Harry Frankfurt und sein Konzept der Sorge. Bezüge zur Freiheit


Essay, 2013

18 Seiten, Note: 12 Punkte


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Frankfurts Konzept der Willensfreiheit
1.1.Das Modell höherstufiger Wünsche
1.2.In seinem Willen frei sein vs. etwas aus freiem Willen tun
1.3.Eigene Erweiterungen

2. Frankfurts Konzept der Sorge
2.1.Dritter Forschungszweig und Abgrenzung zur Ethik
2.2.Der Begriff des „Sich Sorgens“
2.3.Das Sorgen als Willensakt

3. Das Sorgen und die Freiheit
3.1.Volitionale Nötigung
3.2.Liebe und Vernunft als Gründe
3.3.Paradoxien
3.3.1. Nicht als Nötigung empfundene volitionale Nötigung
3.3.2. Liebe und Vernunft - Freiheitsgefühl trotz unfreiem Willen

Fazit und Schlussgedanken

Literatur

Einleitung

Harry Frankfurt untersucht in seinem Werk „Freiheit und Selbstbestimmung“1 im Kapitel „ Über die Bedeutsamkeit des Sich - Sorgens“2 speziell die Fähigkeit des Sich-Sorgens. Diesen Begriff fügt er in einen neuen philosophischen Themenkomplex ein und grenzt ihn von anderen ab. Er analysiert und definiert den Begriff und ordnet ihn schließlich als Sache des Willens einer Person ein. Damit einhergehend spricht er in seinen Ausführungen zu seinem Konzept der Sorge an vielen Stellen über deren Zusammenhang mit unfreiem oder freiem Willen und unfreiwilligem oder freiwilligem Handeln und einer damit vom Menschen empfundenen Freiheit, speziell bei seinem Konzept einer volitionalen Nötigung. Schließlich werden zwei Paradoxien angebracht und geklärt, bevor auf die empfundene Freiheit speziell aus Gründen der Liebe und Vernunft eingegangen wird.

Wie sich Frankfurts Sorgen - Konzept mit seinem Konzept von Willensfreiheit vereinen lässt, soll hauptsächlich im dritten Teil der Arbeit vorerst geprüft werden. Daher soll bei dieser Bearbeitung zunächst die Grundzüge seines Konzeptes der Willensfreiheit aus dem Kapitel „Willensfreiheit und der Begriff der Person“3 dargelegt und später bei der Betrachtung der Sorge als Sache des Willens ein Fokus auf den vierten und fünften Abschnitt seines Kapitels „Über die Bedeutsamkeit des Sich- Sorgens“ gelegt werden. Des Weiteren soll näher auf die damit zusammenhängenden Paradoxien eingegangen werden , speziell auf jenes, bei welcher ein volitional Genötigter sich einem unfreien Willen bzw. einer unfreien Sorge freiwillig hingeben muss, um Freiheit zu erlangen. Diese Freiheit zu definieren und von Seiten der Willensfreiheit und der Sorge zu beleuchten, soll der zweite und letzte Untersuchungspunkt sein.

1. Frankfurts Konzept der Willensfreiheit

In seinem Kapitel „Willensfreiheit und der Begriff der Person“4 untersucht Frankfurt die Willensstruktur derjenigen „Mitglieder unserer Spezies“5, die wir als Personen bezeichnen dürfen und die derjenigen, die wir eben nicht so nennen dürfen. Er ist der Meinung, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Personen und anderen Kreaturen in der Struktur des Willens einer Person zu finden sei. Deshalb analysiert er die Struktur von Wunschzuständen, wobei er ein Modell von höherstufigen Wünschen präsentiert, und stellt fest, welche notwendigen Eigenschaften davon eine Person besitzen muss. Im Anschluss an seine Ausführungen benennt er seine Definition von Willensfreiheit und bringt diese in Zusammenhang mit moralischer Verantwortlichkeit.

Auf sein Konzept der Willensfreiheit soll im Folgenden kurz eingegangen werden.

1.1. Das Modell höherstufiger Wünsche

Frankfurt unterscheidet zu Beginn zwischen einem Wunsch erster Stufe und einem Wunsch zweiter Stufe. Ersterer sei jegliches Angezogensein, jegliche Neigung und jeglicher Trieb. Letzterer sei die Reflexion des Wunsches erster Stufe und beziehe sich darauf, einen Wunsch erster Stufe haben oder nicht haben zu möchten. Der Wille sei die Identifikation mit einem Wunsch erster Stufe, nämlich der der stärkste, welcher zur Handlung bewegt. Eine Volition zweiter Stufe sei die Reflexion des Willens und die Identifikation mit diesem und beziehe sich darauf, einen Willen haben oder nicht haben zu möchten.

Nun sei es laut Frankfurt für eine Person wesentlich, dass sie Volitionen zweiter Stufe bilden kann, also in der Lage sei, ihren Willen reflektieren zu können. Das wichtigste Kriterium, um Volitionen zweiter Stufe bilden zu können, sei die Vernunft. Denn durch diese entstehe das Reflexionsvermögen. Ein Handelnder, welcher keine Volitionen zweiter Stufe bilden könne und sich somit nicht mit seinem Willen identifizieren oder nicht identifizieren kann, sei keine Person. „Wenn eine Person handelt, dann leitet sie entweder ein Wille, den sie haben möchte, oder ein Wille , den sie los sein will. Wenn einer triebhaft handelt, dann gilt keines von beiden.“6 Zu Unterscheidung von einer Person und einem triebhaften Wesen bringt Frankfurt ein Beispiel mit zwei Drogensüchtigen.

Wohingegen der eine ohne fähig zu sein, seinen stärksten Wunsch / Willen, die Droge zu nehmen, zu überdenken, dem körperlichen Verlangen folgt, bildet der andere, welcher auch den Willen hat, die Droge zu nehmen, eine Volition zweiter Stufe und identifiziert sich somit mit einem Wunsch erster Stufe, hierbei: die Droge nicht zu nehmen. Der erste ist laut Frankfurt ein triebhaftes Wesen, welches seinen Willen nicht reflektieren kann und triebhaft seinem Verlangen folgt. Der zweite sei, auf Grundlage der Fähigket, eine Volition zweiter Stufe bilden zu können und sich mit einem Wunsch erster Stufe zu identifizieren, eine Person. Obwohl dieser ebenfalls dem Verlangen der Droge nachgibt, ist dies doch ein Wille, welchen er nicht besitzen möchte und sich somit nicht ohne es zu überdenken, seinem Willen hingibt. Allein durch die Fähigkeit zur Reflexion / Volitionsbildung und somit der Identifikation mit einem anderen Wunsch, sei der unwillige Süchtige eine Person.

1.2. In seinem Willen frei sein vs. etwas aus freiem Willen tun

Frankfurts zweite These in diesem Kapitel lautet „Nur weil eine Person Volitionen der zweiten Stufe hat, kann sie sich der Freiheit des Willens erfreuen oder auch ihrer ermangeln.“7 Diese Aussage impliziert, dass nur Personen willensfrei sein können. Willensfreiheit sei, in Abgrenzung zur Handlungsfreiheit, die Freiheit, zu wollen, was man wollen möchte.8 Dies impliziert, dass zur Willensfreiheit die Voraussetzung gegeben sein muss, dass der Wille einer Person mit seiner Volition zweiter Stufe übereinstimmt, also diesen Willen, den man hat, auch haben zu wollen bzw. den Willen, den man haben möchte, auch bilden zu können und ihn schließlich zu haben. Somit sei weder der triebhaft Süchtige noch der Süchtige wider Willen in seinem Willen frei. Ersterer besitzt noch nicht einmal die Fähigkeit zur Bildung einer Volition, die Frage nach Willensfreiheit stellt sich also bei ihm gar nicht, der zweite muss einem Willen folgen, den er nicht haben möchte und somit auch nicht als eigenen Willen ansieht.

Im letzten Abschnitt seines Kapitels stellt Frankfurt die Frage nach dem Sinn der Willensfreiheit. Er zieht eine Verbindung mit der Frage nach moralischer Verantwortlichkeit sowie dem Genuss von Freiheit. Den Zusammenhang mit der ersten Problematik begründet Frankfurt damit, dass in einer Gesellschaft jemanden Verantwortung zugeschrieben werden muss bzw. dass es von Wichtigkeit sei, jemanden für sein Handeln verantwortlich zu machen. Dabei müsse nicht nur die Handlungsfreiheit einer Person, sondern auch deren Willensfreiheit untersucht werden. Hierbei wird ein entscheidendes Kriterium aufgeführt, indem Frankfurt sagt: „Es ist nicht wahr, dass jemand nur dann für seine Handlung moralisch verantwortlich ist, wenn er in seinem Willen frei war, als er handelte. Er kann auch dann für eine Tat moralisch verantwortlich sein, wenn sein Wille durchaus nicht frei war.“9 Frankfurt reicht es hinsichtlich moralischer Verantwortlichkeit also nicht aus, sich einen Willen bilden zu können, wie man möchte, also in seinem Willen frei zu sein. Es reicht allerdings aus, dass man den Willen, den man hat (auch wenn er sich unfrei aufgezwängt hat), auch haben möchte, sich ihm also freiwillig hingibt, die Tat aus eigenem freien Willen ausübt. Er unterscheidet also zwei Formen der Willensfreiheit, nämlich sich einen Willen bilden zu können, welchen man haben möchte, und einem Willen freiwillig zu folgen. Er präsentiert zur Unterstützung seiner Aussage das Beispiel eines dritten Dorgensüchtigen, welcher aufgrund körperlicher Abhängigkeit auch den Willen hat, die Droge zu nehmen. Er jedoch möchte ihm sich gar nicht widersetzen, sondern ist zufrieden mit diesem Willen, seine Volition zweiter Stufe befindet sich im Einklang mit diesem Willen. Dieser willige Süchtige ist in seinem Willen nicht frei, da er ihn sich nicht selbst bildete bzw. ausgesucht hat, allerdings gibt er sich ihm freiwillig hin und übt die Tat, die Droge zu nehmen, aus eigenem freien Willen aus, weshalb er verantwortlich gemacht werden kann. Er identifiziert sich somit mit diesem Willen und möchte keinen anderen haben.

Der zweite Sinn der Frage nach Willensfreiheit gründet laut Frankfurt in dem Genuss von Freiheit. Willensfreiheit sei als ein wünschenswerter Zustand angesehen. Es stelle sich Zufriedenheit ein, wenn sich eine Volition zweiter Stufe erfüllt. Wohingegen diese Freiheit nicht gegeben ist, stelle sich eine Enttäuschung ein. „ Hier geht es um die Zufriedenheit, die einer Person zuteil wird, von der man sagen kann: Sie hat ihren eigenen Willen. Unter einer entsprechenden Unzufriedenheit leidet eine Person, von der man sagen kann, sie ist sich selbst entfremdet oder sie findet sich als ein hilfloser passiver Betrachter der Mächte, die sie umtreiben. Jemand der frei ist, zu tun, was er möchte, braucht darum noch nicht in der Lage zu sein, den Willen zu haben, den er haben möchte. Aber nehmen wir an, dass er beides genießt: Handlungsfreiheit und Willensfreiheit. Dann ist er nicht allein frei zu tun, was er möchte, sondern er ist auch frei zu wollen, was er wollen möchte. Dann scheint mir, hat er alle Freiheit, die wünschbar und denkbar ist. Es gibt viele gute Dinge im Leben und vielleicht hat er manche davon nicht, aber im Hinblick auf die Freiheit fehlt ihm nichts.“10

1.3. Eigene Erweiterungen

Für den weiteren Verlauf der Arbeit und im Hinblick auf die zuletzt angesprochenen Punkte, erscheint es mir als notwendig, auf die Unterscheidung der Phrasen „in seinem Willen frei sein“ und „aus eigenem freien Willen handeln“ nochmals gründlicher einzugehen. So wie ich denke, dass es Frankfurt meint, kommt der Wille einer Person, welche die uneingeschränkte Willensfreiheit besitzt, zustande, indem diese eine Volition zweiter Stufe ausbildet, einen bestimmten Willen haben zu wollen, und die Willensstärke besitzt, diesen auch zu bilden, d.h. diesen Wunsch erster Stufe auch zu ihrem Willen zu machen. Somit befinden sich ihre Volition zweiter Stufe und ihr Wille im Einklang, sie handelt also nach eigenem freien Willen und war zudem in ihrem Willen frei, indem sie sich den bilden konnte, welchen sie auch haben wollte. Nun könne man annehmen es bedarf der uneingeschränkten Willensfreiheit, damit sich eine Person auch als frei und aktiv empfindet. Um diese Aussage zu überprüfen, kann man mehrere Fälle eines Beispiels bringen. Angenommen jemand hat als Person den Wunsch zur Arbeit zu gehen, da er ein fleißiger, pflichtbewusster Arbeiter ist. Gleichzeitig hat er aus Bequemlichkeit den Wunsch, zu Hause zu bleiben. Die Person ist zur Reflexion fähig und kann sich daher mit einem der Wünsche identifizieren bzw. mit der Person, welcher einer dieser Wünsche folgt.

Wenn die Wünsche a) beide gleich stark sind, und sich die Person beispielsweise mit dem Wunsch identifiziert, zur Arbeit zu gehen, also mehr mit der Person eines fleißigen Arbeiters, und sie die Willensstärke auch besitzt, diesen Wunsch zum eigenen Willen zu machen, hat sie die uneingeschränkte Willensfreiheit. Die Gefühle von Eigenständigkeit und Freiheit sind außerdem nicht auszuschließen. Die Person hat das Gefühl, diejenige sein zu können, die sie sein möchte. Folglich kann dies nicht der Fall sein, wenn sich b) ein Wunsch stärker aufdrängt und zum Willen wird, mit der sich die Person nicht identifizieren kann - hier beispielsweise der Wunsch, zu Hause zu bleiben. Die Neigung ist wie beim Drogensüchtigen wider Willen zu stark, um sich ihr zu widersetzen. Die Person hätte gern den Willen, zur Arbeit zu gehen und unterliegt schließlich dem Zwang, zu Hause zu bleiben, tut dies also unfreiwillig. Sie empfindet dabei nicht nur Unfreiheit in der Hinsicht, dass sie sich den Willen nicht zu eigen zu machen konnte, den sie haben wollte, sondern auch Passivität dadurch, dass sie ihrem Drang, zu Hause zu bleiben unfreiwillig nachgeben muss. Die Person empfindet sich als „hilflos der Gewalt seiner eigenen Wünsche preisgegeben“11 oder als „hilfloser Beobachter ihres eigenen Verhaltens“, wie auch der Drogensüchtige wider Willen.12 An dieser Stelle scheint es mir wichtig, einen dritten Fall, ähnlich dem des willigen Süchtigen anzubringen und zu untersuchen. In diesem Fall c) drängt sich auch ein Wunsch aus guten Gründen stärker auf, welcher schließlich zum Willen wird, nämlich der, zur Arbeit zu gehen. Allerdings, um bei der Identifikationsweise der Person in meinem Beispiel zu bleiben, macht es ihr nichts aus, diesen

[...]


1 Frankfurt, Harry: „Freiheit und Selbstbestimmung“, Betzler und Guckes (Hrsg.), Band 3 aus Polis Reihe, Axel Honneth (Hrsg.), Akademie Verlag, Berlin 2001
→ Bei folgenden Zitaten aus oder Bezugnahmen zu Frankfurts Texten „Willensfreiheit und der Begriff der Person“ und „Über die Bedeutsamkeit des Sich-Sorgens“ werde ich das oben aufgeführte Werk benutzen.

2 Ebd. S. 98 fgd.

3 Ebd. S. 65 fgd.

4 Frankfurt, Harry: „Freiheit und Selbstbestimmung“, S. 65 fgd.

5 Ebd. S.

6 Ebd. S. 75

7 Frankfurt, Harry: „Freiheit und Selbstbestimmung“, S. 75

8 Vgl. ebd. S. 77

9 Frankfurt, Harry: „Freiheit und Selbstbestimmung“, S. 79

10 Ebd. S. 80-81

11 Frankfurt, Harry: „Freiheit und Selbstbestimmung“, S. 73

12 Ebd. S. 106

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Harry Frankfurt und sein Konzept der Sorge. Bezüge zur Freiheit
Hochschule
Universität Kassel  (Fachbereich Philosophie)
Veranstaltung
Die Freiheit bei Harry Frankfurt
Note
12 Punkte
Autor
Jahr
2013
Seiten
18
Katalognummer
V345331
ISBN (eBook)
9783668352032
ISBN (Buch)
9783668352049
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
harry, frankfurt, konzept, sorge, bezüge, freiheit
Arbeit zitieren
Anika Mehner (Autor:in), 2013, Harry Frankfurt und sein Konzept der Sorge. Bezüge zur Freiheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/345331

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