Literarische Analyse und Übersetzungsvergleich - J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

61 Seiten, Note: 2,3 (gut)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Literarische Analyse – The Lord of the Rings
1.1 Klärung des Begriffs “literarisch” in literarischer Prosa
1.2 Zusammenwirken von Sprache und literarischem Effekt
1.2.1 Die Grundstimmung des Romans
1.2.2 Gollum
1.2.3 Elrond
1.2.4 Saruman
1.2.5 Die Orks
1.2.6 Die Zwerge
1.2.7 Die Ents
1.2.8 Die Hobbits
1.3 Fazit

2 Übersetzungsvergleich
2.1 Übersetzbarkeit der literarischen Effekte
2.2 Vergleich des Originals mit den Übersetzungen von Margaret Carroux und Wolfgang Krege
2.2.1 Gollums Naivität und Schizophrenie
2.2.2 Elronds archaischer Charakter
2.2.3 Sarumans Sinn für Fortschritt
2.2.4 Die primitiven Orks
2.2.5 Die „abgebrochenen“ Zwerge
2.2.6 Die langsamen Ents
2.2.7 Die einfachen und merkwürdigen Hobbits

3 Schlussbemerkung

Bibliografie

Selbstständigkeitserklärung

Anhang – Ausschnitte des Originals und der Übersetzungen

Vorwort

Vom literarisch-künstlerischen Standpunkt aus betrachtet scheint der Roman The Lord of the Rings nach Meinung einiger Literaturkritiker kaum von Bedeutung zu sein. Edmund Wilson unterstellt dem Autor sogar „wenig erzählerisches Geschick und keinen Instinkt für literarische Form“ [Wilson 1984, 54], als er sich ziemlich vernichtend über das Buch äußerte. Dass es Tolkien jedoch zum Beispiel gelungen ist, vor allem die Perspektiven der in diesem Roman vorkommenden Charaktere durch sprachliche Besonderheiten deutlich zu machen, werde ich im Folgenden aufzeigen.

Auch existieren sehr unterschiedliche Meinungen zu den beiden auf dem deutschen Markt veröffentlichten Übersetzungen. Es soll jedoch nicht Sinn dieser Arbeit sein, zu bestimmen, welche besser gelungen ist, sondern nur darzulegen, inwiefern sich die eine von der anderen unterscheidet.

Bevor ich jedoch zu meiner Analyse komme, werde ich des Verständnisses wegen so kurz wie möglich – es sind immerhin mehr als 1300 Seiten Text – beschreiben, worum es sich in The Lord of the Rings handelt.

Es ist ein Fantasy-Roman, dessen Geschichte sich im Dritten Zeitalter in Mittelerde abspielt, wo viele verschiedene Völker von Sauron, dem Dunklen Herrscher, bedroht werden. Seine Macht ist durch einen Ring begründet, der vernichtet werden muss, um Sauron endgültig zu besiegen. Diesen einen Ring verlor Sauron in einem Gefecht, das in einem früheren Zeitalter stattfand. Nun besitzt ihn Bilbo, ein Hobbit aus dem Auenland, der jedoch zu alt geworden ist, um zu den Schicksalsklüften des Vulkans im Herzen von Saurons Land Mordor zu reisen und den Ring dort zu zerstören. Sein Neffe Frodo übernimmt also diese Aufgabe und wird bei dieser Reise von einer gemischten Gesellschaft begleitet: drei andere Hobbits (Sam, Merry und Pippin), zwei Menschen (Boromir, Sohn Denethors, der das Land Gondor regiert, und Aragorn, sein noch unerkannter rechtmäßiger König), ein Zwerg (Gimli), ein Elb (Legolas) und der Zauberer Gandalf als Anführer. Nahe Mordor werden Frodo und Sam von den anderen Gefährten getrennt und setzen den Weg allein fort, wobei sie auf das Geschöpf Gollum treffen, das den Ring früher einmal besaß und ihm seitdem verfallen ist. Die anderen betreiben inzwischen zusammen mit dem Baumvolk der Ents und den Menschen von Rohan den Sturz Sarumans, eines Zauberers, der die Macht des Ringes für sich vereinnahmen will. Sie helfen in Gondor bei der Niederschlagung einer von Saurons Armeen und versuchen in einer letzten Schlacht Saurons Aufmerksamkeit von den zwei Hobbits abzulenken, die sich zur gleichen Zeit dem Schicksalsberg nähern. Nach vielen Hindernissen, denen sich die beiden gegenübersehen, wird der Ring – und damit Sauron – letztendlich zerstört. In Mittelerde herrscht wieder Frieden, Aragorn wird König von Gondor. Die Hobbits kehren ins Auenland zurück. Einige Zeit später verlässt Frodo das Auenland und Mittelerde und bricht mit den Elben zu den Unsterblichen Landen auf.

Im ersten Kapitel werde ich den Roman einer literarischen Analyse unterziehen, die jedoch aufgrund seiner Komplexität wahrscheinlich nicht bis ins kleinste Detail erfolgen kann und sonst den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Als Einleitung dient die Beantwortung der Frage, was an Prosa überhaupt literarisch ist. Danach werde ich einige Thesen entwickeln und belegen, wie die Sprache in The Lord of the Rings zu bestimmten literarischen Effekten führt.

Das zweite Kapitel ist dann dem Vergleich des Originals mit den zwei publizierten deutschen Übersetzungen von Margaret Carroux und Wolfgang Krege gewidmet. Darin wird es um die Übersetzbarkeit der literarischen Effekte gehen, die ich im ersten Kapitel beschrieben habe. Des weiteren werde ich feststellen, inwiefern sich die Übersetzungen unterscheiden.

In der Schlussbemerkung fasse ich dann die aus dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse kurz zusammen.

Doch erst einmal zur literarischen Analyse.

1 Literarische Analyse – The Lord of the Rings

1.1 Klärung des Begriffs “literarisch” in literarischer Prosa

Laut Jakobson zeichnet sich eine dichterische Äußerung durch die Projektion der Äquivalenz von der paradigmatischen Achse der Selektion auf die syntagmatische Achse der Kombination aus. [Jakobson 1960, 83] Dies gilt nicht nur für die Poetik, sondern auch für die Prosa. Das wichtigste Merkmal literarischer Prosa ist wohl die regelmäßige Wiederkehr äquivalenter Einheiten, die sich auf lexikalischer, morphologischer, grammatisch-syntaktischer oder sogar phonologischer Ebene ausdrücken können, also die Form eines literarischen Textes ausmachen, die immer mehr oder weniger auf dessen Inhalt schließen lässt. Die sprachliche Struktur ist daher unter anderem ein Element, durch das Prosa erst „literarische Qualität“ erhält.

Die verschiedenen Stilmittel haben die Aufgabe, dem Rezipienten (in dem Fall dem Leser) auf formeller Ebene zu suggerieren, was auf der inhaltlichen Ebene manchmal sogar nicht gleich zu erkennen ist. Sie dienen aber auch der Verstärkung der inhaltlichen Aussage eines Werkes.

Aufgrund dieser Erkenntnis kann man behaupten, dass bei literarischen Texten das Relevanzprinzip zugunsten der gewählten Strukturen und Formen teilweise in den Hintergrund rückt und damit ebenfalls der Grundsatz der leichten Verarbeitbarkeit eines Textes.

Die Beachtung sowohl der inhaltlichen als auch der formellen Ebene literarischer Texte ist besonders wichtig für deren Übersetzung, denn Form und Inhalt spiegeln sich wechselseitig und dürfen daher nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Dieses Beziehungsgeflecht muss bei der Übersetzung soweit wie möglich rekonstruiert werden, um dem ausgangssprachlichen Text und dessen Aussage gerecht zu werden. [Doherty 2000, 1]

Im Folgenden werde ich Merkmale literarischer Prosa am Beispiel des Romans The Lord of the Rings näher analysieren.

1.2 Zusammenwirken von Sprache und literarischem Effekt

Wie gesagt spiegeln sich die inhaltlichen Elemente immer in der sprachlichen Form wieder. Laut Halliday dient Sprache in erster Linie dem Ausdruck von Inhalt und erfüllt damit eine repräsentative Funktion [Halliday 1973, 105]. In The Lord of the Rings geht es um den Kampf zwischen Gut und Böse, der Frage nach der Natur des Bösen, um Tod und Unsterblichkeit und um Hoffnung, wo kaum Hoffnung besteht. An vielen Stellen des Romans verbreitet sich daher eine gewisse düstere Grundstimmung, die der Autor auf semantischer Ebene mittels Paradigmen hervorhebt, die ich später genauer beschreiben möchte.

Um die Perspektiven der verschiedenen Charaktere im Roman zu repräsentieren, verwendet der Autor unterschiedliche grammatische Strukturen. Ich werde dies deutlich machen am Beispiel der Figuren Gollum, Elrond (einem Elb) und Saruman, da hier die sprachliche Darstellung am markantesten ist. Die Besessenheit Gollums kommt durch formelle Wiederholungen zum Ausdruck, seine Schizophrenie durch zwei verschiedene Sprachstile. Elronds Unsterblichkeit und Erhabenheit stellt der Autor mit altertümlichem Sprachgebrauch dar. Der Hang Sarumans, nach Fortschritt zu streben, ist durch moderne Redeweise zu erkennen.

Obwohl man bei diesen einzelnen Figuren eigene Charakterzüge deutlich erkennen kann, stehen aufgrund des Gemeinschaftsgedankens in The Lord of the Rings jedoch eher die unterschiedlichen Eigenschaften und Lebensarten der Völker Mittelerdes im Vordergrund. Dies wird, abgesehen von den unterschiedlichen Sprachen, auch an ihrem Sprachstil festgemacht. Die Ästhetik, die Erhabenheit und das hohe Alter der Elben wird schon am Beispiel Elronds deutlich gemacht. Orks sind das genaue Gegenteil. Ihre Grässlichkeit drückt sich durch einen vulgären Sprachgebrauch aus, häufige Futurformen deuten auf den Fortschritt, die Zukunft hin. Ihre Existenz als Armee zeigt sich in den Befehlsformen. Zwerge reden in abgebrochenen Sätzen, was auf ihre Größe, aber auch auf ihre Wortkargheit hinweist. Die Langsamkeit der Ents repräsentiert Tolkien mittels sehr vieler Wiederholungen und Partikeln. Ents kommen nicht auf den Punkt. Dadurch wirkt alles, was sie tun, auch sehr langsam und bedächtig. Die Schlichtheit der Hobbits zeigt sich auch in der Schlichtheit ihrer Rede.

Die Art und Weise, mit der Tolkien die vorwiegend dunkle Grundstimmung und die Perspektiven der Charaktere und der Völker Mittelerdes in seinem Roman sprachlich umsetzt, werde ich im Folgenden an ausgewählten Stellen genauer analysieren und beschreiben.

1.2.1 Die Grundstimmung des Romans

Im Verse of the Rings, der auf den einen Ring eingraviert ist, stößt man auf die Worte mortal, doom, die, dark (zweimal), shadow (zweimal) und darkness [Tolkien I 1999, 66/67]. Sie sind durchgehend im gesamten Werk zu finden. Als weiteres Beispiel wähle ich eine Stelle im dritten Teil des Romans, als Frodo und Sam (und Gollum) am Schicksalsberg ankommen und der Ring endlich zerstört werden muss [Tolkien III 1999, 264-268]. Hier sind die Paradigmen, wie an vielen weiteren Stellen des Romans deutlich zu erkennen. Dunkelheit repräsentiert die häufige Verwendung der Wörter dark, shadow, black. Das Undurchsichtige des Bösen zeigt sich in smoke, haze, cloud. Aber auch das Thema des Sterbens wird repräsentiert: dead, silent, cold, dying. Diese düstere Stimmung wird durch Angst und Schrecken (fear, dreadful, fearfully, terrible, peril, thread) noch verstärkt. Die vermeintliche Hoffnungslosigkeit spiegelt sich auch im oft vorkommenden doom wieder. Es bedeutet Schicksal, aber im Sinne von Verhängnis, ist also negativ konnotiert, das heißt es gibt kaum Hoffnung.

Vor allem möchte ich jedoch näher auf die Charaktere des Romans eingehen.

1.2.2 Gollum

Das Geschöpf Gollum ist eine der Schlüsselfiguren. Da sein Sprachstil der markanteste und vielschichtigste aller Figuren in The Lord of the Rings ist, wird meine Analyse ihn betreffend auch recht umfangreich ausfallen.

Gollum, das den Ring liebt, war, bevor es ihn besaß, einmal ein Hobbit namens Sméagol. Dieses frühere Ich, das den Ring hasst, kommt mehr und mehr zum Vorschein. Gollum ist böse, stark und besessen vom Ring, Sméagol schwach, unsicher und etwas naiv wie ein Kind. Den Zwiespalt, der daraus resultiert, stellt Tolkien am deutlichsten in einem Dialog zwischen Gollum und seinem früheren Ich Sméagol dar, indem er beiden Persönlichkeiten der Figur einen unterschiedlichen Sprachstil gibt. [Tolkien II 1999, 295-296] Die Naivität Sméagols wird mittels kurzer, teils sogar unterkomplexer Hauptsätze repräsentiert.

1) Sméagol promised.
2) I don’t know. I can’t help it. Master’s got it.
3) Nice hobbit!

In 1) fehlt, um einen komplexen Satz mit Subjekt + Prädikat/Verb + Objekt zu erhalten, das Objekt. Ferner ist promise zwar ein transitives Verb, jedoch fehlt hier mindestens eine NP zur Ergänzung. Es heißt promise (sb) to do sth. Die Aufeinanderfolge sehr kurzer Hauptsätze zeigt 2). Der erste besteht nur aus Subjekt (I), Hilfsverb (don´t) und Verb (know), der zweite aus Subjekt (I), Hilfsverb (can’t), Verb (help) und kurzem Objekt (it), der dritte wieder nur aus Subjekt, Verb und Objekt. 3) ist wieder ein unterkomplexer Satz, in dem gleich zwei Satzglieder fehlen. Es steht nur das Objekt da. Der Satz könnte aber heißen: He is a nice hobbit. Diese Form der Reduktion lässt auf die beschränkte Denkweise Sméagols deuten. Aber auch besonders das Auslassen von Artikeln oder Pronomen sind Stilmittel, die auf seinen naiven Charakter hinweisen.

4) Master’s got it. Sméagol promised to help the master.
5) He took cruel rope off Sméagol’s leg.

Im ersten Satz bei 4) fehlt der bestimmte Artikel the vor master. Ebenso fehlt er in 5) vor cruel rope. Anstelle des Pronomens I erscheint der referierende Ausdruck Sméagol. Das erinnert an die Sprechweise eines Kindes. Viele Wiederholungen sorgen für Redundanz in seinen Sprechakten. Der Leser bekommt ein weiteres Mal vermittelt, dass das frühere Ich Gollums einem Kind ähnelt, das nur über einen sehr geringen Wortschatz verfügt.

6) Sméagol promised.
7) Sméagol promised to help the master.

Die Wiederholungen zeigen auf formeller Ebene, dass es dem Geschöpf an Individualität fehlt.

8) Sméagol: Sméagol promised to help the master.

Gollum: Yes, yes, to help the master

9) Sméagol: But Sméagol said he would be very very good.

Gollum: Very very good, eh, my precious?

10) Sméagol: Not now. Not yet.

Gollum: Not yet, eh? Perhaps not.

Der eine wiederholt sehr oft, was der andere sagt. In 8) ist es to help the master, in 9) very very good, in 10) not yet. Im Grunde genommen haben die beiden Persönlichkeiten keine eigenen Denkweisen und nehmen somit das auf, was jeweils der andere sagt. Die fehlende Individualität drückt sich jedoch auch in einem weiteren Stilmittel aus. Und zwar ist zu beobachten, dass Gollum sich sowohl im Singular als auch im Plural identifiziert.

11) But if we was master, then we could help ourselfs, yes and still keep promises.
12) We hates Bagginses.

In 11) und 12) spricht Gollum von seiner Person als w e. Daraus ist klar zu erkennen, dass es sich um zwei Persönlichkeiten handelt. Das weitaus auffälligere ist jedoch die Konjugation der Verbform, die dem Personalpronomen folgt. Während auf we in 11) normalerweise were, also die Simple-Past-Form der ersten Person Plural von be, folgen müsste, erscheint die Verbform stattdessen in der dritten Person Singular. In 12) passiert mit hate das gleiche. Diese Verknüpfung von Singular und Plural zeigt, dass Gollum zwar eine Figur ist, jedoch zwei Persönlichkeiten in sich vereint. Die Singular-Form findet man immer in der 3. Person. Gollum besitzt demzufolge kein eigentliches Ich. Ich komme noch einmal auf die Wiederholungen zurück. Es hat den Anschein, dass sie sogar Gollums Obzession gegenüber dem Ring verdeutlichen.

13) Yes, yes, my precious
14) What’s the hobbit going to do with it, we wonders, yes we wonders.
15) Still he’s a Baggins, my precious, yes, a Baggins. A Baggins stole it.
16) We wants it, we wants it, we wants it!

Abgesehen von den Wiederholungen verwendet der Autor hier auch mehrere Parallelismen. Ein Beispiel nur:

17) A Baggins stole it, he found it.

Die Parallelismen treten in Form von Verschiebungssymmetrien auf. Die Parallelkonstruktion in 17) besteht aus jeweils einem finiten Verb im Präteritum (stole, found) und einem Personalpronomen der dritten Person Singular (it). Hier erkennt man, dass Gollum stehlen mit finden gleichsetzt. Es sieht den Unterschied nicht mehr aufgrund seiner Besessenheit für den Ring, der ihm seiner Meinung nach gestohlen wurde. Gollums Stärke bildet auch formell einen Gegensatz zur Schwäche Sméagols, denn der Autor verwendet in seinen Sprechakten mehr Ausrufezeichen. In dem Dialog findet man 12 Ausrufezeichen bei Gollum, aber nur 5 bei Sméagol. Außerdem sind Gollums Sprechakte länger als die Sméagols, was auch darauf hin deutet, dass der böse Charakter stärker ist. Das Böse in Gollum kommt vor allem phonologisch durch die auffallend große Anzahl von Zischlauten zum Vorschein.

18) Ye s, ye s, my pre c iou s
19) we promi s ed: to s ave our pre c iou s

Auffallend oft kommen daher die Worte precious und yes vor. Die Zischlaute erinnern an das Züngeln von Schlangen, die auch häufig als böse und vor allem falsch dargestellt werden. Gollum ist also eine sonderbare Kreatur, der man aufgrund seiner zwei Persönlichkeiten nicht gern vertraut.

1.2.3 Elrond

Nun komme ich zu Elrond, einem unsterblichen Elb. Der Leser wird durch seinen Sprachstil immer wieder an sein unvorstellbar hohes Alter erinnert. Tolkien erreicht diesen Effekt besonders durch Elronds archaische Redeweise, das heißt durch den Gebrauch altertümlicher Wörter oder Wortstellungen. In Elronds Rat, der Stelle im Roman, an der sich die Vertreter der Völker Mittelerdes versammeln, um darüber zu entscheiden, was mit dem Ring der Macht geschehen soll, kommt Elronds Sprachstil klar zum Vorschein. [Tolkien I 1999, 314-356] Worte wie hither, behold, nigh, ere, shall, tidings sind aus dem Altenglischen und werden heute nicht mehr im normalen Sprachgebrauch benutzt. Ebenso wenig die Wortstellungen bei Elrond. [Tolkien I 1999, 319]

20) Only to the North did these tidings come, and only to a few.
21) From the ruin of the Gladden fields … three men only ever came back
22) Fruitless did I call the victory of the Last Alliance?

Bei 20) steht das Lokaladverbial to the North vor Subjekt und Verb, was untypisch für das heutige Englisch ist. Auch die Inversion (did these tidings come) lässt auf einen eher altertümlichen Sprachgebrauch schließen. In Satz 21) findet man das Lokaladverbial ebenfalls am Satzanfang. Im zweiten Teil des Satzes ist die Wortstellung wiederum ungewöhnlich. Elrond sagt three men only ever came back anstelle von only three man ever came back. Die Partikel only steht nach den heutigen grammatischen Regeln des Englischen vor dem Subjekt. 22) weist wieder eine Inversion auf (did I call the victory) und stellt die adverbiale Ergänzung (fruitless) an den Anfang. Ich habe schon erwähnt, dass sich in Elronds Rat die Vertreter der Völker treffen. Elrond agiert hier auch als eine Art Vertreter seines Volkes, der Elben. Sein Sprachstil und die daraus resultierenden Eigenschaften können somit allgemein auf die der Elben bezogen werden.

1.2.4 Saruman

Saruman, der Zauberer, steht sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der formellen Ebene in Opposition zu Elrond. Elrond steht für das Alte, Saruman für das Neue, den Fortschritt. Deshalb wählte Tolkien für ihn einen modernen Sprachstil. Es ist wohl der modernste verglichen mit allen anderen Charakteren des Romans. Seine Worte werden in Elronds Rat von Gandalf übermittelt. [Tolkien I 1999, 338-340]

23) It has seldom been heard of that Gandalf the Grey sought for aid, one so cunning and so wise, wandering about the lands, and concerning himself in every business, whether it belongs to him or not.

An diesem Satz ist nicht nur die moderne Redeweise Sarumans zu erkennen (concerning himself in every business), sondern auch seine Redegewandtheit, hervorgehoben durch die Hypotaxe. Der Satz ist also sehr komplex. Er besteht aus sechs Teilsätzen. Ein Hauptsatz (It has seldom been heard of) wird gefolgt von einem Relativsatz (that Gandalf the Grey sought for aid), einer Apposition (one so cunning and so wise), zwei weiteren Relativsätzen (wandering about the lands, and concerning himself in every business) und einem Konjunktionalsatz (whether it belongs to him or not).

24) For you have come, and that was all the purpose of my message.
25) Against it the old allies and policies will not avail us at all.
26) Or why do the Nine ask for the Shire, and what is your business there?

Hier kommt auch wieder die moderne Rede Sarumans zum Vorschein. In 24) ist es das heutige Wort message, das ansonsten im Roman veraltet tidings genannt wird. Die Worte allies und policies in 25) klingen auch eher wie aus einer Rede eines heutigen Politikers. In Satz 26) findet man das Wort business. Ohne Zweifel ist es ein moderner Ausdruck, der ansonsten im Roman als errand bezeichnet wird. Wie schon erwähnt, ist errand ein altenglisches Wort. Die Syntax und Semantik, die der Autor für Saruman wählt, lässt den Leser erkennen, dass Saruman nicht nur eine modern denkende Figur ist, sondern auch ein geschickter Redner, der ein bisschen an die Politiker der heutigen Zeit erinnert.

1.2.5 Die Orks

Elben benutzen beim Sprechen oft altertümliche Worte und Wortstellungen. Ihre Eigenschaften werden, wie schon einmal erwähnt, von Elrond repräsentiert. Sie sind ein altes Volk, unsterblich, erhaben und schön.

Orks dagegen sind grässliche Gestalten, die deshalb auch einen sehr vulgären Sprachstil besitzen. Die Stelle, an der die Hobbits Pippin und Merry von ihnen entführt werden, ist sehr bezeichnend für das Verhalten dieses Volkes [Tolkien II 1999, 47-49].

27) Rest while you can, little fool!
28) Rest while you can!

Wenn Orks reden, benutzen sie viele Imperative wie in 27) und 28). Dies deutet darauf hin, dass Orks nur Befehle austeilen oder erteilt bekommen. Sie sind ein kriegerisches Volk und treten immer wie eine Streitmacht auf. Die daraus resultierende fehlende Individualität wird durch Wiederholungen verstärkt (Rest while you can). Ein einfacher Satzbau bezeugt den fehlenden Intellekt.

29) That can’t be helped. But why not kill them quick, kill them now? They are a cursed nuisance, and we’re in a hurry. Evening’s coming on, and we ought to get a move on.
30) I am Uglúk. I command.

29) und 30) bestehen aus kurzen Hauptsätzen. Die Satzstruktur ist unkomplex. Man kann hier also vorwiegend von Parataxe sprechen. Daraus kann entnommen werden, dass Orks nicht besonders komplexe Denker sind. Als „Soldaten“ müssen sie das auch nicht sein. Sie brauchen nur ihre Befehle auszuführen. Auffällig sind die vielen Schimpfwörter in ihrer Rede.

31) I’d make you squeak, you miserable rat.
32) I don’t trust you little swine. You’ve no guts outside your own sties.

An 31) und 32) wird damit die vulgäre Art und Weise der Orks deutlich. Es kommen auch viele Futurformen vor, die als eine Art Drohungen ausgesprochen werden.

33) We’ll find a use for your legs before long.
34) Lie quiet, or I’ll tickle you with this.

Diese Futurformen lassen wiederum auf den Fortschritt der Zukunft schließen, für den auch Saruman steht und der im Roman allgemein mit dem Bösen gleichgesetzt wird. Dass Orks hauptsächlich töten, fällt dem Leser auch auf der formellen Ebene auf. Nicht nur an der betrachteten Stelle des Romans kommt oft das Wort kill vor. Es wird sogar an einigen Stellen wiederholt.

35) But why not kill them quick, kill them now?

Aus dieser Wiederholung wie auch aus anderen liest man eine gewisse Besessenheit für das Töten. Hier steckt auch ein Parallelismus, eine Verschiebungssymmetrie drin, bestehend aus einem infiniten Verb (kill), einem Akkusativobjekt in Form eines Personalpronomens der dritten Person Plural (them) und jeweils einer adverbialen Ergänzung (ein Modaladverbial: quick, und ein temporales Adverbial: now). Im Sprachstil der Orks sind noch weitere Parallelismen zu finden, die wie die Wiederholungen wirken.

1.2.6 Die Zwerge

Zu den Zwergen ist zu sagen, dass sie zwar wie die Elben eine altertümliche Sprache sprechen, das auf ein altes Volk schließen lässt, jedoch sind sie weniger erhaben und zeichnen sich nicht unbedingt durch Ästhetik aus. Deshalb wählte der Autor einen weniger poetischen Stil. Ein markanter Vertreter der Zwerge ist Glóin, der in Elronds Rat spricht [Tolkien I 1999, 315].

36) Whence it came we did not at first perceive.
37) Words began to be whispered in secret: it was said that …
38) Some spoke of Moria: the mighty works of our fathers

Die Sätze sind oft abgebrochen und unterbrochen durch Doppelpunkte, wodurch auch immer wieder zum Vorschein kommt, dass Zwerge klein sind. Es heißt ja auch manchmal „abgebrochener Zwerg“. Des weiteren lässt es vermuten, dass Zwerge im Allgemeinen wortkarg sind. Das altertümliche in der Sprache kommt in 36) mit dem heute kaum noch gebräuchlichen Wort whence zum Vorschein. Auch weist der Sprachstil der Zwerge wie bei den Elben hier und da eine ungewöhnliche Wortstellung auf.

39) Too deep we delved there, and woke the nameless fear.
40) Long have its vast mansions lain empty since the children of Durin fled.

In 39) steht die adverbiale Ergänzung (too deep) am Satzanfang vor Subjekt und Verb. Normalerweise kommt es nach dem Verb, das es ergänzt. 40) weist eine Inversion (have its vast mansions lain) und eine ungewöhnliche Position des Modaladverbials (long) im Vorfeld auf. Hier also noch einmal das Indiz dafür, dass die Zwerge ein altes Volk sind.

1.2.7 Die Ents

Ents sind das älteste Volk in Mittelerde. Es sind Bäume. Außerdem sind sie sehr langsam. Bäume wachsen sehr langsam und werden im Allgemeinen sehr alt. Diese Langsamkeit lässt sich jedoch sehr gut an der sprachlichen Form erkennen. An einer Stelle im Roman treffen die Hobbits Merry und Pippin auf dieses Volk. Hier kommt das Langsame am deutlichsten zum Vorschein [Tolkien II 1999, 71-75].

41) That’s good! That’s uncommonly kind of you.
42) But if I had seen you, before I heard your voices – I liked them: nice little voices; they reminded me of something I cannot remember – if I had seen you before I heard you …
43) Very odd you are, indeed. Root and twig, very odd.

Die Wiederholung von very odd in 43) oder voices und if I had seen you before I heard in 42) zieht den Sprechakt des Ents unheimlich in die Länge. Das gleiche gilt für die Verschiebungssymmetrie in 41), bestehend aus einem Demonstrativum (that) plus der verkürzten Form des finiten Verbs in der dritten Person Singular (’s) und jeweils einem Adjektiv (good) oder einem Adverb (uncommonly) plus Adjektiv (kind) plus Präposition (of) plus Personalpronomen der zweiten Person Singular (you). Obwohl der letzte Teil im zweiten Satz bei 41) länger ist als beim ersten Satz, kann man hier trotzdem von einem Parallelismus sprechen. Good und uncommonly kind of you werden somit gleichgesetzt. Gleichzeitig herrscht hier wiederum der Eindruck des Langziehens. Das gleiche fällt dem Leser in 42) auf, wo der Satz durch eine relativ lange Parenthese (I liked them: nice little voices; they reminded me of something I cannot remember) unterbrochen wird und danach der Satzanfang aufgrund der Länge des Einschubs noch einmal aufgegriffen wird. Diese Bedächtigkeit der Ents wird auch noch an einem weiteren Merkmal deutlich.

44) Hrum, now, well, I am an Ent. Or that’s what they call me. Yes, Ent is the word. The Ent, I am, you might say, in your manner of speaking.

Treebeard, so heißt dieser Ent, hält sich sehr lange an der Erklärung auf, was er ist. Zuerst der lange Einstieg mit den Partikeln hrum, now, well, dann könnte man meinen, dass die Aussage nach I am an Ent beendet ist. Es geht jedoch noch weiter, indem das Wort Ent noch zweimal wiederholt wird, man aber im Grunde genommen nichts Neues erfährt. Überhaupt erscheinen Partikeln wie hrum, hoom, hoo oder hm sehr oft. Sie dienen nur der Verlängerung des Satzes und somit dem Effekt der Langsamkeit dieses Volkes.

1.2.8 Die Hobbits

Hobbits sind schlichte kleine Figuren. Ihre Schlichtheit drückt sich in der Einfachheit ihres Sprachstils aus. Ich bleibe in dem Kapitel, als Merry und Pippin bei den Ents sind [Tolkien II 1999, 72-75].

45) Who are you? And what are you?
46) An Ent? What’s that?

Hier handelt es sich um sehr kurze aufeinanderfolgende Fragesätze. Der erste Satz in 46) ist sogar reduziert. Er besteht nur aus einem unbestimmten Artikel (an) und dem dazugehörigen Nomen (Ent). Die Frage könnte heißen: You are an Ent? Es fehlt also das Subjekt und das Verb. Kurze, unkomplizierte Hauptsätze und Umgangssprache sind das Merkmal der Hobbits.

47) Yet we’ve been about for quite a long time. We’re hobbits.
48) Put us in amongst the four, next to Man (the Big People) and you’ve got it.

Der erste Satz in 47) ist zum Beispiel sehr umgangssprachlich. Es hätte auch heißen können: Yet we have been existing in Middleearth for a long time. Das Umgangssprachliche kommt auch durch die verkürzten Formen der Verben have oder are (’ve, ’re) zum Ausdruck. Auch der letzte Teilsatz bei 48) ist sehr informell (and you’ve got it). Nebenbei bemerkt scheinen die Hobbits wirklich sehr klein zu sein, denn es wird in 48) extra betont, dass die Menschen groß sind. Big People ist groß geschrieben. Die einfache Denkweise der Hobbits drückt sich aber auch durch den Gebrauch einfacher Verben aus. Meistens kommen Formen von be vor.

An einer anderen Stelle im Roman hält der Hobbit Bilbo an seinem Geburtstag eine Abschiedsrede, an der der markante Sprachstil der Hobbits auch deutlich zu erkennen ist. [Tolkien I 1999, 37-40]

49) Bilbo left his place and went and stood on a chair under the illuminated tree. The light of the lanterns fell on his beaming face; the golden buttons shone on his embroidered silk waistcoat. They could all see him standing, waving one hand in the air, the other was in his trouser-pocket.
50) Deafening cheers. Cries of Yes (and No). Noises of trumpets and horns, pipes and flutes, and other musical instruments.

In den Beispielen 49) und 50) ist ebenfalls wieder eine Parataxe zu erkennen, kurze Hauptsätze, die keine Komplexität aufweisen. In 50) sind die Sätze sogar unterkomplex, das heißt ihnen fehlen ein oder mehrere Satzglieder. Der erste Satz besteht zum Beispiel nur aus dem Partizip deafening und einem Nomen im Plural (cheers). Es fehlt hier mindestens das Verb. Das gleiche gilt für die weiteren Sätze bei 50). Da Hobbits manchmal aber auch etwas seltsam sind, treten ab und zu auch seltsame Wortbildungen auf.

51) Today is my one hundred and eleventh birthday: I am eleventy-one today!

Eleventy-one ist morphologisch gesehen eine Abweichung von der korrekten Form. Es gibt keine Zahl, die eleventy heißt. Der Autor hat hier, um die Merkwürdigkeit der Hobbits hervorzuheben, einen Neologismus geschaffen. Ein weiteres Beispiel dafür findet sich schon an einer früheren Stelle des Romans, als die Hobbits vorgestellt werden [Tolkien I 1999, 28].

52) At that time Frodo was still in his tweens, as the hobbits called the irresponsable twenties between childhood and coming of age at thirty-three.

Korrekt würde es teens heißen. Da Hobbits jedoch erst mit 33 erwachsen sind, hat der Autor hier teens und twenties zusammengezogen und das Wort tweens neu gebildet. Noch einmal zurück zu Bilbos Rede. An einer Stelle geht ebenfalls deutlich hervor, dass Hobbits zwar nicht sehr komplex denken können, Bilbo jedoch schon hin und wieder, da er weit bereist, ziemlich alt ist und dadurch möglicherweise auch an Denkvermögen dazu gewonnen hat [Tolkien I 1999, 39].

53) I don’t know half of you half as well as I should like; and I like less than half of you half as well as you deserve.

Es handelt sich hier nicht unbedingt um eine komplexe Satzstruktur. Vielmehr verwirrt der komplexe Parallelismus, der hier als eine Art Verschiebungssymmetrie erkennbar ist. Da sie etwas kompliziert ist, werde ich hier eine übersichtlichere Darstellung einbringen:

[...]

Ende der Leseprobe aus 61 Seiten

Details

Titel
Literarische Analyse und Übersetzungsvergleich - J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Anglistik)
Veranstaltung
Grammatik und Poetik: Linguistische Aspekte beim Übersetzen literarischer Texte
Note
2,3 (gut)
Autor
Jahr
2003
Seiten
61
Katalognummer
V34515
ISBN (eBook)
9783638347143
ISBN (Buch)
9783656523499
Dateigröße
1267 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
26 Seiten Hausarbeit plus Anhang
Schlagworte
Literarische, Analyse, Tolkien, Lord, Rings, Grammatik, Poetik, Linguistische, Aspekte, Texte
Arbeit zitieren
Diana Bading (Autor:in), 2003, Literarische Analyse und Übersetzungsvergleich - J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34515

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Titel: Literarische Analyse und Übersetzungsvergleich - J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings



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