Kopf oder Bauch? Wie wir entscheiden (sollten)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

30 Seiten, Note: 15

M. Westen (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die „alte“ Entscheidungslehre
2.1. Das Rationalitätsparadigma
2.2. Industrialisierung und Aufklärung

3. Die (Wieder-)Entdeckung von Emotion und Intuition in der Arbeitswelt
3.1. Aktuelle gesellschaftliche Umbrüche
3.2. Das Effizienzparadigma und der Vertrauensverlust in Rationalität
3.3. Die Sehnsucht nach Emotion und Intuition

4. Was sind Entscheidungen?
4.1. Grundlagen
4.2. Phasenverlaufsmodell bei Entscheidungen

5. Was sind Intuitionen?
5.1. Heuristiken – Faustregeln
5.2. Zwei-Prozess-Theorien

6. Bei welchen Entscheidungen ist Intuition besonders sinnvoll?
6.1. Selektive Wahrnehmung
6.2. Die Bedeutung der Expertise
6.3. Wann intuitive Entscheidungen fehlerhaft sein können

7. Intuition und Führung
7.1. Intuition und soziale Kompetenz
7.2. In Ausbildung investieren, Vertrauen entgegenbringen
7.3. Nutzen der „kollektiven Intelligenz“, für Ideen offen sein
7.4. Erfolg teilen, Kreativität zulassen
7.5. Ist Intuition erlernbar?

8. Das Beispiel der Nachwuchsgewinnung der Polizei Berlin unter Gesichtspunkten intuitiver Entscheidungsregeln
8.1. Das Tabuthema „Intuition“
8.2. Defensives Entscheiden
8.3. Der Einstellungstest der Polizei Berlin

9. Handlungsempfehlung und Fazit

10. Quellenverzeichnis
10.1. Literatur
10.2. Internetquellen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Zunahme der Fehltage am Arbeitsplatz aufgrund psychischer Erkrankungen seit 1997. (Kordt, 2013)

Abbildung 2: Phasenmodell bei Entscheidungen. (Bronner, 1999)

Abbildung 3: Blickheuristik: Eine einfache Faustregel, mit deren Hilfe ein Fußball-Spieler einen Ball köpft. (Berger, 2013)

Abbildung 4: Zwei Urteils- und Entscheidungssysteme. (Plessner, 2006)

Abbildung 5: Explizites (explicit) vs. Implizites (tacit) Wissen. (Thorpe, 2010)

Abbildung 6: Beispielaufgabe, wie sie in den Einstellungs- und Auswahltests für die Polizei vorkommt: Welches Bild gehört nicht zu den anderen? (o.V., 2006)

1. Einleitung

In dieser Arbeit geht es um Intuition und ihre Rolle bei Entscheidungen. Da die Arbeit als Leistungsnachweis im Fach „Führungslehre“ herangezogen werden soll, habe ich den Schwerpunkt auf die Bedeutung von Intuition im Bereich Führung von Organisationen und Unternehmen gelegt.

Zuerst werde ich einen geschichtlichen Abriss über die Entwicklung und die Kultur von Entscheidungsprozessen in Organisationen und Unternehmen geben. Dann werde ich die aktuelle Entwicklung kurz darstellen, bevor ich erkläre, warum der Ruf nach mehr Emotion und Intuition immer lauter wird. Schließlich werde ich kurz auf Grundlagen der Entscheidungslehre eingehen, bevor ich erläutere, was im speziellen unter Intuition verstanden werden kann und wann intuitive Entscheidungen hilfreich sein können. Ein Kapitel wird sich dann ausschließlich mit dem Thema Intuition im Führungskontext befassen und es wird der Frage nachgegangen, ob Intuition erlernbar ist. Zum Schluss werde ich meine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen im Hinblick auf den Auswahl- und Einstellungstest der Polizei Berlin kurz darstellen und mit der beschriebenen Thematik in Form eines kurzen Fazits verbinden.

2. Die „alte“ Entscheidungslehre

2.1. Das Rationalitätsparadigma

Emotionen und Intuitionen als Grundbausteine effektiver Führung gewinnen in der Organisation von Unternehmen und Behörden seit einigen Jahren zunehmend an Bedeutung. Dies war nicht immer so: die Ratio/der Verstand galt über Dekaden als Nonplusultra in den Führungsetagen der freien Wirtschaft sowie Organisationen, wenn es darum ging, Entscheidungen zu treffen. Vorherrschend war das sogenannte Rationalitätsparadigma[1]: es wurden aufwendige Berechnungen angestellt, Bilanzen verglichen, sorgfältig abgewägt, Kosten-Nutzen-Analysen angefertigt. Sich dagegen auf sein Bauchgefühl bzw. seine Intuition zu verlassen und vor allem, dieses Entscheidungsverhalten öffentlich zuzugeben, war in Managementkreisen verpönt. Emotionen und Intuitionen hatten in der Arbeitswelt schlichtweg nichts zu suchen, eine Entscheidung, die nicht auf der Grundlage von aufwendigen Tests und Bewertungs- sowie Beurteilungsverfahren getroffen worden war, sondern frei aus dem Bauch heraus, konnte nach allgemeinem Verständnis nichts wert sein.[2]

Auch in den Wissenschaften galt die normative Entscheidungstheorie bisher als meistbeachtetes Teilgebiet der Entscheidungslehre. Sie befasst sich mit Normen (Regeln) rationalen Handelns. Ihr zugrunde liegen hauptsächlich Rational-Choice-Ansätze, mit deren Hilfe die beste und theoretisch richtigste Entscheidung gefunden bzw. ermittelt werden soll, auch die sogenannte praktisch-normative bzw. präskriptive Entscheidungstheorie fallen unter ihren Anwendungsbereich.[3]

Ein zweites Teilgebiet der Entscheidungslehre, die deskriptive Entscheidungstheorie, stand in dem Ruf wissenschaftlich bzw. empirisch kaum überprüfbar zu sein und fristete deshalb jahrelang ein Schattendasein und wurde bestenfalls am Rande erwähnt.[4] Sie befasst sich mit dem Verhalten der Menschen, welche Entscheidungen treffen und versucht dieses zu beschreiben.

Woher aber sind die Ursprünge des Rationalitätsparadigmas zu suchen?

2.2. Industrialisierung und Aufklärung

Vor allem zu Zeiten der fortschreitenden Industrialisierung, indem die Menschen erstmals aus kleinen, ländlichen Familienbetrieben rekrutiert und massenweise in Fabriken beschäftigt wurden, stellte sich die Frage, wie die Produktivität auf ein Maximum gesteigert werden konnte. Menschen wurden ausschließlich anhand ihrer Arbeitskraft beurteilt und bewertet.[5] Mehr wurde von einem Arbeiter schlichtweg nicht erwartet und zu mehr wurde er auch nicht gebraucht.[6] Der riesige Apparat an menschlicher Arbeitskraft musste verwaltet, berechnet und beurteilt werden: „In den letzten einhundert Jahren wurde bezogen auf das Management der Schwerpunkt eindeutig auf die Hard Skills gelegt: Ratio, Vernunft, logisches und systematisches Denken.“[7]

Fröse (2015) sieht die Ursprünge dieses Paradigmas bereits in den gesellschaftlichen Umbrüchen der Aufklärung: „Die Ratio, die Vernunft wurde (…) als ein erstrebenswertes Ziel angesehen (…). Viele meinen, dass analytische Nachdenken und Berechnen sei der einzig wahre Weg der Erkenntnis.“[8] Das Aufkommen der seriösen Wissenschaften und der mit ihr einhergehenden Grundlagen der Objektivität und Validität taten ihr übriges: die Intuition, die bis dato als „...sicherste Form des Wissens (...)“[9] galt, wurde abgelöst durch Forschung, Berechnung und Analyse. Intuition galt mehr und mehr als entzaubert und wurde bestenfalls noch als Esoterik angesehen.

Hinzu kommt, dass schon weit früher das Handeln auf Grundlage von Emotionen und Intuitionen als typisch weibliche Charaktereigenschaften angesehen wurden. Als typisch männlich angesehen wurde dagegen die Fähigkeit logisch und abstrakt zu denken. Diese festgefahrenen Geschlechterzuschreibungen vermochte nicht einmal die Aufklärung zu erschüttern, „...Intuition war verdächtig und unzuverlässig, ähnlich den weiblichen Emotionen.“[10] So ist es nicht verwunderlich, dass in einer hauptsächlich männlich dominierten Arbeitswelt teilweise heute noch Emotionen und Intuitionen (vor allem in Führungspositionen) Tabu sind und eher mit Schwäche gleichgesetzt werden, als mit Stärke.

Was sind aber die Gründe, weshalb die alten Bräuche, das Festhalten an Ratio und Verstand zunehmend obsolet zu werden scheinen und Emotionen sowie Intuitionen in Führung und Organisation stetig an Bedeutung gewinnen, wo sie doch jahrzehntelang im Diskurs über richtiges Führen und Entscheiden verpönt waren?

3. Die (Wieder-)Entdeckung von Emotion und Intuition in der Arbeitswelt

3.1. Aktuelle gesellschaftliche Umbrüche

Ähnlich wie zu Zeiten der Aufklärung und der Industrialisierung befinden wir uns gegenwärtig in einer gesellschaftlichen Umbruchphase, die sich in unterschiedlichen Dimensionen abspielt. Fortschreitende Digitalisierungs- und Globalisierungsprozesse, wachsende soziale Ungleichheit, Wertewandel und eine Auffächerung (Pluralisierung) der kulturellen Lebensstile und -konzepte, kurzum „...eine gesteigerte technologische und soziale Komplexität, die mit einer funktionalen und technokratischen Führung nicht mehr zu beheben ist.“[11] Nicht zuletzt die Unberechenbarkeit und Undurchsichtigkeit der globalen Wirtschaftsentwicklung, die im Jahre 2008 in einer der größten Finanzkrisen der Geschichte mündete, ließ das Vertrauen in bewährte Rationalitätskonzepte schwinden.[12] Wandlungsprozesse vollziehen sich nicht nur auf rein gesellschaftlicher Ebene, auch Organisationen und Unternehmen, mit einer Vielzahl an Mitarbeitern, Abteilungen und Unterabteilungen, werden zunehmend komplexer und undurchsichtiger. Für Manager „...wird es immer schwieriger, die im Zuge der sozialen Differenzierung entstehenden, komplexen und hoch spezialisierten Wissenssysteme zu beherrschen.“[13]

3.2. Das Effizienzparadigma und der Vertrauensverlust in Rationalität

Dazu kommen immer höhere Anforderungen an den Arbeitnehmer – Wettbewerb und Leistungsdruck bestimmen den Alltag der Arbeitnehmer. Das sogenannte Effizienzparadigma umschreibt den Druck, dem Arbeitnehmer ausgeliefert sind: immer höhere (zumindest gleichbleibende) Gewinne werden erwartet, wobei die Kosten und Ressourcen, die für diese Gewinne investiert werden, auf ein Minimum gedrückt werden.[14]

Depressionen und Erschöpfungszustände sind heutzutage keine Einzelfälle mehr, in den letzten Jahren wurde eigens ein neues Wort für den Zustand des Ausgebranntseins aufgrund von ständiger Überforderung und Frustrationen am Arbeitsplatz erfunden: „Burnout“ - nie verzeichneten Krankenkassen mehr Fälle der psychischen Erschöpfungskrankheit, als in den letzten Jahren.[15] „Die (…) nicht logischen und oftmals nicht nachvollziehbaren Handlungen im Management, die sogenannten unbewussten Dynamiken bis hin zu Entfremdungen führen zu vergifteten Atmosphären, hohen Fluktuationen und Kündigungen.“[16] Die Folge ist: „Sicherheiten und Gewissheiten nehmen ab. Orientierungslosigkeit und Ratlosigkeit nehmen zu.[17]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Zunahme der Fehltage am Arbeitsplatz aufgrund psychischer Erkrankungen seit 1997.

3.3. Die Sehnsucht nach Emotion und Intuition

Konsequenz des Vertrauensverlustes in altbewährte Rationalitätskonzepte ist, dass eine Sehnsucht nach bzw. eine Rückbesinnung auf Emotionen und Intuitionen - und im weiteren Sinne nach einfachen Regeln des Handelns (Faustregeln), entstanden ist.[18] Ferner hat die Erkenntnis zuerst in Theorie und seit einigen Jahren auch in die Praxis von Unternehmen und deren Führungsetagen Einzug gehalten, dass das Denken ohne das Fühlen nicht vorstellbar ist, und das Fühlen ohne das Denken eben sowenig.[19] Emotionen und Intuitionen sind schlichtweg nicht wegzudenken überall dort, wo Menschen sozial interagieren, sei es in ihrer Wohnung, im Sportverein oder auf ihrer Arbeitsstelle und verdienen deshalb eine höhere Bewertung.[20] „Emotionale Reaktionen sind immer vorhanden. Sie üben logischerweise Einfluss auf die subjektiven Prozesse von Arbeitsabläufen und auf die Zusammenarbeit aus.“[21]

Es wurde festgestellt, dass Arbeitnehmer keine Maschinen sind, die computerähnlich programmierbar sind und je nach Programm Leistung und Ideen erbringen. Vielmehr sind es gerade die Gefühle und intuitiven Entscheidungen der Führungskräfte, als auch der Mitarbeiter, die dem Unternehmen einen Mehrwert erbringen können. Um wettbewerbsfähig zu bleiben muss ein Unternehmen ständig innovativ und wandelbar sein. Schlüssel zu dieser Wandelbarkeit sind Kreativität und Innovationen, für die wiederum Emotionen und Intuition unabdingbar, da sie untrennbar miteinander verbunden sind.[22]

Auch eine Organisation wie die Polizeibehörde, die zwar nicht in direkter Konkurrenz mit anderen Organisationen steht, muss sich auf gesellschaftliche Entwicklungen einstellen und flexibel bleiben können, um sich diesen Veränderungen anpassen und effizient Strafverfolgung betreiben zu können. „(Unternehmens-)Beratung, Coaching und Supervision sind Management-Alltag geworden (…).[23] Die Überzeugung, Emotionen würden einen Störfaktor für Organisationen darstellen, ist (…) dem Bild von Emotionen und Intuitionen als integralem Bestandteil organisationalen Lebens gewichen.“[24]

Was bedeutet dieser Trend nun für Unternehmen und Organisationen im speziellen? Muss jede Führungskraft zum besten Freund oder gar Therapeuten des Angestellten werden? Wann ist Intuition sinnvoll und wo liegen ihre Grenzen? Um diese Fragen zu klären ist es notwendig, zuerst einige Begriffe zu erklären, vor allem den der Entscheidung und darauf aufbauend den der Intuition.

[...]


[1] Vgl. Küpers, 2015, S. 74.

[2] Vgl. Fröse et al., 2015, S. 3.

[3] Vgl. Dörsam, 2007, S. 7.

[4] Vgl. ebd., S. 7.

[5] Frederick W. Taylor entwarf erstmals Konzepte zur Rationalisierung der Produktion, auch Taylorismus genannt. Kern seines Konzeptes war u.a. die detaillierte Erfassung von Arbeitsabläufen und Produktivität eines jeden einzelnen Arbeiters, nach deren Bewertung er ein spezifisches Entlohnungssystem entwickelte. Vgl. Hebeisen, 1999, S. 11-13.

[6] Aufgaben, für die damals unzählige Menschen benötigt wurden – meist einfache Handgriffe, die in Akkord und -fließbandarbeit zu erledigen waren, erledigen heutzutage entweder vollautomatisierte Maschinen oder sie werden in Entwicklungsländer, wo Arbeitskräfte billig sind, „outgesourct.“ Vgl. Rifkin, 2004, S. 169.

[7] Fröse et al., 2015, S. 3.

[8] Ebd., S. 4.

[9] Gigerenzer/Gaissmaier, 2015, S. 21.

[10] Ebd., S. 21.

[11] Fröse et al., 2015, S. 2.

[12] Vgl. ebd., S. 3.

[13] Kieser, 2006, S. 53.

[14] Vgl. Fröse et al., 2015, S. 8.

[15] Vgl. ebd., S. 9.

[16] Ebd., S. 8-9.

[17] Vgl. ebd., S. 3.

[18] Vgl. Vgl. Küpers, 2015, S. 65.

[19] Vgl. Damásio, 1994, zit. n. Fröse et al., 2015, S. 7.

[20] Vgl. Küpers, 2015, S. 69.

[21] Fröse et al., 2015, S. 7.

[22] Vgl. Meier-Seethaler, 1998, zit.n. Küpers, 2015, S. 74.

[23] Fraglich ist, ob der Trend zu Unternehmensberatung und Coaching wirklich dazu beiträgt, die steigende Komplexität in Organisationen und Unternehmen zu durchdringen, oder ob er nicht viel mehr selbst zu einer wachsenden Undurchsichtigkeit beiträgt. Vgl. Kieser, 2006.

[24] Fröse et al., 2015, S. 7.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Kopf oder Bauch? Wie wir entscheiden (sollten)
Hochschule
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Note
15
Autor
Jahr
2015
Seiten
30
Katalognummer
V351411
ISBN (eBook)
9783668379817
ISBN (Buch)
9783668379824
Dateigröße
964 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entscheidungslehre, Führungslehre, Intuition, Organisationskultur, rationale Entscheidungen, Bauchentscheidungen, Führung in, Entscheidungspsychologie, Heuristik, Emotion, Rationalitätsparadigma, soziale Kompetenz, Polizei, Polizeisoziologie, Polizeipsychologie
Arbeit zitieren
M. Westen (Autor:in), 2015, Kopf oder Bauch? Wie wir entscheiden (sollten), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/351411

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