Literarisches Lernen als Aufgabe des Literaturunterrichts. Die didaktische Aufbereitung von Medienverbünden

Eine Untersuchung mit "Rico, Oskar und die Tieferschatten" von Andreas Steinhöfel


Seminararbeit, 2016

20 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Literarisches Lernen als Aufgabe des Literaturunterrichts

3. „Rico, Oskar und die Tieferschatten" -Eine inhaltliche Vorstellung des modernen Kinder- und Jugendromans

4. Darstellung eines Medienverbundes am Beispiel von „Rico, Oskar und die Tieferschatten"
4.1 Begriffsklärung und historischer Hintergrund zum Medienverbund
4.2 Befangenheit des Literaturunterrichts gegenüber Medienverbünden
4.3 Didaktisches und literarisches Potenzial des Buches
4.4 Didaktisches Potenzial des Hörmediums
4.5 Didaktisches Potenzial des Films

5. Fazit

Literatur

1. Einleitung

Kinder- und Jugendliteratur findet sich heutzutage beherrscht in einer großen Medienlandschaft wieder. Die Literatur ist aufgrund der Digitalisierung nicht mehr nur an das Buch gebunden, sondern wird zunehmend durch andere Medien konsumiert. Deutlich wird dies an der Tatsache, dass viele Titel literarischer Texte den jungen Rezipienten bereits vor Schulbeginn, wo nur die wenigsten Kinder lesen können, aus einer Vielzahl von anderen Medien bekannt sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich hier um Bilderbücher, Filme, Hörbücher oder Theaterstücke handelt (Vgl. Börder 2007, S.114).

Astrid Lindgren bemerkte in einem Interview zur Verfilmung ihres literarischen Klassikers "Ronja Räubertochter": "Ich habe das Gefühl, dass Kinder ein Recht auf künstlerische Erlebnisse haben" (zit. in Kruse 2010, S.184). Indem sie von einem "Recht" spricht, macht sie äußerst passend deutlich, welches Potential Medienverbünde entfalten können. Sie konstatiert damit, dass eine künstlerische Ausweitung von Literatur durchaus einen nicht unerheblichen Wert für die literarische Bildung und Enkulturation von Kindern hat. Der Begriff "Erlebnis" zeigt ebenso, dass Schüler und Schülerinnen eine Lektüre mit allen möglichen sinnlichen Wahrnehmungsformen vermittelt werden sollte. So kann die Lesefreude geweckt und gefördert werden, was die Aufgabe des Literaturunterrichts darstellen muss.

In immer mehr Lehrplänen wird die Integration anderer "[...] Medien im Sinne eines medienintegrativen Deutschunterrichts [...]" (Börder 2007, S.11) mit eingebunden. Dadurch könnte man meinen, Medienverbünde würden bereits die Anerkennung erhalten, die ihnen zusteht. Jedoch ist die didaktische Aufbereitung von Medienverbünden im Unterricht immer noch unbefriedigend, da ihr literarisches Potenzial häufig verkannt bzw. unterschätzt wird. Die Frage nach der Ursache dieser Befangenheit möchte ich im Folgenden nur partiell behandeln. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit soll auf die didaktischen Möglichkeiten von Medienverbünden für das literarische Lernen gelegt werden. Dabei werde ich auf verschiedene Medien eingehen und diese beleuchten. Hierfür habe ich den Kinder- und Jugendroman "Rico, Oskar und die Tieferschatten" von ANDREAS STEINHÖFEL zur Analyse herangezogen. Warum sich gerade dieses aktuelle Werk für eine genauerer Beleuchtung des Sachverhalts eignet, werde ich im Verlauf dieser Seminararbeit verdeutlichen.

2. Literarisches Lernen als Aufgabe des Literaturunterrichts

Die Aufgaben, die dem Literaturunterricht zugeteilt werden, sind vielfältig. In den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz für den Primarbereich von 2004 sind Kompetenzen aufgelistet, welche festlegen, was die Schule im Kern vermitteln soll. Der eine, der vier Kompetenzbereiche, "Lesen- mit Texten und Medien umgehen" (Bildungsstandards KMK 2004, S.7), setzt die Standards zum Lesen fest. Die Vermittlung einer Lesekompetenz nimmt unbestritten eine zentrale Rolle im Deutschunterricht der Grundschule ein. Jedoch sollte der Literaturunterricht keineswegs literarische Texte lediglich als Material zum Einüben und Testen von Lesefähigkeiten nutzen. Das weit gestreckte Ziel eines Literaturunterrichts soll ja vor allem, "[...] die Bereitschaft und Fähigkeit zur Teilhabe an der literarischen Gegenwartskultur [...]" (Rosenbrock/ Nix 2008, S.114) sein. Die Förderung von Lesefreude, Lesemotivation und Sozialisation, sowie die Sprach- und Medienreflexion sind nach Literaturdidaktikern ebenso zentrale Aufgaben, wie das Nahelegen von Aspekten des literarischen Lernens (Vgl. Leubner/ Saupe/ Richter 2016, S.35). Zu literarisch- ästhetischen Texten, zählen nach BÜKER die Werke, die als Merkmal die sprachkünstlerische Gestaltung, Fiktionalität, sowie eine vergleichsweise dauerhafte Fixierung (in schriftlicher, elektronischer, aber auch mündlicher Form) aufweisen (Vgl. Büker 2012, S.121).

Unter dem Begriff "literarisches Lernen" ist das Erlangen von Fähigkeiten, Kenntnissen, sowie Einstellungen, um literarische Texte begreifen, interpretieren aber auch genießen zu können, gemeint (Vgl. Maiwald 2007, S.43). Dies bedeutet, dass der Rezipient bestimmte Kompetenzen erlangen soll, die ihm den Umgang mit literarischen Texten ermöglichen. Somit grenzt sich diese Definition auch eindeutig vom Begriff "Lesekompetenz" ab. Die Lesekompetenz und das literarische Lernen bauen auch nicht direkt aufeinander auf, da Kinder bereits vor Schuleintritt- also bevor sie selbst das Lesen erlernen- mit literarischen Texten, etwa beim Vorlesen oder Singen von Kinderliedern, in Berührung kommen. Das literarische Lernen bezieht sich somit nicht nur auf das Geschriebene, sondern auch auf auditive oder audiovisuelle Medien, wie beispielsweise Hörspiele oder Filme (Vgl. Schlicher/ Müller 2010, PDF).

KASPAR SPINNER stellt zur Förderung des literarischen Lernens innerhalb aller Klassenstufen elf Aspekte vor, die jedoch, wie er betont, nicht den Anspruch haben sämtliche möglichen Zielsetzungen im heutigen Literaturunterricht wiederzugeben (Vgl. Maiwald 2015, S. 85). Als erstes führt er auf, dass "beim Lesen und Hören Vorstellungen entwickel[t]" (Spinner 2006, S.8) und "die subjektive Involviertheit und genaue Wahrnehmung miteinander ins Spiel [...]" (Spinner 2006, S.8) gebracht werden soll. Mit dem zweiten genannten Aspekt meint er, dass anhand einer genauen Textwahrnehmung Selbstreflexionen und- erkenntnisse beim Leser angeregt werden können. Die "sprachliche Gestaltung" (Spinner 2006, S.9) kann bei einem literarischen Text ebenso beobachtet werden, da Klang und Rhythmus entscheidend für die ästhetische Wirkung sind. Zudem ist das Nachvollziehen der "Perspektiven literarischer Figuren" (Spinner 2006, S.9), sowie der "narrativen und dramaturgischen Handlungslogik [...]" (Spinner 2006, S.10) für das literarische Lernen bedeutend. Auch der Umgang mit "Fiktionalität" (Spinner 2006, S.10)- sich auf die Fremdheit bzw. Vieldeutigkeit einer fiktiven Welt einzulassen- und das Verstehen der "metaphorischen und symbolischen Ausdrucksweise [...]" (Spinner 2006, S.11) sind wichtige Kompetenzen für die Erschließung literarischer Texte. Dem Rezipienten sollte ebenso bewusst gemacht werden, dass er "sich auf die Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses einlassen" (Spinner 2006, S.12) muss, da es nicht das Ziel des Literaturunterrichts ist, einem Text sämtliche Rätselhaftigkeit zu entziehen. Weiter führt SPINNER auf, dass "mit dem literarischen Gespräch vertraut werden", "Prototypische Vorstellungen von Gattungen/ Genres gewinnen" und ein "literaturhistorisches Bewusstsein [zu] entwickeln" (Spinner 2006, S.12-13) nach seinem Verständnis ebenso zentrale Aspekte literarischer Kompetenz sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass literarisches Lernen beschreibt, was Leser oder Lerner tun sollten, um die Kompetenzen zu erreichen.

WALDT ist der Meinung, dass Kinder motiviert sein müssen zu lesen, damit sich die Kompetenzen entfalten können. Solche Motivation können viele Kinder- und Jugendbücher bieten. Allerdings ist zu beachten, dass "[...] die literarische Qualität der Texte [...] literarisches Lernen" (Waldt 2003, S.108) entscheidend beeinflusst. Und so bieten sich vor allem aktuelle Bücher an, die für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert oder von diesem gar ausgezeichnet sind. Kritisch betrachten sollte man die ausschließliche Ausrichtung des Deutschunterrichts auf kononisierte ältere Klassiker, welche meist lediglich Themen für den Unterricht liefern ohne das literarische Lernen zu fördern.

Aus diesem Grund wird im folgenden Abschnitt ein preisgekröntes Kinderbuch aus dem Jahr 2008 vorgestellt. Diese Lektüre bietet, vor allem auch aufgrund seines Medienverbundes, ein hohes Maß an literarisch -ästhetischer aber auch inhaltlicher Vielfalt, die im Verlauf dieser Arbeit analysiert werden soll (Vgl. Josting/ Dreier 2014, S.9-10).

3. „Rico, Oskar und die Tieferschatten" -Eine inhaltliche Vorstellung des modernen Kinder- und Jugendromans

„Ich sollte an dieser Stelle wohl erklären, dass ich Rico heiße und ein tiefbegabtes Kind bin. Das bedeutet ich kann zwar sehr viel denken, aber das dauert meistens etwas länger als bei anderen Leuten" (Steinhöfel 2008, S.11). Auf diese Weise beginnt der Erzähler, Frederico, genannt "Rico", Doretti sich vorzustellen. Rico ist ein ungefähr zehn Jahre alter, sehr wissbegieriger Junge, welcher, aufgrund seiner vom Autor Andreas Steinhöfel beschriebenen "Tiefbegabung", eine Förderschule besucht. Ganz treffend wird die leichte geistige Einschränkung und das Durcheinander mit der Metapher von herum kullernden Bingokugeln in seinem Kopf beschrieben (Vgl. S.11). Jedoch wird Rico vielseitiger dargestellt als vielleicht zunächst angenommen. Er beobachtet seine Umwelt ganz genau und eignet sich fehlendes Wissen selbst an- wie das Schreiben eines eigenen "Lexikons" zeigt. Zusammen mit seiner Mutter lebt er in der Dieffenbachstraße in einem mehrgeschossigen Altbau in Berlin- Kreuzberg, dessen Bewohner der Ich- Erzähler schon zu Beginn des Buches genau darstellt. Die soziale Vielfalt in diesem Mikrokosmos Miethaus wird durch die beschriebenen unterschiedlichen familiären Lebensgewohnheiten- wie die fürsorgliche alleinlebende Frau Dahling oder die dreier WG im unteren Teil des Hauses- deutlich. Auf den anderen im Titel genannten Protagonisten Oskar trifft Rico bei der skurril beschriebenen Suche nach seiner "Fundnudel" auf dem Gehweg. Dieser scheint das Gegenstück von ihm zu sein. Oskar ist ein kleiner, altkluger aber auch ängstlicher Junge, der allein mit seinem Vater zusammen wohnt und sich bei der Begegnung mit Rico als "hochbegabt" vorstellt (Vgl. S.33). Beide machen sich mit ihren sehr gegensätzlichen Denkweisen im Laufe der Geschichte auf die Suche nach dem Kindesentführer "Mister 2000". Während die beiden den Fall um den Kindesentführer lösen, entwickelt sich zwischen ihnen eine ganz eigene Freundschaft. Und so merkt Rico am Ende der Geschichte etwas sozialkritisch an: „Es ist merkwürdig, dass die Leute mit einem nicht so Schlauen praktisch genauso wenig anfangen können wie mit einem nicht so Dummen" (S.202).

Für diesen 2008 erschienenen Detektivroman wurde der Autor ANDREAS STEINHÖFEL ein Jahr später mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Die Jury des Preises merkte an, dass er unter Verwendung der alltäglichen Sprache die „[...] Figurendarstellung und Milieuschilderung zu einem modernen Sozialroman für Kinder" (Deutscher Jugendliteraturpreis 2009) vereint habe. Aufgrund der Verfremdung der Alltagswelt mit Humor und Ironie, zählt das Buch zur Kategorie der modernen, komischen Kinder- und Jugendromane (Vgl. Gansel 2010, S. 130).

4. Darstellung eines Medienverbundes am Beispiel von „Rico, Oskar und die Tieferschatten"

4.1 Begriffsklärung und historischer Hintergrund zum Medienverbund

Kinder wachsen heute in einer Welt auf, in der Medien und der Konsum dieser omnipräsent ist. Medien prägen den Alltag von Erwachsenen und Kindern, da die Kommerzialisierung stetig wächst. „Die Beispiele Pokémon, Harry Potter [und] SpongeBob SchwammKopf machen deutlich, worum es geht: Da gibt es zur Fernsehserie nicht nur das Computerspiel, die Hörkassette und zumeist auch den Kinofilm, sondern obendrein noch eine Fülle [...] vermarkteter Angebote- vom Emblem auf [...] dem Schulranzen bis hin zu Spielfiguren und anderem Spielzeug" (Hasebrink 2009, PDF).

Dieses Beispiel verdeutlicht nicht nur die konsequente Verkaufspolitik, welche als Merchandising (Vgl. Hengst 2007, S.25) bezeichnet wird, sondern auch eine Art entstandenes Baukastensystem. Ein solches System, in dem ein Leitmedium in andere Medien umgesetzt und ebenso auf dem Markt gebracht wird, heißt Medienverbundsystem (Vgl. Kümmerling- Meibauer 2007, S.11). Als Bindeglied dient eine literarische Geschichte, die in verschiedenen Modi, also schriftlich, visuell, akustisch oder audiovisuell, erzählt wird (Vgl. Kruse 2014, S.15). Als sogenanntes Leitmedium kann dabei sowohl ein Druckmedium, wie ein Buch, Comic oder Zeitschrift, als auch ein auditives Medium, wie Hörspiel und Hörbuch, aber ebenso Film, Fernsehsendung, Theaterstück oder Spielzeug dienen. Typisch für große Medienverbundsysteme ist, dass sie alle Sinne der Zielgruppen ansprechen (Vgl. Kruse 2014, S.2). Auch bei der Kinderlektüre "Rico, Oskar und die Tieferschatten", welche im vorherigen Kapitel vorgestellt wird, existiert ein derart großer Medienverbund. So gibt es neben dem Buch, Hörbuch, Hörspiel und Film mittlerweile sogar ein Theaterstück der Lektüre (Vgl. Schubert/ Schubert- Felmy 2014, S.79-91). Zudem zeichnen sich „viele Kindermedienverbünde [...] durch das Prinzip der Serialisierung aus" (Kümmerling- Meibauer 2007, S.13). Damit ist gemeint, dass bestimmte Produkte einer regelmäßigen Fortsetzung unterliegen. Von STEINHÖFELS Geschichte um Rico und Oskar gibt es ebenfalls zwei Fortsetzungen, welche, wie das erste Buch, nun auch in naher Zukunft verfilmt werden.

Derzeit sind vor allem Kinder- und Jugendbücher ohne einen kommerziellen Medienverbund kaum noch vorstellbar. DAWIDOWSKI sieht den Grund für diese Art von Verbundsystem vorwiegend in der digitalen "Revolution" in den 2000ern, die eine spürbare Umstrukturierung des Lesens im Umgang mit dem Medium Buch als Folge hatte (Vgl. Dawidowski 2016, S.81).

[...]

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Details

Titel
Literarisches Lernen als Aufgabe des Literaturunterrichts. Die didaktische Aufbereitung von Medienverbünden
Untertitel
Eine Untersuchung mit "Rico, Oskar und die Tieferschatten" von Andreas Steinhöfel
Hochschule
Universität Leipzig
Autor
Jahr
2016
Seiten
20
Katalognummer
V351369
ISBN (eBook)
9783668377066
ISBN (Buch)
9783668377073
Dateigröße
687 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
literarisches, lernen, aufgabe, literaturunterrichts, aufbereitung, medienverbünden, eine, untersuchung, rico, oskar, tieferschatten, andreas, steinhöfel
Arbeit zitieren
Dorle Schröder (Autor:in), 2016, Literarisches Lernen als Aufgabe des Literaturunterrichts. Die didaktische Aufbereitung von Medienverbünden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/351369

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