Geschichte, Politik und Ökonomie im "Grünen Heinrich"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

25 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Gegensatz Schweiz-Deutschland
1.1 Verherrlichung der Schweizer Demokratie)
1.2 Das Lob des Einfachen als Symbol für die Schweiz
1.3 Die symbolische Bedeutung der Stadt Zürich
1.4 Familie und Staat)
1.5 Der Vater Heinrichs als Verkörperung eines Idealtypus
1.6 Kritik an Deutschland
1.7 Kritik an der Schweiz

2 Die Feste im “Grünen Heinrich“
2.1 Basler Schützenfest
2.2 Das Tellfest
2.2.1 Die Tradition des Tellfest in der Schweiz
2.2.2 Vergleich zwischen Schillers “Willhelm Tell“ und Kellers Tellfest
2.2.3 Politische Gegenwart und geschichtliche Vergangenheit im Tellfest
2.2.4 Der Statthalter als Repräsentant des Liberalismus
2.2.5 Plädoyer für den Liberalismus
2.2.6 Der Konflikt zwischen dem Wirt und dem Holzhändler
2.2.6.1 Die Position des Holzhändlers
2.2.6.2 Die Position des Wirts
2.2.6.3 Der Streit als Beispiel für liberales Handeln
2.2.7 Heinrichs Isolation während der Feier

3 Heinrichs Heimatträume

4 Geschichtsbild Heinrichs

5 Gründe für das Scheitern des “Grünen Heinrich“

6 Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis

Geschichte, Politik, Vaterland und Ökonomie im „Grünen Heinrich

Einleitung

"Je und je ist eines der schönsten Merkmale schweizerischer Eigenart das stark ausgeprägte Heimatgefühl des Schweizers gewesen. Selten sonstwo sind die Fäden zwischen Land und Bewohner so fest und dicht gewoben."[1]

So beginnt ein kleines Buch aus dem Jahr 1915 über das Thema "Heimat und Dichtung" in Bezug auf den Schweizer Autor Gottfried Keller.

Die vorliegende Arbeit untersucht anhand der ersten Fassung des Kellerschen Romans "Der grüne Heinrich" von 1854/55 Aspekte der heimatlichen Beziehung der Hauptperson des Romans, des grünen Heinrich, zur Schweiz. Die Themen Geschichte, Politik, Vaterland und Ökonomie werden näher betrachtet, um schließlich zu beurteilen, welches Heimat- und Gesellschaftsbild Gottfried Keller in seinem Roman vermittelt hat oder vermitteln wollte.

Besonders großen Raum nimmt dabei das Tellfest ein, das während Heinrichs Jugendgeschichte spielt. Denn meiner Meinung nach sind gerade hier viele Aspekte, die das Thema dieser Arbeit betreffen, zu finden. Wichtiger Bestandteil sind zudem die Heimatträume Heinrichs kurz vor seiner Rückkehr in die Schweiz, die einiges an Stoff bieten. Wahrscheinlich gibt es darüber hinaus noch eine Menge anderer Stelle, die themenrelevant sind, aber dadurch wäre der Rahmen dieser Arbeit weit überschritten worden.

1 Gegensatz Schweiz-Deutschland

1.1 Verherrlichung der Schweizer Demokratie

Bereits der Romanbeginn des „Grünen Heinrich“ gleicht einem politischen Bekenntnis. Am Romananfang erscheint der Staat außerhalb der Schweiz als etwas Abstraktes. Als die Züricher Politiker auftreten wird von ihnen gesagt, dass sie einfache schwarze Kleider tragen, über keine all zu große Rhetorik und Bildung verfügen, „aber aus gewissen Strahlen der lebhaften Augen leuchtet Besonnenheit, Erfahrung und das glückliche Geschick, mit einfachem Sinn das Rechte zu treffen“ (S.13).[2] Aber gerade das Einfache machte diese Personen aus: "[...] das Nichtrepräsentative dieser Männer macht sie repräsentativ, [...]."[3] Dies passt zu einem Tagebucheintrag Kellers nach seiner "Sturmzeit"[4] 1847:

"Ich bin ganz im geheimen diesen Männern [den Zürchern Regierungsmännern] viel Dank schuldig. Aus einem vagen Revolutionär und Freischärler à tout prix habe ich mich an ihnen zu einem bewußten und besonnenen Menschen herangebildet, der das Heil schöner und marmorfester Form auch in politischen Dingen zu ehren weiß und Klarheit mit der Energie, möglichste Milde und Geduld, die den Moment abwartet, mit Mut und Feuer verbunden wissen will."[5]

Im Gegensatz dazu stehen eben die deutschen Emigranten, die sehnsüchtig nach einem wirklichen Staat, nach wahrer Nationalität Ausschau halten, weil "für einen Bürger des 19. Jahrhunderts [...] Freiheit, Glück, Menschenwürde noch gleichbedeutend mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation [waren]."[6] Gerhard Kaiser schreibt dazu : „Der moderne Staat ist als Republik weniger abstrakt denn als Monarchie, weil im Parlament das Kollektiv sichtbar zum Souverän wird.“[7]

Dieser Gegensatz Schweiz-Deutschland kommt nach der Ansicht Kaisers auch dadurch zum Tragen, dass Heinrich sich kulturell Deutschland zugezogen fühlt, aber die Schweizer Republik für ihn das wahre Vaterland sei.[8]

1.2 Das Lob des Einfachen als Symbol für die Schweiz

Das Lob des Einfachen und die Ablehnung aristokratischen Verhaltens findet sich auch zu Beginn der Ich-Erzählung Heinrichs auf eine ironische Art und Weise: Zunächst wird im Bezug auf das väterliche Heimatdorf davon gesprochen, dass "die Herrlichkeit des aristokratischen Regimentes [...] sich am höchsten im Pfarrhause [entfaltete]" (S. 61). Aber ein wenig später heißt es: "Aber diese ganze Herrlichkeit barg bereits den Keim ihres Zerfalls in sich selbst" (S. 63), weil nämlich der Sohn des Pfarrers lieber Bauer sein will und "die Tochter, sooft sie nur immer konnte, die griechischen Gewänder an den Nagel [hing] und sich in Küche und Garten [zurückzog], dafür sorgend, daß die unruhige Gesellschaft etwas Ordentliches zu beißen fand, [...]" (S. 63). Hier zeigt sich also eine klare Betonung des Elementaren und des Einfachen.

1.3 Die symbolische Bedeutung der Stadt Zürich

Der Stadt Zürich kommt bei der Suche Heinrichs nach heimatlichen Tugenden und deutscher Kultur symbolische Bedeutung zu. Sie steht für ein Ideal bzw. für ein Ideal Heinrichs. Auf der einen Seite verkörpert die Stadt ein demokratisches Staatswesen, wie es in der Schweiz zu finden war, aber andererseits ist sie das kulturelle Tor nach Deutschland, zu dessen Kultur Heinrich sich ja besonders hingezogen fühlt. Rothenbühler meint dazu: "Die Deutschschweizer Städte öffnen sich geographisch, ökonomisch und kulturell Richtung Norden, und Träger dieser Öffnung sind die Zuflüsse zum Rhein. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Lage an See und Fluss zukunftsträchtig."[9]

1.4 Familie und Staat

Die Staatsauffassung des grünen Heinrich ist aber auch eng an sein Familienbild gebunden, wie Selbmann ausführt anhand des Gesprächs zwischen Heinrich und dem Grafen zu Beginn des Romans aufzeigt (S. 47-53): "Gespräche um Vor- und Nachteile von Monarchie und Republik treiben beide in Richtung eines Volks- und Nationalitätsbegriffs vor, die nicht nur sprachlich ("wie die Familie"..."so ist das Vaterland") am Ideal einer intakten Familienstruktur festgemacht ist."[10]

1.5 Der Vater Heinrichs als Verkörperung eines Idealtypus

Ein Idealtypus ist auch der Vater Heinrichs[11] und genau wie die Stadt Zürich verbindet auch er das, wonach Heinrich sein Leben lang sucht: heimatliche Verbundenheit und Weltoffenheit. Darüber hinaus steht Heinrichs Vater für jemanden, der Widersprüchliches miteinander verbindet. So erzählt Heinrich von ihm, dass er sich mit 14 Jahren in die weite Welt aufgemacht habe, d.h nach Deutschland, sich dort hochgearbeitet habe und schließlich als "förmlicher Herr" (S. 64) in seine Heimat zurückgekehrt sei. Damit verkörpert der Vater das Gegenteil zu den Aristokraten, die ja in ihren hohen Stand einfach ´nur´ hineingeboren werden. Aber er steht auch über dem einfachen Volk, das meist in seinem niederen Stand bleibt. Hanna Wildbolz meint dazu: "Der standesmäßige Adel tritt zurück vor dem Adel des Wesens, der den Bürger oder Bauern ebensowohl auszeichnen kann, wie den Aristokraten."[12]

Weiter erzählt Heinrich über seinen Vater, dass er "immer hochdeutsch" (S. 65) gesprochen habe, aber durch seine Rückkehr in die Schweiz zeigt er, dass er damit nicht seine Heimat verleugnet, sondern vielmehr eine Weiterentwicklung durchlebt hat. Heinrichs Vater verbindet die Vorteile sowohl der Schweiz als auch Deutschlands miteinander. So strebt er wie viele andere nach "eine[r] bessere[n] schönere[n] Zeit der Wirklichkeit" (S. 65), aber er war dabei nicht im Gegensatz zu vielen Deutschen von "manchen romantischen Elementen" (S. 65) durchdrungen, d.h. er war sozusagen ein idealistischer Realist. Zudem wird er als jemand geschildert, der auf der einen Seite fleißiger Handwerker ist, nämlich Steinmetz, aber gleichzeitig einen inspirierten Künstler verkörpert, von dem gesagt wird, dass ihm "ein Licht aufgegangen" sei, "welches seinen Pfad noch mehr erleuchtete" (S. 65). Selbmann schreibt dazu: "Bildung und ästhetisches Empfinden,[...], heben den Baumeister Lee aus der Masse seiner Konkurrenten heraus."[13]

1.6 Kritik an Deutschland

Der Gegensatz Schweiz-Deutschland wird im Roman am deutlichsten durch das Bild des Bienenkorbs und des Sandhaufens dargestellt. Die Schweiz wird vom auktorialen Erzähler als ein "wohlbewaffneter Bienenkorb"[14] (S. 853) bezeichnet, der zwar klein sei, aber dafür Lebendigkeit aufweise. Im Gegensatz dazu steht Deutschland, das mit einem "mächtige[n] Sandhaufen" (S. 853) verglichen wird, der zwar groß, aber unbeweglich sei. Im gesamten Roman tauchen immer wieder Seitenhiebe gegenüber dem großen Reich nördlich der Schweiz auf, meist durch indirekte Anspielungen. So z.B. während des Tellfests, als der Statthalter sein Plädoyer für den Liberalismus hält (S. 404 f.). Dort sagt der Statthalter, dass jenseits der Grenzen, womit wahrscheinlich Deutschland gemeint ist, der scheinbar große Geist letztlich ein "trügerischer Wolkenmantel der Unentschlossenheit und der Verzweiflung" (S. 405) sei.

1.7 Kritik an der Schweiz

Aber die Schweiz wird im „Grünen Heinrich“ auch nicht nur als Ideal dargestellt, sondern es wird auch Kritik geübt. Es wird ein widersprüchliches Schweizer Bild dargestellt. So ist ein großes Thema die Verstoßung Heinrichs aus der Gesellschaft durch den Schulverweis, dessen Konsequenzen sich ja durch den gesamten Roman ziehen. Außerdem wird die übermäßige religiöse Strenge des Konfirmandenunterrichts angeprangert. Andererseits werden z.B. die Wehrübungen als positiv geschildert. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass Heinrich nie zu einem wirklichen Bürger wird, weil ihm die ökonomische Grundlage dazu fehlt. In einem Brief vom 3. Mai 1850 an seinen Verleger Vieweg sagt Gottfried Keller, dass ein Leben im Staat nur dem Bürger vorbehalten ist, der die Verhältnisse seiner Person und seiner Familie im Gleichgewicht halten könne.[15]

Ein weiterer Kritikpunkt ist das Erinnerungsverhalten der Dorfbürger, von denen Heinrich zu Beginn seiner Jugendgeschichte berichtet, dass sie sich an alle möglichen Sagen und Mythen ihrer angeblichen Vorfahren erinnern könnten, aber nicht an ihre unmittelbare Vergangenheit, die sich in ihren Großeltern manifestiere (S.59). Heinrich prangert also die Glorifizierung der sagenumwobenen Geschichte an. Gleichzeitig glorifiziert er aber selbst die Vergangenheit in der Lebensbeschreibung seines Vaters.

[...]


[1] Bollmann, Emil. Gottfried Keller. Heimat und Dichtung. Zeichnungen von Emil Bollmann. Begleitwort von Fritz Hunziker. Huber&Co. Frauenfeld 1915. S. 5.

[2] Alle Stellen sind nach der Insel-Ausgabe angegeben: Gottfried Keller. Der grüne Heinrich. Erste Fassung. Mit Zeichnungen Gottfried Kellers und seiner Freunde. Insel Verlag. Frankfurt am Main und Leipzig 1978 (1. Aufl.).

[3] Gerhard Kaiser. Gottfried Keller. Das gedichtete Leben. Insel Verlag. Frankfurt am Main 1981. S. 232.

[4] Walter Muschg. Gestalten und Figuren. Francke Verlag. Bern/München 1968. S. 188.

[5] Zitiert in: Muschg 1968. S. 188.

[6] Muschg 1968. S. 204.

[7] Kaiser 1981. S.232.

[8] Kaiser 1981. S.233.

[9] Daniel Rothenbühler. Der grüne Heinrich 1854/55. Gottfried Kellers Romankunst des "Unbekannt-bekannten" (= Zürcher Germanistische Studien. Hrsg. von Michael Böhler u.a. Bd. 56). Peter Lang AG. Europäischer Verlag der Wissenschaften. Bern/Berlin u.a. 2002. S. 63.

[10] Rolf Selbmann. Gottfried Keller. Romane und Erzählungen (= Klassiker-Lektüren Bd. 6). Erich Schmidt Verlag. Berlin 2001. S. 23.

[11] Interessant ist an dieser Stelle auch wieder die eigene Biographie Gottfried Kellers, der genau wie Heinrich im Roman auch früh seinen Vater verlor und bei dem ebenfalls eine Verklärung des Vaters einsetzte, wie Walter Muschg schreibt: "Der Tote [Vater] verklärte sich in seiner Erinnerung, [...], zu einer Idealgestalt, mit der er einen sehnsüchtigen Kult trieb, weil er wußte, wie viele Torheiten und Schmerzen ihm eine sichere Vaterhand erspart hätte. Muschg. S. 178.

[12] Hanna Wildbolz. Mensch und Stand im Werke Gottfried Kellers (= Forschungen zur deutschen Sprache, Literatur und Volkskunde begründet und fortgeführt von H. Maync u.a. Neue Folge hrsg. Bindschedler u.a. Bd. 15) Verlag Paul Haupt. Bern 1969. S. 78.

[13] Selbmann 2001. S. 23.

[14] Interessant scheint mir der Kommentar Kaisers zum Bienenkorbbild zu sein: "Wenn die Schweizer Republik als ´[...] Bienenkorb´ vorgestellt wird, dann ist darin das Geheimnis enthalten, dass das Bienenvolk das Volk einer Königin ist." Kaiser 1981. S. 246.

[15] Brief vom 3. Mai 1850 an Vieweg. In: Gottfried Kellers Briefe an Vieweg. Hrsg. von Jonas Fränkel. Verlag der Corona. Zürich 1938. S. 26.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Geschichte, Politik und Ökonomie im "Grünen Heinrich"
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Romane des Realismus
Note
2
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V34741
ISBN (eBook)
9783638348744
ISBN (Buch)
9783638648714
Dateigröße
580 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Gottfried Kellers Roman "Der Grüne Heinrich" wird unter den Aspekten Geschichte, Politik und Ökonomie näher untersucht.
Schlagworte
Geschichte, Politik, Grünen, Heinrich, Romane, Realismus
Arbeit zitieren
Peter Lindhorst (Autor:in), 2003, Geschichte, Politik und Ökonomie im "Grünen Heinrich", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34741

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