Die Postmoderne - Versuchte Abstraktion eines Paradigmenwechsels


Diplomarbeit, 2004

89 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

Vorwort oder: Veränderungen in Strömungen

1. Einleitende Worte und Begriffsbestimmung

2. Das Ende der großen Erzählungen
2.1 Paradigmen und Wechsel
2.2 Moderne Paradigmen

I. Exkurs: Adepten, Apotheosen und Wunderheiler

3. Postmoderne Weltbilder
3.1 Postmoderne Realitäten
3.2 Requiem für die universelle Realität und die objektive Ordnung
3.3 Neue Welt(un)ordnung(en)

II. Exkurs: Anything Goes versus Alan Sokal

III. Exkurs: Wirtschaftspädagogik

4. Das postmoderne Individuum

5. Postmoderne Arbeit und postmoderne Betriebe
5. 1 Die dritte Industrielle Revolution und ihre Folgen
5. 2 Neue Arbeitsformen in der Postmoderne
5. 3 Integration des Arbeitenden

6. Das Organisationsmodell der Heterarchie

7. Die Pädagogik als Wegbereiterin zu einer neuen Form der Organisation

8. Schlussfazit und Ausblick

Literatur

Vorwort oder: Veränderungen in Strömungen

Etwa 1975 kam es in den Küstengewässern von Amity Island zu drastischen Veränderungen. Schwimmer und Surfer verschwanden plötzlich, das Baden im bis dato bekannten und damit weitgehend sicheren Meer wurde zu einem Wagnis. Es dauerte nicht lange, bis bestimmte Personen anhand der Veränderungen eine Diagnose aufstellten, welche einen riesigen Hai zum Inhalt hatte, der aus unbekannten Gründen (vermutlich durch Veränderungen von Meeresströmungen) in die vorher ruhigen und über eine lange Zeit hinweg unveränderten Gewässer eingedrungen war. Diese Personen, ich will sie im Folgenden „Hai-Theoretiker“ nennen, sahen sich genötigt, den Autoritäten, dem Establishment also, ihre Endeckung mitzuteilen. Dafür ernteten sie zunächst nur Spott, die Hai-Theorie wurde aus monetären Gründen und aufgrund von Verdrängungshandlungen so lange es ging ignoriert. So mussten die Hai-Theoretiker also auf sich gestellt Wege finden, das Problem mit dem Hai zu lösen, wofür sie ihn zunächst verstehen mussten.

Die Frage, was der Film „Jaws“ (dt.: „Der weiße Hai“) mit der hier langsam beginnenden Arbeit zu tun hat, kann sich dem Leser nun sicherlich stellen. Daher werde ich die Küstengewässer um Amity Island nun als das Leben (in all seinen Bereichen) bezeichnen, die Veränderungen in der Strömung desselben unter anderem als den Beginn des Informationszeitalters, als Nachwirkungen der Weltkriege, als Wirtschaftskrisen…. Durch diese Veränderungen taucht der Hai auf, in dieser Metapher das Phänomen, das ich fortan Postmoderne nennen will (auch, wenn dieser Begriff noch geklärt werden soll, wichtig wird jedoch eher der Inhalt desselben sein, wenn wir den Hai nämlich „Aih“ nennen, bleibt er dennoch, was er ist). Das Auftauchen bringt Veränderungen mit sich, in diesem Fall keine toten Schwimmer, sondern neue Formen von Kunst, Philosophie, Literatur, Arbeit… Veränderungen also, welche sich auf das gesamte Leben beziehen. Diese Veränderungen sind zwar offensichtlich, Antworten nach der Frage, welche Gründe für das Auftauchen derselben bestehen, werden aber zum großen Teil nur belächelt. Warum das so ist, werde ich später auch zu klären versuchen. Die Hai- Theoretiker nenne ich nun Lyotard, Welsch, Zech, Luhmann…

1. Einleitende Worte und Begriffsbestimmung

An diesem Punkt bin ich der Zielsetzung dessen, worum es hier gehen soll, schon einen Schritt näher gekommen, nämlich der Frage,wie der Mensch auf die drastischen Neuerungen mit denen er sich konfrontiert sieht reagieren kann und wie es zu diesen Neuerungen kommt.

In der anfänglichen Metapher ist der Grund für einen Wandel im Leben der Bewohner von Amity Island sehr deutlich auszumachen, der Hai ist sicht- und greifbar, jeder kann sich etwas unter dem Hai vorstellen und auch unter dem Begriff der veränderten Meeresströmungen. Daher wird es möglich, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen und angemessen zu reagieren.

Will man sich jetzt aber von der Metapher lösen, so lässt sich feststellen, dass das Phänomen, welches ich (wie Andere vor mir) mangels eines besseren Begriffes synonymhaft die Postmoderne nenne, zunächst abstrahiert, also gedanklich verallgemeinert (Dudenredaktion 1998, S. 16, Stichwort „Abstraktion“) werden muss, um darauf reagieren zu können.

Hier äußert sich der Anspruch meiner Arbeit, ich werde den Begriff der Abstraktion (im Sinne einer Verallgemeinerung, welche durch Erkenntnisse aus Theorien und durch meinen eigenen Arbeitsprozess erreicht wird) auf die Postmoderne beziehen und damit das Phänomen Postmoderne für mich und eventuell auch für den Leser darzustellen und zu erschließen versuchen. Aufgrund dieses Erschließens der Postmoderne soll eine Sensibilisierung hinsichtlich des Themas erreicht werden, wodurch es möglich wird, sich auch aktiv mit der Materie auseinanderzusetzen.

Es soll also versucht werden, eine Antwort auf die Frage, welche dieser Arbeit zu Grunde liegt zu finden:

„Kann man von einer Postmoderne in Form des Eintretens umfassender Veränderungen sprechen und, wenn ja,

wie wirkt sich dies dann auf unser Leben aus?“

Obwohl das Thema Postmoderne aufgegriffen wird, ist der Aufbau der vorliegenden Arbeit durchaus modern, nämlich linear und zielgerichtet. Diese Linearität lässt sich in etwa folgendermaßen darstellen.

Die geplante Abstraktion wird mit einer Genealogie des Begriffes „Postmoderne“ beginnen, die Bestimmung der Herkunft und der Aussage des Begriffes scheint als erste Eingrenzung und sinnstiftendes Element angebracht, wenn man etwas verallgemeinern möchte.

„Die Gemeinschaft, die die Worte tauscht, erkennt sich in ihnen wieder, weniger in dem, was sie bedeuten, als in dem, wofür sie einstehen, in ihrer Kraft, Unterschiede zu signalisieren.'' (Lyotard 1985, S. 75).

Die Abstraktion nimmt also ihren Anfang mit einer Aufnahme in die Gemeinschaft derer, die das Wort Postmoderne in Hinsicht auf seine Konsequenzen nutzt. Im Folgenden wird dann über das Ende der großen Erzählungen gesprochen, welches dazu führte, dass die Postmoderne heute so wichtig erscheint. Dieses Ende der großen Erzählungen ist Anlass, über den Begriff des Paradigmas als Leitidee nachzudenken und sich zu fragen, ob die alten Leitideen noch gängig sind (oder ob es einen Wechsel in den Strömungen gegeben hat). Geht man also von Paradigmen und Wechsel (n) innerhalb derselben aus, dann muss man sich folgerichtig fragen, welches die Paradigmen der Moderne waren und ob sich diese Paradigmen halten konnten. Nach der Beantwortung dieser Frage scheint ein kurzer Exkurs über Adepten, Apotheosen und Wunderheiler angebracht, der im Sinne der Abstraktion auch die Fähigkeit, Kritik zu üben, ermöglichen soll. Nach diesem Exkurs und der Beantwortung der Frage danach, was ich als nicht abstrahierenswert im Sinne einer Aufnahme in mein Bild des Phänomens halte, werden die postmodernen Weltbilder aufgegriffen.

Bis zu diesem Punkt soll also eine Bildung von Theorien zur Entwicklung und den Inhalten der Postmoderne vorgenommen werden. Nach diesem Teil der Arbeit, welcher zum Entdecken und Begreifen der Postmoderne im heuristischen Sinne als etwas Neuem führen soll, werde ich meine Abstraktion weiterführen, indem ich die Allgemeinheit ein wenig einschränke.

Nimmt man zum Beispiel an, dass der Begriff „Haus“ jedem bekannt ist, sich jedoch in den Gedanken eines Jeden anders darstellt, so nehme ich an, dass der Begriff „Postmoderne“ sich ebenfalls für diverse Personen und Gruppierungen anders darstellen wird. Die Abstraktion ist also in diesem Fall ein wissenschaftliches Vorgehen, durch welches „…ein gewisser Aspekt der Wirklichkeit von anderen, mit ihm verbundenen Aspekten getrennt wird und als Objekt der Betrachtung, der Untersuchung, der Erkenntnis ausgewählt wird“ (Finelli 1999, S. 20 ff., Stichwort „Abstraktion“).

Daher soll die Darstellung nach einem zweiten Exkurs, der wiederum zur Kritik und Differenzierung befähigen soll (Anything Goes versus Alan Sokal), in einen pädagogischen Kontext gerückt werden, um von der Breite auch ein wenig in die Tiefe zu gehen. Welcher Kontext damit nun gemeint ist, wird im dritten Exkurs mit dem Namen Wirtschaftspädagogik geklärt. Nach dieser Klärung wird das postmoderne Theoriemodell, welches bis dahin geschaffen wurde, auf das postmoderne Individuum und auf postmoderne Arbeit und postmoderne Betriebe übertragen.

Aus der Synthese dieser beiden Bereiche und als Antwort auf die in den Bereichen auftretenden Neuerungen wird das Organisationsmodell der Heterarchie eingeführt werden, welches letztlich die Pädagogik als Wegbereiterin zu einer neuen Form der Organisation braucht, um in seiner dargestellten Form zu funktionieren. Um die Abstraktion letztendlich abzuschließen, um also ihren Nutzen darzustellen, werde ich versuchen, ein Fazit zu ziehen und einen Ausblick auf die Zukunft der Pädagogik zu geben

Nach dieser kurzen Beschreibung der Zielsetzung und dem Abstract meiner Arbeit beginne ich nun also mit der Abstraktion der Postmoderne durch eine Begriffsklärung und Genealogie.

Wer zuerst den Begriff Hai verwendet hat, weiß ich nicht, dennoch hat bei diesem Begriff bereits eine Abstraktion stattgefunden, die meisten Menschen, welche den Begriff hören, denken an einen Raubfisch, auch, wenn wohl die einzelnen Inhalte des Begriffes subjektiv bestimmt werden.

Stellt man sich nun aber die Frage „Was heißt Postmoderne“, so gerät mancher ins Grübeln.

Der Begriff Postmoderne taucht erstmals im ausklingenden 19. Jahrhundert auf, seine wirkliche Initialzündung erlebt er jedoch 1959 in der amerikanischen Literaturkritik, geprägt durch Irwing Howe und Leslie Fielder (vgl. Welsch 1987, S. 12 ff.). Der Begriff weitet sich schnell aus, als grundsätzliche Erklärung für Veränderungen, welche stattgefunden haben und noch stattfinden, von einer ursprünglichen Benennung eines Grundes für das Abflachen der modernen Literatur auf Bereiche der Kunst, Kultur, der Architektur und der Philosophie. In seiner Form bleibt er ein Verlegenheitsbegriff, in seiner Bedeutung jedoch erlangt er schnell immense Wichtigkeit und ein sehr zündendes Potential. Die Attribute, welche dem Begriff zugeschrieben werden, sind sehr vielfältig, manche sehen eine neue epochale Gipfelhöhe erreicht, andere ein Wellental, wieder andere sprechen von einem Altersphänomen (vgl. ebd., S. 13ff.). Hier möchte ich nochmals kurz auf den Hai zu sprechen kommen, einem Begriff, welcher in seiner Inhaltlichkeit klar ist, da er bereits abstrahiert wurde. Meiner Meinung nach ist „Postmoderne“ ein Begriff, der gerade dabei ist, abstrahiert zu werden, seine verschiedenen Aspekte werden momentan so definiert, dass eine intersubjektive Deckung über seine Bedeutung bei einer größeren Gruppe von Personen herrscht.

Dabei besteht jedoch auch die Gefahr der inflationären Verwendung des Begriffes, was dazu führen kann, dass das Schlagwort „postmodern“ für alles, was gerade in eigener Sache nützlich scheint, gebraucht werden kann. Durch diese Vernutzung des Begriffes verliert er seine Aussagekraft und seine Fähigkeit, Unterschiede darzustellen, er selbst fällt immer mehr der Beliebigkeit anheim. Diese Beliebigkeit möchte ich nach Möglichkeit vermeiden und daher mehr den für mich relevanten Inhalt als den Begriff selbst betonen. Der Inhalt, über den ich spreche, kann sich übrigens nicht nur im Begriff „Postmoderne“ äußern, sondern auch in Schlagworten wie „modernisierte Moderne“ (Beck 1986), „humanisierte Moderne“ (Reihlen 1998) oder auch „postmoderne Moderne“ (Welsch 1985).

Es war und ist bis heute nicht klar, was die Postmoderne eigentlich bedeutet, ist sie eine neue Epoche, eine modische Lebenseinstellung oder einfach nur eine neue, ausgefeilte Theorie, welche sich einer wirklichen Differenzierung durch Sprachspiele und Laxheit entzieht?

Die Frage nach der wirklichen Bedeutung des Begriffes Postmoderne kann ich hier nicht klären, da es sicher gute Argumente für viele solcher Bedeutungen gibt. Ich kann jedoch versuchen, diese Frage für mich selbst zu beantworten, indem ich mich frage, was kommt und was geht, also, was sich im Schatten des Begriffes verändert.

Viele der Anhänger der Postmoderne sind selbst mit dem Namen nicht einverstanden, es scheint also eine „…Bemühung um Gehalt und Sache“ (Welsch 1987, S.2) nötig. Ich werde im Folgenden versuchen, darzustellen, wie die Postmoderne an sich aufgefasst werden kann, indem ich darlege, wie sie von einigen ihrer Vertreter aufgefasst wird. Es scheint mir für den weiteren Verlauf der Arbeit notwendig, die für mich wichtigen inhaltlichen Aspekte, welche den Begriff Postmoderne kennzeichnen, zu beleuchten.

Es geht hier um „die ‚Theorie- Müdigkeit’ und die elende Erschlaffung, die sie begleitet (Neo- dies, neo- das, Post- dieses, Post- jenes). Die Stunde des Philosophierens.“

Der französische Philosoph Jean- François Lyotard (in Steffens 1992, S. 9) konstatiert mit diesen Worten das Ende der „Objektivität“, die großen Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts sind passé, Allgemeingültigkeit verschwindet ebenso wie kulturelle und gesellschaftliche Zwänge, jeder ist frei, zu denken, was er will und auch zu tun, wonach ihm ist. Es bestehen also keine Regeln mehr, welche allgemeingültig anwendbar sind, diese Regeln erlöschen zusammen mit den großen Theorien. Ohne allgemein gültige Regeln jedoch ist es äußerst schwierig, einen Diskurs zu führen, welcher von allen Beteiligten ernst genommen werden kann. Das Denken und die Regeln der Diskussion laufen nun auf Bahnen, welche sich häufig nicht mehr aneinander annähren, da Heterogenität nicht Kompatibilität bedeuten muss (kann?). Ohne Theorien, welche in der Vergangenheit den Grundstein von Diskursen legten, entsteht also ein Dilemma, welches sich durch die Widersprüchlichkeit der Meinungen, durch eine oftmals auftretende, völlige Konsenslosigkeit darstellt. In diesem zugegebenermaßen etwas unsicheren Umfeld werde ich nun versuchen, den Grund für das Ende der Theorien zu finden, hierfür muss ich jedoch auf Meinungen zurückgreifen, welche Personen vertreten, die sich, eben durch den Wegfall der Theorien als Fundament für ihre Aussagen,

oftmals nicht einig sind. Warum die großen Metaerzählungen nicht mehr salonfähig sind, wird sich als nicht so schwierig zu erkennen erweisen, welche Veränderungen im Kielwasser dieser Erscheinung auftreten, wird schon weniger leicht darzustellen sein und auf einem philosophischen Konsens beruhen.

Auf meinem Weg zur Abstraktion der Postmoderne werde ich also einige der Vertreter dieser Denkart und deren Ideen betrachten und versuchen, sie für mich plausibel zu machen, nachdem ich den Versuch einer Ursachenfindung für das Phänomen unternommen habe.

2. Das Ende der großen Erzählungen

Bis zur Moderne bezeichnete sich keine Epoche selbst als solche, der Schmied der ersten Bronzewaffe rief nicht die Bronzezeit als neues Zeitalter aus, ebenso wenig erklärte Galileo Galilei, dass seine neuen physikalischen Erkenntnisse die aristotelische Physik ablösen und somit auf einem Teilgebiet die Renaissance ins Leben rufen würden. Die Bezeichnungen und Epochenbegriffe, welche seit der Moderne retrospektiv existieren, waren dem Menschen der jeweiligen Epoche unbekannt. Durch den Hang zur Reflexion, welcher in der Moderne einsetzt, begann der Mensch, sich zu fragen, in welcher Zeit er existierte. Seit der Moderne spricht man also vom Leben in der Epoche. Ziel dieses Teilabschnittes ist es, die Frage zu beantworten, ob es wirklich Gründe gibt, von einer Veränderung im Gefüge der Moderne zu sprechen, also eine neue Zeit anzukündigen. Ich weise darauf hin, dass es zu diesem Zeitpunkt bedenklich wäre, von einer neuen Epoche zu sprechen oder zu behaupten, die Moderne wäre vorüber. Die Frage, welche Art eines Wechsels auftrat, wird sich im weiteren Verlauf wieder stellen, jedoch steht es Zeitgenossen nicht zu, einen Epocheneinschnitt festzulegen (vgl. Welsch 1987, S.9). Nun will ich jedoch nicht auf die Retrospektive warten, um über das Jetzt reden zu können und werde daher einen reflexiven Zugang zum Thema suchen.

„Wer die neue Zeit verkündet, ist selten ihr Beginn“

sagt Wislaw Brudzinski (in Steffens 1992, S.9). Genau das scheint auch beim Phänomen Postmoderne der Fall zu sein, die Frage, ob zuerst das Ei oder das Huhn da war, stellt sich hier nicht. Die Herkunft des Begriffes wurde kurz angesprochen, doch dieser Begriff, seine Deutungen und sein Bezug auf die Realität sind durch Veränderungen eben dieser Realität entstanden.

Die Debatte um die Postmoderne, so auch das Schreiben dieser Arbeit, sind nicht die Gründe für das Auftreten der Postmoderne,„vielmehr sind unsere Realität und unsere Lebenswelt ‚postmodern’ geworden“ (Welsch, 1987, S. 4), die Diskussion um die Postmoderne ist also in meinen Augen eine Anpassung an das bereits Geschehene.

Was da genau geschehen ist, will ich jetzt zu ergründen versuchen, indem ich typische Merkmale der Moderne aufzeige und darstelle, warum diese im Bezug auf die Realität nicht mehr gängig sind,„…wir können und müssen [also] eine tiefe Verwandlung in unserer bisherigen Lebens- und Denkart und in unseren Gefühlen und Wünschen konstatieren“ (Flusser 1991, S. 31).

2.1 Paradigmen und Wechsel

Vilém Flusser spricht von tiefen Verwandlungen, er nennt sie Paradigmenwechsel. Ursprünglich ist ein Paradigma das Muster einer Deklination oder Konjunktion (Dudenredaktion 1998, S. 304, Stichwort „Paradigma“), in diesem Fall ist der Begriff „Paradigmenwechsel“ nach Thomas Samuel Kuhn zu verstehen, welcher ihn aus der Linguistik entlehnt und im epistomenologischen Sinn gebraucht, also in der Bedeutung eines Wechsels in der Erkenntnistheorie. Nach Kuhns Theorie in „The Structure of Scientific Revolutions“ (vgl. http//:de.wikipedia.org, Stichwort „Thomas Samuel Kuhn“) sind diese Wechsel in Paradigmen, in Leitgedanken also, Veränderungen, welche nach oder während der Akkumulierung von Wissen auftreten, zu einem Zeitpunkt, an welchem das angehäufte Wissen Widersprüche aufwirft oder in seinem Versuch, die Realität zu erfassen, scheitert. Eben solche Paradigmenwechsel sind der Grund dafür, dass die Diskussion um die Postmoderne beginnt (in der anfänglichen Metapher wäre dies die Stelle, an der man sich fragt, warum der Hai sich neue Gewässer zum jagen gesucht hat). Einen solchen Wechsel in lange gültigen Leitgedanken werde ich nun, während ich mich eng an Vilém Flusser (vgl. 1991, S. 31 ff) halte, benennen.

Dabei gehe ich davon aus, dass die Moderne ganz deutlich zwischen Ordnung und Chaos unterscheidet. Sie will alles erfassen und ordnen und damit auch erklären. Passt etwas nicht in die Kategorien dieser Ordnung, so wird es oftmals verdrängt oder geleugnet, da eine Schwächung der Ordnung gleichzeitig eine Schwächung der Sicherheit darstellen würde, welche diese Ordnung mit sich bringt (im anfänglichen Bild des Hais wären wir beim Establishment, welches die Existenz der Neuerung bestreitet). Daher bedeutet ein Ende der Ordnung im Sinne eines Verschwindens der Ordnung schaffenden Leitideen gleichwohl ein Ende der modernen Grundhaltung.

Sind die alten Strukturen aufgrund neuer Erkenntnisse oder Anforderungen durch die Realität nicht mehr gültig, so müssen, dem Paradigmenbegriff folgend, neue geschaffen werden.

So begannen Künstler (heute sind einige von ihnen als große Maler bekannt) am Ende des 16. Jahrhunderts, ihre Gemälde plötzlich mit ihrem eigenen Namen zu versehen.

Diese Signaturen waren vorher undenkbar, eine schreckliche Anmaßung, da das Göttliche den Menschen als Werkzeug nutzte und in ihm wirkend Kunst schuf. Nicht der Einzelne war also der Schöpfende, sondern der Schöpfer in ihm. Dieser Schöpfer schenkte den „…theoretisch geschulten Blick, welcher vom Glauben erleuchtet wurde“ (Flusser 1991, S. 32).

Mit der Aufklärung und der bürgerlichen Revolution setzte also ein Wechsel im Erkennen der Menschen ein, welcher mit dem alten Weltbild brach. Die Arbeitenden waren nicht mehr nur Werkzeuge, sondern selbst Schöpfende. Mit der Signatur eines Bildes wurde es möglich, als Person mit anderen verglichen zu werden, gerühmt oder kritisiert zu werden für die Arbeit, die man leistete und sich selbst ein Denkmal zu setzen. Der vorliegende Wechsel in einer Leididee war also, dass der Mensch nicht allein durch Gott gelenkt wird, sondern selbst etwas schaffen kann, dadurch entsteht der moderne Leitbegriff des Individuums. Durch die Säkularisierung, die Möglichkeit, unter dem kirchlichen Schemel herauszutreten, gab es jedoch auch neue Anforderungen. Der Arbeiter, der Schaffende nach der neuen Auffassung, war nun, da es die Möglichkeit für Vergleiche gab, bestrebt, alles „…progressiv zu verbessern“, „…alle Werte mussten erarbeitet werden“ (Flusser 2001, S. 33). Der hier beschriebene Wechsel macht deutlich, warum sich Leitideen ändern können und welche Folgen diese Veränderungen haben können.

Ich nenne dieses Beispiel exemplarisch für einen Paradigmenwechsel, welcher in allen Gebieten des menschlichen Lebens stattgefunden hat, der genannte Wechsel bezog sich unter anderem auf den kirchlichen Bereich, die katholische Weltansicht also.

Eben dieser Bereich musste sich vielen Veränderungen unterwerfen, als die Aufklärung immer stärkere Formen annahm, die Erde war plötzlich nicht mehr das Zentrum des Universums, Kopernikus und Galilei legten den Grundstein für Newtons neue Physik, die Wissenschaft verdrängte das Unerklärliche und damit Göttliche immer weiter.

Wie ein Steinschlag kam das neue Gedankengut ins Rollen, eine alte Epoche musste einer neuen weichen. Diese neue Epoche hat unterschiedliche Namen (bei manchen ist es die Neuzeit, welche sich noch bis zum neuen Paradigmenwechsel zieht, über den ich hier gerade spreche, bei anderen ist es die Renaissance oder die Aufklärung), beginnt zu unterschiedlichen Zeiten (im 16., 17. oder auch erst im 18. Jahrhundert mit der französischen Revolution) und drückt sich durch diverse Formen aus (architektonisch im gotischen Baustil oder erst in dem der Renaissance, wissenschaftlich in Descartes oder auch erst in Newton) , es besteht jedoch Einigkeit, dass sie eingetreten (und bereits wieder vergangen?) ist und dass sie das Vorherige abgelöst oder zumindest weitestgehend assimiliert hat. Der Mensch der Epoche begann also, das Gegebene nicht mehr als ultimativ wahr und solide zu sehen, sondern Dinge, welche bis dahin selbstverständlich waren, zu hinterfragen und zu negieren

Ich wählte das Beispiel eines Paradigmenwechsels in die Epoche hinein, welche heute als die Moderne (oder zumindest deren Vorläufer) bezeichnet wird und welche nun ihrerseits einem Wechsel unterworfen ist. Dies geschah, um den „Prototypen“ eines solchen Wechsels darzustellen. An diesem Prototypen werde ich mich im Kommenden orientieren, genauer gesagt bei der Frage, ob und wie weit die als Moderne bezeichnete Epoche von ihren eigenen Wechseln betroffen ist. Mit dem Wechsel werden neue Bewusstseins- und Handlungsformen nötig (vgl. Flusser 2001, S. 39), welche die alten ersetzen. Es folgt ein grober Ausblick auf die Moderne und deren Paradigmen, um die Möglichkeit einer Abgrenzung zur Postmoderne zu schaffen (falls eine solche Abgrenzung überhaupt möglich ist) und zu erkennen, ob, und eventuell wie, die Moderne mit ihrem teils seit der Aufklärung akkumulierten Wissen auf Widerspruch stößt und an diesem aufgerieben wird.

Wie bereits erwähnt, spaltet sich auch die Moderne als Begriff in verschiedene Unterströmungen auf, sie vereint kulturelle, künstlerische, gesellschaftliche und soziale Aspekt in sich, ihr Beginn ist zeitlich nicht eindeutig festzulegen und von einem endgültigen Ende der Moderne kann nicht gesprochen werden. Daher sind auch die Paradigmen der Moderne nicht vollständig gefestigt und damit problemlos kategorisierbar, die wichtigsten Inhalte jedoch kann man denke ich wie gleich folgen wird darstellen (vgl. http//:de.wikipedia.org, Stichwort „Moderne“). Ich werde nach einem kurzen und relativ einfach gehaltenen Blick auf die Charakteristika der verschiedenen Leitideen der späten Moderne jeweils darlegen, warum ich diese für nicht mehr gängig halte und werde damit die Postmoderne als geboren und die Beschäftigung mit ihr als notwendig postulieren.

2.2 Moderne Paradigmen

Vernunft, Rationalität und Humanismus

Der Begriff der Vernunft ist eine der großen Erzählungen der Moderne, er wurzelt in Kants kategorischem Imperativ und ist nach Kant (http//:de.wikipedia.org Stichwort „Kant“) „…das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien“, die Vernunft ist hier eine Basis für Erkenntnis und Regeln, aber nicht die ultima Ratio, sie kann nicht alle Realität definieren und erfassen.

Vielmehr bezieht sie sich auf das in Regeln und Normen eingebettete und moralisch gefestigte gesellschaftliche Gefüge, Maximen des Handelns werden durch diese Vernunft im Einklang mit dem „guten Ton“ geschaffen. Durch diese Vernunft ist der in seinem Inneren freie, mündige Mensch in der Lage, alle Aspekte seines Lebens bestmöglich zu reflektieren und anhand von Richtlinien, welche der Imperativ schafft, zu leben. Die „reine Vernunft“ findet ihre Grenzen und Möglichkeiten also in der gesellschaftlichen Realität. Georg Hegel wandelt diesen Vernunftbegriff ab (vgl. http//:de.wikipedia.org, Stichworte „Vernunft“ und „Hegel“), für ihn definiert und gestaltet die Vernunft allein die Realität, alles ist Geist, die Außenwelt wird von diesem geschaffen. Diese Begriffe der Vernunft werden im Verlauf der Arbeit in ihrer Aussage noch eine wichtige Rolle spielen, wenn ich über die Individualisierung in der Postmoderne spreche.

Der Vernunftbegriff unterzog sich im laufe der Zeit einer Erweiterung um den Begriff der Rationalität, dieser Begriff durchzieht viele Lebensbereiche der Moderne, im philosophischen Sinne ist er ein auf Einsicht begründetes Handeln, in der Ökonomie das Handeln unter dem bestmöglichen Kosten- Nutzen- Verhältnis, in der Soziologie schlägt er sich in der Spieltheorie wieder, in welcher die Akteure versuchen, sich zunächst mindestens den Nutzen zu sichern, den sie aus eigener Kraft erreichen können.

Bei Jürgen Habermas ist die Vernunft eine durch Kommunikation entstehende Erscheinung, da der Einzelne nicht in der Lage ist, von sich aus vernünftig zu sein. Die Vernunft wird also durch einen intersubjektiv kommunizierten Konsens geschaffen, dieser kann jedoch nur dann zustande kommen, wenn das Kommunizierte begründbar und kritisierbar ist und wenn die Kommunikationsteilnehmer auf Effekthascherei verzichten (vgl. http//:de.wikipedia.org, Stichwort „Habermas“).

Betrachtet man nun den Vernunft- und Rationalitätsbegriff in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wird schnell deutlich, warum er zumindest in der Kantschen Konzeption und auch im Sinne von Jürgen Habermas nicht mehr als Leitidee verwendet werden kann. Es schien durchaus rational, Massenvernichtungswaffen und Gaskammern zu bauen, der kategorische Imperativ funktioniert in der NS Ideologie ebenso wie in einem friedvollen Utopia, wenn der „Vernünftige“ es als seine moralische Verpflichtung sieht, das Gefüge um ihn herum zu unterstützen. Sehr schnell wurde also der ursprünglich sicherlich positiv zu wertende Vernunftbegriff pervertiert.

Das führt zu der Frage, ob der Mensch überhaupt vernünftig sein kann, Habermas sieht keinen Grund, diese Frage für das einzelne Individuum zu bejahen. Wenn jedoch mehrere Individuen durch Kommunikation zu Vernunft kommen, dann möchte ich als Beispiel Adolf Hitler nennen, welcher kommunikativ sehr begabt war. So begabt, dass er seinen Mitmenschen eben durch diese Kommunikation die Tötung Millionen Unschuldiger als vernünftig plausibilisieren konnte. Man könnte dagegenhalten, dass eine solche Plausibilisierung nicht möglich gewesen wäre, wenn die von Habermas genannten Kriterien der objektiven Wahrheit, der normativen Richtigkeit und der subjektiven Wahrhaftigkeit in der Kommunikation eingehalten worden wären (vgl. ebd.). Ich persönlich halte diese Einstellung für sehr bedenklich, da sie an dem Begriff der Wahrheit scheitert. Darauf wird später, wenn über die Realität in der Postmoderne gesprochen wird, noch näher eingegangen. Der aus der Aufklärung in die Moderne hineingewachsene Vernunftbegriff ist für mich gescheitert, zumindest in der Form einer universellen Vernunft als diktatorisches Machtmittel, zu dem er geworden ist.

Die Postmoderne wird neue Wege finden müssen, dem Menschen Leitideen für sein Handeln zu setzten, denn „Vernunft, das ist so etwas wie ansteckende Gesundheit“ (Alberto Moravia, http//:www.zitate.de).

Ebenso verhält es sich mit dem Humanismus (vgl. http//:de.wikipedia.org, Stichwort „Humanismus“), einem weiteren Begriff aus der Aufklärung, welchem teilweise selbst schon ein Epochencharakter zugeschrieben wird. Der Begriff an sich hat wiederum mehrere divergierende Ausprägungen, es gibt den liberaldemokratischen, den marxistisch-leninistischen, den evangelisch- biblizistischen und viele weitere Arten des Humanismus. Die Auslegung des Begriffes liegt dabei beim jeweiligen Menschen, der den Begriff anwendet. Euphemismen wie „humane Tötung“ zeigen deutlich, wie auch er pervertiert wurde und seine ursprüngliche Bedeutung verlor. Wie bereits im dritten Reich wurde der Begriff auch durch die SED entfremdet, um unter den angepassten Inhalten Agitation zu betreiben. So ist auch der ursprünglich gut gemeinte Humanismus, die Liebe zum Menschen, gescheitert, „Humanität im Krieg bedeutet, daß einer ein Glas Wasser in einen brennenden Wald gießt“ (Antoine de Saint-Exupéry, http//:www.zitate.de).

Nachdem ich nun über das Scheitern großer Leitideen der Moderne in Bezug auf das menschliche Miteinander gesprochen habe, möchte ich mich weiteren Paradigmen zuwenden, diese sind politisch und ideologisch geprägt.

Kapitalismus und Sozialismus

Mit der Industrialisierung kam ein Phänomen auf, welches heute als Kapitalismus (vgl. http//:de.wikipedia.org, Stichworte „Kapitalismus“ und „Sozialismus“) bekannt ist. Dieses Phänomen wurde bekanntermaßen schnell zu einem Weltbild, das mit einem weiteren Weltbild, dem Sozialismus, konkurrierte. Der Kapitalismus wurde in seiner fordistischen oder tayloristischen Form als Wachstumsmotor für Gesellschaften angesehen, durch monetäre Kräfte und die Ausbeutung von Rohstoffen sollte sich die Menschheit stabil und zielstrebig weiterentwickeln. Große Wirtschaftskrisen und stetig wachsende Verschuldung neben einer immensen Ungleichverteilung der Güter führten schnell dazu, dass der Kapitalismus nicht mehr durchweg positiv gesehen wurde, sondern auch als System, welches sich durch seine spezifischen Eigenschaften selbst zerstört. Stabilität wäre in diesem Fall nicht mehr gegeben, wodurch Wachstumspotentiale schwinden und das Wachstum schließlich stagniert.

Daraus resultieren Verarmung, Verschuldung und Verzweiflung, welche (wie vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland) den Nährboden für extreme Gruppierungen bilden und damit zu Terror und Totalitarismus führen können. Der Kapitalismus hat also, wie sein großer Gegner im 20. Jahrhundert, der Sozialismus, selbstzerstörerische Tendenzen, welche stets seine Stabilität gefährden. Im Falle des Sozialismus, welcher ebenfalls solche Tendenzen besaß, ist es bereits zu einer weitestgehenden Zerstörung gekommen,

dem Kapitalismus wohnt ein Laster inne: Die ungleiche Verteilung der Güter. Dem Sozialismus hingegen wohnt eine Tugend inne: Die gleichmäßige Verteilung des Elends." (Winston Churchill, www.zitate.de). Die beiden großen politischen und ideologischen Grunderzählungen des 20. Jahrhunderts sind damit zum Scheitern verurteilt, zumindest der Sozialismus kann in seiner bekannten Form nicht mehr als Leitidee angesehen werden. Ein weiteres Merkmal der Moderne ist der Glaube an Wissenschaft und Fortschritt, auch diese sind in der jüngeren Vergangenheit oftmals in ein kritisches Licht gerückt worden.

Wissenschaft und Fortschrittsglaube

Der Fortschrittsglaube (vgl. http//de.wikipedia.org, Stichwort „Fortschritt“) geht von einer linearen, zielgerichteten und sich ständig verbessernden geschichtlichen Entwicklung aus, die Menschheit entwickelt sich stets zu ihrem Besseren weiter. Den geschichtlichen, eindimensionalen Weg zu beschreiten, ist progressiv, also fortschrittlich und gut.

Daher kommt auch die Wertigkeit der Begriffe „alt“ und „neu“, das Neue ist stets dem Alten vorzuziehen, der Mensch entwickelt sich stets weiter, hin zur Utopie eines Besseren. Bei dieser Entwicklung hilft die Wissenschaft, sie ist wegbereitend und löst viele Probleme, welche in der Vergangenheit noch als unlösbar erschienen. Nun war leider einer der unbestreitbar größten Fortschritte der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts die Spaltung des Atoms und damit auch die Entwicklung der Atombombe, ein Synonym für Massenvernichtung, welches die mehrfache Auslöschung der gesamten menschlichen Spezies theoretisch möglich machte. Der Fortschritt zeigt sich hier also als nur dann positiv, wenn seine Errungenschaften vernünftig angewandt werden.

Natürlich stellt sich hier wieder die Frage, was vernünftig ist oder: „Ist es ein Fortschritt, wenn ein Kannibale Messer und Gabel benutzt?“ ( Stanislaw Jerzy Lec, www.zitate.de).

Ich hoffe, dass ich darstellen konnte, warum ich der Meinung bin, dass man keinesfalls mehr von einer unveränderten Moderne sprechen kann und dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Wie die Zeit nach diesem Paradigmenwechsel genannt wird, ist dabei meiner Meinung nach nicht so sehr die vordergründige Frage. So erkennt zum Beispiel Jürgen Habermas, welcher sich nicht mit dem Begriff „Postmoderne“ einig werden kann und lieber von der Moderne als einem „unvollendeten Projekt“ spricht, ebenfalls Veränderungen und bringt sie folgendermaßen zum Ausdruck (1985, S. 143):

"Der Horizont der Zukunft hat sich zusammengezogen und den Zeitgeist wie die Politik gründlich verändert. Die Zukunft ist negativ besetzt; an der Schwelle zum 21. Jahrhundert zeichnet sich das Schreckenspanorama der weltweiten Gefährdung allgemeiner Lebensinteressen ab. Die Spirale des Wettrüstens, die unkontrollierte Verbreitung von Kernwaffen, die strukturelle Verarmung der Entwicklungsländer, Arbeitslosigkeit und wachsende Umweltbelastung, katastrophennah operierende Großtechnologien geben die Stichworte, die über Massenmedien ins öffentliche Bewußtsein eingedrungen sind.
Die Antworten der Intellektuellen spiegeln nicht weniger die der Politiker Ratlosigkeit. Es ist keineswegs nur Realismus, wenn eine forsch akzeptierte Ratlosigkeit mehr und mehr an die Stelle von zukunftsgerichteten Orientierungsversuchen tritt. Die Lage mag objektiv unübersichtlich sein. Unübersichtlichkeit ist indessen auch eine Funktion der Handlungsbereitschaft, die sich eine Gesellschaft zutraut. Es geht um das Vertrauen der westlichen Kultur in sich selbst."

Die großen Erzählungen, wie sie Jean- Francois Lyotard (1982) nennt (ich bezeichne sie als Paradigmen) sind also auch nach Habermas gescheitert in ihrem Anspruch, eine vielschichtige Wirklichkeit in einer vollkommen homogenen Betrachtungsweise zu erfassen. Damit schufen sie nicht Vernunft und Humanität, sondern Terror und Totalitarismus (vgl. Lyotard, 1982, S. 113). Durch die Geschehnisse des 20. Jahrhunderts, hauptsächlich durch seine „…extrem verdammenswerten Spitzenleistungen“ (Geißler 2001a, S. 4) erfuhren die Leitideen der Moderne, in ihrem Anspruch auf Wahrheit, ihrem Glauben an Einheit und an die großen Erzählungen eine „Delegitimierung“ (Lyotard, 1982, S. 118). Die Unübersichtlichkeit als Funktion der Handlungsbereitschaft, von der

Habermas spricht, äußert sich nun in „Post“ Begriffen, welche dazu dienen sollen, sich von eben diesen nicht mehr legitimen großen Erzählungen loszusagen und

sich damit in eine kritische Distanz zur Moderne zu rücken (vgl. Berner 1992, S. 89).

„Was wir Moderne nennen - also die Zeit zwischen der europäischen Aufklärung und dem Ersten Weltkrieg - hat uns mit idealistischen Zumutungen überlastet und mit humanistischen Idealen geködert. Deshalb haben wir heute eine ambivalente Einstellung zur Moderne: sie ist Utopie und Alptraum zugleich. Deshalb fällt es uns so schwer, souverän in eine neue Zeit einzutreten. Wir haben ein Entwöhnungstrauma der beendeten Moderne."

Nun stellt sich die Frage, wie die neue Zeit aussieht, in die wir laut Norbert Bolz (1997) eintreten sollen und bereits eingetreten sind (ich fasse die Zeitspanne der Moderne ein wenig weiter als Bolz), daher wende ich mich jetzt dem Teil der Arbeit zu, welcher die Zeit während und nach dem Verblassen der modernen Paradigmen charakterisieren soll, als Synonym für diese Zeit verwende ich den oftmals kritisierten Begriff der Postmoderne.

Aufgrund der genannten Kritik möchte ich zunächst einen kurzen Exkurs folgen lassen, welcher sich auf eine Strömung der Postmoderne bezieht, welche Wolfgang Welsch (1987, S.2) sehr treffend den „esoterischen Postmodernismus“ nennt.

I. Exkurs: Adepten, Apotheosen und Wunderheiler

Hier soll nun also eine Differenzierung der Erscheinung vorgenommen werden. Dass die Gesichtspunkte des Begriffes Postmoderne nicht homogen und damit ganzheitlich erfassbar sind, wird schnell klar werden, eine spezielle Richtung wird es also nicht geben. Jedoch wird es möglich sein, sich im Vorfeld von einer Strömung zu distanzieren, welche Kritikern der Postmoderne immer wieder einen Angriffspunkt bietet und viele postmoderne Denker verzweifeln lässt. Im Folgenden wird das Bild einer leider bereits bestehenden, esoterischen Postmoderne gezeichnet, später werde ich auf die durchaus berechtigte Kritik gegen dieses Bild eingehen.

Die Postmoderne mag keine Theorie sein, sie mag sich auch nicht als Epoche sehen und schon gar nicht als neue große Erzählung. Dennoch ist sie definitiv vorhanden, auch, wenn ich nicht den Versuch einer Kategorisierung unternehmen möchte. Das, was gemeint ist, wenn man von Postmoderne redet ist für mich eine Art Antwort auf die genannten Paradigmenwechsel, diese Antwort kann nun auf diverse Weisen gedeutet werden, was für manche meiner Ansicht nach missbräuchlich heißt: „wie es gerade am besten passt und sich mit meinen Zielen deckt.“

Welsch nennt diese Form der Postmoderne auch einen „diffusen Postmodernismus“ (1987, S. 2), der alles aufnimmt, was nicht ganz rational und schlüssig scheint, der bewusst wage bleibt und sich nicht klar festlegt. Dieser Postmodernismus schafft die unterschiedlichsten Synthesen, in ihm ist es möglich, „aus Liebe zum Automobil“ VW vermarkten und die perfekte amerikanische Familie „we love Deutschläänd“ skandieren zu lassen, weil die Wagner Pizza so gut schmeckt.

Natürlich sind diese Erscheinungen in der Werbung wahrscheinlich nicht als Ausdruck der Postmoderne gedacht oder geplant, vielmehr orientieren sie sich am gesellschaftlichen Gusto, ich sehe aber in dieser Orientierung durchaus eine Verbindung zum „Postmodernismus der Beliebigkeit“. Die Postmoderne wird in dieser Form benutzt, um zu werben, sich darzustellen, Dinge zu verbinden, die nicht verbunden werden können oder wollen.

Und natürlich kann sehr viel Geld und Ruhm errungen werden, wenn man es versteht, auf der postmodernen Welle zu reiten und sich vorher einen (wenn auch nur metaphorisch) gut gebauten Körper zulegt und sein Brett schön färbt.

Betrachtet man beispielsweise den Beratungsbereich, man könnte auch von Coaching, Training oder Consulting sprechen, einen Bereich also, in dem jährlich immer mehr Geld, mittlerweile in zweistelliger Milliardenhöhe, umgesetzt wird, sieht man schnell, was gemeint ist. Neben seriösen Beratern gibt es Unmengen an Scharlatanen, welche sich als Wunderheiler für Probleme im Betrieb ausgeben, das alles geschieht im gesetzlich (noch) nicht gesicherten Berufsbereich des „Trainers“. Jeder, der eine möglichst exotische Idee hat und dazu noch laut „Tschakka“, „tu es“, oder „du bist der Größte“ orgeln kann, könnte ja schließlich die erhoffte Lösung auf die genannten Probleme sein. Seminare und deren Teilnehmer oszillieren mit Flow waagerecht ins rhizomatische Trans- Paradigma (Playboy 1/98, S, 97), Mitglieder der Führungsetage lassen sich zum Duft von Räucherstäbchen, untermalt von gesungenen Vorstellungen der Seminar(r?)- Teilnehmer, neurolinguistisch programmieren, Scientology lässt grüßen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 89 Seiten

Details

Titel
Die Postmoderne - Versuchte Abstraktion eines Paradigmenwechsels
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
89
Katalognummer
V34959
ISBN (eBook)
9783638350297
Dateigröße
758 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Postmoderne, Versuchte, Abstraktion, Paradigmenwechsels
Arbeit zitieren
Thomas Döll (Autor:in), 2004, Die Postmoderne - Versuchte Abstraktion eines Paradigmenwechsels, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34959

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