Transitmigration in Mexiko

Eine ethnographische Fallstudie zu Strategien der Risikobewältigung nicht dokumentierter zentralamerikanischer Migrant_innen


Thesis (M.A.), 2010

106 Pages, Grade: 1,7


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Excerpt


Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Glossar

Vorwort

1. Einleitung
1.1 Hintergrund und Problemstellung
1.2 Aufbau der Arbeit
1.3 Stand der Literatur

2. Hintergrund der Forschung
2.1. Verwendete Methoden und Auswahl der Informanten_innen
2.2. Orte der Forschung
2.3. Datenmaterial und Auswertung

3. Theoretischer Rahmen
3.1. (Transit-)Migration
3.2. Risiko
3.2.1. Technisch-wissenschaftliche Perspektive
3.2.2. Soziokulturell-konstruktionistische Perspektive
3.2.3. Die Weltrisikogesellschaft
3.2.4. Strategien zur Risikobewältigung
3.2.4.1.Verhaltensökologische und mikroökonomische Erklärungsansätze
3.3. Migration
3.3.1. Neoklassische Ökonomie
3.3.2. Theorie des dualen Arbeitsmarktes
3.3.3. Weltsystemtheorie und neomarxistische Ansätze
3.3.4. Neue Ökonomie der Migration
3.3.5. Theorie der sozialen Netzwerke
3.3.6. Autonomie der Migration
3.3.7. Migration als Strategie
3.4. Grenzen
3.5. Das Zusammenspiel von Risiko, Migration und Grenze
3.5.1. Migration als Bedrohung
3.5.2. Migration als Risiko
3.5.3. Ausbeutung
3.6. Zwischenfazit

4. Migration aus Mexiko und Zentralamerika in die USA
4.1. Umfang und historische Kontextualisierung
4.1.1. Legale und nicht dokumentierte Migration aus Zentralamerika in die USA
4.2. Ursachen und Ziele
4.2.1. Negative Auswirkungen wirtschaftlicher Globalisierung
4.2.2. Armut
4.2.3. Remesas
4.2.4. Außergewöhnliche Naturereignisse
4.2.5. Kriminalität
4.2.6. Legitimation der Migrationsentscheidung
4.3. Zusammenfassung der Gründe und Ziele

5. Transit durch Mexiko
5.1. Migrationspolitik in Nordamerika
5.2. Grenzüberschreitungen
5.3. Rechte der Migranten_innen in Mexiko
5.3.1. Subjektives Rechtsempfinden zentralamerikanischer Migranten_innen in Mexiko
5.4. Wahrnehmung zentralamerikanischer Migranten_innen in Mexiko
5.5. Migrationsrouten
5.6. Risiken für Transitmigranten_innen in Mexiko
5.6.1. Überfälle
5.6.1.1. Entführungen
5.6.1.2. Abschiebepraxis und ihre Folgen
5.6.1.3. Sexueller Missbrauch
5.6.2. Der Zug
5.6.2.1. Unfälle
5.6.2.2. Migrationskontrollen auf dem Zug
5.6.3. Natürliche Gefahren
5.6.3.1. Krankheiten
5.6.3.2. Ertrinken
5.6.3.3. Hunger und Durst leiden
5.6.4. Einordnung der wahrgenommenen Risiken in einen menschenrechtspolitischen Kontext 5.6.4.1. Menschenhandel oder Transport von Nichtdokumentierten?
5.6.4.2. Unsichtbarkeit
5.6.4.3. Konsequenzen
5.7. Strategien
5.7.1. Coyotes
5.7.2. Glaube
5.7.3. Geld
5.7.4. Netzwerke
5.7.5. Die Reise abbrechen
5.7.6. Helfer_innen
5.7.6.1. Hilfsbereitschaft
5.7.6.2. Nichtregierungsorganisationen
5.7.6.3. Casa del Migrante
5.7.6.4. Albergue Jesús el buen Pastor
5.7.6.5. Grupo Beta
5.7.6.6. Comisión Nacional de Derechos Humanos (CNDH)
5.7.6.7. Konsulate
5.7.7. Zusammenfassung der Strategien
5.8. Die Ankunft an der Grenze

6. Schlussbemerkungen
6.1. Fazit
6.2. Aktuelle Entwicklungen
6.3. Ausblick

Verwendete Software

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Glossar

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorwort

Die Ergebnisse dieser Arbeit beruhen auf einem Feldforschungspraktikum, das jeweils im Herbst 2006 und 2007 über insgesamt acht Wochen im Süden Mexikos durchgeführt wurde. Die Forschungsaufenthalte wurden im Sommersemester 2005 im Rahmen eines Seminars Taller de Investigaci ó n an der Facultad de Antropolog í a der Universidad Aut ó noma del Estado de M é xico in Toluca vorbereitet und sowohl von Lehrkräften der mexikanischen Gastuniversität als auch der Universität Hamburg betreut.

Das Interesse am Thema entstand vor Ort im Rahmen eines Seminars über Menschenrechte. Bei der Recherche für eine wissenschaftliche Hausarbeit zum Thema Migration aus Mexiko in die USA stieß ich auf einen einzigen Artikel, der Risiken für Migranten_innen beim Durchqueren von Mexiko behandelte (Ruiz 2001). Zu dem Zeitpunkt bestand zwar eine Fülle von Arbeiten zu Migration von Mexiko in die USA, aber kaum Literatur über die Transitphase, in der Migranten_innen 1 aus Zentralund Südamerika Mexiko durchqueren.

Im Sinne einer ö ffentlich engagierten Ethnologie 2 (Schönhuth 2002:23) begann ich mich nach dem Feldforschungsaufenthalt bei Amnesty International (AI) und in der Open School 21, einem Hamburger Projekt für globales Lernen, zu engagieren, um für eine kritische Öffentlichkeit bezüglich des in dieser Arbeit dargestellten Themas zu werben. Aus diesem Engagement resultierten zahlreiche Workshops, die vorwiegend mit Spanischkursen Hamburger Schulen durchgeführt wurden (Open School 21 2010), eine Fotoausstellung (Lorenz/ Grenz 2010d), Vorträge und Veranstaltungen sowie eine Reportage im Amnesty-Journal (Lorenz 2010e). Ich versuche damit der Forderung einiger meiner Informanten_innen Rechnung zu tragen, mich für eine Verbesserung ihrer Situation einzusetzen. Diese Magisterarbeit stellt einen Teil dieses Engagements dar und soll eine wissenschaftliche Öffentlichkeit zu dieser Thematik herstellen.

Ich danke hiermit meinen Informanten_innen für ihre Zeit und Offenheit. Sie werden zu ihrem Schutz an dieser Stelle nicht namentlich und im Verlauf der Arbeit nur anonymisiert genannt.

Außerdem danke ich José Luis Arriaga Ornelas, María Madrazo Miranda und Ignacio Medina Alegría (alle drei von der Universidad Autónoma del Estado de México), die die Vorbereitung meiner Forschung unterstützt haben.

Vor Ort wurde ich vor allem von Cristina Robledo Cossío, Hugo Ángeles Cruz und Jhibran Feral (Colegio de la Frontera Sur), Pater Flor María Rigoni (Casa del Migrante Tapachula), Pater Alejandro Solalinde (Casa del Migrante Ixtepec) und Kathrin Zeiske (Albergué Jesús el buen Pastor) unterstützt.

Mein mit der Thematik zusammenhängendes Engagement unterstützten Wolfgang Grenz und die CASA- und Guatemala Koordinationsgruppe von AI, Sabrina, Flo und das Hamburger Gängeviertel, sowie Cristian Alvarado Leyton und das Team der Open School 21.

Im Prozess des Schreibens unterstützten mich Andreas Seipelt, Hana Scheltad, Helge Köllner, Kathrin Petz, Michael Klatz, Cristina Franchi, Sönke Lorenz, Wolfgang Grenz, und meine Eltern.

Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank

1. Einleitung

1.1 Hintergrund und Problemstellung

“Para aquellos que tenemos una preocupación por el bienestar de los migrantes, que es [...] una preocupación por el bienestar de la especie humana, nos apremia esclarecer los términos en que se establece la conexión migración y riesgo. Propongo que tenemos mucho que ganar al hacer una reflexión sobre ella, sobre sus raíces y contradicciones inherentes, y al actuar sobre esa reflexión. Esto se debe, sugiero, por ser personas y grupos dedicados a entender la movilidad humana en el mundo actual, por un lado, y porque al desentrañar la relación entre la migración y el riesgo nos acercamos, por otro lado, a uno de los entrecruces ontológicos profundos de nuestra condición humana contemporánea.” (Ruiz 2002).

Nie war die Zahl der Migranten_innen auf der Welt größer als heutzutage. Die Zahlen von so genannten nicht dokumentierten 3 Migranten_innen und jenen Dokumentierten, die mit Visum Grenzen übertreten, sowie die von Flüchtlingen nehmen zu (IOM/ UN 2000; CEPAL 2006b). Die USA und die EU sind dabei weltweit die wichtigsten Zielregionen von Migration (s. Abb. 1). Auf beiden Kontinenten bemühen sich die Regierungen, Migrationsmanagement zu betreiben, wobei in politischen Debatten die der Migration zugrunde liegenden Dynamiken weitgehend verschwiegen werden. In beiden Regionen sorgen stark limitierte Einwanderungsmöglichkeiten dafür, dass jedes Jahr Tausende von Menschen ihr Leben riskieren, wenn sie nicht dokumentiert Grenzen überschreiten, bzw. Wüsten, Flüsse und Meere durchqueren (Kearney 2000:356f).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Auf der Suche nach Arbeit (Rekacewicz 2009:17)

Die Phase zwischen Verlassen des Herkunftslandes bis zur Ansiedlung im Zielland, die nicht unbedingt stattfinden muss, sondern auch im Transitland erfolgen kann, ohne dass sie geplant war, oder dauerhaft sein muss, wird Transitmigration genannt. Zu dessen Untersuchung betont Papadopoulou-Kourkoula die Notwendigkeit eines integrierten Ansatzes, der die Transitphase mit dem gesamten Migrationsprozess in Verbindung bringt (2008:4). Sie und andere Wissenschaftler_ innen der Transitmigration Forschungsgruppe streben an, möglichst alle Einflüsse durch verschiedene Akteure und politische Faktoren, durch ethnographische Forschung und wissenschaftstheoretische Ansätze zu ergänzen. Ihren Ansatz nennen sie „ethnographische Regimeanalyse“ (PapadopoulouKoukoula 2008:7; Transitmigration Forschungsgruppe 2007:15f).

In diesem umfassenden Kontext, handelt diese Arbeit von Menschen, die aus verschiedenen Gründen von Zentralamerika4 in die USA emigrieren und Mexiko dabei ohne das Zurückgreifen auf Schleusernetzwerke und ohne Aufenthaltsgenehmigung auf dem Landweg durchqueren. Sie werden als irregulär, illegal, ohne Papiere, wie in dieser Arbeit als Nichtdokumentierte5 oder mit umgangssprachlichen Bezeichnungen wie clandestinos, mojados oder underdogs6 bezeichnet.

Die Untersuchung von Risiken, die aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können, wird dabei besonders hervorgehoben. So kann Migration selbst als Strategie der Migranten_ innen verstanden werden, um mit Risiken umzugehen, von denen sie in ihren Herkunftsländern betroffen sind. Dazu zählt unter anderem das Armutsrisiko, bei dessen Eintreten Betroffene oft keine realistische Möglichkeit sehen, eigenständig eine Veränderung ihrer Situation zu bewirken, ohne das Heimatland zu verlassen. Zugleich werden nicht dokumentierte Migranten_innen in Transit- und Zielländern häufig als Risiko für die nationale Sicherheit und als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen. Daraus resultiert eine Umgangsform mit den Migranten_innen, die auch als Illegalisierung7 bezeichnet wird und auf die sich Bedrohungen und Angriffe gegenüber Migranten_innen zurückführen lassen. Diese gefährlichen Momente der Reise durch Mexiko sind Teil eines scheinbar überschaubaren Prozess, in den bei genauerer Betrachtung komplexe Themen hineinspielen. Diese Arbeit erklärt, weshalb Migranten_innen sich überhaupt Risiken aussetzen. Dafür muss auch das Zusammenspiel zwischen dem Überschreiten nationalstaatlicher Grenzen und der Wahrnehmung von Migranten_innen durch die Bevölkerung des Transitlandes verstanden werden. Transitmigration wird deshalb als komplexer Prozess begriffen, der sich auf die Migrationspolitik der betroffenen und angrenzende Länder auswirkt und diese unter Druck setzt, vor allem aber, Migranten_innen und Flüchtlinge verwundbar macht (Papadopoulou-Kourkoula 2008:8).

Diese Arbeit führt eine ethnographische Regimeanalyse durch. Dazu wird das Thema Transitmigration generell auf theoretischer Ebene in globale, gesellschaftliche und politische Zusammenhänge eingeordnet. Die wissenschaftliche und politische Sichtweise auf das Thema werden dabei ausgeführt und im zweiten Schritt mit dem Blickwinkel der Migranten_innen selbst in Verbindung gebracht (Transitmigration Forschungsgruppe 2007:15f). Ziel dieser Arbeit ist es ein Phänomen sichtbar zu machen, das bislang weder in Europa noch in Amerika viel Beachtung fand.

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die Erfahrungen der Migranten_innen, die sie zwischen den Grenzen von Guatemala und den USA, beim Überschreiten von Grenzen und dem Durchqueren von Mexiko machen. Sie werden betrachtet und mit der Migrationspolitik der Herkunfts-, Transitund Zielländer in Verbindung gebracht. Belegbare und subjektiv wahrgenommene Risiken während der Migration werden in einen komplexen Kontext eingeordnet und mithilfe theoretischer Ansätze erklärt. Die Strategien der Migranten_innen, mit denen sie die Risiken der Reise zu bewältigen versuchen, bilden den Schwerpunkt dieser Arbeit.

1.2 Aufbau der Arbeit

Nach einer kurzen Einführung in die verwendeten Methoden, Orte der Forschung und Datenmaterial, führt diese Arbeit zunächst in bestehende Untersuchungsansätze von Risiko ein. Dafür wird in den Begriff Risiko und das Konzept der Weltrisikogesellschaft eingeführt. Anschließend werden Migrationstheorien vorgestellt und der gesamte Migrationsprozess in die Weltrisikogesellschaft (Beck 2007) eingeordnet. Zusammen mit Prozessen, die beim Übertritt von Grenzen stattfinden, wird herausgearbeitet, wie Risiken für nicht dokumentierte Transitmigranten_ innen entstehen. Am Ende des ersten Teils werden die Begriffe Risiko und Grenze in Bezug zum Thema Transitmigration aufgegriffen und zur triangulación, also Verortung von Risiko in der Migration nach Ruiz, zusammengeführt und so der globale Kontext erklärt, in dem Migranten_innen Risiken ausgesetzt sind (2001:279f).

Kapitel vier widmet sich der Frage, weshalb überhaupt Migration aus Zentralamerika in die USA stattfindet. Dazu werden Migrationsbewegungen aus Zentralamerika in die USA historisch ausgeführt, ihre Bedeutung für die zentralamerikanische Wirtschaft und Gründe für Auswanderung aus Zentralamerika dargelegt. Abschließend wird beschrieben, wie Migranten_innen ihre Migrationsentscheidung legitimieren.

In Kapitel fünf wird die Transitphase der Migration thematisiert. Dafür wird die mexikanische Migrationspolitik im Zusammenspiel mit der US-amerikanischen zusammengefasst, um allgemeine Bedingungen für nicht dokumentierte Migranten_innen in Mexiko darzustellen. Um aufzuzeigen, wie Migranten_innen vom Grenzübertritt an als Risiko wahrgenommen werden, wird Bezug auf die Wahrnehmung der Migranten_innen im Süden Mexikos eingegangen und so Bezug zur Weltrisikogesellschaft genommen. Anschließend werden Risiken für nicht dokumentierte Migranten_ innen in Mexiko identifiziert, beschrieben und dargestellt, mit welchen Strategien die Migranten_ innen diesen entgegentreten. Dazu gehören neben individuellen Strategien auch die Institutionen, die die Migranten_innen unterstützen.

Am Schluss der Arbeit wird beleuchtet, weshalb Migranten_innen die Risiken der Reise durch Mexiko eingehen und wie sie diese vermeiden. Außerdem sollen Ideen für alternative Handlungsansätze aufgezeigt werden.

1.3 Stand der Literatur

Migration ist ein viel behandeltes Thema. So gilt die Grenze zwischen Mexiko und den USA als Ikone für Studien zu Grenzen, Grenzregionen und deren Überschreitungen (Alvarez 1995:449). Zur Migration nicht dokumentierter Transitmigration durch Mexiko gibt es bislang wenig Literatur. So bleibt die politische Ebene der mexikanischen Migrationspolitik hinsichtlich von Transitmigration in der Wissenschaft weitgehend unbeachtet (Ángel Castillo 2003a:36, Ruiz 2001:8; Rodríguez Chávez 2006:64).

Risiko und Migration werden im amerikanischen Kontext seit den 1990er Jahren miteinander in Verbindung gebracht. Damals stieg die Zahl der toten Migranten_innen an der Nordgrenze Mexikos an und erste Studien zu dem Thema wurden veröffentlicht (Jimenez 2009:17). Artikel, die Überfälle auf zentralamerikanische Migranten_innen im Süden Mexikos behandeln, wurden erst später veröffentlicht (Ruiz 2001:16) und sind zumeist Teile größerer wissenschaftlicher Publikationen (Ruiz 2001, 2002, 2004, Ángel Castillo 2003a, Rodríguez Chávez 2006, Ángeles Cruz/ Rojas Wiesner 2000, Löding 2009, Meza González 2009, Zeiske 2010, Lorenz 2010b+c). Dazu zählen regionale Formen internationaler Migration, die Transitmigration nur am Rande behandeln, wie traditionell stattfindende Migration von Saisonarbeiter_innen aus der Grenzregion in Guatemala, Menschenhandel und Zwangsprostitution (I.A.P 2005, IOM 2006, Ángeles Cruz/ Rojas Wiesner 2000). Teilweise wird der Aspekt der Transitmigration auch zusammen mit der Migration von Mexikaner_innen in die USA (Meza González 2009) behandelt.

Insgesamt besteht nur wenig Literatur zum Thema dieser Arbeit. Die einzigen ethnologischen Untersuchungen zu Risiken für nicht dokumentierte Migranten_innen im Transitland Mexiko, hat die Mexikanerin Olivia Ruiz vom Colegio de la Frontera Norte in Tijuana (Mexiko) verfasst (s.o.), die einen Vorschlag für die systematische Untersuchung von Risiken entlang von Migrationsrouten in Mexiko macht. Ihr zufolge sind die Konzepte Risiko, Migration und Grenze eng miteinander verknüpft und bedingen sich gegenseitig (2001:257ff). Ihre Arbeiten beinhalten jedoch kaum Angaben über die Wahrnehmung der Migranten_innen von den Risiken ihrer Reise. Um diese in globale, gesellschaftliche und2 politische Zusammenhänge einzuordnen, wird ihr Ansatz im Rahmen einer ethnographischen Regimeanalyse (Transitmigration Forschungsgruppe 2007; Papadopoulou- Kourkoula 2008 und Hess 2008) aus dem europäischen Kontext und durch Erklärungsansätze über Risiko (Beck 1986, 2004, 2007; Douglas 1994; Ruiz 2001; Lupton 1999; Truzzi 2008; Cashdan 1990; Hawkes 1990; Smith/ Boyd 1990), Migration (Piore 1979, Husa/Parnreiter/Stacher 2000, Massey 1993; Kearney 2000; Nuscheler 1995; Borjas 1989; Todaro 1980; Potts 1988; Massey et al 1981; Friedmann 1995; Wallerstein 1984; Sassen 1988; Stark 1991; Sakdapolrak 2010; Glick-Schiller 1992; Welkmann/ Reese 2010; Faist 2006; Lavell 1996; Ellis 2003) und Grenze (Ratzel 1897; Bigo 1997; Ruiz 2001; Kratochwil 1986; Garduño 2003; Hall 2000; Tejeda González 2004; Alvarez 1995) ergänzt.

Als weitere Quellen werden Statistiken und Publikationen der mexikanischen Einwanderungsbehörde (INM), Pressemeldungen (La Jornada; El País; Revista Migrantes), Publikationen von NROs (I.A.P 2005, AI 2010); Regierungsorganisationen, Botschaften und Konsulaten, sowie den Betreibern der Herbergen für Migranten_innen, so genannten Casas del Migrante (Rigoni 2008, 2010), herangezogen.

2. Hintergrund der Forschung

2.1. Verwendete Methoden und Auswahl der Informanten_innen

Während der Feldforschung wurde unter anderem die Methode der so genannten teilnehmenden Beobachtung angewandt (Lüders 2003:153ff.). Im Mittelpunkt steht dabei das Ziel, möglichst aus der Perspektive der Erforschten, dem so genannten emischen Blickwinkel8, zu schreiben, wobei es im Sinne einer partizipativen, nicht benachteiligenden Forschung auch darum geht, die Migranten_innen in ihrem Sinne darzustellen und keine Informationen zu veröffentlichen, deren Veröffentlichung nicht erwünscht ist (Schönhuth 2002:15.). Um Daten festzuhalten, wurden offene, semistrukturierte und strukturierte Interviews mit Fragebögen durchgeführt. Zur Veranschaulichung wird diese Arbeit außer mit Zitaten auch durch Fotos, Karten und Graphiken ergänzt. Um herauszufinden, ob die Migranten_innen über ein gemeinsames Wissen hinsichtlich der für sie bestehenden Risiken in Mexiko verfügen, führte ich zusätzlich zu offenen und semistrukturierten Interviews eine kulturelle Domänenanalyse mithilfe der Methoden Freelist und Pilesort durch, deren Ergebnisse ich mithilfe strukturierter Interviews und Fragebögen bekräftigte (Borgatti 1996b:1ff, 7ff). Der Inhalt dieser Arbeit geht jedoch über den Bericht des Feldforschungspraktikums hinaus, da die Methoden nun nicht mehr besprochen und reflektiert werden, sondern die Ergebnisse in eine intensive literaturbasierte Beschäftigung mit dem Thema Transitmigration in Mexiko auf globaler und lokaler Ebene eingeordnet werden.

Die meisten Migranten_innen zeigten sich mir und meinem Forschungsvorhaben gegenüber sehr offen und interessiert, was ich zum einen darauf zurückführe, dass sich bis dahin kaum jemand für ihr Schicksal auf ihrem Weg durch Mexiko interessierte (Zeiske 2005; Rigoni 2010:66). Rigoni, der Betreiber der Casa del Migrante in Tapachula schreibt zur Situation der Migranten_innen in Mexiko:

“El indocumentado es hijo de nadie, no cuenta ni tiene voz para nadie: ni por su tierra que lo despidió callada, indiferente, tal vez con gozo o a patadas. Es nadie por la tierra que se abre a su vista: bueno tan solo para estadísticas o por aquel juego feroz y contradictorio que es la explotación de su trabajo.“ (Rigoni 2010:66f).

Zum anderen zeigte ich mich den Migranten_innen gegenüber stets solidarisch und kündigte auch persönliches Engagement hinsichtlich ihrer Situation an. Nur wenige Informanten_innen äußerten Bedenken gegenüber meiner Arbeit und wollten nicht, dass unsere Gespräche aufgezeichnet werden.

2.2. Orte der Forschung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Orte der Forschung

In Küstenregion Soconusco lebten beim Zensus von 2005 fast 680.000 Menschen. Sie gilt neben Flug und Seerouten als Nadelöhr der Migration für Menschen die aus Zentralamerika kommen und in die USA reisen (Ángeles Cruz/ Rojas Wiesner 2000:128). Er stellt eine strategisch wichtige Region für die mexikanische Einwanderungsbehörde dar (INM), die hier mit einer Abfangstrategie arbeitet (vgl. Kap. 3.5).

In verschiedenen Orten entlang der Migrationsrouten gibt es Institutionen, die die Migranten_innen auf ihrer Reise unterstützen und im Verlauf der Forschung besucht wurden. Dazu zählen in Tapachula unter anderem die Casa del Migrante, die Herberge Jes ú s el buen Pastor und das Menschenrechtszentrum Fray Mat í as de C ó rdoba, die Herberge für Migranten_innen Hogar de la Misericordia in Arriaga und die Herberge für Migranten_innen Hermanos en el camino in Ixtepec. Die Migranten_innen wurden an den Herbergen für Migranten_innen sowie den Güterbahnhöfen von Arriaga und Ixtepec angetroffen und befragt. Außerdem wurde die Südgrenze Mexikos im Bereich der Grenzübergänge Ciudad Hidalgo / Tecún Umán und Talisman / El Carmen besucht.

2.3. Datenmaterial und Auswertung

Insgesamt wurden 103 Migranten_innen interviewt. Die Befragten kamen aus den zentralamerikanischen Ländern Honduras (32,8%), Nicaragua (26,6%), El Salvador (26,6%) und Guatemala (14,1%). Sie waren zwischen 16 und 68 Jahren alt. Von ihnen gehören 70% zur Altersgruppe zwischen 19 und 32 Jahren. Mitreisende Kinder wurden nicht interviewt. 78,1% waren Männer und 21,9% Frauen, 41,2% verheiratet und 59,8% unverheiratet oder verwitwet. 21,1% hatten keine Schulbildung genossen und nur 31% die Grundschule beendet oder höhere Schulabschlüsse erreicht.

Die Ergebnisse wurden auf 32 Freelistfragebögen und weiteren 32 strukturierten Interviewfragebögen festgehalten und 15 Pilesorts durchgeführt, die in Kapitel 5.6 besprochen werden. Freelists und Pilesorts wurden mit der Software Anthropac analysiert (Borgatti 1996a). 39 offene Interviews wurden auf Minidisc aufgenommen, mit Hilfe der Software f4 - audiotranskription (Dr Dresing und Pehl GmbH:2010) transkribiert und anschließend mit der Software Atlas.ti (ATLAS. ti 2010) kodiert und hinsichtlich relevanter Themenbereiche analysiert.

3. Thoeretischer Rahmen

3.1. (Transit-)Migration

Unabhängig von Gründen für Migration beschreibt die Internationale Organisation für Migration (IOM) internationale Migranten_innen als

„Movement of persons who leave their country of origin, or the country of habitual residence, to establish themselves either permanently or temporarily in another country. An international frontier is therefore crossed.“ (IOM 2004:33).

Transitmigration bezeichnet in diesem Zusammenhang das Durchqueren eines Landes während des Migrationsprozesses9. Der Begriff ist jedoch nicht einheitlich definiert. Die IOM definiert „Transit“ in Bezug zum Luftverkehr als „a stopover of passage“, der unterschiedlich lange dauern kann (IOM 2004:66). So genannte Transitvisa werden für den ausschließlichen Zweck des Durchquerens eines Landes ausgestellt und so fallen laut Papadopoulou-Kourkoula reguläre und irreguläre Migranten_ innen, Asylsuchende, anerkannte Flüchtlinge, Studenten_innen und geschleuste Personen zu einem jeweiligen Zeitpunkt ihrer Reise in die Kategorie der Transitmigranten_innen (Papadopoulou- Kourkoula 2008:5). Sie definiert den Begriff als:

„[...] the situation between emigration and settlement, that is characterized by indefinite migrant stay, legal or illegal, and may or may not develop into further migration depending on a series of structural and individual factors [...]” (Papadopoulou-Kourkoula 2008:4).

Im europäischen Kontext wird Transitmigration als das Ergebnis einer langen Reihe von Faktoren angesehen, die die Situation der Migranten_innen an allen Stationen ihrer Reise beeinflussen. Dazu gehören sozialökonomische Entwicklung und Wandel in der Herkunftsregion, Effizienz der Grenzkontrollen, Besiedlung und Beschäftigungsaussichten für Migranten_innen, Asylpolitik und die Infrastruktur zur Aufnahme von Flüchtlingen, Migrationspolitik und die Möglichkeit eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, die Möglichkeit zur Integration, Beherrschung der lokalen Sprache, die Möglichkeit den nächsten Reiseabschnitt finanzieren zu können, soziale und Schmuggelnetzwerke, die bei der Reiseplanung helfen, Netzwerke im Zielland, persönlicher Ehrgeiz, Entschlossenheit oder Angst, das Bewusstsein von Ehre und sozialer Druck aus dem Heimatland, sowie die Bereitschaft die Risiken der Migration einzugehen (Papadopoulou-Kourkoula 2008:7).

3.2. Risiko

Migranten_innen die keine reelle Möglichkeit haben, sich eine Aufenthaltserlaubnis zu besorgen, sind in besonderem Maße Risiken und anderen Faktoren ausgesetzt, die ihnen die Reise schwer machen. So entwickeln sich die Absichten der Migranten_innen oft durch Umstände, auf die sie unterwegs treffen und passen sich diesen an. Das trifft vor allem für Migranten_innen zu, die keine klare oder präzise Vorstellung davon haben, wohin er oder sie migrieren würde (Papadopoulou- Kourkoula 2008:4).

Allgemein gelten Risiko und Gefahr als kulturell konstruierte Ideen, die durch sozialen Druck und akzeptierte Vorstellungen von Verantwortung geformt sind (Douglas 1994:326). Für den Begriff Risiko gibt es keine eindeutige etymologische Zuordnung. Das arabische ﺭﺯﻕ (korrekte Umschrift: rizq)10 bezieht sich auf die Errungenschaft von Wohlstand und Glück. Die meisten Sozialwissenschaftler_innen (Ewald, Giddens, Lupton, Strydom in Beck 2004:13) beziehen sich laut Beck jedoch auf die lateinische Wurzel des Wortes risco 11, das zunächst von Seefahrern_innen verwendet wurde, die unbekannte Gewässer befuhren. Beide Bedeutungen sind im 17. Jahrhundert zur Abwägung zwischen habgierigen Möglichkeiten und potenziellen Gefahren im Kontext der Versicherung von Seefahrten verwendet worden (Beck 2004:13). Da Transitmigranten_innen auf ihrem Weg durch Mexiko auch versuchen, Wohlstand und Glück in den USA zu erreichen und dabei Gefahren eingehen, bezieht sich der in dieser Arbeit verwendete Risikobegriff, auf beide Deutungstraditionen.

Ganz allgemein weist Risiko auf eine Bedrohung oder Gefahr und einen daraus möglicherweise resultierenden Schaden hin. Der Begriff wird in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen auf unterschiedliche Weise verwendet (Beck 2004:12) und bezeichnet eine systematische Art, in ungewissen Situationen mit Unsicherheit und bestehenden Gefahren umzugehen (Beck 1986:21). Durch den Versuch, Risiken beherrschen zu wollen, wird insbesondere der Wunsch definiert, die Zukunft kontrollieren zu wollen (Giddens 1999:521). Aufgrund der Anzahl von Veröffentlichungen und der Allgegenwärtigkeit in den Medien ist der Risikobegriff am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor allem in den westlichen Gesellschaften zu einem Schlüsselbegriff geworden, der sich in einem globalisierten Gefühl über den aktuellen Zustand der Menschheit spiegelt (Ruiz 2001:258). Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat sich darüber hinaus ein entscheidender Wandel hinsichtlich der allgemeinen Wahrnehmung von Sicherheit und Gefahr vollzogen (Beck 2004:1), der die Themen Migration und Sicherheit auf perverse Weise miteinander verbinde und die „paranoia norteamericana“ bediene (De Jesus Desiderio et al. 2009:13). Ferner würden die meisten Risikoanalysen heutzutage von Politikern_innen, Hilfsprogrammen und der Wirtschaft gemacht. Forschungsergebnisse der Ethnologie, die auf die moderne Industriegesellschaft angewandt werden können, werden dabei weitgehend ignoriert (Douglas 1994:326).

Während der 1980er Jahre entstanden in den Sozial- und Kulturwissenschaften drei Perspektiven über Risiko, die während der 1990er Jahre an Bedeutung gewannen. Dazu zählt ein ethnologischer Ansatz, den Mary Douglas während der 1980er Jahre entwickelte (1994). Ulrich Becks Buch „ Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne “ (Beck 1986) gab einen bedeutenden Anschwung zur soziologischen Auseinandersetzung mit Risiko, die von Anthony Giddens (1999) mit beeinflusst wurde.

Diese Ansätze stehen in Kontrast zu technisch-wissenschaftlichen Ansätzen, da sie den sozialen, kulturellen und teilweise auch den historischen Kontext von Risiken berücksichtigen (Lupton 1999:1). Beide Zugangswege tragen zum besseren Verständnis der Risiken für Migranten_innen bei und werden im Folgenden kurz ausgeführt.

3.2.1. Technisch-wissenschaftliche Perspektive

Aus technisch-wissenschaftlicher Perspektive12 wird Risiko als gegebenes, objektives Phänomen betrachtet. Die Arbeit besteht vor allem darin, Risiken zu identifizieren, ihre Ursachen kartographisch festzuhalten und Modelle zu erstellen, mit denen Zusammenhänge und Antworten der Menschen auf verschiedene Typen von Risiko dargestellt werden. Ziel ist, Möglichkeiten zur Minimierung der Auswirkungen von Risiken aufzuzeigen (Lupton 1999:2). Ruiz verwendet diesen Ansatz im Kontext von Migration in Mexiko, um Risiken für Migranten_innen in Mexiko zu identifizieren und zu dokumentieren (Ruiz 2001:280).

In diesem Kontext ist es üblich, psychometrische Proben zu nehmen, um festzustellen, wie Menschen Risiken wahrnehmen und auf Gefahren reagieren. Da die Existenz von Gefahren allein kein Unheil herbeiführt, wird das Konzept der Verwundbarkeit (vgl. Kap. 3.2.3) hinzugezogen (Ruiz 2001:259). Um sich vor Katastrophen zu schützen, ist demnach die Verfügbarkeit von Ressourcen13 der ausschlaggebende Faktor. Der Zugang zu diesen Ressourcen sei jedoch durch Charakteristika der jeweiligen Gruppe wie z.B. soziale Schicht, Ethnie, Alter oder Geschlecht begrenzt. Diese Perspektive öffnet sich gegenüber untergeordneten und ignorierten Akteuren und Prozessen. Die Bündelung von wirtschaftlicher und politischer Macht in wenigen und großen Zentren, sowie das sich daraus ergebende Fehlen von Zugang zu Ressourcen, haben sich in marginalisierten Regionen entwickelt, die die Schwäche von armen Bevölkerungsschichten noch unterstreicht (Ruiz 2001:260).

Die Notwendigkeit, Risiken und Verwundbarkeit im sozialen, ökonomischen und politischen Kontext einzuordnen, hat einige Wissenschaftler_innen dazu gebracht anzuregen, Risiken als Resultate und Ausdruck zu betrachten, die die Grenzen des Verlaufs von Entwicklung bezeichnen.

„[...] son manifestaciones de condiciones normales […] características de los desastres deben verse más bien corno una conformación coyuntural de las condiciones normalmente existentes en la sociedad; de las vulnerabilidades y capacidades humanas preexistentes“ (Lavell 1996:71).

Im Unterschied zu Analysen, die Katastrophen als ungewöhnlich und anormal darstellen, definiert der technisch-wissenschaftliche Ansatz Katastrophen, die durch externe Kräfte beeinflusst werden, als extreme Ausgänge sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Prozesse, die aus der mit der Zeit entwickelten und gefestigten Unterentwicklung von betroffenen Gemeinden und Gesellschaften resultieren (Ruiz 2001:261).

3.2.2. Soziokulturell-konstruktionistische Perspektive

Während sich die technisch-wissenschaftliche Sicht für die Art, in der Personen Risiken wahrnehmen und von ihnen beeinflusst werden, interessierten, stellt die konstruktionistische Sichtweise die Realität der Verbindung zwischen Objekt und Schaden infrage (Ruiz 2001:262). Für ihre Vertreter_ innen konstruieren sich Risiken über soziale und kulturelle Mechanismen. So existieren für einige Konstruktionisten überhaupt keine Risiken, für andere kann alles ein Risiko sein. Sie interessieren sich vor allem für den Prozess, in dem ein Risiko als solches identifiziert und entwickelt wird, die Art und Weise, wie Diskurse über Risiko Personen und Gesellschaft konstruieren, sowie die historische und räumliche Spezifität und (Macht-) Interessen, die das Konzept Risiko und einzelne Risiken gestalten. Risiken könnten weder in Objekten noch Gegenständen gemessen werden, sondern würden permanent von Institutionen, Individuen und sozialen Gruppen entwickelt, umkämpft und gehandelt (Ruiz 2001:261). Dabei spielt Macht eine entscheidende Rolle. Der Prozess der Feststellung und Einordnung der Verbindung von etwas mit einem Schaden in eine Kategorie sei ein Machtkampf. Risiken würden ständig konstruiert und dekonstruiert. Sie sind an verschiedenen Orten unterschiedlich beschaffen und verändern sich mit der Zeit, so das etwas an einem Ort als gefährlich angesehen werden kann und an einem anderen Ort nicht (Ruiz 2001:262).

3.2.3. Die Weltrisikogesellschaft

Während der 1980er Jahre wurde in den Sozialwissenschaften der Begriff der Risikogesellschaft diskutiert und besonders von Beck (1986) geprägt. Er bringt in seinem Werk „Risk Society” zur Sprache, dass der Risikobegriff verschiedene Diskurse in Bezug auf die Krise der modernen Welt verflechtet (Beck 1986:3). So sind die Themen öffentliche Sicherheit und Gesundheit zu einem allgegenwärtigen Thema geworden und formen einen wesentlichen Bestandteil der Debatten über Umwelt und Gesellschaft. Es überrascht also nicht, dass sich die Bedeutungen, die mit dem Begriff Risiko in Verbindung gebracht werden, vervielfacht haben14 (Ruiz 2001:258). Beck geht davon aus, dass sich die Risikogesellschaft in einem Bruch der Moderne aus der klassischen Industriegesellschaft herauslöste (1986:13f.). Dabei geht es im Wesentlichen um Folgeprobleme der technisch-ökonomischen Entwicklung, die Entfaltung neuer Risiken seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch historische Erfahrungen aus z.B. ökologischen Krisen und den Abbau wohlfahrtsstaatlicher Sicherheit (Beck 2007:26).

„In der fortgeschrittenen Moderne geht die gesellschaftliche Produktion von Reichtum systematisch einher mit der gesellschaftlichen Produktion von Risiken. [...] Die Verteilungsprobleme und -konflikte der Mangelgesellschaft werden überlagert durch die Probleme und Konflikte, die aus der [...] Verteilung wissenschaftlich-technisch produzierter Risiken entstehen“; es kommt zu einem „Wechsel von der Logik der Reichtumsverteilung [...] zur Logik der Risikoverteilung.“ (Beck 1986:25).

Auf der lokalen Ebene betreffen Risiken so unterschiedliche Bereiche wie Gesundheit, Elternschaft, Verbrechen, Beschäftigung und Transport (Beck 2004:1). Um sich in diesen Bereichen sicher zu fühlen und Risiken vorbeugen zu können, ist die Verfügbarkeit von Ressourcen von großer Bedeutung. Zu diesen Ressourcen gehören für die meisten Menschen: Geld, Arbeitsplatz, Macht, Liebe oder Glaube. Diese Güter stehen zugleich für Individualismus. So werden allgemein gültige Werte wie eigenes Geld, eigener Raum, Liebe, Elternschaft und Ehe mit einem intensivierten Risikoempfinden der Zukunft mehr und mehr denn je ersehnt und als elementare Voraussetzungen für ein eigenes Leben angesehen. Das tägliche Ringen um die Autonomie des Lebens sei so zur Kollektiverfahrung der Welt geworden (Beck 2007:388). Wenn diese Ressourcen bzw. das Ziel der Unabhängigkeit und Sicherheit nicht erreicht werden können, spricht man von sozialer Verwundbarkeit, die sich laut Beck räumlich und zeitlich jedoch nicht eingrenzen lässt. Sie resultiert methodologisch aus einem kosmopolitischen, also weltbürgerlichen Blickwinkel. So steht am Anfang einer Untersuchung immer die Frage, wer oder was, welchem Risiko ausgesetzt ist:

„[…] um danach zu fragen und zu forschen, wie dieser Kontext der Gefährdung zurückverfolgt werden könne, möglicherweise über Grenzen hinweg zu den Kontexten der Entscheider. Mit anderen Worten, die Analyse der Verwundbarkeit muß so angelegt sein, daß sie die Dynamik der „cross- scale-interactions“ [...] ins Blickfeld rücken kann. Das heißt Ereignisse oder Phänomene auf einer Skala beeinflussen Phänomene auf einer anderen Skala. In diesem Sinne ist das Auseinanderfallen der Grenzen von Umweltzerstörungen, rechtlichen Institutionen sowie politischen Autoritäten ein Schlüsselgesichtspunkt in der Analyse der Verwundbarkeit.“ (Beck 2007:319).

Laut Beck geht die gesellschaftliche Produktion von Reichtum mit der von Risiken einher, zu deren Vorbeugung die oben genannten Ressourcen notwendig sind. Diese werden kollektiv als elementar für ein eigenes Leben angesehen. Wenn kein Zugang besteht, gelten Individuen und Gruppen als verwundbar. Grenzübergreifende Wirkungen auf verwundbare Bevölkerungsgruppen und Orte werden für strukturpolitische Autoritäten dabei in zunehmendem Maße selbstverständlich (Beck 2007:320).

3.2.4. Strategien zur Risikobewältigung

Um Risiken während der Migration zu minimieren, sind Information und Vertrauen wichtige Strategien im Migrationsprozess, die zumeist über Netzwerke hergestellt werden (Truzzi 2008:203f). Die Frage nach der optimalen Strategie, um Risiken zu minimieren, geht mit einer Abwägung zwischen Kosten und Nutzen der Reise einher, weshalb Erklärungsansätze für Strategien uns in erster Linie zum Ausgangspunkt der Migration selbst führen. Also in die Herkunftsländer und zur Motivation der Migranten_innen, weshalb sie ihre Herkunftsländer verlassen. Nur so kann die Frage beantwortet werden, weshalb die Migranten_innen die Risiken der Reise überhaupt in Kauf nehmen (Cashdan 1990:1). Antworten auf diese Fragen können verhaltensökologische und mikroökonomische Ansätze bieten, in die im Folgenden kurz eingeführt wird.

3.2.4.1.Verhaltensökologische und mikroökonomische Erklärungsansätze

Frühe Modelle zur Erklärung von Risikomanagement bezogen sich in erster Linie auf die Maximierung möglichen Outputs, der in Profit oder Kalorien gemessen wurde. Sie ignorierten unvorhersehbare Schwankungen in Umwelt und Wirtschaft sowie fehlende Informationen und damit verbundene Unsicherheit. Cashdan beschreibt Unsicherheit als Informationslücke, mit der ein Individuum konfrontiert wird, sobald es mit verschiedenen Zukunftsszenarien konfrontiert wird. Je nachdem wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Risiko eintritt, kann auch der mögliche Output variieren (Cashdan 1990:1).

In der deskriptiven Forschung wird der Frage nachgegangen, wie Menschen Risiko und Unsicherheit bewerten und damit umgehen. Erst im zweiten Schritt wird auf die daraus folgenden Konsequenzen eingegangen. Deskriptive Forschung zu optimalen Strategien, wie mit Risiko und Unsicherheit umgegangen werden kann, beschreibt Domänen, also gemeinsames Wissen, wie z.B. die Suche nach Lösungsverfahren, Planung und Anleitung. Es geht also darum, wie Entscheidungen am besten optimiert werden können, wenn das Ergebnis unsicher ist. Entscheidungsanalysten untersuchen vor allem, zu welchem Risiko ein Individuum am ehesten geneigt ist, bzw. für welche Risiken es am anfälligsten ist. Die Idee ist dabei zu helfen, verfügbare Informationen zu nutzen und subjektive Wahrscheinlichkeiten über mögliche Ergebnisse zu erfahren (Cashdan 1990:4).

„Researchers in these areas recognize that people, when left to their own devices, do not always make optimal decisions; they are concerned instead with developing ways to help people do so“ (Cashdan 1990:4).

Menschen, die sich selbst überlassen sind, treffen also nicht immer optimale Entscheidungen. Stattdessen sind sie damit beschäftigt, Möglichkeiten zu entwickeln um Menschen zu helfen (Cashdan 1990:4). Es geht um beschreibende Forschung über das tatsächliche Verhalten von Menschen in gefährlichen und unsicheren Situationen. Das Ziel ist herauszufinden, in welchem Maße diese Modelle Verhalten erklären können. Aus Sicht von Ökonomen_innen versuchen Menschen ihre eigene Nützlichkeit zu verbessern. Ökologen_innen gehen von einer Maximierung von Fitness, also reproduktivem Erfolg aus (Cashdan 1990:5). So teilen mikroökonomische und evolutionsökologische Ansätze die Annahme, dass Zeit, Energie, Ressourcen, usw. knapp sind. Ziel ist stets, den größtmöglichen Gewinn bei geringst möglichem Einsatz zu erhalten (Cashdan 1990:1-7). Diese Ansätze teilen die Annahme, dass Ressourcen knapp seien. Es geht darum, das größte Ergebnis bei geringstmöglichem Aufwand zu erreichen (Cashdan 1990:5). In Bezug auf Migration bedeutet dies herauszufinden, wie Individuen begrenzte Ressourcen einsetzen sollten, um das Zielland zu erreichen.

Ökonomen_innen und Ökologen_innen gehen von verschiedenen Währungen aus, die maximiert werden sollen. Wenn es darum geht eine optimale Strategie zu entwickeln, greifen beide auf ähnliche Ansätze zurück. So gehen Ökonomen davon aus, dass das Handeln von Menschen profitorientiert ist. Aus ökologischer Sichtweise ermöglicht das Verhalten einem Individuum, seine Nützlichkeit im Sinne von Fitness zu maximieren. Die Konsequenz aus Fitness ist messbar, aber nicht die Nützlichkeit. Dieser Unterschied ist weniger bezeichnend als es scheint (Cashdan 1990:6). Gründe für Migration sind also wichtig zu betrachten, um zu verstehen, welchen Wert die Migrationsentscheidung hat. Wenn Risiko für einen bestimmten Output eingegangen wird, muss das laut Cashdan nicht immer die optimale Entscheidung sein.

Stevens beschreibt, wann und wie Unsicherheit durch Lernen reduziert werden kann. Das Treffen von Entscheidungen bei unvollständigen Informationen führt zu zusätzlichen Problemen. Er fragt danach, wann und wo Unsicherheit durch Lernen reduziert werden kann. Er verweist auf empirische Forschungen, die belegen, dass viele Tiere Risiken abgeneigt seien, wenn das zu erwartende Einkommen größer sei als das zum Überleben notwendige. Sie sind jedoch für Risiken anfällig, wenn das zu erwartende Einkommen einen kritischen Wert unterschreitet. Die Minimierung der Wahrscheinlichkeit eines Defizits ist demnach sicherer als die Vergrößerung des Durchschnittsergebnisses (Cashdan 1990:7).

Es ist schwierig zu bewerten, welches Risiko bevorzugt wird, da der Zeitpunkt des Erfolges anders zu bewerten ist, als die Höhe des Erfolges. Bei Unsicherheit und unvollständigen Informationen können Risiken nicht zuverlässig abgewogen werden. Stephens betont, dass die Frage, wann Menschen bereit sind, für zusätzliche Informationen zu bezahlen. Ebenso wichtig ist, wie Menschen bei einer Veränderung ihrer Umgebung den Wert von Lernen durch Erfahrung erhöhen können. Um innerhalb einer Generation einen Lerneffekt zu erzielen, muss zumindest ein kleiner Betrag natürlicher Veränderung zwischen Generationen herrschen. Der Wert von Erfahrungen steigt also mit dem Bestehenbleiben von Umwelteinflüssen, wenn die Erfahrung für eine längere Zeitspanne von Nutzen ist. Sensibilität für Risiken erhöht den Wert von Informationen (Cashdan 1990:7).

Hawkes (1990:145f.) und Smith und Boyd (1990:167f.) gehen darauf ein, was passiert, wenn die optimale Strategie eines Individuums abhängig von der Handlung anderer ist. Sie greifen auf eine Spieltheorie zurück und beleuchten die Parallelen und Unterschiede zwischen Nahrungsverteilung und Mobilität als System zur Minimierung von Risiken. Die evolutionäre Theorie zeigt, welchen Wert die Berücksichtigung von reproduktivem und ökonomischem Gewinn hat. Die Frage, was Menschen versuchen zu maximieren (Fitness, Nützlichkeit, ökonomischen oder energetischen Gewinn). Cashdan zufolge handeln Individuen so, dass sie ihren reproduktiven Erfolg verbessern. Für viele Arten sozialen Verhaltens spielt das Verhalten anderer eine Rolle. Um zu verstehen, wie Mitglieder einer Gruppe auf Risiko und Unsicherheit reagieren, ist deshalb eine Kultur übergreifende Perspektive nötig (Cashdan 1990:15).

Um zu verstehen, weshalb die Migranten_innen sich unter Umständen in Lebensgefahr bringen, ist also eine Beschäftigung mit den Migrationsgründen wichtig. Es geht darum herauszufinden, wie die Migranten_innen Risiken abwägen, wobei nicht immer die richtige Entscheidung getroffen werden muss. Migration kann also selbst als Strategie verstanden werden, mit Risiken im Heimatland umzugehen. Zugleich werden die Migranten_innen auf dem Weg durch Mexiko oft erst mit Risiken konfrontiert, die ihnen vorher nicht bewusst waren. Wie sie mit diesen in einer konkreten Situation umgehen, ist eine weitere Fragestellung, auf die das Modell unter Umständen angewandt werden kann.

3.3. Migration

Migration bezeichnet die Wanderung oder Bewegung von Individuen oder Gruppen im geografischen oder sozialen Raum, die mit einem Wechsel des Wohnsitzes verbunden ist (Duden 2007). Sie kann regulär und stationär in einem bestimmten Gebiet erfolgen (Hirtenvölker, Jäger und Sammler) oder auch die Wanderung in ein Land oder an einen Ort sein, um sich dort niederzulassen (Kearney 2000:355). Nuscheler geht noch einen Schritt weiter und definiert Migration als:

„[...] alle Wanderungsbewegungen: die interne Landflucht, grenzüberschreitende Wanderungen aus verschiedenen Motiven, die freiwillige Auswanderung oder Vertreibung durch Kriege oder Diktatoren, die durch Arbeitsverträge regulierte Arbeitsmigration und die „wilde“ oder illegale Suche nach Arbeit jenseits der Grenze des eigenen Staates.” (Nuscheler 1995:27).

Zur Erklärung von Migration existieren verschiedene Ansätze, die in den folgenden Kapiteln kurz abgehandelt werden. Neben Push- und Pull- Faktoren, die Migration durch die Attraktivität der Lebensbedingungen im Zielland bzw. die schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland hervorrufen, werden in migrationstheoretischen Ansätzen vor allem Faktoren untersucht, die Migration etablieren und reproduzieren (Massey 1993:432).

3.3.1. Neoklassische Ökonomie

Laut neoklassischer Ö konomie entsteht Migration durch ungleiche Verteilung von Kapital und Arbeit im Raum, durch die Migranten_innen individuell die rationale Entscheidung treffen, auszuwandern (Borjas 1989:457). Potenzielle Migranten_innen vergleichen ihr Einkommen mit dem im Zielland zu erwartenden Einkommen und folgen der Nachfrage nach Arbeitskraft im Zielland. So nutzen sie das Lohngefälle von Ziel- zu Herkunftsland (Todaro 1980:377) und kalkulieren Lohnausfall und Risiken während der Reise mit ein. Migration ist demnach makroökonomisch bedingt und hängt von der Entwicklung des Arbeitsmarktes im Zielland ab (Massey 1993:434; vgl. Parnreiter 2000:27f.).

3.3.2. Theorie des dualen Arbeitsmarktes

„(T)he migrants provide a way in which workers in the native labour force are able to escape the role which the system assigns them“ (Piore 1979:42).

Anders als in der neoklassischen Ö konomie thematisiert die Theorie des dualen Arbeitsmarktes die strukturellen Bedingungen des Ziellandes. Im arbeitsintensiven Sektor der Zielländer (Zenteno 2000:232) besteht laut Piore eine ständige Nachfrage nach niedrig qualifizierten Arbeitskräften. Diese Arbeitsplätze werden von heimischen Arbeitskräften abgelehnt, da diese Arbeit meist schlecht bezahlt und unsicher ist. Zudem bietet sie weder gesellschaftliches Ansehen noch soziale Mobilität. Aufgrund des Mehrwertes des verdienten Geldes in den Herkunftsländern und dadurch, dass die Migranten_innen sich anders als heimische Arbeitskräfte durch soziales Ansehen im Heimatland identifizieren, gehen sie diese Arbeitsverhältnisse ein (Piore 1979:24,33f,54). Status und Prestige blieben außerhalb ihrer neuen Sozialstruktur zu Hause. Diese Trennung ihrer sozialen und ökonomischen Rolle ermöglicht den Migranten_innen das Ausführen von Erwerbstätigkeiten, denen sie im Heimatland nicht nachgehen würden. Sie sehen ihr Engagement auf dem Arbeitsmarkt des Ziellandes als vorübergehend an (Parnreiter 2000:30). Migration bedingt sich also durch Nachfrage im Niedriglohnsektor der segmentierten Arbeitsmärkte der Zielländer und entspricht dem Bedarf moderner Ökonomien (Massey 1993:444). Da die Niedriglohnverhältnisse nun von anderen übernommen werden, wird soziale Aufwärtsmobilität für die US-Amerikaner_innen möglich. Dies gilt jedoch nur so lange, bis die Migranten_innen sesshaft werden, weil dann auch ihre Ansprüche nach sozialem Status, Karriere, etc. wachsen (Parnreiter 2000:30).

3.3.3. Weltsystemtheorie und neomarxistische Ansätze

Die Weltsystemtheorie zeigt, dass man nicht nur von einer Kosten-Nutzen-Rechnung der Migranten_ innen ausgehen darf, sondern dass internationale Migration im Rahmen umfassender sozialer, ökonomischer und politischer Umwälzungen entsteht, die mit dem Übergreifen kapitalistischer Märkte auf nicht marktwirtschaftlich organisierte Gesellschaften einhergeht (vgl. Parnreiter 2000:32ff.). Sassen spricht von einem globalen „Labour supply system“ (1988:31f.) und Potts von einem „Weltmarkt für Arbeitskraft“ (1988:201ff), der auf rassistischen Prinzipien basiert und in dem Angehörigen der obersten Schicht die Ausbeutung der Ärmsten erlaubt ist (Potts 1988:257). Der kapitalistische Weltmarkt wird mithilfe neokolonialer Eliten, durch Direktinvestitionen und multinationale Unternehmen von industrialisierten Zentren aus kontrolliert und in die Peripherie expandiert. Das bedeutet, dass in den Herkunftsländern ein Wandel von der traditionellen Subsistenzwirtschaft zu einem kapitalistischen Produktionssystem durchgesetzt wird, durch das ein Überschuss von Arbeitskräften in ländlichen Gebieten entsteht (Massey et al 1981:47). Eine enorme Binnenmigration in die Städte ist die Folge, die den Bedarf auf dem Arbeitsmarkt der Herkunftsländer bei weitem übersteigt, da die Industrien nicht weit genug entwickelt sind. Ein Boom im informellen Dienstleistungssektor, sowie geringe wirtschaftliche Produktivität sind die Folge. Die Entscheidung zu migrieren kann also auch Folge der ökonomischen Globalisierung sein, die der Fluktuation von Gütern in umgekehrter Richtung folgt (Massey 1993:447). Diese Annahmen werden auch durch die Weltstadthypothese von Friedmann gestützt. Er geht davon aus, dass Weltstädte eine Verbindung zwischen regulären, nationalen und internationalen Ökonomien herstellen. Ihm zufolge gibt es einen globalen Kapitalakkumulationsraum, von dem einige Weltregionen und deren Bevölkerung praktisch ausgeschlossen sind und daher in permanenter Subsistenzwirtschaft leben. Die gesellschaftliche Schicht, die die Zentren kontrolliert bezeichnet er als kapitalistische Klasse, deren Existenz oft ernsthafte Konflikte mit untergeordneten Klassen auslöst. Diese wiederum verfolgen lokal definierte Interessen (Friedmann 1995:22-27).

Außerdem muss Migration zunächst in Gang gesetzt werden, was zumeist durch Anwerbung stattfindet (Parnreiter 1999:139). Wie in der Theorie des dualen Arbeitsmarktes gehen Anhänger der Weltsystemtheorie davon aus, dass durch den Überschuss an Arbeitskräften eine Dynamik von Integration der Arbeitskräfte in urbanen und Desintegration in ländlichen Gebieten entsteht. Die entstandenen Push- und Pulleffekte lassen sich auf direktes und indirektes Eingreifen der Staaten in die Mobilisierung von Migranten_innen zurückführen. So können typische Stadt-Land-Wanderungen erklärt werden (2000:32ff.). Die Sogwirkung verstärkt sich bei internationaler Migration noch, da z.B. durch die Migration aus einem zentralamerikanischen Land in die USA ein höherer Lohnanstieg zu erwarten ist. Zeitgleich mit dem Anstieg des Lohns müssen die Migranten_innen jedoch mit einer rechtlichen Abwertung rechnen, da die physische Neuansiedlung mit einer Neudefinition von Zugehörigkeit und Ausschluss aus einer Gesellschaft einhergeht. Das System der aufnehmenden Staaten integriert Einwanderer demnach in den Arbeitsmarkt, schließt sie von bestimmten staatsbürgerlichen Rechten aber aus. Dieses „Labour supply system“ eignet sich laut Wallerstein gut zur

„Schaffung von Arbeiterschaft am rechten Ort auf dem geringst möglichen Lohnniveau“ (Wallerstein 1984:66).

Er spricht in diesem Zusammenhang auch von einem so genannten „Loch in der Mauer“ und drückt damit das Zusammenspiel der Integration von Migranten_innen in den Arbeitsmarkt bei gleichzeitigem Ausschluss von staatsbürgerlichen und sozialen Rechten aus (1984:66). Seine Prognose von der absoluten Verelendung des überwiegenden Teils der Weltarbeitskraft und dessen Ausbeutung, nicht aber für die Industriearbeiter_innen, erklärt er für eingetreten. Er spricht in diesem Zusammenhang von der „Ethnisierung der Arbeitskraft“ (Wallerstein 1984:67f, 72). Nationalstaatliche Grenzen dienen somit als Filter zur Selektion der intelligentesten und leistungsfähigsten Migranten_innen, bei gleichzeitiger Schwächung ihrer rechtlichen und politischen Position. Sassen schreibt dazu:

„The enforcement of national borders contributes to the existence of a large number of countries in the form of a periphery and the designation of its workers as a labour reserve for global capital. Border enforcement is a mechanism facilitating the extraction of cheap labour by assigning criminal status to a segment of the working class - illegal immigrants […] While the generalization of the labour market emerging from the consolidation of the world capitalist economy creates the conditions for international migrations as a world-level labour-supply system, the strengthening of the nation´s labour supply. That is to say, immigrant labour is not just any labour. It is a component in the labour supply with a distinct role in the labour process characterized by: (1) the institutional differentiation of the process of labour-force reproduction and maintenance; and (2) a particular form of powerlessness, associated with a formal or attributed foreign status, that meets the requirements of types of work organization based on direct rather than structural control over the workforce.“ (Sassen 1988:36f.).

Neomarxistische Ansätze gehen davon aus, dass Migration durch Mobilität des Kapitals begünstigt wird. Prozesse, die Migrationsaufkommen vergrößern, werden außerdem von restriktiver Zuwanderungspolitik begleitet. Versuche der USA und der EU, nicht erlaubte Migration zu stoppen, weichen dabei von der tatsächlichen Entwicklung ab, da die Zahl internationaler Migranten_innen trotz verstärkter Regeln weiter ansteigt, womit Migration als vorsätzliches Instrument des Weltmarktes und der politischen Manipulation angesehen wird (Parnreiter 2000:34-36).

3.3.4. Neue Ökonomie der Migration

Die Neue Ö konomie der Migration erklärt Migration nicht als individuelle Entscheidung, sondern als kollektive Strategie, um das Familieneinkommen durch Rücksendung von Geld zu sichern. Durch eine Erweiterung der Einkommensmöglichkeiten einer Familie soll das Überleben künftig nicht mehr von Missernten, Arbeitslosigkeit und anderen Einflüssen bedroht werden (Stark 1991:3-5,17,40,231). Laut Arrango resultiert Migration somit aus der Unsicherheit am heimischen Arbeitsmarkt, der am globalen Weltmarkt nicht konkurrenzfähig ist (2003:10) und stellt eine Möglichkeit dar, von einem einzelnen ländlichen Familienbetrieb zu einem kapitalistischen Betrieb zu werden, da durch Migration Kapital zur Modernisierung mobilisiert werden könne (vgl. Parnreiter 2000:31). Grund für Migration ist vor allem der fehlende Zugang zu Krediten und Versicherungen. Ziel ist die Übersendung von remesas 15 (vgl. Kap. 4.2.3), sowie die Zerstreuung der Einkommensmöglichkeiten einer Familie durch die Migration von einem oder mehreren Familienangehörigen, die potenziellen Schaden durch bestehende Risiken wie Ernteausfall, Krankheit, Arbeitslosigkeit, etc. minimieren würde (vgl. Parnreiter 2000:31).

Um Einkommensmöglichkeiten zu streuen und remesas zu senden muss zunächst in die Migration eines Familienmitglieds investiert werden. Dabei bleiben die ärmsten Bevölkerungsschichten von der Migration ausgeschlossen, da sie nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen. Migration ist demnach vom individuellen Umfeld abhängig (Massey 1993:439).

Auch die Globalisierung hat auf verschiedenen Ebenen Einfluss auf Migration, angefangen bei der Wahrnehmung relativer Verarmung. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn potenziellen Migranten_ innen Reichtum vorgelebt wird und diese sich derart erst vorstellen können, durch Migration auch Zugang zu Reichtum bzw. verschiedenen Luxusartikeln erhalten zu können (Parnreiter 2000:36).

3.3.5. Theorie der sozialen Netzwerke

Für die Vertreter der Theorie der sozialen Netzwerke von Migranten bilden informelle soziale Strukturen die Grundlage für die Vorstellung, Migranten_innen und potenzielle Auswanderer_innen seien durch Herkunft, Freundschaft oder Verwandtschaft in Herkunfts- und Zielländern miteinander verbunden. In Netzwerken ermöglichen sie sich den gegenseitigen Austausch über Reisewege. Sie leisten sich Hilfe bei der Suche nach Arbeit, unterstützen einander finanziell und helfen auf diese Weise, die Kosten und Risiken der Migration zu minimieren. So reproduzieren Ursachen und Netzwerke die Migration gemeinsam. Nach der Etablierung von Netzwerken findet Migration weitestgehend unabhängig von regulierenden ökonomischen oder politischen Maßnahmen statt (Massey 1993:439, Truzzi 2008:207ff). Der Zugang zu Informationen über den Ablauf der Reise wird verfügbarer und Risiken kalkulierbarer. Durch die Etablierung von Netzwerken sinkt auch die Hemmschwelle zu migrieren (Sakdapolrak 2010:55). Sind Migranten_innen im Zielland angekommen und haben sich etabliert, reproduziert sich Migration durch Netzwerke. Durch die Teilung von Familien und Gemeinden, die auf einmal Kontakte ins Zielland der Verwandten und Bekannten pflegen, entwickeln sich neue Formen des Zusammenlebens über Grenzen hinweg, die Glick-Schiller in ihrem Konzept des Transnationalimus beschreibt. Sie erläutert außerdem, dass frühere Konzepte von Einwanderer_ innen und Migranten_innen nicht länger genügen:

„The word immigrant evokes images of permanent rupture, of the uprooted, the abandonment of old patterns and the painful learning of a new language and culture. Now, a new kind of migrating population is emerging, composed of those whose networks, activities and patterns of life encompass both their host and home societies. Their lives cut across national boundaries and bring two societies into a single social field.“ (Glick-Schiller 1992:1).

Ihr Konzept handelt also auch vom ständigen Bruch, den entwurzelte Migranten_innen erfahren, wenn sie sich schmerzvoll in neuer Sprache und Kultur einleben müssen und dabei einen Wandel ihrer Identität durchleben.

3.3.6. Autonomie der Migration

„Die meisten Menschen haben eher eine eingeschränkte (konservative) Risikobereitschaft, was eine Entscheidung zur Migration unter solchen [„gefährlichen“, Anm. des Autors] Bedingungen eher unwahrscheinlich macht.“ (Welkmann/ Reese2010:76).

In der Fachliteratur zur Autonomie der Migration wird diese teilweise zur sozialen oder sogar politischen Bewegung und Migranten_innen zu Unternehmern_innen ihres eigenen Lebens (Reese/ Welkmann 2010:12). Diese Arbeit behandelt Migration zwar nicht explizit als soziale oder politische Bewegung, schließt sich Welkmann jedoch darin an, dass es auch Menschen gibt, die ihr Heimatland nicht verlassen, obwohl Migrationsnetzwerke vorhanden sind und alle Faktoren dafür sprechen, dass sie eigentlich migrieren müssten.

Die Gegenfrage, weshalb nicht alle Menschen migrieren, die Push- und Pullfaktoren ausgesetzt sind, ist laut Welkmann noch relativ jung. Menschen verhalten sich entgegen dem vorherrschenden Gesellschaftsbild nicht rational und suchen lieber keinen ökonomischen Vorteil im Ausland, zumindest wenn sie dies vermeiden können. Trotz zunehmender Globalisierung und geographisch extrem ungleich verteilter Lebens- und Einkommenschancen lässt sich dies nicht mit ökonomischen Modellen und auch nicht durch Kontroll- und Abschottungspolitik der Zielländer bzw. dort vorherrschender rassistischer Diskriminierung erklären. In Übereinstimmung mit der Neuen Ökonomie der Migration stellt Welkmann fest, dass Migrationsentscheidungen meist keine individuellen Entschlüsse sind, sondern innerhalb eines Netzwerkes durch eine Vielzahl von Personen mit unterschiedlichen Sichtweisen getroffen werden. Erwartungen und Risikoeinschätzungen spielen auch eine Rolle, die bei unzuverlässigen Quellen als abschreckend wahrgenommen werden. Zudem ist die Bindung von Menschen an ihre Heimat das Ergebnis einer lebenslangen Investition, die sich nicht einfach räumlich versetzen lässt. Das gilt vor allem, wenn potenzielle Migranten_innen auf soziale Sicherungssysteme zurückgreifen können (Welkmann/ Reese 2010:75f).

Die lokale Gebundenheit von sozialem und symbolischem Kapital führt dazu, dass Binnen-, Pendel- und temporäre Migrationsbewegungen zunehmen, die den Migranten_innen hinsichtlich ihrer sozialen und kulturellen Eingebundenheit im Heimatland entgegenkommen. Unzufriedenheit mit wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten im Heimatland stehen dieser starken Gebundenheit entgegen. Ob politische Einflussnahme eine Option sein kann, hängt von Intensität und Einschätzung der Wirksamkeit solcher Einflussnahme ab. Das Vorhandensein von Institutionen (Vereinen, religiösen Gemeinschaften, etc.), die sich unmittelbar auf zivilgesellschaftliche Beteiligung ausrichten, macht die Migration der eingebundenen Bürger_innen unwahrscheinlicher. Politischer Widerspruch geht territorialer Abwanderung häufig voraus, bzw. ergänzt oder folgt dieser (Faist 2006:16).

3.3.7. Migration als Strategie

Migration resultiert auch aus eintretenden Katastrophen, die Lavell als soziales Ereignis bezeichnet (Lavell 1996:1). Bestimmte Situationen, wie gewaltige Naturereignisse, die sich beispielsweise in Form von Katastrophen auswirken, können als Migrationsgrund dienen, wenn keine ausreichende Absicherung besteht. In diesem Fall sind arme Haushalte Risiken oft nicht gewachsen. So bleibt nur die Flucht als Möglichkeit (Ellis 2003:6).

Ruiz untersucht, ob Migration Teil eines Entwicklungsprozesses ist, in dem Menschen versuchen, Lebensziele zu erreichen und die eigene Verwundbarkeit zu reduzieren. Menschen, die in das Schema verwundbarer Bevölkerungsschichten passen und nicht migrieren, haben oft keine Möglichkeit, ihre eigene Entwicklung voranzutreiben (Ruiz 2001:267) oder den angestrebten Grad an Autonomie zu erreichen (s.o.). So kann der Aufbruch unter Umständen als Notwendigkeit angesehen werden (Ruiz 2001:268). Diese Argumentationskette kann auch auf das Konzept der Weltrisikogesellschaft angewandt werden. Menschen die versuchen, mit gesellschaftlicher Ungleichverteilung und Armut umzugehen, bzw. sich Zugang zu Werten (s.o.) und sozialen Rechten zu verschaffen, entscheiden sich unter Umständen für Migration. Wird am Heimatort keine andere Perspektive erkannt, kann der Aufbruch eine Reaktion auf das Armutsrisiko sein.

Dieser Erklärungsansatz kann unter anderem im sustainable livelihood approach 16 wiedererkannt werden, dessen Ziel darin besteht, Ursachen für Migration in Hinsicht auf die jeweiligen Umstände von Armut und Verwundbarkeit im Lebensunterhalt von Menschen zu verankern und besonders ländliche Gebiete von einkommensschwachen Staaten zu berücksichtigen (Ellis 2003:1).

„[...] the overall intention is to provide an integrated framework within which policy impacts on migration can be traced back to the livelihood and poverty effects that they consciously or inadvertently set in motion.” (Ellis 2003:1).

So bringt Ellis Migration direkt mit dem Thema Entwicklung in Verbindung, wobei Migration von ihm als sozialer Prozess und nicht als Folge einer ökonomischen Entscheidung angesehen wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Positive Links Between Migration and Improving Livelihoods (Ellis 2003:8)

Ihm zufolge kann Migration eher über historische und kulturelle Kriterien erklärt werden, als über kurzfristige ökonomische Überlegungen. Bei Migration gehe es vielmehr darum, ein erfüllendes Leben zu erreichen, wobei Risikofaktoren wie der institutionelle und politische Kontext mit bedacht werden, denn diese helfen oder hindern potenzielle Migranten_innen, ihre Lebensumstände zu verbessern (Ellis 2003:2ff). Migration spielt also eine multiple und komplexe Rolle dabei, die Verwundbarkeit von Haushalten zu reduzieren und gibt Familien die Möglichkeit der Armut zu entkommen (Ellis 2003:4). Eine Strategie dieses Schemas ist die Streuung von Einkommensmöglichkeiten durch die Migration einzelner Familienmitglieder, die Armut und Verwundbarkeit der Familie im Heimatland zu reduzieren, wobei ein Erfolg der Migration nicht gesichert ist (Ellis 2003:5f.). Generell drückt Ellis aus, dass weiter entwickelte Haushalte mit diversen Einkommensquellen besser mit Risiken und Katastrophen umgehen können. Umso mehr Einkommensquellen zur Verfügung stehen, desto geringer sei auch ihre Verwundbarkeit einzustufen. Remesas können Verwundbarkeit und Armut also verringern (Ellis 2003:7).

3.4. Grenzen

Ein zentraler Aspekt, der mit internationaler Migration zusammenhängt, ist das Übertreten von Grenzen, wobei die Bedeutung von Grenzen über die geographische Trennung von Räumen hinausgeht. Im Kontext von internationaler Migration wurde bislang festgestellt, dass Gefahren grenzüberschreitende Ursachen haben können und zur Selektion von Migranten_innen dienen (vgl. Kap. 3.3.3). Im Folgenden werden weitere, Migration beeinflussende Eigenschaften von Grenzen ausgeführt.

Die erste etablierte Definition bezeichnete eine Grenze als den Rand eines Raumes, der verschiedene Territorien voneinander trennt. Jede Seite ist einer Form von Herrschaft unterworfen und funktioniert wie ein natürlicher und notwendiger Körper (Ratzel 1897:519f). Grenzen regulieren nicht nur den Übertritt durch Personen und Güter. Die Abgrenzung von Gebieten verfolgt auch das Ziel, zwischen Lebensweisen zu unterscheiden. So sind sie ein Element, das Normativität definiert und beschreibt (z.B. die juristischen, ökonomischen und linguistischen Regeln). Außerdem sind Grenzen errichtete Schranken, um Souveränität und Sicherheit dieser Normativität zu definieren und zu bewahren. Sie sind das Ergebnis von Kämpfen um Macht und funktionieren, um Unterschiede aufrechtzuerhalten, die durch die Grenze selbst existieren. In diesem Sinne werden sie errichtet, um einen Nationalstaat abzutrennen und die Nation von anderen Lebensweisen (sozial, politisch, kulturell, und ökonomisch) zu isolieren (Bigo 1999:95).

Grenzen werden klar markiert, was sich auf transnationale Prozesse und Veränderungen zurückführen lässt, die durch die Globalisierung beschleunigt werden (Ruiz 2001:271). Die Grenzfrage entstand bereits Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, als diese sich als Feld der exklusiven Rechtssprechung unter der Leitung einer zentralen Autorität etablierte. Die Abgrenzungen wurden zu einem Mechanismus, um begrenzte Gebiete zu verwalten und juristisch zu verteidigen. Historisch gesehen ist die Sicherung der Grenzen eine Veränderung der Grenzgebiete, der so genannten buffer zones, die sich in klar gezogenen Linien, Kontrollen und der Sicherung an den Übergängen ausdrückt. So wuchsen und intensivierten sich Interaktionen und gegenseitige Abhängigkeiten zwischen angrenzenden Gebieten (Kratochwil 1986:33).

Eine der zentralen Funktionen von Grenzen ist zudem, den Austausch von Waren und Personen zu messen. In diesem Sinne verschärfen Grenzen Prozesse, die ohnehin schon passieren. Grenzräume nehmen so einen besonderen Stellenwert unter den nationalstaatlichen Interessen ein. Im Kontext der Globalisierung resultiert daraus, dass die teilenden Grenzräume aus den Interessen der nationalen Agenda besonders hervorstechen. Sie teilen Kontaktpunkte und Räume benachbarter Völker. Zugleich findet an ihnen eine Überbewertung des Nationalen auf Kosten der Anrainer statt. Dabei stehen sie im Widerspruch zum modernen Nationalstaat, der besteht, um das Prinzip der Souveränität zu wahren (Ruiz 2001:271 f.) Sie werden erst seit dem Zweiten Weltkrieg als starre Abgrenzung eines Gebietes verstanden wird (Garduño 2003:6).

Zugleich sind viele Grenzen nur in geringem Maße staatlicher Kontrolle unterworfen, da die meisten Grenzen durch Wälder, Wüsten oder Berge verlaufen. Durch den geringen Grad an Kontrolle scheinen sie attraktiv für Kriminelle und Rebellen. Außerdem bieten sie Schutz für nicht konforme Gruppen wie Einwanderer. Grenzräume sind somit in besonderem Maße von sozialer und kultureller Diversität geprägt. Hier werden bewaffnete Konflikte ausgetragen und Widerstände gegen Wandel und Kontrolle durch den Staat sind besonders hoch. Assimilierungs- und Akkulturationsdruck bleiben gegenüber Zentren jedoch moderat (Hall 2000:247). Grenzen ethnisieren und beeinflussen Identität (Ruiz 2001:274f.). Durch die Globalisierung werden sie durchlässiger und so paradoxerweise wichtiger. Gleichzeitig werden sie mit Zollbeamten, regionalen und globalen Kräften in Verbindung gebracht, die sie verschwommener und offener erscheinen lassen (Tejeda Gonzáles 2004:73). Seit ihrem Entstehen sind sie als Orte fassbar, an denen die nationale Integrität in Gefahr sein könnte. Deshalb werden sie als Räume der Angst oder Unruhe und Schlüssel zur Sicherung der nationalen Souveränität verstanden (Ruiz 2001:272). Der Anstieg der gegenseitigen Abhängigkeiten führt schließlich dazu, dass Migration und Grenzbetrieb das Angesicht nationaler Gemeinschaften verändern (Tejeda Gonzáles 2004:73).

Das Konzept des Transnationalismus (s.o.) führt von einer fernen und peripheren Grenze zu einer Grenze des Zentrums und wird so zu einem Symbol für den ersten sozialen Raum, an dem Globalisierung stattfindet. Somit wird die vermeintlich unzerstörbare Natur von Grenzen infrage gestellt und die eindimensionale geographische Referenz entzogen. Grenzen sind nicht nur eine Linie, sonder in ihrer unmittelbaren Umgebung zugleich eine Region, in der zwei oder mehrere Kulturen, Gesellschaften, ethnische Gruppen oder Produktionsweisen miteinander in Kontakt treten (Hall 2000:247). In diesem Sinne erhöhen transnationale Prozesse der Globalisierung den Austausch von Kapital, Waren und Personen. Gemeinschaft, soziale Netzwerke, Kultur und Identität werden infrage gestellt, da sie nun nicht mehr als geschlossen betrachtet werden können. Die transnationale Perspektive verbindet Individuen mit strukturellem Wandel und legt ein dynamisches, kreatives und reaktionsfähiges Verständnis von Grenzen nahe (Garduño 2003:17). Diese starre offizielle Abgrenzung ist also gleichzeitig ein Ort der Flexibilität, an dem ständig kultureller Austausch stattfindet. So werden Grenzen auch als teilende Räume und zugleich Räume des Austausches metaphorisiert (Alvarez 1995:449).

3.5. Das Zusammenspiel von Risiko, Migration und Grenze

Bei der Erklärung von nicht dokumentierter Transitmigration wirken Theorien zur Erklärung von Risiko, Grenze und Migration zusammen. Sie werden im Folgenden zusammengeführt, um die Grundlage für den nachfolgenden Analyserahmen zu schaffen. Um den kosmopolitischen17 Risikokonflikt zu durchdringen, müssen die Zusammenhänge der Marginalisierung der Migranten_ innen sowohl historisch, als auch mit Zukunftsbezug betrachtet werden. Die Quellen von Verarmung liegen dabei weitgehend innerhalb der Beziehungen zwischen über- und untergeordneten sozialen Einheiten (Beck 2007:318), wobei individuelle und soziale Aspekte der Verwundbarkeit von Migranten_innen berücksichtigt werden müssen (Meza González 2009:10). Grundpfeiler dieses Systems, in dem den Angehörigen der obersten Schichten die Ausbeutung der untersten erlaubt ist, stellen soziale und nationalstaatliche Grenzen (Potts 1988:257), sowie die Ethnisierung von Arbeitskraft über Kriterien wie Staatsangehörigkeit und sozialen Hintergrund dar (vgl. Kap. 3.3.3).

3.5.1. Migration als Bedrohung

Für die Wahrnehmung von Migranten_innen als Risiko in Transit- und Zielländern spielen der fehlende Zugang zu Ressourcen und das Konzept der Verwundbarkeit entscheidende Rollen. Ihre Armut und Herkunft werden mit Kriminalität assoziiert und so wird davon ausgegangen, dass sie die nationale Sicherheit sowie den Zugang zu Ressourcen und wohlfahrtstaatliche Sicherheit in Gefahr bringen könnten (Ruiz 2001:267f). Es geht z.B. um die Sicherheit von Arbeitsplätzen, die allgemein als elementar für ein würdiges Leben angesehen werden. Um diese Werte zu verteidigen, werden grenzübergreifende Folgen in Kauf genommen. Migranten_innen werden in einer schematisierenden Weltsicht, die ihre Wurzeln in den ersten ausgedehnten Aufeinandertreffen zwischen westlichen und nicht westlichen Gesellschaften hat, als das Andere dargestellt und zurückgewiesen. So vergleicht Huntington Migration von Mexikanern_innen in die USA mit einer Invasion und einem Angriff auf die nationale Sicherheit Nordamerikas. Er bezieht sich dabei auf die vorgebliche Überlegenheit des Nordens gegenüber dem Süden, Entwicklung und Unterentwicklung, Zivilisation und Barbarei, also Dichotomien die in Diskursen auftauchen, in denen Migranten_innen als Gefahr beschrieben werden (2004:12f,283,287f,293,388,396f). Für diese Unterscheidungen sind Staatsgrenzen mit verantwortlich, da sie nicht nur physisch überwunden werden müssen, sondern auch sozial konstruierte Unterschiede begründen. Die Sicherheit des Staates ist laut Bigo schon immer eine Frage der Kontrolle von Personen gewesen (1999:81), die es notwendig gemacht hat, diese Bedrohung zu kontrollieren, festzulegen, wer einreisen und bleiben darf, die Eintrittsorte festzulegen, Kontrollmechanismen zu entwickeln und zu instrumentalisieren. So nehmen Grenzen vor allem in der Politik der Zielländer einen besonderen Stellenwert ein, da diese hier ihre nationale Identität zu verteidigen versuchen (Ruiz 2001:273).

Mit dem Übertreten von Staatsgrenzen in Transit- und Zielländer laufen Migranten_innen in eine Art Filter hinein, an der eine Lebensweise verteidigt wird und der Staat sich gegen Unterwanderung durch das Fremde schützt. Aus diesem Grund werden nationale Trennungen ständig verfeinert und verfestigt, sowie der Grad an gestattetem Austausch neu definiert (Ruiz 2001:275). Die Übertretung einer Norm seitens der Migranten_innen dient den Transit- und Zielländern zur Rechtfertigung der bedingungslosen Suche nach Migranten_innen. Werden die Migranten_innen gefunden, kann sich der Kontakt zwischen Abschiebung und Missbrauch bewegen. Die Grenzen, vorgestellt als Orte unter Bewaffnung, werden zu Orten an denen sich diese Trennungen konzentrieren und normalisieren. Steigende Migration führt dabei zu stärkerer Überwachung von Bevölkerungsbewegungen. Die reelle, potenzielle, vermutete und gefürchtete Verschiebung von Grenzen verändert diese an kritischen Punkten und dient der Erweiterung von Mechanismen zum Eingriff. Die Grenze wird generell zum Schlüsselpunkt nationaler Sicherheitspolitik (Ruiz 2001:272,277,280).

In Transit- und Zielländern unterscheidet sich die Wahrnehmung von Migranten_innen jedoch, da in Transitländern davon ausgegangen wird, dass die Migranten_innen das Land nach kurzer Zeit wieder verlassen. Anders als in Zielländern werden sie nicht zur Zielgruppe der Politik. Dass sie oft im Transitland arbeiten, um ihre Weiterreise finanzieren zu können, Geld ausgeben, konsumieren, die Sprache lernen und Bedürfnisse wie medizinische Versorgung und Bildung haben, spielt kaum eine Rolle (Papadopoulou-Kourkoula 2008:7).

Migranten_innen sind Objekte des Risikos: greifbar, benennbar und mobil. Sie werden auf einfache und andauernde Weise in viele konkurrierende Diskurse einbezogen. Migranten_innen und Risiko stehen miteinander in Verbindung und so werden Identitäten und Lebensarten auf persönlicher und nationaler Ebene erzeugt und reproduziert. Diese Prozesse äußern sich in sozialem, kulturellem und ökonomischem Wandel. Durch die Globalisierung bewegen sich Kapital und Personen immer schneller. Die Frage, was unter Nation verstanden wird und was die persönliche Identität ausmacht, löst Kämpfe zwischen Personen, Gruppen und Institutionen aus und wirkt sich auf die Bedürfnisse und Anforderungen der Staatsbürgerschaft aus (Ruiz 2001:269). In der Folge wird eine begrenzte Bevölkerungsgruppe normalisiert und kann sich als zentrale Autorität und letztendlich als dominante Gruppe etablieren. Diese dominante Gruppe versucht sich zu etablieren, imponieren und ihr Territorium, ihre Normen, Gesetze und Werte auszuweiten, die im Sinne der Bewohner anerkannt werden müssen (Bhabha 1994:149). Das daraus resultierende juristisch administrative System verhindert, dass Migranten_innen in der Gesellschaft arbeiten, Familien gründen, ein soziales Leben führen als Ausländer und mit Lebensformen, die oft auf die Umgebung befremdlich wirken (Ruiz 2001:270).

3.5.2. Migration als Risiko

Dabei geht es für die Migranten_innen um dieselben Ressourcen wie für die Gesellschaften der Transit- und Zielländer. Während die Zielländer sich vor Katastrophen schützen wollen, ist nicht dokumentierte Migration eine Reaktion auf bereits eingetretene Katastrophen und kann als Strategie der Migranten_innen verstanden werden, um mit dem Armutsrisiko in den Herkunftsländern umzugehen, von dem sie bereits betroffen sind (Ruiz 2001:266).

Die potenziellen Migranten_innen stehen am Ende einer langen Kette von globalen Einflüssen, an denen sich die industrielle Globalisierung schädlich auf ihre Lebensgrundlage, z.B. die traditionelle Subsistenzwirtschaft und kleinbäuerliche Betriebe, auswirkt. Ihnen fehlen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten, soziale Absicherung und Zugang zu lokalen Entscheidungsprozessen, während die Oligarchien der Herkunftsländer Zugang zur Weltwirtschaft haben und Kapital akkumulieren, von dem die untergeordneten Klassen ausgeschlossen sind (vgl. Kap. 3.3.3). Diejenigen, die sich auf die Reise begeben, sehen keinen anderen Ausweg mehr. Ziel sind die remesas, also Rücküberweisungen, die die Migranten_innen in ihre Herkunftsländer senden und so die Einkommensmöglichkeiten ihrer Familien streuen und den fehlenden Zugang zu Krediten und Versicherungen überbrücken können, um die Verwundbarkeit ihrer Familien reduzieren. Der fehlende Zugang zu Ressourcen, der ihre Lebenssituation im Herkunftsland verwundbar macht, verhindert zugleich die Möglichkeit, die Verwundbarkeit während der Reise zu reduzieren. Nicht dokumentierte Migration wird somit zu einem Risiko an sich (Ruiz 2001b:33).

“[...] la migración indocumentada es una actividad de riesgo en si, puesto que los y las migrantes enfrentan una multiplicidad de peligros. También se infiere que la situación de riesgo es una consecuencia de la manera en que la población migrante se inserta en los sistemas socioeconómicos y políticos de los países de origen, de paso y de destino. Por su falta de recursos, es imposible que el migrante consiga visa para ir a los Estados Unidos, tome transportes seguros en vez del tren carguero o tenga lugares invulnerables donde hospedarse al cruzar una frontera internacional.” (Ruiz 2001b:33).

Generell kann das Eintreten bestimmter Risiken auf der Reise tiefe und anhaltende Folgen in vielen Bereichen des persönlichen Lebens einer Person bedeuten und sogar bis zur totalen Desintegration führen. Risiken während der Transitmigration sind also vielfältig und können mit schwerwiegenden Konsequenzen verbunden sein. Dass Nichtdokumentierte mit der Reise Risiken in Kauf nehmen, muss nicht rational erklärbar sein, da sie sich beim Treffen der Migrationsentscheidung nicht vollständig über die Risiken der Reise bewusst sein müssen und diese in Folge eines eingetretenen Risikos getroffen wird (Ruiz 2001b; Cashdan 1990:4).

3.5.3. Ausbeutung

Das durch Eliten gesteuerte Labour supply system lässt Migranten_innen durch das so genannte „Loch in der Mauer“ (vgl. Kap. 3.3.3) ins Zielland einreisen. Durch selektive Migrationskontrollen und Sicherung der Grenzen kommen nur die intelligentesten und leistungsfähigsten Migranten_innen im Zielland an. Um die Lohndifferenz des segmentierten Arbeitsmarktes zu erhalten, werden die Nichtdokumentierten illegalisiert und zur Ursache der Aufrüstung von Grenzen reduziert. Sie werden von sozialen und staatsbürgerlichen Rechten ausgeschlossen. Nur so können die Ökonomien der Transit- und Zielländer die Arbeitskraft der Migranten_innen ausbeuten und von ihnen profitieren.

„Mediante el uso de documentos falsos, 12 millones de inmigrantes ilegales viven y trabajan en Estados Unidos. Se trata de un sistema de simulaciones en el que todos participan (autoridades, empresarios, falsificadores e indocumentados), pero en el que sólo éstos últimos resultan responsables. [...] El mecanismo es, en apariencia, simple: un inmigrante obtiene empleo si presenta papeles que acrediten su estancia legal en este país. Para ello, acude a los falsificadores, quienes, en cuestión de horas, le entregan una tarjeta de residencia (llamada comúnmente “mica”) o una tarjeta de seguridad social. Cuando el inmigrante ilegal es contratado por un empresario, éste debe reportar dicha contratación a las autoridades y enviarles el número de seguridad social. Si éste es falso y la operación es descubierta, la responsabilidad recae sobre el trabajador, que puede ser sujeto a un juicio y deportado. El empleador corre poco riesgo, debido a que no tiene obligación legal de verificar la autenticidad de los datos del solicitante de empleo. En el peor de los casos le pueden imponer una multa. Durante el tiempo que trabaja, el inmigrante paga impuestos y cotiza en el sistema de seguridad social. Como lo hace con identidad y número falsos, no puede reclamar devoluciones ni solicitar ayudas y prestaciones sociales; entrega ese dinero sin obtener nada a cambio. De esta manera se institucionaliza un sistema de simulaciones: los indocumentados existen para pagar impuestos, realizar trabajos que los estadounidenses no desean y recibir salarios por debajo de lo que marca la ley. No existen para ejercer sus derechos laborales, ni para recibir los beneficios de la asistencia social.” (Proceso 2006).

Während sie die Verwundbarkeit ihrer Familie im Herkunftsland reduzieren, bleiben sie im Zielland verwundbar und ermöglichen der Bevölkerung des Ziellandes soziale Aufwärtsmobilität. So reproduzieren nationale Grenzen die internationale Teilung von Arbeit und Netzwerke, gleichbleibender Migrationsdruck und anhaltende Nachfrage an niedrig bezahlter Arbeitskraft, die nicht dokumentierte Migration (vgl. Kap. 3.3.5).

3.6. Zwischenfazit

Während der Transitmigration sind Migranten_innen Risiken ausgesetzt. Sie werden zu Opfern von Gefahren, die durch die Gesellschaften der Herkunfts-, Transit- und Zielländer geschaffen, akzeptiert und ignoriert werden (Ruiz 2002). Dass sie dabei unabhängige Akteure bleiben, wird in der Migrationsforschung selten bedacht, denn nicht alle potenziellen Migranten_innen migrieren. Einige werden durch die Risiken der Reise auch abgeschreckt. Die meisten Menschen suchen keinen ökonomischen Vorteil im Ausland, wenn sie dies vermeiden können (Welkmann/ Reese 2010:75). Die prekäre Situation sowie die Risikobereitschaft der Migranten_innen spielen in der Transitmigration wichtige Rollen. Die Migranten_innen überwinden eine Grenze, nehmen eine rechtliche und politische Abwertung in Kauf, gehen zahlreiche Risiken ein und versuchen, diese durch das Zurückgreifen auf Netzwerke und andere Strategien zu mindern.

Migration wird aus zwei verschiedenen Perspektiven als Risiko wahrgenommen. Für die Migranten_ innen ist nicht dokumentierte Migration ein Risiko, da sie Risiken ausgesetzt werden, an denen Zentren und Oligarchie schuld sind (Ruiz 2001a). Die Zielländer sehen sich jedoch als Opfer von Gefahren wie dem möglichen Verlust von Arbeitsplätzen, Kriminalität und Krankheiten, die von den Migranten_innen ausgehen können. Um sich vor diesen Risiken zu schützen, rüsten sie ihre Grenzen auf und illegalsieren Migration. Sie nehmen die Gründe der Migranten_innen zu migrieren kaum wahr und sehen das Fremde oft als Gefahr und Angriff auf die eigene, nationale Identität an.

Die Verwundbarkeit der Migranten_innen ist dem System eigen und leitet sich aus ihm ab. Der Bedarf an billigen Arbeitskräften und die Migrationspolitik im Zielland gehen weit auseinander, denn durch die Illegalisierung von Migranten_innen kann der segmentierte Arbeitsmarkt des Ziellandes erhalten bleiben. Die Eliten kontrollieren den Weltmarkt von industrialisierten Zentren aus, expandieren in die Peripherie und sind direkt für den Migrationsdruck mit verantwortlich, da nicht genügend Arbeitsplätze für die Landbevölkerung entstehen und diese in Subsistenzwirtschaft und den informellen Sektor abrutschen. Ziel der rechtlichen Abwertung der Migranten_innen ist die Erhaltung des geteilten Arbeitsmarktes. Der rechtlose Status der Migranten_innen wirkt sich insofern in einer Metaphorisierung der Migration aus, als das sich die Wahrnehmung der Migranten_ innen als illegal in der Kultur eines Landes widerspiegelt (Ruiz 2001a).

4. Migration aus Mexiko und Zentralamerika in die USA

4.1. Umfang und historische Kontextualisierung

Die größten Herkunfts- und Zielregionen von Migration weltweit liegen in Nordamerika. Jedes Jahr verbringen zwischen ein und zwei Millionen Mexikaner_innen einen Zeitraum von mehr als drei Monaten in den USA, von denen sich mehr als 300.000 ohne Aufenthaltserlaubnis niederlassen und versuchen, einen legalen Status zu erhalten (IOM/ UN 2000:235).

2008 lebten insgesamt 46,8 Millionen Menschen in den USA, die ihre Herkunft laut einer Umfrage des Pew Hispanic Center selbst lateinamerikanischen Ursprungsländern zuordneten (PHC 2008) und machten somit mehr als 15% der gesamten Bevölkerung der USA aus18 (U.S. Census Bureau 2010). Knapp 66% von Ihnen waren Mexikaner_innen und 11% stammten aus Zentralamerika (vgl. Abb. 5; PHC 2008). Generell stammt der größte Anteil der Migranten_innen, die in die USA reisen, aus Mexiko und Zentralamerika. Südamerikanische Länder machen einen vergleichsweise geringen Anteil an Einwanderung aus (IOM/ UN 2000:235).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: In den USA lebende Zentralamerikaner_innen (eigene Darstellung nach PHC 2008).

Von den so genannten Chicanos 19 sind nur etwa 37% in Mexiko geboren, während 62% der Zentralamerikaner_innen in ihren Herkunftsländern geboren wurden (PHC 2008). Grund dafür liegt in der Geschichte. Mitte des 19. Jahrhunderts verlor Mexiko knapp die Hälfte seines Territoriums an die USA (Geoffrey/ Dorpalen 1998:106). Außerdem wurde die mexikanische Migration in die USA früher als die zentralamerikanische in Gang gesetzt. In Mexiko wurden in den 1940er und 1950er Jahren Migranten_innen angeworben, um vor allem in der US-amerikanischen Landwirtschaft zu arbeiten (Parnreiter 2000:30, IOM/ UN 2000:249). Migration aus Zentralamerika in die USA begann erst in den 1980er Jahren vermehrt stattzufinden. Damals flüchteten viele Menschen vor allem aus Guatemala und El Salvador vor den Bürgerkriegen nach Mexiko (Grenz 1986:77, vgl. Abb. 6) und migrierten von dort aus in die USA weiter (IOM/ UN 2000:249). Insofern ist der Zuzug zentralamerikanischer Migranten_innen jüngeren Datums, während Mexikaner_innen seit mehr Generationen in den USA leben.

4.1.1. Legale und nicht dokumentierte Migration aus Zentralamerika in die USA

Die USA haben sowohl Kosten wie Nutzen von Immigration. Nach ihrem Selbstverständnis als Einwanderungsland ist ihr nationales Interesse laut US Commission on Immigration Reform (CIR):

„[...] a properly regulated system of legal immigration is in the national interest of the United States“ (CIR 1997 in IOM/ UN 2000:241).

In diesem System werden Staatsangehörige anderer Länder bevorzugt, die in enger Verwandtschaft mit US-Staatsbürger_innen stehen, die nachgefragte berufliche Qualifikationen mitbringen, die aus Staaten mit relativ geringen Einwanderungszahlen in die USA kommen oder Flüchtlingsstatus haben bzw. anerkannte Asylbewerber sind (Monger/ Rytina 2009:1). Laut Daten des U.S. Department of Homeland Security lebten 2008 1.130.818 legale Einwanderer_innen in den USA. Der größte Anteil von Ihnen stammt aus Asien (36,5%), gefolgt von Nordamerika (33,2%). Die meisten legalen Immigranten_innen aus Nordamerika kommen aus Mexiko (14,6%), wenige aus Kanada und nur 4,2% (47.868) stammen aus Zentralamerika (Monger/ Rytina 2009:4).

Bei einer Betrachtung der Visavergabepraxis wird deutlich, dass diese die Immigration enorm erschwert. Der Anteil der legal in den USA lebenden Zentralamerikaner_innen macht nur 0,1% der Bevölkerung Zentralamerikas aus. Insgesamt wird die Zahl der in den USA lebenden zentralamerikanischen Migranten_innen dennoch als hoch eingestuft, da viele versuchen, ohne Visum in die USA zu gelangen. Schon um ein Touristenvisum für die USA zu bekommen, müssen Staatsangehörige zentralamerikanischer Länder glaubhaft machen, ihren Wohnsitz außerhalb der USA zu haben und in stabilen Lebensverhältnissen zu leben. Der Grund dafür ist, dass jede Bewerber_in für ein Visum potenziell als dauerhafte_r Einwanderer_in gilt, bis er oder sie der oder dem jeweiligen Botschafter_in oder Konsul überzeugt haben, dass sie die USA nur besuchen wollen. Außerdem müssen sie einen nachvollziehbaren Grund angeben, um die USA zu besuchen. Ihre Reise in die USA muss von begrenzter, genau festgelegter Dauer sein. Sie müssen genügend Geld haben, um die Kosten der Reise selbst decken zu können. Außer den erforderlichen Dokumenten, wie z.B. Kontoauszügen, Einkommen und Kreditkarte, müssen sie bei dem zuständigen Generalkonsul vorsprechen. Diese_r darf subjektive Entscheidungen fällen, ohne sich die vorgelegten Dokumente anzusehen20. Da die Migranten_innen, um die es in dieser Arbeit geht, das ausdrückliche Ziel haben in den USA zu arbeiten, kommen sie für ein Touristenvisum nicht infrage, mit dem sie theoretisch als so genannte overstayer in den USA bleiben könnten.

Auch um nach Mexiko einreisen zu können, benötigen Menschen aus Zentralamerika ein Visum, dessen Anforderungen eng an die für ein US-Visum geknüpft sind. Bürger_innen aus Zentralamerika, die bereits über ein Visum für die USA verfügen, bekommen ohne Weiteres ein so genanntes Transitvisum ausgestellt (INM 2010c; Victal Adame 2004:78). Für Menschen, die von Armut betroffen sind, ist es entsprechend schwierig, Papiere für die Einreise nach Mexiko und die USA zu erhalten (Interview mit Antonio Torres, September 2006 in Arriaga).

Von mehr als einer Millionen Zentralamerikaner_innen in den USA haben nur 47.868 Personen einen legalen Aufenthaltsstatus. Diese geringe Zahl lässt sich auch darauf zurückführen, dass die Migrationspolitik der USA Mitte der 1990er Jahre zulasten der Immigranten_innen ausgelegt war. So genannte kriminelle Ausländer und illegale Einwanderung waren Themen größerer legislativer Veränderungen im Jahr 1996. Damals wollten die meisten US-Bürger_innen Einwanderung generell und besonders so genannte illegale Einwanderung reduzieren, obwohl ein wirtschaftlicher Aufschwung für die niedrigste Arbeitslosenquote seit drei Jahrzehnten sorgte (IOM/ UN 2000:242f.). Insgesamt geht das Center for Immigration Studies von 10,8 Millionen Menschen aus, die im ersten Quartal 2009 ohne gültige Aufenthaltspapiere in den USA lebten (Camarota/Jensenius 2009:1)21. 8,5 Millionen von ihnen stammten aus Nordamerika, die meisten von ihnen aus Mexiko (62%), El Salvador (5%), Guatemala (4%) und Honduras (3%).

Die Quantität der Migrationsbewegungen aus diesen Ländern ist bemerkenswert. So stieg die Anzahl nicht dokumentierter Mexikaner_innen in den USA zwischen 2000 und 2009 um 220.000 pro Jahr von 4,68 Millionen auf 6,65 Millionen.

Nach Mexiko sind auch die zentralamerikanischen Länder El Salvador, Guatemala und Honduras wichtige Herkunftsländer nicht dokumentierter Migranten_innen in den USA. Die Anzahl der nicht dokumentierten Migranten_innen aus El Salvador stieg um 10.000 pro Jahr auf 530.000, aus Guatemala um 20.000 pro Jahr auf 480.000 und aus Honduras um 20.000 pro Jahr auf 320.000. Nur 1% der nicht dokumentierten Immigranten_innen stammte aus Asien, wobei ihr Anteil im Verhältnis zu Mexiko und Zentralamerika stark zurückging (Hoefer et al. 2009:4).

Im Verhältnis zur gesamten Bevölkerung dieser Länder, sind diese Zahlen von großer Bedeutung. Acht Prozent der Bevölkerung aus El Salvador leben in den USA, 3,4% der Guatemalteken_innen und 3,9% der Honduraner_innen. Nicht dokumentierte Mexikaner_innen in den USA im Vergleich machen 5,6% der gesamten mexikanischen Bevölkerung aus (eigene Berechnung aus CIA 2010; Hoefer et al. 2009:4). Demzufolge ist Migration aus Zentralamerika in die USA als ebenso bedeutsam einzustufen wie die aus Mexiko. Zieht man die aus Umfragen hoch gerechneten Daten des Pew Hispanic Centre hinzu, steigt deren Bedeutung noch. Den Ergebnissen zufolge machen in den USA lebende El Salvadorianer_innen sogar 25,8% der gesamten Bevölkerung El Salvadors aus. Für Zentralamerika insgesamt sind es 8,4% und Mexiko 27,7%. Bei diesem Umfragen wurden Menschen in den USA systematisch danach befragt, welcher Herkunft sie sich zuordnen (Daten: CIA 2010; PHC 2008).

4.2. Ursachen und Ziele

Die Migranten_innen verlassen ihre Herkunftsländer aus verschiedenen Gründen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht alle erfasst werden können. Die Auseinandersetzung mit der Argumentation der Migranten_innen, weshalb sie migrieren, ist jedoch notwendig, um verstehen zu können, weshalb sie sich überhaupt den Risiken der nicht dokumentierten Migration durch Mexiko aussetzen.

Ihren Anfang nahmen die Migrationsbewegungen in den Bürgerkriegen der 1980er Jahre. Damals wanderten viele Zentralamerikaner_innen in Nachbarländer und die USA aus (IOM/ UN 2000:254). Für Jorge Campos von der guatemaltekischen Beratungsgesellschaft PCS waren die Kriege Folge von Armut, sozialer Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus. In diesem Sinne ist Migration für ihn ein:

„[...] Produkt der sozialen Strukturen, die sich noch immer in den lateinamerikanischen Ländern finden lassen“ (Campos in Löding 2009:6).

Die zentralamerikanische Ökonomie steht in Abhängigkeit von den Vorgaben der USA und der EU. Löding zufolge werden die Verlierer des Marktes in diesem System ausgeschlossen und spricht von einem „unmenschlichen Status quo“, der im Interesse der Politik ist und bei dem Migranten_ innen auf der Strecke bleiben (Löding 2009:6f).

4.2.1. Negative Auswirkungen wirtschaftlicher Globalisierung

Durch die Globalisierung ist der Austausch von Waren, Dienstleistungen, Geldsendungen, Ideen, Informationen und Menschen angestiegen, wobei die Mobilität von Arbeitskraft von den empfangenden Gesellschaften nicht gleichberechtigt angenommen wurde (Zárate Hoyos 2008:1ff.). Starken Einfluss auf die Wirtschaft der Region hat ein Freihandelsabkommen der Länder Zentralamerikas und der Dominikanischen Republik mit den USA, das Dominican Republic-Central America Free Trade Agreement (DR-CAFTA).

2004 löste dessen Unterzeichnung in den zentralamerikanischen Ländern und den USA massive Proteste aus. Wirtschaftsverbände der USA befürchteten die Gefährdung nationaler Arbeitsplätze und zentralamerikanische Unternehmen die überlegene wirtschaftliche Konkurrenz der US-Wirtschaft. Einer der größten Kritikpunkte an dem Abkommen ist, dass die Länder ihre niedrigen Umwelt- und Arbeitsstandards beibehalten dürfen. Das Abkommen garantiert US-Firmen unbeschränkten Marktzugang in Zentralamerika, dessen Länder ihre Importhürden bis 2015 abgebaut haben sollen. Das Abkommen schadet den sozial schwächsten Menschen in Zentralamerika und vergrößert die soziale Ungleichheit (Huhn/Löding 2007:1f). Erste negative soziale Folgen sind bereits zu spüren (Huhn/ Löding 2007:4f). Doch nicht nur die USA üben wirtschaftlichen Druck auf die Länder Zentralamerikas aus. Beim sechsten EU-Lateinamerika Gipfel am 18.05.2010 in Madrid schloss die EU ein erstes so genanntes Assoziierungsabkommen mit den zentralamerikanischen Ländern ab (Koblofsky/ Maaser 2010:17; Bechle 2010:1). Von dieser Freihandelszone profitieren auch zentralamerikanische Exporteure, die vor allem Lebensmittel in die EU exportieren. So genannte agroindustrielle Konglomerate 22 unterhalten in Zentralamerika gigantische Monokulturen, für die sie Regenwälder abholzen, Grundwasser mit Pestiziden vergiften und Kleinbauern und -bäuerinnen vertreiben (Löding 2010:1). Die zentralamerikanische Landwirtschaft wird zugleich durch radikale Marktwirtschaft ohne Zollschranken und subventionierte europäische Agrarprodukte unter Druck gesetzt. Problematisch ist, dass der Vertrag weder die strukturelle Asymmetrie zwischen den Regionen berücksichtigt, noch Agrarsubventionen der EU zur Verhandlung stellt (Koblofsky/ Maaser 2010:17). Folge ist unter anderem, dass viele Zentralamerikaner_innen, die von Hunger bedroht sind, sich die für den Export bestimmten Produkte selbst nicht leisten können (Löding 2010:1).

Die Angst, dass US-amerikanische und europäische Agrargüter im großen Stil in Zentralamerika vermarktet werden und die regionale Landwirtschaft schwächen, ist berechtigt. Die Migration von Zentralamerikaner_innen wird sich durch wachsende soziale und wirtschaftliche Ungleichheit voraussehbar verstärken, zumindest solange sich die wirtschaftliche Situation in den Herkunftsländern nicht verbessert sondern vertieft (Löding 2010:1). Kritiker_innen verurteilen das Assoziierungsabkommen deshalb als „neokoloniales Projekt“. Unabhängig von den Auswirkungen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) sind bereits heute viele Menschen vom Armutsrisiko betroffen. Es gilt zu befürchten, dass sich die Problemzusammenhänge durch das Freihandelsabkommen weiter verschärfen (Koblofsky/ Maaser 2010:17).

Jos é Demis aus Guatemala möchte seine Armutüberwinden. Die Wirtschaft hält er für hinterhältig, denn durch Arbeit allein kann er den Unterhalt für seine Familie nicht aufbringen. Er hat bereits in Carolina gearbeitet und schwärmt von der wundervollen Freiheit, die er dort erlebt hat. Er kann zu seinem Arbeitgeber zurückkehren. Ziel seiner Reise ist, seine Familie finanziell zu unterstützen. Dieses Abenteuer und diese Risiken nimmt er für seine Kinder, seine Frau, Eltern und Großeltern auf sich, um ihnen ein wenig mehr zu bieten, als nurüberleben zu können. In spätestens fünf Jahren möchte er zu ihnen zurückkehren (Interview mit Jos é Demis, September 2006 in Tapachula).

4.2.2. Armut

So wie bei José Demis ist bei den meisten Migranten_innen die Armut23 in den Herkunftsländern das Hauptargument, wenn sie erklären, weshalb sie auf dem Weg in die USA sind. Von den 2006 aus Mexiko abgeschobenen Migranten_innen, die auf dem Weg in die USA waren, verdienten 75,2% zwischen ein und zwei Mindestlöhnen24 pro Tag (INM 2009 et al.:131). Sie sehen keine Möglichkeit ein würdiges Leben in ihren Herkunftsländern zu führen, da die Löhne niedrig sind. Durch Arbeit in den USA hoffen sie, sich aus der schlechten wirtschaftlichen Situation, in der sie sich befinden, befreien zu können25. Jeden Tag machen sich Menschen wegen der Wirtschaftskrise von 2009 auf den Weg in die USA. Ihre Regierungen stellen nur unzureichend soziale Absicherung bereit.

„[…] si estuviéramos honestamente en el centro de lo humano, que somos una persona que tiene vida y queremos seguir adelante, queremos tener principios, queremos tener una casa digna para vivir y queremos tener un trabajo, un recurso económico para tener los alimentos [...] (Interview mit Donar Ramírez, September 2006 in Tapachula)26.“

Die Schuld für den fehlenden Zugang zu diesen Werten, die im internationalen Menschenrechtsdiskurs wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Rechte) genannt (AI 2010:4) werden, weisen die Migranten_innen der Politik zu. Als größtes Problem sehen sie Korruption an. Nach Ansicht von Donar Ramírez haben alle bisherigen Präsidenten und Regierungen in Honduras das wenige vorhandene Geld veruntreut. Die Versprechen der Politiker_innen, den Armen zu helfen und ihnen Häuser zu bauen, seien pure Lügen, da diese immer mehr Reichtum an sich reißen und von niemandem kontrolliert werden (Interviews mit Julio Sandigo, Donar Ramírez, Eyder Lira, September 2006 in Tapachula). Oft wirken auch Migranten_innen, die bereits erfolgreich remesas verschicken oder in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt sind, als Vorbilder auf andere von Armut betroffene Menschen. So verstärken sie den Migrationsdruck durch das offene Zur-Schau-tragen ihres neuen Reichtum. Zeiske nennt dies einen Materialismus, der ethische Werte negiert und die Wahrnehmung der eigenen Armut erst möglich macht (Zeiske 2010:237). Beispielhaft kann der Fall von Antonio Torres aus Honduras angeführt werden. Er verdiente auf der Baustelle nur etwa 100 Lempira27 am Tag, also etwas mehr als vier Euro. In seinem Fall reichte es zwar für Lebensmittel, nicht aber für Kleidung. Er wollte seiner Schwester helfen, die ihr Geld damit verdiente, Kleidung zu waschen und zu bügeln. Sie war allein erziehende Mutter von fünf Kindern und verdiente nur 30 bis 50 Lempira (1,20 bis 2,05 €) pro Tag, von denen sie nicht genügend Lebensmittel für ihre Familie kaufen konnte (Interview mit Antonio Torres, September 2006 in Arriaga).

Die Familie von Antonio Torres lebte in den USA. Nachdem ihn seine erste Frau verlassen hatte, zog er seine Kinder (damals zwei Jahre und zwei Monate alt) mit Hilfe seiner Mutter auf. Er verdiente nur 25 Lempira am Tag. Um für den Unterhalt seiner Kinder aufkommen zu können, arbeitete er zunächst in Belize. Er schickte seine Kinder dort zur Schule und sie lernten Englisch. Als sie 1996 in die USA zogen, fühlte er sichüberglücklich, da er seine Kinder weiter zur Schule schicken Konnte. Sein Sohn besuchte zum Zeitpunkt des Interviews das Gymnasium. 2003 wurde er ohne seine Kinder abgeschoben. Ein Freund von ihm hatte Drogen dabei, als sie zusammen unterwegs waren. Fünf Monate nach seiner Abschiebung beerdigte er seine Mutter in Honduras. Bis zum Zeitpunkt des Interviews hatte er seine Familie nicht wieder gesehen. Seine Frau und Kinder waren in den USA, weshalb er unbedingt zu ihnen zurück wollte. Dass er auf dem Weg zu seiner Familie „ illegal “ war, gingüber seine Vorstellungskraft hinaus. Er kannte die Anforderungen an ein Visum, konnte diese aber nicht erfüllen (Interview mit Antonio Torres, September 2007 in Arriaga).

4.2.3. Remesas

Ziel der Migration ist für die meisten Migranten_innen die Überweisung von Geld an ihre Familien. Bei diesen unilateralen Überweisungen zwischen Bewohnern_innen verschiedener Länder geht es nicht um die Bezahlung eines Gutes oder einer Dienstleistung, denn beide Seiten sind Familienangehörige, die dem Unterhalt der Empfangenden beitragen (CEPAL 2006a:224). Ob die remesas für die zentralamerikanischen Länder und die Familien der Migranten_innen in den Herkunftsländern von nutzen sind, wird im Folgenden ausgeführt.

Aus soziologischer und ethnologischer Sicht werden remesas im Kontext der Reproduktion von sozialen und kulturellen Systemen mit Blick auf soziale und transnationale Netzwerke betrachtet (CEPAL 2006b:224). Aus funktioneller Sicht fördern regulierte Emigration und remesas Entwicklung in dreierlei Hinsicht. Sie finanzieren produktive Investitionen, vor allem im ländlichen Sektor, und stoßen die nationale Wirtschaft über die steigende Nachfrage von Gütern und Dienstleistungen an, vorausgesetzt, dass Konsumausgaben durch remesas finanziert werden. Auf diese Weise werden soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit reduziert, da die remesas direkt bei denen ankommen, die diese am dringendsten benötigen, ohne durch klientelistische oder bürokratische Filter zu laufen, die das Geld abzweigen könnten. Sie haben die Fähigkeit, die staatliche Kontrolle der Wirtschaft und den Fortbestand der Netze von Klientelisten zu verhindern, die die Armutssituation reproduzieren. Funktionalistische Ansätze betonen außerdem die besondere Bedeutung der remesas für die makroökonomische Stabilität der Herkunftsländer (CEPAL 2006b:225).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Migranten leisten Entwicklungshilfe (Rekacewicz 2009b:17).

Auf der Ebene einzelner Familien ist die Summe der remesas höher, wenn regelmäßiger Austausch zwischen Migranten_innen und ihrer Familie im Herkunftsland stattfindet. Bei längerem Aufenthalt und stärkerer Integration im Zielland werden nur noch geringe Summen überwiesen (CEPAL 2006b:227). Von dem Geld, dass die Familien empfangen, wird nur ein geringer Anteil in produktive Projekte, der größte Anteil in Konsum und materielle Reproduktion des Haushaltes investiert. Aus diesem Grund betont die CEPAL, dass so genannte Unterentwicklung nicht durch Emigration, sondern nur durch Entwicklungspolitik, soziale Einbeziehung und Förderung von staatlichen oder privaten Investitionen gelöst werden kann (CEPAL 2006b:225). Empfangende Länder profitieren vor allem durch Mehrwertsteuern und sozialpolitische Entlastung (Löding 2009:6f). Ob remesas negative Effekte auf die Ökonomien der Herkunftsländer von Migration haben, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden28. Auf die Familien der Migranten_innen bezogen, erhöhen sie den Rahmen informeller Sicherheit (Amuedo-Dorantes/ Mazzolar 2010:332).

Während die remesas bei Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen oder politischen Konflikten in den empfangenden Ländern zumeist anstiegen (CEPAL 2006b:227), kam es 2009 aufgrund der globalen Finanzkrise und der Rezession in den USA erstmals zu einem Rückgang der remesas um bis zu 15%. Dem Migrationstrend tat diese Entwicklung zunächst keinen wesentlichen Abbruch. Für 2010 wird eine Stabilisierung erwartet (Maldonado 2010:3-19).

Die höchste Summe von Rücküberweisungen in Zentralamerika empfängt El Salvador. Während des Bürgerkrieges, der 1992 endete, migrierten etwa eine der sechs Millionen Einwohner_innen in die USA. Pro Jahr schicken sie etwa eine Milliarde US-Dollar in ihr Herkunftsland, was die Rücküberweisungen wichtiger macht als das führende Exportprodukt des Landes. Das Ausmaß der remesas übersteigt alle ausländischen Direktinvestitionen und EZ-Budgets nach Zentralamerika zusammen (IOM/ UN 2000:255).

Für viele zentralamerikanische Familien werden die remesas zur ökonomischen Stabilisierung des Haushaltseinkommens genutzt (Zárate 2008:1ff.) und tragen zur Streuung von Risiken bei, indem sie für viele zentralamerikanische Familien eine zusätzliche Einkommensquelle darstellen (vgl. Kap. 3.3.4). Auf der Mikroebene sind sie somit sehr wichtig und helfen einzelnen Familien dabei, sich aus Situationen extremer Armut zu befreien. Einer CEPAL- Untersuchung zufolge verringerten remesas die Armutsrate in Zentralamerika seitdem lediglich um 2,2%, wobei die Zahl stark von El Salvador (4,5%) nach oben gezogen wurde. Aus Sicht der empfangenden Haushalte, sind die Zahlen jedoch signifikant. In zentralamerikanischen Haushalten, die remesas empfingen, verringerte sich die Armutsrate um 20%, in El Salvador sogar 39%. In El Salvador konnten 64% der remesas empfangenden Haushalte der extremen Armut entkommen, in Guatemala 43%, in Honduras 28%, in Nicaragua 27%. Diese Zahlen unterstreichen, was Skeptiker seit Jahrzehnten hervorgehoben haben. Der Nutzen von remesas geht nicht über die Haushaltsebene hinaus, sondern trägt eher zu noch mehr Ungleichheit bei (CEPAL 2006b; Aguinas Dovelyn 2006:3f; Adams 2006:53f.). Hinzu kommt, dass nur etwas mehr als die Hälfte der zentralamerikanischen Migranten_innen wirklich Rücküberweisungen tätigt (vgl. Abb. 6).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Geldsendungenüber 18 jähriger Migranten_innen in den USA 2002 (CEPAL 2006:192)

Entgegen den Empfehlungen der CEPAL haben die Regierungen Zentralamerikas Initiativen ergriffen, um möglichst viel von den remesas zu profitieren. So machte El Salvador den US-Dollar im Jahr 2000 zu seiner offiziellen Währung (Aguinas Dovelyn 2006:4). In mehreren Ländern wurden so genannte Hometown Associations29 gegründet, um die remesas zu koordinieren. Auch die Zivilgesellschaft und internationale Organisationen haben Interesse an remesas entwickelt und verschiedene Projekte gestartet, damit die Rücküberweisungen der Entwicklung der Empfängerländer nutzen können. Über die Effektivität dieser Initiativen gibt es jedoch keine Aussagen (Aguinas Dovelyn 2006:5). 2002 wies die CEPAL die Regierungen Zentralamerikas darauf hin, dass die Migranten_innen während der Reise lebensgefährliche Risiken eingehen und dabei ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt und ihre soziale Situation aufs Spiel setzen. Auch in anderer Hinsicht sind personelle und soziale Kosten von Auswanderung hoch. Als Wirtschaftsfaktor sind remesas umstritten, weil sie hohe soziale Kosten für die Familien in den Herkunftsländer haben (CEPAL 2006a:224). Dazu gehören zerfallene Familien und zurückgelassene Kinder, die zu Lasten von Freunden und Verwandten gehen (CEPAL 2006a:227). So hat die Ausreise eines Elternteils Brüche in der Familienstruktur zufolge, die sich unter anderem in Depressionen und Mangel an Selbstvertrauen der Kinder äußern (Domínguez Espinosa 2009:146f.).

Nicht weniger wichtig ist die Diskussion über den Effekt der Abhängigkeit, den die remesas für empfangende Familien und Gemeinden nach sich ziehen, sowie die Schwierigkeit, das Ausmaß und die Regelmäßigkeit von Migration voraussagen zu können. Die Migranten_innen sind stets dem Hin und Her der ökonomischen und sozialen Situation der Herkunfts- und Zielländer ausgesetzt (CEPAL 2002:160f.). Auch wenn die Migranten_innen in den USA ankommen und zunächst remesas senden, sinken diese doch mit der Zeit und die Familien müssen auf ein Familienmitglied verzichten, was zur Zerrüttung von Familien führen kann.

4.2.4. Außergewöhnliche Naturereignisse

Auch die vom Menschen gemachte Klimaerwärmung trägt zur Verschlechterung und Bedrohung der Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen bei, von denen vielen nichts anderes als die Flucht bleibt (Jakobeit/ Methmann 2007:4). Der Weltklimarat (IPCC) sieht in den Folgen des Klimawandels schon jetzt ein deutliches Migrationspotenzial, wobei der steigende Meeresspiegel zu Überschwemmungen von Küstengebieten führen und sich Wüsten ausbreiten werden (MigrationInfo 2009:1). Der einzige Entwurf einer Definition von Klimamigranten_innen kommt von der IOM. Dieser Definition zufolge sind Klimamigranten:

„[...] Personen oder Personengruppen, die, aufgrund plötzlicher oder fortschreitender deutlicher Veränderungen der ihr Leben beeinflussenden Umwelt- und Lebensbedingungen, gezwungen sind oder sich veranlasst sehen, ihre Heimat zu verlassen, sei es zeitweise oder permanent, und die sich innerhalb ihres Heimatlandes oder über dessen Grenzen hinaus bewegen.“ (Migration-Info 2009:4).

Formen der Klimamigration sind:

1. Klimabedingte Notfallmigration in Folge von Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen oder Orkanen.
2. Klimabedingte Zwangsmigration aufgrund von graduellen Klimawandelprozessen, wie der Ausbreitung von Dürregebieten oder dem steigenden Meeresspiegel
3. Organisierte bzw. beabsichtigte Migration durch entwicklungspolitisch ausgelöste Umweltveränderungen.

Dabei kann klimabedingte Migration sowohl innerstaatlich als auch grenzüberschreitend stattfinden (Hummitzsch 2009:1). Da bei Menschen, die aufgrund von Armut migrieren, oft Umweltveränderungen zur Verschlechterung der Lebensbedingungen führen, kann jedoch nicht eindeutig zwischen Umwelt und Armutsflüchtlingen unterschieden werden (Jakobeit/ Methmann 2007:14), obwohl der Klimawandel neben politischen Faktoren zu Migration und Vertreibung beiträgt (Warner et al. 2009:6). Nach wie vor werden Umweltflüchtlinge im internationalen Recht daher nicht als Flüchtlinge anerkannt (Jakobeit/ Methmann 2007:27).

Im zentralamerikanischen Kontext verloren infolge schwerer Verwüstungen durch Tropenstürme und Hurrikans wie Mitch im Jahr 1998 tausende von Menschen ihr Hab und Gut. Damals sagten sowohl die zentralamerikanische Politik als auch die Medien voraus, dass zahlreiche Menschen den Versuch unternehmen würden, ihr Glück in den USA zu suchen (IOM/ UN 2000:255). Es folgten weitere Hurrikans wie Stan 2005, in dessen Folge nicht nur die Lebensgrundlage vieler Menschen Zentralamerikas, sondern auch nahezu alle Verkehrswege entlang der mexikanischen Pazifikküste zerstört wurden (Gespräch mit Cristina Robledo, September 2006 in Tapachula). Zuletzt suchte Tropensturm Ida am 7. November 2009 die Gemeinde Gallegos 2 in San Salvador heim. Die Armensiedlung im Flussbett des Acelhuate hat bei der zunehmenden Oberflächenversiegelung rund um den urbanen Raum (Bau von Einkaufszentren, Wohnblöcken etc.) jedes Jahr mit schweren Überschwemmungen zu kämpfen. In diesem Fall konnten die Bewohner rechtzeitig evakuiert und Verluste von Menschenleben verhindert werden. Dennoch wurden 30 Häuser von den Fluten weggerissen und über 100 stark beschädigt. Viele Familien haben durch die Schlammmassen ihr sämtliches Hab und Gut verloren. Nicht alle haben die Perspektive auf ein Wohnungsbauprojekt des Staates. Die Perspektivlosigkeit für einen Neuanfang ließ damals viele Menschen in Richtung Norden ziehen (Caritas 2009, Alscher 2008:4, Warner et al. 2009:15), wobei die Perspektivlosigkeit auch mit fehlendem Zugang zu einem Versicherungswesen zu tun hat (vgl. Kap 3.3.4).

4.2.5. Kriminalität

“Si, de hecho yo estoy ganando bastante bien. El problema es por las bandillas, las maras pues. En vista de todo esto ahora en Salvador, hasta por caminar por las calles hay que pagar a las bandillas. Si no, te matan. Y en vista de todo esto, uno trata de emigrar.” (Interview mit Germán Charria, September 2007 in Tapachula).

Die Sichtweise der Migranten_innen spiegelt den gesellschaftlichen Diskurs wider, der sich auf die Identifizierung der Maras als Problemgruppe beschränkt, nicht aber soziologische Implikationen berücksichtigt. Ein Migrant aus El Salvador, der ökonomisch erfolgreich war, berichtete, dass Schutzgelderpressungen durch so genannte Pandillas 30 in seinem Umfeld an der Tagesordnung waren (Interview mit Germán Charria, September 2006 in Tapachula).

Im Hinblick auf Kriminalität in Zentralamerika spricht Rigoni von einem nicht deklarierten zivilen Krieg, vor dem viele Menschen flüchten, um zu überleben. Es fehlt ein vertrauenswürdiges Justizsystem und es gibt zu viele korrupte Beamte (Rigoni 2008:13f). Eines der größten durch die Migranten_innen thematisierten Probleme stellt organisierte Kriminalität durch Banden wie die Mara Salvatrucha oder die Mara 18 31 dar (Huhn/ Oettler/ Peetz 2008:171). Diese Jugendbanden treiben in ihren Vierteln vor allem von Ladenbesitzern_innen, Busfahrern_innen und Passanten_innen Schutzgeld, so genannte Kriegssteuern, ein (Huhn/Oettler/Peetz 2008:161). Ihren Lebensstil nennen sie „La vida loca“, also verrücktes Leben; er steht für schnelles Geld, Drogenkonsum, Zeitvertreib mit Freunden und gegenseitigen Schutz. Anders als in den Medien oft dargestellt, streben sie nicht danach, Teil internationaler organisierter Kriminalität zu sein (Huhn/Oettler/Peetz 2008:168f.).

Im Süden Mexikos werden die Maras von der Bevölkerung als Beweis für die Kriminalisierung von Armut herangezogen. Sie gelten als ein Problem, das aus Zentralamerika nach Mexiko gekommen ist (Zeiske 2010:237). Das Problem ist jedoch gesellschaftlich verankert und es reicht nicht aus, die Jugendlichen als Problem zu identifizieren, da sie nur einen Teil des Bedrohungsgefühls darstellen. Auch wenn Kriminalität und Banden Migration auslösen, kann den jugendlichen Bandenmitgliedern nicht die Schuld für Migration zugewiesen werden. Huhn zufolge werden sie in einem öffentlichen Diskurs als das gefährliche Andere konstruiert, das die gesellschaftlichen Strukturen zu zersetzen drohe. Vielmehr sei es jedoch das Bedrohungs- und Angstszenario, das zur gesellschaftlichen Desintegration in Zentralamerika beiträgt und demokratische und rechtsstaatliche Errungenschaften gefährdet (Huhn/ Oettler/ Peetz 2008:159).

4.2.6. Legitimation der Migrationsentscheidung

Symbole und Werte spielen laut Garduño eine wichtige Rolle in der ethnologischen Untersuchung von Migration, da sich diese über soziale Netzwerke verbreiten und verändern (2003:12). Zu den Werten zählen sozialer Status, Männlichkeit, Familismus32 (Walter/ Bourgois/ Loinaz 2004:1159) , Glaube (Rigoni 2010:77f.) oder auch Unabhängigkeit der Frauen von ihren Männern (Interview mit Brenda Sandigo, September 2006 in Tapachula) und andere gemeinsame Werte, die in Bezug auf ein würdiges Leben allgemein gültig sind (vgl. Kap. 3.2.3). Die Überschreitung der nationalen Grenze wird auf symbolischer Ebene in gewisser Weise zu einer Ikone, da sie das Erlangen von Werten wie ein würdiges Leben symbolisiert (Garduño 2003:9).

Die befragten Migranten_innen legitimierten ihre Migrationsentscheidung vor allem durch Werte. Dabei geht es um ihre Lebensumstände in den Herkunftsländern. Zu ihren Grundbedürfnissen gehört unter anderem: Die Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung, eine würdige Unterkunft, Arbeit sowie ausreichende finanzielle Mittel für den täglichen Bedarf. Dabei geben sie zur Rechtfertigung ihrer Migrationsentscheidung hauptsächlich Missstände in ihren Herkunftsländern an. Die Ansprüche, die sie an ihr Leben haben, decken sich mit den von Beck beschriebenen universellen Werten (s.o.). Vor allem geht es dabei um Unabhängigkeit und ein selbst bestimmtes Leben (vgl. Kap. 4.2.6). Ohne diese ausdrücklich als Rechte zu bezeichnen, formulieren sie das Recht auf Arbeit, das Recht auf ein würdevolles Leben, Nahrung, Bildung, etc. Ihre Erwartungen und Wünsche decken sich also mit Menschenrechten (vgl. Kap. 4.2.2), die im internationalen Menschenrechtsdiskurs auch WSK-Rechte genannt werden. Diese werden in ihren Herkunftsländern nicht erfüllt und die Migranten_innen wissen nicht, wie sie diese einfordern können.

„[...] derechos así como nos exigen el derecho a trabajar también se debe de exigir el derecho a la vida, a una vida digna, a vivirla no con todos los placeres pero por lo menos con lo mínimo: los alimentos, la medicina, que un niño o un hondureño tenga estudio, de hecho que tenga todos los recursos por parte del apoyo del gobierno, para que nosotros salgamos adelante, pero vas a la realidad del hondureño, no va a hacer estudio, no hay medicina, no hay leyes, no hay nada“ (Interview mit Donar Antonio Espinal in Arriaga, September 2006).

Durch die Migration versuchen sie demnach nicht nur mit Risiken im Herkunftsland umzugehen, sondern auch Menschenrechte ohne das Zurückgreifen auf rechtliche Institutionen einzufordern. Die Verwirklichung ihrer Ziele nimmt einen höheren Stellenwert ein, als die Einhaltung des mexikanischen Gesetzes und legitimiert die Reise ohne Aufenthaltserlaubnis.

Jos é Demis aus Guatemala verfügtüber geringeökonomische Ressourcen. Er hat zwei Söhne und bereits vor Jahren in Carolina gearbeitet. Nun möchte er erneut zwei bis drei Jahre in den USA verbringen, um seine Familie zu unterstützen. Er geht davon aus, dass er es diesmal leichter haben wird, da er keinen Arbeitgeber mehr suchen muss. Anschließend möchte er zu seinen Angehörigen zurückkehren. Am wichtigsten ist für ihn, in die Zukunft seiner Kinder zu investieren. Zugleich muss er für seine eigenen Eltern und weitere Angehörige sorgen, die sich nicht selbst versorgen können. Durch Arbeit allein sieht er sich in seinem Herkunftsland Guatemala nicht dazu imstande, den Unterhalt seiner Familie zu sichern, deren Wohlergehen ihm ein zentrales Anliegen ist. Um seiner Vorstellung von einem würdigen Leben gerecht zu werden, sieht er keinen anderen Ausweg als Migration. Er versteht nicht, weshalb einige Menschen in die USA reisen dürfen und er selbst sein Leben riskieren muss. Auch wenn er Guatemala liebt, so bietet ihm dieökonomische Situation doch keinen anderen Ausweg, als zu migrieren. In Guatemala ist er geboren, dort lebt seine Familie und dort möchte er sterben, doch in den USA herrscht seiner Vorstellung nach eine wundervolle Freiheit und ein anderes Ambiente, das einem das Leben erleichtert.

„Allá es lindo porque tiene uno una libertad maravillosa con otro ambiente de que tal vez es diferente de aquí, mejorado en otras palabras.” (Interview mit José Demis, September 2006 in Tapachula).

Jos é Demis definiert dieses Ambiente vor allemüber den Umgang der Menschen miteinander, der auf einer Form von Respekt beruht, den er aus Guatemala nicht kennt. Ü ber die Arbeit in den USA kann er seine Familie ernähren und ihr zu ein bisschen mehr Wohlstand verhelfen. Das gute Gewissen verschafft ihm Befriedigung und Anerkennung (Interview mit Jos é Demis, September 2006 in Tapachula) und schafft somit Identität.

Immer wieder betonen die Migranten_innen die Bedeutung eines würdigen Lebens. Es geht um Freiheit und ein wenig mehr Prosperität, also Wohlstand und Glück, die mit den USA assoziiert werden. Dazu gehören unter anderem Ernährung, Unterkunft, Unabhängigkeit und soziales Ansehen (Interviews mit Jos é Demis, September 2006 in Tapachula; Carlo Zaldibar und Julio Sandigo in Arriaga, September 2006).

4.3. Zusammenfassung der Gründe und Ziele

Armut und Kriminalität in den Herkunftsländern, die Möglichkeit Überweisungen ins Herkunftsland tätigen zu können, sowie außergewöhnliche Naturereignisse beeinflussen die Migrationsentscheidung, auch wenn in jedem Fall eine spezifische Kombination der einzelnen Faktoren zum Tragen kommen. Hinzu kommt, dass Freihandelsverträge soziale Ungleichheit und Migrationsdruck vergrößern. Außer dem unausgeglichenen Verhältnis zwischen Zentralamerika und den USA bzw. der EU, besteht in Zentralamerika ein strukturelles Problem, da die vom Freihandel profitierenden Schichten Wohlstand nicht an die von Armut betroffenen Schichten weiterleiten. Nicht dokumentierte Migration ist vor allem eine Strategie, die von Familien in Zentralamerika genutzt wird, um der extremen Armut zu entkommen. Sie haben nicht genügend Ressourcen zur Verfügung, die ihnen Sicherheit garantieren. Besonders die von extremer Armut Betroffenen, also diejenigen, die am wenigsten Ressourcen zur Verfügung haben, profitieren am stärksten davon, wenn sie es schaffen, auf dem segmentierten Arbeitsmarkt (vgl. Kap. 3.3.2) anzuheuern und remesas zu senden. Sie sind dem Migrationsdruck deshalb am stärksten ausgesetzt.

Durch die Beschäftigung mit remesas ist deutlich geworden, dass diese lediglich die extreme Armut signifikant reduzieren und ihr darüber hinausgehender Nutzen aufgrund hoher sozialer Kosten umstritten ist. Hinzu kommt, dass lediglich die Hälfte der Migranten_innen remesas senden. Sie verfügen nicht über das Potenzial, Unterentwicklung zu beseitigen.

Zugleich wird Migration wird nicht als Folge von Ausbeutung und anderen Einflüssen auf die individuellen Lebensumstände der Migranten_innen im Herkunftsland angesehen. Stattdessen spiegeln sich die von Beck beschriebenen Bedrohungsszenarien der Weltrisikogesellschaft in der zentralamerikanischen Politik wider. Ein vorherrschendes Bedrohungs- und Angstszenario trägt zur gesellschaftlichen Desintegration in Zentralamerika bei und gefährdet demokratische, ebenso wie rechtsstaatliche Errungenschaften (Huhn/ Oettler/ Peetz 2008:159). Remesas werden gefördert, anstatt konsequent partizipative Entwicklungspolitik zu betreiben und Freihandelsabkommen werden unterstützt, von denen die Oberschicht profitiert, Arme aber benachteiligt werden.

Die Migration und der symbolische Grenzübertritt, der der eigenen Familie zu einem Leben in Würde verhilft, wird für die Migranten_innen zu einer Metapher für Werte und ein würdiges Leben (Ruiz 2001a). Sie setzen alle bestehenden Absicherungen aufs Spiel, die zugleich das Ergebnis einer lebenslangen Investition sind, und erhöhen den Grad ihrer Verwundbarkeit durch die Migration noch. Betrachtet man ihren Traum von einem besseren Leben33, der vor allem den Willen ausdrückt, die eigene Familie voranbringen zu wollen, wird klar, dass Menschenrechte bzw. Grundbedürfnisse der Migranten_innen in deren Herkunftsländern nicht erfüllt bzw. befriedigt werden (Interview mit José Demis und Santiago Leonel, September 2006 in Tapachula und Arriaga).

Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit den Ursachen von Migration und den angestrebten Zielen der Migranten_innen, wird im folgenden die Transitphase der Migration durch Mexiko beschrieben. Zunächst wird auf die mexikanische Migrationspolitik eingegangen. Dabei sollen die Auswirkungen der Politik auf die Transitmigranten_innen näher betrachtet werden, um eine Grundlage für das Entstehen von Risiken für Migranten_innen zu schaffen. Anschließend werden Risiken identifiziert und in den im ersten Teil der Arbeit beschriebenen theoretischen, politischen, historischen Kontext eingeordnet und beschrieben. Abschließend werden die Strategien der Migranten_innen und Institutionen auf die sie zurückgreifen, beschrieben.

Auf der folgenden Seite: Abbildung 7: Ü berblicküber die Orte, Casas del Migrante und Casetas Migratorias, auf dem Weg der Migranten_innen durch Mexiko, sowie das mexikanische Schienennetz (Eigene Darstellung nach: CNDH 2008a-c; Hidalgo Dom í nguez 2006:131,132).

5. Transit durch Mexico

„La misma solidaridad de los pobres ha sido quebrantada. El largo camino del refugiado o del indocumentado se ha transformado en una lucha solitaria, sendero de la jungla con todas sus dudas y peligros. Es el resultado de una guerra entre pobres, donde cada quien quiere salir ganando, a costa de lo que sea. Centroamérica es la región más pequeña de este continente y sin embargo, es teatro de un juego que supera su tamaño.” (Rigoni 2008:17).

Migranten_innen, die die Entscheidung getroffen haben, zu migrieren und ohne Papiere reisen, sind beim Transit durch Mexiko erheblichen Risiken ausgesetzt, die durch Migrationspolitik bedingt sind. Im Folgenden werden Risiken identifiziert und sich daraus ergebende Strategien beschrieben. Die Migranten_innen versuchen, möglichst sicher in die USA zu gelangen. Dabei stehen sie vor erheblichen Herausforderungen und Schwierigkeiten. Die Strategien können dabei nicht immer klar von Risiken getrennt dargestellt werden, da sie auch als Antwort auf Risiken entwickelt werden.

Seit mehr als einem halben Jahrhundert migrieren Menschen aus Mexiko in die USA. Erst in den letzten Jahrzehnten ist Mexiko zu einem Transit- und Zielland internationaler Migration geworden. Täglich reisen hunderte von zentral- und südamerikanischen Migranten_innen auf ihrem Weg in die USA durch Mexiko (Ruiz 2006:47). Sie kommen meist aus Zentralamerika, aber auch aus Südamerika, Asien und Afrika. Aufgrund der verschärften Visavergabepraxis Mexikos versuchen viele ohne Visum durch Mexiko zu reisen (s. Kap. 5.3).

5.1. Migrationspolitik in Nordamerika

Wie auch in anderen Transitländern, wird in der Migrationspolitik Mexikos die Angleichung nationaler an multinationale Interessen verankert. Diese besteht unter anderem in der internationalen Zusammenarbeit bei der Abschiebung nicht dokumentierter Migranten_innen in ihre Herkunftsländer und dem Verhindern von Migration durch einschränkende Gesetzgebung und technologischen Austausch bei der Militarisierung der Landesgrenzen. Im Fokus liegt unter anderem eine restriktive Gesetzgebung gegenüber Menschenhandel. So werden alle, die an Transport und Unterkunft von Migranten_innen mitwirken, wie z.B. Taxi- und Busfahrer oder Menschen, die Migranten_innen bei sich aufnehmen, strafrechtlich verfolgt. Die Regierungen weisen Ihnen die Schuld für Tragödien zu, die sich an den Grenzen und innerhalb der Transitländer abspielen und entziehen sich damit ihrer Verantwortung (Zeiske 2005:26f).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8: Bewehrte und bewachte Grenzen gegen Wirtschaftsmigranten_innen und Asylsuchende (Rekacewicz 2006b:50).

Obwohl sich Mexiko auf internationaler Ebene für die Legalisierung von eigenen, nicht dokumentierten Staatsangehörigen einsetzt, werden täglich hunderte von zentral- und südamerikanischen Migranten_innen durch die mexikanischen Behörden festgenommen und in ihre Herkunftsländer abgeschoben (AI 2010:18f). Daneben haben vor allem Konzepte aus den USA, denen zufolge die nicht dokumentierte Migration als Gefahr für die nationale Sicherheit gilt, Einzug in die mexikanische Gesetzgebung gefunden. Nicht dokumentierte Migration stellt demnach zwar keine Straftat dar, der Aufenthalt in Mexiko wird jedoch durch Auflagen wie die des Visums, eingeschränkt (Victal Adame 2004:39). Die Südgrenze Mexikos ist hinsichtlich wirtschaftlicher und kontrollpolitischer Interessen der USA eine „Frontera sur geoestratégica de la Unión Americana“34 geworden (Sandoval Palacios 1997:159), an der nicht dokumentierte Migranten_innen mit einer Abfangstrategie daran gehindert werden sollen, die Südgrenze der USA zu erreichen (Ángel Castillo 2003b:207; Salcido 2003:145).

„Así, mientras que Estados Unidos toma decisiones considerando a la migración, principalmente la indocumentada, como un problema a su seguridad nacional, el gobierno mexicano acepta las medidas propuestas por dicho gobierno para establecer controles a los flujos migratorios y a las fronteras nacionales de este país.” (Sandoval Palacios 2003:115).

Ursprünglich hatte Mexiko als Herkunftsland von Migranten_innen ein geringes Eigeninteresse, nicht dokumentierte Migration durch sein Staatsgebiet zu stoppen. Mexiko folgt vorrangig den Forderungen nach so genannter transnationaler Sicherheit der Staaten des NAFTA mit dem Ziel die Beziehungen zu diesen zu verbessern (Zeiske 2005:60; Sandoval Palacios 1997: 156f, 160). Bereits Anfang der 1990er Jahre fanden zwischen den USA, Kanada und Mexiko Verhandlungen über einen gemeinsamen Wirtschaftsblock im Rahmen des NAFTA statt. Seit 1994 bilden sie nicht nur eine gemeinsame Wirtschaftszone, sondern auch eine gemeinsame Sicherheitszone. Das NAFTA erlaubt den freien Waren- und Güterverkehr zwischen Mexiko, den USA und Kanada. Während der Verhandlungen über das Abkommen wurden Diskussionen über das kontroverseste Thema jedoch vermieden. Beide Staaten stimmten darin überein, dass die Ausweitung des Handels am meisten Hoffnung bietet, um den Migrationsdruck zu verringern. Innerhalb der NAFTA-Staaten ist jedoch nur bestimmten, besonders qualifizierten Berufsgruppen der Arbeitsaufenthalt in anderen Ländern gestattet (IOM/ UN 2000:259). Heute fordert Mexiko, was es bei den NAFTA-Verhandlungen zu vereinbaren versäumte: die vertragliche Mobilität von Arbeitskraft innerhalb der NAFTA- Staaten (Sassen 1999:7). Seit Inkrafttreten des Vertrages arbeiten Mexiko und die USA bei der Migrationskontrolle zusammen, wobei Migration von Nicht-Mexikaner_innen durch Mexiko in die USA schon vor der Grenze zwischen Mexiko und den USA unterbunden werden soll. Vorgebliches Ziel ist es, Gewalt im Grenzgebiet vorzubeugen, sowie Tote und Verletzte unter den Migranten_ innen, die versuchen die Grenze nicht dokumentiert zu übertreten, zu vermeiden. Diese Ziele wurden 1996 in der Declaration on Migration zwischen den Präsidenten beider Länder vereinbart (IOM/ UN 2000:253f.). Vor allem entstanden für Mexiko Nachteile dadurch, dass der Markt in den USA für mexikanische Güter zwar geöffnet wurde, US-amerikanische Agrargüter aber auch im großen Stil in Mexiko vermarktet wurden. Die direkte Konkurrenz hat zu Verarmung und zu nationalen sowie internationalen Migrationsprozessen von großen Teilen der Landbevölkerung Mexikos beigetragen (Sassen 1999:7). Seit 1996 finden Verhandlungen über nicht dokumentierte Migration im Rahmen des Proceso Puebla 35 statt. Die elf Mitgliedsstaaten versuchen sich dabei auf eine Langzeitstrategie zu einigen, um ihre Migrationspolitik zu entwickeln. Vermittelnde Organisation ist hierbei die IOM, aus deren Perspektive Foren wie der Proceso Puebla eine immer wichtigere Rolle dabei spielen sicherzustellen, dass die Länder Nordamerikas die Menschenrechte aller Migranten_innen garantieren und bei der Bekämpfung von Schmuggel und Ausbeutung zusammenarbeiten (IOM/ UN 2000:260f). Auch Guatemala zeigt sich seit 1998 der US-amerikanischen Migrationspolitik gegenüber offen. Trotz eines Abkommens der Länder Zentralamerikas über Reisefreiheit innerhalb von Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua verstärkte Guatemala nach dem Hurrikan Mitch am 15. November 1998 die Grenzkontrollen, was der damalige Präsident El Salvadors als Rückschritt der zentralamerikanischen Integration verurteilte (IOM/ UN 2000:255).

Im April 2001 verhandelten Mitglieder der mexikanischen und US-amerikanischen Regierung über Maßnahmen gegen nicht dokumentierte Transitmigration, wobei Mexiko eine Verschärfung der Visabestimmungen, die Militarisierung der Südgrenze und die Bestrafung korrupter Beamter_innen nahegelegt wurde (Sandoval Palacios 2003:113,127-129).

Im Rahmen der Verhandlungen über den Plan Puebla Panam á 36 (PPP) im Jahr 2001 wurde ein gemeinsamer Aktionsplan von den USA, Kanada, Mexiko, Belize, Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua, Costa Rica und Panama ausgearbeitet. Dieser so genannte Plan Sur 37 beinhaltet die langfristige Unterbindung von Migration durch regionale Entwicklung, mit dem Ziel, migrationsauslösende Faktoren zu bekämpfen (IOM 2001:1,2,7-10).

In der Folge wurde ein Abschiebesystem in Mexiko geschaffen (IOM 2001:1,4,7-10,17), mit dessen Hilfe aufgegriffene Migranten_innen ohne Papiere von der Nordgrenze Mexikos, sowie aus dem gesamten mexikanischen Staatsgebiet abtransportiert und in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können. Diese und weitere Forderungen der USA setzt Mexiko vor allem im Plan Sur um. Die Kooperation Mexikos und der USA, gemeinsame Außengrenzen zu verteidigen und sich gegen Menschenhandel von Staatsangehörigen aus Drittländern einzusetzen, wurde im März 2002 besiegelt (Sandoval Palacios 2003:113,127-129).

Mit der regionalen Verschiebung der US-amerikanischen Migrationskontrolle auf mexikanisches Staatsgebiet hat Mexiko Forderungen der USA nachgegeben. Die Einreise irregulärer bzw. nicht dokumentierter Migranten_innen nach Mexiko wird immer stärker eingeschränkt. Durch diese Praxis wird von Seiten der mexikanischen Regierung versucht, auf die USA Einfluss zu nehmen, um auf diesem Wege die Situation der in den USA lebenden Mexikaner_innen zu verbessern. Mexiko versucht also, sich durch restriktive Einwanderungspolitik für die eigenen Emigranten_innen in den USA einzusetzen, weshalb diese außenpolitische Haltung Mexikos von einigen Wissenschaftlern_ innen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) als „ambivalent“ bezeichnet wird (I.A.P 2005:6).

Der Hauptgrund hinter der Durchsetzung dieser Migrationspolitik sind für Mexiko wirtschaftliche Erwägungen. Denn auch für Mexiko sind Einnahmen durch remesas eine der wichtigsten Devisenquellen. Der letzte Regierungswechsel in den USA hat nichts an diesen Zuständen geändert (Merlos 2007). Das Ausmaß der Abschottung hat sich mit der Zusammenarbeit zwischen den USA und Mexiko beim Kampf gegen den organisierten Drogenhandel sogar noch verschärft und wirkt sich negativ auf die Sicherheit der Migranten_innen aus. So wird es für nicht dokumentierte Arbeitsmigranten_innen immer schwieriger, die USA zu erreichen (Mexiko-Lexikon 2010c).

Globale Rahmenbedingungen, Abkommen und Interessen, wirken auf die Situation der Migranten_ innen ein. Durch ihre rechtlose Situation können sie leicht ausgebeutet werden, was im übertragenen Sinne durchaus im Interesse der US-amerikanischen Wirtschaft ist, denn nur durch das in Kapitel 3.3.3 beschriebene „Loch in der Mauer“, also den rechtlosen Status der Migranten_innen kann die US-Wirtschaft von niedriger Arbeitskraft profitieren. Rigoni beschreibt Mexikos Migrationspolitik in diesem Sinne als politisches Schachspiel, das anderswo gespielt wird.

„Es el ajedrez de un choque ideológico y político que viene de lejos, cuña estratégica donde los grandes bloques se están desafiando en un enfrentamiento de gigantes.“ (Rigoni 2008:17).

Wie in Kapitel 3.3 dargestellt, sind die Gründe für Migration vielfältig. Problematisch ist, wie man Akteure, die scheinbar nur entfernt mit Migration durch Mexiko zu tun haben, für die Gefahren im Transitland Mexiko verantwortlich machen kann. So sind es nicht allein die Arbeitgeber_innen, die in den USA Jobs vergeben und in den zentralamerikanischen Maquiladoras 38 (Buitelaar/ Padilla/ Urrutia 1999:133) niedrige Löhne zahlen. Die Arbeitgeber_innen sind mit für das Phänomen der Migration verantwortlich, denn sie üben Einfluss auf die Politik aus, die versucht, nationalstaatliche wirtschaftliche Interessen umzusetzen. Jedoch wirken im lokalen Maßstab dieselben Mechanismen, wie im globalen Vorbild. Die Region des Soconusco profitiert derart stark von nicht dokumentierten Saisonarbeiter_innen, dass eine Abschottung von Guatemala nicht den mexikanischen Interessen entspricht. Im kleinen Maßstab wirken hier dieselben Ausbeutungsmechanismen wirken, wie in den USA (Zeiske 2010:237f).

5.2. Grenzüberschreitungen

Bereits beim Überschreiten der geographischen Grenze von Guatemala nach Mexiko, also während der Überfahrt über den Fluss Río Succhiate, wird Migranten_innen immer wieder gedroht, ins Wasser geworfen zu werden, wenn sie nicht mehr Geld für die Überfahrt bezahlen. Auf der mexikanischen Seite des Flusses patrouillieren Soldaten, die teilweise ebenfalls Geld von den Migranten_innen fordern, um sie passieren zu lassen. Aufgrund von Drogenschmuggel ist die mexikanische Armee an vielen Orten in Chiapas stationiert und kontrolliert regelmäßig Fahrzeuge und Personen. Häufig kontrollieren diese ohne rechtliche Grundlage den Aufenthaltsstatus von Reisenden. Sobald der Verdacht von Menschenhandel vorliegt, kontrolliert auch die Polizei die Aufenthaltspapiere.

Dieser stellt einen Straftatbestand dar und fällt daher in ihren Kompetenzbereich, obwohl sie nicht nach Aufenthaltspapieren fragen dürfen (Hidalgo Domínguez 2006). Jedoch kann die Grenze nicht allein an der geographischen Grenzline festgemacht werden, da beispielsweise die mexikanische Armee an vielen Orten in Chiapas und in ganz Mexiko stationiert ist, um nach Drogen zu suchen, die durch Mexiko in die USA geschmuggelt werden. Soldaten kontrollieren regelmäßig Fahrzeuge und Personen. Für die Nichtdokumentierten verändert sich die Wahrscheinlichkeit einem Risiko ausgesetzt zu sein mit der Entfernung zur geographischen Grenze. Besonders viele Menschenrechtsverletzungen stellte Ruiz auf den ersten 64 Kilometern zwischen Ciudad Hidalgo und Huixtla fest (2001:34). Mit zunehmender Entfernung zur geographischen Grenze nimmt die Zahl der Angriffe auf Migranten_ innen ab, wobei die Übergriffe von Beamten_innen und Privatpersonen verübt werden (s. Abb. 9).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9: Menschenrechtsverletzungen an zentralamerikanischen Migranten_innen entlang der Ruta Costera im Süden von Chiapas - Januar 1998 bis März 1999 (Ruiz 2001:27).

„Es un camino que corre a lo largo de una frontera vertical que va desde el Río Suchiate entre México y Guatemala hasta el Río Bravo.” (Rigoni 2010:72).

Mexikos Südgrenze ist mit 1.149 km im Vergleich zu der 3.144 km- langen Nordgrenze relativ kurz. Die Überwachung der Grenze zwischen den zugelassenen Grenzübergängen von Mexiko und Guatemala sowie Belize ist im Vergleich zur wesentlich längeren Grenze zwischen den USA und Mexiko leichter. Dennoch finden abseits der elf offiziellen Grenzübergänge bisher nur wenige Kontrollen statt39. Rigoni beschreibt den Grenzübertritt für Migranten_innen als vertikal, da Mexiko auf dem Weg der Transitmigranten_innen von Süd- nach Nord durchquert werden muss (Rigoni 2010:72). Die Migrationskontrollen finden in Mexiko allerdings nicht nur an den Landesgrenzen, sondern im gesamten Staatsgebiet statt. Nicht Dokumentierte müssen daher in ganz Mexiko mit Kontrollen rechnen (s. Abb. 7). Durch die Situation der Migranten_innen, in der sie ohne Papiere reisen, wird die gesamte Transitphase der Migration zum über 2.000 Kilometer langen Grenzübertritt (Rigoni 2010:72).

Das INM geht davon aus, dass 2005 zwischen 250.000 und 300.000 nicht dokumentierte Migranten_ innen Mexiko durchquert haben. Aufgrund der in Kapitel 5.6 ausgeführten Risiken, sowie der zunehmenden Entwicklung von Prostitution und der Anwesenheit von Verbrecherbanden, seien aus Sicht des INM Maßnahmen zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit besonders wichtig geworden. Diese beinhalten die weitere Militarisierung der Südgrenze, mehr Kontrollen und Polizeipräsenz (Rodríguez 2006:67f). Die nicht dokumentierten Migranten_innen werden somit immer stärker eingeschüchtert. Als Konsequenz verlagern sich die Migrationsrouten in immer abgelegenere Gebiete. Die Migranten_innen reisen versteckt und Verbrechen an ihnen werden von der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen. Wie in einem Teufelskreis steigen die Zahlen der Toten und der Gewalttaten in der Grenzregion (Ángel Castillo 2003b:207; Salcido 2003:149).

Rodríguez vom INM schlägt vor, die lokalen Migrationsbewegungen der Südgrenze genauer zu dokumentieren. Insbesondere Migrationsbewegungen von Saisonarbeitern, die nicht die USA als Ziel haben, können so legalisiert und auf sicherere Wege gelenkt werden. Die bestehenden Risiken sollen so minimiert werden und eine bessere Unterscheidung zwischen Saisonarbeitern_innen und nicht dokumentierten Transitmigranten_innen möglich werden. Wie der Umgang mit nicht dokumentierten Migranten_innen letztlich konkret aussehen soll, lässt er jedoch offen und gesteht indirekt ein, dass die Nichtdokumentierten auf immer abgelegenere und somit gefährlichere Wege gelenkt werden (Vortrag von Ernesto Rodríguez Chávez, September 2007 in Oaxaca; Rodríguez 2006:68).

5.3. Rechte der Migranten_innen in Mexiko

„[…] the rights of migrants are a significant policy issue, within many individual countries as well as on the international stage; migrants should experience the same civil rights as resident citizens: personal security, freedom from harassment, access to essential social services, avenues for redress in the case of criminal behaviours towards them by their employers or public authorities (Ellis 2003:17).

Artikel 11 der mexikanischen Verfassung besagt, dass jedes Individuum ohne die Notwendigkeit einer Identifikation das Recht hat, nach Mexiko einzureisen, sich frei auf mexikanischem Gebiet zu bewegen und auszureisen. Es besteht also keine Ausweispflicht. Staatsangehörige dritter Länder haben in Mexiko alle im ersten Kapitel der mexikanischen Verfassung garantierten Rechte (vgl. Art. 33). Dazu gehören das Recht auf Nichtdiskriminierung, nicht unrechtmäßig inhaftiert, gefoltert oder isoliert zu werden, sowie das Recht auf einen Prozess und Aufklärung über die eigenen Rechte. Allerdings ist diese Regelung dem Präsidenten, durch die Secratar í a de Gobernaci ó n 40 vertreten und der Gesetzgebung Ley General de Poblaci ó n (LGP) 41 untergeordnet, das sehr allgemein gehalten ist (AI 2010:34, Victal Adame 2004:39, Zeiske 2005:54). Die Respektierung der Rechte von Migranten_ innen in Mexiko ist zudem Gegenstand verschiedener Entwicklungsvorhaben42. Zugleich bleibt Mexiko an der Spitze internationaler Initiativen, die sich mit den Schwierigkeiten von massenhafter Migration beschäftigen. So richtet es z.B. das vierte Globale Forum über Migration und Entwicklung im November 2010 in Puerto Vallarta aus (AI 2010:34f).

Bis in die 1970er Jahre fand Transitmigration nur wenig Beachtung. Mit dem Ansteigen der Transitmigration in den 1980er Jahren wurden Festnahmen und Abschiebungen jedoch regelmäßiger durchgeführt. Dabei wird sich auf Bundesgesetze, internationale Verträge und Art. 33 der mexikanischen Verfassung berufen (Victal Adame 2004:46f). Transitvisa werden mit Grundlage auf Art. 42, Fraktion II der LGP für bis zu 30 Tagen, zur Durchreise in ein anderes Land ausgestellt. Dafür muss allerdings ein Visum für das Zielland vorgelegt werden (Victal Adame 2004:83f). Die für diese Arbeit befragten Migranten_innen konnten jedoch kein Visum für die USA vorlegen und hatten auch nicht die Möglichkeit, ein Touristenvisum zu beantragen, weshalb sie in keine Kategorie fielen und verwundbar wurden (Bakewell 2008:436). Unter Berufung auf Art. 125 der LGP können Migranten_innen durch das INM abgeschoben werden, z.B. wenn sie, wie in Abs. 9 angegeben, „illegal“ einreisen (Victal Adame 2004:135f).

Mexiko fördert internationale und regionale Mechanismen, um die Rechte von Migranten_innen zu wahren. Es hat die USA und andere Länder wiederholt dafür kritisiert, die im internationalen Recht beinhalteten Rechte von Migranten_innen nicht anzuerkennen und zu garantieren. Dazu gehören vor allem Nichtdiskriminierung und Gleichheit vor dem Gesetz. Dieser Forderung kommt Mexiko gegenüber nicht dokumentierten Transitmigranten_innen allerdings selbst nicht nach, obwohl es sich dazu verpflichtet hat. Unabhängig von der Staatsangehörigkeit hat jeder Mensch das Recht auf Leben, Freiheit von Sklaverei, willkürlicher Inhaftierung und Folter sowie menschliche Behandlung im Falle der Inhaftierung, faire Verhandlung, Zugang zu Justiz und Gleichheit vor dem Gesetz (AI 2010:33) und andere Menschenrechte (Arjona Estévez 2009:279).

5.3.1. Subjektives Rechtsempfinden zentralamerikanischer Migranten_innen in Mexiko

Nur die wenigsten Migranten_innen nehmen sich selbst und ihren Aufenthaltsstatus als kriminell wahr. Dabei unterscheiden sie klar zwischen der Suche nach einem besseren Leben und der Verübung von Straftaten. Sie empfinden die Menschenrechte auf Leben und Würde, ohne diese direkt beim Namen zu nennen, als so grundlegend, dass diese für sie ausreichen, um die nicht dokumentierte Migration zu rechtfertigen. In ihren Herkunftsländern sehen sie oft kaum eine Chance, ihren Familien mehr als das bloße Überleben zu bieten. Sie wollen von den Eltern unabhängig sein und den eigenen Kindern Schulsachen und Kleidung kaufen. Weniger bescheidene Wünsche werden erst zweitrangig genannt (Interviews mit Brenda Sandigo, September 2006 in Tapachula).

„Bueno para nosotros los Hondureños cruzamos México. No más cruzamos, pero yo sé que andamos en territorio México y la verdad que tenemos que traer un permiso, un visa o un pasaporte pero nosotros en este país cruzamos pero no andamos en malos pasos. La verdad que sí teníamos derecho de andar en México pero ellos tienen sus leyes y ellos dicen que en el momento que pasamos tierra mexicana pues y no andamos con qué, un permiso o un pasaporte pues ellos dicen que somos ilegales. Ilegales!“(Interview mit Antonio Torres, August 2007 in Ixtepec).

Aus den Aussagen verschiedener Informanten_innen geht deutlich hervor, dass ihnen bewusst ist, dass sie selbst Rechte haben, z.B. auf körperliche Unversehrtheit, bzw. dass ihnen weder mexikanische Beamte noch sonst jemand Leid zufügen dürfen und sie diese Rechte theoretisch auch einfordern können. Dennoch glauben einige, in Mexiko keinerlei Rechte zu haben, oder sie spüren, dass sie keine Chance haben diese einzufordern. Grund dafür ist nicht zuletzt die Kriminalisierung, die sie in Mexiko erfahren. Sie haben kein Vertrauen in die Rechtssysteme ihrer Herkunftsländer und noch weniger in das Rechtssystem Mexikos. Nur wenige von ihnen wissen, dass ihnen theoretisch der Rechtsweg bei Verletzung ihrer Rechte durch Angehörige der mexikanischen Behörden offen steht. Selbst diejenigen, die ihre Rechte kennen, würden keine Anzeige erstatten. Ihr Ziel ist es, die USA zu erreichen, um zu arbeiten und ihre Familien versorgen zu können. Einen Prozess vor Gericht zu führen würde sie über Monate an einen Ort fesseln. Wahrscheinlich würden sie anschließend abgeschoben werden, und das wäre mit ihrem Ziel, den so genannten sue ñ o americano zu erreichen, unvereinbar. Die Situation in den zentralamerikanischen Ländern ist für viele Menschen derart prekär, dass Risiken und Rechtsverletzungen auf der Reise und im Zielland wissentlich in Kauf genommen werden. Dass die Situation auch im Zielland der Migration prekär ist und Migranten_ innen meist über viele Jahre in illegalisierten Zuständen leben, ist den meisten Migranten_innen bewusst (Interviews mit Isael Muridio, Antonio Cortez, Edvin Ramon, José Alvarado, Nuson Mesia, Santiago Leonel, Carlo Zaldibar und Antonio Torres, September 2006 in Arriaga und Tapachula; Ruiz 2001b:15).

Jos é Demis kann nachvollziehen, weshalb sich die USA abschotten, denn wenn man einfach einreisen könnte, würden das alle tun. Das einige die Möglichkeit haben, in die USA einzureisen und andere nicht, hält er für ungerecht. Er selbst muss sein Leben aufs Spiel setzen, um dorthin zu gelangen. Seiner Ansicht nach sind sich die Mexikaner_innen der Rolle der Migranten_innen nicht bewusst, da sie ihre Rechte nicht respektieren. Geschlagen und diskriminiert zu werden, findet er am schlimmsten. Da er kein Mexikaner ist, wisse er zu wenigüber seine Rechte, um mexikanischen Beamten_innen sagen zu können, welches seine Rechte sind. Integration hat für ihn einen hohen Stellenwert. Wenn alle Menschen derselben Nation angehören würden, gäbe es seiner Ansicht nach auch nicht mehr dieselben Probleme. Das Mexikaner_innen so brutal sein können, kann er nicht nachvollziehen, da sie auch Menschen sind (Interview mit Jos é Demis, September 2006 in Tapachula).

5.4. Wahrnehmung zentralamerikanischer Migranten_innen in Mexiko

„Los primeros opositores de las Casas del Migrante son los vecinos. Y por un lado se entiende. Dentro de los migrantes hay también aventureros, bandidos, vividores etc., pero más que nada hay pobres, son los últimos, los que quisiéramos sepultar en el olvido. Por cierto hay momentos de gloria en la pastoral para con los migrantes. Entrevistas, artículos, fotos, reconocimientos, pero hay más que nada soledad callada. Un indocumentado no trae buenas noticias, anda buscando un pañuelo donde derramar sus lágrimas, o contar su historia de tristeza, de hambre, de asaltos y robos, de una dignidad pisoteada demasiadas veces” (Rigoni 2010:70).

Seit Ende 2005 wird in der mexikanischen Öffentlichkeit darüber diskutiert, ob Migration ein Verbrechen ist. Während mexikanische nicht dokumentierte Migration in den USA seit den 1970er Jahren als Verbrechen aufgefasst wird, wurde das Thema der Kriminalisierung von Transitmigranten_ innen in Mexiko kaum thematisiert. Einen Teil zu einer veränderten Sicht hat das INM beigetragen, indem es zu einem Teil des nationalen Sicherheitssystems geworden ist, was ausdrückt, dass nicht dokumentierte Migration in Mexiko als Angriff auf die nationale Sicherheit verstanden wird. Nicht dokumentierte Migration wird nicht nur mit organisiertem Verbrechen gleichgesetzt, sondern provoziert zugleich die Überzeugung, man könne Migration nur durch den Einsatz staatlicher Gewalt stoppen. Diese Kriminalisierung der Migranten_innen äußert sich in wachsender Verwundbarkeit, da sie wehrlos gegenüber Aggressionen sind, die ihr Leben und ihre Würde zerstören können (Vilches Hinojosa 2009:229f).

Die Kriminalisierung der Migranten_innen ist durch das positive mexikanische Recht institutionalisiert worden. So werden im Hinblick auf die fundamentalen Rechte der Migranten_ innen Ausnahmen und Zweideutigkeiten zur Regel, die ein beliebiges Handeln der Behörden in Form von Machtmissbrauch und Willkür zulassen, weshalb die LGP ungeeignet scheint, um mit Migration umzugehen. Vilches Hinojosa hält eine Reform der Migrationsgesetzgebung, die nicht dokumentierten Migranten_innen fundamentale Rechte garantiert, für notwendig (2009:231,249). Die Migranten_innen sind jedoch nicht nur staatlicher Gewalt ausgeliefert. Auch Banden und Kriminelle bewegen sich in einem straffreien Raum. Zeiske zufolge werden mindestens ein Drittel der Migranten_innen auf ihrem Weg durch Chiapas überfallen und ausgeraubt (s. Kap. 5.6.1).

„[...] Paradoxerweise werden sie aber nicht als Opfer von Diebstahl, Raub und Vergewaltigung wahrgenommen, sondern von einer rassistisch geprägten Gesellschaft konsequent als Täter dargestellt.“ (Zeiske 2010:235).

Migranten_innen aus Zentralamerika werden von der Bevölkerung der Küstenregion des Bundesstaates Chiapas als Kriminelle, Bandenangehörige, Vagabunden und Prostituierte eingestuft. Beispielsweise äußerte die Angestellte einer Wäscherei bei der Frage nach der Casa del Migrante, dass man sich in deren Nähe nur so kurz wie möglich und bei Tageslicht aufhalten solle, da es in der Gegend viele Zentralamerikaner_innen gäbe (Interview mit Osmán Rodríguez, September 2006 in Tapachula). Mütter äußerten öffentlich Ängste, dass ihre Töchter von Migranten vergewaltigt werden könnten. Zeiske schreibt von einer mittlerweile generell festzustellenden Ablehnung gegenüber Migranten_innen. Solche Tendenzen im Süden Mexikos beruhten auf einem traditionellen Rassismus gegenüber indigener Bevölkerung, die sich bis auf die Eroberung Amerikas zurückverfolgen ließen (2010:236). Gegenüber Menschen aus Guatemala, das einen indigenen Bevölkerungsanteil von ca. 40 Prozent hat (CIA 2010), besteht vor allem im Süden Mexiko ein hoher Grad an Ablehnung. In der Region des Soconusco ist der Anteil an indigener Bevölkerung gering. Obwohl anhand äußerer Erscheinungsmerkmale nicht ausgemacht werden kann, wer von welcher Seite der Grenze stammt, scheint diese Tatsache enorm wichtig zu sein (Zeiske 2010:235f):

„In Mexiko kommt es auf jede Nuance der Hauttönung an, und in den gehobenen Positionen von Politik und Wirtschaft sowie in den allgegenwärtigen telenovelas sucht man vergebens nach indigenen Gesichtern.” (Zeiske 2010:236).

Neben rassistischer Ausgrenzung macht Zeiske aber auch Klassismus aus, den sie in der gesellschaftlichen Ablehnung einkommensschwacher Menschen erkennt. Zentralamerikaner_innen werden in dieser Region pauschal als arm eingestuft, da sie aus wirtschaftlichen Gründen in Richtung Norden reisen, womit Armut an ethnischer Zugehörigkeit und Nationalität festgemacht wird. Staatsangehörigkeit wird auch mit der Zugehörigkeit zu Banden und kriminellen Organisationen wie den Maras gleichgesetzt (Zeiske 2010:237).

Die Bevölkerung der Region wird täglich Zeuge der Massenabschiebungen von Zentralamerikanern_ innen in Richtung Süden, wobei sich die Annahme durchgesetzt hat, dass Migranten_innen eine Gefahr für Mexiko seien und Abschiebungen als legitimes Agieren der Staatsmacht empfunden werden (Zeiske 2010:238). Zugleich profitieren die Mexikaner_innen in der Region von der Arbeitskraft der Migranten_innen, die in den letzten 30 Jahren bestimmte Niedriglohnsektoren des lokalen Arbeitsmarktes43 übernommen haben, was den zunehmenden Wohlstand Tapachulas erklärt (Zeiske 2010:239f).

Für die Migranten_innen äußern sich diese rassistischen Strukturen vor allem in Ausbeutung. Darüber, dass ihnen sehr wenig Respekt entgegengebracht wird, sind sie fassungslos (Interviews mit José Demis, Carlo Zaldibar und Julio Sandigo, September 2006 in Arriaga).

„Pues yo aquí en este país yo no puedo hablarle mucho de derechos porque realmente estoy cruzando un país ilegalmente pero no soy una persona criminal como ellos lo toman. Que el inmigrante es un criminal. El emigrante sin vergüenza es un ladrón.“ (Interview mit Edvin Ramon, September 2006 in Tapachula).

Immer wieder werden die Migranten_innen auf ihrer Reise ausgeraubt. So wurde Germán Charria von einer Mexikanerin direkt in den Hinterhalt einer Bande gelockt. Einem anderen wurden für die Überfahrt über den Río Succhiate 3.000 statt fünf mexikanische Pesos44 abgenommen. Angehörige der lokalen Bevölkerung wie Busfahrer_innen von Minibussen beuten die Migranten_ innen aus, indem sie ihnen kein Wechselgeld geben. Beschweren sich die Migranten_innen, wird ihnen geantwortet, dass die Fahrer_innen beim Transport von Nichtdokumentierten eine Straftat (Menschenhandel) begehen und sich selbst in Gefahr bringen (s. Kap. 5.6.4.1). Sie drohen den Nichtdokumentierten damit, beim nächsten Polizeiauto anzuhalten und die Nichtdokumentierten auszuliefern (Interview mit Germán Charria, September 2006 in Tapachula).

Die Migranten_innen selbst verstehen sich während der Migration durch Mexiko als den Mexikanern_innen gegenüber gleichwertige Menschen.

„Porque si sienten ellos algo pues uno también. Si uno le duele pues yo no creo porque ellos son de acá de que si golpeen ellos no van a sentir? Pues tienen que sentir pues son humanos. Pues somos iguales pero como sea [...] a uno le dan alimentación solo que en algunas partes también sigue, lo discriminan o se portan mal con uno como a veces le estapan como a veces se aprovechan“ (Interview mit Eyder Lira, September 2006 in Arriaga).

José Demis, der schon einmal in den USA gearbeitet hat, berichtet, dass Migranten_innen sogar in den USA mehr Respekt entgegengebracht wird als in Mexiko. Die Verletzung ihrer Menschenwürde empfinden die Migranten_innen schlimmer als andere Verbrechen wie z.B. Diebstahl. Ihre Motivation, in die USA zu reisen, könnten die Mexikaner_innen ohnehin nicht brechen. Sie fühlten sich behandelt wie Verbrecher, seien jedoch lediglich Migranten_innen auf der Durchreise. Die Mexikaner_innen hätten kein Recht, ihnen körperlichen und seelischen Schaden zuzufügen. Ihr Ziel verfolgten sie, bis sie es erreichten oder Gott ihnen das Leben nimmt (Interviews mit Edvin Ramon, José Demmis und Carlo Zaldibar, September 2006 in Tapachula und Arriaga).

5.5. Migrationsrouten

„[...] aquel chavo que venga por primera vez y no sabe, verá que difícil es. Vienen a dejar todo y nomás de aquí se regresan otra vez. Todo por no saber pues.“ (Interview mit Germán Charria, September 2006 in Tapachula).

Die genaue Kenntnis darüber, auf welchem Wege es gelingen kann, ohne Geld zu verlieren und ohne sich übermäßig Gefahren auszusetzen, nicht dokumentiert durch Mexiko zu reisen, ist für die Migranten_innen besonders wichtig, da wie in Kapitel 5.6.1.2 ausgeführt wird, viele bei den ersten Versuchen abgeschoben werden. Sie wählen ihre Reiserouten anhand der Erfahrungen aus, die sie bei den ersten Versuchen durch Mexiko zu reisen gemacht haben. Dabei greifen sie auch auf Wissen zurück, dass sie sich durch den Austausch mit anderen Migranten_innen von Informationen über Risiken und sichere Routen aneignen (Interview mit Lydia Espinosa, September 2006 in Tapachula).

Die Hauptmigrationsroute der Nichtdokumentierten, die Mexiko auf dem Landweg durchqueren, führt zunächst über den Río Succhiate entlang der teilweise zerstörten Bahnlinie und einer Fernverkehrsstraße durch die Region Soconusco in Süden des Bundesstaates Chiapas. Ab dem Istmo de Tehuantepec verzweigt sich die Route (Interview mit Cristina Robledo, September 2006 in Tapachula; Ángel Castillo 2003b:184f).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 10: Migrationsrouten in Süden Mexicos (eigene Darstellung nach Hidalgo Dom í nguez 2006:131f; CNDH 2008a-c).

95,6% der 2006 aus Mexiko abgeschobenen Migranten_innen aus Guatemala reisten per Bus zur mexikanisch- guatemaltekischen Grenze. 94,3% hatten keine Aufenthaltserlaubnis für Mexiko. Nur 5,3% reisten mit einem FMVL-Visum45, einem pase local, nach Mexiko ein. Niemand von den Interviewten reiste mit Landarbeiter_innenvisum (FMVA46 ) nach Mexiko ein (INM 2009:132). Die meisten reisen in Tecún Umán über den Río Suchiate in den mexikanischen Bundesstaat Chiapas ein47. Viele schwimmen durch den Grenzfluss. In Tecún Umán können sie sich auch per Floß nach Ciudad Hidalgo auf der mexikanischen Seite übersetzen lassen, ohne eine Grenzkontrolle passieren zu müssen. Wie in Kapitel 5.4 dargestellt, kostet die Überfahrt nur wenig. Auf dem Fluss herrscht reger Verkehr von Menschen und Waren, die den regulären Grenzübertritt sowie die dazugehörigen Formalitäten umgehen. Grenzkontrollen finden vor allem im Inland statt. Von hier aus haben sie noch einen Weg von mindestens 1.852 km durch Mexiko vor sich48, bevor sie ihr Ziel erreichen.

Eine Strategie, um ohne Kontrollen und Kosten durch Mexiko zu reisen, ist die Reise mit dem Güterzug49. Bis 2005 fuhr der Zug direkt von der Südgrenze Mexikos in Ciudad Hidalgo ab. Seitdem fährt der Güterzug erst von der Stadt Arriaga in Chiapas bzw. Ixtepec im Bundesstaat Oaxaca ab. Aus diesem Grund reisen einige Migranten_innen mit Kleinbussen nach Arriaga bzw. Ixtepec oder sie laufen die 250 bzw. 416 km zu Fuß, denn entlang der Überlandstraßen finden immer wieder Kontrollen des INM statt (Map24 2010; Interview mit Cristina Robledo, September 2006 in Tapachula). Ein Informant beschreibt diese Situation wie folgt:

“Por el huracán el año pasado ya no hay tren. Entonces todos se van a Arriaga pero caminando. Son 250 kilómetros. Y llegan a Arriaga en un estado terrible porque en el camino hay 4 casetas de migración. Entonces las digamos que la vía es así, llegan así tal vez con un microbús o con una combi. Se bajan y se van caminando por el monte. Y aquí les esperan los ladrones, los delincuentes, los violadores y autoridades que también les roba, les viola, todo esta serie de cosas” (Interview mit Enrique Campos, September 2006 in Tapachula).

Allein zwischen Ciudad Hidalgo und Oaxaca de Juárez, den ersten 897 km in Mexiko, werden Reisebusse fünfmal von Beamten des INM kontrolliert. Die Kontrollen finden nur einseitig auf dem Weg in Richtung Norden statt.

Hinzu kommen weitere Verkehrskontrollen durch andere Polizei- und Militäreinheiten . Im Soconusco finden fast die Hälfte aller Festnahmen von nicht dokumentierten Migranten_innen statt (INM 2010a). Die Migranten_innen können also nur sehr eingeschränkt auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen. In den Mikrobussen können sie den ortskundigen Fahrer anweisen, sie kurz vor der nächsten Caseta Migratoria aussteigen zu lassen. Anschließend umrunden sie den Kontrollpunkt zu Fuß, um mit dem nächsten Mikrobus weiter zu fahren. Die am häufigsten thematisierte Caseta Migratoria ist La Arrocera . Dieser Ort hat einen sehr schlechten Ruf, und viele Migranten_innen haben große Angst ihn zu umrunden50 (Interviews mit José Domingo, Emigdio Maldonaldo, Jaime Estrada, Liseth Zalvidar und Eyder Lira, September 2006 in Tapachula).

Erreichen sie Ixtepec im Süden des Bundesstaates Oaxaca, fahren sie mit dem Zug über Lechería in Mexiko-Stadt oder über Veracruz in Richtung Norden. Haben sie die Nordgrenze erreicht, müssen sie noch immer die Grenze zu den USA überqueren und stehen dort vor demselben beschwerlichen Weg wie die Mexikaner_innen (Interviews mit Isael Muridio, Antonio Cortez, Edwin Cruz, Jorge Gerardo, María Alas, María Urruela, Antonio Rizo, Sandra Rizo, José Domingo, Emigdio Maldonaldo, Germán Charria, Nuson Mesia, Jaime Estrada, Sergio Bazquez, Alberto Ernesto und Santiago Leonel, September 2006 in Tapachula und Arriaga).

Doch es ist nicht für alle so leicht, von der Grenze nach Tapachula zu gelangen. Einige sammeln bereits auf diesem ersten Abschnitt der Reise durch Mexiko schlechte Erfahrungen. Ortskundige Migranten_innen wählen ihre Wege auch anhand von Strecken aus, auf denen es keine Kontrollpunkte gibt. In der Gegend von Puerto Madero schilderte ein Migrant einen einfacheren Weg (Interviews mit Germán Charria und Jaime Estrada, September 2006 in Tapachula):

„No, la pasé por Tecún Umán. Y después me fui a Puerto Madero. Por este lado. Va a salir de acá por el aeropuerto nacional de Tapachula. Y por aquí no hay caseta de migración. Lo que hay son retenes. Pero retenes de judiciales, no de sectoriales. Ellos no tienen derecho de agarrarte ni entregarte a migración“ (Interview mit Germán Charria, September 2006 in Tapachula).

Einige Migranten_innen haben durch die Schilderungen negativer Erfahrungen anderer so viel Angst vor der Reise, dass sie jegliche Infrastruktur meiden und zu Fuß durch die Berge in Richtung USA wandern, um von anderen Reisenden Abstand zu halten (Interviews mit Isael Muridio und Antonio Torres, September 2006 in Tapachula und Arriaga). Eine weitere mögliche Route führt von Tapachula aus durch Tonalá weiter bis Arriaga. Von dort aus mit dem Zug über Puebla und Lechería in Mexiko-Stadt, durch den Bundesstaat Veracruz in Richtung Norden. Ein anderer Migrant überquerte den Río Grande anschließend schwimmend und setzte seine Reise mit einem Güterzug bis Miami fort. Andere waren auf dem Weg in Richtung Houston oder Laredo in Texas. Nach dem Überqueren der US-Grenze lassen sich die Migranten_innen teilweise von Verwandten und Bekannten abholen (Interviews mit Isael Muridio, Antonio Cortez, Jorge Gerardo, Oved Romero, María Alas, Sandra Rizo, Lydia Espinosa und Alberto Ernesto, September 2006 in Tapachula).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 11: Migrationsroute von Ciudad Hidalgo nach Tapachula (eigene Darstellung)

Germán Charria war das zweite Mal unterwegs. Er reiste in einer Gruppe von Tecún Humán über Puerto Madero nach Tapachula. Bis Kilometer zehn benutzten sie einen Mikrobus. Anschließend wanderten sie ca. 15 Kilometer und wurden ausgeraubt. Nach insgesamt fünf Stunden kamen sie an der Casa del Migrante an. Sie entschieden sich für diesen Weg, um der Caseta Migratoria auszuweichen. Die Beamten_innen des INM warten auch an den Orten, an denen die Migranten_innen versuchen, Kontrollen zu umgehen. Bislang hat Germán Charria drei Versuche unternommen, in die USA zu gelangen. Er war aber nur bis Mexiko-Stadt gekommen. Immer wieder ist ihm das Geld ausgegangen, weshalb er bereits in Campeche, Copainala und Tuxtla gearbeitet hatte. Seinen Plan in die USA zu gelangen hat er aufgegeben. Nun möchte er wieder nach Tuxtla, wo er schon über ein Jahr lang gearbeitet hat, um sich die Reise zu finanzieren. Er geht davon aus, dort wieder bei denselben Arbeitgebern arbeiten zu können. Doch ihm fehlt das Geld um die Reise finanzieren zu können (Interview mit Germán Charria, September 2006 in Tapachula).

5.6. Risiken für Transitmigranten_innen in Mexiko

Die Migranten_innen, die ihren Herkunftsort ohne Dokumente verlassen, leben entwurzelt, in Unsichtbarkeit und der Angst entdeckt zu werden (Ruiz 2001b:8). Nahe der mexikanischen Südgrenze summieren sich die Überfälle und Diebstähle, Erpressungen durch Beamte, Unfälle, Hunger, Krankheiten, sexueller Missbrauch, etc. Die Liste der Risiken, denen nicht dokumentierte Transitmigranten_innen ausgesetzt sind, ist lang. Im Folgenden werden zunächst die von den Migranten_innen subjektiv am häufigsten wahrgenommenen Risiken im Transitland Mexiko identifiziert und Daten von Behörden, NROs und Wissenschaftler_innen ergänzt.

Bei der Erhebung der Freelists 51 wurden die Migranten_innen danach befragt, welche Risiken für sie bei der Reise durch Mexiko bestehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten52 53 54 55

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Die Ausgabe der Freelists zeigt, wie häufig die jeweiligen Risiken genannt wurden. Um herauszufinden, welche Risiken miteinander zusammenhängen, wurden Pilesorts 56 durchgeführt. Dafür wurden die 22 am häufigsten genannten Risiken, die von mindestens drei Informanten_innen genannt wurden, auf Karteikarten notiert und von den Informanten_innen nach Zusammenhängen sortiert (s. Abb. 13).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 12: Migranten vor der Casa del Migrante in Tapachula beim Sortieren der (Pilesort-) Karteikarten.

Die Nähe der einzelnen Risiken zueinander lässt sich thematisch grob in drei Bereiche einteilen:

1. Das bei den Freelists am häufigsten genannte Risiko „ser robado“57 nimmt eine zentrale Position unter den Risiken ein und geht mit Überfällen, Entführungen, Ausbeutung, Gewaltanwendung und sexueller Gewalt durch staatliche und nichtstaatliche Akteure einher. Diese weisen eine große Nähe zu Verhaftungen und Abschiebungen auf. Kapitel 5.6.1 „Überfälle“.

2. Die Möglichkeit vom Zug zu fallen, dabei zu sterben und Körperteile zu verlieren. Kapitel 5.6.2.

3. Risiken, die nicht durch dritte herbeigeführt werden, sondern mit den Reiserouten der Migranten_innen und physisch bedingter Erschöpfung in Verbindung gebracht werden können. Kapitel 5.6.3.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 13: Multidimensionale Skalierung der Risiken.

5.6.1. Überfälle

Mindestens ein Drittel, wenn nicht die Hälfte aller Migranten_innen werden auf ihrem Weg durch Chiapas überfallen und ausgeraubt (Zeiske 2010:235). Die Täter_innen sind Mitglieder von Banden wie der Mara 18 oder Mara Salvatrucha (vgl. Kap. 4.2.5), aber auch Angehörige mexikanischer Polizeieinheiten. Sie arbeiten oft mit Lokomotivführern_innen, Technikern_innen und privaten Sicherheitskräften der mexikanischen Bahnunternehmen zusammen (AI 2010:16). Doch die Überfälle finden nicht nur auf dem Zug statt, sondern auch auf anderen Routen, wie beim in Kapitel 5.5 beschriebenen Umrunden der Casetas Migratorias. Generell sind die Migranten_innen an

Orten gefährdet, die abseits der regulären Infrastruktur liegen. Zwei Orte im Süden Mexikos sind unter den Migranten_innen in dieser Region besonders berüchtigt. La Arrocera bei Huixtla und der basurero, die Mülldeponie von Arriaga. In Zusammenarbeit mit korrupten Polizisten_innen werden hier täglich Migranten_innen überfallen. Aber auch an anderen Orten der Region werden immer wieder Überfälle auf Migranten_innen verübt (Zeiske 2010:241).

„Allí ha estado contando una historia real lo que a mí me sucedió. Que no sé si mataron a mis cuates aquí adelante de Huixtla en la famosa caseta que le llaman La Arrocera. No sé si los mataron hace dos años que yo vine?“ (Interview mit Germán Charria, September 2006 in Tapachula).

Raubüberfälle enden im schlimmsten Fall mit der Ermordung von Migranten_innen. Es gibt keine genauen Angaben darüber, wie viele Menschen die Reise durch Mexiko jährlich mit dem Leben bezahlen. Jedes Jahr werden hunderte Migranten_innen vermisst oder getötet (Löding 2009:3; AI 2010:18f). Viele Migranten_innen fürchten sich davor, auf ihrer Reise umgebracht zu werden. Aus ihrer Sicht ist das INM und somit die mexikanische Migrationspolitik für die Todesfälle unter den Migranten_innen verantwortlich. Denn nur aufgrund der Migrationskontrollen müssen sich die Migranten_innen auf ihrer Reise verstecken (Interview mit Emigdio Maldonaldo, September 2006 in Tapachula).

5.6.1.1. Entführungen

„[...] me han secuestrado sólo por una vez. Pero aquí estoy. Me querían secuestrar pero el señor me puso. Y me querían jalar para el monte, entonces yo ya sabía y ya en la mañana llegaron tres levantar la puerta. Viera yo si fue cierta que abrían la puerta porque soy bien negativa con el enemigo. Y entonces viene uno de ellos y quiso abrir la puerta. Pero ni yo la podía abrir la puerta por dentro. Como estaba solida. Solamente porque soy cristiana y tengo sabiduría que el señor, ministro de mi corazón, así es que por envidia“ (Interview mit Liseth Zaldivar, September 2006 in Tapachula).

Viele Migranten_innen äußerten zum Zeitpunkt der Datenerhebung Ängste davor, Opfer einer Entführung werden zu können (Interviews mit Orlando Aiala, Jorge Gerardo, Mercedes Cortez und Lydia Espinos, September 2006 in Tapachula). Seit dem Zeitpunkt der Datenerhebung haben sich die Entführungen vervielfacht. Die Entführungen sind zu einem lukrativen Geschäft von Gangs und einem Drogenkartell, den so genannten Zetas geworden. Das Prinzip der Entführungen besteht darin, dass die Entführer von Verwandten in Ziel- und Herkunftsländern Geld erpressen, das ihnen auf demselben Weg wie die remesas per Geldsendung geschickt wird. Können die Verwandten keine Ressourcen mobilisieren oder kommen diese nicht pünktlich bei den Entführern_innen an, reagieren diese skrupellos und foltern bzw. erschießen die entführten Migranten_innen, während die Angehörigen am Telefon zuhören (CNDH 2009:40ff; AI 2010:13).

Einem Bericht der CNDH zufolge wurden zwischen September 2008 und Februar 2009 9.758 Migranten_innen Opfer von Entführungen. Von 238 interviewten Migranten_innen gaben 91 an, dass die Entführungen direkt von mexikanischen Beamten_innen durchgeführt wurden. Weitere 99 beobachteten, dass Polizisten_innen an den Entführungen beteiligt waren. Von 157 entführten Frauen wurde eine dazu gezwungen, als Trophäe bei dem Anführer der Gang zu bleiben, zwei wurden umgebracht, andere vergewaltigt. Neun von zehn Opfern wurden mit Pistolen und Messern, sowie ihrer Ermordung oder der ihrer Angehörigen bedroht. 1.456 wurden mit Schlägen, Füßen, Pistolen, Keulen, Stöcken und anderen Objekten geschlagen (CNDH 2009:9,14f,17; AI 2010:11).

Viele der Migranten_innen wurden vergewaltigt und mussten den Entführern Lösegeld in Höhe von umgerechnet 1.100 bis 3.600 Euro beschaffen, das von Familienangehörigen oder Freunden im Heimatland oder den USA aufgebracht werden musste. Es wird angenommen, dass im vergangenen Jahr insgesamt ca. 18 Millionen Euro auf diesem Wege erpresst wurden. Die Zahl der Opfer in Mexiko wird von der CNDH auf bis zu 18 Tausend pro Jahr geschätzt (CNDH 2009:12; Ordaz 2009). Opfer sind nicht nur Migranten_innen, die auf dem Weg in die USA sind, sondern auch jene, die bereits verhaftet wurden und gerade abgeschoben werden. Gegen die Drogenkartelle sind einzelne Polizeieinheiten praktisch machtlos. Teilweise entführen die Zetas über 100 Migranten_ innen direkt aus casetas migratorias heraus (Vortrag von Kathrin Zeiske, Juli 2007 in Hamburg). Überlebende Migranten_innen sind teilweise so traumatisiert, dass sie sich freiwillig in die Hände des INM begeben, um sich abschieben zu lassen, da sie den Gangs nicht nochmals in die Hände fallen möchten. Auf die steigenden Zahlen von Entführungen wurde von lokalen NROs jahrelang wiederholt hingewiesen. Die Entführungen hängen direkt mit Fällen von Gewaltverbrechen gegen Frauen und Kinder im Süden Mexikos zusammen, wobei die Gangs und Kartelle dicht mit einigen Polizeieinheiten zusammenarbeiten (AI 2010:11-13; De Jesús Peters 2008:11).

5.6.1.2. Abschiebepraxis und ihre Folgen

„Uno con pistola y uno con machete. Metense aquí y cuidado, el que se corra, lo he entendido. Nos revisaron, nos dejaron en boxers, nada más. No nos encontró nadie y nos dijeron váyanse de aquí. Entonces nos llevaron por atrás porque los chingo. Es la única vez que me asaltaron. Me agarró un sectorial, un grupo de policía. Nos entregaron a la migración y ellos nos llevaron al DF. Después nos mandaron aquí a Tapachula. En Tapachula me llevaron a Talismán. La frontera Talismán. Y de aquí estoy otra vez en Tapachula, echándole ganas. Y primera vez me podía llegar un poquito más por adelante“ (Interview mit Oved Romero, September 2006 in Tapachula).

Das INM ist der Secretaría de Gobernación (Innenministerium) untergeordnet und übt gemäß dem Bundesbevölkerungsgesetz (LGP) die Exekutive der mexikanischen Migrationspolitik aus (Ángel Castillo 2003b:207). Nicht dokumentierte Einreise, unerlaubter Aufenthalt und Wiederholungsfälle können mit Grundlage auf dem LGP Kap. VIII mit zwei bis zehn Jahren Gefängnis, sowie 5.000 Pesos Geldstrafe bestraft werden (Art. 118, 119 LGP). Transitmigration wird somit kriminalisiert (Vilches Hinojosa 2009:234f). Aufgegriffen werden die Migranten_innen unter anderem an so genannten Casetas Migratorias, von denen sich ein Netz über ganz Mexiko erstreckt (CNDH 2008a).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 14: Anzahl der Festnahmen nicht dokumentierter Migranten_innen in Mexiko 1995-2009 (INM 2010a).

2009 wurden an diesen Stationen 58.681 nicht dokumentierte Migranten_innen verhaftet. 84% entschieden sich für die freiwillige Rückführung. Nur 16% wurden abgeschoben (INM 2010a). Von den guatemaltekischen Migranten_innen, die 2006 auf dem Weg in die USA verhaftet und aus Mexiko abgeschoben wurden, waren 99,3% das erste Mal auf dem Weg. Nur 0,7% hatten schon zwei oder mehr Versuche gewagt (INM 2009:134).

Eine so genannte menschenwürdige, geordnete, schnelle und sichere Rückführung von Migranten_ innen ist seit 2006 und 2007 möglich58, nachdem Mexiko bilaterale Verträge mit El Salvador, Guatemala, Honduras und Nikaragua abgeschlossen hatte. Durch diese Verträge wird den Migranten_ innen ermöglicht, eine freiwillige Rückführung oder Asyl zu beantragen, anstatt abgeschoben zu werden. Die meisten Migranten_innen entscheiden sich für eine freiwillige Rückführung, um nicht als abgeschoben registriert zu werden, da sie anschließend wieder nach Mexiko einreisen können, ohne bei einer Wiedereinreise mit höheren Strafen rechnen zu müssen (AI 2010:27). Von diesem System hat die mexikanische Regierung klare Vorteile, da kürzere Inhaftierungszeiten günstiger sind und überfüllte Abschiebegefängnisse vermieden werden, was lange Zeit ein großes Problem darstellte (Zeiske 2005:63; 2010:297). So wurde anstelle des alten, ständig überfüllten und unhygienischen Abschiebegefängnis in Tapachula ein moderner Komplex gebaut, in dem internationale Standards weitgehend erfüllt werden. Migranten_innen werden nun nach Geschlechtern und Nationalitäten getrennt, Familien können zusammenbleiben und es herrschen hygienische Umstände (Vortrag von Ernesto Chávez Rodríguez, September 2007 in Oaxaca). Die Abschiebungen dauern je nach Zahl der abzuschiebenden Menschengruppen nur einige Stunden oder Tage, wodurch die Möglichkeit der Migranten_innen eingeschränkt wird, Zugang zu Beratung, ihren Konsulaten oder Strafverfolgungsbehörden zu bekommen. AI zufolge wird ihnen nicht genügend Möglichkeit gegeben, Misshandlungen und Missbrauch anzuzeigen oder Asyl zu beantragen (AI 2010:27).

Auch wenn Abschiebungen und Festnahmen von nicht dokumentierten Migranten_innen weiter an internationale Standards angepasst werden sollen (Vortrag von Ernesto Chávez Rodríguez, September 2007 in Oaxaca), orientieren sich die Migrationskontrollen entgegen den von Mexiko ratifizierten internationalen Verträgen59 an diskriminierenden Kriterien wie Kleidung, Akzent, Aussehen und Geruch von Personen, sowie an ihrem staatsbürgerlichen Wissen über Mexiko. Aus diesem Grund wurden auch sozial schwache Mexikaner_innen, teilweise mit indigener Zugehörigkeit, Opfer von Abschiebungen (Zeiske 2005:62; Foro Migraciones 2003:21). Immer wieder werden Migranten_innen während ihrer Festnahme bedroht, vergewaltigt, zusammengeschlagen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt (Zeiske 2005:63). Solche Missbrauchsfälle durch Beamte finden vorwiegend während der Migrationskontrollen statt, oder wenn Polizisten_innen Migranten_ innen außergesetzlich festnehmen, also wenn Beamte sich nicht ausweisen oder ohne vorliegende Genehmigung mit anderen Behörden wie dem Militär oder lokalen Polizeieinheiten zusammenarbeiten. Dabei werden Nichtdokumentierte verprügelt oder beschossen. Menschenrechtsstandards zufolge sollen Polizisten_innen gewaltfreie Maßnahmen verwenden, wann immer dies möglich ist. Sie dürfen nur Ausnahmen machen, wenn dies in Abwägung mit der Schwere des Vergehens absolut erforderlich ist, um Schaden und Verletzungen zu minimieren. Bezüglich der Nutzung von Waffen durch Sicherheits- und Polizeikräfte besteht in Mexiko jedoch keine Regelung (AI 2010:21-23). Die Aufbesserung niedriger Löhne durch Bestechungsgelder wird bei mexikanischen Polizeieinheiten zudem als alltäglich angesehen (Salcido 2003:147; Zeiske 2005:63).

Die sich weiter verschärfende Politik der inneren Sicherheit spiegelt sich auch in der mexikanischen Presse wider. Häufig wird von Migranten_innen berichtet, die bei Migrationskontrollen durch Beamte verletzt werden. Bei Kontrollen greift das INM immer wieder Migranten_innen auf, die in LKWs unterwegs und teilweise hinter doppelten Böden versteckt waren. Dabei wird oft von lebensgefährlichen Zuständen, wie fehlender Luftzufuhr berichtet (AI 2009c; Méndez 2010).

„Am 9. Januar 2009 schossen in der Stadt San Cristóbal de las Casas Polizeibeamte des Bundesstaates Chiapas auf einen Lastwagen, in dem sich etwa 45 Migranten_innen ohne Papiere befanden. Drei der Migranten_innen wurden getötet und acht weitere schwer verletzt. [...] Einer der mitfahrenden Migranten beschrieb später, dass die Polizeibeamten auf sie ‚schossen wie auf Tiere‘“ (AI 2009a).

Die Angst, Opfer von Polizeigewalt werden zu können, äußerten die Migranten_innen vor allem im Zusammenhang mit Überfällen und anderen Konfrontationen mit Polizisten_innen. Auch wenn die Angst vor körperlicher Gewalt hinter anderen Ängsten zurücksteht, rechnen viele Migranten_innen mit Gewaltanwendung seitens von Beamten_innen (Interview mit Santiago Leonel, September 2006 in Arriaga). Knapp die Hälfte von ihnen hatte bereits eine Abschiebung hinter sich, wobei sie nicht nur von Beamten_innen des INM und nicht ausschließlich an Casetas Migratorias verhaftet wurden60 (Interview mit Santiago Leonel, María Muridio, María Alas, Isael Muridio, Carlo Zaldibar, Antonio Cortez, Edwin Cruz und Antonio Torres, September 2006 in Arriaga und Tapachula).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 15: Angst vor Gewaltanwendung (eigene Erhebung von 2007).

Da Nichtdokumentierte keinen Status haben, werden sie erst ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme sichtbar bzw. für die mexikanische Bürokratie existent. Die Visavergabe an strenge Richtlinien zu knüpfen bedeutet somit, sie in Situationen großer Gefahr zu bringen, die sie und ihr Leben in verschiedener Hinsicht bedrohen. Diese Praxis drückt sich auf der ganzen Welt in wahren Tragödien aus (Ramírez 2003:219).

5.6.1.3. Sexueller Missbrauch

Immer wieder werden Fälle von sexueller Gewalt an Migranten_innen durch Banden oder wie in Kapitel 5.6.1.2 beschrieben durch Soldaten und Polizeieinheiten dokumentiert. Sexuelle Gewalt ist eines der Mittel, mit dem der Widerstand von Migranten_innen gebrochen wird und bringt oft schwerwiegende physische und psychologische Folgen mit sich. Zu den Opfern zählen auch Partner_innen und Eltern, die sexuelle Gewalt an mitreisenden Angehörigen miterleben. Laut Heyman Vázquez Medina, dem Betreiber der Casa del Migrante in Arriaga werden sechs von zehn Frauen die in seiner Herberge Zuflucht suchen Opfer sexueller Gewalt. Diese Ansicht wird von lokalen und internationalen NROs geteilt. Außerdem wird davon ausgegangen, dass nur ein geringer Anteil der Fälle registriert wird (AI 2010:14). Gefährlich sind vor allem Orte, die abseits der normalen Verkehrswege liegen oder die Reise mit dem Zug. Täter_innen sind Angehörige von Gangs, andere Migranten_innen, korrupte Beamte und so genannte coyotes, also Schleuser_innen oder Schlepper_innen, die Migranten_innen ohne Dokumente in die USA bringen, und sich dabei des Menschenhandels strafbar machen (s. Kap. 5.7.1). Sexuelle Gewalt ist so stark verbreitet, dass coyotes von Frauen teilweise verlangen, schon vor der Reise empfängnisverhütende Mittel zu benutzen (AI 2010:15). Die Migranten_innen selbst halten es nicht für unwahrscheinlich, vergewaltigt zu werden. Laut Sergio Bazquez wissen sie, dass ihnen unter Umständen eine Vergewaltigung bevorsteht (Interview mit María Sanchez, María Alas, José Domingo, Sergio Bazquez, Alberto Ernesto und Santiago Leonel, September 2006 in Tapachula). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass nicht nur Frauen Angst davor haben, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Auf die Frage: „Glauben Sie, dass es wahrscheinlich ist, Opfer einer Vergewaltigung auf ihrer Reise durch Mexiko zu werden?“, antworteten sieben von neun Frauen gegenüber elf von 24 Männern, dass sie es für wahrscheinlich hielten, Opfer einer Vergewaltigung werden zu können (s. Abb. 16).

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, während ihrer Reise durch Mexiko Opfer sexueller Gewalt zu werden?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 16: Angst vor sexueller Gewalt, Werte in Prozent (eigene Erhebung von 2007).

Tatsächlich wurde zum Zeitpunkt der Datenerhebung ein Mann in der Casa del Migrante in Arriaga betreut, der Opfer von sexuellem Missbrauch durch mexikanische Polizeibeamte geworden war.

„[...] póngale violar a una señorita, usted sabe que es un gran problema a que un individuo se mete. y ellos por ser autoridades han tomado esta facultad y lo han autorizado porque tienen la libertad y lo han convertido en libertinaje y eso no conviene porque simplemente nosotros también tenemos nuestro valor nuestros derechos de no ser también pisoteado por ello ya porque ellos están un poquito arriba o son las autoridades ellos lo maltratan y golpean a uno demasiado y como digo, si uno no viene expuesto a esas cosas [...]“(Interview mit Santiago Leonel, September 2006 in Arriaga).

Eine der Ursachen für sexuelle Gewalt liegt nach Ansicht von Santiago Leonel darin, dass Polizisten_ innen mit Befugnissen ausgestattet sind, die sie zügellos ausnutzen (Interview mit Santiago Leonel, September 2006 in Arriaga). In der Casa del Migrante in Arriaga wurde der zuständige Pater schon um Mittel zur postkoitalen Empfängnisverhütung gebeten, da die Frauen nicht schwanger in den USA ankommen wollten (De la Luz Tesoro 2007).

5.6.2. Der Zug

“[...] otros que eran mareros. Que se subieron al tren para asaltar a la gente que lleva dinero. Pero la misma gente que va allí, va unida. Y ya se une, de que si se mete un marrero como de la MS o de la Mara18. Y la gente va unida y no dejen de que esta gente que se suba. Y a veces que los avientan del tren. Porque no permiten que una persona de estas porque estos no tienen lástima para nadie. Porque ellos, su misión es asaltar y matar. Y mucha gente de estas murieron. Una muchacha se aventó al tren y no se pude aventar y le cortó la pierna. Y murieron como unas seis personas en este viaje.”(Interview mit Antonio Torres, September 2006 in Arriaga).

Auch auf dem Zug61 finden Überfälle statt. Immer wieder steigen bewaffnete Banden auf, die Migranten_innen ausrauben, sie vergewaltigen, mit Macheten angreifen und erpressen. Bei Zahlungsunfähigkeit werden zudem immer wieder Migranten_innen vom Zug geworfen (Interviews mit María Alas, Antonio Cortez, Antonio Riuo, Antonio Torres, September 2006 in Tapachula und Arriaga). Wie in Kapitel 5.5 dargestellt, ist der Güterzug nicht nur Risiko, sondern zugleich wichtige Strategie für nicht dokumentierte Migranten_innen, um durch Mexiko zu reisen. Hier finden nur selten Migrationskontrollen statt. Außerdem kostet die Reise mit dem Güterzug nichts. Er verkörpert er die Möglichkeit, ohne Geld und Papiere durch Mexiko reisen zu können. Zugleich symbolisiert er Risiken, die im Folgenden ausgeführt werden.

5.6.2.1. Unfälle

„[...] y una señora, una muchacha dejó su hija del Salvador de una ciudad que se llama San Miguel. Dejó su hija de tres años. Y la niña dice que lloraba que no se viniera. Y que crees? Que se cayó del tren y se cortó los dos pies. Solo se quedó el pedazo de acá. Acá estuvo y me decía que quería que la mataran. Mátenme mejor, decía. Mátenme ya para qué voy a vivir? Yo iba para E.E.U.U. decía la señora. Por obtener más y a darle más a mi hija y ahora que creen? que voy sin pie y a que voy ir al Salvador? A nada, a pedir. Entonces que le voy a dar a mi hija? Mejor mátenme, dice. Entonces no vale la pena. No vale la pena cuando uno no viene seguro.“(Interview mit Germán Charria, September 2007 in Tapachula).

Unfälle im Zusammenhang mit dem Zug und andere Verkehrsunfälle gehören zu den Risiken, denen Migranten_innen besonders häufig ausgesetzt sind (Ruiz 2001b:8ff). So kommt es immer wieder vor, das Migranten_innen einschlafen und vom Zug fallen, von hängenden Ästen vom Dach gewischt werden oder beim Aufspringen in einen Sog geraten und unter die Räder gezogen werden.

Unter den Migranten_innen kursieren furchtbare Geschichten. Ein Migrant hatte erlebt, wie auf einer Reise sechs von ca. 500 Migranten_innen starben, als der Zug in einen Tunnel fuhr und sie, im Schlaf überrascht, herunter vielen.

„Nos salimos con 500 personas pero en este viaje murieron seis personas. Unos que se cayeron del tren cuando el tren pasó por un túnel. Se cayeron porque iban dormido.” (Interview mit Antonio Torres, September 2006 in Arriaga).

Wenn sie vom Zug fallen, haben viele der Migranten_innen Glück im Unglück. Durch den starken Druck der Räder auf die Schienen verschließen sich die Wunden, so dass die Migranten_innen zwar ganze Körperteile, jedoch kein Blut verlieren und relativ oft überleben (Vortrag von Kathrin Zeiske, Juli 2010 in Hamburg). Dennoch steigen jeden Tag Hunderte von Migranten_innen auf den Zug (Interviews mit María Alas, Antonio Alas, Antonio Rizo und Jaime Estrada, September 2006 in Tapachula).

Passiert ein Unfall, werden die Migranten_innen oft nur mangelhaft medizinisch versorgt oder ihnen wird ärztliche Hilfe und die Aufnahme in ein Krankenhaus komplett verweigert (Ruiz 2001b:15, AI 2009b). Häufig werden sie von Selbstzweifeln geplagt und sind stark Suizid gefährdet. Mehr als 100 Unfallopfer bleiben jedes Jahr dauerhaft invalide (Löding 2009:3, AI 2009b, Vortrag von Kathrin Zeiske, Juli 2010 in Hamburg).

5.6.2.2. Migrationskontrollen auf dem Zug

„Cuando el tren se para, uno puede correr y bajar pero siempre esta Migración. Tal vez de 200 pueden agarrar unos 70. Porque Migración tal vez son unos 100. Y uno que agarro uno, ya no lo va a dejar por seguirlo aún. Pero mientras no agarren gente es raro que se escapen.“(Interview mit Antonio Cortez, September 2007 in Tapachula).

Sobald der Zug angehalten wird, kommt Panik unter vielen Migranten_innen auf. Immer wieder versuchen viele, vom fahrenden Zug zu springen und bringen sich dabei in noch größere Gefahr. Dabei besteht erhöhte Unfallgefahr, denn die Migranten_innen haben oft keine ausreichenden Möglichkeiten, sich an den Güterwaggons festzuhalten.

Um den Beamten_innen zu entkommen und Familienangehörige und Freunde_innen nicht zu verlieren, müssen sie später dem anfahrenden Zug hinterherlaufen (Interviews mit Antonio Cortez und Antonio Torres, September 2006 in Tapachula und Arriaga; Zeiske 2005:66,).

5.6.3. Natürliche Gefahren

Sterben, Bisse von Tieren62, Krank werden, Ertrinken, sowie Hunger und Durst erleiden das sind Risiken, von denen Migranten_innen besonders häufig betroffen sind (Ruiz 2001b:22). Die Auswertung der Freelists zeigt, dass sie den Migranten_innen bewusst sind (Interviews mit Isael Muridio, Antonio Cortez, Jorge Gerardo, Oved Romero, María Alas, Emigdio Maldonaldo, Germán Charria, Carlo Zaldibar und Antonio Torres, September 2006 in Tapachula und Arriaga).

5.6.3.1. Krankheiten

Abgesehen von der Gefahr, auf dem Weg von einem Tier wie einer Schlange oder einem Skorpion gebissen zu werden, ernähren sich die Migranten_innen unterwegs oft nicht gut oder zu wenig und sind auch aufgrund von Schlafmangel und Erschöpfung anfällig für Krankheiten. Das Personal öffentlicher Krankenhäuser in Mexiko behandelt verwundete oder erkrankte Migranten_innen meist nur notdürftig. Ebenso wie gegen Polizisten_innen und Banden haben die Migranten_innen keine reale Möglichkeit, gegen die Ärzte vorzugehen und eine angemessene Behandlung einzufordern. In einem von AI dokumentierten Fall wurde einem Migranten, der in einen Nagel getreten war, zunächst der Fuß und später das Bein amputiert werden, nachdem ihm wiederholt die Behandlung in Krankenhäusern verweigert worden war (AI 2009b).

Daneben haben sich Ansteckungen mit HIV zu einem so großen Problem entwickelt, dass die Casa del Migrante in Tapachula mehrmals wöchentlich AIDS-Aufklärung anbietet und an die Migranten_ innen Kondome ausgibt, damit sich diese im Falle einer Vergewaltigung möglichst schützen können (Interview mit Antonio Torres, September 2006 in Arriaga).

5.6.3.2. Ertrinken

Immer wieder äußern Migranten_innen die Angst, auf der Reise ertrinken zu können (vgl. Kap. 5.2). Während der Überfahrt über den Fluss Río Succhiate wird ihnen teilweise gedroht, ins Wasser geworfen zu werden, wenn sie nicht mehr Geld für die Überfahrt bezahlen. Dabei ist der Fluss meist nicht besonders tief, und außerhalb der Regenzeit besteht die Möglichkeit hindurchzuwaten. Zur Regenzeit, also vor allem im Spätsommer, steigt der Fluss oft so stark an, dass nur gute Schwimmer ihn durchqueren können. Der Río Grande an der Nordgrenze Mexikos ist die zweite Barriere, die unter Umständen schwimmend bewältigt werden muss. Diese Problem wurde in den Interviews jedoch kaum thematisiert, da es vom Ort der Erhebung ca. 2.000 km entfernt gelegen war (Interviews mit Isael Muridio, September 2006 in Arriaga).

5.6.3.3. Hunger und Durst leiden

„[...] aguantando hambre cuando uno ya no lleva dinero y aquí en México hay gente que la verdad que no le gusta que uno le pida dinero. Pero sí hay gente que es buena que le echa la mano con comida pero hay gente que no le da y así empieza sufrir uno. O hay gente que no pide porque no está acostumbrada a pedir y aquí en este país hay mucha gente que no pide por vergüenza y así esta gente así empieza sufrir y a sufrir y a sufrir y usted sabe que este camino es tan largo de México que uno va sufriendo o hay gente que a veces se enferma, de aguantar hambre se emballa y así ya la persona empieza a magrarse a ponerse delgada y hay gente que muere en este camino.” (Interview mit Antonio Torres, September 2006 in Arriaga).

Auch Hunger und Durst erleiden zu müssen, wurde als Risiko genannt. Vor allem während der tagelangen Reise auf dem Zug leiden die meisten Migranten_innen an Hunger und Durst. Teilweise erhalten sie Unterstützung von Mexikanern_innen, die ihnen etwas zu essen anbieten. Das Risiko, in der Wüste zwischen Mexiko und den USA zu verdursten, ist von dem Ort, an dem sie sich im Moment der Datenerhebung befanden noch weit entfernt, wurde aber auch thematisiert (Interviews mit Isael Muridio und Antonio Torres, September 2006 in Arriaga).

Laut Antonio Torres sterben immer wieder Nichtdokumentierte, die durch die Wüste laufen an Hunger und Durst. Wenn sie von ihren Schleppern im Stich gelassen werden, sind sie verloren.

Einige finden den Weg aus der Wüste oder haben Glück und werden von der Migrationspolizei oder Polizei oder anderen Menschen gefunden und ins Krankenhaus gebracht (Interview mit Antonio Torres, September 2006 in Arriaga).

5.6.4. Einordnung der wahrgenommenen Risiken in einen menschenrechtspolitischen Kontext

Die von den Migranten_innen thematisierten Risiken lassen sich zu einem großen Anteil in einen menschenrechtspolitischen Kontext einordnen, der von der Ethnologie oft gemieden wird63 (Schönhuth 2002:26). Da Mexiko entsprechende Abkommen unterzeichnet hat, die die Nichtdokumentierten schützen64, und sich wie in Kapitel 5.3 beschrieben für die Menschenrechte eigener nicht dokumentierter Staatsangehöriger im Ausland einsetzt, sind die Menschenrechte keine politische Frage mehr. Vielmehr geht es in diesem Kontext um Menschlichkeit (De Jesús Desiderio et al. 2009:12). Eine Behandlung der Menschenrechte und Positionierung im Sinne einer angewandten Ethnologie ist in diesem Kontext daher unumgänglich.

Bei der Datenerhebung kannten nur wenige Informanten_innen die Rechte, die sie in Mexiko haben. So gaben viele an, keinerlei Rechte im Transitland zu besitzen, weshalb keine kulturelle Domäne, also kein gemeinsames Wissen identifiziert werden konnte (Lorenz 2010a:39f). Einzelne Migranten_innen kannten ihre Rechte jedoch relativ genau. Beispielsweise sind die Menschenrechte für Isael nicht mehr als ein Stück Papier. Die mexikanische Menschenrechtskommission rede viel, aber sie täte nicht was sie verspricht.

„Los derechos humanos nada más hacen un papel. Hablan pero no actúan lo que dicen. Nada mas apuntan y escriben pero saben que uno va de paso, no te vas a quedar a esperar una respuesta lo que ellos te prometen que van a cumplir, no lo cumplen. Derechos Humanos son una organización que si probablemente ayude pero para nosotros es inalcanzable que no lo hacen. No van a ir a buscar al quien me robó, al quien me asaltó, al que me quitó el dinero. Siguen siendo ratas de la misma jaula. Me entiende?“ (Interview mit Isael Muridio, September 2006 in Arriaga).

Mit seiner Aussage trifft Isael einen Punkt, der auch von Menschenrechtsorganisationen angemahnt wird. Migranten_innen haben das Recht auf Rechtsmittel, Entschädigung und Schutz bei Verletzung ihrer Menschenrechte. Das Ausmaß an Straflosigkeit ist jedoch enorm. Für nicht dokumentierte Migranten_innen macht sogar das Erstatten einer Anzeige Schwierigkeiten, von Absicherung des Rechtsweges und ihrer persönlichen Sicherheit einmal abgesehen (AI 2010:29).

„A veces aquí en México uno tiene el derecho de vincarnos [sic] porque uno es ajeno pues no es extranjero. Pero uno tiene una dignidad que también ellos deben respectar esta dignidad la que todo ser humano lo tiene. Porque póngale que ellos empiezan a discriminarme a uno y ya uno se siente muy gacho, uno empieza desmoralizarse“ (Interview mit Santiago Leonel, September 2006 in Arriaga).

Hauptgrund für die weitgehende Straffreiheit von Raubüberfällen, Vergewaltigungen und Misshandlungen an den Nichtdokumentierten ist die Straffreiheit der Täter_innen und Korruption unter den Beamten_innen. Die nicht dokumentierten Opfer fühlen sich einer systematischen Unterdrückung und Verfolgung ausgesetzt. Wenn Migranten_innen Anzeigen erstatten, hat dies eher dokumentarischen Charakter. In den meisten Fällen ermitteln die Beamten nicht (Zeiske 2010:242). Eine Teilschuld trifft die Gesetzgebung, da alle nationalen, bundesstaatlichen und kommunalen Behörden verpflichtet sind, sicherzustellen, dass Angehörige anderer Länder die auf ihre Dienste zurückgreifen wollen, über einen legalen Aufenthaltsstatus verfügen. Wenn dieser nicht nachgewiesen werden kann, sind die Beamten_innen verpflichtet, die Migranten_innen an das INM zu überstellen, was auf Migranten_innen abschreckend wirkt. Die Art. 67 LGP und 201 RLGP wurden von Menschenrechtsorganisationen wiederholt als diskriminierend gegenüber Migranten_innen kritisiert (AI 2010:29).

Zurückzuführen sind diese Risiken unter anderem auf den nicht dokumentierten Status und den daraus resultierenden hohen Grad an Diskriminierung. Das Gefühl, nicht als Mensch wahrgenommen zu werden, äußert sich darin, dass die Migranten_innen ihre Identität infrage stellen und an Selbstbewusstsein verlieren.

„Ya he visto cómo nos tratan, como que si fuéramos animales.“ (Interview mit Edvin Ramon).

Die Migranten_innen greifen nicht einmal auf Organisationen wie die CNDH zurück, da diese Santiago Leonel zufolge ohnehin keine Ermittlungen anstellen würde. Ihr Ziel ist es, möglichst ohne Verzögerung in die USA zu gelangen, woran ein über Monate andauernder Prozess sie hindern würde. Straffreiheit für Straftaten an Migranten_innen wird auch von den Opfern als Problem wahrgenommen (Interview mit Santiago Leonel, September 2006 in Tapachula).

5.6.4.1. Menschenhandel oder Transport von Nichtdokumentierten?

Wie in Kapitel 5.4 beschrieben, wird der Transport von Nichtdokumentierten als Straftat geahndet. Tatsächlich kann Menschenhandel in Mexiko mit sechs bis zwölf Jahren Gefängnis und 100 bis 10.000 Tagesgehältern Strafe geahndet werden. Auch für Beihilfe zum Menschenhandel können Menschen ein bis fünf Jahre inhaftiert und mit bis zu 5.000 Tagesgehältern bestraft werden (Vilches Hinojosa 2009:237).

So wird Menschenhandel häufig missverstanden. Denn vielmehr als um den Transport von Nichtdokumentierten geht es um Verbrechen wie sexuelle Ausbeutung und Ausnutzung von Menschen, die sich in einer Zwangslage befinden. Diese Art von Verbrechen hat sich laut Angabe verschiedener internationaler Organisationen im Süden Mexikos zu einem ernst zu nehmenden Problem entwickelt65. Für die Migranten_innen, die ohne Papiere auf dem Weg in die USA sind, wird Menschenhandel jedoch meistens im Zusammenhang mit coyotes, in Verbindung gebracht. Dabei wird Menschenhandel oft missverstanden, da ein klarer Unterschied zwischen Menschenhandel und Transport von Nichtdokumentierten besteht. So wird nicht immer freiwillig der Kontakt zu coyotes gesucht und es geht folglich nicht immer um Geld. Der Kontakt entsteht unter Umständen unter Täuschung und/oder Nötigung und Missbrauch. Menschenhandel kann auch ohne Grenzübertritt stattfinden. Im Wesentlichen geht es um Frauen, Mädchen und Jungen, nur ein kleiner Anteil der Opfer sind Männer. Die Risiken während der Reise mit einen coyote sind minimal. Das Abhängigkeitsverhältnis von Migranten_innen hört mit der Ankunft im Zielland nicht auf. Oft müssen Schulden für die Reise abgearbeitet werden. In keinem Fall geht es um eine fundamentale Straftat gegen den Staat, sondern um Sklaverei, Zwangsarbeit, Arbeit zum Abbau von Schulden, Zwangsehe, Zwangsprostitution, erzwungene Abtreibung, erzwungene Schwangerschaft, Folter, Misshandlung, unmenschliche und degradierende Behandlung, sexuelle Gewalt oder Aggression, physische Verletzungen, Mord, Entführung, Zwangsaufenthalt, Ausbeutung der Arbeitskraft oder Entzug der Identitätsnachweise (Farah Gebara 2007:10; Rigoni 2007:15).

In den letzten Jahren wurden immer wieder Mexikaner_innen unter dem Vorwurf, Menschenhandel zu betreiben, angezeigt, obwohl sie humanitäre Hilfe leisteten, die keinen Straftatbestand erfüllt. Menschenhandel als Vergehen liegt in diesem Zusammenhang z.B. dann vor, wenn vonseiten der coyotes versucht wird, die Migranten_innen zum Drogenschmuggel zu benutzen, und sie im Gegenzug kostenlos über die US-Grenze zu bringen (Interview mit José Alvarado, September 2006 in Tapachula).

5.6.4.2. Unsichtbarkeit

Nicht Dokumentierte machen sich unsichtbar, indem sie sich unauffällig verhalten und an Orten aufhalten bzw. reisen, an denen ihre Papiere nicht kontrolliert werden. Durch dieses Verhalten werden sie zugleich verwundbar, da an abseits gelegenen Orten niemand Verbrechen an ihnen bemerkt. Unsichtbar sind sie auch, da sie für die Behörden erst ab dem Zeitpunkt einer Verhaftung registriert sind und auch erst dann einer Kategorie zugeordnet werden (Polzer 2008:478).

Die Einordnung von Gruppen in Kategorien schließt immer auch Menschen aus und kann dazu führen, dass sie nicht mehr beachtet oder vernachlässigt werden (Bakewell 2008:422, Polzer 2008:227). Verwendet man Begriffe wie Vertriebene oder Flüchtlingsstatus als definierende Kategorien für Migranten_innen, lässt sich eine Tendenz feststellen, dass einige Formen von Migration nachvollzogen und anerkannt werden, während andere keine weitere Beachtung finden (Bakewell 2008:439). Beispielsweise besteht seit den Friedensverträgen von 1992 trotz anhaltender Gewalt und Kontinuität der Migrationsgründe während und nach dem Krieg, kaum noch Forschungsinteresse für Migration von Menschen aus El Salvador. Im Gegensatz zu Flüchtlingen können sich nicht dokumentierte Migranten_innen nicht auf Asylrecht berufen66. Auch Zentralamerikanische Transitmigranten_innen in Mexiko haben bislang nur wenig Beachtung gefunden. Die Menschen die das Land heute verlassen, werden als freiwillige Migranten_innen eingestuft und nicht mehr als Flüchtlinge, weshalb sie in Studien über Flüchtlinge keine Erwähnung mehr finden (2008:439).

5.6.4.3. Konsequenzen

Viele der von den Migranten_innen thematisierten Risiken stellen extreme Formen von Diskriminierung dar. Die Konsequenzen für die betroffenen Personen sind vielschichtig. Eine körperliche Behinderung in Folge eines Sturzes vom Zug beispielsweise wirkt sich dauerhaft auf verschiedene Lebensbereiche wie Arbeit und Familie aus (Ruiz 2001:267). Sogar das INM gesteht ein, dass Migranten_innen einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt sind. Um diese zu reduzieren, strebt es wie in Kapitel 5.2 dargestellt, einem Ausbau der Maßnahmen zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit an, da dieser eine weitergehende Militarisierung der Südgrenze, mehr Kontrollen und mehr Polizeipräsenz beinhaltet (Rodríguez Chávez 2006:68). Mittlerweile räumt sogar die ehemalige Vorsitzende des INM, Cecilia Guadalupe Romero ein, dass ihre Beamten_innen stark dazu neigen, die „Schwachen“ auszubeuten (Gerardo Mejía 2009:10).

5.7. Strategien

Strategien der Nichtdokumentierten zum Umgang mit Risiken stellten während der Datenerhebung keine explizite Forschungsfrage dar, wurden von den Migranten_innen aber implizit geäußert. Um sich auf dieser riskanten Reise behaupten zu können und um Migrationskontrollen effizient zu umgehen (s. Kap. 5.5), ist ein möglichst großes Wissen über den Weg und die Risiken von enormer Bedeutung. Viele der Nichtdokumentierten unterschätzen die Distanz, die sie vom Süden Mexikos in die USA zurücklegen müssen und wissen nicht genügend über die Risiken der Reise (Interviews mit José Domingo und Cristina Robledo, September 2006 in Tapachula). Dabei ist der Grenzübertritt schwimmend oder mithilfe eines Floßes über den Rio Succhiate, noch am einfachsten. Einige Menschen aus Guatemala haben die Möglichkeit, mit einem Landarbeiter_innenvisum (FMVL) durch den Süden Mexikos zu reisen und können Gefahren so minimieren. Es ist schwierig herauszufinden, wie man Beamte_innen mit dem geringst möglichen Betrag am effektivsten bestechen kann. Zu den Strategien zählt wie oben erwähnt, dass viele der Migranten_innen versuchen, ganz ohne Identitätsnachweis durch Mexiko zu reisen, um im Falle einer Abschiebung Guatemala als Herkunftsland angeben zu können. So sparen sie sich beim nächsten Versuch den Weg von ihrem weiter entfernten Herkunftsland bis zu Grenze mit Mexiko (Interview mit José Alvarado, September 2006 in Tapachula).

Ebenfalls wichtig ist die Kenntnis von Organisationen, die in bestimmten Fällen Hilfe leisten können. Wie findet man die Casa del Migrante, an wen kann man sich nach einem Überfall oder sexueller Gewalt wenden, um Hilfe zu bekommen? Wie kann man sich Geld von Verwandten schicken lassen, wenn man ausgeraubt wurde? Das Zurückgreifen auf Netzwerke ist von ebenso großer Bedeutung für die Migranten_innen. Ob man sicherer reist, wenn man in einer Gruppe unterwegs ist, von der einige den Weg bereits kennen oder ob man alleine unauffälliger ist und nicht so schnell aufgegriffen wird (s. Kap. 5.7.4).

Bei jedem Versuch eignen sich die Migranten_innen Wissen über die Route an. Dazu tauschen sie Erfahrungen und Strategien mit Gleichgesinnten aus, um die Kontrollen besser umgehen zu können (Zeiske 2005:42). Diejenigen, die die Reise zum ersten Mal antreten, werden oft umgehend wieder in ihre Heimatländer abgeschoben. Als Grund wird vielfach der Mangel an Informationen und Wissen über die Schwierigkeiten der Reise angegeben67. Beispielsweise gaben zwei Informanten_ innen an, dass sie schon seit drei Jahren immer wieder versuchen, die USA zu erreichen. Nach jeder Abschiebung mussten sie drei oder vier Monate arbeiten, um anschließend den nächsten Versuch wagen zu können. Jeder macht andere Erfahrungen und lernt mit jedem Versuch dazu. Viele schlafen auf Friedhöfen oder in Casas del Migrante. Auch versuchen viele Migranten_innen, sich mit Leuten, die den Weg bereits kennen, zusammenzuschließen.

Die Gemeinschaft der Reisenden ist wichtig, um während der Reise nicht den Mut zu verlieren. Sie dient auch zum Schutz vor Angreifern. Eine Migrantin (María Sanchez) berichtete beispielsweise, dass sie Angreifern eine Machete entwenden und sie in die Flucht schlagen konnte. Nur durch neu geschaffene Netzwerke während der Reise, können sich die Migranten_innen während der Reise gegenseitig zu helfen und beschützen, sowie Informationen über die besten Routen austauschen.

Wenn die Nichtdokumentierten es nach der in Kapitel 5.1 beschriebenen Reise zu Fuß oder im Kombi durch Chiapas bis nach Arriaga oder Ixtepec geschafft haben, treten sie mit dem nächsten Zug die Weiterfahrt an und fahren in Richtung Norden (Interviews mit Isael Muridio, Antonio Cortez, Oved Romero, Sergio Cordoba, María Urruela, Antonio Rizo, Sandra Rizo, Emigdio Maldonaldo, José Alvarado, Germán Charria, Lydia Espinosa, Nuson Mesia, Sergio Basquez, Alberto Ernesto und Santiago Leonel September 2006 in Tapachula und Arriaga).

5.7.1. Coyotes

Eine Möglichkeit, ohne Visum durch Mexiko zu reisen ist die mit einem so genannten coyote. Während ein Flug von Guatemala-Stadt nach Chicago ca. 250 US-Dollar (Idealo 2010) kostet und die Visumsgebühr 140 US-Dollar beträgt (Embajada de los Estados Unidos - Tegucigalpa - Honduras 2010), müssen für die nicht dokumentierte Reise mit einem coyote von Zentralamerika bis in die USA ca. 6.000 US-Dollar kalkuliert werden. Die für diese Arbeit befragten Migranten_innen hatten jedoch nicht die finanziellen Mittel, um einen coyote zu bezahlen oder waren auf halbem Weg sitzen gelassen worden. Die Migranten_innen sind der Ansicht, dass die Reise mit einem coyote sicherer ist, als auf eigene Faust zu reisen68. Migranten_innen, die sich an den Casas del Migrante aufhalten, können sich diese Möglichkeit nicht leisten, da sie nur sehr begrenzte Beträge zur Verfügung haben. Einige Migranten_innen wurden von ihrem coyote sitzen gelassen und hatten knapp 6.000 US-Dollar pro Person ausgegeben. Jetzt mit leeren Händen zu ihren Familien zurückzukehren, hätte sie erniedrigt, weshalb sie die Reise ohne Ressourcen fortsetzten (Interviews mit Antonio Cortez, Orlando Aiala, Sergio Cordoba, José Alvarado, Germán Charria und María Muridio in Tapachula und Arriaga).

„Gente que los mismos coyotes los dejan votado en el monte, en el desierto. Esta gente sin guía pues queda perdida“ (Interview mit Antonio Torres, September 2010 in Arriaga).

Germán Charria zufolge schaffen es die meisten allein oft nicht einmal durch Chiapas. Um den Gefahren ohne coyote aus dem Weg zu gehen, gehen einige durch die Berge. Schwierig wird es, wenn Sümpfe durchquert werden müssen (Interview mit Germán Charria, September 2006 in Tapachula).

5.7.2. Glaube

Glaube ist keine Strategie, für die Migranten_innen, aber dennoch von großer Bedeutung. Im Allgemeinen wird Glaube als allgegenwärtig angesehen und ist z.B. in Naturreligionen das existenzsichernde Element schlechthin, da er in allen Bereichen des sozialen und kulturellen Lebens benötigt wird (Thiel 1988:400). Für die Nichtdokumentierten geht es um die Rechte, die aus der Tatsache entstehen, der Menschheit anzugehören und die sie im Glauben, jenseits von Grenzen und Menschenrechten verorten. Der Glaube stärkt ihr Selbstvertrauen und hilft ihnen, sich innerlich über Diskriminierungen hinwegzusetzen.

„[...] lo que se „posee por el hecho de ser persona, por su propia naturaleza y dignidad […] cuyo bien es considerado en sí mismo y en relación con Dios“ (Olimón Nolasco 1993:57-58).

Diese Verbindung zu Gott wurde von den Migranten_innen häufig thematisiert; sie spielt eine wichtige Rolle und begleitet die Nichtdokumentierten während ihrer Reise und der Ansiedlung im Zielland. Pater Rigoni fasst Migration als Kreuzweg und somit als Pilgerfahrt der Migranten_innen auf. Beim Abschied von ihren Familien finden bestimmte Rituale statt. Es geht um den Abschied von der Mutter und dem eigenen Heim. Die Familie und die Nachbarn kommen zusammen, um Süßes zu teilen und einen Schluck zu trinken. Letzte Ratschläge vor der Reise werden ausgetauscht und einige Heiligenbildchen und Fotos der Kinder, sowie Adressen mit auf den Weg gegeben. Die Hoffnung, die sie in die Migration stecken, fülle keine Mägen aber sie bewahrt die Energie der Migranten_innen schreibt (Rigoni 2010:79). Ihm zufolge leiden sie wie Jesus auf seinem Weg zum Kreuz und bis zum Tod, um für ihre Familien zu sterben. Gläubige Migranten_innen erleben ihm zufolge den Willen Gottes, der sich nach unserer westlichen oder modernen Logik über der Bosheit derer entlade, die in der Wirtschaft und Politik entscheiden. Die Nichtdokumentierten durchleben eine biblische Szene im Rahmen des letzten Abendmahls und dem Gebet im Garten Getsemani. Sie durchwandern Schmerz, ihr Schweiß schmeckt nach Blut, aber sie rebellieren nicht und es liegt kein Fluch auf ihnen (Rigoni 2010:78,85). So ist die Welt im Verständnis der Migranten_innen nicht das Eigentum der Menschen, sondern Gottes Eigentum, weshalb es ihnen nicht verboten werden dürfe, nach einem besseren Leben zu suchen:

„Pues no, porque al mismo tiempo es cierto que uno pasa escondidas y uno pasa con muchos esfuerzos pero yo me siento como le digo, la tierra es de un solo dueño. No es del hombre, no es del mundo, no es de las leyes, sino unicamente es de Dios“ (Interview mit José Demis, September 2006 in Tapachula).

Für José Demis geschieht die Migration vor Gott und muss nur vor ihm gerechtfertigt werden. Diese Rechtfertigung ist für ihn von höherer Bedeutung als das mexikanische Gesetz. Wer auf Eigentum besteht, hintergeht sich seiner Ansicht nach selbst, weshalb er sich nicht einschüchtern lässt und keine Angst hat. Dass er gegen mexikanisches Recht verstößt, passiere aufgrund anderer Gewalten, die auf ihn einwirken. In Mexiko fühlt er sich ebenso legal, wie in seinem Herkunftsland. Ihm ist bewusst, dass er von der geltenden Ordnung abgewichen ist, indem er ein Gesetz nicht respektiert und hofft, sich auch in den USA so legal zu fühlen, wie in seinem Herkunftsland (Interview mit José Demis, September 2006 in Tapachula).

„Sabemos bastante bien el camino porque vamos con Dios. Y solamente Dios es el que nos puede parar y nos puede llevar por nuestro camino. No es peligroso este camino por aquí porque siempre estamos acompañados por Dios. Y pienso que todos como somos emigrantes llegamos a esta meta. Esta de decir que primeramente Dios que voy a pasar. Que Dios habla al corazón a la policía, a los judiciales, a la migración y deja pasar todo que sea posible. A llegar a su destino“ (Interview mit Edvin Ramon, September 2006 in Tapachula).

Für die meisten Migranten_innen stellt Gott einen Beschützer dar. Eine Migrantin, die entführt wurde, gab an, dass sie durch das Wissen um Gottes Beistand die Kraft hatte, sich zu befreien. Durch die Kraft ihres Glaubens, so ihre Aussage, sei es ihr möglich gewesen, eine Tür aufzubrechen. Gott schützt die Migranten_innen auch vor Vergewaltigungen, unterstützt sie auf dem Weg, das Ziel zu erreichen und hilft, der Bedürftigkeit zu entkommen (Interviews mit Isael Murido, Jorge Gerardo, Edvin Ramon, Germán Charria, Lydia Espinosa, Nuson Mesia, Jaime Estrada, Liseth Zaldivar, Alberto Ernesto, Eyder Lira, José Demis, Santiago Leonel, Carlo Zaldibar, Antonio Torres und Maria Muridio, September 2006 in Arriaga und Tapachula).

„Esto es como un juego. Como llegamos o no llegamos. Pero lo importante es que nos encomendamos a Dios, verdad, y él sabe la necesidad de cada quien, verdad, por lo menos Dios sabe el corazón de cada quien y él sabe la necesidad y ya sabe que cada persona va porque se va y es por algo“ (Interview mit Eyder Lyra, September 2006 in Tapachula).

5.7.3. Geld

Indirekte Vorteile der Migration für die Armen wie Arbeit oder Kaufkraft werden Ellis zufolge selten in die Analyse von Migration einbezogen, obwohl sie einen Teil der Existenzgrundlage der armen Bevölkerung in armen Ländern darstellt. Er geht jedoch davon aus, dass die ganz Armen nicht migrieren, da die Kosten der Reise so hoch sind. Diese Feststellung stimmt zum Teil, da besonders für internationale Migration hohe Investitionen getätigt werden müssen (Ellis 2003:8f). Nicht Dokumentierte, die zum Teil aus Verhältnissen von extremer Armut stammen, migrieren jedoch ohne Ressourcen durch Mexiko (Interview mit Edwin Cruz, September 2006 in Tapachula). So stellt auch Ahrends im Kontext von Überschreitungen der Nordgrenze Mexikos fest, dass Risiken das Entscheidungsverhalten der Migranten_innen hinsichtlich der Art des Grenzübertrittes dahingehend beeinflusst, dass gefährlichere Strategien vermieden werden. Oft wird dennoch der riskantere Weg gewählt, da die Handlung der Migranten_innen durch deren Kosten beeinflusst wird. Niedrige Kosten korrelieren ihm zufolge also mit hohem Risiko. Je mehr Geld investiert werde, desto sicherer sei die Art des Grenzübertrittes (Ahrends 2003:40).

Schwierigkeiten und Hindernisse während der Reise können oft nur mit Schmiergeld überwunden werden. Die Nichtdokumentierten mobilisieren ökonomische Ressourcen über Netzwerke aus ihren Ziel- oder Herkunftsländern, um die Weiterreise finanzieren zu können. Damit ihnen kein Geld gestohlen werden kann, verstecken sie es in Zahnpastatuben oder Körperöffnungen, was den Banden nicht unbekannt ist, die ohne Rücksicht nach diesen Verstecken suchen (Interview mit Alberto Ernesto, September 2006 in Tapachula). Um die migrierenden Verwandten zu unterstützen, werden im Herkunftsland nicht selten Grundstücke verkauft und Kredite aufgenommen. Von der sicheren Ankunft der Migranten_innen hängt oft das Wohlergehen der ganzen Familie ab. In vielen Fällen versuchen die Migranten_innen, sich durch kurzzeitige Arbeit ein wenig Geld für die nächste Etappe der Reise zu verdienen. Doch Arbeit in Mexiko zu finden ist für Menschen aus Zentralamerika fast unmöglich und sie wird schlecht oder nicht bezahlt (I.A.P 2005:9f).

5.7.4. Netzwerke

Anders als bei Transitmigranten_innen im europäischen Kontext, haben die nicht dokumentierten Zentralamerikaner_innen in den USA meist ein Ziel. Wenn sie in den USA ankommen, können sie zunächst bei Verwandten oder Bekannten unterkommen (Papadoupoulou-Kourkoula 2008:15ff, Interviews mit José Domingo, Alberto Ernesto und Carlo Zaldibar, September 2006 in Tapachula und Arriaga). Während der Reise durch Mexiko entstehen vor allem in den Herbergen für Migranten_innen Kontakte. Neu ankommende Migranten_innen suchen hier bei denen Rat, die bereits mehr Erfahrung haben (Zeiske 2010:241) und schließen sich zu Gruppen zusammen, um die Reise fortzusetzen (Interview mit Lydia Espinosa, September 2006 in Tapachula).

5.7.5. Die Reise abbrechen

Einige Migranten_innen, die es nicht schaffen, in die USA zu gelangen, bleiben in Mexiko. Ihre Reise ist vorerst unterbrochen, bis sie genügend Geld verdient haben, um sich die Weiterreise zu finanzieren. Relativ häufig lassen sich gescheiterte Migranten_innen in Tapachula nieder, da sie sich hier relativ gefahrlos aufhalten und arbeiten können. Mit der Hilfe bereits etablierter Migranten_innen finden sie Arbeit und können, sobald sie den Aufenthalt von einigen Jahren nachweisen können, sogar die mexikanische Staatsbürgerschaft beantragen (Zeiske 2010:241f; Victal Adame 2004:111ff).

Es kommt auch vor, dass Migranten_innen sich gegenseitig ausrauben oder die Migration ganz aufgeben und zurückreisen (Interviews mit Antonio Cortez und Jorge Uños, September 2006 in Tapachula).

“Ya no quiero. Es duro. El camino hasta ahorita está duro. Y si lo agarraron una vez, lo van a seguir robando. Este dinero es perdido. Entiendes? Agarran a uno, entonces uno por lo general tiene que pedir dinero. Dinero para que le ayuden pues seguir caminando. Entonces, me ahorro desearlos para que sus familiares no nos mandan dinero. Hasta ahora nos han mandado 200 dólares. Entonces ponerme cien dólares porque me regresaron. Si ahí van. Tal vez a los ocho días. Ponerme unos 80 o 100 dólares. Lo olvidan a regresar entonces nada más que se está yendo. Los que están allá están gastando su dinero por puro gusto. Y tal vez uno no sabe pasar porque nosotros echamos ganas y no para gastarlo. Y ahora está difícil la pasada. Tal vez con un pollero desde aquí hasta allá. ¿Entiendes? Porque ellos conocen bien la pasada. Pero lo cuesta seis mil dólares para cruzar. Entonces uno tiene que sacar dinero para pasarlo. Ellos tienen su pocito de dinero pero no tienen la cantidad de seis mil dólares. Yo sé si pagamos un pollero a nosotros nos pasan. Pero ellos no tienen la capacidad de ayudarlo. Esta cantidad de dinero no lo tienen. Entonces vamos a regresar para Nicaragua. Ya no lo vamos a intentar.“ (Interview mit Antonio Cortez, September 2006 in Tapacula).

5.7.6. Helfer_innen

Während der Reise durch Mexiko können die Migranten_innen auf eine ganze Reihe von Institutionen zurückgreifen, die ihnen zur Seite stehen und sie unterstützen. Solche Institutionen gibt es nicht nur im offiziellen Sinne. Auch nicht organisierte Mexikaner_innen verhalten sich den Migranten_innen gegenüber solidarisch.

5.7.6.1. Hilfsbereitschaft

Auf dem Weg treffen die Migranten_innen immer wieder auf hilfsbereite Menschen, die ihnen mit ein wenig Kleingeld oder etwas zu Essen weiterhelfen. Diese, den Migranten_innen wohlgesonnenen Menschen, die entlang der Migrationsrouten leben, sind für die Migranten_innen in vielen Fällen überlebenswichtig, da sie z.B. auf dem Marsch von Tapachula nach Arriaga keinen Zugang zu Trinkwasser hätten. In der Casa del Migrante in Tapachula, bekommen die Migranten_innen sonntags eine warme Mahlzeit von Anwohnern_innen, und weiter nördlich im Bundesstaat Veracruz bereiten Anwohnerinnen entlang der Bahngleise regelmäßig Lunchpakete zu, die sie den Migranten_innen auf den vorbeifahrenden Güterzug reichen (Interview mit Santiago Leonel, September 2006 in Tapachula; AI 2010:36).

5.7.6.2. Nichtregierungsorganisationen

In Mexiko gibt es verschiedene Organisationen, die sich für nicht dokumentierte Migranten_innen einsetzen. Dazu zählen lokale und nationale Menschenrechtsorganisationen, sowie die Casas del Migrante, die auch mit internationalen Organisationen wie Peace Brigades International (PBI) oder Amnesty International zusammenarbeiten (AI 2010:14; Rasgado 2010). Beck zufolge haben solche Organisationen ein hohes Potenzial, wenn es darum geht, Menschenrechtsverletzungen auch über Grenzen hinweg bekannt zu machen. Durch ihren Einfluss sei es für Staaten und global operierende Unternehmen inzwischen extrem schwierig geworden, öffentlichen Anklagen auszuweichen oder sie zu widerlegen (Beck 2007:320).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 17: Essensausgabe hilfsbereiter Mexikaner_innen vor der Casa del Migrante in Tapachula.

5.7.6.3. Casa del Migrante

Viele der Nichtdokumentierten suchen immer wieder in einer der Casas del Migrante oder in Kirchen Schutz. Diese werden vom Scalabrini-Orden und lokalen Gemeinden betrieben und bieten den Migranten_innen einen Raum, in dem sie sich sicher fühlen und von den Strapazen und Traumata der Reise zumindest für kurze Zeit erholen können. Diese Herbergen werden von den mexikanischen Behörden weitgehend respektiert, auch wenn es immer wieder zu Repressionen kommt und Versuche gibt, diese Herbergen zu schließen (Zeiske 2010:241).

In den Casas del Migrante dürfen sich die Migranten_innen bis zu drei Tagen kostenlos aufhalten. Sie erhalten die Möglichkeit, sich und ihre Kleidung waschen und bekommen kostenlos zwei Mahlzeiten am Tag. Es besteht die Möglichkeit einen Arzt zu konsultieren, und abends finden Kurse zu verschiedenen Themen wie Menschenrechten oder sexuelle Aufklärung statt. Die Mitarbeiter_innen unterstützen die Migranten_innen darin Anzeigen zu erstatten, geraubte oder zerschlissene Kleidung zu ersetzen und Krankheiten zu kurieren. Vereinzelt gehen Mitarbeiter_innen auch zu Banken, um Geldsendungen für die Migranten_innen abzuholen, wenn diese keine Ausweispapiere bei sich tragen (Interview mit Ana Lorea, September 2006 in Tapachula).

Die Betreiber_innen und Mitarbeiter_innen der Herbergen sind oft die einzigen, die Korruption und Straftaten an den Migranten_innen konsequent öffentlich machen, wofür sie immer wieder Repressionen erfahren69 (Zeiske 2010:242).

5.7.6.4. Albergue Jes ú s el buen Pastor

Die Herberge Jes ú s el buen Pastor in Tapachula, bietet Migranten_innen in einer Notsituation einen Zufluchtsort. Die meisten haben Unfälle auf der Reise mit dem Güterzug erlitten und dabei Körperteile verloren. Nach solchen Unfällen werden die Migranten_innen meist nur notdürftig medizinisch versorgt. Körperbehindert sehen sie kaum eine Perspektive im Herkunftsland oder den USA Arbeit zu finden, weshalb die meisten dort lebenden Migranten_innen auch stark suizidgefährdet sind. Das Ziel der Herberge geht über eine reine Wundversorgung hinaus. So werden die hier untergekommenen Migranten_innen dahingehend betreut, dass sie wieder Vertrauen in sich und ihrem Leben bekommen. Die Mitarbeiter_innen der Herberge schaffen dafür ein familiäres Ambiente, in dem die Bewohner_innen sich gegenseitig unterstützen und versuchen, Möglichkeiten zu finden, Arbeit für die Bewohner_innen zu finden. Außerdem bieten sie Fortbildungsmöglichkeiten in Fremdsprachen und Computerkurse an (Interview mit Donar Ramírez, September 2006 in Tapachula; Vortrag von Kathrin Zeiske, Juli 2010 in Hamburg; Albergue Jesús el buen Pastor 2010).

5.7.6.5. Grupo Beta

Die so genannte Beta-Gruppe untersteht dem INM und ist eine Initiative der Regierung, um Migranten_innen humanitäre Hilfe anzubieten und sie vor Gefahren zu warnen. Sie nahm 1991 im Bundesstaat Baja California im Norden Mexikos ihre Arbeit auf, um Migranten_innen vor Kriminellen zu schützen und sie aus Notsituationen in der Wüste zu retten. Später wurde sie auch an der Südgrenze eingesetzt. Das Unterstützungs- und Hilfsangebot ist von Bedeutung, aber die Beta-Gruppe verfügt nicht über die ausreichenden Mittel, um allen bedürftigen Migranten_innen zu erreichen. Die Einheiten sind unbewaffnet und patrouillieren entlang der Migrationsrouten. Dabei geben sie Informationsmaterial an die Migranten_innen aus, leisten erste Hilfe und verteilen Wasser und Lebensmittel. Wenn die Migranten keine Kraft mehr haben und sich für die Rückkehr in ihr Herkunftsland entscheiden, können die Beamten_innen eine freiwillige Abschiebung einleiten, um die Migranten_innen sicher in ihre Herkunftsländer zurückzubringen (AI 2010:29).

5.7.6.6. Comisi ó n Nacional de Derechos Humanos (CNDH)

Die Nationale Menschenrechtskommission Mexikos spielt eine tragende Rolle dabei, Anzeigen über Missbrauch an Migranten_innen aufzunehmen. Seit 1995 hat sie mehr als 500 Anzeigen gegen Angehörige des INM aufgenommen und infolge von Verletzungen der Rechte von Migranten_innen eine Reihe von Empfehlungen an das INM und andere Regierungsorganisationen ausgesprochen. Ein 2009 veröffentlichter Report über organisierte Entführungen von Migranten_innen durch kriminelle Gangs war ein erster Schritt, die Verantwortung des Staates zur Verhinderung solcher Verbrechen festzustellen und den Migranten_innen den Zugang zu rechtlichen Organisationen zu gewähren, wenn diese Opfer von nichtstaatlicher Gewalt wurden. Die CNDH ist eine wichtige Organisation, um Menschenrechtsverbrechen aufzuklären, ermittelt jedoch nicht selbst und zudem extrem langsam. Außerdem hat sie nur geringen Einfluss auf polizeiliche Ermittlungen. Selbst wenn mexikanische Behörden zustimmen, einer Empfehlung der CNDH nachzukommen, kann die CNDH Ermittlungen nicht überwachen (AI 2010:3). Sie verlangt von dem mexikanischen Behörden, Maßnahmen zu ergreifen, um Missbrauch an Migranten_innen vorzubeugen und Hindernisse zum Erstatten einer Anzeige für Migranten_innen zu beseitigen. Jedoch haben diese Empfehlungen an andere Behörden keine bindende Wirkung (AI 2010:11-13).

5.7.6.7. Konsulate

Guatemala, El Salvador und Honduras haben eigene Konsulate in Tapachula, um ihre Staatsangehörigen nach Möglichkeit zu unterstützen. Sie leisten Migranten_innen Unterstützung bei der Erstattung von Anzeigen. Womit die Konsulare am meisten zu tun haben, ist jedoch die Identifizierung von in Mexiko verstorbenen Migranten_innen, die keine Papiere bei sich trugen sowie Nachforschung nach denen, die von Verwandten aus dem Heimatland vermisst werden

(Interview mit Nelson Miguel Cuéllar Hernández (dem Konsul von Guatemala in Tapachula), September 2006 in Tapachula). Wenn der Körper eines toten Migranten gefunden wird, ist die lokale Gerichtsmedizin der Procuradur í a General de Justicia del Estado 70 (PGJE) dafür zuständig, die Identität und Todesursache einer Person festzustellen. Tragen die Personen einen Identitätsnachweis bei sich, werden die zuständigen Konsulate benachrichtigt, um die Verwandten zu informieren. Da viele Migranten_innen keine Papiere bei sich tragen (vgl. Kap. 5.7.6.7), fällt die Identifizierung oft schwer, und die Toten werden in anonymen Gräbern in Mexiko bestattet. Auch wenn die Behörden bei Anzeichen auf ein Gewaltverbrechen dazu verpflichtet sind, die Todesursache zu ermitteln, passiert üblicherweise wenig, solange keine Angehörigen einbezogen werden. Die Tatsache, dass viele Todesfälle von Migranten_innen nicht aufgeklärt werden, trägt dazu bei, dass das Problem bislang nur wenig an die Öffentlichkeit kam (AI 2010:18f).

Die Konsulate organisieren außerdem Besuche von Delegationen aus ihren Ländern, die sich für Menschenrechte einsetzen oder eben jenen, die Organisationen für verschwundene und tote Migranten_innen angehören, wie ein Besuch des Comit é de Familiares de Migrantes Fallecidos y Desaparecidos (COFAMIDE), die im Februar 2009 Südmexiko besuchten, mehr als 700 Familien repräsentierten und vom mexikanischen Staat Aufklärung und effektive Ermittlungen forderten (AI 2010:18f).

5.7.7. Zusammenfassung der Strategien

Um die Reise durch Mexiko möglichst unbeschadet zu überstehen, spielen ökonomische Ressourcen und Wissen entscheidende Rollen. Diejenigen, die sich keinen coyote leisten können oder betrogen und sitzen gelassen worden sind, machen sich allein auf den Weg, was dann unsicherer ist. Nachdem die Migranten_innen die Südgrenze Mexikos relativ leicht ohne Kontrollen passieren können, ist die nicht dokumentierte Reise durch Mexiko und vor allem durch den südlichsten Bundesstaat Chiapas schwierig. Während der ersten Versuche mangelt es an Erfahrung und den Migranten_innen wird das mitgebrachte Geld oft schnell abgenommen. Sie müssen es durch Arbeit neu verdienen oder von ihren Verwandten in Ziel- oder Herkunftsland mobilisieren. Nur selten schaffen sie die Reise durch Mexiko beim ersten Versuch. Von Nutzen sind den Migranten_innen vor allem Netzwerke, die sie während der Reise und vor allem während des Aufenthaltes in Casas del Migrante knüpfen, um abseits der regulären Transportwege möglichst unerkannt in den Norden zu reisen. Nachdem sie den Süden Mexikos in Mikrobussen durchqueren und Kontrollen dabei umgehen können, ist der Güterzug die einzige Möglichkeit, um mit wenig Geld und ohne Kontrollen durch Mexiko zu reisen. Bei beiden Verkehrsmitteln sind sie in erhöhtem Maße Gefahren ausgesetzt. Da sie nicht dokumentiert werden, werden auch keine aussagekräftigen Statistiken über Straftaten an Migranten_innen geführt, und die Behörden reagieren nicht auf ihre Probleme, da sie nicht wahrgenommen werden. Kraft für die schwere Reise ziehen sie unter anderem aus ihrem Glauben. Einige schaffen es nicht und geben nach mehreren Versuchen schließlich auf.

Während der Reise können sie auf eine Reihe von Institutionen zurückgreifen. So gibt es Mexikaner_innen, die sich zusammengeschlossen haben und die Migranten_innen unterstützen. Verschiedene NROs setzen sich für ihre Rechte ein und die Casas del Migrante, bieten den Migranten_ innen Rückzugsorte und Unterstützung. Auch für die verwundeten Migranten_innen gibt es eine Herberge, die sich ihrer annimmt und die Wunden der Verletzen versorgt, sowie psychologische Hilfe für traumatisierte Migranten_innen leistet. Die CNDH nimmt Fälle von Menschenrechtsverletzungen zwar auf, kann jedoch nur Empfehlungen an die mexikanischen Behörden aussprechen. Die Konsulate der Migranten_innen können diese auch nur bei der Erstattung von Anzeigen unterstützen.

5.8. Die Ankunft an der Grenze

Die 3.200 km lange Nordgrenze ist kein Niemandsland, sie wird von US-amerikanischer Seite hochgradig überwacht. Außer den Grenzpatroullien warten dort paramilitärische Gruppen, die Jagd auf nicht dokumentierte Migranten_innen machen. (Löding 2009:3). Mehr als 30 Doppelstädte von Kalifornien im Westen bis zur Mündung des Río Grande im Osten haben sich in den letzten Jahren ungeachtet aller Kontrollsysteme zu umfassenden Siedlungs- und Wirtschaftsräumen entwickelt. Von den größten acht dieser Ballungszentren - San Diego/ Tijuana, Calexico/ Mexicali, Ambos Nogales, El Paso/Ciudad Juárez, Eagle Pass/ Río Negras, Laredo/ Nuevo Laredo, McAllen/ Reynosa und Brownsville/ Matamoros - haben mehrere die Millionengrenze weit überschritten. Im Westen verläuft die Grenze quer durch Großstädte und unwirtschaftliche Wüsten; ab Landesmitte liegt der Grenzverlauf auf über 1.500 km Länge in der Mitte des Río Grande (IBWC 2010). In den Doppelstädten ist der größere Bevölkerungsteil in der Regel auf der mexikanischen Seite angesiedelt, wobei es sich teilweise auch um Bürger anderer Lateinamerikanischer Staaten handelt. Von ihm geht stets ein ein demographischer Druck Richtung Norden aus. Allein in Tijuana halten sich kontinuierlich rund 300.000 Menschen auf, die sich nach eigenen Angaben auf der Durchreise befinden (Secretaría de Gobernación 2004:47).

Es gibt keine Verlässlichen Angaben darüber, wie viele Migranten_innen in den USA ankommen. In dem Dokumentarfilm „De Nadie/ Border Crossing“ (Tin Dirdanal 2006) ist an einer Stelle davon die Rede, dass es nur 4% aller zentralamerikanischen Migranten_innen über die Nordgrenze schaffen. Die Zahl bleibt unbestätigt.

Wenn Migranten_innen aus Zentral- und Südamerika die Nordgrenze Mexikos erreichen, haben sie noch immer denselben Weg vor sich wie ihre mexikanischen Leidensgenossen_innen. Es gilt Mauern, Zäune und Grenzanlagen zu überwinden, durch den Río Grande zu schwimmen oder durch eine Wüste zu laufen, bevor die US-amerikanische Zivilisation in Sicht kommt.

Mit der weiteren Befestigung der Grenzanlagen wird die Überquerung der Nordgrenze für Nichtdokumentierte immer schwieriger und gefährlicher. So ist es fast unmöglich, sich bei dem Sprung über eine fünf Meter hohe Stahlplanke nicht zu verletzen. Die Casa del Migrante in Tijuana hat immer wieder zu beklagen, dass sich Migranten_innen bei dem Versuch, über die Mauer zu klettern verletzen (Del Toro 2007).

6. Schlussbemerkungen

6.1. Fazit

Der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit war die Transitphase der Migration nicht dokumentierter zentralamerikanischer Migranten_innen. Das besondere Erkenntnisinteresse bestand in der subjektiven Wahrnehmung der Risiken für Migranten_innen im Transitland Mexiko, sowie den Strategien, mit denen sie diese zu minimieren versuchen.

Durch die Zusammenführung europäischer und amerikanischer Ansätze zur Erforschung von Transitmigration und der Durchführung einer ethnographischen Regimeanalyse wurde die Transitphase der Migration in einen globalen und politischen Kontext eingeordnet. Auf diesem Wege konnte der Blickwinkel der Migranten_innen mit dem gesamten Migrationsprozess in Verbindung gebracht sowie die Ursachen für Risiken und Diskriminierung nicht dokumentierter Transitmigrant_ innen innerhalb komplexer Zusammenhänge diskutiert werden. Zur Erklärung der Risiken, wurde mit Hilfe einer Triangulation der Erklärungsansätze von Migration, Risiko und Grenze dargestellt, wie die Wahrnehmung von Migranten_innen als Angriff auf die nationale Sicherheit die Migrationspolitik der Ziel- und Transitländer beeinflusst und Gefahren für die Migranten_innen schafft.

Anhand empirischer Ergebnisse konnte dargestellt werden, welches die Gründe für die Migranten_ innen sind, ohne Dokumente in die USA zu migrieren und sich überhaupt Risiken auszusetzen. Während gängige Migrationstheorien zur Erklärung der nicht dokumentierten Transitmigration beitragen konnten, wurde die Annahme von Massey, dass die Ärmsten von Migration ausgeschlossen seien, widerlegt, da gezeigt werden konnte, dass Migration selbst eine Strategie ist, um mit Armut umzugehen, und sich gegenüber Risiken abzusichern. Die Entscheidung, die auf ein Risiko folgt, muss dabei nicht unbedingt rational sein; sie bringt die Migranten_innen unter Umständen in noch größere Gefahr.

Bei der anschließenden Identifizierung und Beschreibung der Risiken für nicht dokumentierte Transitmigranten_innen wurde eine starke Übereinstimmung hinsichtlich des gemeinsamen Wissens über Risiken unter den Befragten festgestellt. Diese wurden in drei Kategorien eingeteilt, von denen Überfälle durch Banden oder verschiedene Polizeieinheiten die am häufigsten genannten Gefahren ausmachten und mit zahlreichen anderen Risiken wie z.B. Schlägen, sexuellem Missbrauch, Entführung oder Folter einhergingen. Es ist deutlich geworden, dass die Migranten_innen die Behandlung, die sie in Mexiko erfahren, als verletzend wahrnehmen. Diese Risiken stellen Straftaten dar und verletzen die Würde der Migranten_innen auf eklatante Weise. Durch die Einordnung in den Kontext der Menschenrechte wurde auf die politische Ebene Bezug genommen und gezeigt, dass Mexiko sich durch die Unterzeichnung der Menschenrechtserklärungen der Wahrung der Rechte der Migranten_innen verpflichtet hat, dieser Verpflichtung aus Sicht der Migranten_innen jedoch nicht nachkommt. Die Bemühungen, die Sicherheit der Migranten_innen zu garantieren, sind nicht ausreichend, da deren Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Bildung und Zugang zu Identität anhaltend verletzt werden. Gerade in Mexiko dürfen Menschenrechte nicht als Privileg verstanden werden, da es selbst auch ein Herkunftsland von Migration ist.

Weitere Risiken, die mit Unfällen während der Fahrt mit dem Güterzug zusammenhängen, oder durch natürliche Gefahren zustande kommen, hängen mit der Wahl der Wege und somit mit der Strategie der Migranten_innen zusammen, unerkannt durch Mexiko zu reisen. Je weiter sie abseits normaler Verkehrswege reisen, umso stärker bringen sie sich in Gefahr. Aufgrund ihrer prekären Situation greifen sie auf Strategien zurück, für die sie nur geringe ökonomische Ressourcen benötigen. Es bleiben ihnen kaum Möglichkeiten, ihre Reise gegen Gefahren abzusichern. Sie bilden Netzwerke während der Reise um sicherer zu reisen und tauschen an den Casas del Migrante Informationen hinsichtlich der Wege und Gefahren aus. Motivation für den Weg schöpfen sie aus ihrem Glauben und dem Verantwortungsgefühl gegenüber ihrer Familie. Zudem können sie auf verschiedene Institutionen zurückgreifen, die sie unterstützen. Um sich vor den Gefahren der Reise effektiv zu schützen, reichen das Wissen und die ökonomischen Ressourcen zumindest während der ersten Versuche meist nicht aus, um die Risiken zu minimieren und sicher durch Mexiko reisen zu können.

Die theoretischen Ansätze und die Aussagen der Migranten_innen haben aufgezeigt, dass eine starke Übereinstimmung der Transitmigration in Mexiko mit dem Ansatz von Papadopoulou- Kourkoula und der „Transitmigration Forschungsgruppe“ besteht. Beispielsweise rechtfertigen die Migrationsgründe nur die Migrationsentscheidung. Darüber hinaus erklären diese Gründe unter Beachtung des Ansatzes von Ruiz aber auch, weshalb die Migranten_innen überhaupt Risiken eingehen. So ist deutlich geworden, dass die Risiken mit denen die Migranten_innen im Transitland konfrontiert werden daraus resultieren, dass sie als Angriff auf die öffentliche Sicherheit Mexikos wahrgenommen werden. Vor allem Armut und indigene Herkunft werden in Mexiko mit Kriminalität assoziiert und Abschiebungen als legitimes Agieren der Staatsmacht empfunden. Zudem institutionalisiert das mexikanische Recht die Kriminalisierung der Migranten_innen und lässt Machtmissbrauch und Willkür zu. Die Folgen von Risiken und Überfällen wirken sich unmittelbar und teilweise traumatisch auf die Migranten_innen aus.

Dass diese anhaltende Situation extremer Ausbeutung in Mexiko zustande gekommen ist, hat viele Ursachen. In der mexikanischen Gesellschaft wird das Bild von Migration als Gefahr in ambivalenter Weise reproduziert und zu einer Angelegenheit der nationalen Sicherheit gemacht. Durch die Vorenthaltung eines legalen Aufenthaltstitels, werden Migranten_innen unsichtbar, Menschenrechtsverletzungen toleriert und so die Grundlage für strukturelle Ausbeutung durch korrupte Beamte_innen und Kriminelle geschaffen.

Migration lohnt sich für sie und ihre Familie deshalb nur, wenn sie es schaffen anzukommen. Sie setzen sich rassistischer Ausbeutung aus, um sich Zugang zu allgemeinen Werten zu verschaffen, die im internationalen Menschenrechtsdiskurs WSK-Rechte genannt werden und die auf einer anderen Ebene von den Zielländern durch ihre Abschottungspolitik verteidigt werden. Treten weitere Risiken während der Reise ein, haben diese oft unmittelbare und lang anhaltende Auswirkungen und enden für die Betroffenen in individuellen Tragödien.

Zugleich wird ihnen dadurch, dass sie aufgehalten werden, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung genommen. Die neoliberale Politik der beteiligten Länder ist nicht darauf ausgerichtet, das Leben der armen oder nicht dokumentierten Bevölkerung gegen Risiken abzusichern. Sie hat darin versagt, das ökonomische Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Herkunftsländern zu stärken und wird deshalb auch als Auslöser von Migration angesehen. Internationale Verträge, von denen die herrschenden Eliten in Ziel-, Transit- und Herkunftsländern profitieren, erschweren nicht dokumentierten Migranten_innen die Einreise sogar zusätzlich. Da Wirtschaft und Gesellschaft der Zielländer von der Arbeitskraft der Migranten_innen profitieren, wird nicht dokumentierte Migration jedoch nicht völlig unterbunden. Der rechtlose Status der Migranten_innen in Transit- und Zielländern macht sie verwundbar und wehrlos zugleich, wobei die Bevölkerung der Zielländer soziale Aufwärtsmobilität erfährt. Auf dem Arbeitsmarkt der Zielländer werden sie ausgebeutet, was zugleich zum Braindrain in den Herkunftsländern beiträgt und hohe soziale Kosten hat. Ob die Ökonomien der Herkunftsländer tatsächlich von den remesas der Migranten_innen profitieren, ist daher umstritten.

6.2. Aktuelle Entwicklungen

Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass die eingangs zitierte Besorgnis Rigonis (2002:1; vgl. Kap. 1.1), um das Wohlergehen der Migranten_innen, seit dem Forschungsaufenthalt nicht an Aktualität verloren hat. Die Reflexion der Perspektiven auf die Wahrnehmung von Risiken führt uns zu den vielseitigen und komplexen Gründen für Migration und den darin innewohnenden Widersprüchen, die sich auch für den amerikanischen Kontext bis nach Europa zurückverfolgen lassen (s. Kap. 2.2.1). Das Ergründen dieser Zusammenhänge sollte uns bewusst machen, dass es um grundsätzliche Fragen zur Menschlichkeit geht und uns zum Handeln veranlassen.

Auf politischer Ebene findet in Mexiko in Bezug auf das Thema Transitmigration seit einigen Monaten wieder Bewegung statt. So ist in Folge des Massakers vom 23. August 2010 bei dem 72 entführte zentralamerikanische Migranten_innen in Mexiko ermordet wurden, das Thema nicht dokumentierter Transitmigranten_innen wieder stärker in den Fokus der mexikanischen und zentralamerikanischen Öffentlichkeit gerückt. Die große öffentliche Wahrnehmung wird insbesondere durch den Umstand bedingt, dass die grausame Tat den Zusammenhang von nicht dokumentierter Migration und dem Kampf gegen den Drogenhandel der Regierung von Präsident Felipe Calderón deutlich aufzeigt (Jiménez 2009:17).

Während die politische Führung kurze Zeit nach dem Massaker noch jegliche Kenntnis über die Problematik leugnete und nahezu überrascht über die Vorkommnisse war (Jiménez 2009:17), hat sich der Druck auf das INM in der Folgezeit zunehmend aufgebaut. Die verstärkten Vorwürfe an das INM, die Sicherheit der Nichtdokumentierten nicht ausreichend zu gewährleisten, haben dazu geführt, dass das INM in einer Pressemitteilung vom 11. September 2010 den Schutz von Migranten_innen als ihre höchste Priorität erklärt hat (INM 2010d).

Dabei bezieht sich das INM jedoch lediglich auf die Bedingungen während der Abschiebungen der Migranten_innen und die Hilfestellungen durch dem Grupo Beta (INM 2009b). Nachdem der Senat das Erscheinen von Cecilia Romero, der Leiterin des INM, gefordert hatte, um die Situation der Migranten_innen zu erklären, gab diese am 14.09.2010 ihren Rücktritt bekannt. Der mexikanische Innenminister José Francisco Blake Mora deutete eine Etappe der Transformation und Modernisierung des INM an (Pérez / Becerril / Ballinas 2010:18).

6.3. Ausblick

Dass die angekündigten strukturellen Reformen und die neue Priorität des INM letztlich zu einer wirklichen Verbesserung der Situation der Nichtdokumentierten führen wird, möchte ich stark anzweifeln. Um wirklich etwas an der Situation der Nichtdokumentierten zu ändern, darf Migration auch auf administrativer Ebene nicht mehr als Frage der öffentlichen Sicherheit betrachtet werden, um der Wahrnehmung als Bedrohung nationaler Sicherheit in Mexiko und den USA, entgegenzuwirken.

Wenn Verantwortliche für Straftaten an den Migranten_innen zur Rechenschaft gezogen werden, wird die Zahl der Menschenrechtsverletzungen eventuell leicht zurückgehen. Ich halte es jedoch für unwahrscheinlich, dass Mexiko entgegen dem Druck der USA damit aufhört, Migrationskontrollen durchzuführen, da dies die Partnerschaft mit dem mächtigen Nachbarn gefährden würde. Nach wie vor werden die Nichtdokumentierten auf versteckten Wegen reisen und natürlichen Risiken ausgesetzt sein. Auch wenn die Zahl der Überfälle zurückgehen sollte, werden diese nach wie vor schwer dokumentierbar bleiben.

Eine dauerhafte ethnologische Auseinandersetzung mit dem Thema halte ich für notwendig, um dokumentieren zu können, inwiefern Ermittlungen tatsächlich effektiv durchgeführt werden. Dies kann nur aus der Perspektive der Migranten_innen bewertet werden. Außerdem muss herausgefunden werden, unter welchen Umständen diese dazu bereit wären, Anzeige gegen die Täter zu erstatten. Nur so kann gewährleistet werden, dass Vertrauen zwischen den Nichtdokumentierten und den Behörden aufgebaut wird. Meiner Ansicht nach sind schnelle, effektive und ernsthafte Bemühungen hinsichtlich der Aufklärung von Überfällen, Entführungen und damit zusammenhängenden Missbrauchsfällen unumgänglich. Außerdem müssen finanzielle Anreize geschaffen werden, die es den Migranten_innen ermöglichen, die Migration für die Dauer von Ermittlungen und einen Prozess zu unterbrechen und die ausbleibenden remesas zumindest vorübergehend zu kompensieren.

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[...]


[1] Im Rahmen dieser Arbeit werden Personengruppen nicht spezifisch geschlechtlich benannt. Durch die Verwendung des _, dem so genannten Gender Gap in Anlehnung an Herrmann (2003), soll all jenen sprachlicher Raum gegeben werden, die sich nicht männlich oder weiblich verorten lassen (wollen). Damit impliziert diese Schreibweise eine Kritik an der dualistischen heteronormativen Geschlechterordnung, in dem Bewusstsein, dass der sprachliche Hinweis allein nicht ausreicht, diese aufzuheben. Sie repräsentiert nicht notwendigerweise die Eigenwahrnehmung aller Migranten_innen, sondern spiegelt die sensibilisierte Sicht des Schreibenden wieder. Auch wenn Homophobie und geschlechtliche Schikanierungen nicht expliziter Gegenstand dieser Arbeit sind, handelt es sich um Faktoren, von denen Menschen in Zentralamerika besonders betroffen sind (ONDA 2010) und die nicht selten Hintergründe und Ursachen von Migration formen (Interview mit Marvin Harris, September 2006 in Tapachula). In Situationen, wie Fällen sexualisierter Gewalt, in denen die angenommene und oder zugeschriebene geschlechtliche Zugehörigkeit von spezifischer Bedeutung ist, wird Geschlecht entsprechend gekennzeichnet, um dieser gesellschaftlichen Wirklichkeiten Rechnung zu tragen. Zum Zeitpunkt der Anmeldung dieser Arbeit stand die Verwendung dieser Schreibweise noch nicht fest, weshalb im Titel noch von Migrantinnen und Migranten die Rede ist, womit diejenigen die sich nicht männlich oder weiblich verorten lassen (wollen), nicht diskriminiert werden sollen.

[2] In dieser Arbeit wird nicht zwischen verschiedenen ethnologischen Ausprägungen unterschieden. Es können sowohl die deutschsprachige Ethnologie, die mexikanische Antropología Social, die britische Social Anthropology und die US-amerikanische Cultural Anthropology gemeint sein.

[3] Nicht dokumentierte Migranten_innen sind Menschen, die sich ohne gültige Aufenthaltspapiere in einem Land aufhalten, das nicht ihr Herkunftsland ist.

[4] Ethnische Zugehörigkeit ist im Süden Mexikos ein Ausschlusskriterium, das vor allem an der zentralamerikanischen Staatsangehörigkeit fest gemacht wird (Zeiske 2010:236f). Da fast alle meine Informanten_innen aus Zentralamerika kamen, wird auf diese Bezug genommen, was nicht bedeutet, dass Menschen anderer Herkunft, die ohne Visum durch Mexiko reisen, keinen Risiken ausgesetzt sind. Hiermit wird darauf hingewiesen, dass immer wieder Migranten_innen aus Südamerika, Afrika und Asien in Mexiko aufgegriffen und abgeschoben werden. Sie fallen ebenso in die Kategorie der nicht dokumentierten Transitmigranten_innen.

[5] Nicht alle dieser Begriffe sind zutreffend. So findet nicht dokumentierte Migration durch Mexiko regulär, also regelmäßig statt. Zudem können Migranten_innen nicht illegal in Mexiko, also ohne Rechte sein, da Mexiko entsprechende Menschenrechtsabkommen ratifiziert hat (AI 2010:34f; UN 1948). Zudem besteht in Mexiko keine generelle Ausweispflicht. Die dritte Bezeichnung ohne Papiere ist ebenso wenig zutreffend, da nicht dokumentierte Migranten_innen teilweise Ausweispapiere bei sich tragen, jedoch keine behördliche Aufenthaltsgenehmigung vorweisen können.

[6] Clandestino (es): heimlich oder unerkannt; Mojado (es): Als „Nass“ werden Migranten_innen bezeichnet, die den Grenzfluss Río Grande zwischen Mexiko und den USA schwimmend durchqueren; Underdog (en): sozial Benachteiligter oder Schwächerer (Duden 2007).

[7] Illegalisiert bedeutet entrechtet. Der Begriff schließt die politische Dimension ein, in der sich Millionen von Menschen weltweit befinden, die von einem Leben in Würde ausgeschlossen werden (Zülch 2009, Kein Mensch ist illegal (KMMI 1997).

[8] Emisch und etisch unterscheiden die Interpretation soziokultureller Phänomene von innen und außen her (Stagl 1988:116).

[9] Transit bezeichnet die Durchfuhr, Durchreise durch ein Land. Das Wort kommt aus dem lateinischen transitus „Übergang, Durchgang“ zurück (Duden 1989). Migration im soziologischen Sinne bezeichnet eine Wanderung oder Bewegung von Individuen oder Gruppen im geografischen oder sozialen Raum, die mit einem Wechsel des Wohnsitzes verbunden ist (Duden 2007).

[10] ﺭﺯﻕ bedeutet: Lebensunterhalt; tägliches Brot, Nahrung; Geschenk, Wohltat (von Gott); Einkünfte; Einkommen; Besitz, Vermögen; Löhnung, Sold. Kommt vom Verb razaqa (in Arabisch genau wie oben), das „den Lebensunterhalt schenken; schenken, verleihen, beschenken, etc. bedeutet (Wehr 1985:467).

[11] Das lateinische risco oder italienisch risico bedeutet soviel wie „Wagnis, Gefahr“. Daher stammt auch das französiche risquer, das soviel bedeutet wie „in Gefahr bringen, aufs Spiel setzen, wagen“ und aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts das deutsche riskant „gefährlich, gewagt“ entlehnt wurde (Duden 1989).

[12] Naturwissenschaftliche, ingenieurwissenschaftliche, psychologische, medizinische und epidemiologische Sichtweise auf Risiko (Lupton 1999:2).

[13] Zu den Ressourcen gehören: Einkommen, Kenntnis über Rechte, soziale Netzwerke (Ruiz 2001:260).

[14] Bedeutungen: Atomkraft, globale Bedrohungen wie AIDS, etc. (Ruiz 2001:258).

[15] Remesas (es): Rücküberweisungen.

[16] Sustainable Livelihood Approach (en): Nachhaltiger Ansatz zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Livelihood beschreibt die Bedeutung, ein Leben zu erlangen (Chambers 1995:VI). Dabei geht es um die Frage, wie Menschen Zugang zu Ressourcen erlangen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Livelihood ist ein flexibler Begriff, der mit verschiedenen Wissenschaften und Theorien verknüpft werden kann. Dabei wird das Zusammenspiel komplexer Netze, Interaktionen und Aktivitäten beschrieben, mit der Menschen ihren Lebensunterhalt sichern (Scoones 2009:171ff).

[17] Kosmopolitismus: 1. Weltbürgertum; 2. (kommunistisch abwertend) Weltanschauung, die das Streben der imperialistischen Großmächte nach Weltherrschaft mit dem Vorwand begründet, der Nationalstaat, der Patriotismus usw. sei in der gegenwärtigen Epoche historisch überholt (Duden 2007).

[18] 2008 lebten laut U.S. Census Bureau mehr als 304 Millionen Menschen in den USA (U.S. Census Bureau 2010).

[19] Chicano: In den USA lebende Mexikaner_innen (Real Academia Española 2010). Der Begriff wurde zunächst diskriminierend verwendet, ist heute aber auch eine Selbstbezeichnung zur Darstellung der eigenen Lebenssituation und -kultur (Literatur, Theater, Musik, bildende Kunst). Er ist vom Wort „ M é xico ” aus der Sprache Nahuatl abgeleitet, das von den Azteken verwendet wurde, um das eigene Gebiet zu bezeichnen (Suárez 1997:183; Gorodezky 1993:13).

[20] Vergleiche die Internetseiten der Botschaften und Generalkonsulate der USA in Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica (Embajada de los Estados Unidos - Tegucigalpa - Honduras 2010, Embajada de los Estados Unidos - Managua - Nicaragua 2010, Embassy of the United States - San Salvador - El Salvador 2010, Consulate General of the United States - Guatemala 2010, United States Embassy - San Jose - Costa Rica 2010).

[21] Im Jahr 2009 waren 61% der in den USA lebenden, im Ausland geborenen, nicht dokumentierten Migranten_innen zwischen 25 und 44 Jahren alt. 58% waren männlich. Die Migranten waren mit 62% zwischen 25 und 44 Jahren im Schnitt jünger als die Migranten_innen, von denen 52% älter als 45 Jahre waren. 12%, also 1,32 Millionen der im Ausland geborenen, nicht dokumentierten Migranten_innen in den USA, war unter 18 Jahre alt (Hoefer et al. 2010:5).

[22] Agroindustrielles Konglomerat: landwirtschaftlicher Mischkonzern (Duden 2007).

[23] Zu der in Zentralamerika weit verbreiteten Armut vgl. Huhn/Oettler/Peetz (2008:3,11), Löding (2009:2-7), Zeiske (2010:235).

[24] Die Angabe bezieht sich auf die Höhe eines Mindestlohnes im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, der bei 45,81 mexikanische Pesos pro Tag liegt. Im September 2006 entsprach das 3,29 Euro (Österreichische Nationalbank 2010).

[25] Von 59.665 befragten guatemaltekischen Migranten_innen, die 2006 aus Mexiko abgeschoben wurden, wollten 10.244 nach Mexiko und 49.421 in die USA, um zu arbeiten (INM 2009b et al.:141).

[26] Wären wir im Zentrum der Menschlichkeit, dann sind wir eine Person, die Leben in sich spürt und weiter kommen möchte. Wir möchten Prinzipien haben, ein würdiges Haus zum Leben und Arbeit, also Ressourcen um Nahrung zu kaufen.

[27] Im September 2006 entsprach ein Euro 24,1104 honduranischen Lempira (Österreichische Nationalbank 2010).

[28] Ihre tatsächliche Bedeutung für wirtschaftliche Entwicklung ist zudem umstritten (Amuedo Dorantes 2010:332), gilt jedoch als steigend (Aguinas Dovelyn 2006:5). Seit Jahrzehnten wird angenommen, dass sie vor allem für Konsumgüter und lebensnotwendigen Bedarf ausgegeben werden. Nur selten werden sie in produktive Unternehmungen investiert. Laut Weltbankdaten werden sogar 77% der remesas für dringend benötigte Bedarfsartikel wie Lebensmittel ausgegeben. In der letzten Zeit wurden immer wieder Studien über die positiven Effekte auf wirtschaftliche Entwicklung veröffentlicht, wobei sich jedoch nur wenige auf Zentralamerika bezogen (Adams 2006:53f.).

[29] Hometown Associations versuchen, remesas z.B. für eine Verbesserung öffentlicher Schulen einzusetzen und somit einem größeren Kreis zugänglich zu machen (Reese 2010:169).

[30] Pandilla (es): Bande.

[31] Maras: Die Banden Mara 18 (MS 18) und Mara Salvatrucha 13 (MS 13) haben Anhänger in den USA, Mexiko und Zentralamerika. Sie werden dem organisierten Verbrechen zugerechnet und gelten als aggressiv und gewaltbereit (Peetz 2004:49).

[32] Familismus: (Soziol.) bestimmte Sozialstruktur, bei der das Verhältnis von Familie und Gesellschaft durch weitgehende Identität gekennzeichnet ist (Duden 2007).

[33] sue ñ o americano: Der Ausdruck wurde während des wirtschaftlichen Aufschwungs in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt. Bezeichnend für ihn sind Chancengleichheit und Freiheit, die den US-Bürgern erlauben, ihre Lebensziele durch soziale Netzwerke, Zugang zum Arbeitsmarkt und Befriedigung ökonomischer Grundbedürfnisse zu erreichen (Clark 2001 in Shobe et al. 2009:93).

[34] Frontera sur geoestrat é gica de la Uni ó n Americana (es): Geostrategische Südgrenze der (Nord-) Amerikanischen Union.

[35] Proceso Puebla (es): Der Puebla Prozess ist die Kurzform für die jährlich abgehaltene Conferencia Regional sobre Migraciones (CRM). Die 15. CRM fand im Mai 2010 in Tapachula (Mexiko) statt (ACNUR 2010).

[36] Der Plan Puebla Panamá wurde 2008 in Plan Mesoamérica umbenannte und ist ein ökonomisches und infrastrukturelles Großprojekt in Südmexiko und Zentralamerika. Er gilt als Paradebeispiel für die politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Entwicklungen, die sich momentan im Kontext neoliberaler Globalisierungsprozesse abspielen. Durch den Plan Puebla Panamá wird eine wirtschaftliche Umstrukturierung der Region u.a. durch die Förderung der Maquiladora-Industrie, durch die Vermarktung der biologischen Vielfalt, durch Staudammprojekte, durch industrielle Garnelenzucht, durch Monokulturen sowie Infrastrukturmaßnahmen beabsichtigt. Diese Art von „Entwicklung“ wird von zahlreichen Menschenrechts-, Frauen- und Umweltorganisationen, Basisbewegungen, Intellektuellen, Teilen der Kirche und den Betroffenen strikt abgelehnt, weil sie äußerst negative soziale und ökologische Folgen erwarten (Zwischenzeit Münster 2009).

[37] Der Plan Sur wurde am 4. Juni 2001 von Mexiko, mit der finanziellen Hilfe der USA, eingeführt. Dieser Plan gehört ebenso wie der Plan La Repatriación Segura und der „Plan zur Stärkung der südlichen Grenze“ zu der Abschottungspolitik der USA, die diese seit Abschluss des Freihandelabkommens NAFTA mehr und mehr von der Nordgrenze Mexikos an die Südgrenze (Mexiko-Guatemala) verschiebt. Verstärkt wird diese Abschottungspolitik seit dem 11. September 2001. Der Plan Sur soll eine Versiegelung der Südgrenze Mexikos (Mexiko-Guatemala) erreichen. Im Auftrag des INM erfolgte, neben einer Verstärkung der Grenzposten an der Südgrenze, eine Erhöhung der der Polizei-und Militärpräsenz in der gesamten Region zwischen dem Isthmus von Tehuantepec und der Südgrenze von Mexiko. Mit dem Plan Sur sollen die Migrantenströme, die Mexiko als Transitland für die illegale Einreise in die USA benutzen gestoppt werden. Ebenfalls sollen der Transfer von Drogen und Waffen, die von Mittelamerika durch ganz Mexiko in Richtung USA führen, unterbunden werden (Mexiko-Lexikon 2010b).

[38] Maquiladoras (es): Montagebetriebe vor allem in Nordmexiko und Mittelamerika, in denen Exportware nach dem Billiglohnprinzip zu drei Viertel oder ganz zusammengesetzt und reexportiert wird (Buitelaar/ Padilla/ Urrutia 1999:133).

[39] Es bestehen Pläne für die Befestigung der Südgrenze nach dem Vorbild der Nordgrenze (Henrichs 2008). Vgl. auch das sog. „MéridaAbkommen“ von 2008 zwischen den USA und Mexiko, zur intensiveren Drogenbekämpfung und Absicherung der Südgrenze Mexikos gegen Drogenkuriere und Migranten_innen.

[40] Secretar í a de Gobernaci ó n (es): das mexikanische Innenministerium.

[41] Ley General de Poblaci ó n (es): Bundesbevölkerungsgesetz.

[42] Vergleiche Strategie 10.1 des nationalen Entwicklungsplans von 2007 (Gobierno de los Estados Unidos Mexicanos/ Presidencia de la República 2007:62) und Strategie 1.7 des nationalen Menschenrechtsprogramms (Secretaría de Gobernación 2008:18).

[43] Dazu zählen: die gesamte Kaffeeernte, die Arbeit auf den Obstplantagen, Bauarbeit, Hausarbeit, Kindererziehung und Jobs im informellen Sektor: Schuhputzer_innen, Müllsammler_innen, Bauchladenverkäufer_innen (Zigaretten und Süßigkeiten) kommen aus Guatemala. Daneben arbeiten Menschen aus ganz Zentralamerika in den Küchen von Hotels, Restaurants und Bars und vor allem Frauen und Mädchen in den ausgedehnten Rotlichtzonen der Region (Zeiske 2010:239f).

[44] Ca. 181 € statt 30 Cent (Österreichische Nationalbank 2010).

[45] FMVL: Die Forma Migratoria de Visitante Local (INM 2009:164), wird auch pase local genannt und ist ein Visum für Bewohner_innen im Süden an Mexiko angrenzende Regionen.

[46] FMVA: Die Forma Migratoria de Visitante Agr í cola ist ein Visum für Landarbeiter_innen (INM 2009:164).

[47] 43,9% der guatemaltekischen, 2006 aus Mexiko abgeschobenen, Nichtdokumentierten, die auf dem Weg in die USA waren, reisten über Tecún Umán nach Mexiko ein, 31,9% über La Mesilla, 9% über El Ceibo und 8,4% in El Carmen (INM 2009 et al.:145).

[48] Von Ciudad Hidalgo bis Reynosa sind es 1852 km, von Ciudad Hidalgo bis Tijuana sogar 3898 km (Map24 2010).

[49] Zu den Risiken während der Reise mit dem Zug siehe Kapitel 5.6.2.

[50] Zu den Risiken beim Umrunden der casetas siehe Kapitel 5.6.1.

[51] Freelists sind Interviews, bei denen Informanten_innen eine offene Frage gestellt und deren Antworten aufgeschrieben werden. Ihre Häufigkeiten werden zu einer Art ranking sortiert. Auf eine Frage können somit die am häufigsten genannten als kulturelle Domäne, also gemeinsames Wissen der Migranten_innen, identifiziert werden. Bei geringen Abweichungen des Wortlautes der Antworten kann eine Standardisierung von items durchgeführt werden. Alle items oberhalb einer bestimmten Häufigkeit von Nennungen können zu einer Domäne gezählt werden (Borgatti 1996:1).

[52] Frequency gibt die Häufigkeit der Nennungen an (Borgatti 1996:1).

[53] Die Respondent Percentage gibt den aus den Häufigkeiten berechneten prozentualen Anteil der Nennungen an (Ahrends 2003:27).

[54] Der Average Rank gibt an, an wievielter Stelle der Wert durchschnittlich genannt wurde (Ahrends 2003:27).

[55] Der Saliency Index von Smiths gibt an, wie sich ein Wert durchschnittlich von den anderen hervorhebt (Borgatti 1996:21).

[56] Die Erhebung von Pilesorts führt Freelists fort, indem sie Ähnlichkeiten zwischen den items herausfinden und Attribute zu ihrer Unterscheidung feststellen. Für jedes item wird eine Karte mit fortlaufender Nummer erstellt, die gemischt an die Informanten_innen ausgegeben wird. Diese bekommen die Aufgabe, die Karten in Kategorien zu ordnen und anschließend zu erklären, nach welchem Ordnungsprinzip sie die Karten sortiert haben (Borgatti 1996b:9ff). Ähnlichkeiten und Unterschiede innerhalb einer Domäne werden so noch nicht sichtbar. Dafür eignet sich das Verfahren der multidimensionalen Skalierung (MDS). Bei diesem multivariaten statistischen Verfahren werden die Beziehungen innerhalb einer Domäne berechnet und anschließend graphisch dargestellt. Die Grenzen zwischen so entstehenden Gruppierungen und items lassen sich nicht immer klar ziehen, da diese subjektiv erfolgt und unterschiedlich interpretiert werden kann. Zusammen mit der Analyse der Aussagen der Informanten_innen kann das Ergebnis der multidimensionalen Skalierung jedoch interpretiert werden (Borgatti 1996:27f).

[57] Ser robado (es) bedeutet ausgeraubt werden.

[58] Die so genannte freiwillige Rückführung beruht auf Verträgen des “Memorándum de entendimiento entre los gobiernos de los Estados Unidos Mexicanos, de la República de El Salvador, de la República de Guatemala, de la República de Honduras y de la República de Nicaragua“ über die „repatriación digna, ordenada, ágil y segura de nacionales centroamericanos migrantes vía terrestre”, die am 5. Mai 2006 und 26. April 2007 unterzeichnet wurden (INM 2009:35).

[59] International Convention for the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (UN 1965) und dem International Covenant on Civil and Political Rights (UN 1966).

[60] Laut Migrationsgesetzgebung sind nur die mexikanische Bundespolizei (PFP) und Beamte des INM dazu berechtigt, den Aufenthaltsstatus von Personen in Mexiko zu überprüfen. In der Praxis prüfen auch Beamte anderer Behörden, insbesondere der Polic í a Sectorial, sowie Angehörige der Armee den Aufenthaltsstatus von Durchreisenden. Haben diese keine gültigen Papiere, wird in der Regel Geld gefordert, bevor mann sie weiterreisen lässt. Sonst werden sie an das INM übergeben und abgeschoben (Ordaz 2009).

[61] Für ihr kostenfreies Verkehrsmittel Richtung Norden haben die Migranten_innen angst- und ehrfurchtsvolle Namen gefunden: „La bestia“ (die Bestie), „El tren de la muerte“ (der Todeszug) oder „El diablo de acero“ (der Teufel aus Stahl) (Interviews mit Isael Murido, Antonio Cortez, Maria Alas, José Domingo, Emigdio Maldonaldo, Julio Sandigo, Mercedes Cortez, Germán Charria, Liseth Zalvidar, Antonio Torres und María Muridio, September 2009 in Tapachula und Arriaga).

[62] Am häufigsten wurden Schlangen oder Skorpione genannt (Interview mit Antonio Torres, September 2006 in Arriaga; Freelists 2006).

[63] Die Ethnologie entwickelte sich zusammen mit dem Kolonialismus, der von der Verletzung von Menschenrechten abhing, die damals legale staatliche Praxis waren. Um wissenschaftliche Neutralität zu wahren und objektiv zu bleiben, müssen Wissenschaftler_innen ihre Neutralität wahren. Kritikern_innen zufolge kann dies nicht gewährleistet werden, da Menschenrechte ein politisches Thema seien. Dennoch beschäftigen sich immer mehr Ethnologen_innen mit menschenrechtsbezogenen Themen. Sie können dabei helfen, diese zu erforschen, zu verstehen und zwischen verschiedenen kulturellen Ansichten zu vermitteln (Sponsel 2000:153).

[64] Das Recht auf effektiven Rechtsschutz für gravierende Menschenrechtsverletzungen ist im internationalen Recht wie folgt verankert: Art. 8 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte; Art. 2 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte; Art. 14 UNAntifolterkonvention; Art. 8 des internationalen Paktes gegen das Verschwinden; Art. 25 des amerikanischen Paktes über Menschenrechte und weitere internationale Abkommen (AI 2010:43).

[65] Menschen aller Altersgruppen werden im Süden Mexikos zunehmend zur Arbeit auf Farmen, in Haushalten, Bordellen, Fabriken und Restaurants gezwungen (Global Rights et al. 2005).

[66] Migranten_innen, die sich auf Asylrecht berufen können, tun dies teilweise, um legal durch Mexiko reisen zu können. Der Vorteil ist, dass sie sich in Mexiko nicht verstecken müssen und auf sichere Verkehrsmittel zurückgreifen können (Interview mit Ariel Oscar Rivas vom Regionalbüro des Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), September 2006 in Tapachula).

[67] 50% von 64 Informanten_innen waren dabei, Mexiko das erste Mal zu durchqueren, 16% beim zweiten, 18% beim dritten und 11% beim vierten Versuch (eigene Erhebung von 2007).

[68] Von den aus Mexiko abgeschobenen guatemaltekischen Migranten_innen, die 2006 auf dem Weg in die USA waren, waren 98,3% ohne coyote unterwegs (INM 2009:132).

[69] Aufgrund seiner Arbeit, die Rechte der Migranten_innen zu verteidigen, wurde Pater Solalinde wiederholt bedroht, sowie von Polizei und Gangs eingeschüchtert. Er hatte Migranten_innen dabei geholfen, Verwandte aufzuspüren, die entführt worden waren, während sie entlang der Bahngleise auf den Zug warteten (AI 2010:14).

[70] Procuradur í a General de Justicia del Estado (es): Generalstaatsanwaltschaft auf bundesstaatlicher Ebene.

Excerpt out of 106 pages

Details

Title
Transitmigration in Mexiko
Subtitle
Eine ethnographische Fallstudie zu Strategien der Risikobewältigung nicht dokumentierter zentralamerikanischer Migrant_innen
College
University of Hamburg  (Institut für Ethnologie)
Grade
1,7
Author
Year
2010
Pages
106
Catalog Number
V345492
ISBN (eBook)
9783668355859
ISBN (Book)
9783668355866
File size
1673 KB
Language
German
Keywords
Migration, Mexiko, Lateinamerika, Menschenrechte, Religion, Transitmigration, Transit, Zentralamerika, Guatemala, Tapachula, Ixtepec, Arriaga, INM, Instituto Nacional de Migracion, Casa de Migrante, Kirche, Iglesia, Universidad autónoma del Estado de México, UAEM, Toluca, DAAD, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Mittelamerika, Recht, Rechte, Risiko, Weltrisikogesellschaft
Quote paper
Hauke Lorenz (Author), 2010, Transitmigration in Mexiko, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/345492

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