Erfolgsfaktoren des viralen Marketings. Erfolgreiche Werbevideos bei YouTube

Eine inhaltsanalytische Untersuchung


Masterarbeit, 2016

123 Seiten, Note: 1.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Aktuelle Situation klassischer Mediawerbung
1.2 Problemstellung
1.3 Methodisches Vorgehen
1.4 Aufbau der Arbeit

2. Virales Marketing
2.1 Entstehungsgeschichte
2.2 Definition und Merkmale des viralen Marketings
2.3 Abgrenzung des viralen Marketings vom Begriff der Mundpropaganda
2.4 Moti ve und Moti vationen für Mundpropaganda
2.5 Der Verbreitungsprozess viraler Botschaften
2.5.1 Der Diffusionsansatz nach Rogers (2003)
2.5.2 Gladwells (2000) Tipping Point
2.6 Die Bedeutung sozialer Netzwerke für das virale Marketing

3. Planung und Umsetzung viraler Kampagnen
3.1 Einordnung als Kommunikationskonzept
3.2 Ziele des viralen Marketings
3.3 Kernelemente viraler Kampagnen
3.3.1 Die Rahmenbedingungen
3.3.2 Das Seeding
3.3.3 Der Inhalt des Kampagnenguts
3.4 Chancen und Risiken des viralen Marketings
3.4.1 Chancen
3.4.2 Risiken

4. Virale Werbevideos als Leitinstrument viraler Kampagnen
4.1 Abgrenzung von viralen Werbevideos und TV-Spots anhand formaler und inhaltsbezogener Merkmale
4.2 Exkurs: Inhaltliche Kontrolle viraler Werbevideos
4.3 Abgrenzung von viralen Werbevideos und TV-Spots anhand der Distribution
4.4 Abgrenzung von viralen Werbevideos und TV-Spots anhand der Werbewirkung

5. Erfolgsfaktoren viraler Werbevideos
5.1 Formale Gestaltung viraler Werbevideos
5.2 Inhaltsbezogene Erfolgsfaktoren viraler Werbevideos
5.3 Das Konzept der Nachrichtenfaktoren
5.3.1 Nachrichtenfaktoren als Aufmerksamkeitsindikatoren
5.3.2 Ableitung relevanter Nachrichtenfaktoren
5.4 Publikumsbezogene Faktoren

6. Formulierung der Hypothesen
6.1 Unabhängige Variablen
6.2 Abhängige Variable
6.3 Hypothesen der inhaltsbezogenen Merkmale
6.4 Hypothesen der formalen Merkmale

7. Methodisches Vorgehen - die quantitative Inhaltsanalyse
7.1 Stichprobe
7.2 Herausforderungen bei der Operationalisierung
7.3 Das Codebuch
7.4 Reliabilitätstests

8. Ergebnisse
8.1 Deskriptive Befunde der quantitativen Inhaltsanalyse
8.1.1 Branchenverteilung
8.1.2 Formale Variablen
8.1.3 Inhaltsbezogene Variablen
8.1.4 Publikumskennzahlen
8.2 Interpretation der deskriptiven Befunde
8.3 Ergebnisse der Hypothesentestung

9. Interpretation und Diskussion

10. Fazit und Ausblick
Literatur
Anhang
Kommentiertes Codebuch für die Inhaltsanalyse erfolgreicher viraler Werbevideos bei
YouTube
Codierbogen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das Diffusionsmodell nach Rogers (2003)

Abbildung 2: Strong ties und weak ties

Abbildung 3: Abhängige und unabhängige Variablen

Abbildung 4: Branchenverteilung

Abbildung 5: Videodauer - Deskriptive Verteilung

Abbildung 6: Durchschnittszeit pro Bildeinstellung

Abbildung 7: Produkteinbindung - Deskriptive Verteilung

Abbildung 8: Markenname - Deskriptive Verteilung

Abbildung 9: Abrufzahl pro Video - Deskriptive Verteilung

Abbildung 10: Weiterempfehlungszahl pro Video - Deskriptive Verteilung

Abbildung 11: Multiple Regressionsanalyse zur Vorhersage der Weiterempfehlung viraler Werbevideos

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Vergleich von klassischer Mundpropaganda, elektronischer Mundpropaganda und viralem Marketing

Tabelle 2: Motive für die Abgabe von Offline- und Online- Mundpropaganda

Tabelle 3: Abgrenzung viraler Werbevideos und TV-Spots

Tabelle 4: Befunde aus Experimentalstudien

Tabelle 5: Befunde aus quantitativen Inhaltsanalysen

Tabelle 6: hbersicht der Nachrichtenfaktoren

Tabelle 7: Ergebnisse des Forscher-Codierer-Reliabilitätstests der formalen Variablen

Tabelle 8: Ergebnisse des Forscher-Codierer-Reliabilitätstests der Nachrichtenfaktoren

Tabelle 9: Ergebnisse des Intracoder-Reliabilitätstests der formalen Variablen

Tabelle 10: Ergebnisse des Intracoder-Reliabilitätstests der Nachrichtenfaktoren

Tabelle 11: Nachrichtenfaktoren - Deskriptive Verteilung

Tabelle 12: Nachrichtenfaktoren - Mittelwerte und Standardabweichungen««

1. Einleitung

Im ersten Kapitel erfolgt eine kurze Einführung in die behandelte Materie. Im Anschluss wird auf die Problemstellung, das Forschungsziel und den Aufbau der Arbeit eingegangen.

1.1 Aktuelle Situation klassischer Mediawerbung

Der moderne Konsument ist täglich mit 2.500 bis 5.000 Werbebotschaften konfrontiert. Umgerechnet in Stunden befasst er sich bewusst und unbewusst circa 12 Stunden pro Woche mit Werbung (Langner 2009, S. 13). Die permanente Exposition mit einer solchen Menge an Informationen führt zu einer Reizüberflutung, bzw. zu „Saturierungseffekten“ (Fahr, Kaut & Brosius, 2014, S. 16) auf Seiten der Rezipienten. Da Werbeschaltungen i. d. R. die Rezeption medialer Informations- und Unterhaltungsinhalte unterbrechen, wird sie darüber hinaus häufig als belästigend empfunden. Dies ist nicht zuletzt auf den „offenkundig intendiert-persuasiven“ (Schweiger & Schmitt-Walter, 2009, S. 350) Charakter von Werbung zurückzuführen. Die werbetreibende Industrie sieht sich folglich mit Konsumenten konfrontiert, deren Rezeptionsverhalten durch Ermüdungs- und Abnutzungseffekte gekennzeichnet ist. Seit dem Einzug technischer Endgeräte, wie dem Personal Video Recorder (PVC) können Werbeblöcke mittlerweile gänzlich ausgeblendet werden. Um dennoch Reichweite zu generieren, stellt die Erhöhung des Werbedrucks eine klassische Strategie werbetreibender Unternehmen dar. (Kohler, Schulte & Gehrau, 2014, S. 90). So ist das Fernsehen der aktuell stärkste Werbeträger in Deutschland, der im Zeitraum von 2012 bis 2015 eine Steigerung der Nettowerbeumsätze um circa neun Prozent verzeichnen konnte. (ZAW, 2015). Nach Kroeber-Riel und Esch (2004, S. 16) werden jedoch nur fünf Prozent aller Werbebotschaften tatsächlich aktiv wahrgenommen. Rückführbar ist die an diesem Beispiel sichtbare Ineffizienz klassischer Werbung zudem auf die Verschmelzung von TV- und Internetangeboten. Durch digitales Fernsehen können Rezipienten so viele Kanäle wie nie zuvor empfangen. Das Mediennutzungsverhalten wird zunehmend unkalkulierbar, so dass relevante Reichweiten immer schwerer zu erzielen sind. Die Seite der werbetreibenden Unternehmen sieht sich darüber hinaus mit dem Problem der gesättigten Märkte konfrontiert. Da sich Produkte innerhalb gesättigter Märkte in ihrer Beschaffenheit und Qualität zunehmend ähneln, bestimmt der Preis häufig über die Kaufentscheidung. Argumentative Werbung und Imagewerbung verlieren in der Konsequenz zunehmend an Wirksamkeit (Gleich, 2003, S. 510). Unternehmen stehen folglich nicht mehr nur im Produktwettbewerb, sondern auch im Kommunikationswettbewerb um die Aufmerksamkeit von gering involvierten Konsumenten (Fahr et al., 2014, S.31). Es gilt, sich von anderen Produkten, bzw. Dienstleistungen abzugrenzen und den Verbraucher trotz der o. g. Bedingungen zu erreichen.

In Anbetracht der Werbeübersättigung verlassen sich Konsumenten bei Kaufentscheidungen vermehrt auf glaubwürdige Empfehlungen aus ihrem persönlichen Umfeld (De Bruyn & Lilien, 2008; Henning-Thurau, Gwinner, Walsh & Gremler, 2004). Diesen Trend ausnutzend hat sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts eine neue Form des Marketings, das sogenannte virale Marketing, etabliert. Ziel des viralen Marketings ist es, durch gezielte Gestaltung einer Kommunikationsbotschaft Konsumenten dazu anzuregen, diese freiwillig in ihren persönlichen Netzwerken zu verbreiten. Der Botschaftsinhalt wird von werbetreibenden Unternehmen zunächst gestreut und im Idealfall von den Konsumenten zur Verbreitung übernommen. Für die Unternehmen ergeben sich die Vorteile der Kosteneffizienz und eine potentiell exponentielle Verbreitung der Botschaft, die durch den zugrundeliegenden Prozess der Mundpropaganda (Word- of-Mouth) ausgelöst werden kann. Besonders erfolgreich funktioniert das virale Marketing unter den Bedingungen des Web 2.0. Soziale Netzwerke wie Facebook und Content Communities wie YouTube haben sich zu prädestinierten Plattformen für die Verbreitung von Werbebotschaften durch Word-of-Mouth entwickelt. Mittlerweile setzen drei Viertel der deutschen Unternehmen auf soziale Netzwerke für die interne und externe Kommunikation (Bitkom, 2015). Diese Tendenz bildet die Grundlage, um über virale Effekte die Bekanntheit des Produkt- bzw. des Markenimages zu steigern (Huang, Chen & Wang, 2012, S. 6).

1.2 Problemstellung

Virale Effekte werden mittlerweile als „Allheilmittel“ (Schögel, Dörr & Herhausen, 2010, S. 35) gegen die Nichterreichbarkeit von Zielgruppen und der mangelnden Effizienz klassischer Mediawerbung betrachtet, dennoch sind „große virale Effekte noch immer sehr oft dem Zufall zu verdanken“ (De Buhr & Tweraser, 2010, S. 84). Voraussetzung für den viralen Erfolg sind eine Reihe von Faktoren. Insbesondere dem Botschaftsinhalt wird eine zentrale Bedeutung zugeschreiben, wenn es darum geht, nachzuvollziehen, welche Faktoren die persönliche Weiterempfehlung begünstigen und welche dies verhindern (Hinz, Skiera, Barrot & Becker, 2011; Hsieh, Hsieh & Tang, 2012). Aufgrund ihrer vielfältigen audiovisuellen Gestaltungsmöglichkeiten haben sich vor allem Werbevideos zum „Leitinstrument“ (Stenger, 2012, S. 43) des viralen Marketings entwickelt. Nach wie vor besteht jedoch Unklarheit darüber, welche exakten Aspekte der inhaltsbezogenen und formalen Videogestaltung deren Weiterempfehlung beeinflussen (Lis & Gebhardt, 2014). Darüber hinaus diskutiert das Social Navigation-Konzept (Hautzer, Lünich & Rössler, 2012), inwiefern sich Internetnutzer in ihrer Rezeption von Online-Inhalten an ihrem Mitpublikum orientieren. Daraus lässt sich ableiten, dass die Weiterempfehlung viraler Werbevideos neben inhaltsbezogenen Aspekten auch durch das Rezeptionsverhalten des Mitpublikums mitbestimmt wird. Um zu ermitteln, welche Faktoren den viralen Erfolg begünstigen, besteht ein vielversprechender Ansatz darin, erfolgreiche virale Werbevideos eines bestimmten Zeitraums heranzuziehen und systematisch zu untersuchen. (Lis & Gebhardt, 2014). Untersuchungen dieser Art liegen bisher nur in geringer Zahl vor. Zudem beschränken sich derartige Studien häufig nur auf eine deskriptive Darstellung einzelner Faktoren, während der Effekt bestimmter Faktoren auf die Weiterempfehlung viraler Werbevideos häufig nicht berücksichtig wird (Liske, 2010). Zudem blieb auch die Untersuchung des Einflusses bestimmter publikumsbezogener Merkmale auf den viralen Erfolg nach Kenntnisstand der Autorin bisher unbeachtet. Daher ist Ziel dieser Arbeit, die Frage zu beantworten, welche inhaltsbezogenen, formalen und publikumsbezogenen Faktoren die Weiterempfehlung von erfolgreichen viralen Werbevideos beeinflussen.

1.3 Methodisches Vorgehen

Als empirische Methode „zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltsbezogener und formaler Merkmale von Mitteilungen“ (Früh, 2015, S. 29) wird im Rahmen dieser Arbeit die quantitative Inhaltsanalyse zur Beantwortung der o. g. Forschungsfrage angewendet. So werden quantitative Inhaltsanalysen nicht nur ausschließlich für die Textanalyse, sondern auch für die Untersuchung audiovisueller Medien verwendet (Berens & Hagen, 1997). Untersucht werden Videos, die auf der Plattform YouTube öffentlich einsehbar sind und innerhalb eines bestimmten Monats zu den erfolgreichsten viralen Werbevideos zählen. Die inhaltsbezogenen Kategorien der Inhaltsanalyse werden im Rahmen dieser Arbeit durch Nachrichtenfaktoren gebildet, welche in Anlehnung an Eilders (1997) als Relevanzkriterien von Rezipienten bezeichnet werden können. Ebenfalls hinzugezogen wird ferner eine Auswahl aufmerksamkeitssteuernder formaler Kategorien der Videogestaltung. Weiterhin wird die Abrufzahl eines viralen Werbevideos als publikumsbezogener Relevanzindikator erhoben. In einem zweiten Schritt wird die Erfolgswirkung der inhaltsbezogenen und formalen Faktoren sowie der Abrufzahlen regressionsanalytisch in Abhängigkeit zur Zahl der Weiterempfehlungen je Video im sozialen Netzwerk Facebook untersucht.

1.4 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit gliedert sich in zehn Teile. Im folgenden Kapitel der Arbeit wird zunächst das theoretische Konzept des viralen Marketings vorgestellt und in diesem Zusammenhang die zentralen Aspekte der Mundpropaganda sowie der Bedeutung sozialer Netzwerke erörtert. Das dritte Kapitel erläutert die praxisbezogenen Ziele und Kriterien sowie die Chancen und Risiken, die für die Planung und Umsetzung viraler Kampagnen von zentraler Relevanz sind. Im vierten Kapitel wird der Werbeträger „virales Werbevideo“ unter Berücksichtigung spezifischer Merkmale vom klassischen TV-Spot abgegrenzt. Daran anknüpfend werden im fünften Kapitel auf Basis des aktuellen Forschungsstands die für das Forschungsziel relevanten formalen, inhaltsbezogenen und publikumsbezogenen Merkmale viraler Werbevideos vorgestellt, aufgrund derer im sechsten Kapitel Hypothesen in Hinblick auf die potentielle Erfolgswirkung abgeleitet werden. Das siebte Kapitel beschreibt das Vorgehen der quantitativen Inhaltsanalyse. Im Rahmen dessen werden die Stichprobenzusammensetzung und das verwendete Kategoriensystem erläutert. Ferner werden die Ergebnisse der im Vorfeld durchgeführten Reliabilitätstests vorgestellt. Nachdem im achten Kapitel die zentralen deskriptiven Befunde und die Ergebnisse der durchgeführten Regressionsanalyse vorgestellt werden, erfolgt dessen Interpretation und Einordnung im neunten Kapitel. Zudem werden methodische und inhaltliche Grenzen der Untersuchung aufgezeigt. Das zehnte Kapitel fasst die Befunde zusammen und gibt einen Ausblick auf den zukünftigen Forschungsbedarf sowie auf die Bedeutung des viralen Marketings als Kommunikationskonzept.

2. Virales Marketing

Im Folgenden wird die Entwicklung des viralen Marketings als Kommunikationskonzept zunächst zeitlich eingeordnet. Daran anschließend wird der dieser Arbeit zugrunde liegende Begriff des viralen Marketings anhand zentraler Merkmale definiert. Es wird deutlich, dass der Begriff der Mundpropaganda häufig fälschlicherweise stellvertretend für das virale Marketing verwendet wird. Daher werden die beiden Begriffe nachfolgend voneinander abgegrenzt. Im Anschluss werden mit dem Diffusionsansatz nach Rogers (2003) sowie Gladwells (2000) „Tipping Point“ zwei zentrale theoretische Ansätze vorgestellt, welche den Verbreitungsprozess viraler Botschaften erklären. Es zeigt sich, dass die Vernetzung der Nutzer untereinander für die erfolgreiche Verbreitung von grundlegender Bedeutung ist. Daher wird auf die Relevanz sozialer Netzwerke ebenfalls eingegangen.

2.1 Entstehungsgeschichte

Der Ausgangspunkt des viralen Marketings als etablierte alternative Werbeform liegt in den Vereinigten Staaten der 1990er Jahre. 1996 publizierte Jeffrey Rayport einen Aufsatz mit dem Titel „The Virus of Marketing“, in dem er erfolgreiche virale Kampagnen beschreibt und das virale Marketing erstmals als eigenständiges Konzept anführt. Im Jahr 1997 dokumentierten Steve Jurvetson und Tim Draper den Erfolg des E-Mail-Dienstes Hotmail. Jede durch diesen Dienst versandte E- Mail enthielt die knappen Hinweis „PS: Get Your Private, Free Email from Hotmail at www.hotmail.com“. Innerhalb kürzester Zeit erlangte Hotmail eine überdurchschnittlich hohe Bekanntheit. So meldeten sich in den ersten 18 Monaten 12 Millionen Kunden bei Hotmail an (Jurvetson & Draper, 1997). Gewinne erzielte das Unternehmen jedoch nicht mit der Bereitstellung von kostenlosen E-Mail-Accounts, sondern durch kostenpflichtige Premium-Dienste und Werbeeinblendungen. Im Jahr 2005 verfügte der Dienst schließlich über 187 Millionen registrierter Mitglieder-Accounts (Langner, 2009, S. 103). Der Hotmail- Fall gilt als Paradebeispiel für erfolgreiches virales Marketing. Den Begriff verwenden die Autoren in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Viren in der Medizin. Ähnlich wie ein Grippevirus verbreiten sich virale Botschaften unregelmäßig und sind in der Lage, exponentiell zu wachsen. Ein Jahr nach der Veröffentlichung von Jurvetson und Draper (1997) wurde der Begriff des viralen Marketings zum „Internet Buzzword of the year“ (Perry & Whitaker, 2002, S. 8) gewählt und fand in der Folge Anerkennung als Kommunikationskonzept.

2.2 Definition und Merkmale des viralen Marketings

Trotz des mittlerweile zwanzigjährigen Bestehens gibt es nach wie vor keine allgemeingültige Definition des viralen Marketings. Vielmehr existiert eine Vielzahl an sich überschneidenden Definitionen, die unterschiedliche Merkmale hervorheben oder auslassen (Stenger 2012, S. 29). Sowohl in der amerikanischen als auch in der deutschen Literatur über virales Marketing liegt beispielsweise Uneinigkeit darüber vor, ob das Internet als Diffusionskanal eine hinreichende1 oder notwendige Bedingung darstellt (Reiter, 2008, S. 12). Im Rahmen dieser Arbeit wird das Internet jedoch als wesentlich für die virale, d. h. exponentielle Ausbreitung (u. a. Helm, 2000; Phelps, Lewis, Mobilio, Perry & Raman, 2004) der Botschaft erachtet. Insbesondere im deutschen Sprachgebrauch wird das virale Marketing zudem fälschlicherweise mit dem Prozess der Mundpropaganda gleichgesetzt. Vielmehr ist die persönliche Weitergabe unter Konsumenten via Mundpropaganda jedoch ein zentrales Merkmal, das dem viralem Marketing zugrunde liegt (Langner, 2009, S. 27; Porter & Golan, 2006, S. 33; Stenger, 2012, S. 28). Virales Marketing versucht darüber hinaus durch die inhaltsbezogene Gestaltung der Botschaft Konsumenten zu animieren, diese an andere Konsumenten ihrer sozialen Netzwerke weiterzuempfehlen (Dobele, Toleman & Beverland, 2005, S. 144). Die folgende Definition fasst die o. g. Merkmale zusammen: „Virales Marketing beschreibt alle Strategien und Techniken, um Konsumenten zu motivieren, Produkte, Dienstleistungen oder Botschaften freiwillig an Personen in ihrem Onlinenetzwerk zu verbreiten, um auf diese Weise das Potenzial für eine exponentielle Ausbreitung zu schaffen“ (Klinger, 2006, S. 13 zitiert nach Stenger, 2012, S. 28). Eckler und Bolls führen in diesem Zusammenhang noch die Bedeutung des „sponsors“ (2011, S. 2) an, d. h. des werbetreibenden Unternehmens, das durch die Distribution viraler Videos stets kommerzielle Ziele verfolgt.

Weiterhin grenzt Kirby den Begriff des viralen Marketings vom Begriff des „viral advertising“ (2006, S. 88) ab. Unter den Begriff virales Marketing fallen demnach alle Produkte und Dienstleistungen, die allein durch ihre Nutzung virale Effekte auslösen, so etwa der Instant-Messenger ICQ oder der o. g. E-Mail-Dienst Hotmail. Virale Kampagnen, bei denen die Inanspruchnahme des Produkts allein keine viralen Effekte auslöst, sondern welche vielmehr die aktive Beteiligung der Konsumenten und die werbliche Kommunikation um das Produkt benötigen, fallen unter den Begriff viral advertising. In Anlehnung an Kirby (2006) sind auch die hier untersuchten viralen Werbevideos dem Oberbegriff viral advertising zuzuordnen.

2.3 Abgrenzung des viralen Marketings vom Begriff der Mundpropaganda Formen der Mundpropaganda

Die Kommunikationsform der klassischen Mundpropaganda bildet den Grundmechanismus des viralen Marketings. Sie wird definiert als „oral, person-to- person communication between a perceived noncommercial communicator and a receiver concerning a brand, a product or a service offered for sale“ (Arndt, 1976, S. 291). Die Definition betont die Unabhängigkeit des Kommunikators, der kein kommerzielles Interesse an der Verbreitung der Information hat. Im Gegensatz zur klassischen Mundpropaganda stellt nun das virale Marketing vielmehr einen strategischen Ansatz dar, der als Auslöser von Mundpropaganda zu betrachten ist (Lis & Gebhardt, 2014, S. 12). Das werbetreibende Unternehmen gestaltet virale Botschaften gezielt, so dass der Botschaftsinhalt häufig unverändert von den Konsumenten weitergegeben wird. Bei der klassischen Mundpropaganda hingegen geht die Initiative von den Konsumenten aus, welche den Inhalt von Interaktion zu Interaktion häufig wieder modifizieren (Stenger, 2012, S. 32). Während bei der Mundpropaganda weiterhin i. d. R. langjährige, positive Erfahrungen weitergegeben werden, zum Beispiel in Verbindung mit der Nutzung eines Gebrauchsgegenstands aus dem eigenen Haushalt, steht beim viralen Marketing die spontane - und somit instrumentalisierbare - Gelegenheitsempfehlung im Vordergrund. Zu Gegenständen solcher Gelegenheitsempfehlungen können etwa Hinweise auf eine bestimmte Website oder ein Online-Video zählen. Es lässt sich festhalten, dass sich klassische Mundpropaganda durch werbetreibende Unternehmen weniger effektiv kontrollieren lässt, als es bei viralen Werbebotschaften der Fall ist.

Das Web 2.0 hat den den Austausch von Informationen von Konsument zu Konsument erleichtert. Auf diese Weise hat auch das Konzept der Mundpropaganda neue Aktualität erlangt. Die digitale Mundpropaganda wird in dieser Beziehung definiert als „any positive or negative statement made by potential, actual, or former customers about a product or company, which is made available to a multitude of people and institutions via the Internet“ (Henning-Thurau et al., 2004, S. 39). Ebenso wie die klassische Mundpropaganda ist die digitale Mundpropaganda also in der Lage, Kaufentscheidungen zu beeinflussen. Aufgrund der zahlreichen Gemeinsamkeiten wird „virales Marketing“ oft als Synonym für „digitale Mundpropaganda“ verwendet (u.a. Mau, Schulz & Silberer, 2008). So greifen beide Konzepte auf visuelle, schriftliche oder multimediale Inhalte zurück, während bei der klassischen Mundpropaganda das gesprochene Word weitergegeben wird. Da auf diese Weise lediglich derselbe Gedanke weiter getragen wird, können Details im Kommunikationsprozess aufgrund der begrenzten Kapazitäten der menschlichen Informationsaufnahme verloren gehen. Während die Kommunikationsteilnehmer bei der klassischen Mundpropaganda darüber hinaus zum gleichen Zeitpunkt Informationen austauschen, die Kommunikation also synchron erfolgt, ist dies bei der digitalen Mundpropaganda und beim viralen Marketing keine notwendige Voraussetzung. Die Weitergabe von Informationen kann asynchron erfolgen, so dass der Zeitpunkt des Versendens und Empfangens sowie der Aufenthaltsort frei wählbar sind. Darüber hinaus ermöglichen die Gegebenheiten des Web 2.0 eine schnellere und einfachere Expansion der Botschaft. Entsprechende Inhalte können zudem nicht nur von einigen wenigen Personen, sondern von hunderten anderen Nutzern auf branchenspezifischen Empfehlungsplattformen, wie zum Beispiel yelp.com oder holidaycheck.de gelesen werden, so dass die kritische Masse2 potentiell eher erreicht wird, als bei der klassischen Mundpropaganda. Anzumerken bleibt, dass sich die Reichweite der beiden Kommunikationskonzepte auf den Anteil der Bevölkerung beschränkt, die das Internet nutzen. In Deutschland beträgt dieser Anteil aktuell 65,1 % der Bevölkerung (Koch & Frees, 2016, S. 420). Das virale Marketing unterscheidet sich von der digitalen Mundpropaganda jedoch insofern, als dass auch bei der digitalen Mundpropaganda die Initiative von den Konsumenten ausgeht, die ihre persönlichen Erfahrungen mit Produkten oder Dienstleistungen weitergeben, während virale Marketingkampagnen von einem Sponsor initiiert werden. Tabelle 1 fasst die aufgeführten Gemeinsamkeiten und Unterschiede des viralen Marketings, der klassischen sowie der digitalen Mundpropaganda zusammen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Vergleich von klassischer Mundpropaganda, elektronis cher Mundpropaganda und viralem Marketing. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Langner (2009, S. 33); Reiter (2008, S. 17); Stenger (2012, S. 33).

2.4 Motive und Motivationen für Mundpropaganda

Um den Prozess der Mundpropaganda gezielt anzuregen, bedarf es der Kenntnis über die Motive3 und die Motivationen für die Weiterempfehlung von Botschaften. Dahingehend existiert in der Literatur eine Vielzahl von Motiven, die als Auslöser von sowohl klassischer als auch von digitaler Mundpropaganda betrachtet werden (siehe Tabelle 2).

Als ein zentrales Motiv für Mundpropaganda wird zunächst das Produktinvolvement (Sundaram, Mitra & Webster, 1998) angeführt. Konsumenten haben das Bedürfnis, ihre gesammelten Erfahrungen und Meinungen zu einem bestimmten Produkt an andere Konsumenten mitzuteilen. Insbesondere die Zufriedenheit mit einem Produkt ist hier von Relevanz. So würden vor allem sehr zufriedene und sehr unzufriedene Konsumenten eher zu Mundpropaganda neigen, wobei unzufriedene Kunden Botschaften deutlich häufiger weitergeben würden als zufriedene Kunden (Lis & Korchmar, 2013, S. 9). Stenger (2012) betont, dass der Weiterempfehlung viraler Botschaften im Gegensatz zur Weiterempfehlung von Produkten weniger die direkte Erfahrung mit dem Produkt vorausgeht, sondern vielmehr das „individuelle Involvement gegenüber Online- Inhalten oder der Marke als Auslöser von Interesse und Begeisterung“ (2011, S. 127). Als Beispiel führt er die Marke Apple an, deren virale Werbebotschaften weniger aufgrund eines allgemeinen Interesses an Smartphones oder Laptops weiterempfohlen werden, sondern vielmehr aufgrund einer individuellen Präferenz für die Marke Apple. Henning-Thurau, Gwinner, Walsh & Gremler führen in Bezug zu negativer Mundpropaganda zudem die Reduktion von Unstimmigkeiten bzw. Dissonanzen als Motiv an (2004; S. 48).

Ein weiteres Motiv für Mundpropaganda ist ferner die Selbstbezogenheit, die nach Stenger (2012, S. 132) auf Motiven des Impression-Management oder auf Motiven der symbolischen Selbstergänzung (Wickl und & Gollwitzer, 1981) aufbauen kann. Im Rahmen dieser theoretischen Ansätze sind Personen danach bestrebt, ihren Eindruck auf andere Personen zu lenken und positiv zu beeinflussen. Durch das Weiterleiten viraler Botschaften kann sowohl Aufmerksamkeit für die eigene Person erzeugt werden, als auch ein bestimmter Experten-Status oder ein Innovatoren-Status vermittelt werden. Botschaften werden ferner auch dann weiterempfohlen, um anderen Konsumenten Hilfe oder Orientierung bei der Produktwahl zu bieten. So zählen die Aussagen „anderen helfen“ und „andere aufmuntern“ zu den Top-Motiven für die Weiterempfehlung von E-Mails (Phelps et al., 2004, S. 343). Folglich zählt auch Altruismus als Ursache für Mundpropaganda. Ferner wird auch das Motiv der sozialen Integration bzw. des Aufbaus sozialer Beziehungen als Auslöser für Mundpropaganda betrachtet. Schlussendlich können auch botschaftsbezogene Faktoren (Lis & Korchmar, 2013, S. 8) im Rahmen kommerzieller Kommunikation die Weiterempfehlung viraler Werbebotschaften auslösen. Auf dessen besondere Relevanz wird im Verlauf der Arbeit noch näher eingegangen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Motive für die Abgabe von Offline- und Online- Mundpropaganda. Quelle: Stenger (2012, S. 126).

2.5 Der Verbreitungsprozess viraler Botschaften

Der Diffusionsansatz nach Rogers (2003) sowie Gladwells (2000) „Tipping Point“ gelten in der Literatur als geeignet, um den Verbreitungsprozess viraler Botschaften abzubilden und unter Berücksichtigung bestimmter Einflussfaktoren zu erklären (siehe u.a. Langner, 2009; Liske, 2010; Reiter, 2008; Stenger, 2012). Beide theoretischen Ansätze werden im Folgenden vorgestellt.

2.5.1 Der Diffusionsansatz nach Rogers (2003)

Rogers (2003) beschreibt die Ausbreitung von Innovationen in sozialen Systemen, wobei es sich bei Innovationen nicht nur um neue Produkte, sondern auch um eine neue virale Kampagne (Langner, 2009) handeln kann. Entscheidend dabei ist die subjektive Wahrnehmung durch die Konsumenten (Rogers, 2003, S. 12). Der Autor definiert den Begriff Diffusion wie folgt: „Diffusion is the process by which an innovation is communicated through certain channels over time among the members of a social system“ (ebd., 2003, S. 11). Wird etwa eine virale Botschaft vom Empfänger als subjektiv neuartig eingeschätzt, stellt sie eine Innovation für ihn da. Sie erzeugt Aufmerksamkeit und wird an andere persönliche Kontakte weitergegeben. Wird sie jedoch nicht als subjektiv innovativ empfunden, wird der Diffusionsprozess unterbrochen. Neben der Innovation an sich stellen die Kommunikationskanäle ein weiteres zentrales Element für die Verbreitung von Innovationen dar. Neben den Kanälen der Massenmedien sind insbesondere die interpersonellen Kanäle ein besonders wirksames Mittel der Diffusion, vor allem, wenn sich die Interaktionspartner soziodemographisch ähneln (ebd., 2003, S. 18). Als weiteres Element führt Rogers (2003) die Dauer des Innovationsprozesses an. Diese reicht von der Wahrnehmung der Innovation über das Interesse, die Bewertung bis hin zur Adoption oder zur Ablehnung der Innovation (ebd., 2003, S. 20). Der Zeitraum variiert dabei in Abhängigkeit zu personen-, produkt- und umweltbezogenen Faktoren. So können etwa zeitlicher Druck, eine negative Grundhaltung gegenüber viralen Botschaften oder eine lange Ladezeit in Folge von Serverüberlastungen den Adoptionsprozess behindern. Darüber hinaus kennzeichnet Rogers (2003) das soziale System als denjenigen Raum, in dem der Diffusionsprozess stattfindet. Beeinflussende Faktoren sind hier die geltenden Normen, die soziale Struktur sowie die Bedeutung bestimmter Personen. Zu Letzteren zählen beispielsweise Meinungsführer, die aufgrund ihrer spezifischen Fähigkeiten andere soziale Kontakte in deren Einstellungen und Verhaltensweisen beeinflussen können.

Die Adoptionskurve nach Rogers (2003) kennzeichnet weiterhin verschiedene Käufergruppen, die sich in ihrer Risikowahrnehmung von innovativen Produkten voneinander unterscheiden (siehe Abbildung 1). So differenziert Rogers (2003) die Käufergruppen der Innovatoren, der frühen hbernehmer, der frühen Mehrheit, der späten Mehrheit, sowie der Nachzügler. Die kleinste Gruppe der Innovatoren ist im Vergleich zu den anderen Gruppen in Hinblick auf ein bestimmtes innovatives Produkt weniger risikoavers. Bei der Wahl der Erstkontakte scheint es also sinnvoll, die Innovatoren innerhalb der angestrebten Zielgruppe auszuwählen. Die übrigen Gruppen folgen dann den Innovatoren mit der Zeit, sobald positive Erfahrungen mit dem Produkt öffentlich werden und ein spezifischer Nutzen für die Konsumenten bekannt wird (2003, S. 283).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Das Diffusionsmodell nach Rogers (2003). Quelle: Das Wirtschaftslexikon (2016).

Das dargestellte Modell nach Rogers (2003) ist als Erklärungsansatz für die Verbreitung innovativer Produkte etabliert (Liske, 2010), jedoch erscheint es für die Ausbreitung viraler Botschaften nur eingeschränkt anwendbar. So stehen virale Kampagnengüter meist kostenfrei zur Verfügung. Demnach spielt die Risikowahrnehmung kaum eine Rolle. Dennoch ist die von Rogers (2003) Modell ausgehende Implikation der Auswahl von Innovatoren im Rahmen der initialen Streuung viraler Botschaften durchaus als relevante Handlungsempfehlung für die Praxis zu betrachten (Reiter, 2008, S. 72).

2.5.2 Gladwells (2000) Tipping Point

Empfiehlt eine Person ein Produkt oder eine Dienstleistung an fünf Bekannte weiter und gibt jeder dieser fünf Personen die Empfehlung an jeweils fünf Freunde weiter, dann wurden bereits 25 potentielle neue Kunden erreicht. Wird dieser Weg fortgeführt, sind es im nächsten Schritt schon 125 Menschen. Gladwell (2000) vergleicht dieses Muster der viralen Verbreitung von Informationen mit dem Entstehen von infektiösen Epidemien. Die Entwicklung von Trends, Ideen oder sozialen Verhaltensweisen setzt er mit dem Verlauf einer Virusinfektion gleich. Dieser Verlauf wird von drei zentralen Punkten geprägt: Epidemien sind ansteckend, beginnen im Kleinen und wachsen, ab dem sogenannten Tipping Point, d. h. dem Moment der kritischen Masse, nicht mehr linear, sondern unaufhaltsam exponentiell. Drei Faktoren tragen nach Gladwell (2000) zum Erreichen des Tipping Point bei. Erstens besagt das Gesetz der Wenigen, dass eine geringe Zahl an Mitgliedern mit allerdings überproportional großem Einfluss in der Lage ist, soziale Epidemien auszulösen. Bei diesen Mitgliedern handelt es sich erstens um die Typen der Vermittler als Bindeglieder verschiedener Untergruppen eines sozialen Systems. Darüber hinaus verfügen die sogenannten Kenner über einen Experten-Status und lassen andere Mitglieder aus altruistischer Motivation an ihrem Fachwissen teilhaben. Die Verkäufer schließlich haben eine hohe hberzeugungskraft und können so den Prozess des Informationsaustauschs filtern und verstärken. Weiterhin bezeichnet Gladwell (2000) den sogenannten Verankerungsfaktor als wesentlichen Bestandteil des Botschaftsinhalts, der etwas Außergewöhnliches und Einzigartiges aufweisen muss, um sich auf diese Weise von anderen Botschaften abzuheben. Den dritten Faktor beschreibt Gladwell (2000) als die Macht der Umstände, demnach einige wenige Umstände der räumlichen und sozialen Umwelt genügen würden, damit die ansteckende Wirkung einer sozialen Epidemie gesteigert wird.

2.6 Die Bedeutung sozialer Netzwerke für das virale Marketing

Die aufgeführten theoretischen Ansätze von Rogers (2003) und Gladwell (2000) beschreiben die grundlegende Bedeutung der Vernetzung von Nutzern für den Erfolg viraler Botschaften. Das Internet wird mittlerweile maßgeblich durch die Partizipation und Interaktion von Nutzern bestimmt. Aus dieser Partizipation einer breiten Öffentlichkeit haben sich soziale Netzwerke und Communities entwickelt. Auf Web 2.0-Auftritten wie Facebook, Wikipedia und YouTube wird Content sogar ausschließlich durch die Nutzer geschaffen. Liske konstatiert, dass Werbetreibende im Internet heute auf den „Goodwill der Gemeinschaft“ (2010, S. 17) angewiesen sind, damit deren Botschaften überhaupt zur Kenntnis genommen werden.

Um auf Grundlage miteinander vernetzter Nutzer von viralen Effekten zu profitieren, bedarf es folglich des Verständnisses über die Akteure und der Beziehungen innerhalb dieser Netzwerke. So wird der Zusammenhalt in einem sozialen Netzwerk maßgeblich durch die Beschaffenheit dessen interner sozialer Beziehungen beeinflusst. In der Netzwerkforschung lässt sich dahingehend zwischen schwachen Bindungen, den sogenannten „weak ties“ (Rosen, 2002, S. 82) und starken Bindungen, den sogenannten „strong ties“ (Klinger, 2006, S: 52) differenzieren. Erstere bestehen zwischen flüchtigen Bekanntschaften oder losen Freundschaften, während Letztere enge Beziehungen zu Familie und Freunden symbolisieren. Jedes Individuum ist nun Mitglied verschiedener homogener sozialer Gruppen oder Clustern. Zu den Mitgliedern sogenannter Primärgruppen zählen etwa Freunde, Familie und Arbeitskollegen, die häufig in Kontakt stehen und sich regelmäßig austauschen. In den sogenannten Sekundärgruppen, beispielsweise in Vereinen oder Religionsgemeinschaften, stehen die Mitglieder eher lose in Kontakt. Innerhalb der verschiedenen Cluster können sich Botschaften aufgrund der Nutzung ähnlicher Informationsquellen vergleichsweise schnell verbreiten. Auf diese Weise entstehen gleichsam Informationsbarrieren zu anderen Clustern, die von einer Botschaft nicht infiziert wurden. Die Herausforderung für die Schaffung einer Epidemie besteht folglich darin, Verbindungen zwischen den verschiedenen Clustern zu schaffen. Durch die Vernetzung der Nutzer im Internet können die Hürden zwischen den Clustern viel schneller überbrückt werden. Eine besondere Rolle kommt dabei den weak ties zu. Diese verfügen über eine Vielzahl loser Kontakte und stehen eher dezentral am Rande solcher Cluster (siehe Abbildung 3). Auf diese Weise können sie den Kommunikationsfluss von außen und folglich den Informationstransfer zwisc hen den verschiedenen Clustern bewirken. Innerhalb von sozialen Netzwerken, wie Facebook können derartige Kontakte mit wenig Aufwand aufrecht erhalten werden: „The Internet creates millions of shortcuts of weak ties across clusters “ (Rosen, 2002, S. 75).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Strong ties und weak ties. Quelle: Eigene Darstellung.

Die Unterscheidung von Network Hubs und Meinungsführern

Sowohl Gladwell (2000) als auch Rogers (2003) betont die Bedeutung von bestimmten Personen in sozialen Netzwerken, die für die Verbreitung von Botschaften eine exponierte Rolle spielen. Aus der Netzwerkperspektive betrachtet, handelt es sich bei solchen Personen um sogenannte Netzwerk- Knoten, bzw. „Network Hubs“ (Rosen, 2002, S. 42 f.), die das Zentrum eines jeden Clusters bilden. Sie verfügen über eine besonders hohe Zahl qualifizierter Kontakte und sind in der Lage, eine schnelle Verbreitung der Botschaft zu ermöglichen. In der Literatur wird differenziert zwischen sogenannten „Mega Hubs“ (ebd., 2002, S. 45), d. h. Meinungsführern mit Multiplikator-Funktion, „Expert Hubs“ (ebd., 2002, S. 45), d. h. anerkannte Spezialisten und „Social Hubs“ (ebd., 2002, S. 45), d. h. kommunikative Menschen mit einer besonders hohen Zahl an Kontakten. In Anbetracht der Vergleichbarkeit des von Rosen (2002) angeführten Network Hub und des der Two-Step-Flow of Communication-Hypothese (Lazarsfeld, Berelson & Gaudet, 1940) entlehnten Begriffs des Meinungsführers stellt Liske (2010) Folgendes fest: Gleichsam wie den Network Hubs kommt den Meinungsführern eine zentrale Funktion in der Verteilung von Informationen zu. Für das Erreichen der kritischen Masse spielen beide eine zentrale Rolle. Während Meinungsführer eine Botschaft jedoch interpretieren, d. h. verändert weitergeben, geben Network Hubs Informationen unverändert weiter. Ferner stellen Network Hubs nicht zwangsläufig die erste Anlaufstelle im Diffusionsprozess dar, sondern eher eine Anlaufstelle von Vielen. In Hinblick auf den Verbreitungsprozess von Botschaften in Netzwerken sollte daher eher der Begriff Mulit-step-flow anstelle des Two-step-flow verwendet werden (Liske, 2010, S. 47).

3. Planung und Umsetzung viraler Kampagnen

Nachdem das Konzept des viralen Marketings erläutert und der Verbreitungsprozess viraler Botschaften theoretisch eingeordnet wurde, wird im folgenden Teil die Umsetzung viraler Kampagnen in der Praxis beschrieben. Dazu werden relevante Ziele viraler Kampagnen aufgezeigt sowie auf die elementaren Rahmenbedingungen eingegangen. Es wird deutlich, dass insbesondere der Botschaftsinhalt für die Anregung von Mundpropaganda sowie die Videoplattform YouTube hinsichtlich des Verbreitungsprozesses von zentraler Bedeutung sind. Abschließend werden die wesentlichen Chancen und Risiken des Einsatzes viraler Werbekampagnen aufgezeigt.

3.1 Einordnung als Kommunikationskonzept

Reiter ordnet das virale Marketing als eine Form der „individualisierten Massenkommunikation“ (2008, S 51) ein. Die Verortung unter dem Begriff der Massenkommunikation erfolgt dabei aus der Perspektive der werbetreibenden Unternehmen, „da die Botschaft für einen großen heterogenen Empfängerkreis gestaltet ist und über die Distanz, ähnlich dem One-to-Many-Ansatz verbreitet wird“ (ebd., 2008, S. 52). Aus der Sicht der Konsumenten hingegen „erhält das virale Marketing durch die Diffusion per Empfehlung einen persönlichen Charakter wie es sonst nur dem Direktmarketing zugesprochen wird“ (ebd., 2008, S. 52).

3.2 Ziele des viralen Marketings

Die Planungsphase viraler Kampagnen umfasst die Definition von realisierbaren Kommunikationszielen. Virale Marketingstrategien zeichnen sich dadurch aus, dass hier keine Ziele der klassischen Gewinnmaximierung im Vordergrund stehen, sondern vielmehr marktpsychologische Ziele. So ist ein häufiges Hauptziel viraler Kampagnen, die Bekanntheit einer Marke langfristig aufzubauen, zu festigen, oder zu steigern. (Langner 2009, S. 59; Schögel et al., 2010, S. 32). Kirby betont in diesem Zusammenhang, dass virales Marketing selbst dann zur Steigerung der Markenbekanntheit beitragen kann, wenn das zu bewerbende Produkt über kein Alleinstellungsmerkmal verfügt (2006, S. 88). Dies werde insofern ermöglicht, als dass virale Werbevideos das Potential haben „mit gelernten TV-Mustern zu brechen“ (Liske, 2010, S. 33) und dadurch die Aufmerksamkeit des Konsumenten zu gewinnen. Dahingehend konstatiert auch Pohlmann: Virales Marketing fördert „die Gesprächsfähigkeit einer Marke oder eines Produkts und liefert den Impuls, damit Dritte den Faden aufnehmen und weiter verbreiten“ (2010, S. 162). Erfüllen virale Kampagnen in einem ersten Schritt das Ziel der Schaffung von Markenbekanntheit, können sie zusätzlich die Ziele der Gewinnung von Kundeninformationen oder der Gewinnung von Neukunden erfüllen (Langner, 2009, S. 59; Schögel, et al., 2010, S. 32). Drittens können virale Kampagnen eingesetzt werden, um Verkaufserlöse zu erzielen. Dies kann jedoch nur indirekt erfolgen, beispielsweise indem der Nutzer eine Präferenz für ein Produkt - zum Beispiel für einen E-Mail-Dienst - entwickelt und in der Folge eine kostenpflichtige Lizenz für eine Premiumversion erwirbt (Langner 2009, S. 59). Für Reiter ergibt sich für virale Produkte der Vorteil von „komplementären Zielbeziehungen“ (Reiter, 2008, S. 42). So kann etwa die Förderung der Markenbekanntheit zu neuen Kundenregistrierungen führen, mit denen im nächsten Schritt neue Kundendaten gesammelt werden. Längerfristig betrachtet kann über die Steigerung der Produktbekanntheit auch die Steigerung der Absatzzahlen erzielt werden. Liske (2010) merkt jedoch an, dass es generell problematisch ist, Absatzerfolge von Produkten auf bestimmte Faktoren festzulegen, da schlussendlich „alle Faktoren des Marketing-Mix eine Rolle spielen, nicht nur kommunikationsbedingte“ (2010, S. 32).

3.3 Kernelemente viraler Kampagnen

Stenger (2012) zählt drei Kernelemente auf, die für den Erfolg viraler Kampagnen relevant sind. Dazu zählen erstens die Rahmenbedingungen, zweitens das sogenannte Seeding und drittens das Kampagnengut und dessen Inhalt.

3.3.1 Die Rahmenbedingungen

Als Voraussetzung für die Verbreitung eines Kampagnenguts betont Langner (2009) zunächst dessen kostenfreie und einfache Verfügbarkeit und hbertragbarkeit. Wäre die Rezeption viraler Kampagnengüter im Internet mit Kosten verbunden, würde dies ein Hemmnis für die Weiterempfehlung und die weitere Verbreitung darstellen, da Kosten grundsätzlich Nutzenabwägungen mit sich führen, die den Impuls der Weiterempfehlung abschwächen. Stehen weiterhin beispielsweise nicht genügend Serverkapazitäten zur Verfügung, kann dies zu hberlastungen führen und folglich einer schnellen Verbreitung von Online-Content entgegenwirken. Eine einfache hbertragbarkeit zielt auf die Eignung von Kampagnengütern für gängige Kommunikationskanäle im Internet.

Die Videoplattform YouTube

In Bezug auf die o. g. Rahmenbedingungen hat sich insbesondere die Videoplattform YouTube zu einer bedeutenden Netzwerkumgebung4 für das virale Marketing entwickelt, da es audiovisuellen Content sowohl einfach als auch kostenfrei zur Verfügung stellt. In Hinblick auf die Verbreitung von audiovisuellem Content ist YouTube mit mehr als einer Milliarde monatlichen Besuchern (YouTube, 2016a) und mehr als 300 Millionen Stunden an Videomaterial (Googlewatchblog, 2014), die jeden Tag weltweit abgespielt werden, die größte und bekannteste Plattform weltweit. Im Juli 2015 wurden pro Minute 400 Stunden Videomaterial bei YouTube hochgeladen (Kupferschmitt, 2016, S. 448), wobei die jeweiligen Anbieter kaum unterschiedlicher sein können: „Die Grenze zwischen User, Produzenten und Marketingdirektor verschwimmt kaum nirgendwo so radikal und nachhaltig, wie bei YouTube“ (Koch & Liebholz 2014, S. 397). Von viralem Content wird mittlerweile erwartet, dass er bei YouTube auffindbar ist (Southgate, Westoby & Page, 2010). Das Hochladen von Videos ist dabei simpel und es fallen keinerlei Kosten an. hber das von der Plattform verwendete HTML5-Format können Bewegtbild-Inhalte praktisch mit jedem Webbrowser störungsfrei angesehen werden. Darüber hinaus bietet YouTube eine Vielzahl an Möglichkeiten, um Inhalte einem Nutzer oder mehreren Nutzern zugänglich zu machen. So verfügt jedes Video über eine eigene URL, die per Mail verschickt, in andere Websites eingebettet oder in den sozialen Netzen geteilt werden kann. Dazu veröffentlicht YouTube zu jedem Video verschiedene Indikatoren, die quantitative Aussagen hinsichtlich der Rezeption des Videos treffen. Der Videostatistik lassen sich die Abrufzahlen, die Kommentarzahlen sowie die „Share“-Zahlen entnehmen. Letztere geben Auskunft darüber, wie häufig ein Video mit anderen Kontakten in sozialen Netzwerken geteilt wurde. Zusammengefasst betrachtet, erfüllt YouTube die drei Rahmenbedingungen der einfachen Verfügbarkeit, der kostenfreien Nutzung sowie der einfachen hbertragbarkeit von Inhalten.

3.3.2 Das Seeding

Für den viralen Erfolg relevant ist darüber hinaus die Entscheidung, wie viele Erstkontakte benötigt werden, um möglichst effizient die kritische Masse5 zu erreichen. Weiterhin muss festgelegt werden, an welche Konsumententypen die Botschaft gestreut werden soll. Dies erfordert die genaue Evaluation von Motiven und Präferenzen der gewünschten Zielgruppe. Der daran anknüpfende Schritt umfasst das zielgruppenspezifische Streuen, das sogenannte Seeding der Botschaft im Internet. Hierbei wird zwischen dem einfachen und dem erweiterten Seeding unterschieden. Beim einfachen Seeding wird die Botschaft nur an eine geringe Zahl an Kontakten, beispielsweise an Kunden, Freunde, oder Bekannte gestreut. Dies kann über Mailinglisten, über eine Erwähnung im Newsletter oder durch die Platzierung auf der unternehmenseigenen Website erfolgen (Langner, 2009). Ziel ist es, den Prozess der Mundpropaganda „auf natürliche Art und Weise in Gang zu setzen, um nicht an Authentizität zu verlieren“ (ebd., 2009, S. 72). Zu beachten ist dabei jedoch, die Botschaft nicht ausschließlich in homogenen Clustern zu streuen, da die Gefahr besteht, dass die Botschaft dort zwar kreist, das Cluster jedoch nicht verlässt. Beim erweiterten Seeding hingegen soll die Botschaft über einen möglichst kurzen Zeitraum an möglichst viele Empfänger über möglichst viele Kanäle und Plattformen gestreut werden. Letztere können etwa die Massenmedien, professionelle PR oder gezielte Einträge in Foren und Blogs darstellen. Beim erweiterten Seeding können ferner sogenannte „opinion leading third-party blogs“ (Kirby, 2006, S. 149) eine wichtige Rolle spielen, die sich in deren Eigenschaft als Network Hubs durch ein sehr aktives Onlineverhalten auszeichnen oder über eine besonders hohe Anzahl an Kontakten verfügen. Von Relevanz können ferner demographische Faktoren sein. So weisen die Befunde von Phelps, Lewis, Mobilio, Perry & Raman (2004) sowie Mau, Schulz & Silberer (2008) darauf hin, dass tendenziell eher Frauen als Männer virale Botschaften weiterempfehlen.

Vergleicht man die Effektivität des einfachen und des erweiterten Seeding, ist anzunehmen, dass das erweiterte Seeding häufiger zu viralem Erfolg führt. Dies erscheint mathematisch logisch. So ergibt eine hohe Zahl an Erstkontakten auch eine hohe Wahrscheinlichkeit der weiteren Ausbreitung. Die erweiterte Seeding- Strategie ist jedoch mit einem erhöhten Kosteneinsatz verbunden. Wird die Qualität des Botschaftsinhalts mit einbezogen, lässt sich jedoch nachweisen, dass mit steigender Qualität des Inhalts die benötigte Zahl der Erstkontakte abnimmt (Liu-Thompkins, 2012, S. 69). Unabhängig von der gewählten Seeding-Strategie ist ferner die Beziehung zwischen dem ursprünglichen Absender, d. h. dem werbetreibenden Unternehmen und den Erstkontakten von Bedeutung. Handelt es sich hierbei um eine starke Bindung (strong tie), so scheint es wahrscheinlicher, dass die Botschaft weiterempfohlen wird (ebd., 2012, S. 69).

3.3.3 Der Inhalt des Kampagnenguts

Dem Inhalt des Kampagnenguts kommt eine exponierte Bedeutung für den viralen Erfolg zu. Wie schon anhand des von Gladwell (2000) beschriebenen Verankerungsfaktors verdeutlicht, soll der Botschaftsinhalt „Aufmerksamkeit wecken, aktivieren und Menschen zu («) einer Weiterempfehlung motivieren“ (Langner, 2009, S. 38). Huang, Chen & Wang (2012) konstatieren in diesem Zusammenhang, dass die Wahrnehmung der inhaltlichen Qualität die Intention der Weiterempfehlung maßgeblich beeinflusst. Das Kampagnengut müsse erst als interessant genug wahrgenommen werden, damit die Intention der Weiterempfehlung überhaupt entsteht. Hsieh, Hsieh & Tang (2012, S, 203) argumentieren zudem, dass Unternehmen lediglich in der Lage sind, die inhaltsbezogene Gestaltung der Botschaft6 zu manipulieren. Auf die Eigenschaften der Konsumenten können sie keinerlei Einfluss nehmen. Ferner ist der Botschaftsinhalt auch in Hinblick auf die Motive, die eine Weiterempfehlung auslösen, von Relevanz: „Motivations to forward a viral message cannot be fully examined without also considering the message content and its specific features“ (Eckler & Bolls, 2011, S. 3). Als allgemein ausschlaggebende Faktoren für den viralen Erfolg nennt Langner (2009) eine wahrgenommene Nützlichkeit, einen bestimmten Unterhaltungswert sowie die Einzigartigkeit bzw. Außergewöhnlichkeit des Kampagnenguts bzw. dessen Inhalts. Dabei können sowohl emotionale als auch informative Hinweisreize die Weiterempfehlung von Botschaften beeinflussen (Araujo, Neijens & Vliegenthart, 2015, S. 285).

Typen von Kampagnengütern

Das Internet erlaubt es, virale Botschaften über eine Vielzahl an Trägermedien zu verbreiten. Zu den etablierten Trägern zählen Online-Spiele, sogenannte Advergames (Wise, Bolls, Kim, Venkataraman & Meyer, 2008), welche in erster Linie der Steigerung der Markenbekanntheit dienen. Sie zeichnen sich durch einen hohen Unterhaltungswert und einen hohen Grad an Interaktivität aus. Hierdurch werden besonders jüngere Zielgruppen angesprochen. Online-Spiele sind meist einfach aufgebaut, simpel gestaltet und von kurzer Spieldauer. Durch eine integrierte Weiterleitungsfunktion lassen sie sich an andere Konsumenten verschicken. Studien zeigen, dass sich Online-Spiele positiv auf die Markeneinstellung auswirken können, wenn eine hohe thematische Relevanz des Spiels zum Produkt der Marke gegeben ist (Wise et al., 2008). Darüber hinaus können auch bestimmte Websites, beispielsweise sogenannte Landingpages oder Microsites als Kampagnengüter dienen. Landingpages sind eigenständige Websites, die speziell für ein bestimmtes Produktangebot und dessen Zielgruppe konzipiert sind (Firnkes, 2013, S. 167). Nutzer werden durch bestimmte Marketingmaßnahmen gezielt auf Landingpages geleitet. Letztere können auch auf bestimmte Microsites verweisen. Diese sind in einem Internetauftritt integriert, grenzen sich jedoch durch Design und Thematik von der ursprünglichen Website ab. Sie sind meist einfach aufgebaut und fokussieren die Interaktion mit einem bestimmten Produkt oder Marke, etwa in Form von Video- oder Fotowettbewerben für ein Produkt. Da das Hochladen von Eigenproduktionen einen hohen Aufwand von Seiten der Nutzer erfordert, werden meist nur bestimmte Zielgruppen mit einem spezifischen Produktinteresse angesprochen (Stenger, 2012, S. 46). Das mittlerweile meist genutzte Trägermedium für virale Werbebotschaften ist jedoch das Video. Auf dessen Relevanz für die Produkt- bzw. Markenkommunikation wird im vierten Teil der Arbeit näher eingegangen.

3.4 Chancen und Risiken des viralen Marketings

Dem bereits aufgezeigten Potenzial des viralen Marketings steht gleichsam eine Zahl an Risiken gegenüber, die sich aus dem Einsatz der o. g. Kernelemente ableiten lässt. Nachfolgend werden die Chancen und Risiken des viralen Marketings zusammengefasst.

3.4.1 Chancen

Die Vorzüge des viralen Marketings liegen in dessen Grundmechanismus der digitalen Mundpropaganda, den die werbetreibenden Unternehmen für die Verbreitung ihrer Botschaft ausnutzen. Konsumenten geben auf freiwilliger Basis Empfehlungen an die Personen ihres sozialen Netzwerks weiter. Aufgrund der Asynchronität der Interaktion kann der Empfänger Ort und Zeit selber wählen und sieht sich mit keinerlei Zwang zur Rezeption7 konfrontiert. Da dem Absender keine explizite Persuasionsabsicht unterstellt wird, liegt viralen Botschaften im Vergleich zu anderen Werbeformen ein gesteigertes Potential an Glaubwürdigkeit zugrunde. Dadurch ist ferner anzunehmen, dass virale Botschaften weniger Reaktanzen und mehr Involvement mit dem Inhalt erzeugen (Helm, 2000, S. 159). Werden darüber hinaus positive Kommentare, beispielsweise zu einem viralen Video auf YouTube verfasst, kann dies zu einem zusätzlichen Glaubwürdigkeitsgewinn führen. Aufgrund der freiwilligen Weitergabe entstehen für das Unternehmen zudem nur geringe Kosten der Vervielfältigung. Im Idealfall erfolgt die Ausbreitung der viralen Botschaft überdurchschnittlich schnell. Das Ausnutzen von Diffusionseffekten in den sozialen Netzwerken stellt für Unternehmen ferner einen Wettbewerbsvorteil im Sinne von first-mover-Vorteilen dar. So sind die Kontakte der Netzwerkteilnehmer für diese zwar untereinander erkennbar, nicht jedoch für Außenstehende. Ein erfolgreich gestreutes Kampagnengut kann über Monate lang von der Konkurrenz unentdeckt bleiben, so dass Unternehmen unbeachtet von ihren Wettbewerbern Marktanteile gewinnen können (Reiter, 2008, S. 21). Wird eine Botschaft darüber hinaus zielgruppenspezifisch verbreitet, können Streuverluste vermieden werden, da im Idealfall eine „Selbstselektion der Zielgruppe“ (Stenger 2012, S.55) stattfindet: „Those forwarding the message will be more likely to know which of their friends, family members, and work colleagues have similar interests and thus more likely to read the message, hence, more effective targeting“ (Dobele et al., 2005, S. 144).

3.4.2 Risiken

Problematisch zeigt sich die nur unzureichende Planbarkeit viraler Kampagnen. So kann die Zahl der Erstkontakte durchaus noch beeinflusst werden, die anschließende Diffusion in sozialen Netzwerken verläuft jedoch unkontrolliert, so dass kaum antizipiert werden kann, zu welchem Zeitpunkt die kritische Masse erreicht wird. Gleichsam ist der ökonomische Erfolg viraler Kampagnen kaum messbar, da virale Kampagnen hauptsächlich das Ziel umfassen, den immateriellen Wert eines Produkts oder einer Marke zu steigern. Der Gewinn an Markenbekanntheit kann monetär kaum erfasst werden, obgleich dieser langfristig zu steigenden Absatzzahlen führen kann. Da virale Marketingmaßnahmen häufig in Kombination mit anderen Werbemitteln im Media-Mix verwendet werden, ist eine kausale Erfolgszurechnung kaum möglich (Reiter, 2008, S. 78). Ist der Botschaftsinhalt weiterhin nicht hinreichend auf die Präferenzen der Zielgruppe abgestimmt, können die Kosten von Konzeption und Produktion den Effizienzvorsprung durch die nahezu kostenfreie Verbreitung aufwiegen. Wenn Personen, die nicht zur angestrebten Zielgruppe gehören, virale Botschaften erhalten, können diese zudem als belästigender Spam aufgefasst werden und eine negative Einstellung gegenüber dem Unternehmen bewirken. Zusätzliche Kosten können weiterhin in der erweiterten Seeding-Strategie liegen, da das Vorgehen hier aufwendiger geplant und koordiniert werden muss. Auch die Produktions - und Konzeptionskosten viraler Videos können einen fünf- bis sechsstelligen Betrag erreichen (Richthofen, 2010, S. 42). Ein weiteres Risiko liegt in der fehlenden Kontrollierbarkeit des Prozesses der Mundpropaganda. So unterliegen Konsumentenempfehlungen in Deutschland dem Schutz der Meinungsfreiheit (Geyer, 2012, S. 72). Hat die Verbreitung erst einmal stattgefunden, ist diese nicht mehr aufzuhalten. Führen die Botschaftsinhalte zu negativen Reaktionen, entsteht daraus eine negative Werbewirkung. Zu berücksichtigen sind hierbei auch Effekte von user generated content. Wenn Privatpersonen professionell produzierte werbliche Inhalte eigenständig in sozialen Netzwerken verbreiten, etwa Parodien bestimmter Online-Werbebotschaften8, so kann dies einen Kontrollverlust der Unternehmen über deren Kanäle und Inhalte führen und einen Imageschaden bewirken (Kohler et al., 2014, S. 104).

4. Virale Werbevideos als Leitinstrument viraler Kampagnen

Eine Reihe von Vorteilen hat die Entwicklung des Videos zum mittlerweile meist genutzten Träger für virale Marketingmaßnahmen begünstigt. Dazu zählt erstens die kostenfreie Verfügbarkeit auf Videoplattformen wie YouTube. Durch einfaches Anklicken kann die Video-URL zweitens einfach per E-Mail verschickt, auf anderen Websites eingebunden oder in den sozialen Netzwerken geteilt werden. Drittens bieten audiovisuelle Videoformate im Vergleich zu Printformaten eine Reihe an Vorzügen bei der Rezeption. So ermöglichen Bilder „eine besonders schnelle und gedanklich bequeme Informationsaufnahme“ (Kroeber-Riel & Esch, 2004, S. 19). Gleichsam trat durch die Entwicklung des Fernsehens eine Habitualisierung ein: Rezipienten wurden „daran gewöhnt, passiv zu schauen und zu erleben, als aktiv zu lesen“ (ebd., 2004, S. 21). Bilder in den Medien erfüllen heute verschiedene Funktionen. Diese lassen sich kategorisieren in eine Unterhaltungs -, Erlebnis-, Emotionalisierungs- und Interpretationsfunktion (Meckel, 2001, S. 26). Mittlerweile ist die Rezeption von Bewegtbildern im Internet fester Bestandteil des Medienalltags. Am häufigsten werden Bewegtbild-Inhalte im Internet von der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen rezipiert, wobei Videoportale am häufigsten genutzt werden (Koch & Liebholz, 2014). Gründe für die starke Integration von Online-Videoinhalten in den Medienalltag liegen nach Beißwenger auch in einer identitätsstiftenden Funktion: „Verlinke mich mit deiner Onlinevideothek und ich sage dir, wer du bist. Der Mensch von morgen wird mehr denn je eine Identität besitzen, die untrennbar mit der Kreation, der Bewertung und dem Konsum von eigenen und fremden Bewegtbild-Inhalten verknüpft ist“ (2010, S. 21).

Mit dem Internet entstanden darüber hinaus neue Möglichkeiten, Videobotschaften zu inszenieren und zu gestalten. So hat insbesondere der Begriff rich media, d. h., die visuelle und akustische Anreicherung von Content durch Video-, Audio- und Animationseffekten, Einzug in den Bereich der Online- Kommunikation gefunden (Spalding, Cole & Fayer, 2009). Für virale Werbevideos ergibt sich auf diese Weise eine Vielzahl an Möglichkeiten, mit kreativen Gestaltungsmöglichkeiten und interaktive Elementen Aufmerksamkeit zu erzeugen. Um das Potential viraler Werbevideos zu verdeutlichen, gilt es diese mit klassischen TV-Werbespots zu vergleichen. Dies wird nachfolgend anhand bestimmter Merkmale vorgenommen.

[...]


1 Beispielhaft führt die Autorin die Verbreitung der Harry Potter-Romane an, die sich gänzlich ohne den digitalen Kommunikationskanal Internet millionenfach verkauft haben. Reiter (2008) führt dies jedoch eher auf einen Erfolg von Mundpropaganda zurück.

2 Die kritische Masse kennzeichnet den Punkt, ab dem virale Kampagnen ohne weiteren Mitteleinsatz eigenständig weiterlaufen und sich exponentiell verbreiten (Schögel et al., 2010).

3 In der Literatur wird häufig zwischen extrinsischen und intrinsischen Motiven für Mundpropaganda unterschieden (Lis & Korchmar, 2013). Erstere beziehen sich auf Weiterleitungsmotive, die auf monetären Anreizen, wie Vergünstigungen oder Bargeld basieren. Da diese Arbeit sich jedoch ausschließlich auf die freiwillige Weiterempfehlung viraler Werbebotschaften konzentriert, werden infolge nur relevante intrinsische Motive aufgeführt, die auf dem individuellem Antrieb, bzw. den individuellen Interessen von Konsumenten beruhen.

4 Kaplan & Haenlein (2010) kennzeichnen YouTube allerdings nicht als soziales Netzwerk, sondern als Content Community. Der Hauptzweck liegt hier i m Teilen von Videoinhalten zwischen Nutzern, wobei das Erstellen eines Nutzerprofils für das Abrufen allerdings keine notwendige Voraussetzung ist. Das Gegenteil ist bei sozialen Netzwerken wie Facebook der Fall. Nutzer interagieren hier miteinander über Ihre Profile. Sowohl YouTube als auch Facebook fallen unter den Oberbegriff „soziales Medium“. Eine Systematisierung verschiedener sozialer Medien nach bestimmten Kategorien sei nach Kaplan und Haenlein jedoch kaum möglich (ebd., 2010, S. 62). So stellt bei spielsweise das Teilen von Video-Content ebenfalls ein zentrales Nutzungsmotiv von Facebook dar.

5 Es ist anzunehmen, dass die Höhe der kritischen Masse je nach Unternehmensgröße und Bekanntheit variiert. Langner erachtet das Erreichen von „vielen hundert bis tausend Menschen“ (2009, S. 72) als dahingehend notwendig, Pohlmann geht von „zehntausend qualifizierten Kontakten“ (2010, S. 167) aus.

6 Dieser Aussage kann jedoch nur teilweise zugestimmt werden, wenn beachtet wird, dass auch die Seeding-Strategie, also die Auswahl der Erstkontakte, durch das Unternehmen beeinflusst werden kann.

7 Im Bereich des Online-Marketings folgen diesem sogenannten Push-Ansatz zum Beispiel Pop-Up-Werbevideos. Diese bilden keinen Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

8 Als Beispiel lässt sich die Parodie des viral erfolgreichen Werbevideos „#heimkommen“ der Supermarktkette Edeka anführen, das gegen Ende des Jahres 2015 erschien. Die von Joko Winterscheidt und Klaas Heufer Umlauf produzierte Parodie kritisiert die moralisch fragwürdige Handlung des Originals, in der ein Großvater seinen Tod vortäuscht, um seine Familie an Weihnachten zusammenzuführen. Beide Versionen erhielten einen hohen Beachtungsgrad in den Medien (Huffington Post, 2015).

Ende der Leseprobe aus 123 Seiten

Details

Titel
Erfolgsfaktoren des viralen Marketings. Erfolgreiche Werbevideos bei YouTube
Untertitel
Eine inhaltsanalytische Untersuchung
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Kommunikationswissenschaft)
Note
1.5
Autor
Jahr
2016
Seiten
123
Katalognummer
V353674
ISBN (eBook)
9783668397460
ISBN (Buch)
9783668397477
Dateigröße
1913 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Virales Marketing, Nachrichtenfaktoren, Inhaltsanalyse von Youtube Videos
Arbeit zitieren
Franziska Dau (Autor:in), 2016, Erfolgsfaktoren des viralen Marketings. Erfolgreiche Werbevideos bei YouTube, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353674

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