Bewältigung oder Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit? Zur Wirkung von Carl Zuckmayers "Des Teufels General" im Nachkriegsdeutschland


Seminararbeit, 1999

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Zur Wirkung von Des Teufels General in der Nachkriegszeit

2. Individualpsychologischer Ansatz
2.1. General Harras als ideale Identifikationsfigur
2.2. Freuds Deutung der Opferlammphantasie

3. Soziopsychologischer Ansatz
3.1. Die Spaltung der Figuren in „gut“ und „böse“
3.2. Infantiler Abwehrmechanismus nach Margaret Mahler
3.3. „Sie-Täter“ kontra „Wir-Opfer“ in der Verfilmung von 1955

4. Resümee

Bibliographie

1. Einleitung : Zur Wirkung von Des Teufels General in der Nachkriegszeit

Im Dezember des Jahres 1941 [...] war in den amerikanischen Zeitungen eine kurze Notiz erschienen: Ernst Udet, Generalluftzeugmeister der deutschen Armee, sei beim Ausprobieren einer neuen Waffe tödlich verunglückt und mit Staatsbegräbnis beerdigt worden. Sonst nichts. Es gab keine Kommentare, keine Mutmaßungen über seinen Tod. Verunglückt. Staatsbegräbnis. [...] Jetzt, an einem Spätherbsttag im Jahre 1942, ein Jahr nach Udets Tod, stieg ich mit meinem Tragkorb zur Farm hinaus. [...] Auf einmal blieb ich stehen. 'Staatsbegräbnis', sagte ich laut. Das letzte Wort der Tragödie.1

So erinnert sich Carl Zuckmayer in Als wär’s ein Stück von mir an den Anlass und die Umstände, die zur Entstehung seines umstrittenen Exildramas Des Teufels General geführt haben. Aus diesem Bericht ist nicht nur zu entnehmen, dass das Drama vom Schluss her konzipiert ist - lautet das letzte Wort des Stückes doch tatsächlich „Staatsbegräbnis“-, sondern er belegt, dass es für die Titelgestalt ein historisches Vorbild gibt: den draufgängerischen Fliegergeneral und Freund Zuckmayers Ernst Udet (1896-1941), der nach seiner Niederlage in der Schlacht um England im Winter 1940/41 zum Sündenbock der NS-Regierung wurde und daraufhin Selbstmord beging. Bereits 1933 trat Udet, verführt vom Luftfahrtsminister Hermann Göring, der ihm zwei moderne amerikanische Kampfflugzeuge geschenkt hatte, in die NSDAP ein, distanzierte sich im Freundeskreis jedoch stets vom NS-Regime.

Die zentrale Figur in Zuckmayers Drama, der sympathische Fliegerheld Harras, ist zwar kein Parteimitglied, verfügt aber über genau dieselbe Doppelmoral wie ihr historisches Vorbild, was Zuckmayers Drama bis heute immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik geraten lässt. Denn trotz tiefster Verachtung für das NS-Regime lässt sich der „Gesinnungslump“ Harras von ihm tragen, da es ihm Aufstieg, Entfaltungsmöglichkeiten und Siege als Flieger verschafft. Entscheidend ist jedoch, dass der Titelheld trotz all des Grauens, das auch in seinem Namen geschieht, und trotz all seiner Fehler, durch und durch sympathisch wirkt. Gutgelaunt und genussfreudig tummelt er sich auf Parties, wo er gerne einmal einen über den Durst trinkt und nebenbei ein paar gewagte Sprüche über die Nazis klopft, avanciert zum Frauenheld und zeigt sich stets von seiner menschlichsten Seite. Wer kann sich diesem „reizvollen Amalgam aus Humanismus und penetranter Männlichkeit“2 schon entziehen, wenn es leidenschaftlich dem jungen Leutnant Hartmann die Hitlerjugendphrasen austreibt, sich der Operettensängerin Olivia Geiß gegenüber sofort bereit erklärt, einem gemeinsamen jüdischen Bekannten zur Flucht zu verhelfen, oder zum ersten Mal mit der jungen Diddo die große Liebe erfährt?

Einzig und allein die sonderbaren Flugzeugunfälle, bei denen auch sein guter Freund Eilers umkommt, bringen Harras etwas aus der Ruhe, zumal ihn der SS-Kulturleiter Schmidt-Lausitz und die Gestapo mit der Aufklärung der Fälle unter Druck setzen. Erst als ihm Anne Eilers die Schuld am Tod ihres Mannes gibt und sich sein Freund Oderbruch als Initiator des Sabotageaktes herausstellt, der Harras die Mitschuld an den Grausamkeiten des NS-Regimes vorwirft, erkennt Harras endlich seine Schuld und wählt den Freitod im wissentlich in Kauf genommenen Absturz mit einem der sabotierten Flugzeuge. Oft wird jedoch kritisiert, dass dem „Luftclown, der Blut geleckt hat und immer weiter Blut lecken will“3 diese Einsicht viel zu spät kommt und er mit dem Selbstmord die wohl einfachste Lösung wählt, anstatt z.B. in den aktiven Widerstand zu wechseln, wie es ihm Oderbruch vorschlägt.

Auch wird Zuckmayer immer wieder vorgeworfen, es handle sich bei seinem Stück um „die Gegenüberstellung von der Partei und vom Militär, statt um deren Gleichstellung“, die „ein 1870, ein 1914, ein 1939 wieder vorbereiten“4 würden. So hatten auch die Besatzungsbehörden in Nachkriegsdeutschland lange gezögert, das Stück für die Bühne freizugeben, da man befürchtete, die sympathische Figur des General Harras könne vielen Nationalsozialisten als nachträgliche Entschuldigung dienen, die Fiktion einer aktiven Sabotagegruppe innerhalb des Luftfahrtministeriums einer neuen Dolchstoßlegende Vorschub leisten und die Wehrmachtsuniformen Anlass zu Ovationen geben.

In der sowjetische Besatzungszone lehnte man eine Aufnahme in die Spielpläne aus politischen Gründen sogar vollkommen ab, denn Zuckmayer habe „nie auf dem Boden einer klaren Weltanschauung gestanden“ und „wackere Haudegen, treudeutsche Draufgänger“ sowie „falsche Biedermänner und Naziprovokateure“ würden dem Stück ihre Ideologie anhängen.5

Im Jahre 1957 gelangte sogar ein „Anti-Teufelsgeneral“, das fünfaktige Schauspiel General Landt der Schriftstellerin Hedda Zinner, auf die Bühnen der ehemaligen DDR. Wie Der Spiegel vom 3. Juli 1957 (S. 47f) berichtet, wollte die Autorin mit ihrem Stück „eine Art künstlerischen Protest“ gegen Zuckmayers Drama, gegen seine Verzerrung der „menschlichen, gesellschaftlichen und historischen Wahrheit“ einlegen.

Der größte Teil der westdeutschen Bevölkerung war da jedoch ganz anderer Meinung. Seit der deutschen Erstaufführung am 8. November 1947 im Staatlichen Schauspielhaus Hamburg (Regie: Friedrich Brandenburg) strömten die Leute in Scharen in die Theater, so dass Der Spiegel vom 7. September 1955 (S. 39) vermelden konnte: „Die weit über fünftausend Aufführungen ... [von Des Teufels General] sicherten Zuckmayer in der bundesdeutschen Theaterstatistik die unbestrittene und einsame Spitzenstellung unter allen seriösen lebenden Dramatikern deutscher Sprache“. Gerade in den beiden Spielzeiten 1947/48 und 1948/49 errang das Stück seine größten Erfolge, da es in beiden Theatersaisons die unangefochtene Spitzenstellung unter den aufgeführten Dramen einnahm.

Zu den Ursachen des beispiellosen Erfolges schreibt Arnold John Jacobius :

Bei „Des Teufels General“ bedingte die Zeitgemäßheit des Stückes, die Tatsache,

daß es den psychologischen Bedürfnissen des Augenblicks so völlig entsprach,

den großen Publikumserfolg. Man staunte über die Echtheit der Charaktere, die

Treffsicherheit des Dichters in den feinsten Details des Parteijargons und der

psychologischen Motivationen.6

Lässt sich die Popularität von Zuckmayers Nachkriegsdrama jedoch allein mit der „Zeitgemäßheit“, die diesem Stück innewohnt, erklären? Welche „psychologischen Bedürfnisse des Augenblicks“ sind es genau, die Des Teufels General zu befriedigen weiß? Und was genau hat die Suche der Deutschen nach einer neuen Gruppenidentität damit zu tun?

Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, reicht eine rein literaturwissenschaftliche Analyse nicht aus. Diesem Thema wird nur eine Kombination aus literaturwissenschaftlichen, psychologischen und soziologischen Ansätzen gerecht, die nun folgen soll.

2. Individualpsychologischer Ansatz

Im Folgenden wird, zunächst unter Auslassung der Gesellschaft als Teil der Identität, die Wirkung des Erfolgsdramas auf das einzelne Individuum betrachtet werden, sprich auf individualpsychologischer Ebene. Um die starke Wirkung des Stückes auf den einzelnen deutschen Zuschauer verstehen zu können, muss zunächst der Titelheld als ideale Identifikationsfigur erläutert werden. Darauf aufbauend wird dann der Erfolg des Nachkriegsdramas unter Zuhilfenahme von Freuds Deutung der Opferlammphantasie genauer untersucht werden.

2.1. General Harras als ideale Identifikationsfigur

Mit der Figur des General Harras schuf Zuckmayer in Anlehnung an das Schicksal des Generalluftzeugmeisters und Generaloberst Ernst Udet, Zuckmayers Freund aus Zeiten der Weimarer Republik, eine Titelfigur, wie sie charismatischer kaum hätte sein können. Mit seiner unersättlichen Lebenslust, provokativen Respektlosigkeit und souveränen Verachtung für die Gefahr nimmt Harras‘ schillernde Persönlichkeit einen so großen Raum im Drama ein, dass die anderen Figuren und das politische Hintergrundgeschehen oft zur reinen Staffage verkommen. Doch nimmt die temperamentvolle Kraftnatur nicht nur das engere zentrale Figurenmodell ganz für sich allein in Anspruch, sondern bietet darauf aufbauend dem Zuschauer auch die ideale Mischung für eine Identifikation an. So repräsentiert General Harras als hochstehender Hierarch auf der einen Seite ein Ideal, nach dem der Zuschauer strebt. Mit seiner Uniform und den zahlreichen Orden verkörpert er Macht, Erfolg und Unabhängigkeit und mit seiner Fliegerleidenschaft außerdem die Allmachtsphantasie der Menschheit schlechthin.

Auf der anderen Seite zeichnet sich Harras aber durch seinen volkstümlichen Charakter, seine derbe Sprache und seine menschlichen Schwächen aus, die dem Publikum das Gefühl geben, der heldenhafte Fliegergeneral sei „einer von ihnen“. Dadurch wird die Identifikation mit Harras gefördert.

Darüber hinaus sind jedoch noch einige speziellere Parallelen zwischen General Harras und dem Publikum der Nachkriegszeit zu finden, die ein Mitfühlen mit dem Helden unterstützen:

Denn in den meisten Deutschen steckt etwas von General Harras:

das Unpolitische, das Draufgängertum, die Sorglosigkeit, die oft so sture

Leidenschaft der Pflichterfüllung, das Nichtsehenwollen des Bedrohlichen,

das Hinnehmen des einmal Gegebenen, das Resignieren.7

Damit ist auch die wirkungsvollste, aber wohl problematischste Parallele angesprochen. Wie ein Großteil der deutschen Bevölkerung hat sich Harras während des Zweiten Weltkrieges in den „unpolitischen“ Bereich zurückgezogen, weggesehen und wider besseres Wissen geschwiegen. Genauso wie Harras haben viele Deutsche das Gefühl, „unschuldig“ schuldig geworden zu sein. Dieses Verhalten wird in Des Teufels General jedoch nicht kompromisslos angeprangert, sondern durch die sympathische Figur des Harras´ nachvollziehbar gemacht. Zwar erkennt General Harras am Schluss des Dramas eine gewisse Teilschuld an, doch betont er immer wieder sein Gefühl der Machtlosigkeit und das der Sinnlosigkeit eines Kampfes gegen die Greueltaten der Nazis und mag somit den meisten Zuschauern aus der Seele sprechen:

Was kann denn der einzelne tun, Anne – in einer Welt, die ihm den Donner ihres

fürchterlichen Ablaufs – und seines eignen rettungslosen Mitgerissenseins – mit

jedem Herzschlag in die Ohren dröhnt ? Wer bin ich denn – daß ich es ändern

sollte ?[...] Bin ich denn mehr als ein Mensch ? Kann ich mehr wissen – mehr

tun – mehr leiden als ein Mensch ? Ich bin doch – ich bin doch kein Gott !!

(Des Teufels General III , 144f)

Es wird jedoch kein Gedanke daran verschwendet, dass der „fürchterliche Ablauf“ bzw. die Verbrechen der Nazis ohne das Schweigen der großen Masse gar nicht in dieser Form hätten durchgeführt werden können. Zuckmayer scheint sich hier Büchners Theorie vom „Geschichtsfatalismus“ und auch der Haltung Hauptmanns („Ewigkeitsschicksal“) anzuschließen. Doch kann Zuckmayer den Rückzug ins Unpolitische wirklich gutheißen? Aufschluss darüber gibt ein Brief, in dem Zuckmayer Stellung zu seinem Selbstverständnis als Dichter bezieht:

Nie hatte ich eine Neigung, Dichtung mit Ideologie zu verschweißen. Nie wollte

ich die Freiheit aufgeben, Dichtung ‚um ihrer selbst willen‘ wachsen zu lassen,

aber keineswegs als ‚l´art pour l´art‘, sondern als ‚l´art pour l´homme‘, - eine

(unproblematische, untendenziöse) Spiegelung des Menschenbildes, in der

Darstellung seiner Kreatürlichkeit, das heißt, seines Schicksals, das er zu

bestehen und an dem er sich zu messen hat.8

[...]


1 Zuckmayer 1966, S.548

2 Wehdeking, Volker: Mythologisches Ungewitter. Carl Zuckmayers problematisches Exildrama „Des Teufels General“. In: Kieser 1986, S. 87

3 Rilla, Paul: Der General als Gesinnungslump. In: Mews 1983, S.52

4 Zitiert nach Glaubert 1977, S.221

5 Zitiert nach Mews 1983, S. 63

6 Jacobius 1971 , S.2

7 Süddeutsche Allgemeine Nachrichten, München, 3. 12. 1947. In : Glaubert 1977, S.232

8 Zitiert nach Engelsing-Malek 1960

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Bewältigung oder Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit? Zur Wirkung von Carl Zuckmayers "Des Teufels General" im Nachkriegsdeutschland
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Deutsche Philologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
25
Katalognummer
V34816
ISBN (eBook)
9783638349291
Dateigröße
600 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit weist nach, dass "Des Teufels General" bei den Zuschauern im Nachkriegsdeutschland einen infantilen Abwehrmechanismus (nach Margaret Mahler) zur Verdrängung von Schuld ausgelöst hat. Die Figuren werden in wenige Sie-Täter und viele Wir-Opfer aufgespalten, wodurch die Peiniger aus dem deutschen Volk ausgegliedert werden, die eigene Schuld auf die böse Tätergruppe verschoben wird und man sich nach dieser "Reinigung" mit der nunmehr unbelasteten Gruppenidentität wiedervereinigen konnte.
Schlagworte
Bewältigung, Verdrängung, Vergangenheit, Wirkung, Carl, Zuckmayers, Teufels, General, Nachkriegsdeutschland
Arbeit zitieren
Tina Hanke (Autor:in), 1999, Bewältigung oder Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit? Zur Wirkung von Carl Zuckmayers "Des Teufels General" im Nachkriegsdeutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34816

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