Das Bild von Bosnien-Herzegowina in der österreichischen Literatur zwischen 1878 und 1918


Diplomarbeit, 1999

106 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I) Vorwort

II) Allgemeiner historischer Überblick
1. Berliner Kongreß; Okkupation und Annexion von Bosnien- Herzegowina
2. Österreichisch- Ungarische Monarchie

III) Bosnien- Herzegowina als Thema in der Literatur der Schriftsteller der österreichisch- ungarischen Monarchie
1. Robert Michel
2. Roda Roda
3. Gustav Sieber
4. Bruno Brehm: Die Throne fallen
„Apis und Este“- erster Teil der Trilogie
„Die Throne fallen“

IV) Die Entwicklung der Theatergeschichte in Sarajevo in der Zeit der Monarchie

V) Druckereien und Presse

VI) Schlußbemerkung

VII) Literaturverzeichnis
1. Primärliteratur
2. Sekundärliteratur

I ) VORWORT

Das Thema dieser Diplomarbeit ist das Bild von Bosnien- Herzegowina in der von mir ausgewählten und mir zugänglichen österreichischen Literatur zwischen 1878 und 1918, wobei es sich um Erzählungen von Robert Michel und Roda Roda, den Roman Quo vadis, Austria? von Gustav Sieber und den ersten Teil der Trilogie Die Throne stürzen, Apis und Este, von Bruno Brehm handelt.

In diesem Zeitraum wurde Bosnien- Herzegowina seitens der österreichisch- ungarischen Monarchie zunächst okkupiert und 1908 annektiert, so daß das Gebiet bis 1918, Ende des Ersten Weltkrieges, unter der Besatzung der österreichisch- ungarischen Monarchie war. Aus diesem Grund wurde der Zeitraum von 1878 bis 1918 ausgewählt, weil ich mich dafür interessierte, ob und in welchem Ausmaß es in dem erwähnten Zeitraum zum literarischen Austausch kam, bzw., ob die erwähnte Besatzung literarisch wahrgenommen und bearbeitet wurde.

Die Darstellung der historischen Daten in dieser Arbeit ist meiner Meinung nach für das Verständnis der neuentstandenen Situation in der Monarchie, in der sich unter anderem auch die Literatur weiterentwickelte, von elementarer Bedeutung. Zur Perzeption von Bosnien- Herzegowina in der österreichischen Literatur kam es gerade aufgrund der politischen Situation, was als ein weiteres Beispiel dafür dient, zu zeigen, wie die Thematik in der Literatur von der politischen Lage beeinflußt werden kann. Bosnien- Herzegowina wurde nämlich erst nach der Okkupation und Annexion zum literarischen Thema in der österreichischen Literatur. Umgekehrt wurde die österreichisch- ungarische Monarchie in der Literatur von Bosnien- Herzegowina erstmal zum selben Zeitpunkt thematisiert.

Das übergeordnete Thema dieser Arbeit könnte lauten: Einfluß der Politik und der Geschichte auf das literarische Schaffen.

Da Bosnien- Herzegowina in Folge des Krieges ab 1992 einer der zentralen Themen der politischen Geschehnisse Europas und der Welt ist und ich selbst aus Bosnien- Herzegowina komme, wagte ich mittels dieser Arbeit einen Versuch, auf die Brücke zwischen Bosnien- Herzegowina und Österreich, die bereits im vorigen Jahrhundert vorhanden war, hinzuweisen.

Die Interpretationen der angeführten Werke stammen vorwiegend von mir, da ich sehr wenig Sekundärliteratur finden konnte.

Die letzten zwei Kapitel, nämlich Das Theaterleben in Sarajevo und Druckereien und Presse gehören im weiteren Sinne zum Thema dieser Arbeit und wurden nicht detailliert bearbeitet. Ich fand es wichtig, sie auch zu erwähnen, um die Abrisse des Einflußrahmens der österreichisch- ungarischen Monarchie in Bosnien- Herzegowina zu erweitern, damit das Gesamtbild vervollständigt wird.

II) ALLGEMEINER HISTORISCHER ÜBERBLICK

1) Berliner Kongreß; Okkupation und Annexion von Bosnien - Herzegowina

Nach dem Beschluß des Berliner Kongresses vom 13.Juli 1878 wurde die Österreichisch- Ungarische Monarchie autorisiert „die Provinzen Bosnien - Herzegowina zu besetzen und zu verwalten“[1]. Die Landfläche Bosniens und der Herzegowina betrug damals „51 027 km2, auf der ca. 1.142.147 Menschen lebten“[2].

Der Berliner Kongreß war eine Versammlung von Österreich und England angeregt und von Otto von Bismarck (1815-1898) einberufen. Diese Versammlung der führenden Staatsmänner der europäischen Großmächte und der Türkei zur Friedensvermittlung fand nach dem russisch- türkischen Krieg von 1877/78, der von 13.6. bis 13.7.1878 in Berlin statt. Österreich - Ungarn, durch Außenministerium Joseph- Gyula Graf Andrássy (1823- 1890) vertreten, erhielt das Mandat, die türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina sowie den Sandschak Novipazar zu besetzen und zu verwalten. Dies sollte das russische Übergewicht auf dem Balkan zugunsten Österreich - Ungarns ausgleichen, vertiefte jedoch den Gegensatz zwischen den beiden Mächten, der 1879 zum deutsch- österreichischen Zweibund führte und eine der Ursachen des Ersten Weltkriegs war.

Die Meinung, daß die Türken Bosnien- Herzegowina der Monarchie nicht ganz überlassen wollten, ist unter den bosnisch - herzegowinischen Gelehrten bis heute verbreitet.

Na dan 13.jula potpisan je protokol Kongresa, ciji je dvadeset peti clan predstavljao odluku o sudbini Bosne i Hercegovine, koja je data na upravljanje Austro-Ugarskoj, ali je, na insistiranje turskih delegata, uz protokol sklopljen i tajni sporazum, u komu je naglasena privremenost okupacije i priznavanje sultanovog suvereniteta nad okupiranom zemljom.[3]

Am 13.Juli wurde das Protokoll des Kongresses unterzeichnet, dessen fünfundzwanzigster Artikel den Beschluß über das Schicksal von Bosnien- Herzegowina darstellte, das zwar von Österreich- Ungarn verwaltet werden soll, wobei die türkische Delegation insistierte, daß zusätzlich zu dem Protokoll noch ein Geheimabkommen abgeschlossen wird, in dem die Kurzfristigkeit der Okkupation betont und die Anerkennung der Souveränität des Sultans über das okkupierte Land gegeben ist.[4]

Die Okkupation von Bosnien- Herzegowina wurde in drei Monaten durchgeführt, wurde aber nicht von allen Bevölkerungsschichten akzeptiert und mit Begeisterung hingenommen. Der aufgeflammte Widerstand wurde bekämpft, die Okkupation verursachte jedoch Massenemigrationen der muslimischen Bevölkerung, die Zuflucht in dem Osmanischen Reich suchte.

Die Stimmung in Bosnien- Herzegowina nach dem bekämpften Widerstand beschreibt Rizvic folgendermaßen:

...pobijedjene muslimanske mase ovaj akt okupacije osjetile su sa svom gorcinom i neizvjesnoscu mucne atmosfere i svjezinom iskrene i otvorene mrznje povlaceci se u svoje domove, dok je nemuslimansko stanovnistvo primilo okupaciju u prvim danima sa izvjesnim olaksanjem, kao dolazak civilizovane i evropski uredjene krscanske drzave i kao oslobadjanje od samovolje turske vlasti, mada s razlicitim i nejednakim osjecanjima.[5]

...die besiegten muslemischen Massen empfanden diesen Akt der Okkupation mit aller Bitterkeit und Ungewißheit der üblen Atmosphäre und der Frische des aufrichtigen und offenen Hasses, sich in ihre Häuser zurückziehend, während die nichtmoslemische Bevölkerung in den ersten Tagen die Okkupation mit gewisser Erleichterung hinnahm, als ob die Okkupation das Kommen des zivilisierten und westlich geregelten christlichen Staates und Befreiung vom Selbstwillen der türkischen Herrschaft wäre, jedoch mit unterschiedlichen und ungleichartigen Gefühlen.

Die „stumme Zeit“[6] der moslemischen Bevölkerung, die in Folge der Okkupation von Bosnien- Herzegowina entstand, war nicht nur eine Ablehnung gegen die Monarchie, sondern auch gegen die Türkei.

Prelomni dogadjaj u razvoju bosanskih Muslimana predstavlja okupacija Bosne i Hercegovine 1878. Otpor protiv okupacije koji su organizovali bosanski Muslimani bio je u neku ruku i otpor protiv Turske, koja se saglasila sa okupacijom.(...) Austrougarska okupacija je kod Muslimana pojacala proturska raspolozenja. Iza nada u restauraciju stajali su vazni materijalni impulsi. Nalazili su da su u novoj drzavnoj konstelaciji ugrozeni njihovi vjerski i ekonomski interesi. Okupacijom su produbljene i kulturne diferencijacije.[7]

Das ausschlaggebende Ereignis in der Entwicklung der bosnischen Moslime stellt die Okkupation von Bosnien - Herzegowina 1878 dar. Der Widerstand gegen die Okkupation, den die bosnischen Moslime organisierten, war zugleich ein Widerstand gegen die Türkei, die mit der Okkupation einverstanden war. (...) Die österreichisch- ungarische Okkupation verstärkte bei den Moslimen die protürkische Gesinnung. Hinter der Hoffnung auf die Restauration standen wichtige materielle Impulse. Sie fanden, daß in der neuen staatlichen Konstellation ihre religiöse und ökonomische Interessen gefährdet wären. Durch die Okkupation wurden die kulturellen Differenzen ebenfalls vertieft.

Aus den oben angeführten Abhandlungen läßt sich eruieren, wie bedeutend die Okkupation von Bosnien - Herzegowina für alle ihre Völker und für die weitere Entwicklung des ganzen Balkanraums und schließlich für die Geschichte Europas war. Das Nationalbewußtsein der bosnischen Moslime entwickelte sich ab dem Zeitpunkt in einer neuen Dimension, weswegen dem Einfluß der österreichischen Literatur auf die Entwicklung der Literatur in Bosnien- Herzegowina, auf den ich später kommen werde, die Steine in den Weg gelegt wurden. In diesem Zusammenhang ist gerade die moslemische Bevölkerung bemerkenswert, weil sie sich einerseits von der Türkei verraten und verlassen fühlte, andererseits mit einer neuen Welt konfrontiert wurde, mit der sie sich gezwungenermaßen auseinandersetzen und die sie akzeptieren mußte.

Die Situation in Bosnien- Herzegowina, die die österreichisch- ungarische Monarchie vorfand, entspricht folgendem Bild:

Beide Länder, d.h. das Doppelstaat Bosnien- Herzegowina, waren zu diesem Zeitpunkt tief orientalisiert, technisch und wirtschaftlich sehr rückständig und durch den Aufstand der christlichen, vorwiegend serbisch- orthodoxen Bevölkerung zwischen 1875-1878 zusätzlich erschöpft und politisch beunruhigt.[8]

Der folgenden Tabelle kann die Bevölkerungsstruktur des Landes entnommen werden:

Tabelle 1[9]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

*Volkszählung 1910 (Sarajevo 1912) S.III-VIII

** Bis 1905 wurden sie offiziell als Griechisch- Orthodoxe geführt

*** Bis 1901 lautete die offizielle Benennung: Muhammedaner

Es ist eine leichte Mehrheit der serbisch- orthodoxen Bevölkerung zu beobachten, der die moslemische und römisch- katholische Bevölkerung folgt. Es ist jedoch offensichtlich, daß es sich um eine vielfältige Bevölkerungskonstellation handelt, bzw. das Vorhandensein der multiethnischen Bevölkerung und aller drei Weltreligionen in einem relativ kleinen Staat, was unter anderem auch einen bedeutenden Einfluß auf die Entstehung und Entwicklung der Literatur hatte.

Sarajevo als Hauptstadt und Zentrum von Bosnien- Herzegowina und zwar sowohl von der geographischen Lage her als auch als geistiges Zentrum, wurde zum Schnittpunkt aller Koordinaten nach der Okkupation:

Jer od 19. augusta 1878, pise Kresevljakovic, Sarajevo je postalo primjer grada u kome se sastaju dvije kulture, istocno-islamska i zapadno-krscanska...[10]

Ab 19. August 1878, schreibt Kresevljakovic, wurde Sarajevo als Stadt beispielhaft, in der zwei Kulturen, östlich- islamische und westlich- christliche, aufeinandertreffen.

Die Situation im Lande wurde im Laufe der Zeit immer ruhiger und die moslemische Bevölkerung der österreichisch- ungarischen Monarchie gegenüber positiv eingestellt. Die Moslems waren damals die reichste und wohlhabendste Bevölkerungsschicht, weswegen die Landesregierung bemüht war, die einflußreichste Schicht im Land für sich zu gewinnen:

...medju Muslimanima je djelovala i jedna pomirljiva struja, favorizovana od strane Zemaljske vlade, koja je bila spremna za sporazumijevanje i prilagodjavanje. Ona je svoju politicku ideologiju zasnivala na kritici ranije turske vladavine u Bosni i negativnih vidova orijentalnog mentaliteta i konzervatizma, na umjerenom i razloznom raspolozenju prema oblicima nove, uredjene vlasti, te prema tekovinama savremene zapadne kulture i civilizacije koje su s njome dosle u Bosnu i Hercegovinu.[11]

...unter den Moslems wirkte auch eine versöhnliche Strömung, favorisiert seitens der Landesregierung, die auf Verständigung und Anpassung bereit war. Sie hat ihre politische Ideologie auf der Kritik der früheren türkischen Herrschaft in Bosnien und negativen Aspekten der orientalischen Mentalität und des Konservatismus, auf gemäßigter und begründeter Einstellung gegenüber den Formen der neuen, geregelten Herrschaft, sowie gegenüber den Errungenschaften der modernen westlichen Kultur und Zivilisation, die mit ihr nach Bosnien- Herzegowina kamen, gegründet.

2.) Österreichisch- ungarische Monarchie

Die Österreichisch- Ungarische Monarchie (Österreich- Ungarn) entstand nach dem Abschluß des Ausgleichs mit Ungarn 1867, so daß das Kaisertum Österreich aus einem Einheitsstaat in eine Doppelmonarchie (Dualismus) umgewandelt wurde.

Die österreichische und die ungarische Reichshälfte wurden zu gleichberechtigten selbständigen Staatsgebilden. Gemeinsam für beide Staaten waren das Staatsoberhaupt, die auswärtigen Angelegenheiten, das Militär- und das Finanzwesen. Eine Währungs- und Zollunion bzw. ein alle 10 Jahre erneuertes Wirtschaftsbündnis gewährleistete die wirtschaftliche Einheit beider Länder. Die beiden Reichsteile waren:

1. „Die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder" (Cisleithanien): Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Krain, Küstenland (Görz-Gradisca, Triest, Istrien), Dalmatien, Böhmen, Mähren, Ö.-Schlesien, Galizien und Bukowina; sie unterstanden der Person des "Kaisers von Österreich". Die Sammelbezeichnung "Österreich" für diese Gebiete wurde 1915 offiziell.
2. „Die Länder der heiligen ungarischen Stephanskrone" (Transleithanien): Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien, Slawonien und Fiume; an der Spitze stand der "apostol. König von Ungarn". - Dazu kamen die türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina, 1878 von der österreichisch- ungarischen Monarchie besetzt, 1908 als Reichsland einverleibt und vom gemeinsamen Finanzministerium verwaltet.

Eine Verfassung für beide Reichsteile kam nie zustande. Die Verwaltung übten die Delegationen gemeinsam mit den verantwortlichen Ministern aus. Der Monarch verfügte über das gesamte Heer. Die Verfassung der österreichischen Reichshälfte beruhte auf den Staatsgrundgesetzen von 1867, jene der einzelnen Kronländer auf einem Dekret von 1861 (15 Landesordnungen).

Der Monarch übte die gesetzgebende Gewalt gemeinsam mit dem Reichsrat, in Landesangelegenheiten mit den Landtagen der Kronländer aus. Der Reichsrat bestand aus dem Herrenhaus von 291 (1914) Mitgliedern und dem Abgeordnetenhaus von zuletzt 516 Mitgliedern (auf 6 Jahre vom Volk gewählt).

Die Geschichte der österreichisch -ungarischen Monarchie fällt fast zur Gänze in die Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph I. (Franzisko - josephinische Ära). Nach Franz Josephs Tod (21.11.1916) übernahm sein Großneffe als Kaiser Karl I (in Ungarn als König Karl IV.) das Reich.

Die österreichisch -ungarische Monarchie war der zweitgrößte Staat Europas und eine der entscheidenden Großmächte. Mit reichen Bodenschätzen, fruchtbaren Böden, vielseitiger Industrie, günstigen Verkehrswegen und Meereshäfen und einem Territorium, das den größten Teil des Donauraums mit den Ostalpen-, Sudeten-, Karpaten- und Adrialändern umfaßte, war sie ein ideales Wirtschaftsgebiet:

Sie war ein Vielvölkerstaat, und die daraus resultierende Nationalitätenfrage konnte trotz vieler Bemühungen (Föderalismus) nie gelöst werden und führte zum Zerfall der österreichisch -ungarischen Monarchie am Ende des Ersten Weltkriegs.

In Cisleithanien lebten 1910 35,5 % Deutschsprachige (im Gesamtgebiet 19,12 %), in Transleithanien 48 % Magyaren (im eigentl. Ungarn 54,5 %, im Gesamtstaat 19,12 %), Tschechen und Slowaken stellten 16,5 %, Serben und Kroaten 10,5 %, Polen 10 %, Ukrainer 8 %, Rumänen 6,5 %, Slowenen 2,5 %, Italiener u. a. 2 % der Einwohner. Nach Religionen gliederte sich die Bevölkerung in 77,7 % Katholiken, 8,8 % Evangelische, 8,7 % Orthodoxe, 4 % Juden und 0,8 % Anhänger sonstiger Bekenntnisse.

Zu spät proklamierte Kaiser Karl am 16.10.1918 einen Nationalitätenbundesstaat. Die einzelnen Nationen schufen sich bereits selbständige Staaten oder schlossen sich Nationen außerhalb der Reichsgrenzen an. Die Deutschsprachigen Abgeordnete des Reichsrats riefen als "deutsch- österreichischer Nationalrat" die Republik aus (Erste Republik). Die Friedensverträge von Saint- Germain (1919 mit Österreich) und Trianon (1920 mit Ungarn) besiegelten die Aufteilung der österreichisch-ungarischen Monarchie unter die Nachfolgestaaten.[12] [13]

III ) Literatur in Österreich –Ungarn zwischen 1878 und 1918- kurzer Überblick

In den 80er Jahren des 19-ten Jahrhunderts kam es noch nicht zur Wende der modernen Literatur in Österreich, vor allem in Wien als kulturellem und geistigem Zentrum. Zur genannten „Wiener Realistenschule“[14] gehörten Erzähler wie Marie Ebner- Eschenbach (1830-1916), Ferdinand von Saar (1833-1906), Ludwig Anzensgruber (1839-1889).

Und erst gegen Ende der achtziger Jahre begann die Generation der zwischen 1860 und 1875 geborenen ‚Jung- Wiener‘ neue literarische Konzeption zu entwickeln.[15]

„Wollte man den Beginn der literarischen Wiener Moderne mit einem Datum bezeichnen, so böte sich der 1.Januar 1890 an (Wunberg, 1981, 19, Rieckmann, 1985, 43).[16]

Als Vorreiter und Wegweiser für die moderne Dichtung gelten Eduard Michael Kafka (1868-1893) und Hermann Bahr (1863-1934)[17]

Als der Naturalismus überwunden ist, geht es darum, den Symbolismus, die Neuromantik, die Mystik der Nerven oder wie immer er das zu nennen pflegte, ihrerseits zu überwinden, um zum Impressionismus zu gelangen; und alsbald (...) wird der Impressionismus verlassen zugunsten des Expressionismus überwunden. Das nun hat in seinem Rigorismus keine Parallele mehr in der zeitgenössischen Literaturkritik.[18]

‘Nerven‘ und ‚Nervosität‘, ‚Empfindung‘ und ‚Stimmung‘ sollten die bevorzugten Schlagworte der Jung- Wiener Post- Naturalisten werden.[19]

Im Gegensatz zu den Autoren[20], die sich vorwiegend mit der Kunst an sich, dem Ästhetizismus, Dekadenz und der Tiefenpsychologie beschäftigen: „Das Leben als Kunst sollte in der Tat zu einem herausragenden Thema der Jung- Wiener Literatur werden.“[21], sind auch die Autoren präsent gewesen, für die die politische und historische Situation, bzw. das Phänomen der österreichisch- ungarischen Monarchie zum literarischen Thema wurde.

Mit einigen von diesen Autoren, die sich nicht als Vertreter einer Stilrichtung oder als Ankündiger einer neuen bezeichnen lassen, möchte ich mich in meiner Arbeit beschäftigen. Da diese Autoren die Reflexion der Welt in der sie lebten, bzw. der Monarchie als Vielvölkerstaat und Monarchie an der Schwelle ihres Unterganges und an der Schwelle des Ersten Weltkrieges, sprachlich und literarisch darstellten, sind sie trotz alledem heute fast völlig in Vergessenheit geraten.

Die Unterschiede zwischen Robert Michel (1976-1957), Roda Roda (1872-1945), Gustav Sieber und Bruno Brehm (1892-1974) sind sehr groß, was den literarischen Stil betrifft, doch sie haben auch einige Gemeinsamkeiten.

Ich werde mich in meiner Arbeit hauptsächlich mit dem Bild von Bosnien und der Herzegowina in den Werken der genannten Autoren beschäftigen. Diesen Autoren ist der historische Moment und seine Wichtigkeit für die Zukunft der Monarchie, die die Okkupation und spätere Annexion dieses Landes verursachte, ein bedeutendes Thema. Zugleich faszinierte sie die Welt des Neuen und Andersartigen in einem Land, das den Westen mit dem Osten als eine Brücke verband, oder vielleicht doch als eine Pufferzone zwischen zwei entgegengesetzten Polen zu sehen war und ist. Alle vier Schriftsteller waren Offiziere der k.u.k. Monarchie und vielleicht gerade deswegen Patrioten und Idealisten, die vom Zusammenbruch der Monarchie tief berührt waren und die ihre Gedanken darüber literarisch verarbeiteten.

Das Sendungsbewußtsein des altösterreichischen Imperiums lebte am längsten in seiner Armee. Sie war Ausdruck für den Wehrwillen eines Staatswesens, das einer übernationalen Idee diente. Das Heer hielt mit seiner großen Tradition ein allmählich von innen her zerfallendes Vielvölkerreich zusammen, band durch soldatisches Pflichtgefühl auseinanderstrebende Nationen und einte sie über alle Gegensätze hinweg zu einem Ganzen. Das brüderliche Du, das innerhalb des Offizierskorps nicht nur zwischen Gleichrangigen, sondern auch zwischen Vorgesetzten und Untergebenen herrschte, ließ in allen ein Zusammengehörigkeitsgefühl aufwachsen, das einer größeren gemeinsamen Heimat galt. So gesehen war die altösterreichische Armee kein Werkzeug des Krieges, sondern eine Arche des Völkerverstehens. Als solche ist sie auch immer wieder in die Dichtung eingegangen bei so verschiedenen Persönlichkeiten wie Ferdinand von Saar, Franz Karl Ginzkey, Josef Roth, Robert Michel.[22]

Ich sehe die Werke „Quo vadis, Austria?“ (1913) von Gustav Sieber, und Erzählungen von Roda Roda, Robert Michel und Bruno Brehms ersten Teil der Trilogie „Apis und Este“ als eine besondere Schiene in der österreichischen Literatur der Jahrhundertwende an, da sie den Kontakt zum südlichen Teil der Monarchie herstellten. Gustav Sieber und Bruno Brehm beschäftigen sich intensiver mit den politischen Hintergründen der Okkupation und den Vorbereitungen für den Ersten Weltkrieg, während in den humoristisch- satirischen Erzählungen von Roda Roda und den romantischen von Robert Michel das orientalisch- mystische Bild von Bosnien und der Herzegowina und die bunte Mischung der Völker und der Kulturen dieses Landes im Vordergrund stehen.

Andererseits ist es auch interessant, den Einfluß der österreichischen Literaten auf die Entwicklung der Literatur in Bosnien- Herzegowina zu erwähnen, wobei dieser Einfluß in dieser Arbeit nicht eingehend bearbeitet wird, weil das ein eigenes Thema wäre.

Es kann dadurch gezeigt werden, daß die Okkupation von Bosnien- Herzegowina für die Entwicklung des geistigen Lebens und die gesamte Orientierung des Landes von entscheidender Bedeutung war.

Wien als Zentrum der Monarchie und als Zentrum der österreichischen Literatur der Jahrhundertwende hatte keinen direkten beachtenswerten Einfluß auf die Entwicklung der Literatur in Bosnien- Herzegowina. Mit dieser Problematik im allgemeinen beschäftigt sich auch Vajda und versucht, die Gründe für diese Sachlage zu finden:

Trotzdem war die Ausstrahlung der österreichischen Literatur nach dem Osten, den nicht deutschsprachigen Literaturen der Monarchie nicht so intensiv, wie man es hätte erwarten können. Diese Tatsache erklärt sich auch damit, daß die Nationen des Habsburgerreiches nunmehr eine Reife erlangt hatten, ihr Wesen mit eigenen literarischen Mitteln auszudrücken, und sich dadurch auf das gesamteuropäische Niveau aufzuschwingen. Zweitens war die Aufmerksamkeit aller in erster Linie auf Paris und nicht auf Wien gerichtet. Alle bewunderten die ‚dekadente‘ Poesie der französischen Symbolisten und überhaupt die französische Moderne. (.) Drittens sollte in Betracht gezogen werden, daß die Literaturen der Nationen der Monarchie sich ihren eigenen nationalen Zielen verschrieben und zumeist einen starken politischen und sozialen Gehalt hatten, die Wiener und die Prager deutsche Literatur sich aber im allgemeinen des ‚direkten‘ Politisierens enthielten, mit Ausnahme vielleicht von Karl Kraus.[23]

Der Einfluß und die Ausstrahlung der österreichischen Literatur auf die Literatur in Bosnien- Herzegowina war noch zusätzlich erschwert, da die Okkupation von einem christlichen Lande immerhin einen Schock für dieses tief islamisierte und orientalisierte Land, das vor 1878 so gut wie gar keine Berührungen mit der Literatur des „Westens“ hatte, bedeutete. Vajda betont ebenfalls die Wichtigkeit der Nationalitätenfrage und das Stärker werden des Nationalbewußtseins der Völker der Monarchie, was in Bosnien- Herzegowina wegen der gemischten Bevölkerung und den verschiedenen Religionen noch komplizierter war.

Die Okkupation kann als Wendepunkt in der Geschichte und Literaturgeschichte von Bosnien- Herzegowina angesehen werden, der alle Lebensbereiche der im Land lebenden Menschen beeinflußte und veränderte:

- prevrat godine 1878, kao smjena uprave i kao prodor oblika zivota nove civilizacije i kulture, zapadne i krscanske, nasuprot orijentalnoj i islamskoj, za muslimansko stanovnistvo predstavljao je udar i potres, nesrecu i kob, i opsti poremecaj njihovog psihickog i drustvenog bica. Za knjizevno stvaranje Muslimana on je znacio prelom i prekid i, nakon toga, gluho doba zbunjenosti, bescutnosti i zastoja.[24]

Der Umsturz des Jahres 1878, als Ablösung der Verwaltung und als Durchbruch der Lebensform der neuen Zivilisation und Kultur, der westlichen und christlichen, im Gegensatz zur orientalischen und islamischen, stellte für die muslimische Bevölkerung Schlag und Erschütterung, Unglück und Verhängnis, und allgemeine Störung ihres psychischen und sozialen Wesens dar. Für das literarische Schaffen der Moslems bedeutete er den Umbruch und Abbruch und danach die stumme Zeit der Verblüffung, der Abstumpfung und des Stillstands.

Rizvic betont dies mehrmals in seinem Werk „Knjizevno stvaranje muslimanskih pisaca u Bosni i Hercegovini u doba Austrougarske vladavine I,II“. (Literarisches Schaffen der moslemischen Schriftsteller in Bosnien und Herzegowina in der Epoche der österreichisch -ungarischen Regierung I, II):

Za knjizevno stvaranje Muslimana prve godine austrougarske uprave u Bosni i Hercegovini predstavljale su gluho doba, vrijeme punog knjizevnog zastoja, duhovne depresije i mrtvila.[25]

Für das literarische Schaffen der Moslems stellten die ersten Jahre der österreichisch- ungarischen Verwaltung die stumme Zeit dar, eine Zeit des vollen literarischen Stillstandes, der geistigen Depression und der Teilnahmslosigkeit.

Braun beschäftigt sich ebenfalls mit der Wende, die in Folge der Okkupation in der Literaturgeschichte von Bosnien -Herzegowina erfolgte und kommt zum ähnlichen Entschluß:

Der Einmarsch der österreichisch- ungarischen Truppen schließt die „orientalische Periode“ in der bosnisch - herzegowinischen Geschichte ab und bedeutet für das ganze Land, vor allem aber für die moslemische Bevölkerung eine vollständige Umorientierung, die in erster Linie durch zwei Prozesse gekennzeichnet war: durch die Abtrennung vom Orient und durch den politischen und kulturellen Anschluß an Europa.[26]

Damit waren wirtschaftliche und soziale Veränderungen verbunden. Die daraus folgende Angst der moslemischen Bevölkerung vor dem Christentum hatte die Ablehnung des neuen Systems zur Folge.

Jede Abweichung von der gewohnten Tradition, jede Konzession an die westlichen Sitten und Bräuche erschien als ein Verrat, als ein Abfall von dem durch Jahrhunderte so standhaft behaupteten Islam.[27]

Wie bereits erwähnt, wird die Modernisierung bzw. Annäherung an Europa in Bosnien- Herzegowina schrittweise akzeptiert. Einer der wichtigsten Beiträgen zur Modernisierung war die Möglichkeit, daß die jungen Bosnier und Herzegowiner in Wien studieren konnten, so daß sich eine neue Schicht bildete, die das Leben im Zentrum der Monarchie kennenlernen und es dadurch besser verstehen konnte.

Die Anzahl der in Wien lebenden und studierenden Bosnier und Herzegowiner stieg im Zeitraum vom 1878 bis 1918 allmählich an, was man der folgenden Tabelle entnehmen kann:

[...]


[1] Dzaja M. Srecko: Bosnien- Herzegowina in der österreichisch- ungarischen Epoche (1878-1918). Die Intelligentsia zwischen Tradition und Ideologie. Hrsg. Hösch und Nehring. In: Südosteuropäische Arbeiten 93. R. Oldenburg Verlag. München. 1994. S.37. Aus: Quellenpublikationen über den zwischen dem 13.juni und dem 13.Juli 1878 abgehaltenen Berliner Kongreß Novotny 1957; Geiss 1978 (die Bosnien und Herzegowina betreffende Materialien S.239- 250; Art.25, S.388).

[2] Dzaja. S.37.

[3] Rizvic Muhsin: Knjizevno stvaranje muslimanskih pisaca u Bosni i Hercegovini u

doba Austrugarske vladavine I,II. Akademija nauka i umjetnosti Bosne i

Hercegovine. Odjeljenje za knjizevnost i umjetnost. Djela. Knjiga XLVI.

Sarajevo.1973.

(Literarisches Schaffen der moslemischen Schriftsteller in Bosnien und

Herzegowina in der Epoche der österreichisch -ungarischen Regierung I, II.

Akadmie der Künste und Wissenschaften von Bosnien-Herzegowina. Abteilung für

Literatut und Kunst. Werke. Buch XLVI. Sarajevo. 1973.) S.51. Aus: Kapidzic

Hamdija: Hercegovacki ustanak 1882.godine. Sarajevo.Veselin Maslesa.1958.S.17.

[4] Ebd.Übersetzung. Die folgenden Übersetzungen der Zitate unter den Fußnoten: 5, 6, 9, 10, 24, 25, 153, 154 stammen ebenfalls von mir.

[5] Rizvic. S.52f. Aus:Ibidem 230-231.

[6] Siehe Fußnote 24. (Rizvic. S.51.)

[7] Hadzijahic Muhamed: Od tradicije do identiteta. Geneza nacionalnog pitanja

bosanskih Muslimana. Svjetlost. Sarajevo.1974. S.100.

(Von der Tradition zur Identität. Die Genese der nationalen Frage der bosnischen

Muslime. Svjetlost. Sarajevo.1974.S.100.)

[8] Dzaja. S.38.

[9] Dzaja. S.39.

[10] Rizvic. S.54. Aus: Kresevljakovic Hamdija: Sarajevo u doba okupacije Bosne

1878.Sarajevo.1937.S.18. (Sarajevo zur Zeit der Okkupation Bosniens 1878.)

[11] Rizvic. S.55.

[12] Alle oben angeführten Angaben wurden folgenden Werken entnommen:

Uhlirz K. u. M.: Handbuch der Geschichte Ö.-Ungarns. Bd. II/2 (1848-1914). 1941.

Die Habsburgermonarchie 1848-1918. Hg. v. A. Wandruszka u. P. Urbanitsch. 3

Bde. 1973-80.

[13] Ebd; Die Länder der österreichisch-ungarischen Monarchie:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[14] Vgl.Lorenz Dagmar: Wiener Moderne. J. B: Metzler Verlag. Stuttgart-Weimar.

1995. S.31.

[15] Ebd. S.31.

[16] Lorenz.S.35.

[17] Ebd.S.36.

[18] Ebd. S.42. Aus: (Wunberg,1987,111)

[19] Ebd..44.

[20] Wie zum Beispiel:

Hofmannsthal, Hugo von, (1874- 1929), Schnitzler, Arthur (1862-1931); Rilke, (eigentlich René) Maria, Rainer, (1875-1926); Beer-Hofmann, Richard, (1866- 1945); Salten, eigentlich Siegmund Salzmann, Felix, (1869- 1945); Leopold Andrian, eigtl.Leopold Reichsfreiherr von Andrian-Werburg (1875-1951)

[21] Lorenz. S.13.

[22] Schmidt Adalbert: Dichtung und Dichter Österreichs im 19.und 20. Jahrhundert.

Bd.1. Verlag das Bergland- Buch Salzburg/ Stuttgart. 1964. S.378.

[23] Vajda György M.: Wien und die Literaturen in der Donaumonarchie. Zur

Kulturgeschichte Mitteleuropas 1740-1918. Hrsg. Moritz Csáky. Böhlau Verlag.

1994. S. 192.

[24] Rizvic. S.51.

[25] Rizvic. S.64.

[26] Braun Maximilian: Die Anfänge der Europäisierung in der Literatur der

moslemischen Slaven in Bosnien und Herzegowina. In: Slavisch- Baltische

Quellen und Forschungen. Hrsg. Reinhold Trautmann. Markert & Petters Verlag.

Leipzig. 1934. S.40.

[27] Ebd. S.41.

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Das Bild von Bosnien-Herzegowina in der österreichischen Literatur zwischen 1878 und 1918
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Germanistik)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1999
Seiten
106
Katalognummer
V3506
ISBN (eBook)
9783638121576
Dateigröße
693 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bild, Bosnien-Herzegowina, Literatur
Arbeit zitieren
Denisa Gibovic (Autor:in), 1999, Das Bild von Bosnien-Herzegowina in der österreichischen Literatur zwischen 1878 und 1918, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3506

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