Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
II Theoretischer Hintergrund
2.1 Der Begriff „Unterrichtsstörungen“
2.2 Ursachen für Unterrichtsstörungen
2.3 Pädagogische Handlungsmöglichkeiten bei Unterrichtsstörungen
III Schulpraktische Untersuchung
3.1 Zielsetzung
3.2 Ergebnisse der angewandten Verhaltensanalyse
3.3 Festlegung des Zielverhaltens und der Maßnahmen
3.4 Darstellung und Durchführung der Maßnahmen
3.5 Datenerhebung mittels Beobachtung
3.6 Auswertung der Untersuchungsergebnisse
IV Fazit und Ausblick
V Anhänge
Tabellen
Abbildungen
VI Literaturverzeichnis
I Einleitung
Unterrichtsstörungen sind ein fester Bestandteil des schulischen Alltags und gehören zu den schwierigsten Herausforderungen der Lehrkräfte. Die Ursachen für derartige Störungen können sehr vielfältig sein und ihre Ausprägung fällt unterschiedlich stark aus. Ein störungsfreier Unterricht ist durchaus eine Illusion. In einer oft zitierten Unterrichtsstudie wurde bereits Ende der fünfziger Jahre ermittelt, dass Lehrkräfte durchschnittlich alle 2,6 Minuten mit einem störenden Schülerverhalten konfrontiert werden.[1] Nach einer Mitte der neunziger Jahre in vier Bundesländern durchgeführten Schulleiterbefragung stellten an 75% bis 85% der Schulen Unterrichtsstörungen ein Problem dar, welches im großen Ausmaß die Wirksamkeit des Unterrichts beeinträchtigte.[2] Es gibt inzwischen eine Vielzahl relevanter Literatur, in welcher sich die Autoren mit diesem speziellen Schwerpunktthema auseinandersetzen und diverse Verbesserungsempfehlungen zur Vermeidung bestimmter Unterrichtsstörungen geben. Patentrezepte, die auf schnelle Lösungen zur Verringerung dieser Störungen verweisen, gibt es nicht. Die vorliegende Arbeit widmet sich der Leitfrage, ob ausgewählte Strategien zur Behebung von Unterrichtsstörungen und Verbesserung des Lernverhaltens eines Schülers der 2. Klasse führen können. Auf der Grundlage des eigenen Erkenntnisinteresses wird anhand bestimmter Techniken an einem Schülerfall ein greifbares Ergebnis zur positiven Modifikation des Lern- und Arbeitsverhaltens angestrebt.
Der Inhalt dieser Arbeit setzt sich aus folgenden Teilen zusammen:
Im ersten Abschnitt wird die theoretische Grundvorstellung des Begriffs der „Unterrichtsstörungen“ definiert und mögliche Ursachen dafür genannt. Dieser Hintergrund wird um die Beschreibung des Studienstands zu Handlungsmöglichkeiten sowie ‑strategien bei Unterrichtsstörungen im Bezug auf lerntheoretische Aspekte in der Klassenführung erweitert.
Im anschließenden Abschnitt folgt die eigene schulpraktische Untersuchung, welche zwei ausgewählte Strategien zur Verhinderung der Unterrichtsstörungen anhand eines konkreten Schülerfalls im Mathematikunterricht exemplarisch erprobt und analysiert. Nach einer angewandten Verhaltensanalyse werden das geplante Zielverhalten, die durchgeführten Maßnahmen und die Auswertung der Untersuchung vorgestellt. Zum Abschluss widmet sich das Fazit einer Zusammenfassung der Ergebnisse, der Diskussion der Leitfrage und einem Ausblick über das mögliche weitere Vorgehen zur Stabilisierung des Zielverhaltens.
II Theoretischer Hintergrund
2.1 Der Begriff „Unterrichtsstörungen“
In der gegenwärtigen Zeit hat der Begriff „Unterrichtsstörungen“ an Bedeutung im schulischen Alltag gewonnen. Eine Definition nach Lohmann (2012) soll Klarheit zu diesem Begriff schaffen: Unterrichtsstörungen sind Ereignisse, die den Lehr-Lern-Prozess beeinträchtigen, unterbrechen oder unmöglich machen, indem sie die Voraussetzungen, unter denen Lehren und Lernen erst stattfinden kann, teilweise oder ganz außer Kraft setzen. Zu den Voraussetzungen zählen äußere und innere, das Lernen ermöglichende Bedingungen, wie z.B. physische und psychische Sicherheit, Ruhe, Aufmerksamkeit, Konzentration. Die Störungen können von Schülern oder Lehrern verursacht oder von außen hereingetragen werden, z.B. laute Zwischenrufe, verbale oder physische Attacken, […] usw.[3] Disziplinkonflikte und Unterrichtsstörungen sind aufgrund der vielfältigen Widersprüche in der Schulpraxis unausweichliche und bis zu einem gewissen Grad normale Begleiterscheinungen von Unterricht.[4]
Es ist nicht klar festgelegt, welche Verhaltensweisen und Umstände als störend empfunden werden, da es größtenteils von der subjektiven Einschätzung abhängt. Eine vollständige Auflistung aller Erscheinungsformen von Unterrichtsstörungen wäre endlos. Eder, Fartacek und Mayr (1987) fassen dennoch störendes Schülerverhalten in vier Kategorien zusammen: verbales Störverhalten (vorlautes Verhalten etc.), mangelnder Lerneifer (geistige Abwesenheit etc.), motorische Unruhe (Zappeln etc.), aggressives Verhalten (Wutausbrüche etc.).[5] Einigen Untersuchungen zufolge sind die am häufigsten auftretenden Fehlverhalten den ersten drei Kategorien zuzuordnen, wobei das verbale Störverhalten den ersten Platz einnimmt.[6]
Unterrichtsstörungen haben oftmals schwerwiegende Folgen für die Beteiligten, wie beispielsweise die verlorene Lernzeit, emotionale Belastung und das aggressive Verhalten der Lehrkräfte gegenüber ihren Schülern.[7]
2.2 Ursachen für Unterrichtsstörungen
Für Unterrichtsstörungen gibt es vielfältige Ursachen. Sie sind nach Nolting (2012) nicht nur in der Schule oder Klasse vorzufinden, sondern können individuelle, familiäre, gesellschaftliche, historische, zeittypische Gründe haben.[8] Lehrer und Schüler[9] können sich gegenseitig als Störfaktoren sehen, sodass Lehrer in bestimmten Situationen unter ihren Schülern aber auch Schüler unter ihren Lehrern leiden.[10]
Störendes Schülerverhalten ist zumeist nicht bewusst intendiert.[11] Der häufigste schulische Störungsbeitrag ist nach Keller (2008) der Mangel an Normverdeutlichung, Grenzziehung und systematischer Verhaltenssteuerung.[12] Eine Untersuchung nach Eder, Fatacek und Mayr (1987) über erfolgreiches Handeln von Lehrern bei Disziplinkonflikten zeigt zudem einige Merkmale ineffektiver Klassenführung, welche weitere Ursachen für Unterrichtsstörungen darstellen können: häufiges, wirkungsloses Ermahnen und Androhen von Bestrafung, hoher Zeitbedarf für disziplinarische Handlungen, mehr strafende als integrative Maßnahmen, sprunghaftes Ausprobieren verschiedener Maßnahmen, häufiges neutrales Abbrechen von Konflikten usw.[13]
Der störende Schüler hat nach Lohmann (2003) oft drei Absichten: der Langeweile zu entkommen, mit Mitschülern privat zu kommunizieren und Aufmerksamkeit (Zuwendung, Anerkennung) zu erhalten.[14] Zudem verlangen Schüler, dass ihre Interessen wahrgenommen, thematisiert und Kompromisse ausgehandelt werden.[15] Zusätzlich kann der Unterricht, in dem Schüler durch Lehrerbotschaften gekränkt oder entmutigt werden, Schüler verstören, sodass mit einer Gegenaggression gerechnet werden muss. Im Anhang auf den Seiten 17-18 sind in der Tabelle 1 nach Meyer (1989) weitere Ursachen für Unterrichtsstörungen seitens der Schüler, Lehrer, Institutionen, Eltern und Gesellschaft aufgelistet.[16]
2.3 Pädagogische Handlungsmöglichkeiten bei Unterrichtsstörungen
Classroom Management ist mit den Begriffen Klassenführung und Klassenmanagement assoziiert.[17] Es ist ein Schlüsselmerkmal von Unterrichtsqualität[18] und die Summe der Maßnahmen und Verhaltensweisen einer Lehrkraft, die darauf abzielen, optimale Lernbedingungen für die Schüler bereitzustellen.[19] Nach dem Wirtschaftspädagogen Prof. Dr. Karl Wilbers umfasst die Klassenführung alle präventiven und reaktiven Maßnahmen mit dem Ziel in einer Klasse Bedingungen zu schaffen, die die Häufigkeit und Tragweite von Unterrichtsstörungen reduzieren, aber nicht komplett unterdrücken.[20] Laut Evertson und Weinstein (2006) verläuft der Unterricht durch effektive Techniken der Klassenführung insgesamt störungsärmer, es steht mehr Lernzeit zur Verfügung und die Lernleistungen als auch die sozio-emotionale Kompetenzentwicklung der Schüler solcher Klassen verbessert sich nachweislich.[21]
In neueren Ansätzen der Klassenführung wird hierzu zwischen proaktiven und reaktiven Strategien nach Lohmann (2003) unterschieden.[22] Proaktive Strategien sind in den Bereichen Planung (Prävention) und Unterstützung (Antizipation) angesiedelt, die vor und während des Unterrichts gegen Unterrichtsstörungen präventiv wirken sollen.[23] Die Antizipation hat dabei das Ziel der Verhinderung von Störungen bei einer unmittelbar bevorstehenden Störung.[24] Reaktive Strategien bedeuten dagegen die Unterbindung auftretender Störungen durch Intervention (Aktion) und Problemlösung (Veränderung).[25] Die reaktive Strategie ist dem behavioristischen Verhaltensinventar zuzuordnen, in welchem versucht wird extrinsische Anreize (z.B. Belohnungen) und Sanktionen (z.B. schlechte Noten) seitens der Lehrperson zu setzen, um Störverhalten zu minimieren und erwünschtes Verhalten zu fördern.[26] Die proaktiven Strategien sind im ökologischen Ansatz, in dem Classroom Management als Steuerung von Aktivitätsstrukturen gesehen wird, zu finden. Dieser Ansatz beruht hauptsächlich auf den Techniken der Klassenführung von Kounin.[27]
Als Lösungsvorschläge für den Umgang mit schwierigem Verhalten wird bisweilen ein Spektrum unterschiedlichster Modelle vorgestellt. Die Handlungskompetenz der Lehrkräfte wird dennoch kaum durch theoretische Lösungsmodelle oder rezeptartige Anwendung einzelner Maßnahmen gestützt. In der Scholastik-Längsschnittstudie konnten Weinert und Helmke im Jahre 1997 nachweisen, dass der kognitive Lernerfolg neben Variablen auf Schüler- und Klassenebene durch vier Aspekte der Lehrerexpertise bestimmt wird: die Klassenführungs-, die diagnostische, die unterrichtsmethodische und die fachliche Kompetenz.[28] Im Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung konnten zudem Mayr, Eder und Fartacek im Jahre 2002 drei Dimensionen pädagogischen Handelns zusammenfassen: die Gestaltung des Unterrichts, die Förderung der Beziehung und die Kontrolle des Verhaltens.[29] Mayr resümiert seine Ergebnisse zu möglichen Störungshandlungen folgendermaßen: Es gibt kein Idealbild der Klassenführung, das es zu erreichen gilt – wir haben es vielmehr mit einem breiten Spektrum an Handlungsoptionen zu tun. [30] Diese Erkenntnisse decken sich mit denen von Weinert und Helmke: Es scheint eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Wege zum gleichen Ziel zu geben. Dies zeigt, wie problematisch es wäre, in präskriptiver Absicht von Schlüsselmerkmalen oder notwendigen Bedingungen eines erfolgreichen Unterrichts zu sprechen.[31]
Drei Dimensionen nach Lohmann sollen dennoch Vorgehensweisen zu Handlungsmöglichkeiten darstellen, Unterrichtsstörungen erfolgreich entgegenzuwirken: Suchen von Interventionsziele bzw. –adressaten (z.B. Verhalten einzelner Schüler/ Lerngruppen etc.), Beeinflussen des Geschehens im Klassenraum in verschiedenen Dimensionen (z.B. Beziehung, Organisation, Disziplinmanagement, Unterricht), Einsetzen proaktiver und reaktiver Strategien anhand einiger Dimensionen.[32] In Tabelle 2 im Anhang auf Seite 18 sind Beispiele für proaktive und reaktive Strategien nach Lohmann anhand von drei Dimensionen zusammengestellt.
III Schulpraktische Untersuchung
3.1 Zielsetzung
In der vorliegenden Einzelfallstudie wird das störende Verhalten eines ausgesuchten Schülers[33] im Mathematikunterricht untersucht. Anhand ausgewählter Strategien wird angestrebt die von ihm ausgehenden Unterrichtsstörungen zu beheben und eine positive Modifikation seines Lern- und Arbeitsverhaltens zu bewirken.
3.2 Ergebnisse der angewandten Verhaltensanalyse
Die angewandte Verhaltensanalyse hat zum Ziel, die im Unterricht störenden Verhaltensauffälligkeiten von E. zu analysieren und eine bedeutende Verbesserung in wesentlichen Verhaltensweisen zu erreichen. Zu diesem Zweck wurde ein qualitativer Verhaltensanalysebogen des Schülers E., im Folgenden E. genannt, angefertigt. Die Befragung der Klassenlehrkraft zum Schülerverhalten und eigene Beobachtung des Schülers im Unterricht im Zeitraum vom 16. bis zum 20. November 2015 konnten Antworten zu nachfolgend aufgeführten 8 Aspekten des Bogens liefern: Problembeschreibung, Entwicklung des Problemverhaltens, Situationsanalyse, Reaktionen auf das Problemverhalten (Konsequenzen), bisherige Modifikationsversuche, Bedingungsanalyse, Selbststeuerungsversuche, Analyse von Stärken und Vorschlag zur Verhaltensmodifikation. Der ausgefüllte Verhaltensanalysebogen befindet sich im Anhang, in Tabelle 3 auf den Seiten 19-22.
Folgende wesentliche Ergebnisse lassen sich aus der Verhaltensanalyse ablesen:
Schüler E. ist motorisch sehr unruhig und kann nur eine kurze Zeit still auf seinem Sitzplatz bleiben. Zudem ist er oft unkonzentriert und hat Schwierigkeiten sich an die Klassenregeln zu halten. Er spricht mehrfach ungefragt in den Unterricht und kommuniziert häufig mit seinen Mitschülern. Das verbale und motorische Problemverhalten taucht im wiederholten Ablauf regelmäßig auf, wenn E. kein Interesse und keine Anstrengungsbereitschaft am Lernen aufbringt, dafür aber eine stärkere Motivation zeigt mit den Mitschülern zu kommunizieren. Das Fehlverhalten ist am häufigsten und im stärksten Ausmaß am Anfang einer Unterrichtsstunde, in der Stillarbeitsphase während des Unterrichts und nach den großen Pausen zu lokalisieren. Zudem tritt es regelmäßig in jedem Unterrichtsfach auf, wenn es zu wenig Regeln und Strukturen gibt. Nach dem Erscheinen eines Fehlverhaltens wird E. des Öfteren durch die Lehrkraft verbal ermahnt. Bei einer ersten lautstarken Ermahnung hört E. zunächst auf, das Problemverhalten weiter fortzuführen. Er zeigt dennoch umso häufiger die Tendenz nach wenigen Minuten das Störverhalten zu wiederholen, sodass die Lehrkraft ihn vor die Tür setzen muss. Werden in kurzer Zeit viele verbale Ermahnungen ausgesprochen, ignoriert er diese und führt das störende Verhalten weiter fort. Die Mitschüler reagieren auf das störende Schülerverhalten nur dann, wenn dieses sie beim Bearbeiten von Aufgaben hemmt, sowie das Erhalten einer Belohnung, wie die Gruppenmurmel, gefährdet. Diese Schülerreaktionen verleiten ihn selten bis nie mit dem Problemverhalten aufzuhören. Das Sammeln von positiven Verstärkern in der Gruppe (u.a. Gruppenmurmeln) hat bei E. einen geringen Einfluss auf das Einhalten der Klassenregeln, wie u.a. die stille Gruppenarbeit sowie das Warten am Platz bis er drangenommen wird, bewirkt. Nach längerer unregelmäßiger Anwendung dieser Technik ist kein weiterer positiver Verhaltenserfolg bei E. zu verzeichnen. Individuelle Verhaltensstärken, wie das individuelle Lehrerlob oder eine für ihn attraktive Belohnung (z.B. Fußballaufkleber), lassen sich bei E. in der Motivation einer Verhaltensänderung jedoch positiv festhalten.
Die meisten Schwierigkeiten mit dem Störverhalten hat die Lehrkraft, da der Schüler E. den Unterrichtsverlauf stört. In Stillarbeitsphasen beeinflusst das störende Verhalten ebenfalls die Mitschüler, welche sich nicht auf den Lerngegenstand konzentrieren können. E. ist sein Fehlverhalten zwar oft bewusst, dennoch kann er es erst anhand der gemeinsamen Reflexion mit der Lehrkraft analysieren, nachvollziehen und versuchen zu ändern. Seine selten auftretenden Selbststeuerungsversuche zu einer positiven Verhaltensänderung zeigen nur kurz andauernde Erfolge. Diese äußern sich darin, dass E. sich mittels einer Belohnung in dem Ausmaß motiviert zeigt, dass er versucht sich auf den Lerngegenstand zu konzentrieren, um damit seine motorische Unruhe sowie sein verbales Störverhalten zu unterbinden.
Betrachtet man abschließend die familiären Aspekte von Schüler E., so kann festgestellt werden, dass er in einem getrennt aufwachsenden Elternhaus mit wenigen essenziellen Verhaltensregeln, Strukturen und fehlender Konsequenz seitens der Mutter konfrontiert wird. Für eine gelingende Verhaltensmodifikation müssen für E. klare Regeln und Strukturen geschaffen werden.
3.3 Festlegung des Zielverhaltens und der Maßnahmen
Im vorliegenden Abschnitt kann auf der Grundlage der Verhaltensanalyse eine Festlegung des Zielverhaltens und der ausgewählten Strategien weiter spezifiziert werden.
Für eine eindeutige Schwerpunktsetzung und Festlegung des Zielverhaltens wird sich im weiteren Untersuchungsverlauf auf das motorische und verbale Fehlverhalten im Bezug auf die Problematik des Regeleinhaltens fokussiert. Dafür werden für den Schüler E. vier bestimmte Regeln festgelegt, welche einen Aufbau des Zielverhaltens zur Folge haben sollen. Die erste verbale Regel bezieht sich auf einen Aufbau des aktiven Meldeverhaltens: Ich melde mich, wenn ich etwas sagen möchte. Dazu schließen sich zwei weitere Regeln an, welche gezielt einen Abbau eines verbalen Störverhaltens, wie das ungefragte Hereinsprechen in den Unterricht oder die unerwünschte Kommunikation mit den Mitschülern, bewirken sollen: Ich spreche/rufe nicht ungefragt in den Unterricht hinein und Ich spreche nicht ungefragt mit meinen Mitschülern. Die vierte Regel Ich bleibe auf meinem Sitzplatz sitzen sorgt für einen Abbau des motorischen Störverhaltens, und zwar des Herumlaufens im Klassenraum.
Aus der Breite verschiedener Handlungsmöglichkeiten bei Unterrichtsstörungen wurden zwei Maßnahmen ausgewählt, welche sich auf das Verstärkungslernen beziehen: der Verstärkerplan, im Folgenden „Smileyplan“ genannt, und der Einsatz von dreifarbigen Smiley-Karten.
Die Mehrzahl der an Schulen durchgeführten Maßnahmen beruht auf den Prinzipien des Verstärkungslernens (operantes Lernen) und ist zentraler Baustein der pädagogischen Verhaltensmodifikation.[34] Die Grundidee ist, dass ein Hinweisreiz dem Schüler mitteilt, dass bestimmte Verhaltensformen in einigen Situationen erwünscht oder unerwünscht sind. Aus der Verhaltensanalyse (Pkt. 3.2) ist bereits bekannt, dass der Einsatz von Gruppenverstärkern nur zu kleinen Verhaltenserfolgen führt. Die im Bereich der Verhaltensstärken angewandte Analyse weist allerdings darauf hin, dass Schüler E. auf individuelles Lob und für ihn attraktive Belohnungen besonders positiv reagiert. Die Einführung eines individuell ausgerichteten Verstärkersystems könnte daher sinnvoll sein, weil seine motivierende Wirkung möglicherweise eine zunehmende Verhaltensmodifikation bei E. anregen würde. Zudem sollen regelmäßige positive und negative Verhaltensrückmeldungen im Schüler-Lehrer Gespräch, die zu einer Eigenreflexion und Einsicht eines aufgetretenen Fehlverhaltens führen, bei der Modifikation seines Verhaltens helfen. Durch das regelmäßige Einhalten der Regeln wird ein verbessertes Lern- und Arbeitsverhalten angestrebt. Das Lob seitens der Lehrkraft und der Eltern soll die positive Verhaltensänderung über einen längeren Zeitraum stabilisieren. Komplexe Verhaltensweisen, wie selbstgesteuerte Prozesse bestehend aus Selbstinstruktion, Selbstbeobachtung und Selbstverstärkung, sollen sich durch das Verstärkerlernen aufbauen.[35]
[...]
[1] vgl. Tausch, A.-M.: Besondere Erziehungssituationen des praktischen Schulunterrichts. Häufigkeit, Veranlassung und Art ihrer Lösung durch den Lehrer. In: Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie, 1958, S. 657-686.
[2] vgl. Schubarth, W.: Gewalt an Schulen. Ausmaß, Bedingungen und Prävention, Verlag für Sozialwissenschaften. Opladen, 1996, S. 33.
[3] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen: Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. 9. Auflage, Berlin: Cornelsen Scriptor, 2012, S. 13.
[4] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen: Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. 8. überarb. Auflage, Berlin: Cornelsen Scriptor, 2011, S. 14.
[5] vgl. Fartacek, W., Eder, F. & Mayr, J.: Schwierigkeiten von Lehrerstudenten und Lehrern im Umgang mit Schülern. Erziehung und Unterricht, 137/1, 1987, S. 14.
[6] vgl. Jürgens, B.: Schwierige Schüler?: Disziplinkonflikte in der Schule. Hohengehren: Schneider, 2000, S. 15 ff..
[7] vgl. ebenda, S. 13 ff..
[8] vgl. Nolting, H.-P.: Störungen in der Schulklasse. Ein Leitfaden zur Vorbeugung und Konfliktlösung, 10. vollständig überarb. Auflage, Weinheim : Beltz, 2012, S. 9f..
[9] Wird in der Arbeit der Begriff „Lehrer“ oder „Schüler“ benutzt, so sind beide Geschlechter gemeint: Lehrer und Lehrerinnen, bzw. Schüler und Schülerinnen.
[10] vgl. Winkel, R.: Der gestörte Unterricht. Diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, 8. Auflage, Hohengehren: Schneider Verlag Baltmannsweiler, 2006, S.9.
[11] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen: Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. Berlin: Cornelsen Scriptor, 2003, S. 21.
[12] vgl. Keller, G.: Disziplinmanagement in der Schulklasse. Unterrichtsstörungen vorbeugen – Unterrichtsstörungen bewältigen, 1. Auflage, Bern: Huber, 2008, S. 32.
[13] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen, 2003, S. 22 f..
[14] vgl. ebenda, S. 20
[15] vgl. ebenda, S. 21 f..
[16] vgl. Meyer, H.: Unterrichtsmethoden II: Praxisband., 6. Auflage, Frankfurt am Main: Cornelsen, 1998, S. 233.
[17] vgl. Hartke, B.; Blumenthal, Y.; Carnein, O. & Vrban, R.: Schwierige Schüler, Sekundarstufe, 64 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten, 5.-10. Klasse, Hamburg: Persen Verlag, 2014,S. 129.
[18] vgl. ebenda, S. 129.
[19] vgl. Kounin, J. S.: Techniken der Klassenführung (Original der deutschen Ausgabe, 1976), Münster: Waxmann, 2006, S. 7 ff..
[20] vgl. Wilbers, K.: Wirtschaftsunterricht gestalten. Lehrbuch. 2. Auflage. Berlin: epubli, 2014, S. 353.
[21] vgl. Evertson, C. M., Weinstein, C. S.: Handbook of classroom management: Research, practice, and contemporary issues . Mahwah, NJ: Erlbaum, 2006, S. 14.
[22] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen, 2003, S. 30.
[23] vgl. Schied, M.: Schulpraktische Studien im Rahmen der Lehrerausbildung, Konzeptionalisierung und Evaluierung nach dem Gmünder Modell, Frankfurt am Main: Klinkhardt, 2013, S. 82.
[24] vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen, 2003, S. 31 f..
[25] vgl. ebenda, S. 31 f..
[26] vgl. Wellenreuther, M.: Lehren und Lernen – aber wie? Grundlagen der Schulpädagogik, Band 50, Hohengehren: Schneider Verlage, 2004, S. 257 ff..
[27] vgl. Kounin, J. S.: Techniken der Klassenführung, 2006, S. 148.
[28] vgl. Haag, L.: Klassenführung – erfolgreich unterrichten mit Classroom Management, Weinheim: Beltz, 2012, S. 47.
[29] vgl. ebenda, S. 49.
[30] vgl. Fartacek, W., Eder, F. & Mayr, J.: Schwierigkeiten von Lehrerstudenten und Lehrern im Umgang mit Schülern., S. 34.
[31] vgl. Helmke, A.; Weinert, F. E.: Unterrichtsqualität und Leistungsentwicklung. Ergebnisse
aus dem SCHOLASTIK-Projekt. In: Weinert, Franz E./Helmke, Andreas (Hgg.): Entwicklung im Grundschulalter. Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1997, S. 251.
[32] Vgl. Lohmann, G.: Mit Schülern klarkommen, 2003, S. 31 f..
[33] In der Arbeit wird der untersuchte Schüler mit dem Namenscode Schüler E. oder E. bezeichnet.
[34] vgl. Preuss-Lausitz, U.: Schwierige Kinder – schwierige Schule: Konzepte und Praxisprojekte zur integrativen Förderung verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler, Weinheim: Beltz, 2004, S. 70.
[35] vgl. Haag, L.: Klassenführung, S. 65.
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- Anna Rezmer (Autor:in), 2016, Eine Fallanalyse zur Problematik der Unterrichtsstörung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/350691
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