Entomophagie in Deutschland. Verbraucherakzeptanz neuer Proteinquellen in der direkten Humanernährung


Bachelorarbeit, 2016

92 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Historische Entwicklung der Entomophagie
2.1 Insekten in der Geschichte der menschlichen Ernährung
2.2 Globale Verbreitung von Entomophagie
2.3 Aktuelle Verbreitung in Europa
2.4 Entstehung des Nahrungstabus im Westen

3 Verbraucherakzeptanz bei neuartigen Lebensmitteln.
3.1 Akzeptanzforschung
3.1.1 Theory of Planned Behavior nach Ajzen (1991)
3.1.2 Anwendung des TPB-Modells am Beispiel des Insektenkonsums
3.2 Psychologische Einflüsse auf das Ernährungsverhalten
3.2.1 Einfluss der Sinne.
3.2.2 Der Ekel
3.2.3 Food Neophobie
3.2.4 Mere-Exposure-Effect
3.2.5 Exklusivität

4 Zwischen Genuss und Abscheu - Akzeptanz von Entomophagie in Deutschland
4.1 Der rechtliche Rahmen bei Insekten als Nahrungsmittel
4.1.1 Die neue Verordnung für Insekten als Lebens- und Futtermittel
4.1.2 Risikobewertung der EFSA
4.2 Darstellung in deutschen Medien
4.3 Risiko-Nutzen-Einschätzung aus Verbrauchersicht
4.4 Potenzielle Zielgruppen nach Sinus-Milieus in Deutschland
4.5 Ansätze zur höheren Verbraucherakzeptanz

5 Methodisches Vorgehen
5.1 Methodischer Hintergrund und Forschungsfrage
5.2 Konzeption des Leitfadens
5.3 Grundprinzipien der Experteninterviews
5.4 Aufbereitung und Auswertung des Datenmaterials.

6 Ergebnisse

7 Interpretation und Diskussion

8 Zusammenfassung

Quellenverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Weltweit am häufigsten verzehrte Insekten in Prozent

Abb. 2: Geografische Verteilung essbarer Insekten und Spinnen in den jeweiligen Regionen

Abb. 3: TPB-Modell nach Ajzen

Abb. 4: Berichterstattung deutscher Print- und Onlinemedien über den Nutzen von Insekten als Lebensmittel

Abb. 5: Die Sinus-Milieus in Deutschland 2016

Abb. 6: Die neun Arbeitsschritte der Inhaltsanalyse nach Mayring

Abb. 7: Hauptproblem bei Entomophagie in Deutschland

Abb. 8: Potenzielle Zielgruppen

Abb. 9: Potenziale für Entomophagie in Deutschland

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Neuartige Lebensmittel nach Novel-Food-Verordnung (EG) Nr. 258/97

Tab. 2: Transkriptionsregeln

Tab. 3: Oberkategorien zum Thema Problematik bei Entomophagie in Deutschland

Tab. 4: Oberkategorien zum Thema Verbraucherakzeptanz.

Tab. 5: Oberkategorien zum Thema Einfluss des rechtlichen Rahmens

Tab. 6: Oberkategorien zum Thema Einfluss ernährungspsychologischer Aspekte.

Tab. 7: Oberkategorien zum Thema Allgemeine Wahrnehmung von Food Innovationen in Deutschland

Tab. 8: Oberkategorien zum Thema Zielgruppen für die Entomophagie

Tab. 9: Oberkategorien zum Thema Zukünftige Entwicklung

Zusammenfassung

Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Verbraucherakzeptanz von Insekten als neue tierische Proteinquelle für die direkte Humanernährung. Das Ziel ist die Wahrscheinlichkeit einer positiven Akzeptanz von Entomophagie in Deutschland zu ermitteln, um anhand der gegenwärtigen Einstellungen zu Insek- ten als Lebensmittel auf das zukünftige Konsumverhalten zu schließen. Hierzu wurde mittels einer qualitativen Befragungsmethode eine Stichprobe von fünf Ex- perten interviewt, welche die Sichtweisen der deutschen Verbraucher repräsen- tieren. Aus den Ergebnissen der Untersuchung wird deutlich, dass die Experten grundsätzlich Potenziale für die Entomophagie in Deutschland sehen. Sie weisen jedoch darauf hin, dass der Ekel, die rechtliche Situation und die potenziellen gesundheitlichen Risiken derzeit große Barrieren darstellen, welche die prakti- sche Umsetzung erschweren. Insbesondere von verarbeiteten Produkten aus In- sekten wird zukünftig eine hohe Verbraucherakzeptanz erwartet.

Abstract

This study deals with the consumer acceptance of insects as a new animal source of protein for the direct human nutrition. The aim is to assess the extent of con- sumer acceptance of Entomophagy in Germany in order to predict future consu- mer behavior based on the current prevailing attitudes. For this purpose, a quali- tative survey method was used. A total sample of five experts that represent the perspectives of the German consumers was interviewed. The results of this study indicate that the experts see potentials for Entomophagy in Germany in general. However, they point out that consumers‘ disgust, the legal situation and the po- tential health risks form high barriers that make the practical implementation dif- ficult. In particular processed food products from insects are expected to experi- ence high acceptance in the future.

1 Einleitung

„10 Milliarden - Wie werden wir alle satt?“1

So lautet der Titel des im April 2015 erschienenen Dokumentarfilms von Valentin Thurn. Nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wächst die Weltbevölkerung bis 2050 von etwa 7 auf 9,1 Milliarden Menschen. Dem zufolge wird das verfügbare Land zur Proteinbe- reitstellung für die gesamte Weltbevölkerung nicht mehr genügen (VAN HUIS et al. 2013, S. ǀX). Die Verknappung von Lebensmitteln, insbesondere von tieri- schem Eiweiß, stellt die Nahrungsmittelindustrie vor die Herausforderung, neue ressourceneffiziente Proteinquellen mit einem hohen Nährstoffgehalt zu entde- cken und diese für die gesamte Weltbevölkerung verfügbar zu machen. Derzeit lässt sich ein zunehmendes Interesse an essbaren Insekten als alternative Pro- teinquelle für den Menschen sowohl in den Medien, in Forschungsinstituten als auch in der Wirtschaft beobachten. Mit der sogenannten Entomophagie2 werden Potenziale gesehen, das Welternährungsproblem schrittweise anzugehen und zur Sicherung der zukünftigen Eiweißversorgung beizutragen.

Allgemein ist unter Entomophagie der Verzehr von Insekten zu verstehen, sowohl von Menschen als auch von Tieren (VAN HUIS et al. 2013, S. Xǀǀǀ ff.). Die vorlie- gende Arbeit beschäftigt sich jedoch ausschließlich mit dem direkten menschli- chen Insektenkonsum, die Verwendung von Insekten als Futtermittel wird hierbei nicht thematisiert.

Es ist bereits bekannt, dass mit der Verwendung von Insekten als Lebensmittel ökologische, ökonomische, soziale, ernährungsphysiologische sowie gesund- heitliche Vorteile einhergehen. Neben ihrer äußerst hohen Ressourceneffizienz sind sie zudem noch sehr proteinreich und verfügen über zahlreiche Vitamine, Mineralstoffe und mehrfach ungesättigte Fettsäuren (GLOGOWSKI 2016). Trotz der vielen Vorteile ist der Verzehr von Insekten in vielen westlichen Ländern bis- her nicht üblich. Laut einer aktuellen Verbraucherbefragung vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) scheint die Abscheu des Verbrauchers3 aufgrund von Ekel einer der ausschlagebensten Punkte zu sein, der gegen die Akzeptanz von Insekten als Lebensmittel spricht (EPP 2016). Neben psychologisch bedingten Einflüssen stellt derzeit noch die vage Gesetzgebung sowie der mangelnde Forschungsstand zu gesundheitlichen Risiken bei Entomophagie eine Schwierigkeit der praktischen Umsetzung in Europa dar (DGE 2016).

Der vorliegenden Arbeit liegt daher die folgende Forschungsfrage Bestehen Po- tenziale für Entomophagie in Deutschland, welchen Einfluss hat dabei die Ver- braucherakzeptanz? zugrunde. Durch ihre empirische Untersuchung soll die Wahrscheinlichkeit einer positiven Akzeptanz von Entomophagie ermittelt wer- den. So wird anhand der gegenwärtigen Einstellungen zu Insekten als Lebens- mittel auf zukünftiges Konsumverhalten deutscher Verbraucher geschlossen.

Im Folgenden soll der Aufbau der Arbeit kurz erläutert werden, um eine Übersicht über das Vorgehen zu geben. Nach einem kurzen Rückblick in die historische Entwicklung der Entomophagie in Kapitel 2 wird in Kapitel 3 der Kern dieser Ar- beit, der Einfluss der Verbraucherakzeptanz, in den Kontext eingebettet. Dabei wird zunächst ein Modell der Akzeptanzforschung vorgestellt, welches die Grund- lage für die Empirie bildet. Anschließend werden mögliche psychologische Ein- flussfaktoren auf das Ernährungsverhalten beleuchtet. Das Kapitel 4 befasst sich mit dem derzeit geltenden rechtlichen Rahmen für Insekten als Lebensmittel so- wie mit dem aktuellen Stimmungsbild in Deutschland von Entomophagie. Dabei wird vor allem auf die Sichtweisen der Verbraucher und die Darstellung in den Medien eingegangen. Abgerundet wird der theoretische Teil der Arbeit mit An- sätzen, die zur Erhöhung der Verbraucherakzeptanz beitragen. In Kapitel 5 wird ausschließlich das methodische Vorgehen der Untersuchung beschrieben und im Anschluss werden die Ergebnisse der Erhebung präsentiert (Kapitel 6). In Ka- pitel 7 werden sowohl die Ergebnisse als auch das methodisches Vorgehen kri- tisch reflektiert. Nach einem Ausblick für zukünftige Forschungsarbeiten werden in Kapitel 8 die Erkenntnisse der Arbeit nochmals zusammenfassend dargestellt.

2 Historische Entwicklung der Entomophagie

Die wissenschaftliche Bezeichnung für den Insektenkonsum ist die Entomopha- gie. Dabei bezieht sich der Begriff in der Regel auf den menschlichen Verzehr von Insekten. Allgemein findet er bei allen entomophagen Lebewesen Anwen- dung, auch bei Tieren. Streng genommen schließt die Entomophagie alle Orga- nismen ein, die über den Verzehr anderer Lebensmittel, wie zum Beispiel über Gemüse, Eier oder Fleisch, Insektenteile indirekt über ihre Ernährung aufnehmen (VAN HUIS et al. 2013, S. 1).

2.1 Insekten in der Geschichte der menschlichen Ernährung

Kulturelle Einflüsse haben die Ernährungsgewohnheiten der Menschen in der Vergangenheit enorm geprägt, welche mit politischer Macht, sozialem Status und religiösem Glauben einhergehen. Vor allem in religiösen Schriften wird der Ver- zehr von Insekten erwähnt. Sowohl in christlichen, jüdischen als auch in islami- schen Religionen sind Andeutungen auf Entomophagie zu finden. In der Bibel (im Buch Levitikus), in der Tora sowie im Koran wird der Verzehr verschiedener In- sektenarten, meist Heuschrecken, erwähnt. Aufgrund des mangelnden Wissens über die verschiedenen essbaren Insektenarten und deren Zubereitung sei diese Tradition aber im Laufe der Zeit verloren gegangen. Nur die Juden des Jemen und Populationen in Teilen Nordafrikas haben die Tradition beibehalten. Es wird angenommen, dass der starke Rückgang der Entomophagie auf die Verwestli- chung zurückzuführen ist (VAN HUIS 2013,S. 40 f.). Auch in Deutschland gibt es erste Hinweise auf den Insektenverzehr. Im Magazin für Staatsarzneikunde sprach der hessische Medizinalrat SCHNEIDER (1844) von einer äußerst nahr- haften Maikäfersuppe, welche zwar für viele Bevölkerungsgruppen als Delika- tesse galt, aber ausschließlich in Notzeiten verzehrt wurde (SCHNEIDER 1844, S. 404 f.).

Schon bevor die Menschen mit der Viehzucht und dem Ackerbau begannen, wa- ren Insekten ein Hauptbestandteil ihrer Ernährung und nahmen damals eine wichtige Rolle für die tägliche Nahrungsversorgung ein. Zu Zeiten der Jäger und Sammler war das Fangen von Insekten eine gängige Art und Weise der Nah- rungsbeschaffung. Nicht nur aus versteinerten Kot-Analysen wurde ersichtlich, dass die Menschen bereits in der Antike Insekten verzehrt haben, auch unter- schiedliche literarische Quellen in der Geschichte der menschlichen Ernährung weisen auf den Konsum von Insekten hin (VAN HUIS et al. 2013, S. 40 f.; KATAYAMA et al. 2008). Einen ersten literarischen Hinweis auf Entomophagie in Europa lässt sich im Alten Griechenland finden, dort sprach bereits Aristoteles in seiner Schrift Historia Animalium (4. Jahrhundert v. Chr.) von Zikaden, welche auch bei den Griechen als Delikatesse galten. Des Weiteren wurde ein unter den Römern beliebtes Gericht namens Cossus erwähnt, welches aus der Larve der Bockkäfer Cerambyx Cerdo bestand. Auch in der Literatur aus dem alten China wird der Verzehr von Insekten thematisiert. Im Buch von Li Shizhen`s Compen- dium of Materia Medica (1578) ist eine große Anzahl an Insekten als Lebensmittel aufgelistet, wobei auch der medizinische Nutzen der Insekten hervorgehoben wird (VAN HUIS et al. 2013, S. 40 f.).

Zur heutigen Zeit ist in vielen Teilen der Welt der Insektenkonsum aus diversen Gründen nicht mehr üblich. In Europa ist dies auf die Entwicklung der Landwirt- schaft, auf die Industrialisierung sowie auf die Globalisierung der Esskultur zu- rückzuführen. Mit der Domestizierung4 von unterschiedlichen Pflanzen- und Tier- arten verbreitete sich die Landwirtschaft in einem enormen Tempo. Größere Tiere, wie beispielsweise Rinder, Kühe, Schafe oder Schweine, erbrachten nicht nur erhebliche Mengen an Fleisch, mitunter auch Milchprodukte, Leder und Wolle. Ebenso konnten die Tiere als Transportmittel und Arbeitshilfe genutzt wer- den. Daher liegt nah, dass aufgrund der höheren Nützlichkeit dieser Tiere die Verwendung von Insekten zunehmend an Interesse verlor. Ein weiterer Grund dürfte der erhebliche Aufwand sein, der mit dem Einfangen der Insekten einher- ging. Insbesondere in warm-gemäßigten Klimazonen wie Europa sind die Insek- ten meist kleiner und somit schwerer zu fangen als in den Tropen. Die Domesti- zierung von größeren Tieren ermöglichte eine wesentlich höhere Ertragssteige- rung für die Nahrungsmittelproduktion. Seitdem galten Insekten eher als Unge- ziefer für den landwirtschaftlichen Betrieb, da sie deren Nutzpflanzen schädigten (VAN HUIS et al. 2013, S. 35 f.). Ebenso relevant für den Rückgang der Entomo- phagie seien laut YEN (2009) die Auswirkungen der Globalisierung, welche sich im Rahmen der Esskultur durch den weltweit stetig steigenden Konsum von Fastfood und Convenience Produkten widerspiegeln. Der zunehmende Wohlstand der Schwellenländer und die damit einhergehende Adaption der westlichen Esskultur führen zu einem enormen Rückgang traditioneller Ernährungsgewohnheiten, so auch die Entomophagie. Nach YEN (2009) erweise es sich als große Herausforderung, die Insekten als traditionelle Nahrungsquelle zu bewahren und in westlichen Gesellschaften erneut zu integrieren (YEN 2009).

2.2 Globale Verbreitung von Entomophagie

Insekten vertreten nicht nur die artenreichsten Gruppe der Gliederfüßer, sie ge- hören außerdem zu den weltweit am häufigsten vorkommenden Tieren. Trotz ih- rer eher negativen Charakterisierung als Schädling und Krankheitserreger/-über- träger, können sie auch überaus nutzenstiftend sein, beispielsweise als Blüten- bestäuber oder direkt als Nahrungsmittel und damit als wichtige Quelle von tieri- schem Eiweiß für den Menschen. Nach Untersuchungen der FAO (2013) werden weltweit mehr als 1900 Insektenarten von zwei Milliarden Menschen (circa 30 Prozent der Weltbevölkerung) verzehrt (VAN HUIS 2013, S. 1 f.). Zu den am häufigsten konsumierten Insekten und Spinnentieren gehören Libellen, Läuse, Zikaden, Grillen, Heuschrecken, Ameisen, verschiedene Käferlarven wie z. B. Mehlwürmer, die Larven des Schwarzkäfers oder des Nashornkäfers, diverse Raupenarten, Taranteln und Skorpione (RAMOS-ELORDUY 1998). Es wird ge- schätzt, dass mehr als 2000 Insektenarten von 3071 verschiedenen ethnischen Gruppen in der Welt konsumiert werden. Darüber hinaus gibt es möglicherweise noch viele weitere Spezies, die bisher noch nicht entdeckt wurden (RAMOS-EL- ORDUY 2009). Die Abbildung 1 stellt die weltweit am häufigsten verzehrten In- sekten in Prozent dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Weltweit am häufigsten verzehrte Insekten in Prozent (eigene Bearbeitung nach LANDER 2015)

Im Allgemeinen werden Insekten hauptsächlich in Entwicklungsländern und in subtropischen bis tropischen Regionen verzehrt. In der heutigen Zeit ist die En- tomophagie vorwiegend in Teilen von Afrika, Asien und Südamerika verbreitet. Doch für eine konkrete Zuordnung der zahlreichen konsumierten Insektenarten in verschiedenen Teilen der Welt bedarf es noch einer Menge Forschungsarbeit (SHOCKLEY et al. 2014).

Eine der aktuellsten Darstellungen über die globale Verbreitung essbarer Insek- ten in den unterschiedlichen Kontinenten und Regionen zeigt eine im Jahr 2012 durchgeführte Inventur der Wageningen University Laboratory Entomology. Da- bei wurden insgesamt 2163 essbare Insektenarten registriert. Weltweit sind Lepi- doptera (36 Familien und 396 Arten), Hemiptera (27 Familien und 222 Arten) und Coleoptera (26 Familien und 661 Arten) die drei häufigsten von Menschen ver- zehrten Insektenarten (vgl. Abb. 2). An der Spitze der Vielfalt steht Südamerika mit 639 gezählten Insektenarten, gefolgt vom Orient mit 530 und Afrika mit 400. In der Paläarktis5 wurden 344 verschiedene Arten gezählt und mit 90 bis 95 Spe- zies wurde die niedrigste Diversität in Nordamerika und Australien ermittelt (SHOCKLEY et al. 2014). Die folgende Abbildung 2 gibt einen explorativen Über- blick über die globale Verbreitung essbarer Insekten in den jeweiligen Regionen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Geografische Verteilung essbarer Insekten und Spinnen in den jeweiligen Regionen (SHOCKLEY et al. 2014)

Die in Abbildung 2 dargestellte unterschiedliche geografische Verteilung ist nicht einzig auf die Verfügbarkeit von Insekten in den jeweiligen Regionen zurückzuführen. Zudem spielen der Einfluss von Nahrungstabus und die durch soziokulturelle Konditionierung entstandenen Vorlieben bzw. Abneigungen eine bedeutende Rolle (HINZ 2001).

2.3 Aktuelle Verbreitung in Europa

Aufgrund des prognostizierten Mangels an tierischem Eiweiß und der damit ein- hergehenden stetig steigenden Nachfrage nach neuen Proteinquellen, steht die Entomophagie auch in Europa wieder zur Debatte. Während die Entomophagie in vielen Regionen der Welt einen selbstverständlichen Bestandteil der Ernäh- rung einnimmt, ist dies in westlichen Populationen überwiegend mit Abscheu und Ekelgefühlen verbunden. Jedoch rufen Insekten als Lebensmittel bei einigen Eu- ropäern auch Neugierde hervor. In vielen europäischen Szene-Restaurants und Online-Shops werden sie als Mutprobe, gesunder Snack oder gegrillte Delika- tesse angeboten und erlangen vor allem bei jüngeren Konsumenten zunehmend an Beliebtheit (REMPE 2014).

Zukünftig sehen Experten großes Potenzial für essbare Insekten auf dem euro- päischen Markt. Dieses haben bereits einige auf essbare Insekten spezialisierte Unternehmen erkannt, doch besonders deutsche Start-up-Unternehmen stehen derzeit vor der großen Herausforderung ihre Produkte auf den Markt zu bringen (DGE 2016). Eine große Hürde der praktischen Umsetzung geht laut KRÄMER (2016) mit einer unklaren Gesetzgebung in Europa einher, denn laut aktueller Rechtsgrundlage ist der Vertrieb bestimmter insektenbasierter Produkte nur in Belgien erlaubt, sofern diese die verorteten hygienischen Auflagen erfüllen. An- derorts wird der Verkauf toleriert, wie beispielsweise in den Niederlanden. Wäh- rend essbare Insekten bereits in belgischen sowie niederländischen Restaurants und Supermärkten angeboten werden, ist dies in Deutschland derzeit noch ver- boten. Mit der ab dem 1. Januar 2018 geltenden neuen Europäischen Novel- Food-Verordnung können auch auf dem deutschen Markt derartige Produkte an- geboten werden. Bisher wurde nach deutscher Gesetzgebung lediglich der Ver- kauf ganzer, sichtbarer Insekten geduldet. Aber auch für die Belgier gilt nach der festgesetzten Übergangsfrist (bis 2020) die neue Verordnung für Novel Food (KRÄMER 2016; REMPE 2016). Die aktuelle Rechtslage in Europa wird in Kapi- tel 4 nochmals ausführlicher erläutert.

2.4 Entstehung des Nahrungstabus im Westen

Es stellt sich dennoch die Frage, weshalb Insekten in vielen Teilen der Welt als Delikatesse angesehen werden, während sie in westlichen Gesellschaften als ein tabuisiertes Nahrungsmittel gelten. Um dieses gegensätzliche Phänomen zu er- klären, werden im Folgenden verschiedene theoretische Erklärungsansätze un- tersucht.

Für die Entstehung von Nahrungstabus sind diverse Ansätze entwickelt worden, welche sich in rationalistische, funktionalistische, strukturalistische und kommu- nikationstheoretische Erklärungen einteilen lassen. Am Beispiel des kommunika- tionstheoretischen Ansatzes erklärt der Anthropologe6 EDER (1988) in seinem Buch Die Vergesellschaftung der Natur Nahrungstabus wie folgt: „Eßtabus sind kulturell tiefsitzende und zugleich emotional hochbesetze Eßverbote. Sie drücken ein kollektives moralisches Gefühl oder moralisches Empfinden aus, das vor al- lem moralischen Bewußtsein bereits besteht“ (EDER 1988 zitiert in REITMEIER 2013, S. 156). Ausgehend hiervon sind Tabus konstant anhaltende, schon im Kleinkindalter verinnerlichte, aus Verboten entstandene Verhaltensprinzipien, welche bei Missachtung sanktioniert wurden (REITMEIER 2013, S. 157 f.). Auch der Kulturmaterialist Marvin Harris, als wohl bekanntester Vertreter der Erklä- rungsweisen von Nahrungstabus, hat sich der Frage der Tabuisierung von Insek- ten als Nahrungsmittel in Europa gewidmet. Für die meisten Menschen in westli- chen Ländern ist Entomophagie mit unkultivierten Verhalten und Gefühlen des Ekels verbunden. Das Gefühl des Ekels bei Entomophagie sei laut HARRIS (2005) aus moralischen Wertvorstellungen entstanden. Also nicht etwa weil das Konsumieren von Insekten grundsätzlich ekelerregend ist, sondern weil diese Verzehrtradition in westlichen Gesellschaften als eklig angesehen wird (HARRIS 2005, S. 164 ff.). Die Tatsache, dass dem Ekel und der Abscheu gegenüber In- sekten keine angeborenen Emotionen zugrunde liegen und der Mensch in der Vergangenheit bereits Insekten konsumiert hat, bestätigt Harris in seiner Theorie. Zudem sei das Prinzip des ökonomischen Verbrauchs eine naheliegende Erklä- rung für die Tabuisierung in Europa. Laut Harris liegt diesem Prinzip eine Kosten- Nutzen-Bilanz zugrunde. Diese Bilanz besagt, dass die Nützlichkeit der Lebens- mittel sich zum einen aus physiologischen Eigenschaften der Lebensmittel er- rechne und zum anderen aus dem Aufwand, der zur Beschaffung dieser aufge- wendet werden müsse (BARLÖSIUS 2011, S. 100). Dies spiegelt sich auch in Kapitel 2.1.2 wider. Wie dort bereits aufgeführt wurde, konnte durch Viehzucht und Ackerbau ein wesentlich höherer Ertrag erwirtschaftet werden, als mit dem Einfangen der Insekten. Des Weiteren begründet HARRIS (2005) die Tabuisie- rung mit dem Wandel der Ernährungsgewohnheiten, welcher sich auf die dama- lige Nahrungsmittelknappheit und dem heutigen Überfluss von Lebensmitteln zu- rückführen lässt (HARRIS 2005, S. 164 ff.).

3 Verbraucherakzeptanz bei neuartigen Lebensmitteln

Lebensmittelrechtlich fallen Insekten in Europa unter die Definition für neuartige Lebensmittel7 gemäß der Verordnung (EU) 2015/2283 (DELEWSKI et al. 2016, S. 42). In diesem Kapitel soll die Verbraucherakzeptanz bei neuartigen Lebens- mitteln beschrieben werden. Um hierzu eine theoretische Basis zu schaffen, wird zunächst der Begriff der Akzeptanz geklärt. Darauf aufbauend wird ein theoreti- sches Modell der Akzeptanzforschung mit anschließender Anwendung dieses Modells am Beispiel des Insektenkonsums vorgestellt. Abgerundet wird das Ka- pitel mit potenziellen ernährungspsychologischen Faktoren, welche die Verbrau- cherakzeptanz von neuartigen Lebensmitteln wie Insekten beeinflussen könnten.

3.1 Akzeptanzforschung

Eine einheitliche, allgemein anerkannte Definition des Akzeptanzbegriffes ist in wissenschaftlicher Literatur nicht zu finden. Einigkeit lässt sich aber dennoch im alltäglichen Sprachgebrauch finden. Dort steht akzeptieren für annehmen, hin- nehmen, billigen; anerkennen; mit jmdm. oder etw. einverstanden sein (DUDEN- VERLAG 2016). Eine umfassende Definition von Akzeptanz aus sozialwissen- schaftlicher Perspektive stammt von Günter Endruweit, welche auch Grundlage dieser Arbeit ist. Der Soziologe beschreibt in seinem Wörterbuch der Soziologie (2002) den Begriff Akzeptanz wie folgt: „Akzeptanz ist die Eigenschaft einer In- novation, bei ihrer Einführung positive Reaktionen der davon Betroffenen zu er- reichen.“ (ENDRUWEIT 2002 zitiert in KREBBER 2016, S. 21). Aus Endruweits Perspektive ist also Akzeptanz ein objektives Merkmal einer Neuerscheinung, dessen Pendant die positive Resonanz einer subjektiv wahrnehmenden Gruppe ist (KREBBER 2016, S. 21).

Zur besseren Veranschaulichung der Dimensionen über die Entstehung von Ak- zeptanz wird folgend eine von LUCKE (1995) konzipierte Dreieckskonstellation aus Akzeptanzobjekt, -subjekt und -kontext erläutert. Das zu akzeptierende Ob- jekt, welches im Fall dieser Arbeit die Insekten als neuartige Lebensmittel sind, bildet nach Lucke das Akzeptanzobjekt. Als Akzeptanzsubjekte bezeichnet sie gesellschaftliche Gruppen und Personen, welche das Akzeptanzobjekt akzeptie- ren, teilweise oder gar nicht akzeptieren. Im vorliegenden Fall würden die deutschen Verbraucher diese Personengruppe vertreten. Das Akzeptanzobjekt und das Akzeptanzsubjekt bilden durch ihre Abhängigkeit zueinander den Akzeptanzkontext (LUCKE 1995 zitiert in BENTELE et al. 2015, S. 4 f.).

3.1.1 Theory of Planned Behavior nach Ajzen (1991)

Nachdem im vorhergehenden Abschnitt sowohl die Bedeutung, als auch die Dimensionen der Entstehung von Akzeptanz geklärt wurden, wird in diesem Unterkapitel anhand eines theoretischen Modells der Akzeptanzforschung versucht, die Wahrscheinlichkeit einer positiven Reaktion auf so genannte Novel Foods zu ermitteln. So kann anschließend aus den gegenwärtigen Einstellungen auf das zukünftige Verbraucherverhalten geschlossen werden.

Im Bereich der Akzeptanzforschung lassen sich zahlreiche Theorien finden, mit deren Hilfe Adaptionsprozesse8 annähernd erklärt werden können. Es wird das Modell der Theory of Planned Behavior (TPB) ausgewählt, da sich dieses Modell aufgrund seiner Grundstruktur mit den bisher gewonnenen Erkenntnissen der vorliegenden Arbeit optimal integrieren lässt.

Nach Ajzen‘s Theorie (1991) bildet die Verhaltensabsicht zur Ausführung eines bestimmten Verhaltens das Zentrum des Modells. Je stärker die Absicht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten wirklich realisiert wird. Dabei spielen drei Faktoren eine bedeutende Rolle.

Zunächst einmal nimmt die persönliche Einstellung gegenüber dem Verhalten Einfluss auf die Verhaltensabsicht. Sie bildet sich aus eigenen Überzeugungen und deren Bewertung bezüglich des zu erwartenden Ergebnisses. Ein weiterer Faktor ist die subjektive Norm, die sich auf den individuell wahrgenommenen gesellschaftlichen Druck bezieht, welcher mit der Ausführung oder Unterlassung des geplanten Verhaltens einhergeht. Dieser entwickelt sich aus der Vermutung, dass andere Mitglieder des normativen Systems das Praktizieren des Verhaltens nicht dulden oder sogar verabscheuen. Die dritte Komponente bildet die wahr- genommene Verhaltenskontrolle. Hierbei gleicht das Individuum die Ausfüh- rung eines Verhaltens mit den eigenen Fähigkeiten und Ressourcen ab. Je höher die Einschätzung der Kontrolle ausfällt, desto wahrscheinlicher ist die tatsächli- che Verhaltensausübung. Durch Ergänzung dieser Komponente lässt sich die Wahrscheinlichkeit des konkreten Verhaltens sehr gut vorhersagen, da die Per- son über das beabsichtigte Verhalten nur eine beschränkte Eigenkontrolle be- sitzt. Bei Ajzen‘s Modell wird von einer Abhängigkeit zwischen Einstellung, sub- jektiver Norm und wahrgenommener Verhaltenskontrolle ausgegangen. Dem- nach wird deutlich, dass das tatsächliche geplante Verhalten sowohl von inter- nen, als auch externen Faktoren beeinflusst wird (ARNOLD et al. 2016, S. 14 ff.). Diese werden im Einzelnen mit der konkreten Anwendung des TPB-Modells (vgl. Kap. 3.1.2) erläutert. In Abbildung 3 ist eine grafische Darstellung des TPB-Mo- dells aufgeführt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: TPB-Modell nach Ajzen (ARNOLD et al. 2016, S. 17)

3.1.2 Anwendung des TPB-Modells am Beispiel des Insektenkonsums

Auf Grundlage des in Kapitel 3.1.1 vorangestellten TPB wurde ein Modell zur Akzeptanz von Entomophagie in Deutschland entwickelt (vgl. Anhang I). Hierzu wurde eine Adaption des TPB vorgenommen, indem die bereits erwähnten inter- nen und externen Einflussfaktoren in Bezug auf die Akzeptanz von Entomopha- gie in das Grundmodell von Ajzen integriert wurden. Die Verbraucherakzeptanz wurde als ein weiteres Element zwischen der Verhaltensabsicht und dem tat- sächlichen Verhalten eingefügt.

Wie bereits unter Punkt 3.1.1 beschrieben, zielt die TPB darauf ab, das Verhalten von Personen vorherzusagen und zu erklären. In der vorliegenden Arbeit wird diese Theorie als zusätzliche Sichtweise herangezogen, um eine hypothetische Grundlage für die Empirie zu geben. Die individuelle Akzeptanz unterliegt dabei einem kognitiv gesteuerten Prozess der individuellen Wahrnehmung der sozialen Umwelt (vgl. Kap. 3.1).

Angewandt auf die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, dass die Wahrscheinlichkeit einer positiven Akzeptanz von Insekten als Lebensmittel von der persönlichen Einstellung deutscher Verbraucher gegenüber der Entomophagie, dem sozialen Druck (z. B. durch die Medien) sowie von der individuellen Willensstärke (z. B. der Überwindung des Ekelgefühls) abhängt.

Die wesentlichen Einflussfaktoren, die für die Untersuchung der Verbraucherak- zeptanz von Bedeutung sind, lassen sich bereits aus Ajzen`s Theorie ableiten. Sie umfassen das Vorhandensein individueller Umstände, welche sich auf das geplante Verhalten auswirken; das Fehlen von Informationen und Kompetenzen; die Willenskraft zur Umsetzung des geplantes Verhaltens; Emotionen und Zwang; Zeit und Möglichkeit zur Ausführung des beabsichtigten Verhaltens sowie die Abhängigkeit von Anderen, wodurch unter Umständen das geplante Verhal- ten nicht ausgeführt werden kann (ARNOLD et al. 2016, S. 16 f.).

Weitere mögliche Einflussfaktoren auf das Verbraucherverhalten bei Entomophagie werden in dem von der Autorin konzipierten Modell in Anhang I dargestellt. Mit Hilfe des TPB-Modells werden aus den gewonnenen theoretischen Erkenntnissen dieser Arbeit insgesamt 19 Hypothesen abgeleitet, welche es in der Untersuchung zu prüfen gilt (vgl. Anhang II).

3.2 Psychologische Einflüsse auf das Ernährungsverhalten

Warum essen Menschen das was sie essen? Wie entwickelt sich das individuelle Essverhalten? Welche Motive steuern die Speisenauswahl? Mit diesen Fragen aus dem Bereich der Ernährungspsychologie beschäftigt sich das folgende Un- terkapitel, basierend auf den psychologischen Einflussfaktoren im Rahmen des Insektenverzehrs.

3.2.1 Einfluss der Sinne

Ob ein Lebensmittel schmeckt oder nicht, hängt von dem Gesamteindruck der fünf Wahrnehmungssinne Sehen, Fühlen, Riechen, Schmecken und Hören ab. Besonders der erste Eindruck über die visuelle Wahrnehmung spielt eine bedeu- tende Rolle bei der Lebensmittelauswahl, demnach lautet auch das Sprichwort das Auge isst mit. Optisch werden Lebensmittel nach Farbe und Form ausge- wählt, um eigene Erwartungen von einem noch unbekannten Lebensmittel zu bestätigen (DIETZ 2016). Es liegt nahe, dass die Wahrscheinlichkeit der Ableh- nung von Insekten als Lebensmittel durch negative geschmackliche Erwartungen und die Unsicherheit über die Herkunft eines Produkts sehr hoch ist (HARTMANN et al. 2015). Doch aus Ergebnissen aktueller Studien ist ersichtlich, dass zukünf- tig insbesondere verarbeitete Produkte aus Insekten von deutschen Verbrau- chern akzeptiert werden würden, da die Insekten als solche nicht mehr mit blo- ßem Auge erkennbar sind (DGE 2016).

Neben der visuellen Wahrnehmung ist auch der Geruchssinn bei einer neuen Sinneserfahrung mit einem Lebensmittel von besonderer Bedeutung. Geruchswahrnehmungen gehen häufig mit starken Emotionen einher, so können auch Empfindungen wie Ekel durch negative Gerüche ausgelöst werden. Die verschiedenen Geschmacksrichtungen (süß, sauer, salzig, bitter und umami) werden über die Geschmacksknospen auf der Zunge wahrgenommen. Auch diese können individuell Gefühle des Ekels auslösen (DIETZ 2016). Der Geschmack der Insekten variiert je nach Spezies, von nussig bis zitronig oder dem Geschmack von Garnelen ähnlich (RAMOS-ELORDUY 1998). Diese Geschmacksrichtungen entsprechen allerdings denen von konventionellen Lebensmitteln und lösen bei der Mehrheit der Menschen keine Ekelreaktionen aus.

3.2.2 Der Ekel

„Disgust is one of our most basic emotions - the only one that we have to learn - and nothing triggers it more reliably than the strange food of others”.9

Der Ekel ist eine der grundlegendsten Emotionen des Menschen, welcher sich mit starker Abneigung und Widerwillen äußert. Es lassen sich nach derzeitigem Forschungsstand jedoch keine allgemein gültigen Indikatoren auf bestimmte Lebensmittel feststellen, die Ekelgefühle bei Menschen auslösen. Die Fähigkeit Ekel zu empfinden, ist zwar angeboren, doch werden Ekelgefühle erst durch soziokulturelle und pädagogisch vermittelte Lernprozesse im Laufe des Lebens erworben (LOOY et al. 2013; HARTMANN et al. 2015).

Festzuhalten ist, dass bereits Neugeborene auf bitteren Geschmack mit dem Verziehen des Gesichts reagieren, doch wird dabei nicht von einer Ekelreaktion, sondern von einer angeborenen Geschmacksaversion ausgegangen. Sowohl Aversionen als auch Präferenzen gegenüber einzelnen Speisen können bereits im Mutterleib durch die Ernährung der Mutter geprägt werden (KIEFER 2012, S. 19).

Auch Assoziationen können eine wesentliche Rolle beim Entstehen von Ekelre- aktionen spielen. Dies lässt sich am Gesetz der Ähnlichkeit verdeutlichen. Dabei werden Objekte als ekelhaft wahrgenommen, da sie mit negativen Assoziationen in Verbindung gebracht werden (VAN OVERVELD et al. 2010; DEROY et al. 2015). So kann eine Seidenraupe mit einer schleimigen Konsistenz assoziiert werden. Dadurch wird Angst und Ekel hervorgerufen (HARTMANN et al. 2015).

3.2.3 Food Neophobie

Neben dem Ekelgefühl bilden sich auch geschmackliche Präferenzen und Aver- sionen von Lebensmitteln bereits im Kindesalter. Mit dem wiederholten Kontakt (vgl. Kap. 3.2.4) zu diversen Lebensmitteln lernen Neugeborene diese zu schme- cken und entwickeln mit der Gewöhnung eigene Geschmackstendenzen. Der Gewöhnung steht allerdings die Angst vor Unbekanntem entgegen. Bei der so- genannten Food Neophobie werden unbekannte, neue Lebensmittel systema- tisch abgewiesen, aus Angst vor Gefahren, die mit dem Konsum einhergehen könnten (ELLROTT 2013). Wenn beispielsweise ein neues Produkt auf dem Markt angeboten wird, ist dies beim Verbraucher in der Regel vorerst mit einer gewissen Skepsis verbunden. Die dabei empfundenen Ängste und Abneigungen sind individuelle persönliche Empfindungen, welche sich auf die Auswahl von Le- bensmitteln und damit auf die Akzeptanz neuartiger Lebensmittel auswirken (HARTMANN et al. 2015).

Die Neophobie hat sowohl eine schützende Funktion, da die Aufnahme von möglicherweise toxischen oder ernährungsphysiologisch unzureichenden Lebensmitteln verhindert wird, gleichzeitig beeinflusst sie aber auch die Vielfalt der Nahrungsmittelauswahl in der Ernährung, indem einige Lebensmittel systematisch abgelehnt werden (DEROY et al. 2015; ELLROTT 2013).

Die Angst vor neuen, unbekannten Lebensmitteln lässt sich auch auf die Akzep- tanz der Entomophagie übertragen. Die Ablehnung von Insekten könnte sowohl auf die Unwissenheit der Herkunft der Tiere, als auch auf die zu erwartenden negativen Folgen, welche mit dem Insektenkonsum in Verbindung stehen könn- ten, zurückzuführen sein (HARTMANN et al. 2015; MEDIGO et al. 2014). Bisher liegen laut der DGE (2016) aber kaum Forschungsergebnisse zu möglichen ge- sundheitlichen Risiken vor. Hierzu müssten noch intensivere Forschungsarbeiten über die Vielfalt der potenziellen Belastungen erfolgen (DGE 2016).

3.2.4 Mere-Exposure-Effect

Die durch Konditionierung entstanden Vorlieben und Abneigungen von Lebensmitteln lassen sich mit dem sogenannten Mere-Exposure-Effekt erklären.

Der Mere-Exposure-Effekt nach ZAJONC (1968) bezeichnet eine positive Ein- stellungsänderung gegenüber einem Reiz lediglich wegen der bloßen Wiederho- lung dieses Reizes (ZAJONC 1968).Die Vorzüge dieses Effekts werden häufig zu Marketingzwecken genutzt, denn es ist bewiesen, dass nach mehrmaliger Wiederholung eines Produkts dieses viel positiver und ansprechender auf den Verbraucher wirkt und das Motiv Neugier durch konditioniertes Werben deutlich verstärkt wird (ELLROTT 2009; TROMMSDORFF 2011, S. 253). Nach Zajonc’s Theorie ließe sich also vermuten, dass sich das wiederholte Werben insektenba- sierter Produkte auf die Einstellung deutscher Verbraucher positiv auswirken könnte und somit zur Erhöhung der Akzeptanz beiträgt (vgl. Kap. 4.5).

Der Ernährungspsychologe Thomas ELLROTT (2013) beschreibt den Effekt, als „das gewohnheitsbildende ‚Hineinschmecken‘ in die lokal vorherrschende Ess- kultur“ (ELLROTT 2013, S. 79). So ist nachvollziehbar, dass Europäer, Asiaten, Amerikaner oder Afrikaner unterschiedliche Präferenzen und Abneigungen ge- genüber bestimmten Lebensmitteln haben. Zudem liegt dem Mere-Exposure-Ef- fekt ein wichtiger evolutionsbiologischer Sicherheitsgedanke bei der Speisenaus- wahl zugrunde, denn nach wiederholtem Verzehr eines Lebensmittels wird der Geschmack wiedererkannt, das Lebensmittel als unbedenklich eingestuft und mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Male gegessen (ELLROTT 2009).

3.2.5 Exklusivität

Ein besonders exklusives Lebensmittel, wie beispielsweise Kaviar, steigert bei vielen Menschen dessen Attraktivität. Solche Lebensmittel werden häufig mit Lu- xus verbunden und aus diesem Grund häufiger verzehrt (AID 2013, S. 31). Ob sich jedoch Insekten in die Kategorie Luxusgut segmentieren lassen, bedarf noch einiger Diskussionen. Im Hinblick auf verwendete Auspreisungen für ess- bare Insekten in Online Shops zeigt sich, dass diese Produkte eher in höhere Preiskategorien eingeordnet werden. Im Onlineshop von Snack-Insects ließe sich beispielsweise eine Mischung aus Heuschrecken, Mehlwürmern und Buffalowürmern für 47,96 Euro pro 100 Gramm erwerben, demnach wäre die Einordnung in die Premiumkategorie gerechtfertigt (DAMMANN 2016).

Der Verzehr von luxuriösen Lebensmitteln wird zum Ausdruck des sozialen Sta- tus‘ und durch diesen wird die Zugehörigkeit einer bestimmten Gruppe verdeut- licht. Dies zeigt sich vor allem in sozialen Netzwerken, denn nicht mehr der Ge- schmack steht im Vordergrund bei der Nahrungsauswahl, sondern die soziale Anerkennung der sogenannten Follower. Die Speise wird hübsch drapiert, mit Freunden geteilt und erst dann gegessen. An dieser Stelle ist der Einfluss der subjektiven Norm (vgl. Kap. 3.1.1) zu erwähnen, denn hierbei ist das Motiv der Nahrungsauswahl häufig den Erwartungen anderer gerecht zu werden (KIEFER 2012, S. 56).

Die bereits beschriebenen soziokulturellen Lernvorgänge führen im Laufe des Lebens zur Ausprägung unterschiedlicher Motive für die Nahrungsmittelauswahl.

Oberste Priorität bei der Speisenauswahl hat laut ELLROTT (2013) das Motiv Lebensmittelsicherheit, ist dies gegeben folgen Genuss und Geschmack, Kon- venienz und der Preis. Diese Motive würden jedoch in einzelnen Fällen variieren (ELLROTT 2013). Ob das grundlegendste Motiv der Deutschen, die Lebensmit- telsicherheit, bei Insekten als Lebensmittel gewährleistet werden kann, zeigt ein von der EFSA (2015) erstelltes Risikoprofil, welches in Kapitel 4.1.2 ausführlich beschrieben wird.

4 Zwischen Genuss und Abscheu - Akzeptanz von Entomophagie in Deutschland

Das letzte Kapitel des theoretischen Teils befasst sich mit dem Status quo der derzeit geltenden Rechtslage in Europa, der Medienresonanz als auch mit der Beurteilung von Insekten als Lebensmittel aus Sicht des Verbrauchers. Zudem werden potenzielle Zielgruppen anhand deutscher Sinus-Milieus beschrieben. Abgerundet wird das Kapitel mit Ansätzen, die zur Erhöhung der Verbraucher- akzeptanz von Entomophagie in Deutschland beitragen könnten.

4.1 Der rechtliche Rahmen bei Insekten als Nahrungsmittel

Während insektenbasierte Lebensmittel wie beispielsweise Burger-Pattys aus In- sekten bisher nach der Verordnung (EG) Nr. 258/97 als neuartiges Lebensmittel galten, gab es bis zur Einführung der neuen Novel-Food-Verordnung Unstimmig- keiten darüber, ob auch ganze Insekten unter die Definition der Novel Foods fal- len sollten. Aus diesem Grund tolerieren einige europäische Länder (bspw. die Niederlanden) die Vermarktung ganzer Insekten ohne besondere Zulassung (vgl. Kap. 2.3). In einigen Ländern sind Positivlisten erstellt worden und wieder andere (bspw. Frankreich) haben Risikobewertungen vorgenommen. Aufgrund des der- zeit mangelnden Forschungsstands über mögliche Risiken werden Insekten als Lebensmittel auf einigen Märkten grundsätzlich nicht zugelassen (DELEWSKI et al. 2016, S. 41).

4.1.1 Die neue Verordnung für Insekten als Lebens- und Futtermittel

Wegen der vielen Unstimmigkeiten wurde seit dem 31. Dezember 2015 die neue europäische Novel-Food-Verordnung (EG) 2015/2283 für gültig erklärt, welche an Stelle von der bisher geltenden Verordnung (EG) Nr. 258/97 tritt. Nach wie vor müssen bei Novel Foods Risikobewertungen und Zulassungsverfahren vorge- nommen werden, bevor sie auf dem Markt angeboten werden dürfen (BMEL 2016).

[...]


1 Titel des Dokumentarfilms von Valentin Thurn von 2015

2 ist die wissenschaftliche Bezeichnung für den Verzehr von Insekten

3 Im Interesse einer besseren Lesbarkeit des Textes wird in der vorliegenden Arbeit stets die männliche Schreibweise verwendet, womit jedoch stets auch die weibliche Form gemeint ist

4 ist ein innerartlicher Veränderungsprozess von Wildtieren oder Wildpflanzen, bei dem diese durch den Menschen über Generationen hinweg von der Wildform genetisch isoliert werden

5 umfasst den nicht-tropischen Teil der Alten Welt (Eurasien und Nordafrika bis zur Südgrenze der Sahara)

6 befasst sich mit der Wissenschaft vom Menschen und seiner Entwicklung

7 sind Lebensmittel, die vor dem Inkrafttreten der Novel-Food-Verordnung innerhalb der EU nicht in nennenswertem Umfang zum Verzehr in den Handel gebracht wurden

8 Prozesse, bei denen der einzelne Verbraucher verschiedene geistige Zustände und Verhaltensstufen, vom Ausprobieren (bzw. Nicht-Ausprobieren) bis hin zur Akzeptanz (bzw. Ablehnung) eines neuen Produkts, durchläuft.

9 HERZ 2012 zitiert in VAN HUIS et al. 2013, S. 35.

Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Entomophagie in Deutschland. Verbraucherakzeptanz neuer Proteinquellen in der direkten Humanernährung
Hochschule
Hochschule Osnabrück  (Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e. V.)
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
92
Katalognummer
V345249
ISBN (eBook)
9783668350618
ISBN (Buch)
9783668350625
Dateigröße
2584 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entomophagie, Verbraucherakzeptanz, neue Proteinquelle, Humanernährung
Arbeit zitieren
Isabell Hoppe (Autor:in), 2016, Entomophagie in Deutschland. Verbraucherakzeptanz neuer Proteinquellen in der direkten Humanernährung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/345249

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