Förderung der beruflichen Teilhabe von Menschen mit psychischer Behinderung

Projektarbeit im Rahmen der Vorbereitung auf eine Tätigkeit als Gästeführer auf der Landesgartenschau Apolda


Projektarbeit, 2016

29 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Menschen mit psychischer Behinderung und das Arbeitsleben
2.1 Begriffsklärung: Psychische Erkrankung und psychische Behinderung
2.2 Die Bedeutung von Arbeit für Menschen mit psychischer Behinderung
2.2.1 Die Funktionen von Arbeit
2.2.2 Ein Überblick über Chancen und Risiken von Arbeit für Menschen mit psychischer Behinderung
2.3 Schwierigkeiten von Menschen mit psychischer Behinderung im Arbeitsleben

3 Die Förderung der beruflichen Teilhabe von Menschen mit psychischer Behinderung
3.1 Zum Recht auf berufliche Teilhabe
3.2 Überblick über die Fördermaßnahmen beruflicher Teilhabe
3.3 Ziele der Fördermaßnahmen beruflicher Teilhabe

4 Projekt zur Förderung der beruflichen Teilhabe von Menschen mit psychischer Behinderung
4.1 Rahmenbedingungen
4.1.1 Vorstellung der Tagesstätte „LebensTakt“ Apolda
4.1.2 Vorstellung der Projektteilnehmer
4.2 Projektidee
4.3 Durchführung des Projekts
4.3.1 Vorbereitung der Projektteilnehmer auf Tätigkeit als Gästeführer
4.3.2 Gestaltung der Rahmenbedingungen der Gästeführer-Tätigkeit
4.4 Ergebnisse und Reflexion
4.4.1 Auswirkungen des Projekts auf Teilnehmer
4.4.2 Auswirkungen des Projekts auf berufliche Teilhabe

5 Fazit und Ausblick

6 Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Die Vor- und Nachteile der Gästeführer-Tätigkeit laut Aussagen der Projektteilnehmer 17

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Berufstätigkeit ist ein zentraler Bestandteil der Lebenswelt des Menschen, welcher einen nicht unerheblichen Einfluss auf das seelische Befinden ausübt.

In einer sozialwissenschaftlichen Studie über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit in einem kleinen Dorf in Österreich, in welchem nach der Schließung der ansässigen Textilfabrik nahezu die gesamte Bevölkerung ihre Arbeit verloren hatte, konnten, unter Leitung von Marie Jahoda und Paul Felix Lazarsfeld, die verheerenden Folgen von Arbeitslosigkeit auf das gesamte Leben und die Psyche der Betroffenen nachgewiesen werden. Aus diesen Folgen leitete Jahoda eine Reihe an psychisch stabilisierenden Funktionen ab, welche von Erwerbstätigkeit ausgehen.

Doch betrachtet man die derzeitige Arbeitswelt, so kommt man nicht umhin, auch der Kehrseite der Medaille Aufmerksamkeit zu schenken. In den letzten Jahrzehnten haben die zunehmende Technisierung und der gesellschaftliche Wandel zu beachtlichen strukturellen, inhaltlichen und organisatorischen Neuerungen in der Arbeitswelt geführt. Dem erfolgreichen Ausschöpfen der Potentiale von Erwerbstätigkeit stellen sich plötzlich mit der Veränderung einhergehende, um ein Vielfaches höhere Herausforderungen und damit verbundene, gesteigerte soziale wie psychische Belastungen in den Weg. Vor allem die rasante Geschwindigkeit der Veränderungen erfordert ein hohes Maß an Stresstoleranz, Flexibilität, Mobilität sowie Lern- und Kommunikationsfähigkeit.

In einer Zeit, in der selbst Menschen ohne Beeinträchtigung diesen Anforderungen und Belastungen häufig nicht standhalten können, bleiben Menschen mit psychischer Behinderung gänzlich auf der Strecke. Der Zugang zur Arbeitswelt wird oder bleibt ihnen ohne professionelle Unterstützung verwehrt. Da Arbeit allerdings nicht nur existenzielles Bedürfnis, sondern aufgrund ihrer vielfältigen Funktionen auch Grundrecht aller Menschen ist, hat der Gesetzgeber mit Verabschiedung des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) auch die Förderung der beruflichen Teilhabe von Menschen mit psychischer Behinderung als programmatisches Ziel erklärt. Leistungen und Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation sollen Betroffenen dabei helfen, den Zugang zur Arbeitswelt trotz Beeinträchtigung zu erhalten. Es versteht sich von selbst, dass es sich dabei, in Anbetracht der derzeitigen Arbeitsweltstrukturierung, um kein einfaches Unterfangen handelt.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit eben dieser Problematik. Im Setting einer teilstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe – der Tagesstätte „LebensTakt“ in Apolda – soll untersucht werden, inwieweit es gelingt, die berufliche Teilhabe von Menschen mit psychischer Behinderung zu fördern: Durch intensive Vorbereitung soll den Betroffenen die Möglichkeit eröffnet werden, auf der Landesgartenschau in Apolda als Gästeführer tätig zu sein. Auf diese Weise soll ihnen der zeitweilige Zugang zur Arbeitswelt mit all ihren Chancen und Potentialen eröffnet werden. Im Optimalfall fungiert diese Beschäftigung als Sprungbrett für weitere Tätigkeiten. Um den mit einer Erwerbstätigkeit einhergehenden psychischen Belastungen und der Gefahr der Überforderung entgegenzuwirken, sollen die Betroffenen im Rahmen des vorliegenden Projekts schrittweise an ihre bevorstehende Tätigkeit herangeführt werden. Stufenweise sollen sie durch gezielte Vorbereitung mit den für ihre Tätigkeit erforderlichen Qualifikationen gerüstet werden. Ziel ist es sie dabei zu unterstützen, bereits im Vorfeld Versagensängste abzubauen, indem sie tätigkeitsrelevante Kompetenzen wie ein gewisses Maß an Selbstsicherheit sowie eine verbesserte sprachliche wie auch soziale Kompetenz entwickeln. Sie sollen ein Gefühl dafür entwickeln, sich selbst mehr zuzutrauen.

Der Aufbau der Arbeit gestaltet sich wie folgt: Zunächst soll der Leser an die dem Projekt zugrundeliegende Thematik herangeführt werden. In einem ersten Themenkomplex wird ihm das gespannte Verhältnis von Menschen mit psychischer Behinderung und der Arbeitswelt nähergebracht. Nach einer einleitenden Begriffsklärung wird verdeutlicht, welche Bedeutung eine Erwerbstätigkeit für Menschen mit psychischer Behinderung innehaben kann. Dazu werden dem Leser zunächst die unterschiedlich Funktionen und Potentiale von Erwerbstätigkeit im Allgemeinen erläutert und im Anschluss die damit einhergehenden Chancen aber auch Gefahren für Menschen mit psychischer Behinderung diskutiert. Der Bedeutung von Arbeit für Menschen mit psychischer Behinderung werden im Anschluss die Schwierigkeiten, mit denen sich Betroffene in der derzeitigen Arbeitswelt konfrontiert sehen, gegenübergestellt. Der folgende Themenkomplex widmet sich den Fördermaßnahmen der beruflichen Teilhabe von Menschen mit psychischer Behinderung in Bezug auf deren Auftrag, die Hürden auf dem Weg zu einer Erwerbstätigkeit aus der Welt zu schaffen. Nach einer kurzen Einführung zum Recht auf berufliche Teilhabe, wird ein Überblick über die Leistungen und Maßnahmen gegeben. Daraufhin wird erläutert wie die Maßnahmen im Optimalfall gestaltet sind und welche Ziele sie konkret verfolgen. Nach der Vorstellung der theoretischen Grundlagen werden die Projektidee und die Rahmenbedingungen des Projekts näher erläutert. Der Beschreibung des Projekt-Settings folgt die Vorstellung der Projektteilnehmer. Nach der Schilderung der Durchführung des Projekts werden dessen Auswirkungen auf die Teilnehmer und deren berufliche Perspektive diskutiert. Die Arbeit schließt mit einem Fazit.

2 Menschen mit psychischer Behinderung und das Arbeitsleben

Die Begriffe Arbeit und Erwerbstätigkeit werden im üblichen Sprachgebrauch als Bezeichnung für eine Beschäftigung, welche gegen Bezahlung ausgeübt wird, verwendet. An dieser Stelle ist jedoch zu erwähnen, dass auch ehrenamtliche Tätigkeiten sowie Praktika dazu gezählt werden können. Wenn im Verlaufe der vorliegenden Projektarbeit von Arbeit und Erwerbstätigkeit die Rede ist, werden alle drei genannten Formen angesprochen.

Nach einer Einführung der Begrifflichkeiten „psychische Erkrankung“ und „psychische Behinderung“ liefert das vorliegende Kapitel dem Leser einen Überblick darüber, was Erwerbstätigkeit für Menschen mit psychischer Behinderung bedeuten kann. Um zu verdeutlichen, was die Beeinträchtigung der Teilhabe am Arbeitsleben, bedingt durch eine psychische Erkrankung, für die Betroffenen bedeutet und um die Notwendigkeit sowie die Chancen der Förderung der beruflichen Teilhabe eben dieses Personenkreises zu bekräftigen, wird zunächst ein Blick auf die vielfältigen Funktionen von Erwerbstätigkeit geworfen. Es folgt die Fokussierung auf Chancen und Gefahren, welche für den beschriebenen Personenkreis von Arbeit ausgehen. Des Weiteren sollen Schwierigkeiten, mit denen sich Menschen mit psychischer Behinderung im Arbeitsleben konfrontiert sehen, aufgezeigt werden. Denn diese Schwierigkeiten sind die Hürden, die es auf dem Weg zur Teilhabe am Arbeitsleben zu überwinden gilt.

2.1 Begriffsklärung: Psychische Erkrankung und psychische Behinderung

Um dem Leser einen Zugang zum Personenkreis zu eröffnen, um den es in den folgenden Ausführungen gehen wird, ist es notwendig, sich zunächst mit Begriffen wie „psychische Erkrankung“ und „psychische Behinderung“ genauer zu beschäftigen. Genannte Termini werden üblicherweise sehr generalisiert benutzt. Dabei gibt es allerdings zwei Dinge zu beachten. Zum einen muss verdeutlicht werden, dass psychische Erkrankungen in vielschichtigen Variationen auftreten, welche sich in den unterschiedlichsten Krankheitsbildern äußern (vgl. Wollny, 1999, S. 5). Psychische Erkrankung ist demnach nicht gleich psychische Erkrankung. Die Symptome der Betroffenen können zahlreich und wechselhaft auftreten. Oftmals gehen Krankheitsbilder ineinander über, sodass sie ausgehend vom Symptombild nicht klar voneinander abgrenzbar sind. Eine generalisierte Verwendung dieses Begriffs ist demnach unbedacht. Zum anderen muss eine klare Differenzierung der Begrifflichkeiten Krankheit und Behinderung voneinander erfolgen. Während der Terminus „psychische Erkrankung“, wie bereits angedeutet, einen undifferenzierten Oberbegriff für sämtliche psychische Krankheitsbilder darstellt, werden Menschen aus allen diagnostischen Gruppen als psychisch behindert bezeichnet, wenn sie als Folge einer psychischen Erkrankung nicht nur vorübergehend mit gravierenden Beeinträchtigungen von Aktivitäten und Teilhabe konfrontiert sind (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2010, S. 21). Abhängig von der Form der psychischen Erkrankung können sich die Beeinträchtigungen vom Bereich der Alltagsbewältigung, über den der sozialen Integration bis hin zu Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit erstrecken (ebd.). Demnach führen unterschiedliche psychische Erkrankungen zu verschiedenen Beeinträchtigungen, welche sich außerdem in Dauer und Schwere unterscheiden (vgl. Wollny, 1999, S. 19). So birgt beispielsweise eine schizophrene Psychose ein höheres Behinderungsrisiko im Bereich beruflicher Leistungsfähigkeit als eine phobische Störung (ebd.). Dieser Unterschied darf bei der Förderung der beruflichen Teilhabe von Betroffenen nicht außer Acht gelassen werden.

2.2 Die Bedeutung von Arbeit für Menschen mit psychischer Behinderung

2.2.1 Die Funktionen von Arbeit

„Der Alltag des erwachsenen Menschen wird in unserer Gesellschaft wesentlich durch das Arbeitsleben ausgefüllt. Auch dem … behinderten Menschen gibt die Arbeit Möglichkeit zur Selbstbestätigung, Selbstständigkeit, sozialer Anerkennung und zum Leben in Gemeinschaft. Erfahrungen im Arbeitsleben können die Persönlichkeits- und Sozialentwicklung positiv beeinflussen. … behinderten Menschen muss daher der Anspruch auf dauerhafte Eingliederung in die Arbeitswelt gesichert werden“ (Bundesvereinigung Lebenshilfe, 1990, zit. n. Frühauf & Wendt, 2005, S. 348). Mit ihrer Forderung nach umfassender beruflicher Teilhabe von Menschen mit Behinderung beruft sich die Mitgliederversammlung der Bundesvereinigung der Lebenshilfe 1990 auf die vielfältigen Funktionen, welche Erwerbsarbeit neben ihrer manifesten Funktion, nämlich der Sicherung des Lebensunterhaltes, innehat (vgl. Bieker, 2005, S. 15). Diese sogenannten latenten Konsequenzen von Arbeit werden im Folgenden erläutert (vgl. Bieker, 2005, S. 15 f.; Zeelen & van Weeghel, 1994, S. 35):

- Arbeit gibt dem Leben eine Zeitstruktur, welcher man sich nicht entziehen kann. Diese liefert einen Kontrast: Der Beschäftigte erfährt einen Wechsel zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Anspannung und Ruhe sowie Entspannung. Außerdem erhält der Alltag einen festen Zeitrhythmus durch die Vorgabe eines Tages- und Wochenablaufes, welcher Sicherheit und Orientierung vermittelt, indem die Notwendigkeit entfällt bzw. reduziert wird, die Zeit selbstaktiv zu füllen.
- Erwerbstätigkeit erweitert den sozialen Horizont und trägt zur weitergehenden Sozialintegration bei, indem sie regelmäßige Kontakte zu Personen außerhalb der eigenen Familie ermöglicht. Dies kann in zweierlei Hinsicht vorteilhaft sen. Zum einen werden die primären sozialen Netze wie Familie und Freunde entlastet. Zum anderen wird das Potential an Anregungen, Informationen sowie Handlungsmöglichkeiten erweitert.
- Arbeit bindet den Beschäftigten über seinen persönlichen Rahmen hinaus in Zwecksetzungen sowie kollektive Ziele ein. Jeden Tag aufs Neue zeigen Zusammenarbeit und Arbeitsteilung, dass Menschen einander brauchen, um Kultur und Volkswirtschaft aufrechtzuerhalten. Als Teil der Arbeitsgemeinschaft leistet er einen nützlichen Beitrag zum Erreichen kollektiver Ziele: Das Resultat seiner Arbeit kommt nicht nur ihm selbst zugute, sondern immer auch seinen Kollegen.
- Erwerbstätigkeit vermittelt sozialen Status sowie die damit einhergehende Identität in der Gemeinschaft. Der Beschäftigte kann sich im Vergleich mit anderen einordnen. Er gehört dazu. Der Elfte Jugendbericht der Bundesregierung weist der Erwerbstätigkeit dementsprechend eine bedeutende Rolle zu. Er geht davon aus, „dass Arbeit und Beruf für nahezu alle jungen Menschen von großer Bedeutung bei der Suche nach Identität sind und gewissermaßen den Kristallisationspunkt ihrer Identitätsentwicklung darstellen“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2002 zit. n. Bieker, 2005, S.15).
- Arbeit erzwingt die Aktivität des Beschäftigten, indem sie Anforderungen und Verpflichtungen an ihn stellt. Auf diese Weise werden Ressourcen des Einzelnen auf kognitiver sowie sozialer Ebene aktiviert.

Wenn nun diese latenten Funktionen von Arbeit um die Potentiale ergänzt werden, welche sich der Beschäftigte durch Erwerbstätigkeit im Idealfall erschließen kann, so ergibt sich eine Reihe individueller Chancen, welche sich diesem eröffnen (vgl. Bieker, 2005, S. 16):

- Arbeit als regelmäßige Quelle sozialer Einbindung sowie Einkommen vermittelt ein Gefühl von Sicherheit.
- Erwerbstätigkeit eröffnet die Möglichkeit die eigene Lebensführung einkommensbezogen zu planen sowie persönliche Bedürfnisse durch das Arbeitsentgelt (wenn vorhanden) zu befriedigen.
- Durch den Erwerbsstatus sowie bei erfolgreicher Bewältigung beruflicher Anforderungen können Anerkennung und sozialer Status erzielt werden, was wiederum das Selbstwertgefühl steigert.
- Berufliche Tätigkeit bietet dem Beschäftigten die Möglichkeit, Lebensfreude und Sinnerfüllung zu finden, sich selbst zu verwirklichen und Selbstvertrauen sowie Selbstbewusstsein zu schöpfen.
- Durch Erwerbstätigkeit bietet sich die Möglichkeit, als gleichberechtigtes, vollwertiges und reifes Mitglied der Gesellschaft gesehen zu werden.

2.2.2 Ein Überblick über Chancen und Risiken von Arbeit für Menschen mit psychischer Behinderung

Einige der genannten Funktionen und Potentiale der Erwerbstätigkeit sind für Menschen mit psychischer Behinderung von besonderer Bedeutung. Es sind vor allem die genannten psychologisch stabilisierenden Funktionen von Arbeit, welche den Betroffenen, die als Folge ihrer Erkrankung ohnehin Probleme damit haben, den eigenen Selbstwert zu erkennen und zu festigen, soziale Kontakte zu knüpfen, ihren Alltag zu strukturieren sowie aktiv zu sein, von unmittelbarem Nutzen sein können (vgl. Reker, 1998, S. 3).

Je deutlicher Beeinträchtigungen sichtbar sind, desto wichtiger scheint es für die eigene Identität zu sein, dass der Blick von den offensichtlichen Defiziten zu individuellen Ressourcen wandert (vgl. Bieker, 2005, S. 16). Arbeit kann dabei eine große Rolle spielen: Sie ist der „öffentlich sichtbare Beleg für Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft“ (Bieker, 2005, S. 16). Leistungen erzielen oftmals Erfolge und diese resultieren wiederum in sozialer Anerkennung, sei es durch Kollegen, Freunde oder Familie. Das Gefühl, gebraucht zu werden, als Arbeitskraft, und eigens etwas schaffen zu können, steigert das Selbstwertgefühl der Betroffenen immens (ebd.). Wenn die Leistungen dann auch noch nicht nur mit Anerkennung und Lob, sondern ganz konkret mit Geld entlohnt werden, verstärkt sich diese Wirkung noch weiter: Anders als es viele Menschen mit psychischer Behinderung gewohnt sind, erhalten sie das Geld dann nämlich nicht aufgrund einer Inkompetenz in Form von Sozialleistungen, sondern als unmittelbare Folge der eigenen Kompetenz (ebd.).

Des Weiteren wird das Risiko sozialer Isolation durch Erwerbstätigkeit vermindert, folglich soziale Integration also gefördert: Zum einen verhindert die zeitliche Struktur, die Arbeit dem Leben gibt, dass sich Betroffene zurückziehen und isolieren können. „Viele der seelisch Behinderten brauchen die kontinuierliche Aufforderung zur Aktivität im besonderen Maße. Ohne ständige Aufforderung lägen einige nur noch im Bett oder flüchteten sich in illusionäre Phantasien, die sie von sich und der Wirklichkeit wegführten“ (Renzenbrink, 1986 zit. n. Bieker, 2005, S. 17). Zum anderen können Betroffenen in ihrem sozialen Umfeld mitreden. Sie können sich mit anderen über ihre Erfahrungen im Arbeitsleben austauschen und so ihre sozialen Kontaktchancen erweitern (vgl. Bieker, 2005, S. 16). Alles in allem kann demnach sinnvolle, regelmäßige Beschäftigung durch die Teilnahme am Arbeitsleben aus humanitären wie auch therapeutischen Gründen als bedeutend, ja vielleicht sogar als notwendig erachtet werden (vgl. Reker, 1998, S. 3).

Der Vollständigkeit halber muss an dieser Stelle allerdings auch auf die Kehrseite der Medaille hingewiesen werden: Arbeit hat nicht generell für jeden Menschen mit psychischer Behinderung die gleiche Bedeutung. Während sie bei den einen, eine vorteilhafte Entwicklung begünstigt, stellt sie für andere möglicherweise einen Risikofaktor dar, der zur Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes führen kann. Dies hängt damit zusammen, dass die genannten Funktionen von Erwerbstätigkeit nicht in allen Arbeitssituationen qualitativ gleichwertig sind (Zeelen & van Weeghel, 1994, S. 35). Beispielsweise ist die Zeitstruktur einer Erwerbstätigkeit nicht grundsätzlich vorteilhaft. So begünstigen beispielsweise regelmäßig wiederkehrende, zu lange Arbeitszeiten die Entstehung des Gefühls der Überforderung (ebd.). Darüber hinaus können Arbeitssituationen sowohl herausfordernde als auch abstumpfende Tätigkeiten abverlangen (ebd.). Wird zu viel verlangt, ist Überforderung vorprogrammiert. Werden dem Betroffenen nur monotone Tätigkeiten aufgetragen, führt dies womöglich dazu, dass er an sich, an seiner Leistungsfähigkeit zweifelt. Für das oftmals ohnehin sehr angeschlagene Selbstwertgefühl von Menschen mit psychischer Behinderung stellt dies einen großen Rückschritt dar. In geschildertem Fall ist eine Erwerbstätigkeit eher als nachteilig zu bewerten. Ähnlich verhält es sich, wenn die Arbeitssituation nicht von angenehmen, sondern von unangenehmen sozialen Kontakten geprägt ist (ebd.). Schwierigkeiten im kollegialen Umfeld führen häufig zu seelischer Überforderung.

Summa summarum zeigen die angestellten Überlegungen, dass Erwerbstätigkeit zwei Gesichter hat: Zum einen können bestimmte Arbeitssituationen eine Belastung darstellen. Zum anderen kann Arbeit aber auch als bedeutende psychologische Stütze fungieren (vgl. Reker, 1998, S. 4). In Bezug auf Menschen, welche als Folge einer psychischen Behinderung mit der Gefahr von Isolation, Untätigkeit und sozialem Abstieg konfrontiert sind, spielen vor allem die genannten positiven Konsequenzen von Arbeit eine bedeutende Rolle (ebd.). Über all die Chancen, die für den genannten Personenkreis von Erwerbstätigkeit ausgehen, dürfen aber die Belastungen bestimmter ungünstiger Arbeitssituationen nicht vergessen werden (ebd.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Förderung der beruflichen Teilhabe von Menschen mit psychischer Behinderung
Untertitel
Projektarbeit im Rahmen der Vorbereitung auf eine Tätigkeit als Gästeführer auf der Landesgartenschau Apolda
Hochschule
Duale Hochschule Gera-Eisenach (ehem. Berufsakademie Thürigen in Gera)  (Rehabilitation)
Veranstaltung
Professionelle Identitätsbildung
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
29
Katalognummer
V350025
ISBN (eBook)
9783668375321
ISBN (Buch)
9783668375338
Dateigröße
595 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
berufliche Rehabilitation, Menschen mit seelischer Behinderung, Menschen mit psychischer Behinderung, Funktionen von Arbeit, berufliche Teilhabe, Rehabilitation, Teilhabe, Förderung beruflicher Teilhabe, Arbeit und Menschen mit Behinderung, Arbeit und psychische Erkrankung
Arbeit zitieren
Tamara Zapf (Autor:in), 2016, Förderung der beruflichen Teilhabe von Menschen mit psychischer Behinderung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/350025

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