Lesemotivation - Funktionen des Lesens und Einflussfaktoren auf das Lese- und Lektüreverhalten im Lebenslauf


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

27 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Lesemotivation
2.1 Motivationsbeschreibung und Motivationserklärung in der Leserpsychologie
2.2 Motivationen zum Lesen und Funktionen des Lesens
2.2.1 Lesen zur Unterhaltung
2.2.2 Lesen zur Information
2.2.3 Lesen zur Weiterbildung
2.2.4 Lesen zur Sprachbildung

3. Einflussfaktoren auf das Leseverhalten und Gründe für das „Nicht-Lesen“
3.1 Lesephasen im Lebenslauf

4. Schlussbemerkung

5. Literatur

1. Einleitung

Angeregt durch die technische Entwicklung der Neuen Medien, ihren sukzessiven Einzug in unseren Alltag und der damit verbundenen Annahme, dass das Lesen beziehungsweise allgemein die Bücher in unserer heutigen Welt eine immer geringere Rolle spielen und einnehmen, möchte ich mich in der vorliegenden Arbeit mit den Funktionen des Lesens und den Einflussfaktoren auf das Leseverhalten im Lebenslauf beschäftigen.

Entgegen langläufigen Meinungen wurde das Lesen nämlich keineswegs durch die sogenannten neuen Medien verdrängt, sondern konnte seinen Stellenwert im Vergleich zu ihnen in etwa halten. Die Nutzung anderer Medien und das Lesen von Büchern schließen sich nämlich nicht gegenseitig aus, vielmehr wird die Nutzung des jeweiligen Mediums funktionalisiert[1], was bedeutet, dass das jeweilige Medium nach dem Prinzip der funktionalen Überlegenheit in Anspruch genommen wird.

In unserer heutigen Gesellschaft gilt Lesen eher als Schlüsselkompetenz, die überhaupt erst die aktive Teilnahme an der Mediengesellschaft ermöglicht. Ohne das Beherrschen der Kulturpraktik Lesen wäre die oben genannte Teilnahme am gesellschaftlichen Kommunikationsprozess und die Verwirklichung persönlicher Chancen und Möglichkeiten, sei es auf privater oder beruflicher Ebene, nicht gegeben. Die Schlüsselkompetenz des Lesens ist zentral für die Orientierung in der Medienwelt und den kompetenten Umgang mit den einzelnen Medien.

Der Annahme nachgehend, dass jeder Handlung und somit auch der sozialen Handlung Lesen und ihrer Anwendung im praktischen Leben eine Motivation zugrunde liegt, möchte ich in dieser Arbeit die allgemeinen und auch die individuellen Funktionen der Lektüre herausarbeiten. Darüber hinaus möchte ich aufzeigen, welche äußeren und inneren Faktoren das Leseverhalten, die Lektürewahl, die Lesedauer und so weiter beeinflussen und bedingen.

Im ersten Schritt wende ich mich der Motivationsbeschreibung und der Motivationserklärung in der Leserpsychologie zu, um darauf aufbauend die Ergebnisse zum Leseverhalten in Deutschland im neuen Jahrtausend durch die Stiftung Lesen darzustellen und zu bewerten. Hierbei habe ich die Lesemotivation in vier Kategorien eingeteilt: Das Unterhaltungslesen, das Informationslesen, das Lesen zur Weiterbildung und das Lesen zur Sprachbildung. Meine Ausarbeitungen zu diesen Punkten stützen sich in erster Linie auf die Interviewaussagen von 2530 Befragten, die sich in einer quantitativen Studie zu ihrem Leseverhalten äußerten, auf die Aussagen von 120 Befragten anhand eines Leitfadeninterviews und die Ergebnisse und Erkenntnisse, die wir im Seminar „Repräsentative Lese- und Mediennutzungsforschung“ erarbeitet und zusammengetragen haben. Außerdem soll versucht werden, die Gründe für das Nicht-Lesen nachzuzeichnen und die Einflussfaktoren auf das Leseverhalten herauszuarbeiten. Im letzten Schritt meiner Ausarbeitung widme ich mich den Lesephasen im Lebenslauf, die häufig an einschneidende Ereignisse oder Veränderungen gebunden sind.

Ziel meiner Untersuchung ist es, wie oben dargelegt, die Funktionen des Lesens in der heutigen medialen Welt zu ergründen und darzustellen und herauszufinden, welchen „Wert“ die Lektüre für die einzelnen Probanden hat und damit im Lebenslauf zugewiesen bekommt.

2. Lesemotivation

2.1 Motivationsbeschreibung und Motivationserklärung in der Leserpsychologie

Nicht nur die Literaturwissenschaft, die Sozialwissenschaft und die Erziehungswissenschaft, um nur einige der in diesem Zusammenhang bedeutenden Forschungsgebiete zu nennen, befassen sich mit der Lesemotivation; eine wichtige Rolle bei der Untersuchung derselbigen kommt auch der Leserpsychologie zu[2].

Die Leserpsychologie geht zunächst vom bereits kompetenten Leser aus, das heißt, die Entwicklung vom hörenden und sprechenden zu einem lesenden und schreibenden Sprachbenutzer spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Als ein Theorierahmen von vielen gilt die kognitive Konstruktivität der Textverarbeitung. Hiermit meinen Groeben und Vorderer, dass die Textrezeption nicht ausschließlich passiv, im Sinne eines Decodierens, sondern vor allem aktiv erfolgt[3]. So zieht der Leser über das im Text Gesagte hinaus Schlussfolgerungen, zieht sein eigenes Wissen heran und integriert dieses in den im Text geschilderten Zusammenhang.

Groeben und Vorderer verweisen auch auf die Bedeutung von Hörspielen, Spielfilmen und Fernsehfilmen, die bei der Untersuchung von Leseinteressen eine sehr große Rolle spielen. Denn das Problem der Leseinteressen kann nur durch die Einbeziehung von konkurrierenden Objekten und Medien beschrieben werden.

Herausstellen möchte ich außerdem, dass sich die empirische Leserpsychologie nicht nur auf die Kanonliteratur respektive klassische und ästhetische Literatur beschränkt, sondern auch die sogenannte Trivialliteratur bis hin zur Sach- und Zweckliteratur (Kochbücher und Gebrauchstexte) beziehungsweise alle vorhandenen Lektürekategorien mit einbezieht, was vor allem für die Einteilung meiner Ergebnisse in die Kategorie „Unterhaltungslesen“ von Bedeutung ist, da diesem Aspekt die Hauptfunktion des Lesens beikommt[4].

Die beiden Autoren unterscheiden zwischen Leseinteresse und Lesemotivation, was im Alltag häufig synonym verwandt wird; hier jedoch eindeutig voneinander abgegrenzt wird.

Unter dem Begriff Motivation fasst man nach Groeben und Vorderer Aspekte der Intensität, Richtung und Form menschlichen Verhaltens, Tuns oder Handelns zusammen. Ebenso fallen hierunter Konzepte wie Trieb, Drang, Bedürfnisse, Strebungen und eben Interessen[5]. Hier untersucht die Leserpsychologie sowohl die quantitativen (Intensität, zeitliche Erstreckung und so weiter) als auch die qualitativen Aspekte (unter anderem betrachtet man hier, warum ein Individuum in einer vorliegenden Situation bestimmte Verhaltens- und Handlungsalternativen bevorzugt und andere nicht; soll meinen, dass die inhaltliche Richtung der gewählten Lektüre untersucht wird). Darüber hinaus unterscheidet die Leserpsychologie im Bereich der Lesemotivation zwischen zwei Erklärungsansätzen, nämlich dem Dispositions- und dem Situationsansatz. Der Dispositionsansatz bezeichnet ein immer wieder auftretendes Persönlichkeitsmerkmal. Als Beispiel gelte hier der Literat, der in keiner Lebenslage ohne Buch auskommt. Davon abzugrenzen ist der Situationsansatz, der die Notwendigkeit einer bestimmten Situation in den Vordergrund stellt. Beschreiben kann man mit diesem Erklärungsansatz den Schüler, der zur Bewältigung seiner Hausaufgaben ein Buch in die Hand nimmt. In der Praxis kann man die beiden Ansätze natürlich nicht so strikt und eindeutig voneinander trennen, und es kommt zu Wechselwirkungen zwischen den beiden Polen.

Ebenso, wie man nicht immer eindeutig zwischen den oben genannten und beschriebenen Erklärungsansätzen differenzieren kann, fällt auch die begriffliche und inhaltliche Abgrenzung zwischen Lesemotivation und Leseinteresse mitunter schwer. Interesse, so Groeben und Vorderer, impliziert immer gewisse Werte beziehungsweise Werthaftigkeiten, die den Objekten, in meinem Fall also den Büchern, durch ein Subjekt, also dem Leser, zugeschrieben werden. Diese Interessen reichen nicht, so wie die Motivation, über eine bestimmte, zeitlich andauernde Phase hinaus, sondern sind eher punktuell gerichtet und beschränken sich auf den momentanen, nach Groeben / Vorderer den „Ist-Zustand“[6].

Um allgemeine Aussagen über das Leseverhalten in der Bevölkerung, Änderungen in diesem Verhalten respektive die Lektürewahl und natürlich die Lesemotivation treffen zu können, bedient sich die Wissenschaft verschiedener Erhebungsmethoden. Zu unterscheiden sind hier indirekte und direkte Verfahren.

Indirekte Verfahren beruhen auf Fremdbeobachtung und objektiven Daten, die durch Bibliotheksumfragen, Büchereistatistiken und dem Auswerten von Biographien gewonnen werden. Durch diese Verfahrensweise erhält man zwar objektiv viele Daten, inhaltlich sind diese jedoch eher karg und wenig aussagefähig hinsichtlich der Verallgemeinerung. Als Beispiel gelte hier folgende Situation: Ein Büchereikunde gibt innerhalb seiner Leihfrist die Lektüre an einen Zweiten weiter; diese Daten können empirisch nicht erfasst und bei der Auswertung dementsprechend nicht berücksichtigt werden.

Inhaltlich aufschlussreicher und wissenschaftlich fundierter sind demgegenüber die direkten Verfahren, welche auf Selbstauskünften der Untersuchungsteilnehmer beruhen. Zur Erhebung bedient man sich hier Lesetagebüchern, Fragebögen[7] und Interviews[8]. Im Gegensatz zu den indirekten Verfahren ist die Datenmenge zwar eher gering und der Aufwand erheblich höher; durch sehr konkrete Fragen und das persönliche Gespräch zwischen Interviewer und Interviewtem lassen sich Verzerrungen aber weitestgehend vermeiden. Bei den direkten Verfahren herrscht heute eine Kombination aus Fragen die primär aufs Leseinteresse ausgerichtet sind und Fragen nach dem realen, bisherigen Leseverhalten und der Lesesozialisation vor[9].

Eine große Rolle bei der Motivationsbeschreibung spielen die sozialen Einflussvariablen. Die erste und einflussreichste Größe in der Sozialisation und damit auch in der Hinführung zur Lektüre beziehungsweise zum Buch ist die Familie. Hier macht die Leserpsychologie einen positiven Zusammenhang zwischen Buchbesitz der Eltern und dem Ausmaß der Leseinteressen der Kinder aus[10]. Ebenso fand die Leseinteressen-Forschung heraus, dass Leser höherer sozialer Schichten vom Interesse und der Rezeption her nicht nur auf Unterhaltung und Entspannung ausgerichtete Buchlektüre bevorzugen, sondern auch schwieriger zu rezipierende Belletristik. Für sogenannte Trivialliteratur-Stoffe wie Comics und Romanhefte zeigen sie dementsprechend unterdurchschnittliche Werte. Kontrovers dazu ist das Ergebnis für Unterschichtangehörige: Sie bevorzugen vom Interesse und vom Konsum her primär auf Unterhaltung und Entspannung angelegte Lektüre einschließlich der Massenproduktionen wie Comics und Romanhefte und weisen nur unterdurchschnittliche Werte in bezug auf die Sachliteratur sowie schwieriger zu rezipierende Belletristik auf[11].

[...]


[1] Vgl. Christmann, Ursula / Groeben, Norbert: Ausblick: Lesen im Medienzeitalter. In: Handbuch Lesen. Hg. v. Bodo Franzmann. München 1999. S. 205.

[2] Vgl. Groeben, Norbert / Vorderer, Peter: Leserpsychologie: Lesemotivation – Lektürewirkung. Münster: Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung GmbH & Co 1988. Im folgenden: Groeben / Vorderer.

[3] Vgl. Groeben / Vorderer S. 3.

[4] Siehe hierzu die Ausarbeitungen unter 2.2.1.

[5] Vgl. Groeben / Vorderer S. 12.

[6] Siehe hierzu Groeben / Vorderer S. 14f.

[7] Siehe hierzu zum Beispiel den Fragebogen des IFAK-Institutes. Zwischen dem 03. März und dem 14. April 2000 wurden 2530 Personen der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren zu ihrem Leseverhalten und ihrer Lesemotivation befragt (quantitative Studie).

[8] Der oben genannten quantitativen Studie des IFAK-Institutes schloss sich bei 120 Befragten ein Leitfadeninterview zwischen Juni und August 2000 an (qualitative Studie). Hier hatten die Interviewten die Möglichkeit, ausführlich auf ihre Lesebiographie, ihre Lesesozialisation und ihr Medienverhalten insgesamt einzugehen. Darüber hinaus wurden in der Auswertung zentrale Unterschiede respektive Veränderungen im Vergleich zu 1992 festgehalten.

[9] Vgl. Groeben / Vorderer S. 33.

[10] Vgl. hierzu auch die Ergebnisse der Lesestudie 2000: Je höher die Anzahl der Bücher im Haushalt, desto höher der Familieneinfluss auf die Lesesozialisation (S. 42).

[11] Vgl. Groeben / Vorderer S. 78f.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Lesemotivation - Funktionen des Lesens und Einflussfaktoren auf das Lese- und Lektüreverhalten im Lebenslauf
Hochschule
Universität Paderborn  (FB Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar: Repräsentative Lese- und Mediennutzungsforschung
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
27
Katalognummer
V3463
ISBN (eBook)
9783638121309
Dateigröße
626 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Arbeit wurde nicht nur die Sekundärliteratur zu diesem Thema berücksichtigt, im Vordergrund standen vor allem ein Fragebogen des IFAK-Institutes, wobei im Frühjahr 2000 über 2500 Personen der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren zu ihrem Leseverhalten befragt wurden. Diesem Fragebogen schloss sich bei 120 Befragten ein sogenanntes Leitfaden-Interview an (qualitative Studie). In Auftrag gegeben wurde diese Befragung, die also meiner Arbeit zugrunde liegt, von der Stiftung Lesen.
Schlagworte
Lesemotivation, Funktionen, Lesens, Einflussfaktoren, Lese-, Lektüreverhalten, Lebenslauf, Hauptseminar, Repräsentative, Lese-, Mediennutzungsforschung
Arbeit zitieren
Julia Wild (Autor:in), 2001, Lesemotivation - Funktionen des Lesens und Einflussfaktoren auf das Lese- und Lektüreverhalten im Lebenslauf, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3463

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