Impulse der Erlebnispädagogik für eine ökosystemische Heilpädagogik


Hausarbeit, 2004

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Gliederung

1 Darlegung des Fragehorizonts und des Erkenntnisinteresses

2 Darstellung der Grundlagen und Lernmodelle der Erlebnispädagogik
2.1 Was ist Erlebnispädagogik?
2.2 Lernen im Konzept der Erlebnispädagogik
2.2.1 Wie ist Lernen in den Konzepten der Erlebnispädagogik charakterisiert?
2.2.2 Welche Ziele verfolgt Erlebnispädagogik?
2.2.3 Lern- und Wirkungsmodelle der Erlebnispädagogik

3 Anthropologischen Grundannahmen in der Heil- und der Erlebnispädagogik
3.1 Warum überhaupt die Frage nach der Anthropologie?
3.2 Die Grundannahmen einer ökologisch orientierten Heilpädagogik
3.2.1 Ein Wort zuvor: Warum Specks Darlegungen?
3.2.2 Die anthropologischen Grundaussagen Specks in Thesenform
3.3 Die anthropologischen Grundannahmen der Erlebnispädagogik
3.4 Schlussfolgerungen

4 Erlebnispädagogische Arbeit in heilpädagogischen Feldern – Welche Impulse hat die Erlebnispädagogik für die Heilpädagogik?

5 Zusammenfassung

6 Literatur

7 Erklärung

1 Darlegung des Fragehorizonts und des Erkenntnisinteresses

In meiner beruflichen Praxis bin ich auf der Suche nach einen (didaktischen) Konzept, das hilft meinen Anspruch bei Jugendlichen „Stärken zu stärken“ umzusetzen. Über verschiedene „Zufälle“ bin ich in Kontakt mit Methoden der Erlebnispädagogik gekommen, die in mir eine Ahnung geweckt haben, wie Lernen (und Lehren) funktionieren kann, das wirklich an den Voraussetzungen des Einzelnen ansetzt, das mit Stärken arbeitet und vermittelt, dass das Risiko Leben gewagt werden kann – trotz aller Fragezeichen und Schwierigkeiten. Besonders anziehend ist für mich dabei die Abkehr von rein kognitiven Vermittlungsformen hin zu einem Einbezug des Körpers in den Lernprozess. Eine Begründung dieser Ahnungen und Eindrücke fehlt mir bislang und lässt sich in der erlebnispädagogischen Literatur auch nur bruchstückhaft finden.

Ein anderer Zugang zu diesem Thema verläuft über das Studium des Studienbriefs von Otto Speck 1994. Das dargelegte Konzept einer Pädagogik, die auf die Lebenszusammenhänge schaut und die die Spannungsverhältnisse zwischen Individuum und Umwelt wahrnimmt, die den Menschen als Person betrachtet und nicht etikettiert beeindruckt mich, besonders das Wortbild des „heimisch werdens“: Pädagogik kann helfen, dass ein Mensch bei sich selbst zu Hause ist – und so Leben gelingen kann.

Die von mir wahrgenommene Nähe von Erlebnispädagogik und ökosystemischer Heilpädagogik ist der Ausgangspunkt dieser Arbeit. Sie soll klären, welche Ziele mit erlebnispädagogischen Arbeitsweisen erreicht werden können, welche Annahmen von dem, was der Mensch ist, mit diesen Methoden und Arbeitsprinzipien vermittelt werden, und wie Lernen in erlebnispädagogischer Konzeption „funktioniert“. Diese Klärung möchte ich zum einen der heilpädagogischen Anthropologie Specks gegenüber stellen und zum anderen nach konkreten Impulsen der Erlebnispädagogik für heilpädagogische Handlungsfelder fragen.

2 Darstellung der Grundlagen und Lernmodelle der Erlebnispädagogik

2.1 Was ist Erlebnispädagogik?

Die moderne Erlebnispädagogik (ein Rückblick auf den „geistigen Vater“ Kurt Hahn findet sich z.B. bei Heckmair/Michl 1993, S. 17f) kann ein wachstumsorientiertes Konzept für selbstorganisiertes, ganzheitliches, erlebnisorientiertes und handlungsorientiertes Lernen vorlegen (vgl. Reiners 2003, S. 12; Gilsdorf 1999a; siehe auch die Definitionsversuche von Heckmair/Michl; Senninger; u.a). Dieses Konzept ist kein einheitliches, theoretisch gegründetes didaktisches Modell; mehr ein Praxismodell mit gemeinsamen Zielhorizont und Methoden und vielfältigen Ausdrucksformen. Gemeinsam ist auch der Anspruch „Kopf, Herz und Hand“ im Lernprozess gleichberechtigt zu fordern und zu fördern. Eine wichtige Rolle spielen psychische, physische und soziale Herausforderungen. Ziel ist die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und die Befähigung zur verantwortlichen Gestaltung der Lebenswelt. Eine besondere Rolle spielt das Soziale Lernen, so zielen erlebnispädagogische Aktionen meist auf Gruppen ab. Im Mittelpunkt steht jedoch immer das subjektive und intensive Erleben des Einzelnen mit sich selbst und den anderen: "Erlebnisse sind (...) Ausgangssituation für ein selbstbewusstes Lernen. Nur wenn Erlebnisse auch reflektiert werden, lassen sich Erkenntnisse gewinnen und Erfahrungen sammeln. Indem das Erlebte mit der eigenen Lebenssituation in Verbindung gebracht wird und die TeilnehmerInnen daraus neue Visionen und Ziele formulieren können, grenzt sich die Erlebnispädagogik von bloßem Erlebniskonsum ab." (Senninger, S. 7). Die Erlebnisse treffen den Einzelnen im Kern seiner Persönlichkeit (vgl. Reiners 2003, S. 15). Weitere Voraussetzungen, um erlebnispädagogische Aktionen von reiner „action“ abzugrenzen, sind die pädagogisch gesetzten Rahmenbedingungen mit ihren intendierten Zielen und Verantwortungs- und Unterstützungsstrukturen.

Erlebnispädagogik umfasst sowohl natursportliche Aktivitäten (Segeln, Kanu fahren, Höhlenklettern, Bergwandern und vieles mehr), wie auch Problemlöseaufgaben und inszenierte „Abenteuer“ (z.B. in den Kooperativen Abenteuerspielen) und auch Aktionen im musisch- kulturellen, künstlerischen Bereich. Entsprechend unterschiedlich sind die konkreten Orte, an denen Erlebnispädagogik stattfindet: sowohl das alltägliche Umfeld der Menschen wie auch die Natur in all ihren Erscheinungsweisen. Gemeinsam ist ihnen das Erleben von Gemeinschaft und Herausforderung „im Rahmen von aktiver körperlicher Tätigkeit“ (Michl 1994, S. 6).

2.2 Lernen im Konzept der Erlebnispädagogik

2.2.1 Wie ist Lernen in den Konzepten der Erlebnispädagogik charakterisiert?

Nach Reiners 2003, S. 14 bedeutet erlebnispädagogisches Lernen ein "ganzheitliches Erleben", in dem die kognitiven, emotionalen und vor allem aktionalen Lernebenen angesprochen werden. Dabei steht der (Lern-)prozess im Mittelpunkt. Angestrebt ist ein Transfer der in erlebnispädagogischen Aktionen gemachten Erlebnisse in für den Alltag bedeutsame Erfahrungen. Aus diesem Grund werden erlebnispädagogische Aktionen mit einer hohen Strukturähnlichkeit zwischen Erlebnissituation und Alltagssituation geplant. Die erlebnispädagogische Aktion folgt einem pädagogischen Ziel und ist auf die Lernenden hin konzipierte Herausforderung. Wichtig ist der Aufforderungs- und Ernstcharakter der Aufgabe, der ein hohes subjektives Risiko wahrnehmen lässt. Die Grundlage für das selbstverantwortete Lernen in erlebnispädagogischen Szenarien sind die von den Lernenden selbst gesteckten Ziele.

Erlebnispädagogische Lernkonzepte sind Praxiskonzepte: Aus der Auseinandersetzung mit Anforderungen an die Praxis und der Notwendigkeit der Legitimation (gegenüber den finanzierenden Institutionen) entstanden Theorien des erlebnispädagogischen Lernens. Eine Rezeption psychologischer Lerntheorien für das Praxisfeld Erlebnispädagogik steht jedoch aus (vgl. Schödlbauer 2000, S. 118). Entsprechend ist meine Erläuterung der Charakteristika erlebnispädagogischen Lernens keine pädagogische Reflexion, sondern referiert die (gemeinsamen) Lernverständnisse verschiedener erlebnispädagogischer (Praxis-)Konzepte.

2.2.1.1 Handlungsorientiertes und reflexives Erfahrungslernen

Lernen wird verstanden als "die auf Erfahrung basierende Aneignung von Wissen und Fertigkeiten" (Senninger 2000, S. 18), in der Zusammenhänge erfasst und die Wirklichkeit real wahrgenommen und gestaltet werden kann. Durch aktives Handeln werden neue Handlungsspielräume/ -möglichkeiten erfahrbar. In der Erlebnispädagogik wird an realen Situationen, ausgehend vom aktiven Erleben der Wirklichkeit gelernt. Lernen zielt auf den Erwerb elementarer Erfahrungen durch transferfähige Erlebnisse ab, die vom Einzelnen interpretiert, persönlich bewertet und mit Alltagserfahrungen in Verbindung gesetzt und so bedeutsam für ihn werden. Durch Reflexion und Verinnerlichung wird aus dem Erlebnis Erfahrung. Den Begriff „Erfahrung“ näher zu klären, ist hier nicht der Raum. Ich verweise auf Schad 2003, S.7f; Doll 1990, S. 4f; Schad 1996).

Aufgabe der leitenden Pädagogen ist dabei Mut zu machen, Neues zu wagen, der eigenen Wahrnehmung und den eigenen Gefühlen zu trauen und neu aufscheinende Handlungsmöglichkeiten auf ihre Stimmigkeit hin zu überprüfen.

2.2.1.2 Ganzheitliches Lernen

Ganzheitliches Lernen ist Lernen, das möglichst viele Sinne anspricht und sowohl die physische, psychische, emotionale, kognitive und spirituelle Dimension des Menschen im Blick behält. Ausgangspunkt ist die subjektive Betroffenheit des Lernenden von der Herausforderung, die im Erleben der eigenen Grenzen aufscheint. Ganzheitliches Lernen meint auch, dass Gefühle Raum haben in der pädagogischen Aktion: Sie sollen wahrgenommen werden, dürfen ausgedrückt und verarbeitet werden. Das kann zu einer wertvollen Verlangsamung pädagogischer Prozesse und einer Tiefung der Erlebnisse führen.

2.2.1.3 Lernen ist emanzipatorisches und selbstverantwortetes Lernen

Selbstdefiniertes und selbstbestimmtes Handeln der Lernenden wird durch die Leitung gefördert und gestützt (Senninger 2000, S. 15), d.h. die Lernenden werden ermutigt angesichts ihrer Lebenssituation und der pädagogisch inszenierten Herauforderung eigene Ziele zu setzen und dabei Verantwortung zu übernehmen für das eigene Handeln und Lernen. Dabei haben sie die größtmögliche Entscheidungsfreiheit (zu den Grenzen dieser Freiheit siehe Schödlbauer 2000, S. 206ff). Die Lehrenden schaffen Voraussetzungen für Erlebnismöglichkeiten, in denen sich die Lernenden erproben und an ihren Zielen arbeiten können.

2.2.1.4 Soziales Lernen in der Gruppe

Durch die Aufgabenstellung erlebnispädagogischer Aktionen besteht im erlebnispädagogischen Lernen die Möglichkeit und die Notwendigkeit Kooperationsfähigkeit einzuüben. Dies kann zu einer Haltung der Solidarität führen – u.a. durch das Mit-teilen persönlicher Betroffenheit, von Erfahrungen und Gefühlen. Der Erwerb von Sozial- und Selbstkompetenz wird als wesentlicher Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung verstanden. Kommunikative Fähigkeiten, wie auch die Toleranz für Andersartigkeit und die Bereitschaft anderen zu helfen und sich helfen zu lassen werden explizit genannt (z.B. Senninger 2000, S. 19), ebenso die Fähigkeit sich selbst zu kontrollieren, Regeln einzuhalten und Kompromisse auszuhandeln. Erlebnispädagogisches Lernen zielt sowohl auf individuelles wie auch auf soziales Lernen ab, in der Auseinandersetzung mit anderen kann Selbsterfahrungslernen stattfinden.

Mit diesen letzen Ausführungen wird deutlich: Lernen in der Erlebnispädagogik zu charakterisieren geht nicht, ohne die Ziele von erlebnispädagogischen Lernen zu formulieren:

2.2.2 Welche Ziele verfolgt Erlebnispädagogik?

Eine Schwierigkeit in der Darstellung der Ziele der Erlebnispädagogik liegt darin, dass sich Erlebnisse schlecht operationalisieren lassen – wie Erlebnispädagogik auf den Einzelnen wirkt, welche Erlebnisse wirklich beim Menschen ankommen, und wie der durch seine Vorerfahrungen daraus Erfahrungen transferiert, ist nicht objektiv zu beantworten. Erlebnispädagogisches Lernen ist subjektives Lernen, die Zielerreichung nur schwer zu überprüfen. Außerdem: „Die“ Erlebnispädagogik gibt es nicht, die intendierten Lern-/Lehrziele erlebnispädagogischer Aktionen sind abhängig vom Anbieter und seinem Konzept. Dennoch versucht Schödlbauer 2000, S. 72 eine Übersicht über das Spektrum verschiedener Ziele in ihrer Zuordnung zu Einsatzfeldern und „Programmtypen“ der Erlebnispädagogik (damit sind z. B. Therapie-, Freizeitangebote, Managementtrainings etc. gemeint).

Sie identifiziert dabei folgende Zieldimensionen, die sie mit Inhalten, die häufig die Grenzen der Zieldimensionen überschreiten, füllt:

Persönlichkeitsbildende Ziele (Eigeninitiative, Selbstvertrauen, Übernahme von Verantwortung, Vertrauen, Körpererfahrung, Intellekt, Phantasie, Kritikfähigkeit, Selbstüberwindung);

Soziale und interaktive Ziele (Vertrauen, Kommunikation, Kooperation, Toleranz, Leistungsbereitschaft, Kritikfähigkeit, Erkennen von Synergieeffekten in der Gruppe, Entwicklung von Sympathie);

Gesellschaftsintegrative Ziele (Leistungsbereitschaft, ökologisches Bewusstsein, Übernahme von Verantwortung, Entwicklung von Werten, Heilung dysfunktionalen Verhaltens, Wiederherstellung von Arbeits- und Sozialfähigkeit);

Spirituelle oder religiöse Ziele (sich auf einen Weg machen, Suche; Rituale etablieren, Werte entwickeln, spirituelle Haltung zur Natur entwickeln, Initiation, Übergangsphasen gestalten, Transzendenzerfahrungen);

Gilsdorf bleibt in seiner Darstellung der erlebnispädagogischen Zielperspektive weiter und benennt zugleich deutlicher: "Grundlegende Themen jeglicher Entwicklung sind die Suche nach der eigenen Identität und nach Möglichkeiten einer sinnvollen und befriedigenden Lebensgestaltung. Die pädagogische Zielrichtung, die sich aus dieser Erkenntnis ableitet, wird am besten durch den Begriff Empowerment auf den Punkt gebracht. Dabei geht es um so vielfältige Dinge wie das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Wahrnehmung und Akzeptanz der eigenen Gefühle, die Fähigkeit intensiv zu erleben und zu genießen, den Mut sich mit Neuem und Unbekanntem auseinander zusetzen und die Sicherheit, dem eigenen Urteil zu vertrauen und eigene Entscheidungen zu treffen. Genau darum geht es der Erlebnispädagogik: Menschen stark zu machen, gerade auch in der Konfrontation mit schwierigen Situationen." (Gilsdorf 1999a, S. 17)

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Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Impulse der Erlebnispädagogik für eine ökosystemische Heilpädagogik
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V35194
ISBN (eBook)
9783638351881
ISBN (Buch)
9783640442218
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Impulse, Erlebnispädagogik, Heilpädagogik
Arbeit zitieren
Heike Kellner-Rauch (Autor:in), 2004, Impulse der Erlebnispädagogik für eine ökosystemische Heilpädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35194

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