Eine Analyse von Guillaume Oyônô Mbias Erfolgsstück "Trois prétendants... un mari". Frauenemanzipation als Bedrohung von Traditionen?

Afrikanische Frauen erleben die Emanzipation


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2014

20 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Gliederung

Einleitung 1.Relevanz des Themas

2. Zielsetzung, Fragestellungen und theoretische Grundlage

3. Zum Autor und zum Erscheinungskontext des Werkes

4. Hauptteil
4.1 Abessôlo mit stur traditionsorientierter Mentalität
4.2 Juliettes Konfrontation mit Tradition: Die polemische Frage des Brautpreises und des Heiratsantrags
4.3 Heirat und Zwangsheirat als Mittel zum Zweck?
4.3 Juliettes Schulkenntnisse als Gewinn: Die Frage der Meinungsfreiheit und der Selbstverantwortung
4.4 Männerbeteiligung an Frauenentfaltung im afrikanischen Kontext: Dekonstruktion der Männlichkeitsdiskurse aus interkultureller Perspektive
4.5 Ästhetik des Widerstands als Folge der Fremderfahrung

5.Fazit

Bibliographie

Schlüsselbegriffe: Zwangsehe, Emanzipation, Mädchen- und Frauenbildung, Freiheit, Selbstverantwortung

Einleitung 1.Relevanz des Themas

Quoi? Je suis donc à vendre? Pourquoi faut-il que vous essayiez de me donner au plus offrant ? Est-ce qu´on ne peut me consulter pour un mariage qui me concerne ?[1]

So klingen im Eingangszitat die Worte der Protagonistin Juliette in Guillaume Oyono Mbias Erfolgsstück Trois prétendants… un mari als Ablehnung eines Heiratsantrags, den ihre Eltern ohne ihr Wissen verhandelt haben. Juliettes Äußerungen sind auch als Kritik an einer patriarchalischen Gesellschaft aufzufassen, deren Normen die Frauen, wie die nigerianische Schriftstellerin Buchi Emecheta einen ihrer Romane ausdrucksstark betitelte, als „Second-Class Citizen“[2] herabstufen. Die Verdinglichung des weiblichen Geschlechts, wie Juliettes Fragen darstellen, zeigt nicht nur ihre Irritation, sondern die Analyse einer einzelnen Frage soll die Intelligenz einer Stellungnahme, das Selbstbewusstsein sowie die Selbstbehauptung als Antwort Juliettes auf einen seriösen Angriff auf die Tradition gesehen werden. Diese Tradition verurteilt die Frauen in Mvoutessi zum Schweigen und zur Unterwerfung. Im Roman Double Yoke[3] präsentiert Emecheta die Hauptfigur Nko als eine brave Frau, die sich aber dem Dilemma ausgesetzt sieht, entweder zu heiraten, um sich traditionsmäßig als eine gute Frau zu zeigen, oder sich als eine moderne Frau zu erweisen, indem sie dem Bildungsweg folgt, ob sie imstande sei, sich mit der Tradition und zugleich mit der Moderne abzufinden. Was eigentlich für eine afrikanische Frau der beste Weg sei. Nko befindet sich in dem Double Yoke der Tradition und der Moderne. Während in gesellschaftlicher Hinsicht und in der belletristischen Literatur feministische Tendenzen mit solchen konkurrierten, die Frauen marginalisierten, sogar von deren biologischer und psychischer Unterlegenheit überzeugt waren (wie Simone de Beauvoir[4] pointiert herausgearbeitet hat) und die männliche Überlegenheit betonte, waren neue Paradigmen für ein klischeefrei besseres Verständnis des Geschlechts sowohl aus biologischer als auch kultureller Sicht günstig. Diese Paradigmen fördern nicht nur ein Gender Equity und die Frauenemanzipation, sondern rücken auch Mann und Frau in eine Dimension, in der ihre Existenz als Komplementarität begriffen wird. Allerdings ist die Frage der Emanzipation, die in europäischen und amerikanischen Gesellschaften ihre historische Genese hatte, durch die Globalisierungsprozesse der Sozialisations- und Bildungsmöglichkeiten in afrikanische Traditionen eingebrochen, die sich bisher zu konservieren schienen. Emanzipation, die heutzutage in vielen afrikanischen Ländern gefördert wird, lässt sich in der Mädchen- und der Frauenbildung konkretisieren. Es ist unangefochten, dass in heutigen afrikanischen Ländern ein verstärktes Interesse an der Frauenemanzipation gezeigt wird. Hingegen ist die Zwangsehe emanzipationsfeindlich. Die Gegenwartsrelevanz meines Themas lässt sich damit begründen, dass heutzutage trotz der zunehmenden Emanzipationsbewegung die Zwangsehe noch in manchen afrikanischen Ländern praktiziert wird. Ferner zeigt sich, dass Mädchen unter den noch zahlreichen Kindern, die keinen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten haben, und Frauen unter Analphabeten zahlenmäßig überwiegen.[5] Der togoische Erziehungswissenschaftler Akakpo-Numado hat in der Einleitung zu seiner Dissertation auf solche Probleme hingewiesen, indem er einen Ansatz zur Klärung und Lösung des Fehlens der Mädchen- und Frauenbildung vorschlägt. Er schreibt dazu wie folgt:

Zur Klärung und Lösung dieser Situation gehört eine gute Kenntnis der Entstehungszusammenhänge der formalen bzw. der europäisch geprägten Frauen- und Mädchenbildung in Afrika mit impliziten Hintergrundideologien sowie den Auswirkungen auf die afrikanische Gesellschaft und deren Strukturen. (Akakpo-Numado 2007, S. 15)

Die Gestaltung heutiger Bildungssysteme soll die Afrikanerinnen nicht ihrer Kultur entfremden, sondern ihnen ermöglichen, einen kritischen Blick auf das Eigene und auch auf das Fremde zu werfen. Die Debatten um nachhaltige Entwicklung im afrikanischen Kontext beziehen neuerdings eine hohe Alphabetisierungsrate mit ein. Eine Ursache des Analphabetentums oder des Mangels an Mädchen- und Frauenbildung ist die Zwangsehe. Eine Studie des Forschungszentrums der UNICEF namens Innocenti zeigt deutlich, dass in vielen afrikanischen Ländern auch noch heute Mädchen aus verschiedenen Gründen, vor allem aus finanziellen Gründen, in ihrer Unmündigkeit verheiratet werden. So existieren beispielsweise in Niger 77%, in Mali 70% der Frauen zwischen 25 und 29 Jahren, die vor dem Alter von 18 Jahren verheiratet worden sind.[6] Der Fonds des Nations Unies pour la Population (FNUAP) hat darauf hingewiesen, dass die Frühehe in Form einer Zwangsehe in vielen Ländern die Mädchen- und Frauenbildung hemmen würde.[7] Die Bedeutung dieser Informationen für meine Arbeit zeigt sich darin, dass die Protagonistin Juliette in Mbias Stück mit ähnlichen Problemen konfrontiert ist, weil ihre Eltern aus materiellen und finanziellen Gründen sie mit einem Polygamisten verheiraten wollen. Aber Juliette, als Schülerin, erweist sich durch ein mehr oder weniger avanciertes Niveau im Studium als eine emanzipierte Frau, die nicht unter dem Druck einer in der Praxis der Tradition verwurzelten Familie resigniert.

2. Zielsetzung, Fragestellungen und theoretische Grundlage

Mein Ziel ist zu analysieren, wie Mbia das Problem der Zwangsehe ästhetisch verarbeitet, eine weibliche emanzipierte Figur konstruiert, die mit Mut und Intelligenz traditionelle patriarchalische Normen außer Kraft setzt, die Zwangsehe bekämpft und zu Freiheit und Selbstverantwortung gelangt. Wirft man einen Blick auf die Haltung von Mbias Protagonistin im Vergleich zu den unmündigen verheirateten Mädchen im realen Leben, kommt man zu folgender Feststellung: Mbias weibliche Figur Juliette hat das Recht auf ihren Körper, während die unmündigen Mädchen gegen ihren Willen verheiratet wurden. Juliette hat ihren Ehegatten gewählt und fühlt sich von ihm geschützt (selbst wenn dies geschieht, um der Zwangsehe zu entkommen), aber verheiratete Mädchen können ohne Schutz bleiben und sexuelle Gewalt erleiden. Ferner besteht die Gefahr, dass sie in ein polygames System geraten, in dem die gezeugten Kinder wegen des Mangels an Unterstützung ein armseliges Leben führen müssen. Dies kann folglich eine psychologische Tötung und Traumata verursachen. Die Arbeit versucht, folgende Fragen anzuschneiden:

- Inwieweit ist die Zwangsehe noch ein aktuelles Problem?
- Inwiefern kann die Frauenemanzipation ohne Entfremdung ihrer Person in eigenen Traditionen zu einer besseren afrikanischen Gesellschaft führen?

Als Basis meiner Überlegungen gilt das Theoriedesign Cultural Studies. Das Interesse dieser Theorieauswahl für meine Analyse lässt sich dadurch erklären, dass sie eine afrikanische konservative Tradition vor dem Hintergrund der alltäglichen Kulturpraxis ohne Selbstkritik darstellt, die aber durch die weibliche Erfahrung einer Schulbildung durch Missionare in den Weg des Umbruchs getrieben wird.

3. Zum Autor und zum Erscheinungskontext des Werkes

Da Mbias Stück bereits seit seiner Schulzeit entstanden ist, heutzutage in literarischen Interpretationen zum Thema Zwangs- und Frühehe, Emanzipation, Frauen und Meinungsfreiheit kaum noch verarbeitet wird, ist es von Interesse, Informationen zum Autor und dem Erscheinungskontext des Werkes zu geben. Zunächst ist zu präzisieren, dass Mbias Stück, obwohl es zum ersten Mal 1964 erschienen ist, noch von brennender Aktualität ist. Dieses Stück ist ein Erfolgsstück, weil es zwischen 1964 und1982 fünfzehnmal wiederaufgelegt wurde und nicht nur in Afrika, sondern auch mehrmals in England und Frankreich aufgeführt wurde. Jede Aufführung war ein großer Theatererfolg, und das Stück gewann ein enormes Publikumsinteresse, sodass sich Mbia als Vorkämpfer bzw. Verfechter für eine afrikanische Frauenemanzipation galt. Der junge Dramaturg ist der Sohn eines Bauern, in Mvoutessi in der Nähe von Sangmelima in Kamerun 1939 geboren, wo damals ein System des Brautpreises junge Leute anregte, hart zu arbeiten und Geld zu verdienen. Mbia hat das College in Libamba besucht, später aber den Grad eines Doktors der Philosophie an der Londoner Universität erhalten und galt als Dozent an der Universität Yaoundé.

4. Hauptteil

4.1 Abessôlo mit stur traditionsorientierter Mentalität

Gleich zu Beginn des ersten Aufzugs ist die Empörung der Großeltern von Juliette namens Abessôlô und Bella über die Haltung der Frauen der jungen und jüngeren Generationen zu bemerken, weil sie Tabus brechen würden. Gewaltgeprägte Männlichkeitsdiskurse kennzeichnen Abessôlô, der die Lebenssituation seiner Familie beurteilt. Ihm zufolge sollen die junge und die jüngere Generation den Regeln der Tradition folgen. Er äußert sich seinem Sohn Ondua gegenüber folgenderweise:

De mon Temps, quand j´étais encore Abessôlô, […] Mais vous, vous permettez à vos femmes de porter des vêtements ; vous leur permettez de manger toutes sortes d´animaux tabous! Vous allez même jusqu´à les consulter sur ceci ou cela! Et alors qu´est-ce que vous voulez d´autre? Je vous le répète, battez vos femmes! Oui, battez-les! Même chose pour vos filles. (Mbia 1964, 14).

Abessôlo übersieht dabei, dass auch Traditionen sich wandeln und die Entwicklung eine menschliche und eine spirituelle Dimension gewinnt. Er übersieht auch, dass Gewalt an Frauen nicht als Männlichkeitsbehauptung betrachtet werden sollte, da sie die menschliche Würde antastet. Gewalt in Ehegemeinschaften wird derzeit in fast allen Kulturen vehement kritisiert und bekämpft. Und sogar in der politischen Agenda vieler Regierungen wird der Frage der Gewalttaten an Frauen große Aufmerksamkeit geschenkt, dass sie als Verstoß gegen das Gesetz gesehen werden. Abessôlô ist also keinem guten Beispiel zu folgen, doch seine Äußerungen fordern uns auf, neue Gewaltformen in unseren heutigen Gesellschaften zu überdenken und zu bekämpfen. Eine Absage an den Geist der Gewalttätigkeit und eine Förderung der Gewaltlosigkeit, dazu werden wir eingeladen. Eine neue Form von solchen Gewaltproblemen ist die heikle Frage der Zwangsehe. Die Reaktion von Bella auf die Äußerung ihres Mannes Abessôlo ist auffällig: Bella bestätigt die Ideen ihres Mannes. Sie scheint damit die patriarchalischen Normen total internalisiert zu haben: „Qu´est-ce qu´il y a encore dans ce monde d´aujourd´hui, mon pauvre mari? Je vois les femmes manger même des vipères, des sangliers, des…“ (S. 15) Für sie ist gar nicht zur Kenntnis gelangt, dass die kulturelle Identität im Wandel ist. Seydou Badian hat schön formuliert, dass alles sich verändere und wir unsere Zeit leben müssten.

4.2 Juliettes Konfrontation mit Tradition: Die polemische Frage des Brautpreises und des Heiratsantrags

Juliette ist eine Frau aus Mvoutessi und besucht das College in Libamba. Weil sich die Ferien nähern und sie ihr Abschlussexamen ausgezeichnet bestanden hat, kehrt sie in die Heimat zurück, um ihrer Familie die schöne Neuigkeit ihres glänzenden Erfolgs zu verkünden. Zu dieser Zeit hat in Mvoutessi ein junger Bauer namens Ndi einen Heiratsantrag eingereicht. Dabei hat er einen Brautpreis in Höhe von einhundert tausend C.F.A hinterlegt und wartet grundoptimistisch auf Juliettes Hand. An demselben Abend, an dem Juliette in Mvoutessi ankommt, soll Ndi den Vater Juliettes namens Atangana wiedertreffen. Inzwischen kommt der Regierungsbeamte Mbia[8] aus Sangmelima Atangana besuchen. Er will auch um die Hand Juliettes anhalten. Der Großvater von Juliette namens Abessôlô findet es nicht angebracht, dass Antagana die Meinung seiner Tochter erfragt, bevor er den von Ndi mitgebrachten Brautpreis bekommt: „Si je n´avais été là, l´autre jour, tu aurais refusé de prendre les cent mille francs que nous avait versés Ndi, le jeune homme qui veut épouser ma petite-fille Juliette. D´après toi, il fallait attendre pour consulter Juliette elle-même avant d´accepter la dot. Consulter une femme à propos de son mariage!“(Ebd.) Als schließlich Juliette in Mvoutessi ankommt und erfährt, dass ihre Familie ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung eine Eheschließung mit einem Mann verhandelt, den sie gar nicht kennt, ist sie überrascht. Darum protestiert sie, dass sie nicht zu verkaufen sei, ihre Familie mindestens ihre Meinung einholen solle, da es um ihre Angelegenheiten gehe. Ihre Familienmitglieder sollten sie dem Regierungsbeamten Mbia nicht als austauschbares Objekt verschenken, weil Letzterer viel Geld hinterlegt und viele Getränke mitgebracht habe. Juliettes Reaktionen sind die Infragestellung einer Perspektive, die in den literarischen Theorienbildungen Frauen als Objekt bezeichnen. Es geht um den sogenannten Phallozentrismus, der allein dem Mann den Status eines Subjektes zuordnet, während der Frau lediglich der Status eines Objektes bleibt. Mit dem Begriff Phallozentrismus, so denken Köppe et. al., hat Derrida die Position Jacques Lacans kritisiert, vor allem den zentralen Stellenwert, den der Phallus als » priviligierte[r] Signifikant« in Lacans Modell einnimmt. Lacan ist der Auffassung, dass der Phallus (in einem semiotischen Sinne als kulturelles Konstrukt zu verstehen) die Funktion des primären kulturellen Signifikanten innehabe und damit ein Zentrum bilde, auf das die gesamte symbolische Ordnung bezogen sei.[9]

4.3 Heirat und Zwangsheirat als Mittel zum Zweck?

Wenn also bei Einzelanalysen der Mentalitäten sowie Attitüden der Familienmitglieder von Juliette sich herausstellt, dass Juliette auf Geheiß ihrer Eltern und Großeltern den aus Sangmelima kommenden Regierungsbeamten heiraten muss, so lässt sich feststellen, dass die Eltern und die Großeltern durch eine solche Zwangsehe von der schön gebildeten Frau profitieren wollen. In diesem Sinne dient Juliette als Mittel zum Zweck. Konkrete Anhaltspunkte lassen sich folgendermaßen herauslesen: Wenn Juliette den Heiratsantrag des Polygamisten Mbia annimmt und ihn heiratet, könnte sich Atangana ohne große Schwierigkeiten Gewehre leisten. Der Grund dafür ist, dass verwaltungsmäßige Formalitäten zu kompliziert geworden sind, vor allem wenn man keine Verbindungen in der Verwaltung hat. Jedes Familienmitglied könnte dank dieser Heirat Reichtum erwerben und ein schönes Bild von sich in und jenseits von Mvoutessi abgeben. Juliettes Bruder Oyono könnte schließlich den Brautpreis finden und eine Frau heiraten. Ferner heißt es, dass Juliette selbst nicht mehr zu Fuß laufen werde, sie werde ein Auto zur Verfügung haben. Die ganze Familie werde sich dank Mbia von allen Problemen befreien. Atangana habe viel Geld für ihr Studium ausgegeben und die Eheschließung würde als Zeichen von Dankbarkeit ihm gegenüber gelten. Es ist deutlich, dass Abessôlô und Antagana eine Art instrumentelle Vernunft entwickeln, die sich in einem materialistischen Denken und in der Gier nach Wertsachen konkretisiert. Juliette tritt solchen Denkweisen entgegen und wirft ihrem Vater seine Geldgierigkeit vor. Sie äußert sich folgenderweise: „Vous comptiez sur moi pour vous enrichir? Est – ce que je suis une boutique, ou bien un fonds quelconque ?“ (S. 21)

Bereits nach Juliettes Ankunft in Mvoutessi bekommt sie von ihrer Cousine Matalina die Frage gestellt, ob ihr Mann ihr erlauben würde, das Studium fortzusetzen. Diese Frage vermittelt den Eindruck, dass Juliette schon für eine verheiratete Frau gehalten wird. Eine solche Frage hat die gebildete Frau gewundert und irritiert. Ihre kategorische Ablehnung des Heiratsantrags von Mbia empört Abessôlô, doch dieser ist darauf stolz, dass er wohl Recht hatte, als er behauptete, Juliette dürfe das College nicht besuchen, denn die Schulen verdürben die Welt:

C´est la preuve de ce que je vous dis toujours: n´envoyez jamais vos filles au collège! Regardez Matalina qui n´a jamais été au collège: n´est-ce pas qu´elle parle toujours comme une fille sage et obéissante? Alors que, si vous ne prenez garde Juliette vas épouser un petit homme incapable de nous payer même cent mille francs pour garantir le mariage! E é é ! Le monde est gâté! Les écoles ont tout gaté! Tout! (S. 22).

Aus den Äußerungen Abessôlôs ist zu entnehmen, dass gebildete Frauen traditionsmäßig ungehorsam sind und es ihnen an Weisheit mangelt. Matalina gilt laut Abessôlô als ein Modell, dem Juliette folgen soll, weil sie mit einem Polygamisten verheiratet wurde, ohne Widerstand zu leisten. Abessôlô aber betont seinen Standpunkt mit einem klagenden Ton. Er rückt seinen Standpunkt in die Dimension einer Prophezeiung, die sich realisieren wird: „Je l´avais pourtant predit, Atangana! Cette école de Dibamba où tu avais envoyé ta fille, je ne l´avais jamais voulue! Tu vois ce qui arrive maintenant? Eé é, mes pagnes, mes kolas! Ces missionnaires sont venus nous gâter le pays! Ils auront enseigné la désobéissance à Juliette!“ (S. 47f.) Die Argumente Abessôlôs in Bezug auf unser Problemfeld sind nicht nur für eine Zwangsehe günstig, sondern auch für unsere Gegenargumente als Absage an die Zwangsehe und als Förderung der Frauenbildung und -emanzipation, was als anvisiertes Ziel der vorliegenden Arbeit gilt. Zunächst kann die Schulbildung bei Missionaren laut Abessôlô für eine Art kulturelle Invasion Juliettes gehalten werden, die eine radikale Transformation ihres Wesens erfahren hat. Juliette gehört nicht mehr zu den Analphabeten; sie ist nicht mehr nur ein Produkt der Tradition von Mvoutessi. Sie ist ein Mädchen mit aufgeklärtem Geist, das kritisch denkt und sich durchsetzen kann. Neue fremde kulturelle Entitäten sind in ihre Hintergrundtradition eingeflossen und erweitern ihre Wahrnehmungskapazität. Die Fremderfahrung ist für Juliette eine Art Bereicherung. Damit entwickelt sie eine neue Identität. Sie unterscheidet sich von Matalina und von den anderen Frauen in Mvoutessi, die in den starren Denkschemata der Tradition gefesselt sind. Juliette richtet sich gegen die Zwangsehe, fühlt sich aber ihrer eigenen Tradition nicht entfremdet. In solchen entscheidenden Punkten ist aber, wie einleitend gesagt, eine Kulturtheorie angebracht und nützlich, indem Juliette in der Schule eine Fremderfahrung macht und somit eine kulturelle Hybridität erfährt.

Atangana zufolge ist Juliettes Ablehnung des Heiratsantrages ein Hindernis für sein Eindringen in ein geträumtes Eldorado: „Tu veux que je refuse tant de richesses tout simplement parce que… tu ne veux pas l´épouser?“ (Ebd.) Eine moralische Größe muss aber die Frage reflektieren und zu antizipieren versuchen, ob die gebildete Juliette mit Mbia, umgeben von Frauen, glücklich sein könnte, ob eine glänzende und glückliche Zukunft für sie gesichert erscheint, wenn man weiß, dass sie in einer polygamen Ehe möglicherweise nur als Ergänzung gelten kann. Atangana lässt seine Tochter wissen, dass ihre Identität einer gebildeten Frau ein Vorteil und sogar ein Privileg sei, denn die anderen Frauen von Mbia seien Analphabeten. Sie aber könne sich problemlos durchsetzen.

[...]


[1] Guillaume Oyono Mbia: Trois prétendants… un mari, Yaoundé: Edition Clé 1964, S. 20.

[2] Vgl. Buchi Emecheta: Second-Class Citizen, Glasgow: William Collins Sons & Co. Ltd 1974.

[3] Vgl. dies.: Double Yoke, London.Nigeria: Ogwugwu Afor Co. Ltd. 1982.

[4] Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Reinbek 1951.

[5] Vgl. Sena Yawo Akakpo-Numado: Mädchen und Frauenbildung in den deutschen Afrika-Kolonien (1884-1914), historisch vergleichende Sozialisations- und Bildungsforschung 8, Frankfurt am Main, London: IKO Verlag 2007.

[6] Vgl. Digest Innocenti, n. 7,- Mars 2011 unter http://www.unicef-irc.org/publications/pdf/digest7f.pdf. Zugriff am 27. 09.2014.

[7] Vgl. FNUAP (Fonds des Nations Unies pour la population) unter http://blog.slateafrique.com/femmes-afrique/2012/10/15/le-niger-champion-des-mariages-precoces/ Zugriff am 26.09.2014.

[8] Mbia hier ist eine Figur im Stück und unterscheidet sich von Mbia als Dramaturgen. Deshalb lasse ich ihn in der Analyse oft unter seinem Berufsnamen als Beamten oder Regierungsbeamten erscheinen.

[9] Vgl. Tilmann Köppe/Simone Winko : Neuere Literaturtheorien, Stuttgart . Weimar: J.B. Metzler Verlag 2008, S. 203f.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Eine Analyse von Guillaume Oyônô Mbias Erfolgsstück "Trois prétendants... un mari". Frauenemanzipation als Bedrohung von Traditionen?
Untertitel
Afrikanische Frauen erleben die Emanzipation
Veranstaltung
Gender studies
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2014
Seiten
20
Katalognummer
V344677
ISBN (eBook)
9783668345843
ISBN (Buch)
9783668345850
Dateigröße
560 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr interessanter Aufsatz, der dem Thema "Frauenentfaltung" eine neue Dimension gibt.
Schlagworte
Frauenentfaltung, Moderne, Tradition, Widerstand
Arbeit zitieren
Kokou Alosse (Autor:in), 2014, Eine Analyse von Guillaume Oyônô Mbias Erfolgsstück "Trois prétendants... un mari". Frauenemanzipation als Bedrohung von Traditionen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/344677

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