Die Ursünde der Ökonomie

Lakonische Kapitalismuskritik Teil I


Essay, 2016

8 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity but to their self-love, and never talk to them of our necessities but of their advantages.

Adam Smith (1776: Book I, pp. 26-7)

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann im britischen Königreich eine Revolution, welche die uns heute bekannte Weltordnung entscheidend mitgestaltet hat. Angefangen hat diese Entwicklung durch den Erfindergeist eines schottischen Universitätsmechanikers in Glasgow, dessen Verbesserungen an der zu diesem Zeitpunkt bekannten Dampfmaschine zu deren erheblichen Wirkungsgradsteigerung führten. Diese Leistung von James Watt ermöglichte den profitablen Einsatz dieser Maschine als progressive Antriebstechnik in der industriellen Fertigung. Neben weiteren Faktoren, seien es demografische oder auch gesellschaftspolitische Veränderungen, hat der technische Fortschritt den Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft herbeigeführt. Dieser industrielle Werdegang war begleitet von einer zunehmenden sozialen Spaltung zwischen der Schicht der besitzlosen Arbeiterschaft und den Industriellen, welche über die Produktionsmittel und das entsprechende Kapital verfügten. Ein angemessener Wohlstand aller sollte dabei nach Erkenntnissen der damaligen britischen Wissenschaftler Nebenprodukt des allem zugrundeliegendem Egoismus sein. Hat diese Fehleinschätzung des menschlichen Verhaltens bereits zu Beginn der Nationalökonomie den Grundstein für eine unausgewogene Kapital-Verteilung gelegt?

Die liberalen Markmechanismen im Sinne der klassischen Theorie waren bereits zu damaliger Zeit nicht qualifiziert für eine gerechte Verteilung des Nationaleinkommens.

In der Ideengeschichte der makroökonomischen Theorien wird die ‚klassische Schule der Nationalökonomie‘ (kurz: Klassik) als Ausgangspunkt der heute vorherrschenden Lehrmeinungen angesehen. Diese dominierte die ökonomischen Überlegungen von ca. 1770 bis 1870 und wurde durch die herausragenden Vertreter Adam Smith, Thomas Robert Malthus, David Ricardo und John Stuart Mill begründet bzw. weiterentwickelt. Zentral für diese Theorieschule ist die Hervorhebung der Selbstheilungskräfte des Marktes. Grundlage hierfür ist ein funktionierender Preismechanismus, durch den sich stets ein Gleichgewicht bei Vollauslastung aller Produktionsfaktoren in einer Marktwirtschaft einstellt. Staatliche Interventionen werden durch den Glauben an die Funktionsfähigkeit des Marktes abgelehnt. Vielmehr würden aktiv durchgeführte Eingriffe in den Wirtschaftsprozess keinerlei Auswirkungen auf das Angebot an Gütern haben, da sich gemäß dem ‚Sayschen Theorem‘ die Nachfrage nach dem Angebot richtet und eben nicht umgekehrt, wodurch die eingesetzten staatlichen Finanzmittel als direkte Fehlinvestitionen anzusehen wären. (Vgl. Wohltmann 2007:12f) Die Theorien der ‚klassischen Schule‘ haben insbesondere gemeinsam, dass sie dem Menschen eigennütziges Streben nach wirtschaftlichem Erfolg unterstellen, und versuchen davon ausgehend die Auswirkungen auf das Gemeinwohl zu untersuchen. In dem wohl bedeutendsten ökonomischen Werk beschreibt Adam Smith, wie der auf seine Vorteile bedachte Mensch zum Wealth of Nations (1776) beiträgt. Dabei wird der individuelle Egoismus als zentrale Antriebskraft für das wirtschaftliche Handeln angesehen. Denn der Unternehmer wird sich seine Nische suchen, in der profitables Wirtschaften möglich zu sein scheint und nahezu unbeabsichtigt schließt sich somit eine Versorgungslücke aus der Sichtweise des Verbrauchers. Eine ‚unsichtbare Hand‘ weist den Weg: eine ordnende und regulierende Kraft. Diese Marktmechanismen würden auch dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer für ihren Einsatz entsprechend entlohnt werden, um mit ihrer Tatenkraft die Entwicklung des Betriebes zu fördern – eine gegenseitige Abhängigkeit, die Ausbeutung der mittellosen Schichten ausschließen sollte. Ein Irrglaube, der bereits in dieser Zeit zu Verelendung und Abhängigkeit geführt hat. Die ‚unsichtbare Hand‘ weist den Weg zum Kapital; eigenoktroyierte ethische Grundsätze und humane Grundrechte beeinträchtigen das unternehmerische Streben nach gesteigertem Eigennutz auch in einem längerfristigen Zeithorizont nicht genug. In der moralphilosophischen Abhandlung Moral Sentiments (1759) erklärt Smith das grundlegende Ordnungsprinzip einer liberalen Gesellschaft, wonach Anerkennungsstreben, Konkurrenz, rechtliche Vorschriften, moralische Regeln, Gewissenskonflikte sowie die Angst vor der Sühne nach dem Tod dazu führen, dass in natürlicher Weise ein harmonisches Zusammenleben in allen Bereichen menschlichen Handelns realisiert wird. Eine nahezu unhaltbare Ansicht in der modernen und globalisierten Welt. Der englische Pastor und Ökonom Thomas Robert Malthus trug mit seinem Essay on the Principle of Population (1798) und dem Werk Principles of Political Economy (1820) zur Betrachtung der Problematik steigender Bevölkerungszahlen und dem daraus resultierenden sinkenden Wohlstand einer Gesellschaft bei. Dessen Untersuchungen zu den Ursachen von wirtschaftlichem Elend und Armut kommen zu dem Schluss, dass sich eine stetig wachsende Bevölkerung ihrer Prosperität selbst beraubt. Zwangsläufig können die Lebensmittelproduzenten den steigenden Bedarf nicht decken, weshalb sich Hungersnöte und kriegerische Konflikte entwickeln würden. Ein aus heutiger Sicht wenig realistisches Konzept, wenn man die vergangenen Jahrhunderte nach der Entstehung dieser Thesen reflektiert (vgl. Produktivitätssteigerungen), sowie ein ebenso wenig nachhaltiger Beitrag zur Debatte um Armut und Gerechtigkeit.

Auf den Erkenntnissen von Smith basiert On the Principles of Political Economy and Taxation, das im Jahre 1817 veröffentlichte Hauptwerk des englischen Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo. Gezielt entwickelte er diese Ansichten weiter und leistete mit seinen Ausführungen zum Ertragsgesetz sowie seinen Überlegungen zum Außenhandel mit der Darstellung des ‚komparativen Vorteils‘ einen entscheidenden Beitrag für die theoretische Entwicklung der Volkswirtschaftslehre. So erkannte Ricardo bereits, dass sich durch den technischen Fortschritt und die Ressourcenallokation eine stetig steigende Kapitalakkumulation einstellen wird, welche die Eigentümer von Produktionsmitteln dazu befähigt, ihren Wohlstand durch geschickte Investitionen kontinuierlich steigern zu können – Erwerbsarbeit und Kapital haben sich entfremdet. Die drei erwähnten Theoretiker zur ‚klassischen Nationalökonomie‘ wurden in John Stuart Mills‘ Werk Principles of Political Economy (1848) systematisch zusammengefasst und durch seine Beiträge ergänzt. Der englische Philosoph und Ökonom gilt weithin als Vollender dieser wirtschaftlichen Denkschule. In seinen Überlegungen geht er dabei von einem ‚stationären Zustand‘ aus, in dem alle Menschen am Wohlstand teilhaben werden und das ökonomische Wachstum stagniert. In diesem Punkt wäre das nationale Volksvermögen nahezu in gerechter Weise verteilt. Mill sieht die gesteigerte Sucht nach mehr Wachstum und Reichtum hier als Grund für Armut und Elend.

Die ‚klassische Schule der Nationalökonomie‘ bzw. die einzelnen Beiträge dazu sind in ihren Ausführungen doch meist recht vage formuliert und miteinander verglichen teilweise widersprüchlich; jedoch kann man einige Grundsätze herausstellen, welche sie als ein einheitliches Theoriegebäude wirken lassen. Charakteristisch sind hierbei die Gleichgewichtsthese, die Arbeitswerttheorie, die Einkommensverteilung, die zentrale Stellung des Eigennutzes, sowie die liberale Überzeugung, dass der Staat den Rahmen für ein freies Wirtschaften anzurichten und sich von den Marktgeschehnissen fernzuhalten hat – die ‚unsichtbare Hand‘ wird regulierend in das Treiben eingreifen. Die Zwangsläufigkeit einer gerechten Verteilung, also dass die Beschäftigten wohlwollend sowie entsprechend ihrer Arbeitsleistung entlohnt werden, kann aus heutiger Sicht kaum mehr nachempfunden werden. Denn der auf den Grundlagen dieser Ideen entstandene ‚Homo oeconomicus‘ strebt in rationaler Weise nach der Maximierung seines eigenen Nutzens; altruistische Tendenzen liegen wohl nicht in seiner Natur. Der strukturelle Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft vollzog sich in rascher Geschwindigkeit, so dass der Arbeitsplatzverlust infolge des technischen Fortschrittes in der Landwirtschaft nicht umfassend durch Arbeitsplätze in den neu entstehenden Industrieunternehmen ausgewogen werden konnte. Das angestrebte und den Theorien zugrunde liegende Gleichgewicht trat nicht ein, wodurch die ausgedienten Landwirte und ihre meist niedrig gebildeten Nachkommen den Industriellen als mittellose Arbeitssuchende gegenüberstanden, welche ihr Überleben sowie das ihrer Familien sichern mussten. Es war demnach naheliegend, dass ein solches Verhältnis von dem so oft propagierten Egoismus bzw. Streben nach wirtschaftlichem Erfolg auf Seiten der Unternehmer ausgebeutet wurde. Die Ablehnung regulierender Interventionen von staatlicher Seite durch die ‚klassischen Ökonomen‘ sowie die Aufnahme deren Dogmen in die politischen Kreise der damaligen Zeit hat eben auch dazu beigetragen, dass es viele Aufstände und Jahrzehnte dauerte, bis sich der Zustand der vielerorts recht stark Not leidenden Arbeiterschaft gebessert hat. Vielleicht wären die Arbeitskämpfe und die Verelendung in weiten Teilen der Bevölkerung nicht in dieser Form eingetreten, wenn es einen mit dem technischen Fortschritt im Gleichschritt stattgefundenen ökonomischen und sozialpolitischen Wandel gegeben hätte. Vielleicht wären sogar die großen kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa vermeidbar gewesen, wenn eine weitverbreitete Prosperität dem meist armutsbedingten Nationalismus den Boden entzogen hätte. Die Vordenker der ‚Klassik‘ waren jedoch der Ansicht, dass sich Wohlstand nur einstellen könnte, wenn die Industriellen bzw. Kapitalisten die Expansionspotenziale der Produktion ausschöpfen: eine gewinnmaximierende Forderung, welche zwangsläufig dazu führt, dass Einsparungsreserven in den Produktionsfaktoren und demzufolge an den beschäftigten Arbeitern ausgereizt werden müssen. Somit waren die liberalen Markmechanismen im Sinne der ‚klassischen Theorie‘ bereits in damaliger Zeit nicht qualifiziert, eine gerechte Verteilung des Nationaleinkommens zu bewirken. Vielmehr noch war es gar nicht vorgesehen, alle Schichten der Bevölkerung am wachsenden Wohlstand teilhaben zu lassen: die Ursünde der ökonomischen Lehre. Diverse Publikationen und Modelle haben bereits gezeigt, dass eine kooperative Gesellschaft ein höheres Wohlstandsniveau erreichen kann. Der eigennützige Mensch darf weder in der ökonomischen Welt, noch in einer liberalen und fairen Gesellschaftsordnung zum Vorbild gereicht werden. Eine wirtschaftlich sinnvolle Umverteilung mithilfe staatlicher Fiskalpolitik muss dem Ziel näherkommen, der stetig wachsenden Kluft zwischen den sozialen Schichten Einhalt zu gebieten. Nur eine in weiten Teilen homogene und gerechte Gesellschaft besitzt die Fähigkeit einen Wohlstand zu ermöglichen, welcher allen Menschen ein würdevolles Leben gewährt.

Literaturverzeichnis

Malthus, Thomas Robert (1798): An Essay on the Principle of Population. London: Joseph Johnson.

Malthus, Thomas Robert (1820): Principles of Political Economy. London: Joseph Johnson.

Mill, John Stuart (1848): Principles of Political Economy. London: John W. Parker.

Ricardo, David (1817): An On the Principles of Political Economy and Taxation. London: John Murray.

Smith, Adam (1759): The Theory of Moral Sentiments. London: Andrew Millar.

Smith, Adam (1776): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. London: William Strahan and Thomas Cadell.

Wolthmann, Hans-Werner (2007): Grundzüge der makroökonomischen Theorie, 5. Auflage. München/Wien: Oldenbourg Verlag.

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Die Ursünde der Ökonomie
Untertitel
Lakonische Kapitalismuskritik Teil I
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
8
Katalognummer
V349848
ISBN (eBook)
9783668368491
ISBN (Buch)
9783668368507
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Klassische Nationalökonomie, Politische Ökonomie, Geschichte der Volkswirtschaftslehre, Liberalismus, Adam Smith, Ökonomische Gerechtigkeit, Würdevolles Leben, Gerechte Vermögensverteilung
Arbeit zitieren
Patrick Pobuda (Autor:in), 2016, Die Ursünde der Ökonomie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/349848

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