"Ist er wirklich wieder da?" Entwicklung von Geschichtsbewusstsein und Handlungskompetenzen anhand des Films "Er ist wieder da"

Entwurf einer Unterrichtsreihe für eine 9. Klasse


Unterrichtsentwurf, 2016

16 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Einstieg
2.2 Erarbeitung
2.3 Ergebnissicherung

3. Schlussbetrachtung

4. Literatur

5. Anhang
5.1 Verlaufsskizze der Unterrichtsreihe
5.2 Arbeitsmaterial I - Herstellen historischer Bezüge
5.3 Arbeitsmaterial II - Unterscheiden dokumentarischer Mischformen

1. Einleitung

„Ich warüberrascht, wie viele Menschen, die wir in ganz Deutschland ge-filmt haben, mit Hitler einer Meinung waren, dass Deutschland wieder eine starke, führende Hand braucht, anstatt eine Demokratie, in der immer nur über alles diskutiert wird. […] Die Mitte unserer Gesellschaft rückt näher nach rechts. Wenn durch den Film Leute anfangen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen oder darüber zu reden, hat der Film in meinen Augen viel erreicht.“1

Die Intention des Films Er ist wieder da, die hier der Regisseur David Wnendt preisgibt, überschneidet sich mit Anforderungen an den Lernbereich Gesellschaftslehre in der Sekundarstufe I an Gymnasien in NRW:

„Die Fächer Erdkunde, Geschichte und Politik/ Wirtschaft […] leisten einen fachspezifischen und fachübergreifenden Beitrag zur Entwicklung von Kom- petenzen, die für das Verstehen gesellschaftlicher Wirklichkeit sowie für das Leben und die Mitwirkung in unserem demokratisch verfassten Gemeinwesen benötigt werden. Durch die Aufarbeitung historischer, räumlicher, politi-scher, gesellschaftlicher undökonomischer Bedingungen […] legt der Fach- unterricht Grundlagen, die die Lernenden dazu befähigen sollen, sich in ihrer Lebenswirklichkeit zu orientieren sowie kompetent zu urteilen und zu han-deln.“2

Diese Arbeit soll sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit sich der am 8. Oktober 2015 erschienene Film Er ist wieder da als Vehikel für SchülerInnen eignet, vergangene und gegenwärtige Gegebenheiten zu reflektieren und ausgehend von der Frage „Ist er wirklich wieder da?“, die Jugendlichen für rechtsextreme Entwicklungen in der Gegenwart zu sensibilisieren. Hierzu wird im Folgenden ein Unterrichtsreihenentwurf zu der Frage vorgelegt, ob sich die Geschichte wiederholen könnte.

Das übergeordnete Lernziel der Reihe ist, dass sich die Lernenden eine „mündige und verant- wortungsbewusste Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie an demokratischen Willensbil- dungs-und Entscheidungsprozessen“ aneignen.3 Hierbei steht der Erwerb eines ausgeprägten Geschichtsbewusstseins der SchülerInnen im Vordergrund, welches den Jugendlichen nach und nach klar macht, dass Geschichte sich nicht durch passive Kräfte oder ähnliches einfach ereig- net, sondern dass die individuellen Akteure zu jeder Zeit Mitverantwortung für die Entwicklung und Gestaltung ihrer Lebenswirklichkeit tragen. In der Handlung von Er ist wieder da taucht Adolf Hitler plötzlich im heutigen Berlin wieder auf. Der Diktator, den die Menschen für einen Comedian halten, wird zum beliebten Medienstar und verbreitet seine Ideologie. Der Film lässt sich als semi-dokumentarisch4 beschreiben, weil er teilweise echte Aufnahmen nutzt. Die Un- tersuchung dieser filmischen Mittel ist ebenfalls Unterrichtgegenstand der folgenden Reihe.

2. Hauptteil

Er ist wieder da hat eine Altersfreigabe von zwölf Jahren, das „Filmpädagogische Begleitma- terial“ der Konstantin Film Verleih GmbH empfiehlt allerdings den Film für Jugendliche ab 16 Jahren.5 Auch ich halte SchülerInnen dieser Altersklasse für angemessene Rezipienten, da die Thematik eine gewisse emotionale Reife voraussetzt. Geeignet für die Durchführung der fol- genden Unterrichtsreihe ist die Arbeit mit einer Gymnasialklasse der Stufe neun, welche zuvor eines der Inhaltsfelder über Nationalsozialismus und den Zweiter Weltkrieg mit einem der Schwerpunkte „Das nationalsozialistische Herrschaftssystem“, „Entrechtung, Verfolgung und Ermordung europäischer Juden, Sinti und Roma und Andersdenkender zwischen 1933 und 1945“ oder „Vernichtungskrieg“ im Unterricht durchgenommen hat.6 Da die Rahmenvorgaben für die politische Bildung in dieser Altersklasse im Fach Geschichte die Sicherung und Weiter- entwicklung der Demokratie vorsehen, scheint die Reihe geeignet.7 Die Unterrichtsreihe „Ist er wirklich wieder da?“ umfasst acht Unterrichtsstunden.

2.1 Einstieg

Stunden 1-3

In den ersten drei Unterrichtsstunden sehen die SchülerInnen sich den Film an.

Stunde 4

Um die Aufmerksamkeit der Lernenden nach der Rezeption des gesamten Filmes wieder zu fokussieren, wähle ich als methodischen Einstieg in der vierten Stunde die erneute Vorführung einer exemplarischen Szene. Adolf Hitlers Talkshowauftritt (1:00:10) eignet sich hervorragend, um die Jugendlichen zu aktivieren und ihr Interesse am Thema zu wecken, da er eine irritierende Wirkung hat. Das seriöse Auftreten der Figur in Verbindung mit dem Vorwissen der Schüle- rInnen über die monströsen Verbrechen des Nationalsozialismus, welche in der Unterrichtsreihe zuvor ausführlich behandelt wurden, provozieren bei den Jugendlichen beim Anschauen der Szene verschiedene Emotionen und Reaktionen. Diese werden anschließend im Plenum gesammelt. Hierbei steht der Kompetenzerwerb „sozial-interaktiver und emotionaler Strukturiertheit“8 im Vordergrund, bei dem die NeuntklässlerInnen lernen ihren eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, aber auch denen ihrer MitschülerInnen Raum zu geben und sie respektvoll zu diskutieren. Jeder schreibt, nachdem sie oder er Eindrücke zu dem gezeigten Filmausschnitt artikuliert hat, ein prägnantes Adjektiv an die Tafel, sodass die Vielfalt der Reaktionen visuell erfahrbar wird. Darüber hinaus wird durch die Inszenierung der Figur Hitlers in einer Talkshow, ein Bezug zur Lebenswelt der SchülerInnen hergestellt.9

Ähnlich zu kontrafaktischen Szenarien, bei denen sich Autoren mit alternativen „Versionen der Vergangenheit“ befassen, „bei denen die Änderung eines einzelnen Ereignisses auf der Zeit- achse zu einem anderen als dem führt, das sich tatsächlich ereignet hat“10, wird die historische Person Hitler in ein fiktives Szenario der realen Gegenwart der SchülerInnen eingefügt. Das erklärte Ziel „alternativer Geschichtsschreibung“ ist es, „in der Geschichte, die allzu oft als Spiel anonymer Kräfte dargestellt werde“, den „individuellen Akteur wieder zu ihren Rechten zu verhelfen“11. Der Zweck liege darin, den offenen Charakter geschichtlichen Wandels12 zu betonen und gegen den Eindruck anzugehen, alle historischen Entwicklungen seien unvermeid- bar gewesen.

Nun hat der Film Er ist wieder da nicht im Entferntesten den Anspruch denkbare Argumenta- tionsketten zu liefern, wie die Geschichte nach Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933 hätte aus- gehen können. Seine unmögliche Prämisse, dass Hitler im Jahr 2008 in Berlin, quasi als Zeit- reisender wiederauftaucht, führt aber zu einer Verlagerung ebendieser Frage ins hier und heute der Jugendlichen. Ausgehend von diesen, dem Geschichtsbewusstsein der SchülerInnen förder- lichen Überlegungen entwickeln sie die Problemstellungen, die zu der Frage führen: „Ist er wirklich wieder da?“. Dieser überspitze Titel der Unterrichtsreihe beinhaltet die Auseinander- setzung mit biografischen Bezügen, filmischen Mitteln, Aktualität des Themas und schließlich der Frage, ob sich die Geschichte des Faschismus in der gegenwärtigen Bundesrepublik Deutschland wiederholen könnte.

2.2 Erarbeitung

Stunde 5

Nach der Präsentation und einer ersten Auseinandersetzung mit dem Stoff im Unterrichtsge- spräch soll in der fünften Stunde der Schwerpunkt auf dem Erwerb von basalem Wissen über historische Ereignisse und Personen, sowie über ideengeschichtliche Vorstellungen liegen.13 Durch die Beschäftigung mit geschichtlichen Ereignissen, die in dem Film thematisiert werden, sollen die SchülerInnen erkennen, dass „Vergangenes Geschehen mit ihrer Gegenwart zusam- menhängt, auf ihr Leben einwirkt und für die Zukunft Bedeutung hat.“14 Der Geschichtsunter- richt in den Jahrgangstufen sieben bis neun hat die Benennung von „Schlüsselereignissen“ und die Erkennung charakteristischer „Merkmale einzelner Epochen und Gesellschaften“ als Kom- petenzerwartungen.15 Als Methode um dies zu erreichen, wähle ich Kleingruppenarbeit. Die NeuntklässlerInnen ziehen blind Zettel, auf denen in dem Film thematisierte historische Bezüge stehen.16 So beispielsweise ein Zitat aus dem Film, wo die Figur Hitler das „Schicksal“ für seine Wiederkehr verantwortlich macht und die rhetorische Frage stellt: „Wen sonst hätte die Vor- hersehung zurückholen sollen?“17 Die SchülerInnen beantworten durch ausgiebige Internet- und Buchrecherche zentrale historische Fragen wie „Was ist gewesen, warum ist es geschehen, woher wissen wir davon“, oder „was hat das für uns zu bedeuten?“18 In Fall des oben genannten Beispiels können die Jugendlichen Fakten über die Vorstellung des historischen Hitlers sam- meln, der glaubte, das deutsche Volk habe ihn auserkoren und er selbst handele nach dem Wunsch einer „Vorhersehung“, nach welcher das deutsche Volk über alle anderen herrschen werde.19 Um weitere Beispiele zu nennen, recherchiert eine andere Gruppe Informationen zu den NS-Zeitungen Völkischen Beobachter und Stürmer 20, welche im Film kurz genannt werden (0:14:33.) Eine nächste Gruppe sammelt Informationen zur sogenannten „stummen Wut“ und dem Filmzitat, in Deutschland herrsche „Eine Unzufriedenheit mit den Zuständen, die mich [Hitler] an 1930 erinnerte. Nur dass es damals noch nicht dieses treffende Wort gab: Politik- verdrossenheit.“ (0:31:34)21.

Bewusst handelt es sich bei den Zetteln, die die SchülerInnen losen nur um Impulse. Hierdurch soll die zunehmende Selbstständigkeit der Lernenden angebahnt werden.22 Die ausgewählten Filmzitate dienen lediglich als „Fixpunkte“23, damit die Ausgangsfragen nicht in Vergessenheit geraten. Diese projektartige Unterrichtssequenz findet ihren Abschluss in Kurzreferaten. Die Lerngruppen stellen die historischen Sachverhalte „problemorientiert und adressatengerecht medial dar und präsentieren diese“24. Ein adäquates Präsentationsmittel, sei es eine Overhead- Projektor-Folie oder ein Plakat, dürfen die SchülerInnen dabei selbst wählen. Nach jedem Re- ferat kleben die Gruppen ihren jeweiligen Zettel mit dem Filmzitat an eine zuvor von der Lehr- kraft an der Wand befestigten Zeitstrahl. Die SchülerInnen erhalten so einen „grobchronologi- schen“25 Überblick, angefangen bei der Zeit im Herbst 1929, als die Weltwirtschaftskriese und die damit verbundene Arbeitslosigkeit den Aufstieg der Nationalsozialisten begünstigte, über die Niederlage bei Stalingrad bis hin zu Hitlers Selbstmord.

Stunde 6

Eine weitere Aufgabe des Geschichtsunterrichts ist die Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins. Daher legt die sechste Stunde den Fokus darauf, ein „Bewusstsein für die Unterscheidung von ‚real‘ und ‚fiktiv‘“26 bei den SchülerInnen zu schaffen. Laut Lehrplan NRW beschreibt der Begriff „Geschichtsbewusstsein“ die

jeweilige Mischung aus Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartserfahrungen und Zukunftserwartungen, wie sie Individuen und Kollektive herausbilden und entwickeln. Das vorhandene Geschichtsbewusstsein ist insbesondere charakterisiert durch die Ausprägung von Zeitbewusstsein (‚gestern - heute - morgen‘), Wirklichkeitsbewusstsein (‚real - fiktiv‘) und Historizitätsbewusstsein (‚statisch‘-‚veränderlich‘).27

Nachdem sich also in der vorherigen Stunde, wie oben beschrieben, die NeuntklässlerInnen ein chronologisches Bewusstsein durch ihre Recherche und die visuelle Verortung der Ereignisse im Zeitstrahl angeeignet haben, soll es nun darum gehen, den Inszenierungsstil des Films ge- nauer zu betrachten.

[...]


1 Stiletto, Filmpädagogisches Begleitmaterial, S. 3.

2 Kernlehrplan für das Gymnasium, S. 12.

3 Ebenda.

4 Vgl. Stiletto, Filmpädagogisches Begleitmaterial, S. 7.

5 Vgl. Stiletto, Filmpädagogisches Begleitmaterial, S. 2.

6 Kernlehrplan für das Gymnasium, S. 31.

7 Vgl. Kernlehrplan für das Gymnasium, S. 34.

8 Kernlehrplan für das Gymnasium, S. 20.

9 Vgl. Von Reeken, Verlaufsformen, S. 262.

10 Evans, Veränderte Vergangenheiten, S. 11.

11 Evans, Veränderte Vergangenheiten, S. 59.

12 Vgl. Black, What If? Counterfactualism and the Problem of History, S. 6. 4

13 Vgl. Kernlehrplan für das Gymnasium, S. 18.

14 Kernlehrplan für das Gymnasium, S. 18.

15 Kernlehrplan für das Gymnasium, S. 28.

16 Vgl. Anhang Arbeitsmaterial I.

17 Ebenda.

18 Hug, Geschichtsunterricht in der Praxis der Sekundarstufe I, S. 113.

19 Vgl. Stiletto, Filmpädagogisches Begleitmaterial, S. 6.

20 Anhang Arbeitsmaterial I.

21 Ebenda.

22 Vgl von Reeken, Verlaufsformen, S. 266.

23 Von Reeken, Verlaufsformen, S. 115.

24 Kernlehrplan für das Gymnasium, S. 29.

25 Kernlehrplan für das Gymnasium, S. 28.

26 Kernlehrplan für das Gymnasium, S. 16.

27 Ebenda.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
"Ist er wirklich wieder da?" Entwicklung von Geschichtsbewusstsein und Handlungskompetenzen anhand des Films "Er ist wieder da"
Untertitel
Entwurf einer Unterrichtsreihe für eine 9. Klasse
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Didaktik der Geschichte)
Veranstaltung
Proseminar: Einführung in die Didaktik der Geschichte
Note
2,0
Jahr
2016
Seiten
16
Katalognummer
V352985
ISBN (eBook)
9783668392939
ISBN (Buch)
9783668392946
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichtsdidaktik, Unterrichtsreihenentwurf, Geschichtsbewusstsein, Handlungskompetenzen, Hiltler, Film, Er ist wieder da
Arbeit zitieren
Anonym, 2016, "Ist er wirklich wieder da?" Entwicklung von Geschichtsbewusstsein und Handlungskompetenzen anhand des Films "Er ist wieder da", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/352985

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