Eucken 2.0. Ein Analogieschluss über den Ordoliberalismus, die Soziale Marktwirtschaft und die Ökosoziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland


Hausarbeit, 2016

28 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Forschungsstand, Fragestellung und Aufbau der Arbeit

2 Der Ordoliberalismus der Freiburger Schule – Hintergründe, Akteure, Merkmale

3 Konzeptionen der Marktwirtschaft
3.1 Die Soziale Marktwirtschaft – Hintergründe, Akteure, Merkmale
3.2 Die Ökosoziale Marktwirtschaft – Hintergründe, Akteure, Merkmale

4 Das Erneuerbare-Energien-Gesetz des Bundesrepublik Deutschland

5 Eucken 2.0 – Schlussbetrachtungen

Literaturverzeichnis

Vorwort

Eine Krise ist ein Tiefstand, ein Unglück. Gleich zwei historisch markante Daten stehen für die krisenbehaftete Zeit des 20. Jahrhunderts: die Weltwirtschaftskrise 1929/32, die mit einer wirtschaftlichen Untragbarkeit eines jeden Einzelnen einher ging und die Grauen des Zweiten Weltkriegs, die ein gesellschaftliches Vakuum hinterließen. Wissenschaftler aus liberalen Kreise bemühten sich in dieser Zeit um Antworten auf die Frage, wie der klassische Liberalismus modifiziert werden muss, um in einem Staat ein existenzsicherndes und damit auch ein menschenwürdiges Leben zu generieren.[1] Der Volkswissenschaftler Philip Plickert konstatiert wie folgt: „Aus dem Geist der Krise wurde so der Neoliberalismus als ein neues wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm geboren.“[2] Die neoliberale Strömung der Freiburger Schule entwarf das Konzept des Ordoliberalismus um die Wissenschaftler Walter Eucken, Franz Böhm, Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke. Ab 1949 wurden diese theoretischen Überlegungen zuerst in ein politisches Schlagwort und dann in politisch-wirtschaftliche Programme umgesetzt: Die Soziale Marktwirtschaft verbindet die Idee der freien Marktwirtschaft mit einem sozialen Sicherungsnetz.

Eine Krise ist eine Verschlechterung, ein gefährlicher Wendepunkt. 1972 veröffentlichte der Club of Rome, ein Expertenzusammenschluss, einen Bericht mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“. Die zentrale Aussage der Wissenschaftler lautet, dass bei steigender Weltbevölkerung und gleichbleibender nicht-nachhaltiger Bewirtschaftung der Ressourcen und Umwelt die Grenzen des Wachstums in 100 Jahren erreicht sein werden. In Analogie zu den Geschehnissen um die liberalen Denker der 1930er und 1940er Jahre reagieren wieder Wissenschaftler und Politiker auf die Schlussfolgerung der Club of Rome Mitglieder und gestalten Leitlinien einer neuen (globalen) Wirtschaftsordnung: Die Ökosoziale Marktwirtschaft fokussiert die Balance zwischen der freien Marktwirtschaft, sozialen und ökologischen Komponenten.

Eine Krise kann also auch ein Augenblick der Entscheidung sein, einen den Weg für Alternativen ebnender Moment. Und so kristallisiert sich die Relevanz des Sujets heraus: die Krise als Chance für Weiterentwicklungen von Wirtschaftsordnungen.

1 Forschungsstand, Fragestellung und Aufbau der Arbeit

Der Anfang des Neoliberalismus liegt in einer Zusammenkunft internationaler Wissenschaftler im Jahr 1938, die einen offenen und kritischen Diskurs über den klassischen Liberalismus führten.[3] Im Anklang dazu macht der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Kolev für den Neoliberalismus der späten 1940er Jahre drei Merkmale aus: Internationalität, Heterogenität und die Verfolgung eines gemeinsamen Ziels: „Den für erledigt erklärten Diskurs über freiheitliche Ordnungen von Wirtschaft und Gesellschaft neu zu beleben.“[4] Daher kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einem bündigen Forschungsprogramm gesprochen werden, sondern von diversen Ansätzen, die sich in dem oben besprochenen Ziel treffen. Ein weiterer Aspekt, der die Erarbeitung eines gemeinsamen Forschungsprogramms verhinderte, liegt in dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wodurch die Kontaktnetze getrennt wurden.[5]

Die Autoren Christoph Butterwegge, Bettina Lösch und Ralf Ptak machen in ihrem Buch „Neoliberalismus. Analysen und Alternativen“ drei Phasen der Neoliberalismusforschung in Deutschland aus.[6]

Mit Beginn der wirtschaftlichen Neuorientierung Deutschlands ab den späten 1940er Jahren konzentrierten sich erste Analysen auf die regierungspolitische Umsetzung der ordoliberalen Theorie. Diskussionen der zweiten Phase (Ende der 1970er Jahre) standen unter englischen und amerikanischen Einflüssen und dienten als analytische Erklärungsmuster für die Politik der deutschen Wendezeit. Seit den 1990er Jahren erfährt die Neoliberalismusforschung einen parallel stattfindenden öffentlichen Diskurs, der mit qualitativen Divergenzen zu der wissenschaftlichen Diskussion einher geht, so die Autoren. Liegen einerseits Untersuchungen zu der neoliberalen Politikumsetzung und -implementation vor, besticht die öffentliche Debatte mit negativen Assoziationen zum Neoliberalismus:

„‘Neoliberalismus‘ wurde zu einem politischen Schlagwort, das in sehr allgemeiner Form für die negative Seite der aktuellen Reformprozesse steht. Neoliberal ist demnach mehr oder weniger alles, was den Umbau Deutschlands vom Bismarck´schen Sozial(versicherung)staat zur Hochleistungs- und Konkurrenzgesellschaft (…) kennzeichnet.“[7]

So halten Butterwegge, Lösch und Ptak fest und führen darüber hinaus an, dass mannigfach Literatur zum Neoliberalismus als Schuldträger für tiefgreifende ökonomische, politische, gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen vorliegt. Des Weiteren bestehen aber auch eine Vielzahl von Abhandlungen, die den zeitgeschichtlichen Kontext, die Biografien und die ideengeschichtlichen Aspekte der Hauptvertreter aufgreifen.[8] In diesem Zusammenhang sind auch komparative Analysen der verschiedenen neoliberalen Schulen vollzogen worden. So veröffentlichte zum Beispiel das 1954 gegründete Walter Eucken Institut die Bandreihe „Untersuchungen zur Ordnungsökonomik und Ordnungspolitik“, aus der eben auch solche Analysen hervorgehen.[9]

In Kontrast zu den genannten Forschungsansätzen findet in der vorliegenden Arbeit ein Analogieschluss statt. Es werden ähnliche Sachverhalte, durch ein gemeinsames Merkmal, in einen Zusammenhang gebracht. Im Speziellen geht es hier um den Zusammenhang zwischen Wirtschaftsmodellen. Daraus ergibt sich das Thema der vorliegenden Arbeit: Eucken 2.0 – Ein Analogieschluss über den Ordoliberalismus, die Soziale Marktwirtschaft und die Ökosoziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland.

Als Bearbeitungsgrundlage gilt die nachstehende These. Mit Hilfe von zwei Forschungsfragen soll diese veri- beziehungsweise falsifiziert und so der oben geschilderte Analogieschluss vollzogen werden.

Ordoliberale Wirtschaftsordnungen werden entwickelt, weil Krisen bestehen, die die menschliche Existenz bedrohen .

In einem ersten Prüfschritt wird die ordoliberale Theorie mit Fokus auf die Ausführungen von Walter Eucken vorgestellt und überprüft, welche Aspekte vom Ordoliberalismus der Freiburger Schule in die Soziale Marktwirtschaft unter Ludwig Erhard übernommen wurden. Daraus ergibt sich die erste Forschungsfrage:

Welches sind markante Merkmale, die von der ordoliberalen Theorie bei der Implementierung der Sozialen Marktwirtschaft unter Ludwig Erhard umgesetzt wurden?

Im zweiten Prüfschritt wird geklärt, ob der Induktionsschluss auf die Entwicklung der Ökosozialen Marktwirtschaft zutrifft. Als ein möglicher Aspekt einer Ökosozialen Marktwirtschaft wird das Erneuerbare-Energien-Gesetz der Bundesrepublik Deutschland herangezogen und somit der zweiten Forschungsfrage nachgegangen:

Kann das Erneuerbare-Energien-Gesetz der Bundesrepublik Deutschland als ein Implementierungsansatz eines ökosozialen marktwirtschaftlichen Konzepts identifiziert werden?

Um diesen Dreiklang aus Theorie, Praxis und Weiterentwicklung nachzeichnen zu können, werden, im Rahmen dieser Arbeit, die jeweiligen Theorien und Politiken deskripiert. Im folgenden Abschnitt wird ein konzentrierter Blick auf den Ordoliberalismus der Freiburger Schule vorgenommen (Kapitel 2). Im Zentrum der Betrachtungen stehen die Aussagen von Walter Eucken, da er zum einen Hauptinitiator der ordoliberalen Strömung in Deutschland war und zum anderen weil seine theoretischen Erarbeitungen einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung eines westdeutschen Wirtschaftskonzepts hatten. In Kapitel 3 wird akzentuiert auf die historischen Hintergründe, primären Akteure und Merkmale der Sozialen und der Ökosozialen Marktwirtschaft eingegangen. Im nächsten Kapitel werden Inhalt, Instrumente und das Monitoring des Erneuerbaren-Energie-Gesetztes der Bundesrepublik Deutschland pointiert vorgestellt. In den Schlussbetrachtungen wird auf die oben stehenden Forschungsfragen reagiert und ein Resümee bezüglich des intendierten Analogieschlusses gezogen.

Für diese Arbeit ist einschlägige Literatur der kapitelbezogenen Protagonisten sowie dazugehörige Sekundärliteratur verwendet wurden. Um die Forschungsfragen umfassend beantworten zu können, wurde zudem auf Online-Recherchen und Publikationen der betreffenden Bundesministerien zurückgegriffen.

2 Der Ordoliberalismus der Freiburger Schule – Hintergründe, Akteure, Merkmale

Die Freiburger Universität der 1930er Jahre wird oftmals als Zentrum neoliberaler Ideen bezeichnet.[10] Der Ökonom Walter Eucken sowie die Juristen Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth initiierten ein Forschungsprogramm, das einen staatlich organisierten Ordnungsrahmen für die Wirtschaft betont.[11] Der nach diesem Leitgedanken bezeichnete Ordoliberalismus der Freiburger Schule steht damit in Kontrast zu den Prinzipien des Laissez-faire-Liberalismus des 18./ 19. Jahrhundert und der Planwirtschaft.[12] So hält Eucken in seinem posthum erschienenen Werk „Grundsätze der Ordnungspolitik“ fest:

„Scheiterte die Politik des Laissez-faire, weil sie die Ordnungsformen der Wirtschaft im wesentlichen den Privaten überließ, so scheiterten die Experimente der folgenden Ära [gemeint ist die Planwirtschaft], weil in ihnen versucht wurde, die Lenkung des alltäglichen Wirtschaftsprozesses durch zentrale Stellen (…) durchzuführen.“[13]

Im Gegensatz zu den genannten Wirtschaftsformen markiert die Wettbewerbsordnung der Freiburger Schule, dass der Rechtsstaat einen ökonomischen Ordnungsrahmen schafft.[14] Diesem Leitmotiv liegt die terminologische Differenz zwischen Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsprozess zu Grunde, die bei Eucken ausschlaggebend ist für die Rolle des Staates. Stefan Kolev fasst die Begriffe nach Eucken zusammen: „Es handelt sich für ihn [gemeint ist Eucken] bei der Wirtschaftsordnung eines Landes um die Gesamtheit der Marktformen und der Geldsysteme, die den Wirtschaftsprozess umrahmen.“[15] Eucken stellt dabei die Qualität staatlicher Aktivitäten heraus: Der Staat hat zum einen die Aufgabe das autonome Akteurshandeln zu kontrollieren und zum anderen, im Falle eines Verstoßes, gegen die bestehende Ordnung zu intervenieren. Ein Eingreifen des Staates in den Wirtschaftsprozess ist bei Regelablauf nicht vorgesehen.[16] Kolev pointiert das Motiv des starken Staates im Ordoliberalismus wie folgt: „Der liberale Staat ist (…) absolut unverzichtbar für die Ermöglichung von Freiheit: Ohne ihn würde entweder Anarchie oder Totalitarismus herrschen.“[17]

Auf diesem Gedanken bauen zunächst folgende konstituierende Grundprinzipien der Euck´schen Wettbewerbsordnung auf:

Ein freier Markt, auf dem vollständige Konkurrenz herrscht, ist unabdingbar für die Wettbewerbsordnung: „Sie ist es, welche die Pläne und Entscheidungen der einzelnen Betriebe und Haushalte miteinander koordinieren soll“, so Eucken.[18] Auf solchen Märkten gibt zudem ein funktionsfähiger Preismechanismus die Knappheit wieder (zweites Prinzip).[19] An dritter Stelle rückt das Primat der Währungspolitik mit Inflation und Deflation entgegengewirkt werden sollen.[20] Die vollständige Konkurrenz sollte, so Eucken, weiterhin Hand in Hand mit den Prinzipien der offenen Märkte, dem Privateigentum und der Vertragsfreiheit gehen. Jedes dieser Prinzipien stellt einen elementaren Einflussfaktor auf die vollständige Konkurrenz und somit auf eine gelingende Wettbewerbsordnung dar.[21] Für die beiden letzteren gilt zudem, dass nur bei einer vollständigen Konkurrenz diese nicht missbraucht werden können, da einseitige Vorteilsnahme nicht zielführend wird.[22] Eucken spricht sich außerdem für das Prinzip der Haftung aus: „Die Haftung wirkt (…) prophylaktisch gegen eine Verschleuderung von Kapital und zwingt dazu, die Märkte vorsichtig abzutasten.“[23] An letzter Stelle richtet der Wissenschaftler einen Appell an die privaten Akteure und fordert sie zu Investitionen, unabhängig von bestehender Staatspolitik (Konstanz der Wirtschaftspolitik), auf.[24]

In einem zweiten Schritt formuliert Eucken vier regulierende Prinzipien, die eine Erklärung für wirtschaftspolitische Interventionen seitens des Staates darstellen. Voraussetzung für interventionistisches Verhalten des Staates ist allerdings die strikte Verfolgung der konstituierenden Prinzipien:[25] Um dem Monopolproblem, also „privater wirtschaftlicher Macht“, entgegenzuwirken, darf der Staat eingreifen.[26] Solche Eingriffe können ebenfalls bei der Einkommenspolitik erfolgen, Eucken konstatiert wie folgt:

„Löhne, Zinsen, Renten und Unternehmergewinne bilden sich (…) im Rahmen der vollständigen Konkurrenz zwangsläufig. Und so wird die Verteilung nicht nach ethischen Gesichtspunkten vollzogen, sondern sie ist einem ethisch-gleichgültigen Automatismus überlassen. Wie könne da soziale Gerechtigkeit zur Geltung kommen?“[27]

Das dritte regulierende Prinzip ist die Wirtschaftsrechnung und meint aus heutiger Sicht „externe Effekte“ – einzelwirtschaftliche Entscheidungen führen zu gesamtwirtschaftlichen Schäden.[28] An letzter Stelle verweist er auf das anomale Verhalten des Angebots und geht der Frage nach, wie Lohndruck und Preisverfall aufzuhalten sind. Grundsätzlich plädiert er dafür, dass bei Einhaltung der konstituierenden Prinzipien solche Situationen nicht eintreffen werden. Wenn aber doch, so kann die Einführung von Mindestlöhnen dagegen wirken.[29]

Die Ordnungstheorie Euckens umfasst nicht nur die oben besprochene Wirtschaftsordnung. Er spricht vielmehr von der Interdependenz der Ordnungen, was zum einen weitere Teilordnungen einbezieht, wie Gesellschaft und Politik und zum anderen die gegenseitige Abhängigkeit und Einflussnahme aller Teilordnungen untereinander meint.[30] Schließlich differenziert er zwischen gewachsenen und gesetzten Ordnungen:

„Gewachsene Ordnungen sind solche, die sich im historischen Geschehen ohne bewußte Entscheidung bilden. Gesetzte Ordnungen sind solche, die auf Grund einer wirtschaftspolitischen Gesamtentscheidung ein Ordnungsprinzip in einer Wirtschaftsverfassung zur Geltung bringen.“[31]

Walter Euckens Idee eines ordnungspolitischen Wirtschaftsrahmens gab den theoretischen Ausschlag für die Wirtschaftspolitik der späten 1940er und 1950er Jahre Westdeutschlands, die mit dem Begriff Soziale Marktwirtschaft fester Bestandteil deutscher Wirtschaftspolitik wurde.[32]

3 Konzeptionen der Marktwirtschaft

3.1 Die Soziale Marktwirtschaft – Hintergründe, Akteure, Merkmale

Während der Nachkriegszeit befand sich die deutsche Ökonomie in einem kritischen Zustand. Auch die von den Alliierten geführten planwirtschaftlichen Strukturen ermöglichten keine ökonomische Rekonvaleszenz.[33] Altbundeskanzler Ludwig Erhard nennt in seinem Werk „Wohlstand für Alle“ von 1957 markante Eckdaten der wirtschaftlichen Ausgangslage des vereinigten Wirtschaftsgebiets[34]: Die Industrieproduktion fiel im Jahr 1947 um rund 60 Prozent geringer aus, als im Jahr 1936. Eine Folge der immens hohen Kriegskosten und Aufrüstungsfinanzierung im Verlauf des Zweiten Weltkriegs war die Inflation. Diese führte wiederum dazu, dass Produzenten ihre Waren nicht auf dem Markt anboten, sondern in ihren Lagern deponierten – der Schwarzmarkt hatte Hochkonjunktur. Erhard fasst zusammen: „Wir waren in Zustände eines primitiven Naturalaustausches zurückgesunken.“[35]

Vor diesem Hintergrund gelang es dem 1948 gewählten Direktor der Verwaltung für Wirtschaft in der Bizone, Erhard, eine partielle Wirtschaftsreform parallel zu einer von den Alliierten der amerikanisch-britischen Besatzungszone initiierte Währungsreform durchzusetzen.[36] Das Ziel der Wirtschaftsreform lag in der Aufhebung der Mangelwirtschaft durch die Abschaffung von Bewirtschaftungs- und Preisvorschriften. Erhard konstatiert wie folgt: „Damit war ein gewaltiger Schritt in Richtung auf das Ziel der Beseitigung einer unmittelbaren Einflussnahme der Bürokratie auf die Wirtschaft getan.“[37] Grund für dieses ordnungspolitische Vorgehen des Wirtschaftsministers hält der Wirtschaftshistoriker Volker Hentschel fest: „Damals [1947] kam er [gemeint ist Erhard] mit den wissenschaftlichen Verfechtern des Ordoliberalismus in engere Berührung und wurde von deren Lehren wirkungsvoll ergriffen. Seitdem empfand er sich als Ordoliberaler.“[38]

Neben Erhard als ausführende Kraft ist auch der Nationalökonom Alfred Müller-Armack primärer Akteur der Sozialen Marktwirtschaft, auch, weil Terminus und inhaltliche Ausprägung auf ihn zurückzuführen sind. In seinem 1947 veröffentlichten Werk „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ verwendet Müller-Armack erstmalig diese Formulierung, um somit einen dritten wirtschaftspolitischen Weg zu beschreiben. In der Sozialen Marktwirtschaft sollen, abseits von Wirtschaftslenkung und einer reinen liberalen Marktwirtschaft, die Vorteile einer Marktwirtschaft mit sozialpolitischen Aspekten verknüpft werden.[39] Der Autor führt dazu aus:

„Es bedeutet dies (…), daß uns die Marktwirtschaft notwendig als das tragende Gerüst der künftigen Wirtschaftsordnung erscheint, nur, daß dies eben keine sich selbst überlassene, liberale Marktwirtschaft, sondern eine bewußt gesteuerte, und zwar sozial gesteuerte Marktwirtschaft sein soll.“[40]

Eine sozial gesteuerte Marktwirtschaft bedeutet, im Kontrast zu einer Lenkungswirtschaft, dass seitens der Wissenschaft wirtschaftspolitische Maßnahmen entwickelt werden sollen, „deren Anwendung mit den Spielregeln des Marktes verträglich“ sind, so Müller-Armack weiter.[41] Grundvoraussetzung solcher Maßnahmen ist, dass diese „marktgerecht“ sind, sich also ohne eine Gefährdung der Wirtschaftsprozesse vollziehen.[42] Im Fokus einer sozial gesteuerten Marktwirtschaft steht also ein Staat, der die Realisierung, Sicherung, Erhaltung und gegebenenfalls Korrektur von Marktfunktionen zu verantworten hat.[43]

In einem von den Hauptakteuren, Erhard und Müller-Armack, 1972 veröffentlichten Werk mit dem Titel „Soziale Marktwirtschaft“ fassen sie den Grundsatz der selbigen zusammen:

„In ihr vereinigen sich das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs innerhalb einer vom Staate gegebenen und gesicherten Rahmenordnung. Das bedeutet: Auf der Grundlage der Wettbewerbswirtschaft erbringt die freie Entschlußkraft des einzelnen in einem von ihm frei erwählten Betätigungsfeld eine marktwirtschaftliche Leistung; die dazu gehörende Rahmenordnung sichert diesen Wettbewerb und zugleich die Umsetzung dieser Einzelleistung in einen allen zugute kommenden gesellschaftlichen Fortschritt sowie ein vielgestaltiges System sozialen Schutzes für die wirtschaftlich schwachen Schichten.“[44]

[...]


[1] vgl. Kolev 2013

[2] Plickert 2010: 29 f.

[3] Plickert 2010: 32

[4] Kolev 2013: 4

[5] vgl. Plickert 2010

[6] Butterwegge et al. 2008: S. 13 f.

[7] ebd.

[8] vgl. Plickert 2008

[9] vgl. Walter Eucken Institut e.V. Online k.A. a/ Hierzu: Pies, Ingo 2001: Eucken und von Hayek im Vergleich. Walter Eucken Institut (Hrsg.), Band 43. Tübingen: Mohr Siebeck

[10] Weitere Zentren sind: Wien, London und Chicago. vgl. Plickert 2008

[11] vgl. Walter Eucken Institut e.V. Online k.A. b

[12] vgl. Kolev 2013

[13] Eucken 1952/ 2004: 242

[14] vgl. Walter Eucken Institut e.V. Online k.A. c

[15] Kolev 2013: 22

[16] vgl. Eucken 1952/ 2004: 336 f.// vgl. Kolev 2013

[17] Kolev 2013: 13

[18] Eucken 1952/ 2004: 246

[19] vgl. Eucken 1952/ 2004

[20] Eucken 1952/ 2004: 257

[21] vgl. Eucken 1952/ 2004

[22] vgl. Kolev 2013// vgl. Eucken 1952/ 2004

[23] Eucken 1952/ 2004: 280

[24] vgl. Eucken 1952/ 2004

[25] ebd. // vgl. Kolev 2013

[26] Eucken 1952/ 2004: 291

[27] Eucken 1952/ 2004: 300

[28] Kolev 2013: 30

[29] Eucken 1952/ 2004: 303 f.

[30] vgl. Kolev 2013/ Eucken 1952/ 2004

[31] Eucken 1952/ 2004: 373

[32] vgl. Horn 2010

[33] vgl. Hentschel 1999

[34] Gemeint ist damit der Zusammenschluss der amerikanischen und der britischen Besatzungszone, 1947, die im weiteren Verlauf auch Bizone genannt wird. vgl. Haunhorst k.A.

[35] Erhard 1997/ 1957: 20

[36] vgl. Erhard 1997/ 1957

[37] Erhard 1997/ 1957: 20 f.

[38] Hentschel 1999: 21

[39] Hentschel 1999: 21

[40] Müller-Armack 1947: 88

[41] Müller-Armack 1947: 93

[42] ebd.

[43] ebd.

[44] Erhard; Müller-Armack 1972: 43

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Eucken 2.0. Ein Analogieschluss über den Ordoliberalismus, die Soziale Marktwirtschaft und die Ökosoziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Politische Theorie)
Veranstaltung
Liberalismus
Note
1,5
Autor
Jahr
2016
Seiten
28
Katalognummer
V353089
ISBN (eBook)
9783668393042
ISBN (Buch)
9783668393059
Dateigröße
616 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ordoliberalismus, Soziale Marktwirtschaft, politische Theorie, Eucken, Ökosoziale Marktwirtschaft, Club of Rome
Arbeit zitieren
Friederike Stange (Autor:in), 2016, Eucken 2.0. Ein Analogieschluss über den Ordoliberalismus, die Soziale Marktwirtschaft und die Ökosoziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353089

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