Judith Butler und die Veränderbarkeit der Geschlechterkategorien


Hausarbeit, 2015

23 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Butlers kritische Methode

2. Diskurs als Rahmen der Kritik
2.1. Geschlecht gleich Geschlechtsidentität?

3. Geschlecht als Effekt des hegemonialen Diskurses
3.1. Die Macht der Normen
3.2. Die Grenzen des Menschlichen
3.3. Umkehr zwischen Ursache und Effekt
3.4. Die produktive Kraft der Gesetze

4. Geschlecht als performativer Effekt
4.1. Butlers Strategie der Subversion

5. Kritik an Butlers Geschlechtertheorie

6. Fazit: Grenzen und Möglichkeiten der Veränderbarkeit der Geschlechterkategorien durch Butlers Theorie

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die alltägliche Unterscheidung von Mann und Frau ist für die meisten Menschen eine selbstverständliche Tatsache, die sie als wahrnehmbare Erfahrung erleben. Mit diesem Model der Differenz geht meist auch die Annahme einher, dass zahlreicher Unterschiede im Denken und Handeln zwischen den beiden Geschlechtern bestehen. Dieser Auffassung stehen heute jedoch zahlreiche wissenschaftliche Belege entgegen, welche das Gegenteil beweisen. Auch die Eindeutigkeit der biologischen Faktoren, welche Männer und Frauen in zwei Gruppen teilen ist stark umstritten. Bei der Frage, was die Frau zur Frau und den Mann zum Mann macht, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Manche beziehen sich auf die Chromsomen, andere auf die Hormonkonstellation, wiederum andere auf das anatomische Geschlecht. Doch die wissenschaftlichen Erkenntnisse haben gezeigt, dass keiner dieser Faktoren eine eindeutige Grundlage bietet. Es gibt Frauen, welchen ein zweites X-Chromosom fehlt, widersprüchliche Hormonkonstellationen und eine Vielzahl an von der Norm abweichenden Geschlechtsorganen (vgl. Connell 76f.). Manche mögen diese Inkohärenzen als natürliche Abweichungen der Natur bezeichnen, die keine Relevanz für die Mehrheit der Menschen hat. Aber die Auswirkungen der Doktrin der Geschlechterdifferenz betreffen alle Menschen. Eine der führenden Forscher_innen im Bereich der Geschlechterunterschiede, Janet Hyde, verweist auf ihre schädlichen Folgen in der Kindererziehung, für die Rechte der Frauen in Beschäftigungsverhältnissen und für die emotionalen Beziehungen aller Erwachsenen (Hyde 589f.)

In ihrem Buch Das Unbehagen der Geschlechter befasst sich Judith Butler mit der Analyse der Geschlechternormen und Geschlechterkategorien, um den Spielraum für Geschlechterkonfigurationen auszuweiten und damit undenkbaren Wesen die Möglichkeit zu eröffnen, aus der Ausgeschlossenheit auszutreten und in das Feld des mit dem Verstand wahrnehmbaren einzutreten, indem sie die Konstruktion der Geschlechterkategorien aufzeigt und diese zu verschieben versucht. »[Es] geht [ihr] um den Versuch, zur Geschlechter-Verwirrung anzustiften« durch die Vervielfältigung jener konstitutiven Kategorien. Sie sagt:

»One might wonder what use ›opening up possibilities‹ finally is, but no one who has understood what it is to live in the social world as what is ›impossible‹ illegible, unrealizable, unreal, and illegitimate is likely to pose that question (Butler 1999, viii).

Im Folgenden soll gezeigt werden, inwiefern ihr Ansatz die Möglichkeit bietet zur Veränderung der Geschlechterkategorien beizutragen.

Das Buch Das Unbehagen der Geschlechter dient der folgenden Analyse zur Grundlage. Zum Verständnis ihrer Arbeitsweise soll einführend Butlers Analyserahmen beschrieben werden. Der erste Teil der Arbeit befasst sich mit Butlers kritischer Auseinandersetzung mit den Begriffen Geschlecht (sex) und Geschlechtsidentität (gender). Daran anschließend richtet sich die Untersuchung auf die kulturelle Konstruktion der beiden Kategorien. Im Fokus steht dabei der Einfluss verschiedener Konzepte wie die Heterosexuellen Matrix und die Zwangsheterosexualität. Gefolgt von einem Einblick in Butlers Ansatz zur Performativität der Geschlechter, welcher in ihre politische Strategie der parodischen Wiederholung führt. Am Ende dieser Arbeit wird auf die kritische Rezeption Butlers Theorie eingegangen, um einige Schwierigkeiten ihrer Theorie darzulegen, die für die Beantwortung der einleitenden Frage von Bedeutung sind. Abschließend wird sich jedoch zeigen, dass trotz der Einwände, die aber größtenteils durch die verschiedenen Standpunkte der Kritiker ergeben, Butlers Theorie einen geeigneten Ansatz bietet, die Geschlechterkategorien aufzubrechen.

1.1. Butlers kritische Methode

Um die Geschlechterkategorien als Effekt einer spezifischen Machtformation zu enthüllen, greift Butler in ihrer Untersuchung auf das Mittel der Genealogie zurück. Das Ziel einer Genealogie ist es, die Kontingenz eines Phänomens durch die Analyse der für ihre Entstehung verantwortlichen Machtmechanismen, nachzuweisen (vgl. Redecker 44). Sie weicht in ihrer Analyse jedoch von einer klassischen Genealogie ab, welche eine geschichtliche diskontinuierliche Entwicklung nachzuweisen versucht, da sie nicht historisch arbeitet. Ein weiteres Instrument ihrer Arbeit ist die Lektürenpraxis der Dekonstruktion. Butlers Ziel der Dekonstruktion richtet sich darauf in vermeintlich geschlossenen Systemen Widersprüche zu lokalisieren. Dies gelingt ihr durch das Zusammenführen verschiedener Texte, so »dass sie sich sozusagen gegenseitig die Finger auf den blinden Flecken legen.« (Ebd. 46)

In Das Unbehagen der Geschlechter umfasst Butlers kritische Genealogie ganz unterschiedliche Diskursgebiete und Autor_innen. Unter anderem analysiert sie hierfür Vertreter aus der Psychoanalyse, wie Jacques Lacan und Sigmund Freud, die Autorinnen Luce Irigaray, Monique Witting der feministischen und lesbischen Theorie der Differenz, Michel Foucault mit seiner Diskurs und Machttheorie sowie Claude L’evi-Strauss und Mary Douglas aus der strukturalistischen Anthropologie.

In der folgenden Arbeit wird sich die Analyse aber auf die Schlüsse Butlers beziehen, welche sich aus dieser Praktik ergeben und nur im Einzelfall wird ein Rückbezug auf die verwendeten Theorien genommen, wenn dies für die Erklärung notwendig erscheint.

2. Diskurs als Rahmen der Kritik

Für Butler gibt es keine Kritik, die sich außerhalb der Macht des Diskurses befindet, daher ist der Ausgangspunkt ihrer Kritik immer die geschichtliche Gegenwart (vgl. Butler 1991, 20). Butler Diskursbegriff bezieht sich auf Focaults, der den Diskurs nicht als Zeichen oder Repräsentation von Gegenständen betrachtet, sondern als Praktik. In Diskursen wird Wissen nicht nur übermittelt, sondern auch reproduziert und durch wiederholte Sprechakte Materie diskursiv erzeugt. Sprache hat hier wirklichkeitserzeugenden Charakter. Das Denken und Handeln vollzieht sich nach Butler immer in einem vom Diskurs geprägten Rahmen und kann deshalb nur innerhalb dieses Diskurses verändert werden. Die Rückbeziehung auf etwas Vordiskurtives kann immer nur aus einem nachträglichen Standpunkt heraus geschehen und ist daher von diesem geprägt. Wie kann der Diskurs mit seinen eingeschränkten Mittel etwas beschreiben, was vor ihm existierte? Nach Butler kann die Natur nur durch kulturelle Mittel beschrieben werden und ist daher selbst kulturell interpretiert und somit keine Faktizität. Ein vorkultureller Grund zur Kritik an den bestehenden Strukturen tauscht nur die Ursachen aus und schränkt die Realität nach den gleichen Prinzipien ein, nur mit einem anderen politischen Ziel. Dies birgt die Gefahr, dass die vielschichtigen Möglichkeiten kultureller Konstruktionen ausgeschlossen sind. Das Resultat könnte ein neues Unterdrückungsverhältnis sein, in welchem z.B. die Frauen die Position der Unterdrücker und die Männer die der Unterdrückten annehmen. Alle anderen Geschlechtsidentitäten wären weiterhin ausgeschlossen und träten als Störungen des Systems auf. Mit dem Rückbezug auf eine vordiskursive Ursache findet daher nur ein Tausch zwischen Ursache und Effekt statt. Im Diskurs wird eine vordiskursive Ursprünglichkeit postuliert um Macht zu rechtfertigen und zu stabilisieren. Durch das Postulat einer vordiskursiven Wahrheit oder Faktizität, gibt es demnach keinen Raum für dessen Veränderbarkeit und daher wird die Möglichkeit der Analyse stark eingeschränkt. Butlers Interesse besteht darin den Diskurs über die Geschlechtsidentität in das Feld der kulturellen Konstruktion zu führen, welches offen ist für Veränderung, denn »Eine Analyse, die nur eine einzige vor-diskursive Natur voraussetzt, kann nicht mehr die Frage stellen, was in einem gegebenen kulturellen Kontext als ›Natur‹ bestimmt wird und zu welchen Zwecken.« (Ebd. 66) Aus dieser Sichtweise ergeben sich entscheidende Folgen für das Geschecht, welches diesen Status der vorkulturellen Ursache bzw. Rechfertigung beansprucht, und muss daher neu überdacht werden. Das nächste Kapitel erörtert diese Folgen und auch die dadurch entstehenden Möglichkeiten, nicht nur für das Geschlecht, sondern auch für die Geschlechtsidentität, welche sich auf dieses bezieht.

2.1. Geschlecht gleich Geschlechtsidentität?

Die oben beschrieben Problematik sieht Butler auch in der feministischen Theorie und stellt sich daher, der Trennung zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex) und der Geschlechtsidentität (gender) klar entgegen. Die Unterscheidung führt ihrer Auffassung nach zu einer Festigung des binären Systems der Zweigeschlechtlichkeit, da es den biologischen Determinismus des Körpers nicht auflöst, sondern verstärkt und somit keinen Raum für Differenz lässt (ebd, 22f.). In der feministischen Theorie hat die Unterscheidung von Geschlecht und Geschlechtsidentität die Funktion die kulturelle Konstruktion der Geschlechtsidentität aufzuzeigen und gegen eine zwingende Inkohärenz mit dem anatomischen Geschlecht zu argumentieren, wodurch dieses seine Rolle als unumgängliches Schicksal verliert. Jedoch bleibt das anatomische Geschlecht hierbei immer die unveränderliche Grundlage der Geschlechtsidentität und festigt dadurch das biologische Geschlecht als Grund einer natürlichen Geschlechterordnung, in der die Frau dem Mann untergeordnet ist. Butler treibt den Gedanken der Trennung zwischen dem Geschlecht und der Geschlechtsidentität bis an seine logische Grenze. Wenn die Geschlechtsidentität nicht aus dem anatomischen Geschlecht folgt, dann kann die Geschlechtsidentität als vielfältige Interpretation des Geschlechts verstanden werden, selbst wenn dem anatomischen Geschlecht weiterhin ein binärer Status zugeschrieben wird (vgl. 22f.). Wenn die Geschlechtsidentität nicht mehr als Konsequenz aus dem Geschlecht hervorgeht, sieht sich diese auch keineswegs mehr an dessen unterstellte Binarität gebunden. Folglich muss die die Kategorie Frau oder Mann nicht unbedingt die kulturelle Konstruktion des weiblichen oder männlichen Körpers repräsentieren. Ein kulturell weiblich bestimmter Körper kann infolgedessen eine unendliche Anzahl an Geschlechtsidentitäten hervorbringen und wird dieser keine Schranken mehr setzen (vgl. ebd. 166). Dies bedeutet eine radikale Loslösung der beiden Begriffe und öffnet den Diskurs für unbegrenzte Möglichkeiten.

Eine der bekanntesten Vertreter_innen der Unterscheidung zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität ist Simone de Beauvoir, die mit ihrer Aussage »Man wird nicht als Frau geboren, man wird es« (de Beauvoir 265) die kulturelle Konstruktion der Geschlechtsidentität unterstreicht. Diese Sichtweise impliziert, dass man nicht von seinem anatomischen Geschlecht abhängig ist. In Butlers Leseart von Beauvoir vollzieht sich dieses Frau Werden, aber immer unter einem bestimmten gesellschaftlichen Druck. Dadurch fällt die Rolle des Schicksals unter Beauvoirs Theorie nicht mehr der Biologie zu, sondern der Kultur. Laut Butler gibt es bei Beauvoir keinen Rückgriff auf den Körper, der nicht bereits durch kulturelle Bedeutungen interpretiert ist. Diesen Gedanken greift sie auf und führt ihn weiter indem sie unterstellt, dass »das Geschlecht [daher] keine vordiskursive, anatomische Gegebenheit sein [kann]. Tatsächlich wird sich zeigen, daß das Geschlecht (sex) definitionsgemäß immer schon Geschlechtsidentität (gender) gewesen ist.« (Butler 1991, 26). Butler sieht den Körper nicht als einfaches neutrales Medium dass vor einer kulturellen Bedeutung existiert, sondern wird erst durch die Zuschreibung einer sexuellen Bedeutung mit der Markierung als Mann oder Frau » ins Leben gerufen « (ebd. 26). Butler geht mit dieser Überlegung einen neuen Weg, da sie die Unterscheidung zwischen dem Geschlecht und der Geschlechtsidentität auflöst. Denn wenn das Geschlecht selbst kulturell hervorgebracht wird, kann die Geschlechtsidentität nicht als ihre Interpretation gesehen werden, sondern umfasst die Mechanismen, welche das Geschlecht als natürliche, vordiskursive Substanz in Szene setzt. Das folgende Kapitel befasst sich mit diesen Mechanismen und Regulierungsverfahren, welche sich hinter dem Prozess verbergen und hinterfragt ihre Funktion und Intension.

3. Geschlecht als Effekt des hegemonialen Diskurses

Durch die Trennung von Natur und Kultur, wird dem Körper ein vorkultureller Status zu gewiesen, der den binären Rahmen der Geschlechtsidentität sichert. Laut Butler fördert,

»Die binäre Beziehung zwischen Kultur und Natur [...] ein hierarchisches Verhältnis, in dem die Kultur der Natur frei eine Bedeutung ›auferlegt‹ und sie damit zum ›anderen‹ macht, das sich für die eigenen, schrankenlosen Zwecke aneignen läßt«. (Ebd. 66).

Wenn das Geschlecht nicht mehr zur Bedingung der Geschlechtsidentität gemacht wird, sondern als Effekt eines Systems der kulturellen Konstruktion der Geschlechtsidentität, in welcher das Geschlecht als binäres System einer vordiskursiven Wahrheit verstanden werden muss, um seine Legitimität zu sichern (ebd. 24), dann verschiebt sich die Vorstellung des Geschlechts als Ursache der sexuellen Erfahrung hin, zu einem Effekt eines hegemonialen Diskurses, welcher versucht diese Erfahrung zu regulieren. Die Schranken des Diskurses regulieren dabei, welche Konfigurationen des Geschlechts und der Geschlechtsidentität als möglich erscheinen. Dies bedeutet, dass das anatomische Geschlecht keine vordiskursive biologische Gegebenheit darstellt, sondern durch die gegenwärtigen Machtverhältnisse konstituiert ist. Die Verschiebung in ein vorkulturelles Feld dient dabei zur Naturalisierung und verschleiert dadurch den Prozess, der den Effekt als eine natürliche Ursache erscheinen lässt. Für die Entnaturalisierung des Geschlechts ist eine Analyse des gegenwärtigen hegemonialen Diskurses notwendig, welcher dafür verantwortlich ist.

[...]

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Judith Butler und die Veränderbarkeit der Geschlechterkategorien
Hochschule
Universität Hamburg  (Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Soziale Strukturen im internationalen Vergleich
Note
1,3
Jahr
2015
Seiten
23
Katalognummer
V346903
ISBN (eBook)
9783668361539
ISBN (Buch)
9783668361546
Dateigröße
542 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Judith Butler, Geschlechter, Gender, Sex
Arbeit zitieren
Anonym, 2015, Judith Butler und die Veränderbarkeit der Geschlechterkategorien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/346903

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