Fehlende Chancengleichheit und Identifikation - "linke" Kritik am Pluralismus


Seminararbeit, 2004

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1. Ansätze linker Pluralismuskritik
2.1.1. Die Kritik Claus Offes
2.1.2. Die Kritik Robert Paul Wolffs
2.2. Positionen der Gegenkritik
2.3. Klassiker der Pluralismustheorie
2.3.1. Die Konzeption Ernst Fraenkels
2.3.2. Die Konzeption David B. Trumans

3. Konklusion

1.Einleitung

Das System in dem wir leben, das der Bundesrepublik Deutschland, wird gewöhnlich als pluralistische Demokratie bezeichnet. Pluralismus, im Gegensatz zu Monismus oder Totalitarismus enthält für den Großteil der Menschen positive Konnotationen; er wird assoziiert mit Freiheit, Opposition, Vielfalt der Meinungen und der Möglichkeit der Einflussnahme aller Bürger. Nichtsdestotrotz wurde, verstärkt in den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch die Generation der Neuen Linken, Kritik laut an diesem Konzept der Toleranz. Die Ansatzpunkte der Kritiker waren zahlreich und reichten vom Vorwurf der Elitenherrschaft und der Oligarchisierung bis zu einer Diskreditierung des Pluralismus als Instrument zur Verschleierung der Kapitalherrschaft.[1] Viele dieser Ansätze sind heute entweder nicht mehr in der Diskussion, widerlegt oder von der Wirklichkeit eingeholt worden. Einige Kritikpunkte sind jedoch heute noch aktuell und sollten auch im modernen Diskurs nicht ignoriert werden. Der wichtigste und stichhaltigste unter ihnen ist der Vorwurf der mangelnden Chancengleichheit der Interessen, dem ich mich in dieser Arbeit widmen werde. Noch heute haben im pluralistischen System der Willensbildung nicht alle Interessen die gleichen Chancen, Berücksichtigung zu finden, noch immer sind es Minderheiteninteressen am Rande der Gesellschaft, wie die Bedürfnisse Arbeitsloser, oder allgemeine Interessen, wie Gesundheit oder Umweltschutz, die in den Mühlen der politischen Entscheidungsfindung untergehen und in der Auseinandersetzung mit den Interessenvertretungen der organisierten Großindustrie den Kürzeren ziehen. Insofern ist es auch dreißig Jahre nach Formulierung der Kritik noch sinnvoll, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang werde ich mich schwerpunktmäßig mit der Kritik des deutschen Theoretikers Claus Offe beschäftigen, aber auch die Pluralismuskritik des amerikanischen Philosophen Robert Paul Wolff in die Analyse mit einbeziehen. Das Thema füllt insofern einen wichtigen Platz im Kontext einer Veranstaltung über Repräsentationstheorien aus, als die pluralistische Vertretung durch Interessengruppen die wichtigste Form der Repräsentation gesellschaftlicher Interessen im politischen Prozess darstellt. Die Frage, inwieweit die Vorwürfe Offes u. a. von der Empirie bestätigt wurden, soll hier nicht im Zentrum stehen und wird vorab beantwortet: Einige, jedoch längst nicht alle von Offe und anderen aufgedeckten Missstände konnten seit ihrer Artikulation in der Realität abgeschafft oder vermindert werden.

Stattdessen soll die Frage im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, inwieweit linke Pluralismuskritik überhaupt berechtigt ist und damit verbunden die Frage: Ist Chancengleichheit in der Demokratie eine utopische Kategorie, wie es von Antikritikern behauptet wird, oder sollte der Ausgleich aller Interessen in einer demokratischen Gesellschaft als Zielvorstellung dienen?

Um diese Fragen erschöpfend beantworten zu können, werde ich zunächst die Pluralismuskritik Offes und Wolffs darstellen. Anschließend sollen die Argumente der Gegenkritik, insbesondere die Kritik Kurt Sontheimers nachgezeichnet werden. Schließlich wird die Analyse der Klassiker der Pluralismustheorie eine Antwort darauf geben, inwieweit die Theorie selbst einen Anspruch auf Gleichheit der Chancen erhebt. In einem Fazit sollen alle Erkenntnisse zusammengeführt und zu einer Beantwortung der Frage ausgewertet werden.

In dieser Arbeit soll Pluralismus verstanden werden, als „ ein politisches System (…), das die offene Auseinandersetzung zwischen den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen (-verbänden, -parteien), aber auch die Konsens- und Koalitionsmöglichkeiten zwischen ihnen als einen wesentlichen Teil der politischen Willensbildung ansieht.“[2]

2. Hauptteil

2.1. Ansätze linker Pluralismuskritik

2.1.1. Die Kritik Claus Offes

Einer der bedeutendsten Ansätze der linken Pluralismuskritik ist Claus Offes Konzept der Disparität der Lebensbereiche. Im Zentrum seiner Theorie steht die These, dass Ungleichheiten bei der Befriedigung von Lebensbedürfnissen in der spätkapitalistischen Gesellschaft nicht mehr primär mit den sozioökonomischen Verhältnissen des einzelnen in Verbindung gebracht werden könnten, sondern stattdessen eine Diskrepanz bei der Befriedigung der verschiedenen Problembereiche und Bedürfnissphären des Lebens bestehe. Das „“vertikale“ System der Ungleichheit von Klassenlagen“ wird „durch ein „horizontales“ System der Disparität von Lebensbereichen“[3] abgelöst.

Offe erkennt, dass durch die im Spätkapitalismus einsetzende umfassende Regulierungstätigkeit des Staates eine Anzahl von Lebensbedürfnissen entstehen, die nicht individuell kaufbar sind, sondern von politischen Entscheidungen abhängen. „Den Mangelerscheinungen und Defekten des Gesamtsystems sind nahezu alle Bürger wenn nicht in strikt gleicher, so doch in gleichermaßen unentrinnbarer Weise ausgesetzt.“[4] Dies betrifft beispielsweise wichtige Bedürfnisse der Gesamtheit aller Bürger wie Frieden, Gesundheit, Bildung, Wohnung, Umwelt oder Verkehr. Das pluralistische System der politischen Willensbildung kreiert in diesen Bereichen eine neue Form sozialer Ungleichheit, da es nicht allen Bedürfnissen gleiche Chancen zur Artikulation bietet und bestimmte Interessen von der Einflussnahme auf die politischen Entscheidungsprozesse ausschließt.

Offes Konzept zufolge wirken in den Institutionen der politischen Willensbildung des modernen Verfassungsstaates - gemeint sind insbesondere Verbände und Parteien - Filtermechanismen, die bestimmten Interessen die Chance zur Artikulation entziehen. Dazu gehören neben der Kartellbildung im Parteiensystem, der Abflachung inhaltlicher Gegensätze in den Programmen der verschiedenen Parteien und der Abschwächung innerparteilicher Opposition auch die Durchsetzungsvoraussetzungen eines Interesses in Verbänden, die später noch genauer erläutert werden.[5]

[...]


[1] Vgl. zum Elitenvorwurf: Bachrach, Peter/ Baratz, Morton S. (1970), Power and Poverty, Theory and Practice, New York u. a., zu Verschwörungstheorien: Agnoli, Johannes/ Brückner, Peter (1986), Die Transformation der Demokratie, Frankfurt a. M.

[2] Schubert, Klaus (Hrsg.) (1997), Das Politiklexikon, Bonn, S. 212.

[3] Offe, Claus (1972), Politische Herrschaft und Klassenstrukturen. Zur Analyse spätkapitalistischer Gesellschaftssysteme, in: Kress, Gisela/ Senghaas, Dieter (Hrsg.), Politikwissenschaft. Eine Einführung in ihre Probleme, Frankfurt a. M., S. 177f.

[4] Bergmann, Joachim u. a. (1969), Herrschaft, Klassenverhältnis und Schichtung, in: Adorno, Theodor W. (Hrsg.), Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft? Verhandlungen des 16. Deutschen Soziologentages, Stuttgart, S. 81.

[5] Vgl. Offe, Politische Herrschaft und Klassenstrukturen, S. 164-175.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Fehlende Chancengleichheit und Identifikation - "linke" Kritik am Pluralismus
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Proseminar : Einführung in die politische Theorie und Ideengeschichte: Normative und Empirische Theorien politischer Repräsentation
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V35152
ISBN (eBook)
9783638351614
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fehlende, Chancengleichheit, Identifikation, Kritik, Pluralismus, Proseminar, Einführung, Theorie, Ideengeschichte, Normative, Empirische, Theorien, Repräsentation
Arbeit zitieren
Julia Rauland (Autor:in), 2004, Fehlende Chancengleichheit und Identifikation - "linke" Kritik am Pluralismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35152

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