehr, die Kommunikation funktioniert eher auf Ebene der communities. Deshalb haben wird keinen Kampf mehr mit Rede Globo zu führen. Der Hund ist tot« (Interview Carlos Rocha, FDC).

173 Beispiele für eine Kooperation mit NGOs, Think Tanks, Stiftungen und internationalen Organisationen sind die Kooperation von VIVA RIO mit UNICEF und der Deutschen Welle (Interview Tião Santos), von ABRAÇO Nacional und der UNESCO (Interview José Sôter), AMARC Brasil und der Ford Foundation (Interview João Paulo Malerba).

174 Diese und das folgende Zitat sind von João Paulo Malerba.

175 Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO-SP.

176 Interview João Paulo Malerba. »Zum einen sollen sie nicht dauerhaft staatliche Vermittlungsleistungen übernehmen, zum anderen dürften sie ihre Existenz nicht innerhalb der permanenten Vermittlungen von Aufgaben und Leistungen begründen, die perspektivisch eben so gut von ComRads zu leisten sind« (ebd.). Gefordert wird hier von den NGOs also eine Sensibilität und Reflexion, was die Grundlagen der Zusammenarbeit anbetrifft. Konsequent zu Ende gedacht würde diese Position in einigen Fällen auch zur Auflösung von NGOs führen, falls diese nicht in der Lage wären, sich gegenüber den unabhängigen Radios, die von ihnen geleistete Arbeit und Dienste übernehmen, zu legitimieren.

177 »Wenn Du Dir eine Liste der Mitglieder und Partner von Criar, Oboré oder Unirr anschaust, dann wirst Du sehen, dass sich darunter auch verschiedene kommerzielle Radios befinden. Kommerzielle Radios stehen jedoch in einem ständigen Konflikt mit Community Radios. Was ist also die Position [der drei genannten Organisationen]? Keine, sie können Community Radios einfach nicht repräsentieren. Sie machen zweifellos eine gute Arbeit, auf dem Markt« (Joaquim Carvalho, ABRAÇO-SP). Hier wird Kooperation direkt mit der Frage der Repräsentanz verwoben und damit faktisch eine Delegitimation aller Akteur_innen betrieben, die mit kommerziellen Radios kooperieren, selbst wenn am Ende beschwichtigt wird:  »Das sind alles gute Menschen. Es gibt viel schlimmere Gruppen und Institutionen« (ebd.).

178 Erwähnt wurde in den Interviews vage die Zusammenarbeit mit NGOs, die sich dem Recycling von Computern widmen (Interview mit Juliano, RIZOMA).

179 Dieses Zitat und die folgende Paraphrase sind dem Interview mit Tais Ladeira entnommen.

180 Interview Sofia Hammoe, AMARC Brasil

181 Ein prägnantes Beispiel dafür ist beispielsweise die vom Forschungsinstitut CPqD vertretene Position zur Entwicklung eines nationalen Digitalradiostandards. Ein Mitwirkender von RIZOMA kritisiert demgegenüber, dass die Forschenden sehr wohl wüssten, dass dies technologisch angesichts bereits existierender Systeme eine unnötige Investition sei, solche Pläne aber dennoch unterstützen, weil diese Lösung den Einfluss und die finanziellen Zuwendungen an das CPqD favorisieren würde (Interview Rafael, RIZOMA).

182 Diese und das im Text folgende Zitat stammen von Sofia Hammoe, AMARC Brasil. Als Beispiel dieser schizophrenen Haltung führt sie den Fall eines »Programms des Gesundheitsministeriums an, das einige Community Radios für die Ausstrahlung von Kampagnen, Spots und Infos zur Aids-Aufklärung mit Sendeequipment ausgestattet habe. Dann kam ANATEL und schloss alle nichtgenehmigten Radios, konfiszierte die Technik und eröffnete einen Prozess gegen den Gesundheitsminister« (ebd.). Als weiteres Beispiel lässt sich die Haltung der PT-Regierung gegenüber der konsequenten Nutzung Freier Software in staatlichen Institutionen anführen, die zunächst fester Bestandteil einer Politik digitaler Inklusion war, dann aber auf Grund des Drucks von Interessengruppen aufgegeben wurde (Interviews Tião Santos, Sérgio Amadeu)

183 Diese prominente Rolle sei auch damit zu erklären, dass »die PT aus den sozialen Bewegungen entstanden sei und als linke Regierung weiterhin gute Verbindungen erhält. Es wird deshalb auch keine offene politische Opposition ausgetragen. Aber das ist vielleicht eher eine konjunkturelle Erscheinung« (Interview João Paulo Malerba, AMARC). Ein konkretes Beispiel für eine solche Kooperation konnte ich im Rahmen einer Workshopreihe von ABRAÇO Nacional dokumentieren. Die Veranstaltung wurde vom Ministerium für Entwicklung und der UNESCO organisiert.

184 Ich werde darauf noch näher im Kapitel 3.5.2 eingehen.

185 Tião Santos weist darauf hin, dass beide genannten Kommunikationsminister entweder Medieneigentümer (Oliveira) oder »Funktionäre von Rede Globo« (Costa) waren. »Bis heute herrscht seitens der sozialen Bewegungen Uneinigkeit darüber, warum unter der Regierung Lula wichtige Medienfragen in die Hände von Personen gelegt wurden, die solche engen Bindung an private Medienmonopole besitzen« (ebd.).

186 Joaquim Carvalho spezifiziert das Problem der Medienlobby in dem Umstand, dass »in Brasilien kommerzielle Radio vor allem für parteipolitische Interessen organisiert werden. Es sind also Menschen, die andere Aktivitäten verfolgen und innerhalb dieser Aktivitäten organisieren sie auch Radios, um politisch regionale Kräfte zu schaffen. Es ist weder ein Geschäft noch ist es öffentliche Politik. Außen vor sind einig die großen Netze wie Rede Globo« ebd.).

187 Zur FRENTECOM vgl. https://frentecom.wordpress.com/ (12.12.2014).

188 Vgl. dazu die einzelnen Unterkapitel von Kap 4.

189 Interview Vanessa Gomes, ANATEL.

190 Interview Carlos Rocha, FDC. Noch weiter geht José Sôter von ABRAÇO, der keine Vereinnahmung der Radios befürchtet. »Eine Kooperation ist erstrebenswert, weil es noch immer viele öffentliche Politiken in Brasilien gibt, die die Leute nicht erreichen« (ebd.). ABRAÇO-SP spricht sich demgegenüber gegen jegliche verbindliche Kooperation aus, um seine Unabhängigkeit zu bewahren. Neben diesen Positionierungen, lässt sich ergänzen, dass im Bereich der Regulierung der ComRads auf lokaler und bundesstaatlicher Eben wenig Bewegung zu beobachten ist. Auf der anderen Seite gibt es dagegen durchaus lokale oder regionale Regierungen, die ComRads finanziell und organisatorisch unterstützen. Ein gutes Beispiel für solche eine gelungene Kooperation ist das Institut COMRADIO in Piauí Vgl. http://www.comradio.com.br/ (01.04.2015).

191 Eine häufig beschrieben Praxis lässt sich am folgenden Beispiel gut nachvollziehen. »Nehmen wir einen Abgeordneten aus [dem Bundesstaat] Rio Grande do Sul. Er ist Teilhaber eines kommerziellen Radios und Zugleich Mitglied einer parlamentarischen Gruppe, die die Interessen des privaten Rundfunks, nicht aber die von ComRads vertritt. Dennoch nutzt er ComRads in seiner Region, um für ihn Kampagne zu machen, behandelt sie wie sein Eigentum, verspricht ihnen, dass er sie politischen schützen würde. Aber das stimmt nicht. Ein, zwei Radios verteidigt er vielleicht, macht sich vielleicht für ein Genehmigung stark, aber wenn es um weiterreichende Änderungen des Handlungsspielraum der Community Radios geht, stimmt er dagegen. Er ist in der Region ein Heiliger und wenn er nach Brasilia kommt ein Dämon. So machen das fast alle« (Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO).

192 Das Zitat stammt von Carlos Rocha, der dazu weiter ausführt: »Als Mao in Frankreich seinen Staatsempfang bekam, er als Sonne, die die Welt erleuchtet, auftrat, saßen in China Millionen von Menschen an den Radioempfängern und hörten alle die gleiche Stimme. Die PT hat immer noch ein bisschen diese Vision, wenn sie an die Rolle der Community Radio denkt« (ebd.).

193 Interview Tião Santos, VIVA RIO.

194 Weiter zu hinterfragen wäre auch, ob es vor dem Regierungsantritt der PT einen stärker personalisierten Diskurs auf Regierungsebene gab. Die Schuld für die fehlende Medienreform wird heute vor allem dem Kommunikationsministerium zugesprochen. Rückblickend wird dagegen oftmals der ehemalige »korrupte Präsident Fernando Henrique Cardoso« verantwortlich gemacht (Interview Carlos Rocha, FDC).

195 Interview Octavio Pieranti, MiniCom. Problematisch ist an dieser Sichtweise nicht nur die Inszenierung des MiniCom als zentralen Ideengeber. Auch sein Hinweis, »die Idee einer effektiveren Bürgerteilhabe im Kommunikationsbereich ist erst 2009 auf dem [Nationalen Kommunikationskongress] CNC entstanden«, verwechselt die späte staatliche Zurkenntnisnahme dieser Forderung mit deren Ursprung.

196 Diese Neuorganisation thematisiert vor allem AMARC Brasil, die behaupten, aus vielen Aktivisten der Radiobewegung seien Techniker der Regierung geworden (Interview Tais Ladeira, AMARC). Das sei das Aus für landesweite Mobilisierung gewesen. Erst seit der CONFECOM im Jahr 2009 seien auf bundesstaatlicher Ebene erneut Akteur_innen sichtbar geworden. Es entstanden neue Führungen, die Verbindungen mit anderen Bewegungen knüpften (Interview Sofia Hammoe, AMARC).

197 Beide Zitate von Thiago, RIZOMA.

198 Zitat Juliano, RIZOMA.

199 Interview mit José Sôter, ABRAÇO. Auch in einer der Publikation von ABRAÇO wird diese These wiederholt: »Es gibt kein  landesweites Projekt, das nicht auf ComRads zurückgreift, um zu den communities durchzudringen.«

200 Interview Thiago, RIZOMA. Neben dieser harten Unterscheidung werden auch kulturelle Kriterien angeführt, die die Kooperation mitunter stark beeinflussen, wie zum Beispiel das Rauchen von Marihuana. Die Treffen zwischen Freien Radiomacher_innen und Vetreter_innen der Landlosenbewegung MST zum Beispiel »waren immer angespannt, wegen dem Konsum von Alkohol und Drogen, vor allem wegen Marihuana. Die Leute sind da sehr konservativ. Wir kamen an den Punkt, dass wir Workshops organisierten aber dann wegen ein bisschen Gras auf Ablehnung stießen. Da gab es ein Kompatibilitätsproblem. Klar, heute wissen wir wie wichtig diese Workshops sind und ich denke, heute würde niemand versuchen, erneut ihnen gegenüber zu rauchen, ohne zu wissen, ob ihnen das gefällt oder nicht« (Interview Rafael, RIZOMA).

201 Inerview Thiago, RIZOMA. Als weitere affine Bewegungen beschreiben Mitwirkende von RIZOMA die Freie-Sofware- und Amateurfunkbewegung (Interview Rafael, RIZOMA). Exemplarisch illustriert die Kooperation zwischen ABRAÇO-SP und dem Gewerkschaftsverband CUT dagegen eine »hegemoniale« Inskriptionen. Nach der Regierungskrise der PT-Regierung in den Jahren 2005/2006 (ein Korruptionsskandal der als mensalão Schlagzeilen machte), soll die PT CUT um medienwirksame Hilfe gebeten haben. »Daraufhin begann CUT Sendezeit in kommerziellen Radiosendern zu kaufen, zunächst in einer AM-Station in São Paulo, später in einem Sender in Campinas. Sie waren mit der Qualität jedoch nie recht zufrieden, weshalb CUT sofort den Vorschlag von ABRAÇO São Paulo annahm, eine gewerkschaftsnahe Radiosendung für alle Community Radios der Region zu produzieren« (Interview Marcelo, TV Cidade Livre). Die Produktion des Jornal do Trabalhador verlaufe jedoch nicht immer konfliktfrei. Für die finanzielle und materielle Unterstützung (z.B. Internetzugang für Community Radios) würden auch Gegenleistungen erwartet. »Beim Abweichen von der Gewerkschaftslinie in den Sendungen kommt es schon mal zu Auseinandersetzungen« (ebd.). Die historische Dimension der Kooperation zwischen ComRads und Gewerkschaften verlangt nach weiteren detaillierten Untersuchungen. In jedem Fall sei erwähnt, dass das nachlassende Interesse in den 1990er Jahren »vor allem der Repression gegen die Sender geschuldet gewesen ist« (ebd). Der Kauf von Sendezeit sei dagegen bereits in den 1980er Jahren eine verbreitete Praxis gewesen, vor allem in katholischen Radios mit regionaler Bedeutung (Interview Flavia, Rádio Mulher).

202 Interview Vanessa Gomes, ANATEL. Auch das FDC, der evangelikale ComRads verteidigt, prophezeit, dass diese es »unter der Regierung von Dilma Rousseff schwerer werden haben. Es wird mehr Überwachung und Verfolgung stattfinden. Die Bürokraten werden gegen die Evangelikalen vorgehen« (Interview Carlos Rocha, FDC).

203 Interview Carlos Rocha.

204 Ebd.

205 Interview Denise Viola.

206 Interview Joaquim Carvalho.

207 Im Interview erklärte João Paulo Malerba, dass die Organisation eines Radios durch religiöse Gruppen nicht zu rechtfertigen sei, da darin bereits eine zu starke Positionierung liege, um dem Anspruch auf Diversität und Pluralität in einem ComRad gerecht werden zu können.

208 Das erste Zitat in dem Satz stammt von Joaquim Carvalho (ABRAÇO Nacional), die folgenden beiden von Denise Viola (AMARC Brasil).

209 Ein Beispiel dafür liefert folgendes Zitat: »Die Pluralität in den Community Radios muss erhalten bleiben. Leider haben die Evangelikalen das nicht verstanden« (Joaquim Carvalho, ABRAÇO).

210 Interview Ana Luisa Gomes, Oboré; Tais Ladeira, AMARC und Thiago, RIZOMA.

211 Ana Luisa Gomes von Oboré erzählt, dass der Stromkonzern Eletropaulo, die Idee von Oboré, direkt mit den Radios zu kooperieren abgelehnt habe. Nur die Vermittlung von Oboré habe die Ausstrahlung bezahlter Aufklärungsspots über die Nutzung und Gefahren von Strom garantieren können. Die Kritik der Radios, auf diese Weise weniger Geld  zu erhalten, weißt sie zurück, ohne die Frage zu beantworten, ob und wie viel Oboré für seine Mediation vergütet wird. Stattdessen, betont sie, dass Oboré sich dafür einsetze, das Budget für 20 Station auf die tatsächlich beteiligten Sender auszuzahlen und hebt zudem den Mehrwert der Radiotreffen hervor (zu denen diese erscheinen müssen, um das Geld ausgezahlt zu bekommen), da diese das Netzwerk stärken und die Diskussion wichtiger Themen voranbringen würden (Interview Ana Luisa Gomes 18.03.2011).

212 Kommentar von Sérgio Gomes, dokumentiert auf einem Treffen am 18.03.2011 im Sitz von Oboré mit am Eletropaulo-Projekt beteiligten ComRads.

213 Interview Sérgio Gomes, Oboré

214 Auch weitere Akteur_innen bieten sich für solche strategischen Kopplungen an, wie die veranschlagten Kooperationen unabhängiger Radios mit kommerziellen oder öffentlichen Sendern und Institutionen deutlich machen. Heftig umstritten bleibt gegenüber diesen Beschreibungen, die sich eher graduell unterscheiden, jedoch der vom FDC unternommene Versuch, sich als network builder selbst als eine komplizierte Entität unabhängigen Radiomachens einzuschreiben. Es sind diese feinen Unterschiede bei der Einschreibung von Akteur_innenrollen, die die Aushandlung von Legitimation zusätzlich intensivieren können, in jedem Fall aber dimensionieren.

214 Vgl. u.a. Kap. 2.1.2.2. und Kap. 2.1.2.3.

215 Interview José Sôter. Die erwähnten Bücher sind in der Bibliographie dokumentiert (vgl. GIRARDI et. al 2009, MDSCF 2010).

216 Vgl. http://www.abraconacional.org/ (01.04.2013).

217 »Para montar uma rádio livre ou comunitária, a primeira coisa é se juntar a outras pessoas interessadas nesse mesmo projeto. Então, vocês precisam correr atrás de equipamento, local para transmitir e sobretudo conhecimento na área de rádios livres e comunitárias. O equipamento básico é mixer, tocador de cds, vinil, tape, amplificador, microfone, caixas de som, talvez um equalizador, transmissor, antena e fonte. Todos são de fácil aquisição, à exceção do transmissor e da antena, os quais você pode pesquisar pela internet, mas de preferência compre pessoalmente e antes disso faça testes e conheça bem a pessoa ou a empresa que for te vender. Se possível, arrume um técnico da área para auxiliar na compra, instalação e manutenção do equipamento« (Vgl. http://www.radiolivre.org/faq 16.10.2013).

218 Ein Beispiel für einen solchen Workshop während des Forschungszeitraums war u.a. ein Digitalradio-Workshop in Brasilia (2010).

219 Dabei wird entgegen den ComRad-Inskripteuren auch auf situative Unterschiede bei der Gründung eines unabhängigen Radios eingegangen, wenn beispielsweise auf den Aufbau eines Freien Radios auf dem Universitätsgelände eingegangen wird (Vgl. http://www.radiolivre.org/node/640#comment-654 16.10.2013).

220 Interview Octavio Pieranti, MiniCom.

221 Interview Carlos Rocha, FDC.

222 Interview ebd. Das zweite Zitat stammt von Thiago, RIZOMA. Weitere Akteur_innen unterstützen diese Sichtweise, wenn sie betonen, dass es in Brasilien »keine öffentliche, sondern nur eine veröffentlichte Meinung gibt« (Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP)

223 Interview José Sôter, ABRAÇO.

224 Interviews: Jerry de Oliveira (ABRAÇO-SP), Joaquim Carvalho (ABRAÇO), Thiago (RIZOMA).

225 Interview Juliano, RIZOMA.

226 Zitat aus Interview mit Tais Ladeira. Das konkrete Beispiel einer temporären Erfahrung beschreibt Joaquim Carvalho: »Auf dem brasilianischen Sozialforum in Belo Horizonte [2003] wurde in einer Schule ein Medienzenrum eingerichtet und alle schliefen und aßen und produzierten in dieser Schule. Von da an installierten wir verschiedene Radios auch TVs, alle ohne Genehmigung. Ich war Teil dieses Prozesses und sah die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Partizipation« (Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO). In Kontinuität zu den bereits vorher gemachten Aussagen von ABRAÇO-SP, zeichnet diese_r Akteur_in einen partikularen Horizont, an dem der zu entfachende »Klassenkampf« die »vollständige Zerschlagung kommerzieller Medien« erreicht (Interview Jerry de Oliveira (ABRAÇO-SP).

227  Carlos Rocha bezieht seine Idee einer »Wiedererschaffung eines öffentlichen Raumes« auf eine Zeit vor dem »imperialen Systems zurück, das vor 500 Jahren mit dem Buch beginnt und in Massenmedien mit kommerziellen Absichten gipfelt« (Interview Carlos Rocha, FDC). Seine praktischen Überlegungen zur Interaktivität der ComRads sind am ausführlichsten in einem unveröffentlichten Projektantrag des FDC formuliert, in dem Interaktivität als »Form medialer Demokratisierung« mit »von vielfältigen Stimmen produzierten Botschaften«, »öffentlicher Interaktiver Kommunikation unter Selbstkontrolle« umrissen ist, die die bereits erwähnte Wiedererschaffung eines öffentlichen Raumes« und eine »soziale Integration im Medienbereich sichern« soll (Unveröffentlichter Projektantrag, 1-4).

228 Interview Rafael, RIZOMA.

229 Vgl. Lei 9.612/98.

230 Interview Thiago, RIZOMA.

231 Zitiert aus Informationszitschrift von ABRAÇO (ABRAÇO NO AR).

232 Das erste und dritte Zitat stammen aus dem Interview mit Jerry de Oliveira (ABRAÇO-SP), das zweite aus dem Interview mit Joaquim Carvalho (ABRAÇO).

233 Interviews Thiago (RIZOMA), Tais Ladeira (AMARC) und Rafael (RIZOMA).

234 Interview Carlos Rocha, FDC.

235 Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO.

236 Interview Carlos Rocha, FDC.

237 Interessant ist, dass die hier zitierten Tais Ladeira und João Paulo Malerba beide AMARC Brasil angehören, was deutlich macht, dass eine trennscharfe Zuordnung der instrumentellen und medialen Prämissen zu kollektiven network builders möglich ist.

238 Das erstes Zitat entstammt dem Interview mit Juliano (RIZOMA), das zweite Zitat dem Interview mit Jerry de Oliveira (ABRAÇO-SP), der zum Thema der kommunikativen Teilhabe weiter ausführt: »Ich denke dass ist prinzipiell. Der Gitarrist der keine Platz in den großen Medien hat, spielt eben im Community Radio, die Hausfrau liest dort Rezepte vor. Alle müssen sprechen können, dafür muss es eine Garantie geben« (ebd.). Das dritte Zitat stammt aus dem Interview mit Thiago (RIZOMA).

239 Das erste und zweite Interviewzitat ist von Jerry de Oliveira (ABRAÇO-SP), das zweite von Carlos Rocha (FDC).

240 Interviews mit Jerry de Oliveira (ABRAÇO-SP) und Carlos Rocha (FDC), der zur Aufzählung hier nur den Punkt »Kommunikationsdienst« beiträgt.

241 Interview mit Joaquim Carvalho, der auch ein sehr anschauliches Beispiel für einen Streitfall in einer Community erwähnt: »Es gab in einem Dorf zwei politische Gruppen mit zahlreichen verfeindeten Unterparteien. Der Streit, bei dem es um den Bau von zwei Tankstellen ging, war heftig,. Die Leute tranken nicht mal cachaça zusammen. Die Idee war, diesen Konflikt im Radio auszudiskutieren, mit Erfolg« (ebd. ABRAÇO).

342 Interview mit Tião Santos von VIVA RIO (erstes Zitat) und Jerry de Oliveira von ABRAÇO-SP (folgende Zitate).

243 Das erste Zitat ist aus dem Interview mit Rafael (RIZOMA), das zweite aus dem Interview mit Joaquim Carvalho (ABRAÇO).

244 Die Repräsentantin des Frauennetzwerks von AMARC Brasil, Denise Viola, erwähnt in diesem Zusammenhang ein spannendes Subskript, nämlich das (nicht länger existente) Programm »Fala Mulher«, das von der NGO Cemina organisiert wurde. »Anders als die stereotype Einbindung von Frauen (vgl. FN 238) war Falha Mulher eine Pionierin, ein Programm von und für Frauen. Es bot einen anderen Blick auf Wirtschaft, Haushaltsfragen, Makroökonomie, Marktzugänge, thematisierte gleiche Löhne für gleiche Arbeit, forderte gleiche Wettbewerbsbedingungen, stellte kulturelle Fragen, kritisierte, das Kindergroßziehen Frauensache ist, das es ohne KITA-Plätze keine Möglichkeiten für Frauen gibt, zu arbeiten, etc. Aber das Programm besprach nicht nur typische Frauenthemen, wie den oft zitierten Austausch von Kochrezepten, sondern Frauen, Umwelt und Radio, Frauen, Stillen und Radio, Frauen Kinderrechte und Radio, etc. Entscheidend war, wie diese Dinge verknüpft wurden um einen differenzierten Blick im Radio zu erarbeiten« (ebd.). Die abschließende Paraphrase zur zu vermeidenden Unterdrückung in ComRads stammt von João Paulo Malerba, der sich für seine Feststellung ein bekanntes Zitat von Paulo Freire aneignet: »que não da pra ocupar o oprimido pela opressão«.

245 Nicht näher eingegangen wurde hier auf Hinweise, dass Skripte auch darauf abzielen können, spezifische communities zu schaffen. Auf diese Weise eine Radiomediation zu rechtfertigen überschreitet den konzeptuellen Rahmen aller hier versammelten Zielstellungen. Ein konkretes Beispiel für solch eine erwünschte Vermittlung liefert Sofía Hammoe von AMARC Brasil, wenn sie vom angestrebten Aufbau eines selbstorganisierten Kinderdorfs spricht, das vermittels eines von der Stiftung Casa Grande organisierten Senders entstehen soll. (Vgl. zu diesem Projekt auch:  http://www.fundacaocasagrande.org.br/nova_olinda.php, 24.10.2013)

246 Interview Tião Santos, VIVA RIO.

247 Ebd.

248 Interview Carlos Rocha, FDC

249 »Eine wichtige Frage bezüglich der Werbung ist, dass man leicht zu kleinen Roberto Marinhos [Gründer von Rede Globo, N.B.] wird, also zu wahren kapitalistischen Unternehmen. Uns ist klar, dass dieser Schritt von einem Kollektiv zu einem Unternehmen schnell erfolgen kann, ComRads sind fragil. Wichtig ist hier als Sender selbstkritisch zu sein, denn Werbung ist auch auf einer kleinen Skala problematisch« (Interview Tião Santos, VIVA RIO).

250 Das erste Argument nimmt Bezug auf das Interview mit Tião Santos, das Zitat stammt aus dem Interview mit João Paulo Malerba.

251 Interview Vanessa Gomes, ANATEL

252 »Die Haltung von ABRAÇO Nacional gegenüber dem Senden von Werbung ist gespalten. Wir sind vor allem für ein Radio, dass von den Gebühren der Gemeinschaft getragen wird und nicht von Werbung. Das Radio sollte als ein Kommunikationsmittel viel mehr lokale Unternehmer unterstützen als umgekehrt« (Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO).

253 Auf Einladung von José Sôter verfolgte ich die Berichterstattung der Veranstaltung aktiv mit, half ABRAÇO Nacional dabei, die Live-Übertragung auch im Internet zu streamen und dokumentierte die einzelnen Redebeiträge.

254 Das FDC unterstellt der PT nicht nur Einfluss auf die ComRads sondern auch Bildungsradios zu nehmen, »um dort Geld zu waschen, vor allem in den staatlichen Sendern des Senats und der Bundesregierung. Das hat nichts mit öffentlichem Rundfunk zu tun, sondern ist eine Karikatur legalisierter Kriminalität« (Interview Carlos Rocha, FDC).Angesprochen wird hier eine weitere ausgeschlossene Vermittlung, die nicht politisch sondern moralisch definiert ist: Korruption.

255 Interview Tião Santos, VIVA RIO.

256 Ebd.

257 Interview Joaquim Carvalho ABRAÇO.

258 Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP. Dieser Hinweis auf ein hidden transcript überrascht um so mehr, da die öffentliche Argumentation gegen evangelikale Überzeugungsarbeit in ComRads überaus deutlich vorgetragen wird: »Klar ist der Ausdruck von Religion ein Grundrecht, ebenso wie Frauen und Schwulen ihr Recht auf Individualität zu garantieren ist. Aber Religion ist heute oft keine Glaubensfrage sondern eine politische und das verschlimmert die Lage der Gesellschaft. Brasilien ist ein laizistischer Staat. Wir müssen uns anstrengen, dass ein Evangelikaler oder ein Anhänger einer afrikanischen Religion nicht als etwas anderes als ein menschliches Wesen wahrgenommen wird. Wir müssen eine Anstrengung unternehmen, um zu verstehen, dass Kommunikation nicht religiös gefärbt, sondern offen für alle sein muss (Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP).

259 Interview Julinha, RIZOMA. Auf ähnliche Weise formuliert auch Rafael von RIZOMA: »Nun, es gibt einige Sachen, die die meisten klar haben, wenn sie beginnen mitzumachen, nämlich keine politische oder religiöse Überzeugungsarbeit zu betreiben. Denn das läuft unseren Prinzipien einer freien Radiopraxis entgegen. Wenn das einer macht, dann komme ich oder ein anderer und sagt: halt die Klappe« (ebd).

260 Interview Carlos Rocha, FDC.

261 Interview Tião Santos, VIVA RIO.

262 Dieser Haltung der Freien Radio-Inskripteur_innen ist die Überzeugung eines prozessualen Werdens von ComRads nicht unähnlich. Wenn beispielsweise VIVA RIO feststellt, dass »die Bewegung noch in der Entstehung« ist und man deshalb alle Radios unterstütze, die zu ihnen kämen, deutet sich ein Weg an, der Offenheit zunächst auch als ständigen Bruch mit Ausschlusskriterien interpretiert, durch eine konstante Unterstützung und Betreuung des network builder jedoch eine Annäherung an das eigene ComRad-Skript ermöglichen kann (Interview Tião Santos). Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied im Verständnis der Skriptkopplung: Während sich Freie Radios gerade durch die Bejahung einiger weniger aber absolut verbindlicher Spielregeln definieren, setzt VIVA RIO auf einen komplexeren Regelkatalog, der jedoch anfangs nicht so konsequent befolgt werden muss, um als ComRad auftreten zu können.

263 Diese komplexe Frage werde ich erst am Ende des vierten Kapitels detaillierter beantworten. Hier sei jedoch schon darauf verwiesen, dass weder die Forderung noch der Nachweis von Legitimation als grundsätzlich und ausschließlich öffentlich missverstanden werden sollten.

264 Vgl. Lei 9.612/98, Art.4 §3.

265 Ich konzentriere mich hier auf das Kriterium des Zugangs zum Radiomachen in einer community. Die Interviewten benannten darüber hinaus auch weitere Merkmale, um Pluralität, Offenheit, Partizipation und Diversität zu bestimmen, die jedoch stärker auf erwünschte und unerwünschte Vermittlungen Bezug nehmen, als die hier versammelten Handlungsprinzipien definitorisch zu schärfen. Als Beispiele solcher Merkmale lassen sich nennen: informative (Sofia Hammoe, AMARC Brasil) bzw. inhaltliche (Carlos Rocha, FDC) Pluralität bzw. die Abwesenheit von religiöser und politischem Bekehrungseifer (Joaquim Carvalho, ABRAÇO Nacional) als Garant für einen pluralen Sendebetrieb.

266 Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO-SP. Die geographische Fortsetzung dieser Prämisse artikulierte zweieinhalb Jahre lang das bereits erwähnte Programm »Espaço comunitário«, das VIVA RIO in einem Sender des Unternehmens Rádio Globo organisierte. Anstatt jedem einzelnen ComRad die Möglichkeit zuzugestehen mit mehr als 25 Watt zu senden, koordinierte VIVA RIO einen weithin hörbaren »Sendeplatz, in dem die einzelnen Community Radios zu Wort kamen und über ihre Gemeinschaften zu sprechen« (Interview Tião Santos, VIVA RIO).

267 Zitat von Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP.

268 Interview Sofia Hammoe, AMARC.

269 Ebd.

270 Interview Thiago, RIZOMA.

271 Auch seitens der Freien Radios findet eine Auseinandersetzung über plurales Radiomachen statt, welche sich mit der Vergabe von Sendeplätzen (»Ein Radio ist nicht plural, wenn immer die Gleichen Sendungen machen«, Interview Juliano, RIZOMA) auseinandersetzt bzw. die Grenzen inhaltlicher Vielfalt zu bestimmen sucht. Auch wenn »die Pluralität eines Freien Radios gerade darin besteht, keine editoriale Linie zu haben« (Thiago, RIZOMA) und »keine Wortmeldung von vornherein ausgeschlossen« (Rafael, RIZOMA) wird, affirmieren die Beteiligten von RIZOMA zugleich Grenzen der Meinungsfreiheit, die sich auch mit legalen Skripten überlagern können. »Denn im Grunde muss man als Freies Radio nicht jede Art von Inhalt tolerieren, auch wenn das oft in schlecht informierten Kommentaren behauptet wird. Aber das hat nichts mit Freiheit zu tun. Es geht nicht um eine diskursive Einstimmigkeit, ebenso wenig wie um einen Rückfall in Diskriminierungen. Es gibt Sachen die zu Recht gesetzlich verboten sind und Freie Radios sind nicht dafür da, alle Gesetze aus Prinzip zu missachten« (Interview Thiago, RIZOMA).

272 Vgl. Lei 9.612/98, Art21§III.

273 Interview Sofia Hammoe, AMARC.

274 Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP.

275 Interview Juliano, RIZOMA.

276 Ein Beispiel für eine formal-rechtliche Anforderung, ist die in Art. 8 des ComRad-Gestzes (Lei9.612/98) geforderte Bildung eines conselho comunitária. Zur Reglung der Genehmigungsvergabe bei mehreren konkurrierenden Antragsteller_innen vgl. Lei 9.612/98 Art 9 §4.

277 Interview Octavio Pieranti, MiniCom

278 Interview Jerry de Olivieira, ABRAÇO-SP. Oliveira definiert dafür quantitative (Einschaltquote) und qualitative Kriterien, wobei letztere (»[d]er Gesellschaft zeigen, dass wir Radio mit einer unbestreitbaren Qualität machen«) nicht näher operationalisiert werden. Quantitative Kriterien, vor allem das einer Hörer_innenquote, führt auch VIVA RIO als zentrales Merkmal an.

279 Zitiert aus Informationszitschrift von ABRAÇO (ABRAÇO NO AR).

280 Interview Octavio Pieranti, MiniCom

281 Interview Tais Ladeira, AMARC. Interessanter Weise führt Ladeira als ein Beispiel »für ein von den Menschen in der Community anerkanntes Radio« den Freien Sender Rádio Muda an.

282 Interview Carlos Rocha, FDC.

283 Die Zitate entstammen den Interviews mit Julinha und Rafael (beide RIZOMA).

284 Interview Jerry de Oliveira. ABRAÇO definiert die ComRads generisch als Rundfunkaktivist_innen (militantes da radiodifusão) und auch bei AMARC wird dieser Anspruch mitunter sehr deutlich formuliert: »Community Radio zu machen ist kein Hobby, sondern eine Option politischer Militanz« (Interview Tais Ladeira, AMARC).

285 Interview Sofia Hammoe, AMARC.

286 Interview Thiago, RIZOMA.

287 Ebd. Dieses unterschiedliche Staatsverständnis wird deutlich zum Ausdruck kommen, wenn später die Kooperation von ComRads und Freien Radios im Rahmen des Programms ponte de cultura vom Kultusministerium behandelt wird.

288 In einer Selbstbeschreibung der von ABRAÇO-SP produzierten Radiosendung Jornal dos Trabalhadores wird als ein ein handlungsleitendes Prinzip definiert, »gegen jegliche Diskriminierung von Rasse, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung« einzutreten. Ähnlich definiert RIZOMA den allgemeinen Anspruch, »Ein Freies Radio sollte keinen Raum für homophobe Meinungen oder Ideen, die gegen die Menschenrechte verstoßen bieten« (Interview Thiago, RIZOMA).

289 Zitiert aus Informationszitschrift von ABRAÇO (ABRAÇO NO AR).

290 Interview José Sôter, ABRAÇO.

291 Im Gegenteil, in einer Nachricht der Agentur Pulsar Brasil, die aktuell nicht mehr online ist, wird die mangelnde Beteiligung von Frauen auf dem nationalen Treffen von ABRAÇO thematisiert (Interview Livia Duarte, Pulsar Brasil).

292 »Ich denke das hat sich verbessert, damals als ich anfing gab es auch schon Homosexuelle und Frauen im Radio aber die Mehrzahl waren Männer. Ich denke heute ist das anders oder ändert sich. Noch immer gibt es mehr Männer, aber es gibt Programme von gays und Frauen und es gibt viele Geschichten von Frauen,  die sich das Medium aneignet haben. Super« (Interview Rafael, RIZOMA).

293 Interview Denise Viola, AMARC.

294 Damit wird erneut die Konstruiertheit der latente Dichotomie komplex/kompliziert verdeutlicht. Denn in den Arbeitsfeldern wird, wie wir sehen werden, die Signalerzeugung in ihren Handlungsprogrammen vervielfältigt und auf diese Weise die Zahl der Assoziationen, entlang welcher gesellschaftliche Anerkennungswürdigkeit inskribiert wird, erhöht. Manifest ist diese spezifische Kopplung vor allem auf der Beobachter_innenebene (in den endlichen Beschreibungen des Forschungsmaterials). Die network builders intendieren zwar eine Legitimationssteigerung innerhalb der Beschreibung einzelner Arbeitsfelder, nehmen jedoch keine erkennbare Unterscheidung bzw. Vermischung von komplexen und komplizierten Handlungsprogrammen vor.

295 Vgl. Lei 9.612/98 Art. 3° IV,  Art. 4º II.

296 Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO.

297 Ebd.

298 Interview João Paulo Malerba, AMARC.

299 Diese Ansprüche wurden formuliert von Tais Ladeira (AMARC), João Paulo Malerba (AMARC), Joaquim Carvalho (ABRAÇO) und Denise Viola (AMARC).

300 Dieser Widerspruch wurde u.a. problematisiert in den Interviews mit Joaquim Carvalho (ABRAÇO) und ist programmatisch auch in der Neuausrichtung des Radiomachens im Infoblatt der Magazinsendung Jornal do Trabalhador von ABRACO SP formuliert.

301 Zitate von Thiago, Juliano (RIZOMA).

302 Vgl. Lei 9.612/98, Art. 7°ff.

303 Interview Tião Santos, VIVA RIO.

304 Interview Sofia Hammoe, AMARC.

305 Interview Tais Ladeira, AMARC.

305 Begründet wird diese lose legitimierende Kopplung zum einen durch das Argument, dass es »horizontale Verwaltung als Schema in unserer Gesellschaft nicht gibt und erst noch erarbeitet werden muss« (Interview Denise Viola). Vor diesem Hintergrund wird dann auch das Aussetzen der Regel gerechtfertigt, so zum Beispiel das Auftreten zentraler Führungspersönlichkeiten (lideres) in ComRads. »Die Idee eines Führers bereitet mir Unbehagen aber zugleich sehe ich auch die Notwendigkeit einiger Radios, einen solchen zu haben. Vor allem in prekären Situationen ist es mitunter wichtig, jemand zu haben der Verantwortung übernimmt, Angriffe abwehrt, die Verteidigung organisiert und schwerwiegende interne Probleme zu lösen weiß« (Interview Arthur William, AMARC).

306 Interviews Rafael, Juliano (RIZOMA).

307 Interview Juliano, RIZOMA.

308 Interview Thiago, RIZOMA.

309 Ebd.

310 Bei AMARC Brasil sei eine konsensuelle Entscheidungsfindung die Regel und Abstimmungen eine Ausnahme, die sich jedoch in einzelnen Fällen legitimiere und in ihrer Begründung die Operationalisierung eines repräsentativen Modells von Demokratie nahelegt. »Auf nationalen treffen und Versammlung  bei der Wahl des  Vorstands, etc. gibt es eigentlich die Notwendigkeit abzustimmen. Im Frauennetzwerk ist das anders, als bei AMARC Brasil, bisher in der Praxis noch nicht vorgekommen« (Interview Denise Viola, AMARC).

311 Interview Rafael, RIZOMA.

312 Interview Thiago, RIZOMA.

313 Interview mit Joaquim Carvalho (ABRAÇO. Das FDC unterscheidet demgegenüber hart zwischen leitenden und technischen Mitarbeiter_innen eines Radios, ohne dass dabei klar würde, wie diese zueinander im Verhältnis stehen. AMARC Brasil überlässt es erneut den einzelnen Radios diese Rollen zu bestimmen.

314 Interview Thiago, RIZOMA.

315 Vgl. Lei 9.612/98.

316 Interview João Paulo Malerba, AMARC.

317 Interview José Sôter. »Wir nutzen unsere Kongresse dazu, Führungskräfte auszubilden, die mit Verantwortung und Charisma in der Verwaltung, Organisation und Mobilsiation aktiv werden« (ebd.)

318 Interview Juliano, RIZOMA.

319 Interview Thiago, RIZOMA.

320 Ebd.

321 Interview Julinha, RIZOMA.

322 Interessant ist bei diesem Arbeitsfeld auch die Rückkopplung Skript und Inskripteur_innen. Während im Fall der ComRad-Skripte, die Schreibenden als Normenbegründer_innen mit jedem Workshop eine legitimatorische Aufwertung erfahren und ihre Rolle im Akteur_innen-Netzwerk festigen, stärken die Weiterbildungen beim Freien Radiomachen eher praktisch das know how um die veranschlagte Offenheit zu gewährleisten.

323 Interview João Paulo Malerba, AMARC. Für eine Modifikation der Regulierung des Sponsorings sprechen sich auch ABRAÇO Nacional und VIVA RIO aus.

324 Zur bezahlten Kooperation mit öffentlichen Radios der EBC mehr im nächsten Abschnitt. Erwähnenswert ist auch die interessante Idee, ComRads anteilig durch die Vermietung ihrer Antennenmast (z.B. an drahtlose Internetanbieter) zu finanzieren (Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO). Eine angestrebte Finanzierung des FDC, dass ComRads perspektivisch im Rahmen des interaktiven Medienmodells gern zu Agent_innen für das Direktmarketing der Discount-Kaufhauskette Casa Bahia machen würde, steht für sich allein und ist den anderen Skriptschreiber_innen bisher nicht bekannt, wobei zu vermuten ist, dass der explizit kommerzielle Impetus dieser Kooperation auch seitens der anderen ComRad-Inskripteur_innen für Kritik sorgen würde (Interview Carlos Rocha).

325 Interview Tais Ladeira, AMARC.

326 Interview João Paulo Malerba, AMARC.

327 Interview Carlos Rocha, FDC.

328 Interview Silvio, RIZOMA.

329 Interview Julinha, Thiago (beide RIZOMA).

330 Interview Sofia Hammoe, AMARC. In der Praxis habe dies dazu geführt, »dass Gruppen, die nicht für eine Selbstfinanzierung geschult waren, in dem Moment, als sich die Prioritäten ihrer Geber verschoben, verschwanden. Sie fuhren ihre Aktionen zurück oder wechselten das Aktionsfeld, um weiter Geld zu kriegen« (ebd.).

331 Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO.

332 Interview Denise Viola, AMARC. Die praktischen Erfahrung des Frauennetzwerks fasst sie wie folgt zusammen. »Wir mieteten Sendezeit in kommerziellen Radios. Dafür hatten wir eine Zeit lang eine Finanzierung. Dann war Schluss und in diesem Moment verlegten wir unsere Arbeit ins Internet« (ebd.).

333 Das Freie Radioskript äußert sich abgesehen von seiner kategorischen Ablehnung jeglicher Kooperation mit kommerziellen Medien nicht explizit zur Zusammenarbeit mit öffentlichen Radios.

334 Interview Thais Ladeira. Zum modus operandi der Materialhilfe in Brasilia konkretisiert sie, aus Sicht der EBC, wo sie neben ihrer Tätigkeit bei Amarc Brasil hauptberuflich arbeitet:  »Wir liefern einen Kit an die Radios, den sie behalten können, wenn sie sich bis zum Ende am Projekt beteiligen. Aufnahmegeräte, Laptops, die Basisausrüstung eben (ebd.). Die finanzielle Kooperation in Rio de Janeiro lief wie folgt ab: »Zehn Radios aus unserem Netz [die Rede ist hier von ComRads die mit der ONG Criar Brasil kooperieren, N.B.]  produzieren Nachrichten für Radio MEC [ein Sender der EBC, N.B.]. Und diese Radios kriegen monatliche Geld dafür und zwar 100 Reales. Sie produzieren lokale Nachrichten und unterstützen damit die Radios der EBC hier in Rio« (Interview João Paulo Malerba, AMARC).

335 Vgl. Lei 9.612/98 Art.16. ABRAÇO Nacional formuliert diesen weitreichenden Anspruch jedoch nur mündlich (Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO) und zieht sich bei schriftlichen Verlautbarungen auf die Forderung zurück, das »vernetze Senden im Fall nationaler Krisen« zuzulassen (ebd.).

336 Programme, die explizit für die Retransmission in verschiedenen ComRads produziert werden umfassen zum einen die Reportagen und Audio-Nachrichten von Pulsar Brasil, als auch die Magazinsendung Jornal dos Trabalhadores, dass von zwei bundesstaatlichen Sektion des ABRAÇO-Netzwerks produziert wird.

337 Findet besondere Erwähnung bei AMARC Brasil (Interview João Paulo Malerba, AMARC) und RIZOMA. »Die Weitergabe von Sendetechnik für neue Projekte, um deren Einstieg zu erleichtern, ist wichtig (Interview Julinha, RIZOMA).

338 Interview Thais Ladeira, AMARC. Auch RIZOMA erachtet diese gegenseitige Unterstützung als wichtig(Interview Rafael, RIZOMA).

339 Interview Carlos Rocha, FDC.

340 Radiotube ist eine Initiative der ONG Criar Brasil und wird vor inhaltlich vor allem von der EBC und AMARC Brasil unterstützt. Das Portal http://radiolivre.org/ wird von Mitwirkenden von RIZOMA organisiert.

341 Zu erwähnen ist hier der Vorwurf von ABRAÇO Nacional, dass AMARC Brasil im Rahmen eines hidden transcripts lokale Mediator_innen für die Kooperation zwischen der EBC und einzelnen ComRads vorschlagen würde, die assoziierten Sender des AMARC-Netzwerks bei der Auswahl bevorzugen würden (Interviews Joaquim Carvalho/José Sôter, beide ABRAÇO).

342 Das Frauennetzwerk rechtfertigt dieses Vorgehen mit der herrschenden Ungleichbehandlung von Frauen in Radiokollektiven und evoziert zugleich die Unterstützung spezifischer politischer Ziele, wie bspw. die vernetzte Übertragung von Programmen zum internationalen Frauentag. Bei ABRAÇO und dem FDC ist die Beschränkung auf das eigene Netzwerk vor allem dem Anspruch geschuldet, der einzige legitime (landesweite) Repräsentant von Community Radios zu sein. Spezifische Regeln für eine solche Kooperation definiert bspw. ABRAÇO-SP, dass für die lokale Kooperation die regelmäßige Teilnahme an Koordinationstreffen einfordert. »wer dreimal nicht an Treffen teilnimmt, kann ausgeschlossen werden« (Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP).

343 Interview Rafael, RIZOMA.

344 Interview Tais Ladeira, AMARC. »Im Bildungsministerium, im Gesundheitsministerium, im Kultusministerium, überall gibt es punktuell Interesse für Community Radios und auch Geld für gemeinsame Kampagnen ist da« (ebd.).

345 Interview Octavio Pieranti, MiniCom.

346 Interview José Sôter, ABRAÇO.

347 Entgegen aller anderen Inskripteur_innen thematisiert das FDC auch die Kooperation mit staatlichen Akteur_innen auf regionaler und lokaler Ebene. So arbeitet die Organisation bspw. darauf hin einen von der Präfektur São Paulo aufgelegten Community-Radio-Fonds von jährlich zehn Millionen Reales mit zu verwalten (Interview Carlos Rocha, FDC). 

348 Zum Programm der pontos de Cultura vgl. http://www.cultura.gov.br/culturaviva/ponto-de-cultura (24.02. 2014).

349 Wird seitens der ComRad-Inskripteur_innen Kritik laut, dann vor allem bezüglich der konkreten Umsetzung, nicht aber an dem Programm der pontos de cultura selbst. Oboré beispielsweise bezweifelt, ob das Programm »zu einer dauerhaften Ressource für die Community Radios werden wird. Ich denke die breite Förderung wird in naher Zukunft an spezifischere Auswahlkriterien gebunden werden« (Interview Ana Luisa Gómes, Oboré). ABRAÇO-SP hingegen beklagt, dass das »exzellente Instrument« oftmals innerhalb politischer Kalküle eingesetzt würde und parteipolitisch vor allem von der Kommunistischen Partei Brasiliens (PcdoB) ausgenutzt würde (Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO).

350 Interviews Rafael, Julinha (beide RIZOMA).

351 Interview Juliano, RIZOMA.

352 Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO.

353 Interview João Paulo Malerba, AMARC.

354 Interview Joaquim Carvalho (ABRAÇO) und Sofia Hammoe (AMARC). Innerhalb dieser reziproken Stärkung müssten ComRads jedoch auch darauf vorbereitet sein, mit abweichenden Zielstellungen der sozialen Bewegungen konfrontiert zu werden. ABRAÇO SP schlägt hinsichtlich der Kooperation mit Gewerkschaften beispielsweise vor, »Unterschiede beiseite zu lassen und gemeinsame Standpunkte für eine Partnerschaft zu formulieren. Es sollte keine Unterordnung von einem der beiden Partner geben« (Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP).

356 Interview Juliano, RIZOMA.

357 Interview Julinha, RIZOMA.

358 Interview Octavio Pieranti, MiniCom.

359 Ebd. Anatel deutet Legalisierung darüber hinaus auch disziplinarisch: »Vielleicht brauchen wir härtere Strafen, damit die Leute nicht weiter nicht-lizenziertes Equipment kaufen« (Interview Vanessa Gomes, ANATEL).

360 Interview Sofia Hammoe, AMARC.

361 Interview Juliano, RIZOMA.

362 Als konkretes Handlungsprogramm der Legalisierung zugunsten unabhängiger Radios ließe sich die populäre Gesetzesinitiative PLIP verstehen, von der in der Konklusion die Rede seien wird.

363 Interview Denise Viola, AMARC. Ihn ähnlicher Weise vergleicht ABRAÇO Nacional das Vorgehen der Bundespolizei (PF) gegen ComRads mit Einsätzen gegen »gemeine Drogendealer. Die Radios werden gestürmt, als handle es sich um Kokainküchen und das Equipment wird verwüstet so wie eine Marihuanapflanzung« (Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO). Um diesen öffentlichen Widerstand mehr Gewicht zu verleihen, müsse auch die »Inhaftierung von Radiomachenden und ihre strafrechtliche Verfolgung« thematisiert werden (Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP). Für das Handlungsprogramm großer Demonstrationen spricht sich das FDC aus und verweist auf das empirische Beispiel der von ihm organisierten »Karvanen« nach Brasilia »mit bis zu 700 Leuten der nicht-organisierten Bevölkerung, die alles aus eigener Tasche bezahlten« (Interview Carlos Rocha, FDC). Exemplarisch steht für die Einforderung rechtsstaatlicher Garantien die Argumentationslinie von ABRAÇO Nacional, die Senden ohne Genehmigung mit Verweis auf das ComRad-Gesetz und das Strafgesetzbuch als Ordnungswidrigkeit und nicht als Straftat interpretiert (Interview José Sôter, ABRAÇO).

364 AMARC Brasil führt hier »einen Interessanten Fall im Osten von Rio de Janeiro« an, wo »ein Community Radio unter der Repression einer Miliz litt, in der Paramilitärs und Polizeieinheiten zusammenarbeiteten. Sie kassieren monatlich bei Bewohner und Organisationen ab. Von dem Sender  wollten sie monatlich jeweils 200 Reales. Es ist wichtig, so etwas öffentlich zu denunzieren« (Interview João Paulo Malerba, AMARC).

365 Interviews: Rafael, Julinha (beide RIZOMA).

366 Ich anonymisiere an dieser Stelle den network builder und gehe nicht näher auf die operative Funktionsweise dieses Frühwarnsystems ein, weil es in einigen Regionen Brasiliens bereits erfolgreich zum Einsatz kommt und ein »Öffentlichmachen« dieses spezifischen Handlungsprogramms im Rahmen der vorliegenden Arbeit negativen Einfluss auf die beteiligten ComRads haben könnte.

367 Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP. Im Raum Campinas organisiert ABRAÇO SP einen solchen Fond, bei dem Radios monatlich 50 Reales zahlen und im Gegenzug dafür, »im Fall einer Konfiszierung des Sendeequipments sofort neue Technik zur Verfügung gestellt bekommen. Es entstehen dem Sender dann keine zusätzlichen Kosten« (ebd.).

368 Ebd.

369 Ein bekannt gewordener Fall ist z.B. in dieser Nachricht von AMARC Brasil dokumentiert: http://amarcbrasil.org/radios-comunitarias-nao-tem-fins-de-lucro/ (04.03.2014).

370 Vgl. http://amarcbrasil.org/escritorio-de-arrecadacaocad-e-acusado-fomracao-de-cartel/ (04.03.2014)

371 Interview Thiago, RIZOMA.

372 »O documento argumenta, que o intento do ECAD de cobrar das rádios comunitárias da mesma forma como de emissoras comerciais, consiste em um tratamento flagrantemente discriminatório e restritivo que contribui para criminalização das rádios comunitárias, […] violando o direito humano da liberdade de expressão« (Vgl. http://amarcbrasil.org/radios-comunitarias-nao-tem-fins-de-lucro/ (04.03.2014).

373 Interview José Sôter. Ein Beispiel für einen Künstler, der bereits teilweise unter der Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht ist Gilberto Gil (vgl. http://www.nytimes.com/2007/03/11/arts/music/11roht.html?pagewanted=all&_r=0 04.03.2014).

374 Interview Juliano, RIZOMA.

375 Konzeptuell wird diese Frage innerhalb der ANT entlang der Figur von immutable mobiles diskutiert. Ich werde darauf am Ende 3. Kapitels noch einmal genauer eingehen (vgl. 3.6)

376 Vgl. Kap. 3.3.2.4. und Kap.  3.4.2.

377 Interview Thais Ladeira, AMARC.

378 Interview Sofia Hammoe, João Malerba (beideAMARC).

379 Interview Sofia Hammoe, AMARC.

380 Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO.

381 Nach Auskunft der/des hier zitierten Mitarbeitenden von ABRAÇO Nacional, der in diesem Zusammenhang namentlich nicht genannt werden möchte, werbe der Radioverband gegenüber potentiellen neuen Mitgliedern auch mit dieser Garantie.

382 Interview Joaquim Carvalho, ABRAÇO. In ganz ähnlicher Weise äußert sich AMARC Brasil, wenn sie zwar fordern, dass keine »Kultur des Kopierens« gepflegt werden dürfe und »die Inhalte und die Form des Radios von kommerziellen Radios übernommen werden« sollte, zugleich aber einräumen, dass nur ein Prozent der Radiomachenden in ComRads Zugang zu höherer Bildung hätten und und »Hörerfahrungen von denen die selbst Radio machen und ihren Fans sich eben auf kommerzielle Sender beschränken« (Interview Thais Ladeira).

383 Interview Sofia Hammoe, AMARC. Delegitimierend ist hier spannender Weise nicht die Kopplung von Werbung (die es zumindest aus Sicht der legalen Skriptschreibenden stets wäre), für deren legale Nutzung sich AMARC Brasil ja unter anderen stark macht, sondern die ästhetische Programmstrukturierung.

384 Interview Tiao Santos, VIVA RIO.

385 Ebd.

386 Interview José Sôter, ABRAÇO.

387 Interview Rafael (RIZOMA), João Paulo Malerba (AMARC). Letzterer ist dabei vor allem gegen die kontinuierliche Finanzierung von ComRads im Rahmen von staatlichen Projektpartnerschaften. »Der Staat sollte nicht auf diese Weise Community Radios finanzieren, denn so würden sie ständig der Gnade wechselnder Regierungen unterliegen und könnten ständig erneut in die Subsistenz abrutschen« (ebd.).

388 Vgl. Kap. 2.4. Gemeint sind damit vor allem kategorische Unschärfen der referierten Radiodefinition, sowie die Persistenz von Gesetzen deren Entstehung bzw. Inhalte außerhalb rechtsstaatlicher Standards zu verordnen sind sowie der fehlende Nachweis von Legitimation zahlreicher im legalen Skript Lei 9.612 und weiteren Gesetzestexten.

389 Der Unterschied zwischen solcherlei Kopplungs-Strategien wurde exemplarisch bei der Debatte um die Nutzung von Handbüchern deutlich, die in ihrer Konfiguration als gehärtetes Soziales (bzw. nicht-menschliche Akteur_in) in ComRad-Skripten breite Verwendung finden und direkt als Legitimationshelfer_innen inskribiert werden, während sie in Freien Radios nur lose und selektiv gekoppelt werden, als mögliche stabilisierende Größen für die Signalerzeugung im engeren Sinne.

390 Vgl. LATOUR 1990.

391 SCHÜTTPELZ 2009: 71.

392 BELLIGER 2006: 26f.

393 Zu einer genaueren Begriffsbestimmung vgl. SCHÜTTPELZ 2009: 85f.

 

Endnoten Kap. 4

1 Vgl. http://www.flujos.org/ (21.03.2015).

1 (a) Ein von Radiomachenden in Mexiko Stadt benutztes Wort der Lobpreisung (Interviews mit Radio Zapote, Radio K-Huelga Mai 2005).

2 Vgl. Kap. 1.1.

3 Ich greife hier auf die bereits eingangs angewandte Struktur eines Radioskripts zurück (Vgl. Einleitung, EN1). Alle Zitate sind den Aufzeichnungen meines Forschungstagebuchs entnommen. Ich verzichte an dieser Stelle auf eine gesonderte Zuordnung aller Interviewpartner_innen, die im Laufe des Kapitels, nach und nach eingeführt werden.

4 Vgl. EN1.

5 Mit Hilfe der perspektivischen Akteur_innenkategorien lassen sich die Akteur_innen-netzwerke detaillierter sichtbar machen und evozieren Rekonstruktionen von Legitimation, die direkt an operativen Gebrauch gebunden sind. Wie im Theoriebaukasten III dargelegt, handelt es sich bei diesen vier akteurstheoretischen Perspektiven um: 1. Ko-Konstitutionen von als »Technik« verstandenen Objekten und einer subjektiven Gesellschaft; 2. Heterogenen Assoziationen; 3. (Technischen) Objekte, verstanden als »Härtung des Sozialen« und 4. Moderator_innen menschlicher Sozialität. Vgl. zu diesen Kategorien auch SCHULZ-SCHAEFFER 2008.

6 Vgl. Kap. 1.2.

7 Vgl. Zu Freier Software Kap. 3.3.1.2 und zur Spektrumsdebatte Kap. 3.3.1.3.

8 Vgl. Kap. 3.5.1.

9 Vgl. Kap. 2.1.1.2.

10 Angaben aus Kollektivinterview mit Gründern von Rádio Várzea und aktuell aktiven Radiomachenden in Rádio Pulga und Rádio Muda.

11 Dieser Vergleich wurde von dem Freien Radio Bronka aus Barcelona anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Senders gezogen. Vgl. RADIO BRONKA. 2013:9. Vgl. einführend zum Gedankenexperiment Schrödingers Katze Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Schr%C3%B6dingers_Katze (19.10.2014) .

12 Interview Rafael Rádio Muda.

13 Interview Julinha, Rádio Pulga.

14 Kollektivinterview Rádio Várzea.

15 »Rádio Várzea ist eher ein Debattierradio, in den neun Jahren seiner Existenz haben wir vielleicht dreieinhalb gesendet« (Kollektivinterview Rádio Várzea). Auch die Chronologie von Rádio Pulga weist viele Lücken auf. Gesendet wurde Anfang der 90er Jahre, dann wieder von 2005 bis 2009 und erneut von 2010 bis 2011, als erstmalige die Regulierungsbehörde ANATEL das Radio schließt, bis es 2013 erneut auf Sendung geht (Informationen aus Interview mit Julinha und Samu). Zur Schließung von Rádio Pulga vgl. http://amarcbrasil.org/radio-pulga-anatel-e-policia-federal-levam-transmissor-ilegalmente/ (12.12.2013).

16 Kollektivinterview mit Rádio Várzea. Die Aussage von DJ Palão machte dieser auf der Veranstaltung Espaço, Sociedade e Comunicação am 01.12. 2011.

17 Interview Dani, Rádio Muda.

18 Ebd.

19 Interview Samu, Rádio Muda/Rádio Pulga

20 Einschätzung zu Rádio Pulga von Samu, die weiten Zitat sind aus dem Kollektivinterview mit Rádio Várzea.

21 Einschätzung von Samu

22 Ebd., außer dem Hinweis auf die Konflikt. Als konkrete Beispiele dafür werden die ständigen Auseinandersetzungen bei Rizoma-Treffen genannt, die vor allem die »Expansionspolitik von Rádio Muda und damit verbundene Ziele« betrafen (Kollektivinterview Rádio Várzea). Einen weiteren Streitfall stellt ein gemeinsames Buchprojekt aus dem Jahr 2010 dar. »Es war eine unnötige und absurde Polemik, die Rádio Muda am Ende sehr schlecht dastehen lies. Dabei ging es im Grunde vor allem um den Organisationsstil der Edition, die eine Person an sich gerissen hatte und sich als offizieller Kontakt mit einem Verlag herausstellte. Irgendwann trat die Person aus der Mailingliste aus und da endet die Geschichte, só weit ich sie kenne« (Interview Dani, Rádio Muda).

23 Vgl. http://www.radio.livre.org/rizoma (12.12.2013).

24 Diese und die folgenden Zitate dieses Absatzes sind aus den Interviews mit Samu von Rádio Muda/Rádio Pulga, Dani von Rádio Muda und dem Gründerkollektiv von Rádio Várzea. Die Delegitimierung der staatlichen Regulierung als »illegal« wird vor allem auch im Falle vorübergehender Schließungen eines Senders herangezogen, so zum Beispiel auch von einem legalen Verteidiger von Rádio Pulga, als dieses im Jahr 2011 von Anatel und der Bundespolizei geschlossen wird. Vgl. http://oglobo.globo.com/educacao/policia-federal-anatel-fecham-radio-universitaria-do-instituto-de-filosofia-ciencias-sociais-da-ufrj-2866638 (12.11.2014).

25 Kollektivinterview Rádio Várzea.

26 Interview Samu und Rafael von Rádio Muda.

27 Interview Samu, Rádio Muda/Rádio Pulga.

28 Kollektivinterview Rádio Várzea.

29 Interview Rafael, Rádio Muda. Zu diesen Techniken werden neben den »Erfahrungen bei der Konstruktion von Sendegeräten, Antennen, Webradio und Freier Software auch Modelle horizontaler Organisation und Selbstverwaltung« (Interview Rafael, Rádio Muda) gerechnet. Diese »Weitergabe und Sozialisierung von Wissen« stärke nicht nur die Anerkennungswürdigkeit von Community Radios, sondern sei »in letzter Konsequenz auch der Nachweis, dem Anspruch der Kooperation und Proliferation dieses Wissens, den Freie Radios haben« (Kollektivinterview Rádio Várzea), gerecht zu werden.

30 Die Notionen werden von allen Interviewten verwendet.

31 Zitat von Rafael, Rádio Muda. Bei Rádio Várzea und Rádio Muda werden bei jeweils zwei mit Anatel koordinierten Polizeieinsätzen beide Male das gesamte Equipment konfisziert, bei Rádio Pulga wird 2011 während eines Einsatzes  von Anatel der Sender konfisziert (Interviews mit Radiomachenden).

32 Die Teilnahme von Lehrenden am Sendebetrieb oder einzelnen Sendungen ist in allen drei Freien Radios dokumentiert. Der Interessenskonflikt zwischen selbstorganisierten studentischen Veranstaltungen und den finanziellen Investitionen von Lehrenden (und anderen universitären Mitarbeiter_innen) in Campusnähe ist vor allem an der UNICAMP virulent.

33 Interview Thiago, Rádio Muda.

34 Interview Samu, Rádio Muda/Rádio Pulga

35 Interview Thiago, Rádio Muda.

36 Interview Rafael, Rádio Muda

37 Dokumentierte Debatten auf Plenen von Rádio Muda, Kollektivintrview Rádio Várzea und Interview Julinha, Rádio Pulga.

38 Während Rádio Muda in der jüngeren Vergangenheit (2003-2011) Montagabends ein Plenum einberuft, lassen sich in den beiden Sendern punktuelle Abweichungen dokumentieren. In Rádio Várzea einigte man sich nach dem ersten Treffen auf einen 14-tägigten Rhythmus und in Rádio Pulga, gab es eine Zeit lang den Versuch, die Termine der Treffen eher konsensuell festzulegen – mit wenig Erfolg: Als begann mitzumachen, gab es keinen wöchentlichen Rhythmus, stattdessen wurde immer auf dem letzten Plenum festgelegt, wann wir uns wieder treffen würden. Aber es war oft unmöglich und zeitraubend, sich auf einen gemeinsamen Termin zu einigen. Jetzt treffen wir uns wieder Montags (Interview Julinha, Rádio Pulga).

39 Besonders gut lässt sich dieses »ererbte« Handlungsprogramm bei Rádio Várzea rekonstruieren: »Das Plenum ist eine ererbte Dynamik aus der Zeit des großen Unistreiks. Wir haben sie dann beibehalten, auch in ihrer chronologischen Struktur. Zuerst findet das eigentliche Treffen statt, auf dem thematische Debatten geführt werden. Und danach gibt es eine kleine Party und Verbrüderungen (confraternizações)«  (Kollektivinterview Rádio Várzea).

40 Ebd.

41 Diese Beispiele wurden in den Interviews von den Beteiligten von Rádio Muda und Rádio Várzea genannt. Bei Rádio Pulga wurde bis zur Schließung im Jahr 2011 viel Wert auf darauf gelegt, zwar einzelne, zeitweilige Funktionen zu delegieren aber nie mit Direktorium zu arbeiten, denn »das hätte uns Mitglieder gekostet, denen die horizontale Selbstverwaltung sehr wichtig war. Damit entzogen wir uns auch dem Zugriff der Nachwuchsorganisationen politischer Parteien. Für die waren wir sehr unbequem, eben weil wir unabhängig und kritisch agierten« (Interview Julinha, Rádio Pulga).

 Bei Radio Pulga ist zugleich jedoch ein wichtiger Moment überliefert, bei dem eine der funktionellen Gruppen, die mit der Sendetechnik betraut war »putschte. Sie kauften einen Sender,  obwohl es keinen Konsens darüber gab, die Ersparnisse des Radios dafür zu verwenden« (Interview Samu, Rádio Pulga/Rádio Muda) Daraufhin spaltet sich das Kollektiv, es blieben die, »die anderen vor vollendete Tatsachen gestellt hatten. Es gab bis vor kurzem immer noch Leute an der Unis die das kritisierten. Aber wir wollten endlich richtig Radio machen, das ging nicht ohne Sender. Und auf den Treffen war es unmöglich eine Lösung zu finden« (Interview Julinha, Rádio Pulga).

42 Kollektivinterview Rádio Várzea. Als Beispiel dafür wird einmal mehr der zeitweilige Richtungsstreit zwischen der an lokalen Aushandlungen studentischer Gruppen orientierten Koordination von Rádio Várzea und Versuchen einer Regenschirmpolitik von Rádio Muda und dem CMI genannt, dass alle Freien Radios hinter einem sehr spezifischen Konzept Freien Radiomachens versammeln wollte (Ebd.)

43 Samu beschreibt seine Mitarbeit bei Rádio Pulga als ermüdend, da er unfreiwillig mit zwei weiteren Radiomachenden jene Gruppe bildet, die den gesamten operativen Gebrauch des Radios organisiert, der über die Moderation einzelner Programme hinausgeht (Interview Samu, Rádio Pulga). In Rádio Várzea widerum beschreibt sich ein Radiomachender dagegen als Arbeitskraft, während er einem andren Beteiligten attestiert mehr oder weniger die Situation zu kontrollieren (Interview Luis, Rádio Várzea).

44 Interview Dani, Rádio Muda.

45 Interview Samu, Rádio Muda/Pulga.

46 Zitate aus Kollektivinterview Rádio Várzea, Interview Julhinha, Rádio Pulga.

47 Kollektivinterview Rádio Várzea.

48 Die maximale Beteiligung soll bei Rádio Pulga in der jüngeren Vergangenenheit bei 30 Personen, bei Rádio Várzea bei 20 Personen gelegen haben (Interview Samu, Rádio Muda/Pulga, Kollektivinterview Rádio Várzea).

49 Kollektivinterview Rádio Várzea.

50 Interview Julhinha, Rádio Pulga.

51 »Das Radio ist heute in einem neuen Prozess, offener und geprägt von Dynamiken, die nichts mit dem Entstehungskontext zu tun haben. Nicht das wir uns ausgeschlossen fühlen würden, aber bei uns beeinflussten zu Beginn individuelle Freundschaften und politischen  Überzeugungen das Mitmachen, heute beteiligten sich die Leute am Radiobetrieb, um andere, kennenzulernen. Den Raum, den wir geschaffen hatten, war ein anderer und orientierte sich vor allem an der Kritik der Studierendenbewegung und einer systematischen Reflektion über das kollektive Tun, das die Idee eines Freien Radios verwirklichte« (Kollektivinterview Rádio Várzea).

52 Interview Samu, Rádio Muda/Pulga.

53 Interview Dani, Rádio Muda.

54 Die Mailingliste wird als Akteur_in auf den wöchentlichen Plenen vorgestellt und allen interessierten steht es offen, sich darin eintragen zu lassen.

55 Interview Rafael, Rádio Muda, Interview Julinha Rádio Pulga. In Radio Várzea lässt sich in Bezug auf die Gründer_innengerneration ein abweichendes Verständnis dokumentieren. Diese verstanden und verstehen die Präsenz auf den Plenen als entscheidendes Kriterium, mitreden zu können und beschränken auch die Nutzung der Mailingliste auf Akteur_innen, die sich regelmäßig an Treffen beteiligen. Damit haben sie zugleich ihr weiteres, technisch mediiertes Mitwirken ausgeschlossen (Kollektivinterview Rádio Várzea).

56 Interview Samu, Rádio Muda/Pulga.

57 Gemeinst sind dabei an dieser Stelle keine inhaltliche Kriterien oder gender-spezifischen Unterscheidungs-merkmale, die an anderer Stelle besprochen werden.

58 Kollektivinterview Rádio Várzea, Interview Samu, Rádio Muda/Pulga (Selbstbeschreibung seiner Anfangszeit bei Rádio Muda).

59 Interview Samu, Rádio Muda/Pulga.

60 Kollektivinterview Rádio Várzea

61 Interview Dani, Rádio Muda.

62 Interview Samu, Rádio Muda/Pulga, Interview Julinha Rádio Pulga.

63 Ich habe all dieser Orte während der Feldforschung besucht. Raumwechsel innerhalb des Universitätsgeländes sind im Übrigen nicht ausgeschlossen. Rádio Muda besetzte den Wasserturm in den 1990er Jahren übrigens auf Grund eines Streits um Räumlichkeiten in einem Institut (Interview Rafael, Rádio Muda). Rádio Pulga sendete zuerst von einem Raum der Geschichtswissenschaften aus, ein kleiner, total verflohter Kabuff, ganz am Ende einer Treppe, das war die erste Kabine. Von dort zog das Radio dann um in Räume im 3. Stock um, ein Büro der Philosophischen Fakultät, das bisher eine ONG genutzt hatte. Als die gingen, schnappten wir einfach diesen Raum. Und später tauschten wir dann und bekamen den Raum, in dem wir heute sind (Interview Julinha, Rádio Pulga). Rádio Várzea ist bisher noch nicht umgezogen.

64 Interview Julinha Rádio Pulga.

65 Ich sehe deshalb von einer umfassenden Deskription aller versammelten Entitäten ab, die im weiteren Sinne zur Sendetechnik gezählt werden, auch wenn ich in allen besuchten Radio entsprechend eines offenen Fragebogens die Audioketten dokumentiert habe. Die hier getroffene Auswahl von Akteur_innen orientiert sich vielmehr an der Übersetzung einer spezifischen Legitimation, die in Bezug auf bestimmte Größen veranschlagt wird.

66 Vgl. Kap. 3.3.1.2 bzw. 3.3.1.3.

67 Interview Rafael, Rádio Muda. Auf gerechtfertigte Einschränkungen, die in ihrer Konstruktion über Einzelfall-entscheidungen hinausweisen, werde ich weiter unten zu sprechen kommen, wenn von der Akteur_in Community die Rede ist.

68 Interview Samu, Rádio Muda/Pulga.

69 Interview Dani, Rádio Muda.

70 Interview Julinha Rádio Pulga. Ergänzungen Várzea

71 Interview Julinha Rádio Pulga. Bei Rádio Muda war beispielsweise DJ Random auf Sendung, als ich dort an einem Montagvormittag zum ersten Mal an die Tür der Sendekabine klopfte (vgl. 4.1). Rádio Várzea verzichtete in den ersten Monaten nach seiner Gründung auf das Senden, wenn kein menschlicher Aktant anwesend war, aus Angst, damit zu viel Aufmerksamkeit anderer Radios auf uns zu ziehen, die mit ihren Anzeigen den Fortbestand des Senders hätten gefährden können (Kollektivinterview Radio Várzea).

72 Kollektivinterview Rádio Várzea. Rádio Pulga nutzte beispielsweise lange Zeit einen externen CD-Spieler oder MP3-Spieler, um über das Mischpult nachts im Shuffle-Modus hörbar zu bleiben. So wie die beiden anderen Sender verwendet es inzwischen jedoch vor allem Comuterprogramme zur Wiedergabe von Audiodateien, jedoch keine spezifische Automatisierungssoftware (z.B. Airtime, Rivendell).

73 Ebenso verhält es sich mit der Entität Streaming, jener digitalen Signalübertragung im Internet, die bereits von den networkbuilders Freien Radiomachens als Ergänzung, nicht aber als komplizierte Größe konzeptioniert wurden (vgl. 3.3.1.1). Die Radiokollektive stimmen dem vollständig zu, selbst wenn sie mitunter streaming als Radiomachen anerkennen, jedoch Schwierigkeiten sehen, Freies Radiomachen im Internet zu operationalisieren (Interview Dani, Rádio Muda).

74 Interview Samu, Rádio Muda/Rádio Pulga.

75 Eine Größe die auch oft erwähnt, hier aber nicht weiter betrachtet werden wird, sind die, meist paarweise vorhandenen, Plattenspieler, zum Auflegen von Musik. Ihr Zustand (ständig bedroht durch unsachgemäßen Gebrauch) und ihre Bedürfnisse (neue Nadeln) entfachen häufig Debatten. Erstaunlicher Weise thematisierte jedoch keine_r der Befragten die Plattenspieler als komplizierte Entität. In ihrer spezifischen ästhetischen Vermittlung, der Mobilisierung angehender Djs aber auch ihrer einmalige Fähigkeit die Vinylsammlungen der Sender hörbar zu machen, steckt hingegen viel Potential, dass ihnen eine potentiell sehr aktive Rolle im Kreis der komplizierten Akteur_innen attestiert.

76 Als »Rockstar« tritt ein Sender zum Beispiel dann auf, wenn er grün und rot blinkend das erfolgreiche Versenden eines Hevy-Metal-Songs anzeigt. Zum »Baby« wird er in den Erzählungen, wenn von Versuchen berichtet wird, ihn »zu sabotieren, zu manipulieren oder zu stehlen« und wie andere Akteur_innen sich »aufopfern, um ihn vor Angriffen zu schützen« (Interview Rafael, Rádio Muda).

77 Interview Julinha Rádio Pulga.

78 Interview Rafael, Rádio Muda.

79 Ebd.

80 Ebd.

81 Interview Julinha, Rádio Pulga.

81 Kollektivinterview, Rádio Várzea.

82 Ebd.

83 Ebd.

84 Interview Julinha, Rádio Pulga.

85 Probleme mit parteinahen Jugendorganisationen, die zu einem guten Teil die brasilianische Studierendenbewegung konstituieren, gab es nach Aussagen der Interviewten vor allem in Rádio Pulga und Rádio Várzea (vgl. Interviews Julinha, Kollektivinterview Várzea). In Radio Várzea gab es bis 2003 zudem einen Streit mit dem CMI, dessen Mitglieder »zum Teil im Namen des Radios Interviews in Zeitungen wie Folha de São Paulo gaben, immer und überall repräsentieren wollten« (Kollektivinterview Rádio Várzea). Die zeitweilige Präsenz von »Nazis« ist sowohl in Rádio Pulga als auch Rádio Muda dokumentiert. In beiden Fällen geht dem Ausschluss dieser Programmmachenden eine lange Debatte darüber voraus, ob die ideologische Gesinnung tatsächlich nachzuweisen ist. Am Ende erfolgen die Ausschlüsse in beiden Fällen letztendlich auf Grund des aggressiven Verhaltens gegenüber anderen Radiomachenden und nicht aufgrund inhaltlicher Aussagen (Interviews Julinha, Rafael).

86 Interview Dani, Rádio Muda.

87 Innerhalb dieser Akteur_innengruppen werden dann jeweils spezifische Entitäten und Handlungsprogramme herausgearbeitet, die die Anerkennungswürdigkeit positiv beeinflussen. Dazu gehören bspw. »organisierte oder nicht-organisierte Studierende, die sich mit nicht-repräsentativen Modellen demokratischen Zusammenlebens identifizieren« (Kollektivinterview Rádio Várzea). Dazu gehören »Lehrende, die das Freie Radio als legitimes Uniradio ansehen« (Interview Rafael, Rádio Muda), die Bewohner_innen von Wohnheimen und Prekärer, die ebenfalls in der Nachbarschaft leben (Kollektivinterview Rádio Várzea) oder auch internationale Studierende, die ein Semester lang ein Programm übernehmen, entweder schon anderswo Freies Radios gemacht haben oder hier die Gelegenheit nutzen (Interview Rafael, Rádio Muda).

88 Interview Samu, Rádio Muda / Pulga.

89 Interview Rafael, Rádio Muda. Diese kooperieren nicht ausschließlich mit Freien Radios und scheinen in ihrem medienpolitischen Selbstverständnis äußerst divergent. So geben sie innerhalb unterschiedlicher Handlungsprogramme (bezahlt, ehrenamtlich, etc.) ihr Wissen an unterschiedliche Radiokollektive weiter, darunter auch kommerziell orientierte Piratenradios und evangelikale Sender (Ebd.).

90 Interview Julinha, Rádio Pulga.

91 Interview Samu, Rádio Muda / Pulga. Samu führt als positives Gegenbeispiel die Strategie der Zapatisten in Mexiko an, die es seiner Meinung nach »geschafft haben, die Kommunikationsmittel und soziale Bewegungen zu verbinden« (Ebd.).

92 Interview Samu, Rádio Muda / Pulga.

93 Interview Rafael, Rádio Muda.

94 Als »Autarkiefantasien« bezeichnet im Interview einer jener Beteiligten (der auf eine Anonymisierung seines Namens wert legt) das Ende der direkten staatlichen Kooperation. Dem wiederum wird seitens der Radiokollektive eine gesteigerte Naivität (Rádio Várzea) oder ein Wille zur Macht attestiert. Ihr Gegenargument lautet, der Verweis auf inhaltliche Unabhängigkeit im Rahmen staatlicher Projektkooperation allein, legitimiere die Zusammenarbeit nicht vollständig, denn es gäbe auch eine größere Debatte bezüglich der sozialen Organisation eines Radios, dass sich vor dem Hintergrund der anhaltenden staatlichen Repression zum Komplizen mache. »Die Regierung greift mit einem Ministerium hart durch, ein anderes agiert dagegen versöhnlich auf soziale Forderungen. Damit werden alle Interessen irgendwie bedient. Medienaktivisten die dabei mitspielen, müssen sich den Vorwurf der Kooptation gefallen lassen. Und neu ist diese Dynamik schon lange nicht, die gesamte PT ist schließlich so entstanden« (Kollektivinterview Rádio Várzea).

95 Interview Dani, Rádio Muda, Interview Samu, Rádio Muda / Pulga, Interview Julinha, Rádio Pulga.

96 Entgegen den vorher analysierten Akteur_innen der Freien Radios auf dem Campus, fällt bei der nicht direkt an der Signalerzeugung beteiligten Größen der community auf, dass die Radiomachenden recht wenig darüber Auskunft geben, inwiefern die angestrebten oder realisierten Mobilisierungen im Rahmen »technischer Mediationen« erreicht werden. Ihre Partizipation lässt sich jedoch anteilig in Plena (eigenen oder denen anderer Kollektive) rekonstruieren, teilweise auch auf den Mailinglisten.

97 Ein Beispiel für eine solche Aushandlung habe ich auf einer reunião de grade bei Rádio Muda dokumentiert. Eine Gruppe Interessierter sprach das Thema der Legalisierung an und schlug vor, sich diesbezüglich mit dem Kommunikationsministerium in Verbindung zu setzten, weil eine Genehmigung die alltägliche Radioarbeit doch einfacher und sicherer machen würde. Darauf hin legten verschiedene bereits aktive Radiomachende dar, warum diese Idee in einem Freien Radio keinen Platz habe.

98 Sogenannte Sendeplatztabellen sind in allen Sendekabinen präsent, hängen in Form von Tafeln oder Blättern an den Wänden. Darauf sind häufig auch Änderungen markiert, die darauf hindeuten, dass die Arbeitsteilung entlang einzelner Sendeplätze auch während der Semester veränderlich ist.

99 Interview Samu, Rádio Muda, Interview Thiago, Rádio Muda, Interview Julinha, Rádio Pulga, Kollektivinterview Rádio Várzea. Das Ausscheiden von Programmmachenden ist eng an die Handlungsprogramme der Universität gekoppelt. Im Fall der Studierenden ist das Studium und der Aufenthalt zum einen befristet, um anderen auch immer wieder »unterbrochen von Praktika oder Auslandssemestern« (Interview Samu, Rádio Muda/Rádio Pulga).

100 Interview Dani, Rádio Muda.

101 In allen Interviews verwendeter Begriff um diese zeitlich definierte kollektive Größe zu beschreiben.

102 Kollektivinterview Rádio Várzea, Interview Julinha, Rádio Pulga, Interview Rhatto, Kollektiv Saravá. Der Einschätzung von Rhatto zufolge, sei Rádio Várzea generell von Tod und Wiedergeburt einzelner Generationen geprägt, das heisst einer Kontinuität ohne generationsübergreifender Konstanz. Insgesamt greifen die Interviewten mit ihren Aussagen implizit auch das Bild des Rhizoms auf, dass ihr network builder ja als Namen trägt und in gewissem Sinne auch die Idee der cheshire cat aus Alice im Wunderland (und Radio Alice), die immer wieder auftaucht und verschwindet, jedoch dennoch fortwährend existiert.

103 Kollektivinterview Rádio Várzea. Die Gruppe kritisiert hier explizit die aktuelle Generation im Radio, die von einer »eine bourgeoisen, entfremdeten Arroganz des rebellischen Bürgertums gegenüber der Welt« geprägt sei (Ebd.). Bei einem Besuch fällt auch mir eine gegenderte Aufgabenteilungen auf: die männlichen Radiomacher basteln an der Antenne und der Studiotechnik, die anwesenden Frauen putzen. Auf Nachfrage sagen die Beteiligten, dass entspräche eben den Interessen der Einzelnen. Momente generationaler Risse werden jedoch auch in den beiden anderen Sendern beschrieben. Bei Rádio Pulga ist bspw. das vollständige Verschwinden der Frauengeneration zu nennen, die lange Zeit den operativen Gebrauch prägten. Bei Rádio Muda sind in der jüngeren Vergangenheit zumindest »unterschiedliche Intensitäten« spürbar, die auf eine geringe Beteiligung »nach dem Ende der Goldenen Generation« hindeuten.

104 Interview Julinha, Rádio Pulga, Dani, Rádio Muda.

105 Ebd, Interview Thiago, Rádio Muda; Kollektivinterview Rádio Várzea. Die zitierten »Wortmeldungen« werden dabei auch über die Entität des »offenen Mikrophons« hinaus vermittelt. Hier erfahren weitere Akteur_innen, wie Telefone, Chats oder E-mailadressen eine Intensivierung ihrer Kopplung, nicht unbedingt als heterogene Assoziation – von offenen Telefonen ist nicht die Rede –, wohl aber als Größen die menschliche Sozialität ermöglichen. Sie bilden sozusagen einen Kippschalter, bei dem aus komplexen Akteur_innen, durch ihre, oft auch hörbare Beteiligung am Sendebetrieb, komplexe actors werden. So wird beispielsweise auch auch die zeitweilige Erfahrung eines Festnetzanschlusses in Rádio Muda als äußerts positiv erinnert. »Die Telefonlinie im Radio war ein wichtiger Moment, die Leute riefen an, beteiligten sich. Leider haben wir die Möglichkeit aus bürokratischen Gründuen dann eingebüßt« (Interview Samu, Rádio Múda/Rádio Pulga). Und auch in Rádio Pulga gab es eine »Hörer_innenlinie«: »Wir hatten eine Zeit lang ein Handy, das ständig im Sender lag, um Anrufe entgegenzunehmen. Sicher, feedback über das Internet ist sicher auch super, aber das haben wir bei Pulga nie wirklich erreicht. Vielleicht ist das Telefon auch immer noch die bessere Interface für eine direkte Beteiligung« (Ebd.).

106 Kollektivinterview Rádio Várzea.

107 Ebd.

108 Interview Julinha, Rádio Pulga.

109 Kollektivinterview Rádio Várzea und eigene Beobachtungen. Gern erzählt, wir in Rádio Várzea beispielsweise der Fall einer »Frau, die auf dem Campus eine Imbissbude betrieb, während ihr Mann als Wachmann arbeitete. Beide waren unsere Kameraden und informierten uns sofort über Besuche von Radioreportern des kommerziellen Senders Band FM, Regulierern oder der Polizei« (ebd.).

110 Dokumentiert auf Plenum von Rádio Muda (08.03.2010) und im Kollektivinterview mit Rádio Várzea.

117 Diese Regeln sind zugleich ein gutes Beispiel für ihre ständige Aushandlung und Modifikation. Die ersten Generation in Rádio Várzea war strikt gegen den Konsum von Marihuana und Alkohol in der Sendekabine, bei Rádio Pulga war der Kompromiss einen Raum weiter zu kiffen. Bei Rádio Muda wiederum war und ist (bis 2013) alles erlaubt, solange das Equipment nicht darunter leidet und die Grundregeln der Sicherheit im Radio (z.B. Tür abschließen, wenn die auf dem Sendeplan vermerkten folgenden Programmmachenden nicht erscheinen) eingehalten werden.

118 Interview Rafael, Rádio Muda.

119 Hier wird erneut deutlich, dass sich die akteurstheoretische Beschreibung aus verschiedenen Perspektiven bestimmen lässt. Ich habe mich hier auf die beiden, für die Legitimation unabhängigen Radiomachens, m.E.n. relvantestens Blickwinkel entschieden.

120 Kollektivinterview Rádio Várzea.

121 Interview Julinha, Rádio Pulga, Interview Rafael, Rádio Muda. Die Demokratisierung der Schlüsselfrage in Rádio Pulga wird so erzählt: »Als ich anfing gab es einen typen, Brasilia, der einzige der einen Schlüssel hatte. Der hatte nach der Frauenepoche im Radio die Kontrolle übernommen. Das Radio war er, doch dann begannen wir, eine neue Generation. Damals war die Kabine meist zu. Und wir forderten Brasilia auf, den Schlüssel rauszurücken um Kopien zu machen. Er war schließlich einverstanden. Und plötzlich hatten 20 Personen einen Schlüssel und wir mussten uns organisieren lernen (Interview Julinha, Rádio Pulga).

122 Mitunter, im Fall konkreter Drohungen das Radio zu räumen, reicht eine geschlossene Tür nicht aus, um für Schutz zu sorgen und auch DJ Random allein, kann den Sender nicht verteidigen. Dann wird es notwendig die menschliche Präsenz im Radio zu erhöhen. »Als während des Streiks an der Universität 2007 eine Räumung aller besetzten Räume angekündigt wurde, schliefen wir täglich in der Kabine, manche sogar mit Fieber« (Kollektivinterview Rádio Várzea). Zu einem anderen Zeitpunkt überlegt man bei Várzea auch »die Sendekabine und den Ort des Senders räumlich voneinander zu trennen, um dadruch das Equipment besser zu schützen« (Ebd.). Bei TV Piolho wiederum, einem Freien TV-Projekt, dass in personeller und konzeptueller Nähe von Rádio Muda entstand, war ich anwesend, als nachts vorsorglich die Antenne abgebaut wurde, da ein Anwalt der Universität angekündigt hatte, eine Räumung durch die Regulierungsbehörde zu unterstützen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Abbau unbedingt noch vor Mitternacht erfolgen sollte, weil Einsätze von Anatel und der Bundespolizei vor allem am frühen Morgen durchgeführt werden, um etwaige Proteste und Widerstand gering zu halten.

123 Während der Feldforschung habe ich mich an unterschiedlichen Workshops und Weiterbildungen beteiligt, die sowohl auf als auch außerhalb des Campus stattfanden. Sehr häufig werden Grundlagenworkshops zu Semesterbeginn angeboten, auf denen dann auch der weitere Rhythmus für die folgenden gemeinschaftlich organisierte Weiterbildung festgelegt wird. In Rádio Várzea wurde lange Zeit Mittwochs ein Sendeplatz als Live-Workshop reserviert, d.h. während einer Sendung konnten alle kommen, die Radiomachen lernen wollten. Jeweils ein_e ander_e Programmmachende_r gab dann sein Wissen weiter. Während der Sendung zu lernen ist eine Methode, die ebenfalls bei Rádio Muda und Pulga Anwendung findet:  Entweder die Leute kommen zu den Workhops auf den Plenen, um dort zu lernen oder eben direkt in den Programmen.

124 Interview Samu, Rádio Muda/Rádio Pulga. »Allen Workshops liegt ein wichtiges Anliegen zugrunde, immer die basics des Radiomachens klar zu machen. Der beste Weg ist dabei immer den Weg des Sounds, als eine Audiokette nachzuzeichnen und dann auszuprobieren, wie die einzelnen Geräte angeschlossen, ein und ausgeschaltete werden. Für Fortgeschrittene gibt es dann auch mal einen Lötkurs« (Kollektivinterview Rádio Várzea).

125 Dass die Aus- und Weiterbildung auch in Freien Radios genderspezifisch konnotiert ist, lässt sich allein an der notwendigen Organisation von Frauennetzwerken wie Birosca in São Paulo erkennen, wo eine Aneignung Freier Software außerhalb der Radios organisiert wird, um nicht von von maskulinen Experten abzuhängen (Interview Foz, Birosca). Die Erfahrung einer Radiomacherin bei Rádio Muda zeigen zudem exemplarisch, wie ungleich schwieriger es für Frauen mitunter ist, in einem Freien Radio ebenso viel zu lernen wie männliche Akteure:  »Lange Zeit war Muda ein Ort de Männer, ich fing zu einem  Zeitpunkt an [2004, N.B.], als sich das langsam änderte, Frauen wollten nicht nur Programm machen, sondern auch die Sendetechnik verstehen und beherrschen. Aber ich spürte anfangs ganz stark die männliche Dominanz bei der Technik, die viele Macher auch ständig reproduzierten, vielleicht ohne es zu wollen, klar, aber genau so funktionieren Machtbeziehungen ja nun mal. Wir unterdrücken andere, ohne es zu bemerken. Das fängt bei der Computernutzung an und geht bei der Organisation von Workshops weiter. Wer entscheidet über den Kauf neuer Geräte, etc. Ich fühlte mich oft unwohl, wenn ich eine Frage hatte, denn die Männer waren schnell genervt oder patzig, sagten, lern doch alleine. Doch ich gab nicht auf, wollte wissen wie die Dinge zusammengesteckt werden und baute Zuhause selbst ein kleines Studio nach, schloss dort Geräte zusammen und bemerkte wie einfach es eigentlich war. Es zeigt sich also auch in Freien Radios, wie wichtig es ist, dass Männer und Frauen gemeinsam das geschlechterspezifische Verhältnis zur Technik revolutionieren. Heute ist es für Frauen bei Muda viel einfacher, jeder und jede kann Radiomachen lernen. Worauf es ankommt, ist ein Hilfsnetzwerk beim Lernen und das zu organisieren, gelingt uns inzwischen bereits ganz gut« (Interview Dani, Rádio Muda).

126 Während es bei Rádio Várzea anfangs »eine Bibliothek mit den den wichtigsten Büchern gab,dass nach und nach bei Workshops außerhalb des Radios verloren ging« (Kolletivinterview Rádio Várzea) gab es bei Pulga »aus Prinzip nie Handbücher. Es lief immer so, dass wer neu kam bei einer anderen Sendung mitmacht und dort erklärt bekommt, wie der Plattenspieler funktioniert, wie man was auf und zudreht, wie das Mikrophon an und ausgeht, usw. (Interview Julinha, Rádio Pulga). Die Widerständigkeiten gegen jedwede Verschriftlichung zeigten sich auch bei dem erfolglosen Versuch im Jahr 2010 ein gemeinsames Buch über die Geschichte der Freien Radios zu publizieren. Während einige das Projekt als potentielle Stärkung der Radiobewegung betrachteten, gab es andere, die das Vorhaben sabotierten, weil sie diese Historisierung als Sargnagel des Freien Radiomachens auffassten (Interview Dani, Rádio Muda, Kollektivinterview Rádio Várzea).

127 Ebd.

128 Rádio Muda ist dabei unter anderem unterstützend beim Aufbau des Freien Radios auf dem Campus der Staatlichen Universität von Acre beteiligt, dass diese Arbeit direkt im Namen trägt. Vgl. http://www.altinomachado.com.br/2006/11/rdio-livre-filha-da-muda.html  (12.11.2013). Mitglieder von Rádio Muda unterstützten auch Rádio Buda, dass sich während der Besetzung des Studierendenwohnheims der Unicamp im Jahr 2011 konstituiert. Einen beständigen Kontakt und ggf. Unterstützung wird ebenfalls mit dem Freien Sender Rádio Luta auf dem Gelände der besetzten Fabrik Flaskô organisiert, auf den ich im folgenden Kapitel (4.3.) noch ausführlich eingehe werde. Während Rádio Pulga in bestimmten Momenten seiner Geschichte eher Unterstützung empfängt (z.B. von Rádio Interferência und in jüngerer Vergangenheit von Rádio Muda) bzw. sein Mitwirkenden in den Interviews zumindest selbst keine prägnanten Fälle der Kooperation thematisieren, ist Rádio Várzea vor allem von 2006 bis 2007 sehr aktiv an Weiterbildungen und einer Wissensweitergabe außerhalb des Campus tätig gewesen. Wie Rádio Muda kooperierte das Kollektiv zeitweilig intensiv mit Rádio Luta, zugleich auch mit der NGO Cor de Letra im Stadtteile Villa Albertina von Sâo Paulo. Ein Typ dort arbeitete mit Jugendlichen, die das Projekt außerhalb der NGO weiterführen wollten. Die Stadtregierung vergab zu diesem Zeitpunkt Ministipendien von 18.000 Reales und die Gruppe in Villa Albertina kaufte Equipment und wir bildeten damit weiter« (Kollektivinterview Rádio Várzea). Außerdem organisierte das Kollektiv u.a. Workshops für ein Webradio in der Nordzone São Paulos, kritische, linke Fussballfans des Vereins Corinthians und mit Aktivist_innen, die gegen die Hafenerweiterung von Santos protestierten. Als allgemeine Achsen der Arbeit haben dabei stets gegolten: alternative Kommunikation, Kritik an der Gesellschaft des Spektakels und am Positivismus (Kollektivinterview Rádio Várzea).

 Interessant ist auch die Fluktuation von Akteur_innen, die sich zwischen den einzelnen Radioprojekten entspannt und zur Weiterbildung sowie dem Transfer von Wissen und diversen Entitäten beiträgt. Dazu gehört beispielsweise der Austausch mit Radiomachenden aus Argentinien, Mexiko und Spanien, die sowohl Radios in Brasilien besuchen oder Besuch bekommen, u.a. während eines Technikworkshops in Mendoza im Jahr 2010, als dort gemeinschaftlich über 80 Sender gebaut wurden (Kollektivinterview Rádio Várzea). Auch innerhalb Brasiliens findet diese Fluktuation statt, wenn studentische Radiomachende bspw. die Universität wechseln und sich in dortige Freie Radios einbringen, Projekt wiederbeleben oder neu gründen. Angeleitet sei diese Mitarbeit stets von der Prämisse, »Erfahrungen, technisches Wissen und andere Expertise nie dafür zu nutzen,  um damit Geld zu verdienen, sondern, das alles zu sozialisieren, Annäherungen und Aneignungen anzuleiten, die nicht nur technisch sind, sondern immer auch politische Praktiken beinhalten« (Ebd).

129 Diese Aussage, die durchaus stellvertretend für ähnliche persönliche Erfahrungsberichte freier Radiomachender steht, ist um so interessanter, da die Situierung Freier Radios in Gesprächen mit network builders anderer Skripte, oft direkt auf die vorteilhafte Kopplung an die akademische Wissensproduktion zurückgeführt wird (z.B. Interviews Jõao Malerba, João Brandt). Sicherlich ist diese These teilweise belegbar, zugleich klafft jedoch auch eine Lücke zwischen den Lehrplänen und dem notwendigen praktischen Wissen (z.B. Löten). Zudem wird auch ein Gefälle zwischen den einzelnen Radiokollektiven deutlich, dass sich aus deren Lage oder anderweitige prädominante Anbindung an eine einzelne Fakultät zu erklären scheint. Dort wo beispielsweise Informatik und Sozialwissenschaften in nächster Nähe aufeinanderprallen, wie an der Unicamp (wo Rádio Muda sendet) scheint die Frequenz innovativer Impulse höher, als in den anderen beiden hier betrachteten Radios. Rádio Muda lässt diese Erfahrungen, oft formuliert als Inskriptionen, dann im Rhizoma- Netzwerk zirkulieren, sucht sie beispielsweise im Rahmen von Workshops zu mobilisieren. Damit wird jener experimentelle Raum erweitert den Rádio Muda an der Universität verteidigt und an dem, wenn man so will, eine unabhängige Wissensproduktion mobilisiert wird, deren Mediennarrative und -mobilisierungen in Konkurrenz zu an Uni gelehrten Konzepten treten.

130 Redewendung, die von Freien Radios immer wieder auf Veranstaltung, in Interviews und in Fanzines vorgetragen wird (z.B. Interview Rafael, Rádio Muda).

131 Interview Dani, Rádio Muda.

132 Interview Julinha, Rádio Pulga. Bei Rádio Muda wurden in der jüngeren Vergangenheit auch Regelbrüche thematisiert, so zum Beispiel, wenn Programme von privatwirtschaftlichen Unternehmen gesponsert wurden. »Heute ist es aber Konsens, dass keine kommerzielle Werbung gesendet wird. Das ist eine Regel, die wir nicht aufschreiben müssen« (Interview Dani, Rádio Muda). Zugleich zeigt sich, dass die weiter oben thematisierte direkte staatliche Kooperation und damit verbundene Finanzierungsmöglichkeiten immer wieder für Debatten sorgen, wie zum Beispiel auf einem Plenum von Rádio Muda, als gerade die Kasse leer war und eine Teilnehmerin sich wie folgt äußerte: »Für Community Radios war eine staatliche Finanzierung immer eine Option, warum nicht für uns? Meine persönliche Meinung ist: Manchmal kann Geld helfen, Struktur zu erhalten« (Plenum Radio Muda, 22.08.2010).

133 Für den Sendestart oder Neubeginn nach einem Polizeieinsatz, ist oftmals eine Intensivierung dieser Aktivitäten notwendig: »Wir organisierten ein Jahr lang Partys, um Geld für die Sendetechnik zusammenzubekommen. Aktionen, Debatten, Videomarathons, Konzerte, jede Woche machten wir irgend etwas, um Bier verkaufen zu können. Es gab Bohemia für einen Real, Trinken bis zum Ende des Kapitals, das war unsere einzige Flagge« (Kollektivinterview Rádio Várzea).

 Bei Rádio Muda wiederum werden zu gegebenen Anlässen zwei wichtige Akteur_innen mobilisiert. Zum einen das sogenannte Muda-Movil, ein mit Styropor ausgekleideter Einkaufswagen zum mobilen Bierverkauf auf Uniparties und Straßenfesten. Das Erfolgsrezept des Muda Móvil ist es, immer günstiger als alle weiteren Händler zu verkaufen. Begleitet wird das Gefährt von einer »Eispräsidentin«, die für die Kühlung der Getränke zuständig ist.

134 Diese Zahlungen sind umstritten, vor allem der scheinbar freiwillige Charakter der Zahlung, die aber zugleich »ein bisschen Pflicht ist, denn das Radio muss ja von etwas leben« (Interview Dani, Rádio Muda). Auch bei Rádio Pulga gibt es immer wieder Diskussionen: »Manche wollen nur eine Sendegebühr von 5 Reales zahlen oder gar nicht. Dabei reden wir hier echt nicht von viel Geld« (Interview Julinha, Rádio Pulga).

135 Ebd.

136 Während die nicht bezahlte Mitarbeit allgemeiner Konsens ist, wird bleibt bei der low tech-Prämisse die Frage, wie rustikal (tosca) das Radio maximal seien sollte. Bei Rádio Várzea ist die Episode dokumentiert, bei der »das erste Radio das war hier hatten, ein unglaubliches Ding, das beste Equipment, das ich bisher in meinem Leben gesehen habe und das wir uns in einem Jahr zusammengetrunken hatten« von der Polizei konsfisziert wird und ein Umdenken einsetzt  (Kollektivinterview Rádio Várzea). Der »nicht ersetzbare Verlust« leitete eine interne Debatte an, die ein adäquates Equipment für die kreative Radioarbeit veranschlagt und sich zugleich gegen eine »Fetischisierung der Technik in einer Gesellschaft des Spektakels« wendet.

137 Interview Rafael, Rádio Muda.

138 Kollektivinterview Rádio Várzea

139 Interview Dani, Rádio Muda.

140 Interview Rafael, Rádio Muda.

141 Kollektivinterview Rádio Várzea

142 Interview Rafael, Rádio Muda. Ein besonders plastisches Beispiel für diesen Beitrag zum Gemeinwohl, lies sich auf einer Party vor dem Wasserturm von Rádio Muda im Frühjahr 2010 beobachten. Als ein Mitwirkender von Rádio Muda mit seinem Auto über den Rasen fährt, um die Boxen für ein Konzert aufzubauen, kommt es zu einem Streit mit dem Wachpersonal der Universität. Unter den Studierenden beginnt eine heftige Debatte. Einige sagen, solcherlei Provokationen seien kontraproduktiv, andere, dass gerade solche Aktionen einen hohen Symbolwert besitzen und die Grenzen nachziehen, für neues Sicherheitspersonal, dass die bisherigen ungeschriebenen Regeln des Campus noch nicht kennt. Diese zweite Meinung setzt sich schließlich durch. Eine Gruppe jugendlicher Punks aus einem Vorort von Campinas helfen dabei, das Equipment abzuladen.

143 Kollektivinterview Rádio Várzea

144 Ebd.

145 Interview Samu, Rádio Pulga/Rádio Muda.

146 Ebd.

147 Ebd. Diese, hier eher individuell beschriebene Reflexion, beinhaltet auch eine Auseinandersetzung mit Autorenrechten und urheberrechtlich geschütztem Material, wobei sich die Sender tendenziell gegen die aktuellen Handlungsprogramme der Rechteverwerter aussprechen und die unentgeltliche Nutzung dieser Inhalte legitimieren, bzw. die Nutzung von copyleft-Material empfehlen. »Die Frage des Autorenrechts ist nicht nur an die kreativen Produzenten gekoppelt, sondern an eine Kulturindustrie die vom Vertrieb und der Vermarktung leben und die einen Großteil der Gewinne einbehalten. Aber selbst wenn alles Geld an die Künstler geht, ist es dann immer noch gerechtfertigt für immaterielle Güter zu zahlen? Sollten hier nicht eher die Bedingungen eines anderen Tausches herausgearbeitet werden? Schließlich tragen Radios zur Verbreitung der Musik bei, machen Künstler bekannter, sie leisten einen Beitrag. Es ist wichtig die kapitalistische Verwertung zu diskutieren und eine Alternative zu entwickeln. Die Autorenrechte-Debatte ist wichtig, der Kampf gegen strikte Regeln ist teil des Kampfs für Kommunikationsfreiheit. Früher war der Zugang zur Bibel geregelt, lief nur über Priester, heute dagegen gibt es einen direkten Zugang. Und mit Kultur ist es so ähnlich. Wenn wir beispielsweise ein Buch über Wissensfreiheit schreiben, dann stellt sich auch die Frage nach seiner Verbreitung. Wie sollte der Kontakt mit dem Autor gestaltet werden, um verschiedene Verbreitungswege zu ermöglichen?  Wie lassen sich andere, nicht durch Geld vermittelte Beziehungen denken, die eher vermittels Tauschprozessen mediiert werden?« (Interview Dani, Rádio Muda).

148 Als Beispiele konkreter experimenteller Handlungsprogramme sind sind das Testen von Sendern und Antennen auf einer Dachterrasse von São Paulo zu nennen, bei denen Mitglieder von Rádio Várzea das Signal des Freien Radios Xiado übertrugen, das zu diesem Zeitpunkt nur als Webradio funktionierte (Mai 2010). Auch Mitwirkende von Rádio Muda führen immer wieder solche Tests durch, auch im CB-Funk-Band (Juni 2011).

 Ein Beispiel für ein formatsprengendes Experiment erlebt ich an einem Abend im Frühjahr 2010 bei Rádio Muda mit. Rafael brachte in die Sendung von Paulinha einen Weltempfänger mit und schloss ihn ans Mischpult an, um die empfangenen Signale live mit Audiodateien einer externenen Festplatte und dem Ton eines Videostrems zu mischen, dass zum Wahlboykott aufrief. Das folgende Experiment vermischte das Signal eines evangelikalen Senders auf Mittelwelle mit einigen Death Metall-Stücken (Vinyl) und einer kollektiven Performance am offenen Mikrophon, die Standardsätze evangelikaler Exorzismen parodierte, wie zum Beispiel: »Weichet ihr Dämonen, weichet aus diesem Körper«.

149 Kollektivinterview Rádio Várzea. Kritisiert wird dieses »technologische Desinteresse« der Linken auch vor dem Hintergrund, dass die im Vergleich zu den 1970er Jahren viel geringeren Kosten zu Technik und die erleichterten Zugänge zu Inovationen eigentlich eine viel dynamischere Aneignung ermöglichen könnten« (Interview Rafael, Rádio Muda).

150 Ein TV-Projekt, das neben anderen Erfahrungen mit unabhängigen Fernseh-Mediationen (vgl. PERUZZO 2007) in seiner Entstehung explizit der Freien Radiobewegung zuzurechnen ist, ist TV Piolho, dessen konkrete Planung an der UNICAMP im Jahr 2005 begann und dass 2006 im Wohnheim der Universität auf Sendung ging (Interview Samu, Rádio Muda/Rádio Pulga).

 Weitere Mediationen, an deren Inskription und Mobilisierung Akteur_innen Freier Radios beteiligt waren, sind beispielsweise der Kinoclub der UNICAMP oder das Internetradio des Fußballfanclubs Gaviões (SC Corinthinas) in São Paulo.

 Freie Radio sind immer auch ein Stück Enventradio, weil stets auch am temporären Aufblitzen des operativen Gebrauchs interessiert. Dokumentiert sind bspw. die Gemeinschaftsaktionen von Rádio Pulga und Rádio Interferência die unter dem Motto Rádio Livre Ataca lief. »Wir haben einige Sachen auf der Straße gemacht, von öffentlichen Plätzen gesendet. Wir haben dafür auch einen mobilen Sender, mit einer regulierbaren Sendestärke zwischen 50 und 150 Watt (Interview Julinha, Rádio Pulga). Auch während des Urbanen Sozialforums in Rio de Janeiro im März 2010 sendete im Hafen ein Eventradio, dass von verschiedenen Freien Radiomachenden organisiert wurde. Eine ähnliche Erfahrung, diesmal auch unter Beteiligung von Community Radios wurde zwei Jahre später während des Peoples' Summit wiederholt. Vgl. http://www.npla.de/de/poonal/3849-gipfelradio-wehrt-sich-gegen-raeumung (12.12.2013).

151 Interview Dani, Rádio Muda.

152 Interview Julinha, Rádio Pulga.

153 Interview Rafael, Rádio Muda. Während der Feldforschung erlebe ich die experimentelle Erschließung der kompletten Adiokette mit, die im Jahr 2010 mit dem ersten Empfang eines experimentellen Mittelwellesignals der EBC in Sâo Paulo beginnt und sich fortsetzt, bis hin zu Übertragungen mit dem Standard DRM und der interaktiven Middelware Ginga im Jahr 2013.  Eingebettet sind diese Experimente immer auch in eine weiterführende Inskription, die diesen operativen Gebrauch ohne die zentrale Mittlerrolle des Staates zu legitimieren sucht.

154 Diese Entitäten, auch bekannt als cognitive radio, zeichen sich dadurch aus, dass sie für eine störungsfreie und effiziente Übertragung ihre Umgebung analysieren und die Signalübertragung vermittels eines dynamischen Frequenznutzung selbständig modifizieren (vgl. DOYLE 2009).

155 Ein solcher konkreter Vorschlag wurde beispielsweise von zwei Mitwirkenden von Rádio Muda inskribiert und unter dem Titel »Da possibilidade de um sistema de comunicação global sem a presença de empresas nem controle estatal, livre« veröffentlicht (Vgl. https://wiki.sarava.org/Estudos/PropostaGlobalDeComunicacaoLivre  12.12.2013). Dies und ähnliche Entwürfe unterscheiden sich von anderen medienpolitischen Projekten und Forderungen vor allem dadurch, dass sie das Internet weder als zentral noch als (vorläufigen) Endpunkt technologischer Neuerungen verstehen. Zugleich verfallen die Freien Radiomachenden jedoch auch nicht in eine ablehnende Haltung, sondern argumentieren strategisch. »«Ein besserer Internetzugang, womöglich nich staatlich gefördert) würde auch die Freien Radios stärken, denn die Sender dort ebenfalls per Streaming aktiv sind würden potentiell bekannter, Sender, die beispielsweise irgendwo im Amazonas existieren und die wir noch gar nicht kennen. Die Demokratisierung anderer Medien ist immer auch gut für das Radiomachen. Zugleich ist aber zu beachten, dass ein erleichterter Zugang zum Internet zunächst einmal alle verschiedenen Interessen stärkt, positive Kräfte, aber ebenso Gegner der Demokratie oder Freier Radios« (Samu, Rádio Muda/Rádio Pulga).

156 Kollektivinterview Rádio Várzea.

156 Die Herstellung von Sendegeräten ist im Vergleich mit der (idealisierten?) technischen Selbstversorgung der Freien Radios in den 1980er Jahren nicht Teil des öffentlichen Skripts. Zugleich vermeiden es die Sender jedoch das auf dem Markt erhältliche Equipment zu kaufen. Dokumentieren lässt sich die Kooperation mit Elektroingenieur_innen, die Freies Radiomachen unterstützen und ihre Unterstützung in Vorzugspreisen und kostenlosen Reparaturen ausdrücken. Zugleich gibt es auch Versuche, die serielle Herstellung zu organisieren, entweder im Rahmen einer Umverteilung staatlicher Gelder oder in Anlehnung an positive Erfahrungen kollektiver Workshops in Argentinien, bei denen die Herstellung von Geräten wieder bewusst in die Hände der Programmmachenden gelegt wird  (Interviews Rafael, Thiago Rádio Muda, Kollektivinterview Ràdio Várzea).

157 Diese Position fußt auf der Analyse, man dürfe die Nische, die sich in Universitäten auftut und die strategisch verteidigt wird nicht  mit Autonomie verwechseln. Wenn dann können wir höchsten ein Werden beanspruchen denn es wäre arrogant, unser Radiomachen als ein allgemein funktionierendes Modell für Autonomie anzupreisen (Kollektivinterview Rádio Várzea). Die Frage nach den Grenzen der Autonomie bleibt somit ein zentraler Punkt der Strategiedebatte, die auch darauf abzielt, wie sich dieser Anspruch zu etwaigen Kooperationen verhält. Rádio Muda ist im Vergleich zu Rádio Várzea beispielsweise zu weniger Kompromissen bei der Zusammenarbeit mit sozialen oder studentischen Organisationen und Bewegungen und definiert die eigene Vorstellung von Meinungsfreiheit als nicht verhandelbaren Maßstab (Interview Rafael, Rádio Muda).

158 So werden beispielsweise maximale Forderungen, wie diee Abschaffung aller lizenzierten Radioübertragungen zugunsten eines Freien Spektrums, zwar als erstrebenswert gegenüber dem staatlichen Regulierungsmonopol erachtet, zugleich aber ergänzt durch die Feststellung »wir wissen dass das nicht möglich ist« und konkrete Verhandlungsangebote, wie z.B. die Definition bestimmter Frequenzbänder die ohne eine a priori Lizenzvergabe organisiert werden (Interview Samu, Rádio Muda/Rádio Pulga).

159 Ebd., Kollektivinterview Rádio Várzea. Als Beispiel für eine kollektive Bewusstseinsbildung wird die Landfrage in brasilianischen Quilombos angeführt: Die Quilobos haben einen Anspruch auf Land der auch gesetzlich geregelt ist. Aber nicht immer ist auch die kollektive Identität präsent, um diesen Anspruch einlösen zu können.  Das Radio kann dazu beitragen, sich selbst als Gemeinschaft anzuerkennen und Inhalte zu produzieren. Das Radio kann dann nach innen zu einem Selbstfindungs- und Bewusstseinsbildungsprozess anregen und als Infowerkzeug nach außen dienen  (Interview Samu, Rádio Muda/Rádio Pulga). Als Beispiele für eine Einflussnahme auf die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auf dem Campus werden der Kampf um Wohnraum im Speziellen und die Demokratisierung der Universität im Allgemeinen veranschlagt (Interview Thiago, Rádio Muda, Kollektivinterview Rádio Várzea).

160 Die Darstellung der Radiogründung geht auf Interviews mit Ricardo, einem damals beteiligten Aktiven von Nordeste Livre zurück (Interview  27.04. 2010) und Beteiligten von Rádio Amnésia zurück, Mae Beth und Daniel.

161 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

162 Interview Fernando, Rádio Luta.

163 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

164 Interviews Fernando, Manu und Aldimita, Rádio Luta.

165 Interview Mãe Beth, Rádio Amnésia.

166 Interview Fernando, Rádio Luta.

167 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

168 Interview Fernando, Rádio Luta.

169 Ebd.

170 Interview Mãe Beth, Rádio Amnésia. Kaum Beachtung finden in den beiden Sender die vom Internet und anderen neuen Medien aus rekonstruierbaren Legitimationsforderungen. Rádio Amnésia stellt lediglich fest, dass »Radio immer noch das wichtigste Medium« sei (auch gegenüber dem TV) und dass vor allem die afrobrasilianische Community viel Radio hört, um Musik zu hören aber vor allem auch um sich zu informieren« (Interview Mãe Beth).

171 Ebd., Interview Fernando, Rádio Luta.

172 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

173 Interview Mãe Beth, Rádio Amnésia.

174 Interview Aldimita, Rádio Luta.

175 Interview Fernando, Rádio Luta.

176 Interviews Aldimita und Wagner, Rádio Luta.

177 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

178 Ebd. Die häufigsten im Radio gespielten Musikstile sind nach Angaben von Daniel Forro, Reaggee, Kinderlieder, Hip, Hop, Kubanische Musik, Candomblê, Maracatu und Frevo.

179  Während meiner Besuch von Rádio Luta habe ich einmal eine Frau getroffen, die kurz vor meiner Ankunft an einem Programm teilgenommen hatte und die ich trotz mehrerer Anfragen beim Mobilisierungskommittee nicht für ein Interview gewinnen konnte.

180 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

181 Ebd. Im Radio oder den Räumen finden, wie bereits erwähnt, jedoch keine Treffen der Organisator_innen und Programmmachenden statt. Diese werden immer unter einem Mangobaum, im Garten des Kulturzentrums abgehalten. Auch während meines Besuch war der Garten immer wieder jene Ort, an dem sich die Beteiligten des Radios zurückzogen, um (mit mir) längere Gespräche zu führen oder wichtige Fragen zu klären. In den Räumen des Kulturzentrums herrschte dagegen immer eine öffentlichere, weniger vertraute Atmosphäre. Die kleine Treppe vor dem Haus wiederum, die zur Straße hinführt, dient als informeller, öffentlicher Treffpunkt, an dem Abends Nachbarn, Freunde und Familienangehörige vorbeischauen, um sich zu unterhalten, Musik zu machen und Bier zu trinken.

182 Während bei Rádio Amnésia zum Zeitpunkt des Besuchs die gesamte Studiotechnik funktioniert, arbeitet Rádio Luta erzwungener Maßen mit einem reduzierten Equipment: das das von Rádio Muda gestiftete Mischpult defekt ist, werden alle Signale allein über ein Computermikrofon (extern, angeschlossen über »kleine Klinke«) und eine Playlist von MP3-Dateien erzeugt. Alles weitere Equipment (CD-Player, DVD-Player, Plattenspieler) wird seit längerem nicht mehr genutzt, ebenso wenig wie ein dritter Computer der »gerade nicht funktioniert« (Interview Fernando, Rádio Luta). Aus diesen Gründen wird auch nicht aus der eigentlichen Sendekabine übertragen, sondern von einem Tisch in der Raummitte aus, auf dem die Behelfs-Audiokette der Studietechnik zusammengesteckt ist.

183 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

184 Ebd.

185 Ebd.

186 Interview Fernando, Rádio Luta.

187 Ebd.

188 Ebd.

189 Ebd.

190 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

191 Ebd.

192 Interview Aldimita, Rádio Luta.

193 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

194 Interview Fernando, Rádio Luta.

195 Interview Mãe Beth.

196 Ebd.

197 Ebd.

198 In Rádio Amnésia drückt sich diese Kooperation zum Beispiel in Radiokunstprojekten (2008) aus, »zu dem Radiomachende und Künslter aus São Paulo, dem Amazonas aber auch aus Kolumbien kamen« (Interview Daniel, Rádio Amnésia). Der Sender ist zudem stark eingebunden in Caopeira-Events und den jährlichen Karneval (vor allem bei der Organisation von Frevo-Blöcken). »Zudem stellen Künstler und Musiker bei uns nicht nur ihre Arbeit vor, sie werden auch eingeladen, um bei Gesprächsrunden  bei wichtigen sozialen Themen der community mitzureden« (Ebd.).

199 Rádio Luta hat beispielsweise einen festen Sendeplatz bei Rádio Muda, um in diesem Programm vor allem über die Situation der besetzten Fabrik zu berichten. Außerdem »kommen auch immer wieder Künstler oder Musiker von Rádio Muda oder der UNICAMP, um ihre Solidarität mit dem Radio auszudrücken« (Interview Fernando, Rádio Luta). Bei Rádio Amnésia widerum fand im Jahr 200? sowohl das landesweite Freie Radiotreffen statt, zugleich berichten die Machenden auch von regelmäßigen Besuchen von Aktivsit_innen des Nordeste Livre Kollektivs (Interviews Mãe Beth, Daniel, Rádio Amnésia).

200  »Es gibt zum Beispiel eine sehr intensive spirituelle und kulturelle Beziehung zwischen Pernambuco [dem Bundesstaat, in dem Olinda liegt, N.B.] und Kuba. Ich war mehrmals dort, einmal im Rahmen von Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm und bei dem ich mehrere terreiros besucht habe, die sich sehr frei ausdrücken können, trotz des Kommunismus. Zudem ist der Cadomblê in Rafael dem unsrigen in Pernambuco viel näher als beispielsweise der Cadomblê in Bahia« (Interview Mãe Beth, Rádio Amnésia).

201 Interview Daniel, Rádio Amnésia. Bei Rádio Luta gäbe es »stets eine große Präsenz von linken Bewegungen, die sich in die Kämpfe der besetzten Fabriken einschreiben wollen. Wir tolerieren das ein Stück weit, meiden aber direkte Kontakte mit dem Gewerkschaftsdachverband CUT. Dafür unterstützen wir aktiv die Landlosenbewegung MST und haben auch Kontakt mit einem ihrer Landarbeiterradios (ŕádio camponesa), mit dem wir einen Programmaustausch organisieren« (Interview Aldimita, Rádio Luta).

202 Interview Fernando, Rádio Luta.

203 Im Interview äußern die Beteiligten lediglich Sorgen darüber, dass die Kooperation nach einem Führungswechsel im Kultusministerium (MinC) im Jahr 2010 in Frage gesellt sei. Zudem seien die Übertragungsraten des vom Staat bereitgestellten Internetanschlusses via Satellit (GESAC) ohne Begründung reduziert worden, was sich bereits heute negativ auf die kommunikativen Möglichkeiten des Radios (z.B. bei Streaming-Übertragungen) auswirken würde (Interview Daniel, Rádio Amnésia).

204 Interview Fernando, Rádio Luta, Interview Daniel, Rádio Amnésia.

205 Rádio Luta hat beispielsweise einmal auf der Webseite der besetzten Fabrik zu einem »E-Mail-Bombardement« des lokalen Präfekten aufgerufen, um diesen zu Verhandlungen mit den Besetzer_innen zu bewegen« (Interview Fernando, Rádio Luta).

206 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

207 Interview Fernando, Rádio Luta, Interview Daniel, Rádio Amnésia.

208 Dieser legitimation claim gewinnt vor dem Hintergrund einer empirischen Beobachtung zusätzlich an Gewicht. Während einiger Besuche bei Rádio Luta wurde gerade die Geburtstagsparty des Senders vorbereitet und entgegen der Vermutung, dass für solch ein wichtiges Ereignis die Intensität der Beteiligung wachsen sollte, ließ sich kein Unterschied zum normalen Sendebetrieb ausmachen.

209 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

210 Interview Mãe Beth, Rádio Amnésia.

211 Interview Daniel, Rádio Amnésia. Mit staatlicher Anerkennung ist hier sowohl die eingetragene Stiftung als auch deren Anerkennung als ponto de cultura gemeint.

212 Interview Mãe Beth, Rádio Amnésia.

213 Interview Aldimita, Rádio Luta. Dennoch wird auch von einer Angst berichtet, »aus Unachtsamkeit das Equipment zu verlieren, denn niemanden hätte das Geld, um es schnell zu ersetzen« (Ebd.).

214 Dazu gehören, zum Zeitpunkt des Besuchs, neben den Programmmachenden Daniel und Armandinho noch ein Musiklehrer und zwei Helfer des Kulturzentrums.

215 Interview Fernando, Rádio Luta.

216 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

217 Ebd. Die im Kulturzentrum organisierten Weiterbildungen sind nicht alles genuine Radioworkshops, beinhalten jedoch viele Elemente, die für ein Freies Medienmachen relevant sind. Organisiert wurden neben den Musikworkshops seit Beginn des Radios mehrfach Kurse für Audio- und Videoschnitt mit Freier Software, Webradio- und Hörkunstkurse (Ebd).

218 Interview Fernando, Rádio Luta.

219 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

220 Finanziert wurde diese Stelle im Rahmen des ponto de cultura-Programms, indem Rádio Amnésia einen Teil der Projektgelder für die Ausschreibung eines Stipendiums benutzte (Ebd.).

221 Ebd.

222 Während Rádio Amnésia in Momenten finanzieller Krisen in Olinda publikumswirksame Auftritte mit Musiker_innen oder andere kulturelle Events zu organisieren weiß, steht Rádio Luta vor dem Problem dass Spendensammlungen in den umliegenden Favelas und Arbeiter_innenwohnvierteln, nicht die Orte für eine ergiebiges Fundraising sind. Deshalb werden Soliparties meistens auch in Kooperation mit Rádio Muda auf dem Geländer der UNICAMP organisiert (Interview Fernando, Rádio Luta).

223 Ebd.

224 Vgl. https://sambadadecoco.wordpress.com/ (05.05.2011).

225 Interviews Daniel, Armandinho, Mãe Beth, Rádio Amnésia.

226 Interview Daniel, Rádio Amnésia. Wie bereits mehrfach angedeutet, fungiert das Kulturzentrum auch als ein offenes Internetcafé und stellt seinen Hinterhof als Begegnungsstätte bereit. Hier treffen sich auch Programmachende und andere Mitglieder der Community vor und nach den Sendungen, zum Reden und Rauchen, manchmal bis spät in die Nacht.

227 Interview Wagner, Rádio Luta. Wagner arbeitet zum Zeitpunkt des Interviews erst seit neun Monaten in der Frabrik und beschreibt diese und das Radio als »Orte des Lernens«, an denen er mehr bekommen als irgend sonst zuvor (Ebd.). Ein anderer Arbeiter zählt alle in der Fabrik organisierten Projekte der Sport- und Kulturkommission auf, die ihm einfallen: »Theater und Kino für Kinder und Erwachsene, Judo-, Taekwondo- und Capoeira-Kurse, in Zusammenarbeit mit der Gemeinderegierung« (Interview Kleber, Rádio Luta).

228 Interviews Daniel, Mãe Beth, Rádio Amnésia. Ein Beispiel dieser neuen Offenheit ist die spezifische synkretistische Interpretation des Festtags der katholischen Heiligen Damian und Kosma, als Entsprechung des Zwillings-Orixás Ibeji (jeje-nagô. Das an diesem Tag in ganz Brasilien gepflegte Verteilen von Süßigkeiten und die Organisation traditioneller Kinderspiele (z.B. Sackhüpfen) wird jedes Jahr ausführlich auch in der von Mãe Beth moderierten Kindersendung von Rádio Amnésia zelebriert. »Nur das in diesem Jahr, einen Tag später, ein Pastor in einem evangelikalen Sender São Damião als Teufel beschimpft und den Kinder verbot, jemals wieder an diesem Tag Süßigkeiten zu essen. Absurd, oder?« (Interview Mãe Beth, Rádio Amnésia).

229 Eine äußerst präsente Forderung, die vom Radio mitgetragen wird, ist beispielsweise die die staatliche Anerkennung eines besetzten Stück Lands, auf dem in Eigeninitiative Wohnraum (moradia popular) geschaffen wurde. »Doch auch nach fünfjähriger Mobilisierung, gibt es bisher keine Anzeichen für eine Einigung« (Interview Aldimita, Rádio Luta). Ähnlich ausdauernd setzt sich der Sender auch für einen Fußgängerunterführung zwischen den von einer Bahnstrecke getrennten Gemeinden Hortolandia und Sacarema ein. »Die Menschen müssen bisher durch ein Loch kriechen, dass sie unter den Gleisen gebuddelt haben. Nachts ist es sehr gefährlich Wir haben das im Radio denunziert, aber selbst nachdem die Lokalregierungen die anliegenden Grundstücke vor zwei Jahren enteignet hat, ist bisher kein konkreter Baubeginn in Aussicht« (Ebd.).

230 Interviews Daniel, Mãe Beth, Rádio Amnésia. Zudem wird auch eine vermittelnde Rolle gegenüber staatlichen Akteur_innen veranschlagt: »Das Kultusministerium muss jetzt durch soziale Mobilisierungen in seiner Arbeit geleitet werden, denn es ist wichtig dort Druck zu machen. Der vorherige Minister [Gilberto Gil, N.B.] hat ein Netzwerk hinterlassen und das müssen wir jetzt trotz des Führungswechsels wieder artikulieren« (Ebd.).

231 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

232 Interview Fernando, Rádio Luta.

233 Interviews Daniel, Mãe Beth, Rádio Amnésia.

234 Interview Aldimita, Rádio Luta.

235 Ebd.

236 Interview Wagner, Rádio Luta.

237 Interview Fernando, Rádio Luta.

238 Eine solche Neureglung war während der Amtszeit des Kultusministers Gilberto Gil (2003-2008) auch erklärtes Ziel der Regierung und das Ministerium ging dabei mit gutem Beispiel voran, veröffentlichte es doch alle von ihm finanzierten Events unter einer copyleft-Lizenz. Doch mit dem Antritt der Amtsnachfolgerin Ana de Holanda (2011-2012) wurde diese Politik verworfen. »Die neue Ministerin ist eine elitäre Künstlerin und versteht das Copyleft-Konzept überhaupt nicht. Wir beteiligen uns deshalb an der Online-Kampagne Ich bin das Kultusministerium (Eu sou MinC)« (Interview Daniel, Rádio Amnésia).

239 Interview Daniel, Rádio Amnésia.

240 Dass eine chronische Knappheit an finanziellen Mitteln oder bestimmten »technischen« Entitäten kein Hindernis seien muss, um wie die Freien Radios auf dem Campus auch einen experimentellen Beitrag zu leisten, zeigt Rádio Amnésia, die als ponto de cultura als eines der ersten Projekte ausgewählt wurden, die vom Kultusministerium einen »Mulitmedia-Kit erhielten. Drei Computer, ein Router, ein Mischpult, und einen Drucker. Alles wurde bereits mit Freier Software geliefert. Dabei wussten anfangs gar wie, wie das alles nutzen. Es ist eine Geschichte der Aneignung, denn wir hatten hier ja vorher keine Compus, niemand hatte hier in der Straße einen Computer, es war etwas völlig neues. Und wir lernten die Geräte so zu nutzen, um über das terreiro einen breiten Zugang zu dieser Technologie zu organisieren« (Daniel, Rádio Amnésia). Noch heute wird im Internetcafé des Kulturzentrums versucht, diese experimentelle Nutzung im Interesse der Community fortzuführen, aber felhlende und defekte Hardware erschwert diesen Prozess, so dass eine genauere Untersuchung dieser angestrebten Dynamik nicht möglich war. Rádio Luta veranschlagt kein experimentelles Handlungsprogramm um seine Anerkennungs-würdigkeit zu stärken.

241 Ebd.

242 Interview Fernando, Rádio Luta.

243 Auch wenn sie sich nicht aktiv an der Inskription eines bestimmten Modells von Digitalradio beteiligt sind, stehen Rádio Luta und Rádio Amnésia der Initiative der Freien Radios auf dem Campus aufgeschlossen bis wohlwollend gegenüber. »Digitalradio kann ein interessantes Instrument für den Kampf sein, wenn uns jemand bei der Digitalisierung in der Praxis helfen will, dann vielen Dank« (Ebd). Zugleich wendet sich zumindest Rádio Luta gegen die Idee einer gemeinsamen Nutzung des Spektrums, bei der kommerzielle, öffentliche und unabhängige Sender einen spezifischen Konsens anstreben. »Ich bin nicht für eine Dreiteilung des Spektrums. Wir hatten die gleiche Debatte schon im Fall der Fabrik, wo auch eine Koexistenz von privaten, öffentlich und selbst-verwalteten Produktionsstätten diskutiert wurde. Ich sehe darin eine anteilige Verteidigung der Bourgoisie, Langfristig wollen wir keine subordinierte ONG sein sondern 100% frei, eine community, ohne Einbindung in Kapitalismus« (Ebd.)

244 Wie bereits am Anfang der Arbeit erwähnt, gibt es über die genau Zahl keine verlässlichen Statistiken. Schätzungen der Radioverbände AMARC Brasil und ABRAÇO Nacional gehen von 5000 bis 10000 Community Radios aus, die ohne Genehmigung senden.

245 Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais (01.06.2010).

246 Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta (30.03.2011).

247 Auch die Namensgebung von Rádio Sky geht auf eine sehr persönliche Eingebung zurück: »Ich saß gerade auf der Toilette und blätterte in einem Wörterbuch. Mein Blick blieb an dem Begriff Sky hängen, der mir sehr trefflich für ein Radio erschien. So beginnt unsere Erfolgsgeschichte« (Interview Samuel, Rádio Sky).

248 Interview Rafael, Rádio União (20.04.2010).

249 Rádio Santa Marta kommt dabei die Rolle zu, besonders wortgetreu das Skript von AMARC Brasil zu realisieren. Es wird seitens des network builder deshalb auch als »paradigmatischer Sender« anerkannt (Interview Arthur William). Dementsprechend eng ist auch die Kooperation, wie später bei der Besprechung der Fortbildungsmaßnahmen noch zu lesen seien wird. Canal Mais hingegen unterhält äußerst enge Kontakte mit ABRAÇO-SP. » ABRAÇO war und ist fundamental wichtig für uns. Die Organisation hat uns orientiert beim Genehmigungsprozess in Brasilia, wo sie eine große Repräsentativität besitzt und berät uns seitdem auch juristisch« (Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais).

250 Interview Samuel, Rádio Sky.

251 Interview Rafael, Rádio União.

252 Interview Jerry de Oliveira, ABRAÇO-SP.

253 Interview Silvia Cordeiro, Ràdio Mulher.

254 Ebd.

255 Interview Iliane, Rádio Mulher.

256 Vgl.  http://amarcbrasil.org/fechamento-da-radio-comunitaria-santa-marta/ (12.12.2014).

257 Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais.

258 Ebd, Interview Rafael, Rádio União.

259 Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais.

260 Neben der bereits erwähnten Kritik von Rádio Mulher an den »hybriden« ComRads in ihrer Region, ist auch die Argumentation von Canal Mais erwähnenswert, die die Kriterien der Lizenz- und Genehmigungsvergabe hinterfragt. »Es gibt in Bauru einen Bildungssender, der von der Katholischen Kirche geleitet wird. Die Station liegt in einem noblen Stadtviertel und wird dort von kaum jemandem gehört. In der Gegend dominieren Ipods statt Taschenradios. Zugleich ist das Kirchenradio nicht sonderlich sozial. Es spielt den ganzen Tag nur kommerzielle Musik, keinerlei regionale Nachrichten, dafür aber viel Werbung. Das hat nichts mit einem Dienst an der Gemeinschaft zu tun und trotzdem dürfen sie mit 300Watt senden. Wir hier in der Favela dagegen haben keine Möglichkeit einen Sender zu legalisieren und dabei bräuchten wir dringend einen« (Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais).

261 Radio sei immer noch ein wichtiges Medium. Der Zugang zum Internet in den Stadtvierteln der hier besprochenen Sender sei begrenzt. Auch wenn sich die Bevölkerung neue Technologien aneignet, wird das Radio auch weiterhin ein großes Publikum finden, weshalb es wichtig ist, verschiedene Mittel zu kombinieren (Interview Silvia Cordeiro, Ràdio Mulher). In der Region Mata Sul in Pernambuco habe das Radio zugleich auch dem Fernsehen gegenüber wenig an Bedeutung verloren. »Das Radio war noch vor 12 Jahren oft das einzige Medium auf dem Land. Es gab kein TV und noch heute sind die Radiosender sehr präsent. Sie haben eine größere Reichweite, die Sendungen sind schneller und billiger zu produzieren als im TV. Dass bei uns noch immer ein orales Medium dominiert, hat sicher auch mit der immer noch hohen Rate an Analphabeten hier zu tun« (Interview Iliane, Rádio Mulher).

262 Radio Sky sei »anders, als viele evangelikale Sender in der Region Campinas. Wir haben mehr Erfahrung, und das Abwechslungsreichste Programm. Wir machen nicht für uns Radio, sondern denken an alle, am anderen Ende der Leitung« (Interview Samuel, Rádio Sky). Genau die gleiche Bedeutung schreibt sich Rádio Uniao zu, das »anders als die anderen ComRads in der Region eine große Bedeutung hat, die sich vor allem in der Beteiligung unterschiedlicher Gemeinden ausdrückt. Die Menschen kennen unsere Geschichte, wir sind ein anerkanntes Medium. Die meisten unserer Hörer_innen wissen nicht einmal. Was ein kommerzielles Radio ist, denn sie hören nur uns, ein Community Radio« (Interview Rafael, Rádio União).

263 Interessanter Weise beruft sich Rádio Santa Marta auf die gesetzlichen Normen, wenn es darum geht Konkurrenz auszuschließen. »Es kann kein anderes Community Radio hier in der Favela geben, da im Radius von einem Kilometer immer nur ein Radio senden darf. Es kann keine zwei UKW-Sender geben, vielleicht noch ein Internetradio« (Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta).

264 Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais.

265 Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta.

266 Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais.

267 Interview Samuel, Rádio Sky, Interview Eduardo, Rádio Sky.

268 Ebd.

269 Interviews: Rafael, Rádio União; Cirineu Fedriz, Canal Mais; Repper Fiell, Rádio Santa Marta; Eduardo, Rádio Sky, Iliane, Rádio Mulher.

270 Interview Magalie, Rádio Mulher. De facto organisieren derzeit drei Macherinnen das gros der Arbeit auch wenn das Frauennetzwerk eine wichtige unterstützende Funktion hat.

271 Vgl. dazu auch weiter unten die vielfältigen repressiven Übergriffe und juristische Verfolgung des Senders.

272 Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta.

273 Interview Rafael, Rádio União. Dass Rafael mit »satanistischen Legionen« die afrobrasilianischen Macumbeiros bezeichnet, ist auf der einen Seite durchaus als problematische pejorative Wertung zu lesen. Auf der anderen Seite jedoch erkennt er die Macumbeiros auch als jemanden an, der Gott einfach anders sieht und warum solle das nicht so sein? (Ebd.). Hier drückt sich eine gewisse Ambivalenz religiöser Offenheit aus, die sich auch deshalb nicht weiter auflösen lässt, das eine Beteiligung nicht evangelikaler Religiöser im Sender letztlich eine nicht realisierte Möglichkeit bleibt.

274 Diese Protagonisten sind Cireneu und sein Vater, Gründer der Nachbarschaftsinitiative und seitdem ständige Vereinsvorsitzende bzw. Leiter des Radios.

275 Bei der Organisation dieses operativen Gebrauchs stellt sich auch erneut die Frage, inwiefern hier die Progammmachenden in spezielle Rolle wir Moderator_innen und Techniker_innen zerfallen. Eduardo, Rafael und ein weiterer Jugendlicher, die drei zentralen Programmachenden bei Rádio Sky und Rádio União sind zugleich die zentralen Techniker der Sender, zumindest in der Sendekabine (für die weitere Wartung mobilisieren beide Radio, ähnlich den anderen Sendern, noch externe Unterstützung). Auch wenn es in den evangelikalen Radios Pastor_innen gibt, die selbst das Mischpult bedienen, unterstützen und überwachen die drei alle anwesenden Programmachenden.

 In den anderen ComRads wird dagegen an einer Überwindung dieser Rollenteilung gearbeitet. In Canal Mais gebe es zwar Moderator_innen die keine technischen Kenntnisse haben aber »auch andere, die alles selber machen wollen. Wir unterstützen jedoch alle ganz nach ihren Bedürfnissen, denn unser Ziel ist es, dass irgendwann alle alles können, um bestehende Abhängigkeiten zu überwinden« (Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais). Ein ähnliches Interesse herrscht in Rádio Santa Marta vor, wo vermieden werden soll »formelle Moderatoren auszubilden, sondern ein ComRad-Modell zu etablieren, bei dem auch Senhora X sendet, Hausfrauen, Studierende, Arbeitslose, eben unsere Bevölkerung [nosso povo]« (Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta). Und die Frauen von Rádio Mulher brechen die Rollenteilung wiederum aus ihrer Sicht, wenn sie endlich selbst auch Technikerinnen seien können, denn ich liebe die Technik. Alles selber zu machen oder machen zu können sorgt auch für ein viel besseres Verständnis von Radio. Wie man bestimmte Formate produziert, oder auch wie man mit Gefühlen im Radio arbeitet (Interview Iliane, Rádio Mulher).

276 Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta.

277 Während meines Besuchs, macht Flavia von Rádio Mulher die Probe aufs Exempel. Wir besuchen Rádio Farol, an der Peripherie von Cabo San Augustinilho, ein ComRad, dass vom derzeitigen regionalen Vertreter von ABRAÇO, Carlos Cunha geleitet wird. Flavia fragt ihn zunächst nach der Präsenz von Frauen im Sender, aber Cunha ist sich nicht so ganz sicher, ob von den 30 Beteiligten nun drei Frauen sind, oder aber sieben, wie er sich im laufe des Gesprächs korrigiert. Als ihn Flavia nach einem möglichen Sendeplatz für die Programme von Rádio Mulher fragt, sagt Cunha »das Programm ist im Moment ein bisschen viel. Vielleicht lässt sich zwischen ein und zwei Uhr Nachmittags etwas machen. Habt ihr denn schon eine Finanzierung für eure Sendung, denn ihr wisst já, wie das hier läuft« (Interview Carlos Cunha, Rádio Ponte). Flavia zeigt sich nach dem Treffen sichtlich verärgert. Nicht nur, ist ihr der schlechteste Sendeplatz – während des Mittagessens – angeboten worden. Auch habe der Leiter des Radios sich »überhaupt nicht nach Inhalten erkundigt oder weitere Fragen zur Arbeit von Rádio Mulher gestellt, sondern ist direkt auf das Geld zu sprechen gekommen« (Interview Flavia, Rádio Mulher).

278 Rádio Mulher organisiert seine Produktionsräume in Cabo de San Agostinho im Sitz der NGO Mulheres do Cabo und in Palmeras lbis zum Jahr 2010 in eigens angemieteten Räumlichkeiten, als eine Überschwemmung diesen Ort verwüstete. Seitdem wird tempor6ar wieder in Privathaushalten gearbeitet. Rádio Santa Marta wiederum teilte sich bis zu seiner Schliessung im Jahr 2011 die Räumlichkeiten mit der NGO Visão da Favela Brasil, einem Kollektiv, dass sich der Verbreitung der Hip-Hop-Kultur, aber auch alternativem Kini und populärer Kommunikation verschrieben hat. Der Ort ist gut, aber leider auch zu klein, um hier ein eigenes Studio einrichten zu können« (Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta).

279 Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais.

280 Interview Iliane, Rádio Mulher.

281 Ebd. Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais.

282 Interview Rafael, Rádio União. Genutzt wird i.Ü. sowohl in Rádio Sky als auch Rádio União die urheberrechtlich geschützte wenn auch kostenlos distribuierte Software ZaraRadio.

283 Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta.

284 Interview Silvia, Rádio Mulher.

285 Interview Samuel, Rádio Sky.

286 Interview Silvia, Rádio Mulher.

287 Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais.

288 Interview Eduardo, Rádio Sky.

289 Interview Rafael, Rádio União.

290 Hybridtelefone gibt es in allen Sender, außer bei Rádio Santa Marta. Aber auch dort, kommen die Anrufenden direkt in den Sendungen zu Wort.

291 Interviews: Eduardo, Rádio Sky; Repper Fiell, Rádio Santa Marta. Angaben von Rádio União zufolge gehen pro Woche mehr als 500 Anrufe im Sender ein und die beiden ständigen Programmverantwortlichen (Ikaro, Rafael) seien zu einer Art ständigen Ansprechpartner_innen für die community geworden. Dass auch hier per Email und Orkut kommuniziert wird überrscht zunächst, da es ja keinen festen Internetanschluss im Sender gibt, erklärt sich jedoch in der Nutzung des mobilen Internets – viele Programmmachende nutzten dafür ihre persönlichen Smartphones.

 Neben dieser medial vermittelten Einbeziehung komplexer Entitäten möchte ich darauf hinweisen, dass es in allen Sender auch möglich ist, die Programmmachenden direkt aufzusuchen und oftmals auch die Möglichkeit besteht, sich in der Kabine zu Wort zu melden – eine Option von der vor allem die Hörenden von Rádio União und Rádio Santa Marta intensiv Gebrauch machen, sagen die Machenden (Interviews: Eduardo, Rádio Sky, Repper Fiell, Rádio Santa Marta.)

292 Interview Eduardo, Rádio Sky.

293 Interviews: Repper Fiell, Rádio Santa Marta, Rafael, Rádio União.

294 Interviews Silvia, Rádio Mulher; Repper Fiell, Rádio Santa Marta; Eduardo, Rádio Sky. Diese Beziehungen sind nicht konfliktfrei, denn es stellt sich immer auch die Frage , auf welche communties an die Sender gekoppelt werden. In Rádio Santa Marta gibt es bspw. ständig Debatten darüber, ob das Radio nicht auch eine Einnahmequelle für die Favela oder die Nachbarschaftsorganisation seien sollte. Repper Fiell kommt  dabei die Rolle zu, die Zusammenarbeit und Beteiligung der community »auf nicht-kapitalistische Weise zu organisieren. Denn man kann hier im Viertel mit vielen Sachen Geld verdienen, das Radio gehört allerdings nicht dazu« (ebd.). Im Fall der evangelikalen community wird dagegen deren exklusiver und werte-saturierter Charakter zum Problem, wenn Teile - der ja explizit erwünschten – breiten Hörer_innenschaft bereits auf der Eben der geographischen community pauschal als »Drogensüchtige und Prostituierte« ausgegrenzt werden und nur über einen spezifischen, Gott zugewandtem Lebenswandel wieder Mitglied der Gemeinde werden können (Interview Rafael, Rádio União). Rádio Mulher ergänzt diesebezüglich, dass es »viel einfacher ist, mit einer katholischen community in Dialog zu treten als mit einer evangelikalen. Es gibt nun einmal viele Gläubige in der Bevölkerung, wir können das nicht ignorieren, sondern müssen im Radio deshalb immer individuelle und religiösen Freiheiten thematisieren« (Interview Silvia, Rádio Mulher).

295 Dabei setzen die einzelnen Sender erneut spezifische Schwerpunkte. Rádio Santa Marta ist vor allem daran interessiert, »die politische Musikszene aus dem Viertel, die Hip Hopper als Unterstützer_innen zu gewinnen« (Interviews Repper Fiell, Rádio Santa Marta). Rádio Mulher setzt dagegen eher auf eine enge Kooperation mit Schulen, um dort Aufklärungsarbeit zu leisten und arbeite eine zeit Lang auch mit einer weiteren, wenig evidenten Unterstützergruppe zusammen: LKW-Fahrer. Damit die Landarbeiter_innen beim Zuckerrohrschneiden und -aufladen nämlich die Sendungen von Rádio Mulher hören konnten, wurden LKW-Fahrer sensibilisiert, ihre Radioempfänger im Fahrerhaus voll aufzudrehen (Interview Silvia, Rádio Mulher). Beide Sender arbeiten auch enger als die anderen drei ComRads ohne Genehmigung mit sozialen Bewegungen und NGOs zusammen, Rádio Santa Marta z.B. mit der bereits genannten Visão da Favela Brasil und einer Ärzte-NGO aus den USA, die im Viertel als freiwillige Chiropraktiker arbeiten, Rádio Mulher dagegen mit Landarbeitergewerkschaften, der regionalen Frauenbewegung, Stiftungen (z.B. Ford Foundation), feministischen NGOs und dem Frauennetzwerk von AMARC Brasil. Letztere Kooperation verweist bereits auf die Gruppe der unabhängigen »Medienpartner_innen«. Diese wird auch von den evangelikalen Radios gepflegt, die entstehende Kollektive empfangen und beraten. Rádio Santa Marta kooperiert dagegen auch mit dem Nucleo Partininga de Comunicação (NPC) und – genau wie Rádio Mulher – mit der  Nachrichtenagentur von AMARC Brasil, Pulsar Brasil. Zu erwähnen ist auch die von ABRAÇO vermittelte Kooperation mit einem Weiterbildungsprogramm der UNSESCO, an dem 2010 die evangelikalen Sender und Canal Mais teilnahmen. Diese drei Sender sind es auch, die eine Zusammenarbeit mit dem lokalen Gewerbe herausstellen, die mit ihrem apoio cultural die Radios als Sponsor_innen unterstützen. »Sie unterstützen uns entweder, weil sie einen faireren Preis suchen, als in den kommerziellen Radios oder aber, weil sie die Kommunikationsfreiheit und die Demokratisierung des Wortes unterstützen wollen. Die Bedingung für eine Kooperation muss jedoch klar sein: keine Kompromisse mit den Unternehmen, das Wohl der Gemeinde muss stets Priorität haben« (Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais).

 All diese Beziehungen zu komplexen Akteur_innen durchkreuzen ständig die Abstraktionsebene lokal/nicht-lokal, weshalb ich an dieser Stelle auf eine entsprechende Analyse verzichte.

296 Interview Silvia, Rádio Mulher.

297 Ebd.

298 Während die Position von Rádio União gegenüber politischen Parteien und lokalen Politiker_innen unklar bleibt, positionieren sich die übrigen Sender sehr klar. »Rádio Santa Marta lehnt jegliche Verbindung mit politischen Parteien ab«, ebenso wie Rádio Mulher die sich »eine Unabhängigkeit gegenüber der regional starken PSD [Sozialdemokratischen Partei]  und anderen Schätzchen [amores] erarbeitet« hat (Interviews: Repper Fiell, Rádio Santa Marta: Silvia, Rádio Mulher). Demgegenüber unterhält Canal Mais Kontakte zur PSDB (Partei der brasilianischen Sozialdemokratie) und anderen lokalen Politkern, »auch wenn man dabei immer aufpassen muss, nicht ausgenutzt zu werden« (Cirineu Fedriz, Canal Mais). Rádio Sky beschreibt eine noch engere Bindung an das örtliche Rathaus: »Der Präfekt ist unser Fürsprecher und setzt sich aktiv für die Nichtverfolgung von uns und weiterer nichtgenehmigter Sender ein« (Samuel, Rádio Sky). Unklar bleibt jedoch, inwiefern sich der Sender für diese Art Protektionismus auch politisch bindet – ein potentiell delegitimierendes Moment, dass jedoch nicht näher erforscht werden konnte.

299 Interviews: Ebd;  Cirineu Fedriz, Canal Mais.

300 Interview Rafael, Rádio União.

301 »Das Verhältnis zur UPP ist nicht immer einfach, da wir nicht deren, sondern die Interessen der Bewohner vertreten. Aber ich denke der Polizei ist klar, dass sie den Sender nicht mit Gewalt hier herausholen können, da er informell ja fast schon als Teil der UPP anerkannt ist. Der Staat bezieht sich positiv auf uns, sie sagen, die Favela hat auch Dank uns heute eine Stimme und ist friedlicher als früher. Deshalb bin ich sehr optimistisch, und dennoch sind wir auf alles vorbereitet« (Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta).

302 Vgl. http://amarcbrasil.org/fechamento-da-radio-comunitaria-santa-marta/ (12.12.2012)

303 Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta.

304 Interview Silvia, Rádio Mulher.

305 Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais. In der Beschreibung eines Vollprogramms klingt zugleich an, dass Canal Mais sich hier zusätzlich als kontinuierliche Mediation zu legitimieren sucht.

306 »Es gab schon Fälle, da haben Suizidgefährdete angerufen und haben unsere Worte gehört, zufällig. Und wir wissen zumindest von einer Frau, die sich dann doch nicht umgebracht, da sie in unseren Worten Stütze gefunden hat« (Eduardo, Rádio Sky).

307 Interview, Rafael, Rádio União.

308 Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais. Die Hora Nacional wurde bis zur Schließung täglich um 19h von Rádio Santa Marta übertragen.

309 Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais.

310 Ohne hier auf Details dieses Handlungsprogramm eingehen zu wollen, lässt sich festhalten, dass die ComRads eine obligatorische Passage der Kontrolleure gefunden hatten und dort einen Informanten postierten, der verlässlich bevorstehende Einsätze ankündigte.

311 Interviews: Cirineu Fedriz, Canal Mais; Repper Fiell, Rádio Santa Marta.

312 Interview Rafael, Rádio União.

313 Interview Samuel, Rádio Sky. Diese Praxis wird auch von dem Freien Radio Várzea (vgl. Kap.4.2.) beschrieben. In den Darstellungen wird allerdings nicht nur die kommerzielle Radiokette Rádio Band als Informant der Kontrollorgane genannt. Zwei der drei Einsätze der Regulierenden gegen das Freie Radio sind von evangelikalen Radios ausgelöst worden, die später auf Sendung blieben, obwohl auch sie keine Genehmigung hatten. Das zeigt, wie einseitig Anatel mitunter auf Anzeigen reagiert (Kollektivinterview Rádio Várzea). Die beiden in diesem Kapitel interviewten evangelikalen Radios erwähnen zu keinem Moment, solcherlei Strategien zu praktizieren.

314 In den evangelikalen Sendern kommt dabei den weiter oben erwähnten Programmverantwortlichen zu: »Wir sind es letztendlich, die immer ein Auge auf die Technik haben und entscheiden, wer allein vors Mischpult darf« (Interview Rafael, Rádio União). In den weiteren Sendern sind ähnlich, zumeist weniger hierarchische Handlungsprogramme dokumentierbar.

315 Darunter sind oft eine/r der Mitbegründer_innen der Sender, wie beispielsweise Cirineu Fedriz in Canal Mais oder Pastor Marcus in Rádio União. Ich werde diese Akteur_innen an dieser Stelle nicht weiter in Netzwerke entfalten. Festhalten lässt sich jedoch, dass diese Akteur_innen sich ihr Wissen entweder autodidaktisch oder aber in früheren Ausbildungen und Berufen angeeignet haben. 

316 Dazu gehören beispielsweise Rafael von Rádio União, der früher als Gospelmusiker arbeitete und dabei auch die Grundlagen der Audiotechnik erlernte. Rádio Santa Marta profitiert derweil von den musikalischen und technischen Fertigkeiten von Repper Fiell.

317 Interviews: Rafael, Rádio União;  Cirineu Fedriz, Canal Mais. Dass es sich in Rádio Sky nur um elementare Schulungen handelt, verdeutlicht der Fall des derzeitigen Programmverantwortlichen Eduardo: »Ich bin oft ganz auf mich allein gestellt im Radio. Seit ich mitmache, hab ich mir vieles selbst bei gebracht, hab in Internetcafés nach Webseiten gesucht, die erklären wie man mit dem Computer arbeitet« (Interview Eduardo, Rádio Sky).

318 Interview Silvia, Rádio Mulher.

319 Persönlich konnte ich im Jahr 2010 an einer Weiterbildungsmaßnahme teilnehmen, die gemeinsam von ABRAÇO Nacional, der UNESCO und dem Ministério do Desenvolvimento Social e Combate à Fome organisiert wurde. Auch andere internationale Akteur_innen wie die Deutsche Welle Akademie oder Misereor sind in Brasilien als Geber oder direkt als Organisator_innen von Weiterbildungsmaßnahmen aktiv. Auch wenn es mir nicht gelungen ist, die Weiterbildungsmaßnahmen evangelikaler Kirchen näher zu dokumentieren, ist in den Interviews in Rádio Sky und Rádio União deutlich geworden, dass Programmmachende dort entweder Grundlagen der Tontechnik erlernen, um Messen für ein massives Publikum zu organisieren oder aber in anderen evangelikalen Sendern spezifische Handlungsprogramme und Akteur_innen (z.B: ZaraRadio) kennenlernen. So arbeitete zum Beispiel Eduardo von Rádio Sky, eine Zeit lang in einer Kirche am Mischpult.

320 So forderte beispielsweise ABRAÇO-SP die ComRads der Region auf, für eine Weiterbildungsmaßnahme (vgl. FN319) jeweils zwei aktive Programmmachende zu schicken. Sender wie Rádio Sky hielten sich jedoch nicht an diese Abmachung. Statt dem Programmverantwortlichen Eduardo nahmen Samuel und dessen Frau teil, von denen ersterer nur zu einem geringen Teil, letztere überhaupt nicht am Sendebetrieb beteiligt ist. Eduardo erzählte im Interview später, keinerlei Informationen über dieses Seminar erhalten zu haben.

321 Auf dem bereits erwähnten UNESCO-Seminar (vgl. FN319, 320) nahmen auch staatliche Vertreter_innen teil, die dort mit den Berichten der nicht-genehmigten ComRads über ruppige Polizeieinsätze und die Schwierigkeiten sich zu legalisieren konfrontiert worden. Die Anwesenden bestätigten den Radiomachenden dabei oft, ungerecht behandelt und diskriminierend behandelt zu werden. Ihr Ministerium sei an einer Zusammenarbeit interessiert, auch wenn das Kommunikationsministerium diese Sender verfolge. Erneut wird hier, wie schon im Fall des Kultusministeriums deutlich, dass ComRads ohne Genehmigung innerhalb der Ministerien sehr unterschiedlich bewertet und wahrgenommen werden – ein Umstand den die Sender und ihre network builder strategisch zu nutzen suchen.

322 Der Vorwurf, die ComRads würden sich zu sehr für high tech und zu wenig für Freie Software interessieren, ist – wie ich weiter oben gezeigt habe nicht verallgemeinerbar. Vielmehr ist sichtbar geworden, dass es vielerorts an einem Netzwerk komplexer Akteur_innen oder menschlichen »Expert_innen« in den Sendern fehlt, die dabei helfen könnten, andere Handlungsprogramme zu mobilisieren.

323 Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta.

324 Interview Silvia, Rádio Mulher. Zugleich wird versucht die Beteiligten über andere bezahlte Initiativen der NGO Mulhres do Cabo oder Projekte des Frauennetzwerks für ihre Mitarbeit zu belohnen.

325 Dieses niedrige Grundeinkommen beläuft sich in Rádio Uniao auf einen Beitrag von ungefähr 400 Reales im Monat und setzt sich aus den Spenden der programmmachenden Pastor_innen zusammen (Interview Rafael, Rádio União). Eduardo muss sich bei Rádio Sky für einen mitunter 10-stündigen Arbeitstag dagegen mit Kost und Logis (in einem Dienstbotenzimmer in Samuels Haus) zufriedengeben.

326 »Niemand im Radio verdient Geld, die Arbeit wird vollständig von Freiwilligen geleistet. Wir müssen für die jüngeren Generationen ein Vorbild sein. Wir verkaufen uns nicht, auch wenn jemand mit 10.000 Reales ankommen würde, um sich einzukaufen. Jede Programmmachende gewinnt ja trotzdem, an Ansehen und Achtung, aber Geld gibt es bei uns keins zu verdienen« (Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta).

327 In beiden Sender wird allerdings Wert darauf gelegt festzuhalten, dass diese Abgaben freiwillig erfolgen – eine Aussage, die in Widerspruch zu den Aussagen weiter oben zitierter Mitwirkender steht, die die Sendeplatzvergabe an regelmäßigen Zahlungen festmachen.

32 8Interviews: Silvia, Rádio Mulher; Repper Fiell, Rádio Santa Marta.

329 Soliparties liefen regelmäßig für Rádio Santa Marta, wo ebenso wie in Canal Mais häufig auch die Nachbarschaft zu Sach- oder Geldspenden für das Radio angeregt wird. Audioproduktionen wiederum organisierte neben Rádio Santa Marta auch Rádio Sky, das über das professionellste Aufnahmestudio aller Sender verfügt. Während die einen Hip Hop-Alben, Musikvideos und Kurfilme mit Künstler_innen aus Santa Marta oder anderen Favelas Rio de Janeiros produzieren, konzentriert sich Rádio Sky vor allem auf das Geschäft, Videos von evangelikalen Hochzeiten zu produzieren und CDs mit Lesungen und Musik der im Radio arbeitenden Prediger_innen aufzunehmen, die dann auch direkt im Programm beworben werden (Interviews: Repper Fiell, Rádio Santa Marta; Samuel, Rádio Sky).

330 Interview Silvia, Rádio Mulher.

331 Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta.

332 Interview Silvia, Rádio Mulher.

333 Interviews: Iliane, Magalie, beide Rádio Mulher.

334 Interview Silvia, Rádio Mulher.

335 Die Gesundheitsaufklärung, vor allem die Prävention vor Gebärmutterhalskrebs, waren das erste zentrale Thema und Arbeitsfeld von Rádio Mulher. Zur Zeit meines Besuchs im Jahr 2011 hatte sich der Fokus des Programms und die Aktivitäten des Frauennetzwerks bereits stark erweitert, beinhalteten kulturelle Artikulationen (z.B. Umzugswagen für den internationalen Frauentag), Kampagnen zur Prävention von Dengue und auch die Organisation eines telecentros, auf Frauen den Zugang zum Internet zu erleichtern. Das Radio hatte sich außerdem zum Promotionswerkzeug der feministischen Abendschulen entwickelt, an denen »Weiterbildung die gewohnten formellen Bahnen verlässt und der Aufbau gemeinsamer Projekte im Vordergrund steht. Dort finden Workshops zu Themen wie Community-Therapie und zur Konfliktvermeidung statt. Wir schulen Multiplikatorinnen und unser Ziel ist es, immer weiter auszubilden« (Interview Silvia, Rádio Mulher). Besonders aktiv war Rádio Mulher zum Zeitpunkt meines Besuch in die Regionalentwicklung involviert, denn die Stadt Palmares war im Vorjahr starken Regenfällen und Überschwemmungen ausgesetzt, die viele Bewohner_innen hart getroffen hatten und die nun fürchteten, von den Wiederaufbauplänen nicht wahrgenommen zu werden. »Wir boten bereits direkt nach den Überschwemmungen Hilfe an, besuchten die Frauen in Notunterkünften, machten eine Bestandsaufnahme und artikulierten in den Monaten nach den Überschwemmungen aktiv einen Teil der Katastrophenhilfe« (Interview Graça, Rádio Mulher).

336 Oftmals leisten die Aktivistinnen des Frauennetzwerks betroffene Frauen psychologische Unterstützung am Telefon oder in den eigenen Räumlichkeiten, sondern begleiten sie auch auf die Polizeiwache oder ins Krankenhaus. »Das ist absolut notwendig, denn nicht selten wird betroffenen Frauen die Schuld zugewiesen und ihnen unterstellt, eine Mitschuld, an der Gewalterfahrung zu haben. Auch deshalb ist es wichtig, weiterzumachen mit der Radioarbeit denn wir haben unsere Mission noch lange nicht erfüllt. Es gibt noch viel Machismus und viele Tabus. Auch der Bürgermeister drückt sich gern vor brisanten Themen, wie beispielsweise dem ständigen Zugang zu Verhütungsmitteln in den staatlich subventionierten Apotheken, farmacia poplar. Er will es sich nicht mit den Religiösen verscherzen, weshalb wir da immer wieder Druck machen müssen« (Interview Iliane, Rádio Mulher).

337 Zwei konkrete, von den Frauen benannte Fälle ereigneten sich im Jahr 2009 in der Stadt Agua Preta und im darauf folgenden Jahr in Palmares. Im ersten Fall tötete ein Mann seine Geliebte. Er war getrieben von einem Besitzdenken und ertrug es nicht, dass die Frau die Affaire mit ihm beenden wollte. Nach der Tat flüchtete der Mann, stellte sich einige Tage später aber, auch wegen der großen Mobilisierung der Frauenbewegung, die sich an der Suche beteiligte und die Behörden zum Handeln zwang« (Interview Graça, Rádio Mulher). Im zweiten Fall, tötete ein Militärpolizist seine eigene Frau auf einem öffentlichen Platz, weil sie ihn verlassen wollte. Er stellte sich, als er bemerkte, dass die Frauen in der Gemeinde und anderswo versuchten ihn zu finden« (Interview Iliane, Rádio Mulher).

338 Interviews Rafael, Rádio União.

339 Interview Samuel, Rádio Sky.

340 Eine Ausnahme bildet in gewisser Weise Canal Mais, wo Cirineu Fedriz nicht müde wird zu betonen, dass das Radiomedium so organisiert werden muss, dass es einen fundamentalen Bestandteil bei der Demokratisierung der Informatik spiele.

341 Interview Rafael, Rádio União. Obwohl beide Sender Mitglieder von ABRAÇO-SP sind, spielen sie auch keine der dort produzierten Informationssendungen. Anderseits sagten die Machenden von Rádio União ja weiter oben, auch Informationsmaterialien der brasilianischen Bundesregierung zu senden, was in Widerspruch zu der hier gemachten Aussage steht.

342 Interview Repper Fiell, Rádio Santa Marta.

343 Diesen investigativen Anspruch beschreibt Rádio Mulher wie folgt: »Wir erstellen Umfragen und Studien über die Gesundheit von Frauen und andere Fragen. Dazu dokumentieren wir zum Beispiel die Fälle von Behandlungen in Krankenhäusern. Das wäre eigentlich die Aufgabe der Institutionen, aber es gibt es gibt viele Gemeinden die, die Zahlen beschönigen oder nicht wirklich nachforschen. Wir fordern die offiziellen Statistiken heraus« (Interview Iliane, Rádio Mulher).

344 Dazu gehören beispielsweise die von Pulsar Brasil produzierten rádio revistas oder das Jornal do Trabalhador von ABRAÇO-SP, aber auch die von Organisationen wie Oboré produzierten Sendungen zu Gesundheitsfragen oder Audiomaterial der NGO Criar. Als relevante Themen beschrieben die Radiomachenden nationale Bildungsfragen, der Umgang mit Ressourcen, Naturschutz und kulturelle Themen.

345 Interviews: Silvia, Rádio Mulher; Cirineu Fedriz, Canal Mais; Repper Fiell, Rádio Santa Marta. Besonders intensiv erfolgte dieser Austausch bei Rádio Mulher innerhalb des Projekts Rede Ciberela, bei dem Frauen in der Produktion und Distribution von Audiomaterial geschult wurden. Im Gegensatz zum anti-kapitalistischen Anspruch von Rádio Santa Marta, richtet sich die Kritik von Canal Mais vor allem auf die marktorientierte Rechteverwertung im Rundfunk und die Versuche, von ComRads, die keinerlei Gewinnabsichten haben, auf die gleiche Weise wie bei kommerziellen Anbietern Autorenrechte einzutreiben.

346 Auf die in Freien Radios betrachtete Kategorie des »Experimentierens« gehe ich in diesem Kapitel nicht ein, weil seitens der ComRads ohne Genehmigung keine entsprechenden Mobilisierungen dokumentierbar waren.

347 Zum Thema Digitalradio äußerten sich auch auf Nachfrage nur drei der fünf Sender. Es wurde jeweils herausgestellt, darüber nichts zu wissen (Rádio União) oder sich zu wenig damit auszukennen (Rádio Sky), dass man aber darum kämpfen werde es zu haben (Rádio União) bzw. dass es seinen Weg in das Radio finden werde, wenn es gut und effiziente sei (Rádio Sky). Informierter, im Hinblick auch auf die aktuelle Digitalradiodebatte und Spektrumsfragen, antwortete allein Canal Mais: »Digitalradio, das ist und bleibt für die Community Radios eine Utopie, solange noch nicht einmal die Demokratisierung der analogen Medien erfolgt ist. Wir sehen, wie bereits jetzt neue kommerzielle Akteur_innen ihre Interessen im Digitalradio abstecken, noch bevor eine öffentliche Debatte zustande kommt. Investitionsbedingungen werden geschaffen, anstatt öffentlicher Debatte.Denn der Staat denkt, dass ihm Spektrum gehören würde. Er wird eines Tages auch unsere Atemluft beanspruchen. Aber das Spektrum gehört der Bevölkerung, und diese sollte und kann es selbst verwalten. Auch technisches Wissen darüber ist längst vorhanden« (Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais).

348 »Unser Traum ist es, ein eigenes Aufnahmestudio zu organisieren, um dort in Ruhe produzieren zu können. Auf diese Weise werden wir auch neue Formate erarbeiten können« (Magalie, Rádio Mulher). »Wir wollen auch mehr gebaute Beiträge (capsulas) senden können und brauchen dafür ein Studio« (Rafael, Rádio União). »Wir brauchen ein größeres Studio, um besser produzieren zu können« (Repper Fiell, Rádio Santa Marta).

349 Interview Silvia, Rádio Mulher. Canal Mais bringt diese Vision besonders gut auf den Punkt: »Community Radio könnten eine aktivere Rolle spielen, stattdessen wird es bisher kommerziellen Unternehmen überlassen Internetzugänge zur Verfügung zu stellen. Dabei könnten die Radios ein Ort sein, wo die Bevölkerung auch Zugang zu anderen Medien bekommt. Es wäre eine große Chance, wenn wir auch Provider werden könnten« (Interview Cirineu Fedriz, Canal Mais).

350 Interviews:  Silvia, Rádio Mulher; Rafael, Rádio União; Samuel, Rádio Sky.

351 Zum eines sind verbleibende Fragezeichen dem Unwillen einzelner Radiokollektive geschuldet, ihre Skripte vollständig darzulegen. Neben den Interviewpartnern Rafael und Eduardo gab es besonders in den beiden evangelikalen Sendern Akteur_innen, die sich den Interviews und Beobachtungen entzogen, sei es durch ein Fernbleiben, dem Verlassen der Interviewsituation, der Nicht-Beantwortung von Fragen oder dem Senken der Stimme. Neben diesem widerständigen Verhalten, habe ich zudem viele Hinweise auf Handlungsprogramme gesammelt, die ich nicht vollständig als Übersetzungsketten rekonstruieren konnte. Dazu gehören beispielsweise Hinweise darauf, dass lokale Politiker_innen sich an der anhaltenden Illegalisierung von ComRads beteiligen und versuchen, ihnen konforme ComRad-Projekte zu gründen. Und dazu gehört auch die angedeutete Praxis, bei der ComRads sich in Wahlzeiten Schutz vor Anatel und der Bundespolizei »erkaufen« können, indem sie einer Kandidatin oder einem Kandidaten Wähler_inenstimmen beschaffen. In beiden Fällen werden auch Grenzen meiner Forschungsmethode (Interviews, Beobachtung) deutlcih, was den Zugang zu hidden transcripts angeht, die zugleich äußerst wichtig für die Stabilisierung eines Radios sind, zugleich aber auch ein großes delegitimierendes Potential in sich tragen.

352 Sertão bezeichnet die halbwüstenartigen Landschaften im Nordosten Brasiliens.

353 Interview José Soares, Rádio Novos Rumos.

354 Ebd.

355 Nina Magalhães, die mit bürgerlichem Namen Maria do Socorro de Magalhães, »ist eine amnestierte soziale Kämpferin, die in den Anfangsjahren der Diktatur Verfolgung und Gewalt ausgesetzt war. Sie ging ins Exil nach Deutschland und ging nach ihrer Rückkehr nicht nach Paraíba zurück, woher sie eigentlich stammt, sondern kam hierher nach Nova Friburgo. Im Rahmen ihrer Arbeit bei ECO [Escola de Comunicação, Universidade Federal de Rio de Janeiro, N.B.] und mit Unterstützung der Ashoka-Stifung begann sie dann mit dem Aufbau ComRad in der Region. Zuerst waren das Lautsprecheranlagen, die im ländlichen Raum installiert wurden und nachhaltig vor allem die Bildungs- und die ökonomische Situation von Frauen verbessern sollte. Die kamen in die rádio postes um dort ihre Waren anzupreisen, selbst gebackenes Brot, frisches Gemüse, Milch. Erst Ende 1992 begann dann die Arbeit in urbanem Raum« (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade).

356 Ebd.

357 Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda.

358 Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News.

359 Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira.

360 Die 12-jährige Wartezeit erklärt sich auch daraus, dass »die Regulierungsbehörde ANATEL zunächst nicht vorsah, Genehmigngen für Community Radios in São Paulo auszustellen, da für einen solchen Kanal kein Platz im Spektrum vorhanden sei. Nachdem wir das im Jahr 2002 erfahren und beim Kommunikationsministerium protestiert hatten, machte der Staat dann 2004 einen ersten konkreten Vorschlag. Aber juristische Aktion von kommerziellen Radios bremsten das Vorhaben. Erst Ende 2005 wurde dann ein neuer Kanal, die Frequenz 87,5 für ComRads in São Paulo angekündigt. Die Idee wurde 2006 formalisiert und eine Ausschreibung organisiert, bei der über 300 Anträge eingingen. Davon blieben 150 übrig, nach weiteren Machbarkeitsstudien, die zum Beispiel die Nähe zu Flughäfen usw. untersuchten waren es dann nur noch 57. Und diese Kandidaten mussten dann nochmal vir Jahre warten, bis 2010, als dann viele eine Genehmigung erhielten« (Ebd.)

361 Interview Claudia Neves, Rádio Heliopolis.

362 Dass Rádio Heliópolis bereits zwei Jahre vor allen anderen ComRads São Paulos eine Genehmigung bekommt, geht auf die einflussreiche Intervention der Marketingabteilung von Adidas zurück. »Die Nachbarschaftsorganisation UNAS hatte ein Kooperationsprojekt mit Adidas ausgehandelt. Adidas würde die Renovierung des Sportplatzes von UNAS finanzieren, vor allem die Farbe der Graffiti-Sprüher und zur Einweihung, unter Anwesenheit von Ronaldo und Präsident Lula, sollte auch unser Radio eine Genehmigungsurkunde überreicht bekommen. Am Ende kam jedoch nur Zinedine Zidane, weil Ronaldo keine Zeit hatte und Lula absagte, weil das Ministerium die Genehmigung nicht fertig hatte. Erst zwei Monate später, im Rahmen eines anderen Events  kamen dann der Präsident und der damalige Kommunikationsminister Hélio Costa um unseren Sender zu legalisieren« (Ebd.)

363 Ḱollektivinterview Rádio Independência.

364 »In der Anfangszeit, 1996 hatten wir ganz engen Kontakt zu ABRAÇO und kämpften gemeinsam für die Legalisierung der Community Radios. Wir hatten bereits ganz konkrete Vorstellungen davon, was ein Community Radio ist und arbeiteten Vorschläge für ein entsprechendes Gesetz aus, die leider kaum aufgenommen wurden« (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira).

365 Eine exklusive Mitgliedschaft wird mitunter von ABRAÇO oder deren regionalen Vertretungen eingefordert. Doch keines der hier untersuchten Radios kommt dem nach. »ABRAÇO insistiert darauf, dass nur sie uns repräsentieren können, aber wir sehen das anders. Wir sehen nicht so sehr dieses wir oder sie, dass sie da aufmachen« (Kollektivinterview Rádio Independência).

366 Rádio Heliópolis ist formal sowohl Mitglied von AMARC Brasil als auch von ABRAÇO-SP. Rádio Novos Rumos ist ebenfalls bei AMARC Brasil Mitglied, unterhält aber auch Kontakt zu ABRAÇO und VIVARIO. Gleiches gilt für Rádio Bicuda und Rádio Comunidade. Anzumerken ist auch, dass alle drei im Bundesstaat Rio de Janeiro gelegenen Sender früher Mitglied des heute nicht mehr existenten lokalen Radioverbands FARC waren. Rádio Independência wiederum ist Mitglied bei AMARC und der regionalen Vertretung von ABRAÇO im Nordosten Brasiliens. Rádio Cantareira ist ebenfalls Mitglied von AMARC, erkennt jedoch das Medienunternehmen Oboré mit Sitz in São Paulo als lokale Vertretung an. Außerdem unterhält es Kontakt zu ABRAÇO-SP. Sowohl Rádio Cantareira als auch Rádio Heliópolis halten jedoch kritische Distanz zum FDC (vgl. Kap 3.) Allein Rádio Gazeta ist formell bei keinem Radioverband Mitglied, das diese zu wenig für die ComRads tun und nur auf uns zukommen, wenn wir aus irgend einem Grund gerade interessant für sie sind (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News).

367 Vor allem der andauernde politische Zwist zwischen AMARC Brasil und ABRAÇO Nacional wird von allen interviewten Radiomachenden beklagt. Die Korruptionsvorwürfe richten sich vor allem an die nationale Führung von ABRAÇO, der zugleich auch unterstellt wird, immer wieder Beschlüsse von Vollversammlungen zu brechen. Als politisch fragwürdig stellen Rádio Cantareira und Rádio Heliópolis die Aufnahme evangelikaler Sender als vollwertige ComRads beim FDC und bei ABRAÇO-SP heraus. Zudem treibe der Leiter des FDC auch die Gründung und schnelle Legalisierung von evangelikalen ComRads in Gegenden voran, in denen es teilweise Radiokollektive gibt die bereits seit mehr als 10 Jahren aktiv sind und eng in die community eingebunden seien. Als unlautere Praktiken wird auch die Unterstützung von politischen Kandidaten denunziert, só geschehen laut Rádio Cantareira beim FDC, dass seit Jahren Senator Arnaldo Faria de Sa unterstütze oder die von Rádio Independência in der Vergangenheit kritisierten parteipolitischen Deals von ABRAÇO im Bundesstaat Ceará.

368 Alle Interviewten haben in der jüngeren Vergangenheit (2008-2011) an Treffen und Events von AMARC Brasil oder ABRAÇO teilgenommen.

369 »Beide Organisationen haben ein unterschiedliches Verhältnis zu Institutionen, Parteien und zu ANATEL. Aber das gemeinsame Ziel ist den Zugang zum Radiomedium zu verbessern. Ich sehe da keine tiefen Widersprüche, eher kleine Geplänkel und viele Möglichkeiten der Kooperation« (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade).

370 Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda.

371 Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira.

372 Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda. En detail setzt die Kritik am Legalisisierungsprozess bereits an dessen Initiierung an, denn nur das Kommunikationsministerium kann vermittels einer Befähigungsbenachrichtigung (aviso de hablitação), einer Art öffentlichen Ausschreibung die offizielle Bewerbung um eine Genehmigung einleiten. »Wenn die Regierung nichts tut, hast du verloren« (Juçara Terezinha, Rádio Cantareira). Zudem führten die Auswahlkriterien dazu, dass beispielsweise »in São Paulo viele evangelikale Kirchen damit Erfolge hatten, Geisterinstitutionen zu legalisieren, die manchmal nur zwei Wochen vor der Antragstellung auf eine Sendegenehmigung gegründet wurden. Das Punktesystem, nach dem Auswahl verläuft, begünstigt eine solche Praxis. Es werden drei mal Punkte vergeben: Einer, für die Unterschriften direkt Beteiligter, ein zweiter für die Unterschriften individueller Unterstützer und ein dritter für die Unterschriften von Organisationen und Institutionen aus der Umgebung, die den Sender unterstützen. Auch wir mussten uns gegen solche Initiativen durchsetzen und erhielten die Lizenz nur, nachdem wir es geschafft hatten, 4000 Unterschriften von individuellen Unterstützern und 46 von Entitäten zu sammeln. Wir hatten den Vorteil, dass wir schon sehr bekannt waren« (Ebd.).

373 Die Diskriminierung drücke sich zum einen in einer Ungleichbehandlung der ComRads gegenüber kommerziellen Radios aus, denn »anstatt uns zu fördern oder zu schützen, wird bei uns lediglich die genau Einhaltung der Normen kontrolliert. Kommerzielle Radios werden nicht so streng behandelt und werden noch dazu mit öffentlicher Werbung und anderen Vorzügen bedacht« (Mirim Costa, Rádio Novos Rumos). Für eine symmetrische Kontrolle der Sender spricht sich auch Rádio Heliópolis aus, es müsse verhindert werden, dass religiöse Radios oder solche mit Gewinnabsichten die Frequenzen besetzen oder gar Genehmigungen erhalten und behalten. Rádio Comunidade sieht dagegen die Chancengleichheit der Sender nicht gewahrt, um auf dem gleichen Territorium Radio machen zu können. Die Community Radios werden an den Frequenzrand gedrängt, wir senden vorher auf 104,9 jetzt auf 87,9. Das zwischen jedem Radio ein minimaler Abstand von vier Kilometern liegen muss, ermöglicht ebenfalls keine universelle Abdeckung der Regionen und es verhindert das Community Radios als Qualitätsservice wahrgenommen werden (Luzia Franco, Rádio Comunidade). Auch Rádio Cantareira kritisiert die technischen Normen. »Die Sendestärke von Community Radios im ganzen Land einheitlich auf 25 Watt zu begrenzen verkennt, dass im Regenwald von Maranhão oder in den Favelas São Paulos ganz unterschiedliche Sendebedinungen herrschen. Das ist ein großes Problem bis heute, es verkompliziert unsere Existenz. Das Gesetz schützt uns auch nicht vor Interferenzen und es erschwert die Finanzierung. Wir dürfen keine Werbung senden und die Kriterien für ein Sponsoring (apoio cultural) sind schwammig« (Juçara Terezinha, Rádio Cantareira). Die hier ebenfalls anklingende Kritik an legalen Hindernissen für eine nachhaltige Finanzierung spricht auch Rádio Heliópolis an: »Das Gesetz hat die Legalität ermöglicht aber nicht die nachhaltige Existenz der Radios« (Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis).

374 Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis.

375 Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News. Er bezieht sich hier auf die Gemeinde Mairinque, die er im Interview als äußerst konservativ beschreibt.

376 Interviews: Kollektivinterview Rádio Independência; Juçara Terezinha, Rádio Cantareira; Claudia Neves, Rádio Heliópolis.

377 Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos.

378 Interviews: Ebd: Luzia Franco, Rádio Comunidade; Juçara Terezinha, Rádio Cantareira. Etwas außerhalb dieser dualistischen Konstruktion positioniert sich allein Rádio Heliópolis, das eigenen Angabe nach auch gute Kontakte zu den kommerziellen Sender CBN und Rádio Globo unterhalten (Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis).

379 Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira. Einen intensiven Kontakt und Austausch gibt es nach Aussagen der Beteiligen beispielsweise zwischen Radio Heliópolis und Rádio Novos Rumos.

380 Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda. Ein Beispiel dafür ist ein genehmigtes ComRad im Bundesstaat São Paulo, dass aus strafrechtlichen Gründen hier nicht namentlich genannt werden kann. Dieses sendet neben dem autorisierten Sendegebiet noch in einer benachbarten Gemeinde. Um einem dort existierenden genehmigten ComRad nicht »dazwischenzufunken« nutzt es dort allerdings nicht die übliche ComRad-Frequenz sondern eine andere, die noch frei zur Verfügung war, um somit Konflikte zu vermeiden.

381 Als konkurrierende Skripte sind hier nicht nur nicht-genehmigte ComRads gemeint, sondern zunächst alle Radioformate. »Wie brauchen auch eine Beschränkung von Frequenzen in den Händen von Medienunternehmen, den großen Radioketten,  die ungerechtfertigt viele Frequenzen vereinen und keinerlei Rechenschaft über Inhalte ablegen. Doch wenn Frequenzen ein öffentliches Gut sind, dann müssen auch sie nachweislich einen Beitrag für die Öffentlichkeit leisten« (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira).

382 Rádio Novos Rumos beklagt beispielsweise, dass es im Sendegebiet nur evangelikale Sender gebe, »die sich ComRads nennen, aber den ganzen Tag nur predigen« (Interview José Soares, Rádio Novos Rumos). Unerwähnt lassen sie dabei ein anderes ComRad, Rádio Queimados, dass von ehemaligen Mitarbeiter_innen des Senders gegründet wurde und kürzlich sogar ein Genehmigung erhalten hat. Dieser Sender sei jedoch ebenfalls »kein richtiges ComRad, weil er von einem Verein organisiert wird, der mehr als nur Radio macht« (Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos). Abgesehen davon, dass das Gesetz nicht gegen diese Praktik spricht, ist auch Rádio Heliópolis, mit dem Novos Rumos einen engen Kontakt pflegt, an die Nachbarschaftsorganisation UNAS gekoppelt, die mehr als nur Radio macht.

 Auch Rádio Comunidadade beschwert sich über »die viele[n] neue Radios, die in der Stadt entstanden sind, die kein Community-Radio-Profil haben, die parteiische oder kommerzielle Interessen verfolgen. Vor allem gehen uns durch sie Ressourcen verloren, da sie direkt Produkte bewerben, während wir Werbenden nur ein Sponsoring anbieten können. Das geht dann so lange, bis ANATEL kommt, um die Dinge zu regeln. Die haben viele Radios geschlossen, die nur Musik spielten (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade).

383 Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis.

384 Interviews: Kollektivinterview Rádio Independência;  José Soares, Rádio Novos Rumos, Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis;  Emir Bechir, Rádio Gazeta News; Mirim Costa, Rádio Novos Rumos.

385 Interviews:  Carlos Osório, Rádio Bicuda;  Mirim Costa, Rádio Novos Rumos

386 Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade.

387 Dass bei Novos Rumos der Vereinsvorstand zugleich das operative Gremium des Senders bildet, hängt auch damit zusammen, dass der eingetragene Trägerverein Rádio Clube de Quemados keine weiteren Aktivitäten organisiert, die nicht unmittelbar mit dem Radiobetrieb in Verbindung stehen. Ähnlich liegt der Fall bei Gazeta News, auch hier sind die Strukturen des Vereins vollständig auf die Signalerzeugung fixiert, jedoch mit dem Unterschied, dass ein unregelmäßig tagendes Plenum der Radiomachenden dem Vorstand zur Rechenschaft verpflichten kann.

 Die Vereinsstrukturen der Träger_innen insgesamt ist äußerst heterogen. Die in den 90er Jahren von Rádio Novos Rumos entwickelte Idee, neben dem Exekutivkomitee der Vereine auch einen finanziellen Beirat und einen Gründerrat als permanente Instanzen zu organisieren, stand beispielsweise Pate für die Strukturen von Rádio Indendência und Rádio Comunidade (Interviews: Luzia Franco, Rádio Comunidade; Juçara Terezinha, Rádio Cantareira). Eine unterschiedliche Bedeutung wird auch dem in Lei 9.612/98 vorgesehenen Gemeinderat (conselho comunitário) zugeschrieben. Während dieses Germium bei einigen Radios nur als formale Pflichterfüllung organisiert wird, nimmt bspw. Rádio Bicuda die Mobilisierung dieser Entität äußerst ernst, wohl auch, um damit seine Anerkennung im Viertel und die Vielfalt seiner Unterstüzter_innen zum Ausdruck zu bringen: »Das Radio hat einen conselho comunitaria, dem acht Organisationen angehören, während laut Gesetz nur vier gefordert werden. Dieser Rat kommt einmal im Jahr zusammen, zu unserem Jahrestag. Ihm gehören an: Anwohnerorganisationen, Kirchen, spiritistische Zentren, Sambaschulen, Clubs und ein Kung-Fu-Verein (Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda).

388 Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos.

389 Zudem regt Rádio Heliópolis alle Interessierten dazu an, »auch auf den wöchentlichen Koordinationstreffen ihre Meinung zu sagen und offen zu sprechen. Diese interne Kritik ist ganz wichtig, denn ohne sie wird es kein erfolgreiches Radio geben« (Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis). Das Modell, mit fünf Koordinator_innen zu arbeiten, die jeweils verantwortlich sind für die Gesamtkoordination (geral), das Programm, die Produktion, die Technik und Erhalt der Sendetechnik (manutenção) »Das war nicht immer so, das Radio ist eines der UNAS-Projekte, und hat bereits mit einer Vielzahl von Organisationsstilen experimentiert. Früher war eine Person leitende für alles zuständig, doch nach einer Strategieplanung vor 3-4 Jahren im Rahmen eines Workshops von AMARC Brasil änderten wir unser Modell und bildeten erstmals ein Koordinationsteam« (Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis).

 Von allen Radios in denen Plenen als kollektive Entitäten mobilisiert werden, ist Rádio Gazeta News der einzige Sender in denen diese nicht in einem regelmäßigen Rhythmus tagen. »Es gibt keinen fixen Rhythmus. Versammlungen werden einberufen, wenn es Probleme gibt oder wir Entscheidungen treffen müssen (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News).

390 Interviews: Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis; Juçara Terezinha, Rádio Cantareira.

391 Einzig Rádio Heliópolis bekennt sich klar zum Abstimmungsprinzip, um Entscheidungen zu treffen. Die Art und Weise der Konsensfindung ist wiederum sehr unterschiedlich organisiert und meistens gedeckelt, d.h. im Konfliktfall wird bspw. erneut abgestimmt und auf ein Mehrheitsprinzip gesetzt (Rádio Comunidade) oder aber, wie bei Rádio Gazeta eine letzte Entscheidungsinstanz benannt: »Wir versuchen immer einen Konsens zwischen allen zu treffen, das letzte Wort hat dann aber das Direktorium. Nur selten kommt es dort aber zu Kampfabstimmungen, wir Versuchen immer vorher einen Kompromiss zu finden, jeder gibt ein bisschen nach, um eine harmonischen Zusammenarbeit zu gewährleisten« (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News).

392 Zur Zeit des Interviews waren in Radios nach Auskunft der Radiokollektive jeweils aktiv: Rádio Gazeta News, 19 Programmmachende; Radio Heliópolis, 30; Rádio Bicuda 35; Rádio Cantareira 60. Die anderen Sender machten keine genauen Angaben.

393 Punktuelle Hinweise auf eine Legitimation entlang einer spezifischen Diversität lassen dennoch in zwei Radio finden, zunächst bei Rádio Heliópolis finden, wo eine spezifische Organisation des Radiostudios dafür sorgen soll, dass auch Analphabeten Programmmachen können. »Wir organisieren die Ordner mit Musikdateien auf den Computern so, dass auch Moderatoren die nicht lesen können, selbständig ihre Inhalte auswählen können« (Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis). In Rádio Cantareira wird dagegen »ökumenische Sensibilität« hochgehängt. »Auch wenn viele im Radio katholischen Glaubens sind, wird niemanden ausgeschlossen. Wir organisieren das Programm Raum der Gemeinde (Espaço da Comunidade), wo eine gemeinsame religiöse Reflexion über das Zusammenleben stattfindet und in der zweiten Programmhälfte auch immer unterschiedliche Pastoren und religiöse Vertreter eingeladen werden. Es gibt also eine feste Sendezeit für alle Religiösen. Wir versuchen dabei eine journalistische Linie zu bewahren und zu vermeiden, dass direkt Kampagnen oder Doktrin gesendet werden. Für uns zählt der interreligiöse Dialog, das ist ein Experiment« (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira).

394 Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis. Auf ähnliche Weise formuliert Rádio Novos Rumos: »Das Radio gehört der Community, wer auch immer will, kann hier vorbeikommen und mitmachen« (Interview José Soares, Rádio Novos Rumos).

395 Diese Auswahlprozesse werden meistens von den Direktorien oder Koordinationsteams vorgenommen. Sie bewerten die Vorschläge, führen Warteliste und entscheiden meistens auch direkt über die Anträge. Dieser Prozess ist in manchen Sendern (Rádio Bicuda) auf maximal zwei Wochen angelegt. Die Auswahlkriterien variieren stark, konstruieren . In Rádio Novos Rumos muss beispw. »jeder, der ein Programm machen will, zunächst Mitglied werden, dann einen Vorschlag machen und Verantworliche benennen. Anschließend muss ein Pilotprogramm produziert werden, das unser Direktorium dann analysiert, um zu sehen ob die Sendung auf der Linie unsere Radios ist, ob die Inhalt mit dem übereinstimmen, was wir als solche in unserer Satzung definieren (Interview José Soares, Rádio Novos Rumos). Bei Rádio Bicuda widerum, muss niemand seine Expertise unter Beweis stellen, »es reicht, Interesse zu haben, ein Programm zu machen« (Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda. Dafür wird jedoch gefordert, »das Radio finanziell [zu] unterstützen, aus eigener Tasche oder über Sponsoren, die sie mitbringen« (Ebd.). Bei Rádio Heliópolis werden Anfragen bevorzugt behandelt, wenn die Interessierten bereits anderswo in der Gemeinde als Freiwillige aktiv waren (Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis).

396 Interviews: José Soares, Rádio Novos Rumos; Luzia Franco, Rádio Comunidade.

397 Interviews: Emir Bechir, Rádio Gazeta News; Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis.

398 Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade. Etwas zurückhaltender aber im Effekt genauso normativ formuliert Rádio Independência das Problem: »Es ist eine Herausforderung, die Haltung des Radios auch in der Musik auszudrücken. Wir wollen Qualitätsmusik spielen aber gerade die Jugendlichen wollen Rap und immer neue Rhythmen oder das spielen, was sie aus dem Fernsehen kennen. Aber das geht gegen unsere Philosophie« (Kollektivinterview Rádio Independência). In Rádio Cantareira, wo es ebenfalls eine »Musikzensur« gibt, wird dagegen eine deutlich differenziertere Debatte geführt, um der beschriebenen Gefahr der »Diskriminierung« zu entgehen: »Problem ist doch nicht der Rap sondern die Inhalte, die nicht von Rhythmen, sondern von Texten abhängen. Auch in der Gaucha-Musik oder im Sertanejo wird ein Machismus gepflegt. Wichtig ist es, eine Linie zu finden zwischen beliebter Musik, die die Leute hören wollen und ethischen Ansprüchen, keine  Schimpfwörter, keine homophoben und frauenfeindlichen Texte zu senden. Wir besprechen das auf den Radiotreffen und entscheiden gemeinsam« Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira).

399 Kollektivinterview Rádio Independência. In Rádio Novos Rumos arbeitet schichtweise zwischen vier und fünf Techniker_innen (Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos). Dennoch wird auch hier die feste Rollenteilung im operativen Gebrauch unterlaufen: Die Tontechniker sind meistens die Schüchternen, so wie ich anfangs. Aber ich wurde auch immer dazu motiviert mitzureden und nach und nach wurde ich dann auch zu einem Moderator. Noch heute gibt es Leute, die nur als Techniker arbeiten wollen, oder reine Moderatoren aber inzwischen auch mehr Beteiligte, die beides machen wollen (Ebd.).

400 Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira.

401 Rádio Cantareira organisiert deshalb Sendeteams, in denen jeweils ein Programmmachender auch technisch versiert ist. Rádio Gazeta News stellt allen Programmmachenden technische Unterstützung zur Seite, »wenn sie sich dann wohler fühlen« (Interviews Emir Bechir, Rádio Gazeta News) und Rádio Heliópolis versucht besonders viele Jugendliche als ganzheitliche Radiomacher_innen auszubilden, um möglichst immer jemanden da zu haben, der aushelfen oder Probleme beheben kann (Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis). Wichtig ist es an dieser Stelle auch zu erwähnen, dass hier von der Studiotechnik die Rede ist, also aller Entitäten in der Audiokette bis zum Signaleingang der Sender. Ab dort benötigen alle Radiokollektive externe Unterstützung von Rdaiotechniker_innen, die ausnahmslos außerhalb der kollektiven Radioskripte als bezahlter Service organisiert wird.

402 Die aktuelle Präsenz schwankt jedoch auch innerhalb der Sender beträchtlich und es stellt sich die Frage ob auf empirisch-statistischer Ebene nicht bereits unterschiedliche Anerkennungswürdigkeiten formuliert werden, die an das Kriterium der Geschlechtergleichheit gebunden sind, wenn wie in Rádio Bicuda lediglich eine von 35 Programmmachenden eine Frau ist, in Rádio Heliópolis dagegen immerhin ein Drittel (Interviews: Carlos Osório, Rádio Bicuda; Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis.

403 Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda.

404 Ebd.

405 Kollektivinterview Rádio Independência.

406 Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira.

407 Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade.

408 Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis. In beiden Radios wird jedoch nicht mit festen Quoten gearbeitet, wobei es jeweils das implizite Ziel ist, die Beteiligung von Frauen über 50 Prozent zu halten.

409 Der Kauf von Immobilien wurde im Fall von Rádio Cantareira durch den Erhalt staatlicher Projektgelder möglich, bei Rádio Heliópolis durch Mittel der ONG Action Aid und Rádio Independência konnte durch den Tausch einer privaten Imobilie mit einem Anbau der Pfarrkirche seine räumliche Lage und den Zugang verbessern (Interviews: Juçara Terezinha, Rádio Cantareira; Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis; Kollektivinterview Rádio Independência.

410 Dabei wird in allen Radios eine Entwicklung nachgezeichnet, die von einem anfänglich prekärem Radiomachen hin zu einer komplizierteren Sendetechnik führt. Einzig Rádio Gazeta News begann bereits vor seiner Legalisierung mit einem aufwendig eingerichteten und von den Gründer_innen des Senders finanzierten Equipment, »doch nach den ersten Einsätzen und Konfiszierungen von ANATEL mussten wir einsehen, dass diese Organisation des Studios nicht tragbar war und wir suchten nach anderen Möglichkeiten. Denn uns mit dem professionellen Equipment zu verstecken, hätte bedeutet, den spirit der community zu verlieren« (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News).

411 Als professionell bezeichnen ihr Studio in den Interviews explizit die Macher_innen von Rádio Novos Rumos, Rádio Gazeta News und Rádio Independência.

412 Dabei handelt es sich jedoch oft um gecrackte Versionen proprietärer Software, wie z.B. Soundforge, AcidPro, Simplecast, Windows und Word. Die darüber hinaus genutzte kostenfrei nutzbare Software wie Winamp und ZaraRadio, deren Quellcode jedoch nicht frei zugänglich ist, wird ebenfalls als Freie Software interpretiert. Der gängigen Defintion Freier oder open source Software entspricht allein vielfach genutzte digitale Schnittprogramm Audacity.

 Zu der erwähnten Automatisierungssoftware ZaraRadio lässt sich an dieser Stelle noch hinzufügen, dass es als Dj Random wenn dann nur sehr sporadisch eingesetzt wird, um eine temporäre Signalerzeugung ohne die Anwesenheit menschlicher Akteur_innen zu garantieren: Wir nutzen ZaraRadio, aber möglichst nur außerhalb der eigentlichen Sendezeit als von 22 Uhr bis sechs Uhr morgens (Kollektivinterview Rádio Independência). Wie ich noch zeigen werde, kommt ZaraRadio bei den besuchten Sendern keine aktive und für die Legitimationsstrategien relevante Rolle für die Übersetzung von Kontinuität zu.

413 Interviews: Claudia Neves, Rádio Heliópolis; Mirim Costas, Rádio Novos Rumos; Luzia Franco, Rádio Comunidade. Diese durchweg positive Bezugnahme wird auch von Sendern unterstützt, die bisher nur Zugang zu äußerst langsamen Internetverbindungen haben. Zudem machen die Interviewten ihr Interesse an einer nachhaltigen Einbindung des Internets auch dadurch deutlich, dass die anfängliche und teils anhaltende Abhängigkeit von kommerziellen Dienstleistern für die Pflege der Website und das streaming oftmals als einen zu überwindenden Missstand beschreiben, der nicht vereinbar mit den Prämissen des ComRad-Machens sei. »Fakt ist, dass uns  anfangs gänzlich die Fähigkeiten fehlten, vieles im Internet selbst zu organisieren. Aber viele von uns haben Kurse belegt und heute betreuen wir unsere Webseite weitestgehend selbst« (Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis).

414 Internetcafés, Telezentren (telecentros) oder Computerräume werden organisiert in: Rádio Heliópolis, Rádio Cantareira und Rádio Comunidade.

415 So sendete beispielsweise Rádio Novos Rumos vor der Legalisierung mit 150 Watt auf der Frequenz 101,7. Rádio Cantareira war mit 80 Watt auf Sendung. Einzig Rádio Comunidade war mit weniger Sendestärke (21 Watt) aktiv, bevor es eine Genehmigung erhielt (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade). 

416 Im einzelnen befinden die Sender dazu: »Wir verloren unser Publikum und die breite Unterstützung in einem vorher riesigen Sendegebiet (Juçara Terezinha, Rádio Cantareira), »die Legalisierung hatte unserem Projekt viele Probleme bereitet. Die Schattenseite der Genehmigung war ein Hörerverlust und eine anhaltende Krise. Da wir die ersten im Frequenzband sind, von vielen nicht zu empfangen« (Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis), »wir sind sechs Kilometer vom Stadtkern entfernt und mit 25 Watt jetzt dort kaum mehr zu empfangen« (Emir Bechir, Rádio Gazeta News).

417 »Die Legalisierung hieß, uns professionaliseren zu müssen, ein anderes Equipment zu kaufen und Tests zu machen« (Luzia Franco, Rádio Comunidade). »In Rádio Heliópolis hatten wir kein Geld, nachdem wir endlich eine Genehmigung erhalten hatten. Wir mussten ein Jahr off air bleiben. Bis heute haben wir nur einen Sender und wüssten nicht, wie wir Ersatz finanzieren sollten. Selberbauen, diese Zeiten sind vorbei, denn die Nutzung des ANATEL-Equipment wird streng kontrolliert. Die Seriennummer ist eingetragen in die Genehmigung und jede Veränderung muss gemeldet werden« (Claudia Neves, Rádio Heliópolis). Rádio Bicuda wiederum stellte fest, »dass der Sender in unserem technischen Projekt, der uns vom Kommunikationsministerium empfohlen wurde, das damals teuerste Modell auf dem Markt war. Wir hatten keine Wahl und mussten das Geld auftreiben, denn nachträgliche Änderungen sind nicht möglich, solange wir nur mit einer provisorischen Genehmigung senden« (Carlos Osório, Rádio Bicuda). Rádio Cantareira widerum kaufte den Sender bei einem Fabrikanten in Minas Gerais und »wenn der Sender kaputt geht, haben wir das Problem, jetzt jedes Mal dorthin fahren zu müssen« (Juçara Terezinha, Rádio Cantareira).

418 Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos.

419 Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis. Auch die andere Radios verweisen darauf, sich über communities zu definieren, die über die Reichweite der 25-Watt-Sender hinausreicht:» Das Gestz taugt nichts, 25 Watt ist viel zu wenig, um die gesamt Community zu erreichen« (José Soares, Rádio Novos Rumos). Auch situative geographische Bedingungen werden mitunter angeführt: »Die geringe Sendestärke und die Hügelkette der Serra da Miserocordia, mit mehr als 300 Meter hohen Gipfeln, passen einfach nicht zusammen« (Carlos Osório, Rádio Bicuda).

420 Erneut anonymisiere ich hier die beiden von mir dokumentierten Fälle. Im ersten Fall nutzt das Radio seinen früheren Sender auf der vorherigen Frequenz weiter, sendet allerdings von einem anderen Ort aus. Im zweiten Fall greift ein Radio auf eine Punktübertragung zurück, um ein geographisches Hindernis zu überwinden und dann in einer benachbarten Gemeinde mit einem weiteren Sender dieses Sendegebiet zu erschließen.

421 Emir Bechir, Rádio Gazeta News.

422 Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos. Als kokonstituierende Größen werden von den menschlichen Radiomachenden auf der nicht-menschlichen Seite folgende »Kanäle« benannt: Telefon bzw. Hybridtelefon, E-mail, soziale Netzwerke wie Facebook und Urkut oder auch Chatprogramme. Darüber hinaus wird in allen Sender auch darauf hingewiesen, dass es jeder Zeit möglich ist, in die Radios zu kommen und sich direkt in der Sendekabine zu beteiligen.

423 Interviews: José Soares, Rádio Novos Rumos; Emir Bechir, Rádio Gazeta News; c. Mit Programmkontrolle ist gemeint, dass sich Hörende an der Einhaltung unserer Prinzipien beteiligen, zum Beispiel Sendungen mitschneiden, in denen Schimpfworte benutzt oder frauenfeindliche Musik gespielt wird. Dann werden diese Beschwerden auf dem Plenum thematisiert (Ebd.).

424 Bei näherer Betrachtung zerfällt der Hügel, von dem aus Rádio Comunidade sendet, in sozioökonomisch abgrenzbare Klassen: »Der Hügel von dem aus wir senden, wird von unterschiedlichen communities besiedelt. Auf der einen Seite lebt die Klasse A, die Privilegierten. Auf der anderen Seite die Klassen C,D,E. Das sind oftmals Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Die größte Beteiligung geht jedoch von der Mittelklasse aus. Die anderen helfen allerdings ebenso und sind manchmal auch Mitglieder«  (Luzia Franco, Rádio Comunidade).

 Die Favela, die Rádio Heliópolis inskribiert sei in ihrem kollektiven Selbstverständnis dagegen aus der Radioarbeit hervorgegangen: Das Radio war identitätsstiftend. Die Leute erzählten früher sie wohnen in Nähe von Fabrik X. Heute sind sie stolz auf Heliópolis, trotz aller Schwierigkeiten, denn es gibt hier eine gut organisierte community mit einem starken Gemeinschaftsgefühl.

425 Kollektivinterview Rádio Independência. Nicht immer läuft die Kopplung eines Radios an solche religiösen Gemeinden so konfliktfrei ab, wie es von den Machenden in Independência geschildert wird: »Bei uns gibt viel Druck von der katholischen Kirche, deren Gemeinden eine wichtige Basis unseres Radiokollektivs bildet, von denen jedoch einige, trotz unserer Absage daran, Gottesdienste, Gebete oder missionarische Programme zu senden, nie müde werden, darauf zu drängen, täglich das Ave Maria hören zu wollen« (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira).

426 Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News. Wie diametral die situativen Skripte der genehmigten ComRads sich dabei teilweise gegenüberstehen zeigen die beiden folgenden Zitate: »Für die Bestimmung unserer community sind die politischen Grenzen des município wichtig. Die Einwohner und Einwohnerinnen, die für die Unabhängigkeit [der Verwaltungseinheit Queimados, N.B.] gekämpft haben, haben sich von Beginn an  stark mit und über das Radio identifiziert« (Interview José Soares, Rádio Novos Rumos). Demgegenüber heißt es bei Rádio Gazeta News:

 Eine community ist eine offene und große Sache, innerhalb der es verschiedene Gruppen gibt: die einen wollen Drogen legalisieren, die anderen streben nach sexueller Vielfalt. Wir sind für alle da, weil offen und nicht-lokal. Die community und ihre Gruppen durchbrechen immer lokale Grenzen. Doch eben weil wir für alle da sind, brauchen wir auch kein Radio für jede einzelne Gruppe« (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News). Eine Anmerkung dazu: In diesem Zitat wird der Begriff community eher im Sinne von Gesellschaft verwendet. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass der Interviewpartner, der hier davon spricht allen einen Raum zu geben, weiter oben kategorisch ausgeschlossen hat, die Befürworter_innen der Legalisierung von Marihuana zu Wort kommen zu lassen (vgl. FN 396).

 Unabhängig von der community-Debatte möchte ich noch einen Fall benennen, bei dem ein Radio darauf angewiesen war, sich eine neue community zu schaffen. Die starke Präsenz und Kontrolle von kriminellen Organisationen in dem Viertels, wo Rádio Bicuda sich ursprünglich gründete, »machten einen Ortswechsel notwendig. Wir konnten aus Sicherheitsgründen im Radio keinen Besuch mehr empfangen und auch der Kontakt mit dem lokalen Gewerbe, als finanzielle Unterstützer lag brach. Hier wo wir jetzt sind, fingen wir wieder bei Null an. Die Leute und die lokalen Händler haben lange gebraucht, um uns zu akzeptieren« (Carlos Osório, Rádio Bicuda).

427 Rádio Heliópolis arbeit zum Beispiel eng mit verschiedenen Kulturinitiativen, wie Poetry-Slam-Projekten und der Hip-Hop-Bewegung São Paulos zusammen, die sich im gesamten metropolitanen Raum und darüber hinaus organisiert (Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis). Migrant_innen und migrantische Initiativen sind explizit in Rádio Gazeta News organisiert, wo »Miguel, ein gebürtiger Chilene zu Migrationsfragen arbeitet, vor allem mit der bolivianischen community« (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News) und in Rádio Heliópolis, dort jedoch besonders mit Fokus auf Migrant_innen aus dem Nordosten Brasiliens: »Hier in Heliópolis leben viele Leute aus Piaui, Pernambuco und anderen Bundesstaaten im Nordosten. 90% der Bevölkerung sind oder haben Nordestinos in ihren Familien. Deshalb hat unser Forro-Programm hier viele Erfolg, wir schätzen die Kultur aus Nordosten im Radio wert« (Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis).

428 Ich verzichte hier auf eine genaue Zuordnung der einzelnen sozialen Bewegungen zu den einzelnen Radiokollektiven, da sich an dieser Stelle daraus auch keine weiteren, für die Forschungsfrage relevanten Schlüsse ableiten ließen.

429 Interviews: José Soares, Rádio Novos Rumos; Claudia Neves, Rádio Heliópolis.

430 Neben der bereits eingangs referierten Kooperation zwischen Rádio Novos Rumos und Rádio Helliópolis, beschreibt letzteres auch eine konstante Zusammenarbeit mit einem Odachlosenradio, dass eine kostenlose Essensausgabe organisiert, oder auch eine Weitergabe von Wissen und Erfahrungen an Rádio Paraisópolis, dass in dem gleichnamigen município entsteht. Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass diese Kolaborationen nicht so konstant sind, wie dies der Sender darstellt. Im Jahr 2010 befand es die Kommunikations-ONG Intervozes aus São Paulo »bedauerlich, dass das Radio seine Aktivitäten mit anderen Sendern so stark gesenkt hat. Früher haben sie mehr Kontakt gesucht und andere Radioprojekte unterstützt. Wenn sie nicht aufpassen, werden sie sich zunehmend isolieren« (Interview João Brandt, Intervozes 15.03.2010). Rádio Comunidade widerum stellt seine Unterstützung und Kooperation heraus, die es Rádio Conselheira zuteil werden lässt, dass ebenfalls in Nova Friburgo aktiv ist (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade).

431  Oftmals betrifft diese Kooperation den Empfang von Radiomachenden aus anderen Ländern, zum Teil aber auch direkte Kooperation, wie im Fall von Rádio Heliópolis, die im Austasuch mit dem argentinischen ComRad LaTribu stehen und außerdem Kontakte zum internationalen Netzwerk von AMARC und dem lateinamerikanischen Radio-Kooperationsprojekt Ritmo Sur pflegen (Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis). Ausserdem war der Sender auch an internationalen Austauschprogrammen beteiligt, so zum Beispiel mit einer Organisation aus Frankreich, die sieben jugendliche Djs, Rapper_innen, Schlagzeuger_innen und Fotograf_innen aus Heliópolis empfingen (Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis).

432 Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News.

433 Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos.

434 Interviews: Juçara Terezinha, Rádio Cantareira; Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis. Das dritte Radio, dass dass als ponto de cultura staatliche Unterstützung erhält ist Rádio Comunidade.

435 Eine Ausnahme bildet Rádio Novos Rumos, die ständig darauf insistieren, dass viele ehemalige Mitarbeiter und Freunde heute in der Stadtverwaltung arbeiten und es eine enge Zusammenarbeit gebe. In Rádio Comunidade wird beispielsweise mit den lokalen Sekretariat für Gesundheit und Ernährungssicherheit kooperiert, um Aufklärungskampagnen zu senden. »Aus dieser Kooperation entstand das Referenzzentrum zur Betreuung von Frauen (Centro de Referência para o Atendimento à Mulher), das die Gewalt gegen Frauen bekämpft. Es ist ein gemeinsamer Kampf der Stadtverwaltung, des Radios und der Frauenorganisationen« (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade).

 Rádio Heliópolis organisiert immer wieder Kulturprojekte in Kooperation mit dem Kultursekretariat der Stadt São Paulo. In Independência hingegen, war die Stadtverwaltung sehr besorgt, als wir begannen ein Radio zu organisieren, dass sich weder als staatliches noch als öffentlicher Sender bezeichnete. Deshalb waren sie anfangs eher zurückhaltend, wollten nicht mit uns sprechen und versuchten ein eigenes Radio aufzubauen. Aber der versuch hatte nicht lange Bestand. Heute ist die Stadtverwaltung immer interessiert mitzumachen, aber uns ist klar, dass sie auch eigene Interessen verfolgten und Kontrolle ausüben wollen. Da muss man vorsichtig sein. Aber ein Richter hat bei uns beispielsweise eine Zeit lang ein Programm, das sehr war gut« (Kollektivinterview Rádio Independência).

436 Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda. Diese Kooperation erfolgt vor allem im Rahmen eines Projekts, dass die Arbeit lokaler Politker_innen in einer Serie politischer Interviews dokumentiert.

437 Interviews: Mirim Costa, Rádio Novos Rumos; Claudia Neves, Rádio Heliópolis.

438 Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade. Auch Rádio Independência beklagt »eine gewisse Abwanderung, von Leuten, die in die Großstädte gehen« (Kollektivinterview Rádio Independência), ebenso wie in Novos Rumos, »wo Leute, für die das Radio wie eine Schule war, heute in kommerziellen oder öffentlichen Radios arbeiten oder auch an Universitäten« (Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos). Auch in Rádio Heliópolis »hören Programmachende oder Freiwillige oftmals abrupt auf, weil sie einen festen Job gefunden haben und neue Prioritäten setzen müssen. Unsere ehemalige Koordinatorin Claudia Neves zum Beispiel hat jetzt einen Job und studiert. Da bleibt keine Zeit mehr, ständig im Radio zu sein. Aber sie macht immer noch mit, gibt Infos weiter oder Tipps« (Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis).

439 (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira). Auf die Formen der Ausbildung werde ich weiter unten noch genauer eingehen. Einzig Rádio Gazeta News versucht jedoch das Budget genau auf diese Notwendigkeit auszurichten und bindet die Leute auch sozioökonomisch ein. »Wir wollen keine Freiwilligen, die müde werden oder sich ausgebeutet fühlen. Deshalb zahlen wir eine Aufwandsentschädigung von 400 Reales im Monat, für jemanden, der von Montag bis Samstag im Radio ist« (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News).

440 Vgl. Decreto n° 2.615, Art.28 vom 03.06.1998. http://legislacao.anatel.gov.br/decretos/123-decreto-2615 (13.03.2015).

441 Gesendet wird in den meisten Radios von sechs bzw. sieben Uhr bis 22 Uhr oder Mitternacht. Das Handlungsprogramm der für einzelne Sendeblöcke verantwortlichen Teams erklärt Rádio Heliópolis so: Wenn jemand krank wird oder nicht kann, dann muss immer jemand da sein, um einzuspringen. Ansonsten könnten wir Hörer_innen verlieren, oder auch die Genehmigung. Deshalb vergeben wir Sendeplätze immer an mindestens zwei bis drei Leute, wir haben auch Programme die von zehn Verantwortlichen organisiert werden (Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis). Erneut zeigt sich hier auch der bereits weiter oben konstatierte Fokus der genehmigten ComRads auf menschliche Akteur_innen, denn auf Automatisierungen außerhalb dieser Sendeblöcke wird meistens verzichtet, der Sender wie in Rádio Cantareira und Rádio Comunidade über Nacht abgeschaltet (Interviews: Juçara Terezinha, Rádio Cantareira; Luzia Franco, Rádio Comunidade).

442 Die Interventionen von ANATEL gingen dabei oft auf Anyeigen kommerzieller Sender zurück, einmal jedoch, im Fall von Rádio Bicuda, auch auf einen Hundefriseur, der glaubte, dass die ComRad-Signale seine Föne stören würde (Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda). Alle Sender wurden mindestens ein mal (Rádio Heliópolis), manche jedoch auch sechs mal (Gazeta News) geschlossen. Besonders Rádio Novos Rumos, Rádio Cantareira und Rádio Heliópolis erzählen davon, dass die Bevölkerung jedes mal versucht habe, Konfiszierungen des Equipments und Schließungen der Sender zu verhindern, manchmal mit, manchmal ohne Erfolg: »Es war voll im Rádio, am Tag der Schliessung. Wir riefen die community zusammen, aber die Polizei drohte uns, dass es Tote geben werde, wenn wir noch mehr Leute rufen. So ließen wir sie besser machen und uns festnehmen« (Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis).

443 Ich anonymisiere an dieser Stelle erneut die beiden Interviewten und die vier Radios insgesamt, die angaben, diese Handlungsprogramme operationalisiert zu haben. In einigen Fällen wurden die individuellen Radiomachenden, die dem nicht genehmigten Senden bezichtigt wurden wegen der Bildung krimineller Vereinigungen angezeigt, zu mehrjährigen Bewährungsstrafen und Geldbußen von bis zu 10.000 Reales verurteilt.

444 Da der Frequenzplan von ANATEL normalerweise verhindert, dass andere lizenzierte oder genehmigte Sender sich gegenseitig stören, würden Interferenzen vor allem von anderen Community Radios ohne Gehmigung verursacht, die einen nicht respektieren (Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda) und dabei insbesondere von evangelikalen Radios oder Stationen, die mit hier Wattzahl einzig Werbung und populäre Musik senden: »Im Moment macht uns ein Radio zu schaffen, dass auf unserer Frequenz den ganzen Tag Rap spielt und oft mit uns verwechselt wird. Dagegen wehren wir uns und haben auch ANATEL zum Handeln aufgefordert. Denn auch uns das Gesetz nicht vor den Interferenzen anderer legal Sender schützt, müssten sie zumindest reagieren, wenn ein Sender ohne Genehmigung uns dazwischenfunkt. Aber es geschieht nichts, ebenso wenig gegenüber evangelikalen Sendern. Die beschallen die gesamte Region, doch die Assembleia de Deus [eine landesweit agierende Pfingstler-Kirche, N.B.] lässt sich nicht so einfach schließen. Die sind es gewohnt außerhalb des Gesetzes zu agieren« (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira).

445 Diese rethorischen Fragen habe ich aus goldenden Interviews abgeleitet: Rádio Bicuda und Rádio Cantareira beschreiben, wie sie während des Sendebetriebs mit einer vorläufigen Genehmigung (bei Rádio Bicuda noch immer) Drohungen der Regulierer ausgesetzt waren, die ankündigten: »wir machen euch dicht, wenn ihr keine Papiere in der Hand habt« (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira). Rádio Bicuda wurde dabei zudem Opfer politischen Amtsmissbrauchs, da ein Politiker der PMDB aktiv versuchte, die Ausstellung der endgültigen Sendegenehmigung zu verhindern: »Als habe einmal im Kommunikationsministerium vorgesprochen und verlangte die vollständige Dokumentation unseres Genehmigungsprozesses einzusehen. Es war gut einsehbar, wie unser Antrag im Jahr 2008 das Präsidialamt (casa civil) passiert hatte und dann zur Ratifizierung in den Kongress gelangte. Da dort nie eine Abstimmung zustande kam, wurde nach 90 Tagen automatisch eine provisorische Genehmigung ausgestellt, die bis zum endgültigen OK des Kongresses gültig seien würde. Dass sich die Entscheidung des Kongress verzögerte, hatte damit zu tun, dass vor der Plenarsitzung, die vom Präsidenten bereit bewilligte Genehmigung noch einmal durch verschiedene Ausschüsse geht, zum Beispiel dem Ausschuss für Wissenschaft und Technologie, den Verfassungs- und Justizausschuss. Unsere Genehmigung war dabei auf dem Schreibtisch von Eduardo Cunha von der PMDB gelandet, der das kommerzielle Spektrum evangelikaler Medien vertritt. Er weigerte sich schlichtweg seine  Zustimmung zu erteilen. Dann im Wahljahr 2010 wurde die Bearbeitung erneut eingefroren. Nun hoffen wir es 2011 endlich zu schaffen. Denn mit der provisorischen Sendegenehmigung können wir keine Änderungen unseres technischen Projekts durchführen. Aber wegen der Sicherheitslage im Viertel war das nötig. [Rádio Bicuda musste wegen der Bedrohung durch kriminelle Vereinigungen den Sendeort wechseln, N.B.] Nun sind wir der Gefahr ausgesetzt, deshalb geschlossen zu werden (Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda).

 Die Überprüfung der genauen Sendestärke wird von ANATEL in regelmäßigen Abständen in allen genehmigten Radios durchgeführt. Was den adäquaten Einsatz von Sponsoring betrifft, ist anzumerken, dass es zur Zeit der Feldforschung im legalen Skript kein genaue Definition gab, die Sponsoring von Werbung unterschied und deshalb die inhaltliche Kontrolle der ComRads auf wenig transparente und stark subjektive Kriterien zurückging.

446 Interview José Soares, Rádio Novos Rumos.

447 Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade.

448 Kollektivinterview Rádio Independência.

449 Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis.

450 Die Schlüsselvergabe spiegelt auch die anfangs referierte Einbindung der menschlichen Akteur_innen wieder. Während in Rádio Novos Rumos nur der aktuelle Direkter des Radios einen Schlüssel hat, werden in den anderen Sendern mehrere Schlüssel an Verantwortliche verteilt oder, wie in Rádio Gazeta an alle Programmmachenden vergeben. Die Zugangstür wiederum ist in allen Radios, außer in Rádio Novos Rumos geschlossen. Dort regelt eine Sekretärin den Besucher_inenstrom.

451 Interview José Soares, Rádio Novos Rumos. Auch Rádio Gazeta News und Rádio Heliopolis, die bisher keinen direkten Kontakt mit ECAD hatten, haben sich rechtlich beraten lassen, lehnen ein »Zahlungen nach den gleichen Regeln wie kommerzielle Sender« jedoch ab, entweder, weil sie »eine andere Formel aushandeln« wollen (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News) oder aber weil sie die Zahlung gänzlich ablehnen, »da es vor allem ECAD und nicht einmal die Künstler selbst sind, die Community Radios mit dieser Forderung bedrängen« (Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis). Eine gegensätzliche Position vertritt allein Rádio Bicuda: »Wir zahlen für Autorenrechte, obwohl wir keine Gewinnabsichten ab. Wir müssten eigentlich nicht bezahlen aber wir denken, wir sollten zahlen, um den Autoren unsere Anerkennung zu zeigen, auch wenn wir dafür eigentlich nicht die Mittel haben« (Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda).

452 Die Angst davor, das Equipment zu stark zu exponieren, führte in Rádio Comunidade dazu, ein im Sender eingerichtetes Internetcafé wieder zu schließen (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade). In anderen Sendern dagegen werden Handlungsprogramme mobilisiert, die das Equipment auch vor anderen, nicht-menschlichen Einflüssen schützen, vor Stromschwankungen zum Beispiel oder vor »einer Überhitzung, wenn der Sender die ganze Nacht lang läuft« (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira). Bei Rádio Bicuda wird dagegen versucht Möglichkeiten zu finden, »immer auch mit der Basisstruktur auszukommen« (Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda) und Rádio Heliópolis setzt auf eine andauernde Sensibilisierung der Beteiligten: »Früher ging jeden Monat irgend etwas kaputt, Kabel verschwanden, etc.  Jetzt sind wir besser organisiert, sensibilisieren in den Workshops dafür, dass sich Radio nur halten kann, wenn alle sorgsam sind. Und wenn etwas kaputt geht, aus irgend einem Blödsinn, dann ersetzen wir das Teil erst mal nicht, auch wenn wir Ersatz haben. So regen wir Debatte an, gemeinsame Lösungen zu finden (Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis).

453 Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News.

454 Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira.

455 Vgl. Lei 9.612/98 Art3° V. Auch wenn darüber hinaus alle genehmigten Radios bestätigen, auch an externen Weiterbildungen teilzunehmen, wurde in den Erzählungen der Radiomachen nirgends deutlich, dass diese Beteiligung im direkten Zusammenhang mit der Stabilisierung oder Legitimation der Radiokollektive gesehen wurde. Ich verzichte deshalb hier auf weitere Ausführungen.

456 Im einzelnen benennen die ComRads als monatlich zu deckende Kosten für Miete, Strom, Wasser, Telefon und Internet und Aufwandsentschädigungen jeweils: 2.000 Reales (Rádio Bicuda), 2.800 Reales (Rádio Comunidade) und 4.000 Reales (Rádio Gazeta News). Die anderen Sender machen keine expliziten Angaben, verweisen darauf, dass sie mit ständig steigenden Kosten konfrontiert seien.

457 Als Freiwilligen-Radios verstehen sich explizit Rádio Heliópolis, Rádio Cantareira und Rádio Bicuda und Rádio Independência. Dennoch sind alle Sender interessiert »eine regelmäßige Mitarbeit nach Möglichkeit aufwandszuentschädigen« (Kollektivinterview Rádio Independência), »einige Arbeiten, die wechselnd vergeben werden«, zu entlohnen (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira) oder »die Aufwandsentschädigungen [zu] erhöhen und allen etwas Geld zu geben, die sich beteiligen, damit sie mit noch mehr Freude dabei sind« (Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis). Da dies unter den aktuellen Bedingungen nicht möglich ist, werden derzeit nur unregelmäßig und für die Ausführung bestimmter Aktivitäten Geld gezahlt.

 Rádio Gazeta News versteht sich demgegenüber nicht als Freiwilligen-Projekt und sagt, »dass Radio würde als solches auch nicht funktionieren« (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News). Radio Rumos würde Gehälter zahlen, wenn es könnte. Radio Comunidade macht in diesem Punkt keine eindeutigen Aussagen.

458 Interviews: Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis; Emir Bechir, Rádio Gazeta News

459 Luzia Franco, Rádio Comunidade. Rádio Comunidade spricht sich ausserdem, ebenso wie Rádio Heliópolis dagegen aus, Sponsorenverträge mit Verkäufern von Alkohol oder Tabak bzw. Motels abzuschließen (Ebd.).

460 Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos.

461 Interviews: Emir Bechir, Rádio Gazeta News; Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis; Kollektivinterview Rádio Independência

562 Das lokale Gewerbe sieht nicht immer den Nutzen. Das Sponsoring ist eben kein so effektives Mittel für den Verkauf von Produkten und durch das Gesetz, sind wir in unseren Möglichkeiten gefangen (Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos). Ähnlich sieht das Rádio Independência, die ebenfalls beklagen, dass »das Sponsoring expliziter sein« müsste (Kollektivinterview Rádio Independência) und Rádio Comunidade, wo der Nutzen des apoio cultural zwar konstant aber nur punktuell hoch sei: Wie haben ein Jazz-Programm und der jugendliche Moderator stammt aus Dynastie der lokalen Unterwäscheindustrie und von denen bekommen wir dann Unterstützung für seine Sendung (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade). Rádio Heliópolis berichtet derweil, dass es anfangs schwer gewesen sei, »Unterstützung im lokalem Gewerbe zu finden. Die waren gehemmt, als der Sender noch nicht legal war« (Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis).

563 Ein Nachbar von einem genehmigten ComRad, dass ich hier nicht namentlich nennen werde,erzählt mir, dass er den Sender eigentlich gut finde, ihn störe jedoch die viele Werbung. Auch beim hören einiger Sponsoren-Spots fiel mir in zwei Sender auf, dass Produkte beworben wurden und nicht nur die Namen der Unterstützer_innen genannt wurden. Außerdem wurde mir davon berichtet, wie ein network builder die Ausstrahlung von Werbespots einer großen Brauerei in genehmigten und nicht-genehmigten ComRads organisierte.

 Eine gesetzeskonforme Möglichkeit als ComRad Werbung zu verbreiten, ist dagegen das Internet. Vor allem Rádio Heliópolis nutzt intensiv die eigene Website, um dort Anzeigen zu schalten.

564 Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda. Radio Comunidade differenziert zwischen individuellen Programmmachenden, die nicht zu Abgaben verpflichtet sind und und »Institutionen wie Gewerkschaften, Ubanda-Gruppen, Evangelikalen und einem Musik-Jazz-Kollektiv, die bei uns 120 Reales monatlich zahlen« (Luzia Franco, Rádio Comunidade). In den anderen Sendern spenden individuelle Programmmachende tendenziell unregelmäßig und freiwillig Geld oder Dinge.

565 In der Praxis sind diese institutionellen Spender_innen »vor allem evangelikale und katholische Akteur_innen, die einen Programmplatz haben.« (Mirim Costa, Rádio Novos Rumos). Weitere Spender_innen die benannt werden, sind lokale Kaffeeproduzenten (Rádio Comunidade), die den Sender seit Gründung kostenlos mit Kaffee beliefern oder wie in Rádio Heliópolis Künstler, wie Carlos Fernandez, der die T-Shirts für die Geburtstagsparty des Radios druckte (Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis). Rádio Heliópolis stellt bezüglich der Spender zugleich heraus: »Niemand zahlt mit einer Spende für einen Programmplatz. Wir haben nie explizite Zahlungen für Sendeplätze akzeptiert, wer will kann spenden und fertig« (ebd.).

566  Die Mitgliedsbeiträge liegen monatlich zwischen fünf (Rádio Independência) und zehn (Rádio Comunidade) Reales für individuelle Mitglieder und 30 Reales für Institutionen. Bei Rádio Novos Rumos wird anders gerechnet: »Individuelle Mitglieder zahlen ein Prozent des Mindestlohnes und Familien zwei Prozent. Rentner und Arbeitslose zahlen nichts. Für uns sind die Mitgliedsbeiträge neben dem apoio cultural die wichtigste Einnahmequelle« (Interview José Soares, Rádio Novos Rumos).

567 Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, gibt es neben dem Programm ponto de cultura auch weiter finanzielle Kooperationen mit staatlichen Akteur_innen, wie im Fall von Rádio Heliópolis beispielsweise das Kultursekretariat der Stadt São Paulo.

568 Bestes Beispiel dafür ist die finanzielle Förderung von Rádio Independência durch Misereor, die 6.000 Reales zur Verfügung stellten, um das Studio zu erneuern (Kollektivinterview Rádio Independência).

569 Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis. Eine weitere, wenig genutzte, aber doch effiziente Einnahmequelle, sind Preisgelder. So gewannt beispielsweise Rádio Comunidade bereits zwei mal eine prämierte Auszeichnung für ein Programm mit klassischer Musik (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade). Rádio Heliópolis wiederum gewann bei einem »Auftritt im Fernsehen, der Game Show Jovem Aprendiz von Rede Record. Als Gewinn erhielten wir einen Sender, zwei Computer und einen kostenlosen Internetzugang für zwei Jahre (Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis).  

570 »Am Geburtstag des Radios organisieren wir jedes Jahr eine große Party auf de Straße, mit Musik, Verlosungen und einem Spendenmarathon« (Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis). Ähnlich Events finden regelmäßig auch in Rádio Bicuda und Rádio Comunidade statt.

571 Erneut setzt bei dieser Art von Finanzierung Rádio Heliópolis Akzente. In Kooperation mit der brasilianischen AIDS-Stiftung organisierte es beispielsweise im Jahr 2010 einen Musikevent zum Internationalen Frauentag. Ähnlich läuft die von einer NGO finanzierte dauerhafte Kooperation zur Organisation der Balada Black ab, Parties ohne Alkohol ohne Alkohol, die von 18 bis 22 Uhr in den Räumlichkeiten der UNAS stattfinden (Claudia Neves, Rádio Heliópolis).

572 Interviews: Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis; Mirim Costa, Rádio Novos Rumos.

573 Ebd. Internetcafés oder ein kostenfreier Zugang zum Internet werden beispielsweise organisiert in Rádio Cantareira, Rádio Heliópolis und Rádio Gazeta News.

574 Interview José Soares, Rádio Novos Rumos.

575 Beratend wird Rádio Heliópolis z.B. bei der Wohnungssuche tätig, gibt Tipps bei der Beantragung von Sozialprogrammen und gewährt mitunter auch Rechtsbeistand (Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis). Durchgesetzt habe man außerdem die Installation neuer Abwasserrohre und den Bau von Wohnungen für Obdachlose (Ebd.) Es wird deutlich, wie stark die Kopplung an die Nachbarschaftsorganisation UNAS die Arbeit im Radio prägt.

 Bei Rádio Cantareira ist vor allem die Wasserversorgung ein zentrales Aufgabenfeld: »Wir haben schon oft Demonstrationen organisiert, Ende Februar 2011 zum Beispiel. Erst als der Druck auf der Straße wuchs, war es möglich mit der Stadtverwaltung in einen Dialog zu treten« (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira).

576 Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis. Dazu gehören beispielsweise, das Pilotprojekt eines gemeinschaftlich organisierten Waschsalons.

577 Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda. Rádio Cantareira kooperiert derweil vor allem mit Forscher_innen, um Umweltstudien über Brasilandia zu produzieren. Einen klaren Aufklärungsfokus gibt es dagegen auch bei Rádio Independência: »Wir leben hier in der Halbwüste, im sertão und doch nutzen die Menschen die Ressourcen so, als ob sie unendlichen wären. Die Müllentsorgung ist wenig umweltfreundlich und die Nutzung von Agrotoxicos ist intensiv. Wir positionieren uns im Radio dagegen. Wir können zwar nicht das Klima ändern aber wir können besser mit Umwelt und Natur umgehen und die Wüstenbildung hier aufhalten« (Kollektivinterview Rádio Independência).

578 Neben den Aufrufen und Vermittlungen von Alphabetisierungskursen in Rádio Independência und Rádio Cantareira, versteht es ersteres auch als Bildungsarbeit, »Leute, die diskriminiert werden, zu unterstützen und im Radio Vorurteile abzubauen und dem Machismus, Rassismus und der Homophobie etwas entgegenzusetzen (Kollektivinterview Rádio Independência).

579 Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis. Mit Drogenkonsumenten arbeiten explizit Rádio Novos Rumos und Rádio Independência, die dafür Sendezeit und Programmplätze zur Verfügung stellen. Rádio Bicuda setzt dagegen auf reine Aufklärungskampagnen. Rádio Heliópolis schließlich ist am aktivsten organisiert, um eine Präventivarbeit mit Jugendlichen zu organisieren.

580 Interview José Soares, Rádio Novos Rumos.

581 Rádio Cantareira bspw. bietet für Musiker_innen an Samstagen einen offenen Programmplatz am Samstag, an denen diese ihre Arbeit vorstellen können. Alle Stilrichtungen sind zu hören, auch religiöse Gruppen, solange diese nicht in der Sendung Missionieren wollen. Rádio Bicuda unterstützt dagegen vor allem Interpret_innen populärer brasilianischer Musik (MPB), Rádio Heliopolis hält, wie bereits mehrfach gesagt, engen Kontakt zur Hip Hop Szene São Paulos.

582 Interview José Soares, Rádio Novos Rumos. Politische Mittlerrolle

583 Interviews: Reginaldo José Gonçalves, Claudia Neves, Rádio Heliópolis.

584 »Wie Kooperieren als Vermittler eng mit den lokalen Sekretariaten, vor allem dem für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung haben wir immer wieder auch Konferenzen organisiert. In einer ging es um das wichtige Thema, Frauen in der öffentlichen Politik und wenn wir nicht Druck gemacht und die Veranstaltung organisiert hätten, wären die Gelder dafür schlicht verloren gegangen« (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade).

585 Kollektivinterview Rádio Independência.

586 Die Stimm-Metapher wird im einzelnen so verwendet: »Wir sprechen die gleiche Sprache wie die Menschen hier«(Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News), »wir müssen gemeinsam an einer anderen Sprache arbeiten« (Interview José Soares, Rádio Novos Rumos), »das Radio ist die Stimme der Gemeinde« (Interview Reginaldo José Gonçalves).

587 Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News; Juçara Terezinha, Rádio Cantareira. »Unserer populären, alternativen Kommunikation liegen ethische Prinzipien zugrunde Bei uns gibt es keine Stars und keinen Gewinn. Wir wollen keinen Personenkult, das läuft in einem Community Radio nicht« (Ebd).

588 Interviews Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis;

589 Interviews: Claudia Neves, Rádio Heliópolis; Emir Bechir, Rádio Gazeta News.

590 Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira. Bei Rádio Bicuda heißt es: »lokalen Themen wird der Vorzug gegeben« (Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda), ebenso bei Rádio Heliópolis. Dort wird in diesem Zusammenhang gern folgende Anekdote erzählt: » Eines Tages rief eine Frau aus Pernambuco bei uns an, die über unsere Website vom Radio erfahren hatte. Sie suchte ihr Mutter, die sie seit Jahren nicht gesehen hatte, wusste aber nur ihren Name und, dass sie in Heliopolis oder in der Nähe leben solle. Ein Freund aus einer Telekom-Agentur verschaffte uns dann die Nummern aller Frauen mit diesem Namen in Heliopolis, eine lange Liste. Und Rogelio begann anzurufen, beim dritten Anruf bereits war er erfolgreich, aber die Frau dachte es wäre ein Telefonstreich […] Die Mutter verkaufte schließlich ihren Kühlschrank und den Fernseher, um ihre Tochter zu besuchen« (Interview Reginaldo José Gonçalves, Rádio Heliópolis).

591 Interviews: Mirim Costa, Rádio Novos Rumos; Juçara Terezinha, Rádio Cantareira. Rádio Novos Rumos stellt klar, dass es wichtig ist, mit den News [zu] arbeiten, die soziale Bewegungen herantragen (Interview José Soares, Rádio Novos Rumos).

592 Als Beispiele dieses Informationsaustauschs werden genannt: die Nachrichtenagentur Pulsar von AMARC Brasil (Radio Heliópolis, Radio Bicuda), die Sendungen von EMPRAPA (Empresa Brasileira de Pesquisa Agropecuária) zu landwirtschaftlichen Themen (Radio Comunidade), die Produkionen öffentlicher Institutionen (alle) und die Sendungen des Unternehmens Oboré (Gazeta News, Rádio Canareira). 

593 Einzig Rádio Cantareira definiert explizit eine experimentelle Dimension, als festen Bestandteil des Radiomachens: Ein Community Radio ist auch eine Arte Übung, ein Ort an dem bestimmte Techniken vermittelt und ausprobiert werden, um Radio zu machen und um sich als Radio weiterzuentwickeln (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira).

594 Die ablehnende Haltung gegenüber der Digitalisierung des terrestrischen Rundfunks begründet sich dabei in folgenden Argumenten: »Es wird schwer sein, dieses Equipment zu bekommen und auch zu bedienen. Wir bräuchten dafür viele Mittel und ich bin skeptisch, ob dass für uns machbar ist« (Kollektivinterview Rádio Independência); »Es besteht die Gefahr, dass Community Radios nicht im digitalisierten Spektrum vertreten seien werden, dass die Regierung uns ausrotten will« (Interview Luzia Franco, Rádio Comunidade); »Ich sehe die Gefahr, dass große Monopole die Kontrolle der Digitalisierung übernehmen und die Normen diktieren werden, egal was Community Radios dazu sagen« (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News); »Nicht nur die Community Radios, sondern alle kleinen Sender drohen zu verschwinden« (Interview Mirim Costa, Rádio Novos Rumos). Zugleich sehen die Radiomacher_innen die Einführung digitalen Rundfunks als unausweichlich und fordern pragmatisch, »zumindest so lange analog weiterzumachen, bis geklärt ist, wie die Kosten des Equipments aufgebracht werden könnten« (ebd). »Denn, auch wir Community Radios müssen uns irgendwann digitalisieren, sonst sind wir draußen« (Interview Emir Bechir, Rádio Gazeta News). Als mögliche Standards machen die ComRads dabei zwei Alternativen aus: »das teure HD-Radio Iboque« (Interview Claudia Neves, Rádio Heliópolis) oder »ein eigenes brasilianisches System« (Interview José Soares, Rádio Novos Rumos) – eine Vision, die in ihrer Dichotomie auch auf einen von AMARC Brasil vermittelten Vortrag des Radioingenieurs Takashi Tomé im Jahr 2010 zurückgeht, an dem viele ComRads teilnahmen. Diesen input übersetzen die ComRads wie folgt: »Wir sind der Bedrohung von Iboque ausgesetzt und nach aktuellen Recherchen würde ein solcher Sender 130.000 Reales kosten. Das können wir uns nicht leisten, auch der Community-Spirit würde verschwinden, das wäre der Tod der Communtiy Radios. Deshalb sind wir für ein brasilianisches System. Das technische Wissen ist vorhanden, es fehlt nur eine Finanzierung« (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira). Problematisch sind an diesem Narrativ zwei Umstände: Die aktive Rolle von Takashi Tomé als network builder eines genuinen brasilianischen Digitalradiosystems (Interview Takashi Tomé, 31.05.2010) und die Abwesenheit weiterer technologischer Alternativen, vor allem der von den Freien Radios favorisierte Standard Digital Radio Mondiale (DRM).

595 Rádio Bicuda beispielsweise hat vor, sich »in eine Online-Nachrichtenagentur mit eigener Webiste zu entwickeln, die von einer eigenen NGO getragen wird« (Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda). Rádio Comunidade und Rádio Independência hingegen streben danach, ihre Radios zu telecentros auszubauen, »in denen Webradio gemacht wird aber auch eine inhaltliche, partizipative Arbeit organisiert wird, die über die eines schlichten Internetcafés hinausgeht« (Kollektivinterview Rádio Independência). Erklärtes Ziel ist es dabei auch im Internet (und im Spektrum) bezahlte Werbung in den Sendungen der ComRads unterzubringen (ebd.).

596 Gefordert wird bspw. Von  Rádo Gazeta, Rádio Novos Rumos und Rádio Bicuda eine Vervielfältigung der ComRad-Kanäle auf drei pro município und eine Erhöhung der Signalstärke auf 250 Watt – eine Formel die sich klar an den medienpolitischen Vorschlägen von ABRAÇO Nacional orientiert. Einhellig von allen Sendern wird die Forderung unterstützt einen staatlichen Fond für eine anteilige Finanzierung von ComRads anzulegen und sicherzustellen, dass das Budget öffentlicher Werbemittel auch die Schaltung von Spots in ComRads einschließt. Auch eine Liberalisierung des aktuellen Werbeverbots in ComRads wird generell unterstützt.

597 Rádio Cantareira sieht als einen möglichen Ausweg auch einen Formatwechsel, sollte sich das ComRad-Gesetz die Rahmenbedingungen nicht verbessern: »Wir denken darüber nach, eine Lizenz als Bildungsradio zu beantragen, so wie es vor ein paar Jahren auch Radio Favela in Minas Gerais gemacht hat. Aber dafür müssen wir erneut eine Menge Normen erfüllen und eine qualitativ hochwertige Produktion sicherstellen. In diesem Sinne ist das Communty Radiomachen eine gute Übung, um Techniken zu erproben« (Interview Juçara Terezinha, Rádio Cantareira).

598 Ebd.

599 Interview Carlos Osório, Rádio Bicuda

600 Einige dieser hidden transcripts wurden in diesem Kapitel bereits erwähnt: das Senden mit einer höheren als der erlaubten Sendestärke, der Nutzung mehrerer Frequenzen, die Ausstrahlung expliziter Werbung und der Kooperation mit überregionalen Sponsoren bzw. die Vergabe von Sendeplätzen, unter der Bedingung, dass Programmachende dafür monatlich Gebühren zahlen.

601 Diese Konzepte betreffen nicht zwingende ein auf Legitimation ausgerichtetes, intentionales Handeln der Akteur_innen, wohl aber einen potentiellen Effekt, der sich aus den jeweiligen situativen Mobilisierungen ableiten lässt. Potentiell deshalb, weil der operative Gebrauch ja ebenfalls versucht bestimmte claims medialer Anerkennungswürdigkeit zu antizipieren bzw. auf das Nachfragen des Forschenden reagiert.

 

Endnoten Konklusion

 

1 MALCOM X, zitiert nach BREITMAN 1994: 217.

2 Den unabhängigen Radiomachenden ist dabei, in der hier vorgenommen Rekonstruktion ihrer Arbeit, auch der Verdienst zuzurechnen, eben diese wenig beachtete, zeitliche Dimension medialer aber auch gesellschaftlicher Anerkennungswürdigkeit sichtbar gemacht zu haben.

3 Der Staat, hält an dem asymmetrischen Skript fest, dass besagt, er sei zugleich derjenige der entscheidet welche Medien legitim sind (indem er die legalen Regeln festschreibt) und zugleich auch die einzige Instanz, die Mediationen in ihren spezifischen Konfigurationen den Nachweis der Erfüllung des offiziellen Skripts abverlangen und gegebenenfalls sanktionieren kann.

4 Die Fokussierung der unabhängigen Radiomachenden Brasiliens auf den Begriff der Legitimation lässt sich auch damit erklären, dass es sich um einen äußerst relevanten Kampfbegriff handelt, wenn es darum geht, den staatlichen Legalismus aufzubrechen. Damit ist, ganz im Sinne der politikwissenschaftlichen Debatte, dessen argumentativer Rückzug auf geltendes Recht als einen letzten Rechtsgrund gemeint. In den Interviews mit staatlichen Vertretern wurde dies nur zu gut deutlich (vgl. Kap. 3.2.1). Doch das Recht ist legitimation claims nicht erhaben. Zwar können sich legale Inskriptionen, im Sinne der ANT, auf eine ganze Reihe stabilisierender Assoziationen (formal-demokratische Verfahren, etc.) berufen, doch diese scheinbar a priori legitimierenden Handlungsprogramme und Übersetzungen können auch aufgebrochen werden: in black boxes lassen sich viele delegitimierende Elemente finden. Und diese können, wie im mapping geschehen, in historischem Rückblick oder auch in den folgenden Kapiteln am aktuellen Radiomachen orientiert, als Demokratiedefizite herausgestellt und menschenrechtlich bearbeitet werden. Zur Debatte über den letzten Rechtsgrund vgl. HENNIS 1976: 21f; HABERMAS 1976: 43, 46.

5 Die Komplementarität der unterschiedlichen Radioformate wird in der Brasilianischen Verfassung in Artikel V bzw. Im Artikel 223 behandelt. Zum Pakt von San José vgl. Kap. 3.2.1.

6 Vgl. u.a. Kap. 2.1.2.2.

7 HABERMAS 1976: 39.

8 Vgl. Kap. 4.5.

9 Dieses talking back lässt sich auch als ein »Speak truth to power« verstehen (vgl. SCOTT 1990: 1). Während Autoren wie Scott diesen Moment als »rarely practiced« (ebd.) beschreiben, lässt sich in Brasilien das Gegenteil feststellen: unabhängige Radios kritisieren andauernd das Skript der »Mächtigen«. Dieser Umstand lässt sich mit der ANT erklären. Betrachtet man Gesetze als spezifische Härtungen des Sozialen (z.B. Regeln), die von einer Vielzahl weiterer Akteur_innen mobilisiert und stabilisiert werden, dann müssen Gesetze eben nicht jede Kritik fürchten und unterdrücken, solange diese nicht die Qualität eines legitimation claim erreicht.

10 Das von MiniCom und ANATEL inskribierte Legitimationsdispositiv stellt in diesem Sinne eine Einengung im doppelten Sinne dar. Es eliminiert zugleich zwichenstaatliche und einzelne andere Nationalstaaten als Legitimationshelfer_innen und verlagert den Legitimationsrahmen allein auf nationalstaatliche Ebene.

11 Zur Unterscheidung von moralischen Rechten, die als Adressaten immer andere Menschen haben und Menschenrechten, die als Adressaten Staaten und all jene haben »die an einem Ort «[für die] herrschende öffentliche Ordnung verantwortlich sind« (MENKE 2007: 31) vgl. ebd.

12 Beispielsweise können auch spezifische Medien zu Legitimationshelfer_innen werden, ebenso  wie die in den situativen Betrachtung sichtbar gewordenen komplexer Akteur_innen. Ihr jeweiliger Beitrag ist bereits in den einzelnen Kapitel diskutiert worden und nicht so zentral, um diese Mediationen in all ihrer Komplexität hier erneut zu entfalten.

13 Zur Unterscheidung von Menschenrechten als individuelle und kollektive Rechte vgl. MENKE 2007: 118f.

14 In der ANT sind qualitative Fragen auch immer Fragen der Quantität, denn die Qualität eines Akteur_innen-Netzwerks und dessen Stabilität ist immer abhängig von der Summe der darin invovlierten Assoziationen.

15 Eine solche Kritik wird mitunter auch an sogenannte »radikale Medien« herangetragen, zu denen kategorisch vor allem die hier behandelten Freien Radios gehören würden (vgl. VIZER 2007). Meine Untersuchung kommt hingegen zu dem Schluss, dass radikale Medien sehr wohl daran interessiert sind, sich zu legitimieren, sei es durch menschenrechtliche Bezüge, sei es durch den Nachweis eines am Gemeinwohl orientierten Handeln. »[P]rofetas do Antigo Testamento«, die sich nicht dazu verpflichtet fühlen, die Anerkennungswürdigkeit ihres eigenen Mediums unter Beweis zu stellen, diese Charakterisierung trifft dafür umso mehr auf evangelikale Radios zu (vgl. ebd. 2007: 34).

16 Zahlreiche Beispiele für solche Aktionen, lassen sich auf der Website von AMARC Brasil finden (vgl. http://amarcbrasil.org 20.04.2015). Ein konrketes Beispiel für Beschwerden vor Menschenrechts-insitutionen ist hier zu finden: http://amarcbrasil.org/4748-revision-v1/ (20.04.2015).

17 Ein gutes Beispiel dafür ist der Sammelband Notions of Community (GORDON 2008), in dem zwar die heteogene  Ausdeutung des Konzepts communty media seitens der Akteur_innen angesprochen wird, jedoch zugleich keine  Versuche unternommen werden, zwischen theoretischen Annahmen auf der Beobachter_innen-Ebene und den  verschiedenen Ethnotheorien zu vermitteln.

 Zum dem können Studien, die sich allein auf Interviews mit network builders stützen, sicherlich einen wichtigen Beitrag leisten, um entsprechende Inskriptionen zu analysieren, nicht jedoch dabei, Radio im operativen Gebrauch sichtbar zu machen und zwar in all seinen Spannungsverhältnissen: komplexe/komplizierte Akteur_innen, öffentliche/nicht-öffentliche Skripte, immutable mobiles/zirkulierende Referenz, Skriptswitching/Skriptmixing, etc.

 In diesem Sinne hat die methodische Konzeption meine Arbeit aufzeigen können, dass sich empirisch sehr wohl Unterschiede zwischen beispielsweise Freien und Community Radios in Brasilien herausarbeiten lassen, wenn man sich darauf einlässt, den Inskription und Mobilisierungen der Akteur_innen ins Detail zu folgen.

18 Vgl. BROCK/MALERBA 2013.

19 Vgl.  MENKE 2007: 37.

20 Vgl. ROTTENBURG 2009: 104

21 Vgl. http://uninomade.net/wp-content/files_mf/111012130512Espectro%20livre%20o%20direito%20do%20povo%20%C3%A0%20comunica%C3%A7%C3%A3o%20-%20Thiago%20Novaes.PDF (13.03.2014).

22 Interview Thiago, Radio Muda.

23 Ebd.

24 Vgl. SÔLHA 2010.

25 Vgl. http://www.forumdemidialivre.org/?page_id="704" (31.01.2015).

26 Dieser ersten Veranstaltung folgen noch zwei weitere, 2013 und 2014. Auf diesen waren entgegen dem ersten Treffen dann auch Vertreter_innen von öffentliche Radios und ComRad-Verbänden anwesend. Vgl. http://fabzgy.org/wordpress/2014/10/21/de-esc3-spektrum-gesellschaft-und-kommunikation/ (13.03.2014).

27 Vgl. http://www.paraexpressaraliberdade.org.br/ (31.01.2015).

28 Diese Beobachtung ist auch das Ergebnis wiederholter Nachfragen auf Treffen des FNDC und anderer Veranstaltungen. Für eine kritische Betrachtung des PLIP vgl. BROCK (2015, noch nicht erschienen).

29 https://tech.ebu.ch/docs/events/ibc11-ebutechnical/presentations/ibc11_10things_hybrid-radio.pdf (31.01.2015).

Ende der Leseprobe aus 410 Seiten

Details

Titel
»Agrarreform in der Luft.«
Untertitel
Eine medienethnographische Untersuchung zur Legitimierung unabhängiger Radios in Brasilien.
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Lateinamerika-Institut)
Note
cum laude
Autor
Jahr
2015
Seiten
410
Katalognummer
V353897
ISBN (eBook)
9783668395909
ISBN (Buch)
9783668395916
Dateigröße
2987 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Brasilien, Freies Radio, Community Radio, Legitimation, Recht auf Kommunikation, ANT, Medienethnographie, Medienpolitik
Arbeit zitieren
Nils Brock (Autor:in), 2015, »Agrarreform in der Luft.«, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353897

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Titel: »Agrarreform in der Luft.«



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