Einwanderungs- und Stadtsprachenforschung in Buenos Aires. Varietätenlinguistische Untersuchungen


Hausarbeit, 2015

18 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Buenos Aires

3. Geschichtliches
3.1 Situation in Argentinien
3.2 Situation in Europa
3.3 Masseneinwanderung

4. Sprachliche Varietäten
4.1 Cocoliche
4.2 Lunfardo
4.3 Belgranodeutsch

Bibliografie

1. Einleitung

Denken wir an Argentinien, so sind unsere ersten Assoziationen meist das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2014, Ushuaia, auch genannt Feuerland, oder natürlich auch der Tango. Was jedoch nur wenige wissen, ist, dass der Großraum Buenos Aires, in dem auch die argentinische Hauptstadt, die autonome Stadt Buenos Aires liegt, gegenwärtig zu den 15 größten Metropolen der Welt gehört. Die argentinische Hauptstadt ist außerdem die zweitgrößte spanischsprachige Stadt der Welt.[1] Zu dieser Größe konnte die Region jedoch nur aufgrund der Einwandererströme aus Europa zum Ende des 19. Jahrhunderts hin anwachsen.

Jürgen Osterhammel, Professor für Neuere und Neuste Geschichte an der Universität Koblenz bezeichnet Argentinien in seinem Buch „Die Verwandlung der Welt: eine Geschichte des 19. Jahrhunderts“ als „migrationsgeschichtliche[n] Extremfall“[2]. Laut ihm bildeten die Einwanderer zum Ende des 19. Jahrhunderts in keinem anderen Land der Welt einen so hohen Teil der Bevölkerung wie in Argentinien. Über viele Jahre hinweg war die Hälfte aller Bewohner der Hauptstadt Buenos Aires im Ausland geboren.[3] Oft wird das Spanisch Argentiniens als sehr melodisch und dem Italienischen sehr ähnlich beschrieben. Das hängt damit zusammen, dass Argentinien im 19. und 20. Jahrhundert einen wahren Bevölkerungsboom erlebte, dessen Großteil aus Italien stammte.

In dieser Arbeit soll untersucht werden, warum viele Europäer sich dazu entschieden haben ihre Heimat zu verlassen, d.h. in welcher Situation befand sich Europa im 19. und 20. Jahrhundert und warum ausgerechnet Argentinien so ein populäres Ziel darstellte. Des Weiteren wird erklärt, warum Argentinien Millionen von Immigranten mit offenen Armen empfangen hat und wie deren Einwanderung erfolgte. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf die italienische Nation gelegt, da aus dieser die mit Abstand größte Anzahl an Einwanderern stammte. Im weiteren Verlauf werden die sprachlichen Veränderungen, die ab Ende des 19. Jahrhunderts in Buenos Aires stattfanden und durch die Masseneinwanderung verursacht wurden, beschrieben. Die Entstehung der beiden bekannten Kontaktvarietäten Cocoliche und Lunfardo wird erklärt und Gründe für ihre Verwendung werden gegeben. Auch das Belgranodeutsch, welches im Zuge der Migration von Deutschen nach Argentinien entstand, wird näher erläutert.

2. Buenos Aires

Gegründet wurde die Ciudad del Espíritu Santo y Puerto de Santa María del Buen Ayre, so Buenos Aires' ursprünglicher Name, im Jahre 1536 von dem Spanier Pedro de Mendoza.[4] Sie liegt am Mündungstrichter der Flüsse Río Paraná und Río Uruguay, welche in den Río de la Plata fließen.

Seit 1880 ist die Ciudad Autónoma de Buenos Aires Hauptstadt des Landes und beherbergt zur Zeit etwa 2,9 Millionen Einwohner. Oft wird sie auch Capital Federal, kurz La Capital, genannt um Verwechslungen mit dem Großraum Buenos Aires (Gran Buenos Aires), in welchem in etwa 12,8 Millionen Menschen leben, zu vermeiden.[5] Unter der Woche kommen zu den 2,9 Einwohnern Buenos Aires' etwa zwei Millionen Pendler hinzu, die aus dem Umland zum Arbeiten in die Stadt kommen.[6]

Jürgen Osterhammels Behauptung, Argentinien sei ein „migrationsgeschichtlicher Extremfall“, lässt sich nachvollziehen, wenn man einen genaueren Blick auf die ethnische Verteilung der Bevölkerung in Argentinien wirft:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten [7]

Ethnischer Bevölkerungsanteil in Argentinien

Im Jahre 2001 lebten in ganz Argentinien 1,5 Millionen Ausländer, was einen Prozentanteil von 4% ausmacht; in Buenos Aires liegt die Zahl der Ausländer bei 11,4%.[8] Der Anteil der weißen Argentinier liegt auch in Buenos Aires bei ca. 87%, während der Anteil der rein indigene Bevölkerung so gering ausfällt, dass er schwer bestimmbar ist, da sich die Stämme, in welchen sie lebt, auf den Nordosten und -westen des Landes, sowie auf Patagonien verteilen. Die Anzahl der Ureinwohner betrugt 2001 etwa 300.000 Mann, somit machen sie 0,8% der Gesamtbevölkerung aus, damit ist Argentinien das Land mit dem niedrigsten indigenen Bevölkerungsanteil in Lateinamerika.

Daniel Veith beschreibt in seinem Buch, dass Argentinien sich gerne damit rühmt, die „Europäischste“ Nation in ganz Lateinamerika zu sein.[9] Obwohl laut einer Studie des Consejo de Investigaciones Científicas y Técnicas (CONICET) 56% aller Argentinier zumindest einen Vorfahren haben, der indigener Abstammung ist, gibt es jedoch nur 2,8% Haushalte, in welchen ein Mitbewohner sich mit dieser Abstammung identifiziert. Weiterhin sollen 50% aller Argentinier italienische Vorfahren haben.[10]

3. Geschichtliches

3.1 Situation in Argentinien

Ab 1776 bildete das heutige Argentinien mitsamt Uruguay, Paraguay und Teilen Boliviens das Vizekönigreich Río de la Plata, welches unter der Herrschaft der Spanischen Krone stand. Ab 1810 wurde das Gebiet als Vereinigte Provinzen des Río de la Plata bezeichnet. 1811 erklärte Paraguay seine Unabhängigkeit von den Vereinten Provinzen und von Spanien, 1825 folge Bolivien und schließlich 1828 Uruguay. Bereits 1816 hatten die Provinzen ihre Unabhängigkeit vom Königreich Spanien erklärt, nach dieser Loslösung bestand die Notwendigkeit, Argentinien in mehreren Bereichen, wie in der Wirtschaft, der Politik und dem sozialen Sektor, neu zu definieren und somit einen modernen Nationalstaat zu erschaffen. Die Leitmotive dieser Erneuerung waren „Barbarie“ und „Civilización“, Begriffe, mit welchen sich Domingo Faustino Sarmiento in seinem Buch Facundo befasst. Die Barbarei, der aktuelle Zustand Argentiniens müsse beendet und sich dem Fortschritt, der Zivilisation, angeschlossen werden. Als Vorbild werden hier die USA und Europa angesehen[11], weswegen man für europäische Einwirkungen offen ist, man sieht diese sogar als „Heilmittel“ gegen die Barbarei an.[12] Die Worte von Juan Bautista Alberdi „Poblar el desierto“ waren der Slogan der neuen Ära: man sollte mit dem Kapital, das zur Verfügung stand, das Brachland kultivieren, die Vieh- und Landwirtschaft aufbauen und ein Eisenbahnnetz errichten. Dafür waren weitere Arbeitskräfte notwendig. Diese lockte sie damit, dass man ihnen erzählte, sie könnten innerhalb einer kurzen Zeitspanne zum zum Grundbesitzer aufsteigen.[13] Um zu gewährleisten, dass niemand die Einwanderung der Europäer behinderte, wurde 1853 ein neuer Artikel zu der argentinischen Verfassung hinzugefügt:

Artikel 25. Begünstigung der Einwanderung . Die Bundesregierung hat die europäische Einwanderung zu begünstigen; sie darf in keiner Weise den Eintritt von Fremden in das Argentinische Gebiet, welche in der Absicht kommen, das Land zu bebauen, die Gewerbe zu verbessern und Wissenschaften und Künste einzuführen und zu lehren, beschränken und mit Abgaben belasten .[14] [15]

Von der neuen Phase der Kolonisation versprach man sich zudem eine „Stabilisierung des einheimischen Manufakturwesens gegenüber der europäischen Konkurrenz“[16] und die verbesserte Überwachung der Pampa, welche durch die schwache Bevölkerung dieser Gebiete erschwert war. Einwanderer aus dem Nordwesten Europas wurden für diese Pläne bevorzugt, da sie „in mentaler und kultureller Hinsicht die notwendigen Dispositionen für ein modernes Wirtschaftsgebaren und Sozialverhalten und für die Entfaltung einer bürgerlichen politischen Kultur mit sich bringen würden.“[17] Bis 1869 hatten bereits 300.000 Immigranten ihren Weg nach Argentinien gefunden, diese Bevölkerungsgruppe machte zu dieser Zeit einen Anteil von 12,1% aus.[18]

3.2 Situation in Europa

In Europa war die Situation im 19. und 20. Jahrhundert das absolute Gegenteil zu der Situation in Argentinien. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhundert gab es dort eine Bevölkerungsexplosion, innerhalb von nur 100 Jahren wuchs die Zahl der Bewohner europäischer Staaten von 100 Millionen um 1800 auf circa 410 Millionen im Jahre 1900 an. Ursache dafür waren der wissenschaftliche und medizinische Fortschritt, der zur Verbesserung der Hygiene und zum Zugang zu fließendem Wasser und ärztlicher Versorgung in Krankenhäusern führte, denn dadurch wurde die Sterblichkeitsrate reduziert. Nach dem Bevölkerungsboom überstieg die Nachfrage nach unter Anderem Lebensmitteln und Arbeitsplätzen das vorhandene Angebot, was zu einer zunehmenden Verarmung führte. Die industrielle Revolution führte zu einem Überschuss an Arbeitern, die in der Landwirtschaft tätig waren.[19] Besonders in Italien sah die Situation aussichtslos aus: nachdem sich das Land 1861 zum Königreich Italien vereint hatte, hatten vor allem die Bauern gehofft, dass sich ihre soziale Situation verbessern würde. Schnell haben sie jedoch gemerkt, dass die Versprechungen, die ihnen gemacht wurden, nicht eingehalten wurden. So wurde weder der Großgrundbesitz neu verteilt, noch wurde ein demokratisches Wahlrecht eingeführt[20], außerdem gab es zusätzliche indirekte Steuern für die Bauern.[21]

Die zunehmende Verarmung der unteren Schichten und die Aussichten auf ein besseres Leben auf der anderen Seite des Ozeans ließen viele Menschen den weiten Weg antreten. In den Nachrichten wurde von den kaum besiedelten Landschaftsflächen, der geringen Bevölkerungsdichte und dem gemäßigten Klima Argentiniens geschwärmt. Des Weiteren wurde oft betont, dass man dort gute Aussichten auf Wohlstand und sozialen Aufstieg hätte. Die niedrigen Erhaltungskosten in Argentinien spielten für viele Menschen eine Rolle, zum Ende des 19. Jahrhunderts hin gab man in Argentinien in etwa 25% seines Gehaltes für Lebensmittel aus, in Italien und Spanien waren es etwa 60%. Viele der Einwanderer reisten nur für einen kurzen Zeitraum nach Argentinien, um dort als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft zu arbeiten. Sie ließen ihre Familien zurück, um in Südamerika zu arbeiten und, vor allem durch die niedrigen Erhaltungskosten, Geld beiseite zu legen und nach einigen Jahren in ihre Heimat zurückzukehren.[22] Durch den Fortschritt im Bereich der Technik am Ende des 19. Jahrhunderts machte es auch keinen Unterschied mehr, ob man sich in einem anderen europäischen Land Arbeit suchte oder nach Amerika übersiedelte. Die Dampfschiffe wurden mit besseren Motoren ausgestattet, sie wurden größer und schneller, sodass die Überfahrt aus dem italienischen Neapel bis Buenos Aires statt zwei Monaten nur noch drei Wochen dauerte.[23]

3.3 Masseneinwanderung

Erste Einwanderungswelle 1880 – 1900

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die Europäer nach Argentinien zu emigrieren, wodurch die argentinische Wirtschaft plötzlich florierte und Argentinien wurde zu einem der größten Exportländer für Wolle, Getreide und Fleisch. Es bestand weiterhin eine große Nachfrage nach neuen Arbeitern, dadurch wurde die europäische Immigration weiterhin unterstützt.[24]

[...]


[1] Vgl. Veith, Daniel: Italienisch am Río de la Plata: ein Beitrag zur Sprachkontaktforschung,2008, S. 31

[2] Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt: eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, S. 238

[3] Vgl. ebd, S. 238

[4] http://www.turismo.buenosaires.gob.ar/es/article/historia-de-buenos-aires

[5] http://www.argentina-argentinien.com/buenos-aires/

[6] Vgl. Veith, 2008, S. 30

[7] INDEC, Censos Nacionales de Población 2001

[8] Veith, 2008, S. 27

[9] Vgl. ebd., S. 29

[10] Vgl. ebd., S. 30

[11] Stachowski, Maika: Die kulturelle und nationale Identität in Zeiten der

Einwanderung in Argentinien (1880-1930), 2009, S. 39

[12] http://www.europa.clio-online.de/site/lang__de/ItemID__254/mid__11428/40208214/default.aspx

[13] Vgl. Veith, 2008, S. 16

[14] http://www.verfassungen.net/ar/verf94-i.htm

[15] Im Original: „ El Gobierno Federal fomentará la inmigración europea; y no podrá restringir, limitar ni gravar con impuesto alguno la entrada en el territorio argentino de los extranjeros que traigan por objeto labrar la tierra, mejorar las industrias e introducir y enseñar las ciencias y las artes"

[16] Riekenberg, Michael. Nationbildung, 1995, S. 199

[17] Ebd., S. 200

[18] Vgl. ebd., S. 199f

[19] Vgl. Stachowski, 2009, S. 50

[20] 1861 waren nur 2% der italienischen Bevölkerung wahlberechtigt.

[21] Vgl. ebd., S. 54

[22] Vgl. Glynn, Irin: Emigration über den Atlantik, 2011, S. 9

[23] Vgl. Baily, Samuel: Immigrants in the lads of promise, 1999, S. 32

[24] Vgl. Veith, 2008, S. 17

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Einwanderungs- und Stadtsprachenforschung in Buenos Aires. Varietätenlinguistische Untersuchungen
Hochschule
Universität Potsdam
Note
1,3
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V353683
ISBN (eBook)
9783668401570
ISBN (Buch)
9783668401587
Dateigröße
1099 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Argentinien, Buenos Aires, Stadtsprache, Linguistik
Arbeit zitieren
Anonym, 2015, Einwanderungs- und Stadtsprachenforschung in Buenos Aires. Varietätenlinguistische Untersuchungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353683

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