Sind Lehrer über das Thema „sexueller Missbrauch an Kindern“ wirklich informiert?

Planung und Durchführung einer Befragung von Lehrkräften


Forschungsarbeit, 2016

92 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Planung und Durchführung einer Befragung der Lehrkräfte

3 Stichprobe

4 Rezeption und Wissen zum Thema sexueller Missbrauch
4.1 Von sexuellem Missbrauch an Schülern gehört?
4.2 Geschlechtszugehörigkeit betroffener Kinder
4.3 Alter zu Beginn des Missbrauchs
4.4 Wer sind die Täter
4.5 Missbrauchshandlungen
4.6 Missbrauchshandlungen unter Kindern
4.7 Verhaltensindikatoren für sexuellen Missbrauch
4.8 Maßnahmen, die von Lehrkräften eingeleitet werden
4.9 Hilferessourcen für Lehrkräfte
4.10 Bereitschaft, dem Kind zu glauben
4.11 Unterrichtlicher Umgang mit einem betroffenen Kind
4.12 Unterrichtlich wahrnehmbare Indikatoren
4.13 Missbrauch angesprochen?
4.14 Erfahrung mit präventivem Unterricht
4.15 Ansprechpartner im Kollegium?
4.16 Kenntnis von Präventionsprogrammen
4.17 Einschätzung der Missbrauchshäufigkeit
4.18 Wer begeht überhaupt sexuellen Missbrauch?
4.19 Anteil missbrauchter Mädchen und Frauen

5 Reaktion der Lehrkräfte auf einige Statements zum sexuellen Missbrauch

6 Fazit

7 Literatur

Anhang: Fragebogen „Wissen über sexuellen Missbrauch“

1 Einleitung

Mit den Vorwürfen gegen Vertreter der katholischen Kirche (Spiegel online 2014a+b) und gegen Lehrkräfte an bundesweit bekannten Internatsschulen (Spiegel 2014, Spiegel online 2014 c+d+e, Süddeutsche Zeitung 2010) erhielt die Diskussion um die Möglichkeiten, Kinder vor sexuellem Missbrauch besser zu schützen, neuen Aufschwung. Immer wieder wird die Verbesserung der präventiven Arbeit gefordert. Man ist sich seit langem einig darin, die Eltern besser zu informieren. Aber solche Forderungen richten sich zunehmend auch an die Schulen (Spiegel online 2014), denn der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Rörig „will die Schulen für den Kampf gegen Misshandlungen rüsten“. Allen scheint klar zu sein, dass eben – trotz möglicher Gefährdungen (s.o.) – die Lehrkräfte nach den Eltern diejenigen sind, die den längsten und intensivsten Umgang mit Kindern haben. Insofern kann man diese Forderungen nur nachdrücklich unterstützen!

Aber wie sieht es mit den Möglichkeiten der Lehrkräfte im Schulalltag tatsächlich aus? Sind Lehrkräfte über das Thema „sexueller Missbrauch an Kindern“ wirklich informiert? Wissen sie, an wen sie sich wenden können, wenn ein Verdacht keimt? Wie reagiert die Administration in Bezug auf Ausbildung und Fortbildung von Lehrkräften in diesem Bereich?

Für den Bereich Südwürttemberg kann gesagt werden, dass seit etwa 20 Jahren das Thema „sexueller Missbrauch“ immer wieder im Angebot der Pädagogischen Hochschule Weingarten für angehende Lehrerinnen und Lehrer der Grund-, Haupt- und Realschule auftaucht. Ein gewisser Teil der nachwachsenden Lehrerschaft hatte also die Möglichkeit, sich über dieses Thema zu informieren und dann auch als Ansprechpartner in den Kollegien zur Verfügung zu stehen. Bedenkt man allerdings, dass jeweils nur etwa ein Drittel der Absolventen der PH in den Dienst übernommen werden, dann reduziert sich damit auch die Anzahl der zumindest vorinformierten Lehrkräfte an den Schulen. Lehrerinnen und Lehrer, die schon länger an der Schule tätig sind, haben aber vermutlich nur die Möglichkeit, sich über die Medien Informationen über dieses Thema anzueignen, sofern dieses Thema nicht wegen der psychischen Beanspruchung, die es bei den Rezipienten auszulösen in der Lage ist, übergangen wird. Man darf wohl davon ausgehen, dass sexuelle Themen bei den meist gut bürgerlich erzogenen Lehrkräften auf Vorbehalte stoßen, weil man selbst nie gelernt hat, offen über Sexualität zu sprechen. Um wie viel schwieriger wird es dann, wenn man in der Schule mit Kindern über diesen Bereich sprechen soll. Diese Verunsicherung führt wohl eher dazu, solche Themen zu vermeiden, zumal oft die Erfahrung und das Training solcher Fertigkeiten fehlen.

Der Autor selbst erinnert sich an eine Situation, die er als Grundschullehrer Anfang der 70er-Jahre machte. Beim Besuch einer Kleintierausstellung waren Hasen zu bewundern. Bei einem Rammler drückten sich die Hoden zwischen den Hinterbeinen heraus und motivierten einige Mädchen zu der Frage: „Was ist denn das?“ Da diese Frage völlig überraschend kam und er keinerlei Erfahrung im Führen von Gesprächen über die Sexualorgane hatte, flüchtete er sich in Ausreden. Später hat er sich über seine Feigheit in dieser Situation immer wieder geschämt. Dass er sich heute noch an einen solchen Vorfall erinnert, macht klar, dass auch das Sprechen über sexuelle Themen von vielen Lehrkräften erst gelernt werden muss. Die Frage war und ist bis heute nur, wo man das als Lehrkraft lernen kann. Die 68er-Generation hat das Thema Sexualität enttabuisiert, und mit Gleichaltrigen konnte man darüber auch gut reden, aber wie man angemessen mit Kindern in der Schule darüber sprechen kann, musste in Grunde jeder für sich selbst lernen. Vermeidungsstrategien erweisen sich als entlastend für die Lehrkräfte, lösen aber eben das Problem nicht!

Wenn man davon ausgeht, dass es vielen Lehrkräften in den Schulen heute noch so ähnlich ergeht wie dem Autor, dann wird deutlich, wie wichtig eine Fortbildung und ein Training für Lehrkräfte in diesem Bereich ist. Insofern ist die Initiative von Fegert et al. (2014) zu begrüßen, die neuen Medien dazu zu benutzen, Lehrkräften Informationen zu diesem Thema und Verhaltensstrategien über das Internet zu vermitteln. Die Schuladministration sollte die Lehrerschaft dazu motivieren, von diesem Fortbildungsangebot Gebrauch zu machen! Ob weitere Fortbildungsmöglichkeiten für bereits tätige Lehrkräfte angeboten werden, entzieht sich unserer Kenntnis. Es steht aber zu vermuten, dass sie vor allem wegen der fehlenden Experten nicht angeboten werden.

Fachleute sind sich darüber einig, dass auch Schulen zur Stärkung der kindlichen Persönlichkeit dadurch beitragen sollten, dass sie in einem präventiven Unterricht Kinder über die Möglichkeit sexuellen Missbrauchs informieren, ohne sie zu ängstigen, ihnen Worte und Sprache vermitteln sollten, damit sie über sexuell motivierte Annäherungsversuche oder Belästigungen mit anderen Menschen deutlich darüber sprechen können und auch wissen, an wen sie sich in solch einem Fall wenden sollten, und dass sie das auch wirklich dürfen. Die Lehrkräfte fühlen sich aber meist im Stich gelassen, wenn es darum geht, Fähigkeiten und Materialien zu entwickeln, die dabei helfen können, diesem Anspruch gerecht zu werden. In der Vergangenheit wurden verschiedentlich Präventionsprogramme für die Schule entwickelt, die aber in der Regel nicht den Eingang in die unterrichtliche Praxis an den Schulen fanden (z.B. CAPP → siehe Braun 2002). Die Beratungsstelle „Brennessel“ in Ravensburg entwickelte in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei ein Präventionsprogramm für Grundschulklassen unter dem Namen „Die Katze faucht“. Die Nachfrage aus den Grundschulen in der Region ist so lebhaft, dass die entsprechende Mitarbeiterin nur einem Teil der Anfragen nachkommen kann. Dieser Tatbestand macht zwei Dinge deutlich:

1. Lehrkräfte sind sich der Bedeutsamkeit solcher Programme bewusst.
2. Man überlässt es gern „Experten“, präventiven Unterricht zu erteilen, weil man sich selbst dadurch überfordert fühlt.

Nun muss man der Mitarbeiterin der Beratungsstelle „Brennessel“ durchaus pädagogische Kompetenzen zusprechen, denn ohne sie wäre das Präventionsprogramm „Die Katze faucht“ wohl nicht so erfolgreich und gerne gebucht worden. Allerdings steht die unbeantwortete Frage im Raum, warum nicht pädagogische Experten, also Lehrkräfte, in der Lage sein sollten, dieses Programm ebenso erfolgreich in den Schulen einsetzen zu können, erst recht nachdem sie es einmal vorgeführt bekommen haben. Die nächste Frage, inwieweit solche Lehrkräfte später als Multiplikatoren wirken können, ist z.Zt. ebenfalls noch nicht zu beantworten. Und obwohl räumlich benachbart, laufen die Bemühungen in Ravensburg/Weingarten unverbunden neben denen des Kollegen Fegert in Ulm her.

In den Lehrveranstaltungen der PH Weingarten und einer in diesem Rahmen erstellten Handlungsanleitung (Birkel 2015) für Lehrkräfte nicht nur im Bereich der Grundschule, bei denen der Verdacht eines sexuellen Missbrauchs keimte, werden nicht nur Handlungsanleitungen und Informationen über Beratungsstellen geboten, sondern auch Hinweise gegeben auf Programme und Unterrichtsmaterialien, die für einen präventiven Unterricht genutzt werden können. Bemühungen, eine solche Publikation über die Schuladministration den Kollegien verfügbar zu machen, waren bisher nicht von Erfolg gekrönt. Vielleicht gelingt es auf diese Weise ein wenig mehr, Lehrkräfte für dieses Thema zu sensibilisieren und ihnen die Materialien für einen eigenständig geplanten und durchgeführten Präventionsunterricht verfügbar zu machen.

Dass ein solcher Unterricht auch einiges an Mut verlangt, sei nur an der Tatsache aufgezeigt, dass nach der Überwindung eigener sprachlicher Probleme man noch mit aufkommenden Verdachtsmomenten konfrontiert sein kann. Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass die Thematisierung des sexuellen Missbrauchs dazu führt, dass ein Kind sich dadurch ermutigt fühlt, sich der Lehrkraft gegenüber zu öffnen und eigenen erlittenen Missbrauch anzudeuten. Die Problematik eines vorschnellen Handelns und Eingreifens ist den meisten Lehrerinnen und Lehrer wohl durchaus bewusst. Damit würde von der Lehrkraft aber noch mehr Mut verlangt, denn man darf wohl davon ausgehen, dass eine Lehrkraft, die so etwas erfährt, auch den Wunsch hat, dem betroffenen Kind in irgendeiner Weise zu helfen. Aber wie vermeidet man als Lehrkraft, dass der Versuch, einen sexuellen Missbrauch aufzudecken, nicht im Sinne eines „Bumerangeffekts“ einen selbst in Probleme stürzt? Ungerechtfertigte Anzeigen würden eben eine Gegenanzeige wegen übler Nachrede und Ehrverletzung nach sich ziehen. In dieser Hinsicht würde es manche Lehrkraft beruhigen, wenn sie denn wüsste, wen sie wenigstens innerhalb des Kollegiums als kompetenten Ansprechpartner hätte. Aber auch hier ist es eine offene Frage, ob und inwieweit in den Kollegien jemand da ist, den man in einem solchen Falle ansprechen könnte.

2 Planung und Durchführung einer Befragung der Lehrkräfte

So wurde es immer klarer, dass man über die Verhältnisse an den Schulen und den Kenntnisstand der Lehrkräfte wenig bis gar nichts Konkretes wusste. Daraus erwuchs in dem Seminar zum Thema „Sexueller Missbrauch“ die Idee, bei den Lehrkräften an den Schulen einmal eine Fragebogenaktion durchzuführen, die zumindest einen ersten Eindruck darüber vermittelt, was die Lehrerinnen und Lehrer über sexuellen Missbrauch wissen, ob Ansprechpartner bekannt sind und ob bereits Erfahrungen mit präventivem Unterricht gesammelt wurden. Eine Lehramtskandidatin entschloss sich, ihre Zulassungsarbeit zu diesem Thema anzufertigen (Galusek 2014). Nachdem man sich darauf geeinigt hatte, keine multiple-choice-Fragen zu formulieren, weil die Befürchtung bestand, dadurch die Gedanken der Lehrkräfte zu sehr in eine bestimmte Richtung zu lenken, sollten offene Fragen formuliert werden, die von den Lehrkräfte frei zu beantworten waren. Die Lehramtskandidatin entwarf dann in Zusammenarbeit mit dem Autor einen Fragebogen, der sich, nach einigen biografischen Angaben, in drei Bereiche gliedern ließ:

a) Fragen zum Kenntnisstand der Lehrkräfte zum Thema sexueller Missbrauch,
b) Statements[1], die die Einstellung und das Wissen der Lehrkräfte betreffen und die man als zutreffend oder unzutreffend klassifizieren musste,
c) drei Fallvignetten[2], in denen die Lehrkräfte angeben sollten, ob und falls ja, wann sie bestimmte Maßnahmen im Verdachtsfall ergreifen würden.

Die Sinnhaftigkeit der Fragen wurde zudem mit den Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle „Brennessel“ in Ravensburg erörtert, was zu gewissen Modifikationen Anlass gab, bevor der Fragebogen im Intranet der PH Weingarten für alle Studierenden zugänglich gemacht wurde. Galusek (2014) schaffte es, den ausgefüllten Fragebogen von 59 Lehrkräften aus dem Bereich Ravensburg/Weingarten zurück zu bekommen. Zusammen mit den modifizierten Fragebögen (sie enthielten nur noch die Bereiche a und b, siehe Anhang), die von den Studierenden des Seminars jeweils heimatortnah zusammengetragen wurden, kamen insgesamt 338 Fragebögen mehr oder weniger gut auswertbar zurück.

Der Fragebogen in der schließlich verwendeten Fassung enthielt insgesamt 39 Fragen. Bei den Fragen 1 bis 6 ging es um die Erfassung biografischer Daten. Sie waren die Grundlage zur Beschreibung der Stichprobe in Kapitel 3. Die Fragen 7 bis 26 bezogen sich auf das Wissen über sexuellen Missbrauch an Kindern. Diese Ergebnisse werden in Kapitel 4 dargestellt. Die Fragen 27 bis 39 waren Statements, bei denen die Lehrkräfte zustimmen oder ablehnen konnten. In Kapitel 5 werden die entsprechenden Ergebnisse vorgestellt.

3 Stichprobe

Bei den Lehrkräften, die an der Umfrage teilnahmen, handelt es sich um eine anfallende, selbstselektive Stichprobe, die von unserer Seite vorher nicht gezielt ausgewählt werden konnte. Eine Repräsentativität der Stichprobe für die Lehrkräfte an Grund-, Haupt-, Gemeinschafts- und Realschulen war nicht zu gewährleisten, da die Mitarbeit der Kolleginnen und Kollegen absolut freiwillig geschah. Die Studierenden brachten zwar jeweils Fragebögen für die gesamte Kollegenschaft in die Schulen, bekamen aber immer nur einen geringen Teil ausgefüllt zurück. Nach internen Schätzungen mit den Studierenden betrug die Rücklaufquote meist nur auf 20% oder weniger.

Im Folgenden werden die erhobenen personenbezogenen Daten vorgestellt und mit denen der gesamten Lehrerschaft in Baden-Württemberg verglichen.

Die Stichprobe bestand aus 257 Lehrerinnen (76,03%) und 81 Lehrern (23.96%). Da die Verteilung der Geschlechter an der GHWRS[3] und RS[4] unterschiedlich ist, wurde sie für diese Schularten jeweils gesondert geprüft anhand der Daten, die das Statistische Landesamt (2013) für das Schuljahr 2012/13 zur Verfügung stellte. An der GHWRS unterrichteten 79,01% Lehrerinnen und 20,99% Lehrer. Bei den Fragebögen der Lehrkräfte der GHWRS stammten 218 (78,42%) von Lehrerinnen und nur 60 (21,58%) von den männlichen Kollegen. Eine Überprüfung der Geschlechterverhältnisse mit dem χ²-Test ergab den insignifikanten Wert von 0,06. Für die Lehrkräfte an der GHWRS lässt sich also feststellen, dass sie hinsichtlich des Geschlechts repräsentativ wären für die Lehrerschaft dieser Schulart. Bei der Realschule liegen die Verhältnisse fast gleich. Insgesamt arbeiten dort zu 63% Lehrerinnen und 37% Lehrer. Bei den 39 (65%) Lehrerinnen und 21 (35%) Lehrern unserer Stichprobe ergibt sich keine signifikante Abweichung (χ² = 0.10, df = 1, n.s.), auch sie sind in dieser Hinsicht repräsentativ für die Lehrerschaft ihrer Schulart.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Schulartverteilung in Stichprobe und B-W

Etwas anders schaut es bezüglich der Schulart aus. Insgesamt unterrichteten 260 Lehrkräfte an der GHWRS, 17 an einer Gemeinschaftsschule und 60 an der RS, eine Lehrkraft machte hier keine Angabe. Da es die Gemeinschaftsschule im Schuljahr 2012/13 noch nicht flächendeckend gab, bleiben diese Lehrkräfte zunächst unberücksichtigt.

Beim Vergleich der Schulartzugehörigkeit in Stichprobe und Bundesland ist festzustellen, dass sich signifikant mehr Lehrkräfte der GHWRS beteiligt hatten als ihrem Anteil an der Lehrerschaft entspricht. Die Lehrkräfte der RS sind dagegen eindeutig unterrepräsentiert. Der χ²-Wert insgesamt ist mit 17,28 auf dem 1‰-Niveau signifikant und belegt die Ungleichverteilung der Lehrkräfte.

Die Studierenden berichteten von deutlich größeren Schwierigkeiten, überhaupt Kollegien der Realschule für diese Befragung zu gewinnen. Oft lehnten bereits die Rektoren eine Beteiligung des Kollegiums von vorn herein ab, um es vor noch mehr Arbeit zu schützen. Uns erschien dieses Argument immer als vorgeschoben, weil klar hätte sein müssen, dass sowieso nur diejenigen den Fragebogen ausfüllen, die sich die Zeit dafür zu nehmen bereit wären. So kam uns die generelle Ablehnung ein wenig vor wie eine Bevormundung des Kollegiums. Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt, dass solch ablehnende Haltungen auch bei Rektoren der GHWRS vorkamen.

Aus den Angaben der Lehrkräfte ließ sich ein Durchschnittsalter von 41,6 Jahren errechnen, die Standardabweichung betrug 13,1 Jahre. Der Median lag mit 39 Jahren etwas niedriger als der Mittelwert, was darauf hindeutet, dass etwas mehr junge als ältere Lehrer teilgenommen haben. Interessant ist auch die Altersverteilung in der Stichprobe, die wir mit der der Lehrerschaft an den entsprechenden Schularten des Landes Baden-Württemberg (Statistische Landesamt 2013) vergleichen konnten. Es stand uns die Altersverteilung an der GHWRS und RS zur Verfügung, die in Fünfjahresintervallen aufgegliedert war.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Altersverteilung in Stichprobe und B-W (***= p<.001)

Es lässt sich feststellen, dass die mittleren Lebensalter in der Stichprobe repräsentativ besetzt sind. Nur zwei Alterskategorien weichen davon ab, nämlich die ganz jungen (jünger 30) und die relativ alten (55 – 59) Lehrkräfte. So groß die Bereitschaft zur Teilnahme bei den ganz jungen Lehrkräften war, so vergleichsweise gering war die Bereitschaft in der Alterskategorie 55 – 59 Jahre. Dass die Bereitschaft zur Teilnahme an wissenschaftlichen Untersuchungen altersabhängig unterschiedlich stark ausgeprägt ist, ist einerseits immer wieder einmal beobachtet worden (s. z.B. Birkel 1978), andererseits könnte der Grund auch darin zu sehen sein, dass die jüngeren Lehrkräfte eher bereit sind, sich an solchen Befragungen zu beteiligen, weil sie möglicherweise schon einmal als Hörer an einem entsprechenden Seminar der PH Weingarten teilgenommen haben.

Von den 338 Lehrkräften dieser Stichprobe gaben nur 10 an, einen Migrationshintergrund zu haben. Da das Statistische Landesamt hierzu keine Daten ins Netz gestellt hatte, ließ sich nicht überprüfen, inwieweit dieser Anteil repräsentativ ist für die Lehrerschaft an den beteiligten Schulen. Uns erschien dieser Anteil als recht gering. Im Hinblick auf den Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund wäre vermutlich ein höherer Anteil von Lehrkräften wünschenswert, die dann vielleicht auch die Muttersprache der Kinder verstehen und sprechen könnten. Gerade im Hinblick auf die Bereitschaft von solchen Kindern, sich im Missbrauchsfall einer Lehrkraft gegenüber öffnen zu können, könnte eine muttersprachliche Kommunikation erleichternd wirken, weil sich das Kind sozusagen auf vertrautem Terrain bewegen kann.

Die Sensibilität der Lehrkräfte mit eigenen Kindern – so unsere Vermutung – dürfte im Hinblick auf die Rezeption von Hinweisen missbrauchter Kinder größer sein. Aus dem Grunde fragten wir, ob und falls ja mit wie vielen Kindern die Lehrkräfte in enger familiärer Beziehung zusammen leben. Es stellte sich heraus, dass mit 186 mehr als die Hälfte der Lehrkräfte (55,03%) nicht oder nicht mehr mit Kindern in der Familie zusammen lebt. Dabei ist natürlich zu bedenken, dass ganz besonders viele junge Lehrkräfte – und die waren deutlich überrepräsentiert – sich noch in der Phase der Partnerwahl oder einer jungen Ehe befanden und deshalb noch keine Kinder hatten. Bei den älteren Kolleginnen und Kollegen jenseits eines Alters von etwa 50 Jahren dürften oft schon die Kinder das Haus verlassen und sich selbständig gemacht haben. Auch hier wurde die Frage nach dem Zusammenleben mit Kindern wohl meist verneint. Immerhin gaben fast 45% der Lehrkräfte an, mit Kindern zusammen zu leben. 36 (10,65%) hatten ein Kind, 68 (20,12%) zwei, 38 (11,24%) drei und 10 (2.96%) hatten mehr als drei Kinder.

4 Rezeption und Wissen zum Thema sexueller Missbrauch

4.1 Von sexuellem Missbrauch an Schülern gehört?

Zunächst wollten wir bei Frage 7 wissen, inwieweit die Lehrkräfte schon einmal von einem Fall gehört haben, bei dem Schülerinnen oder Schüler von sexuellem Missbrauch betroffen waren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Angaben zur Häufigkeit, mit der man von sexuellem Missbrauch an Schülern gehört hat

Nach den Angaben der Lehrkräfte, wie oft sie schon von Schülerinnen und Schülern gehört haben, die von sexuellem Missbrauch betroffen waren, muss man davon ausgehen, dass es sich dabei eher um seltene Ereignisse handelt. Fast ein Viertel gibt an, noch gar nicht von einem solchen Fall gehört zu haben, die Hälfte hat eher selten davon gehört. Nur jede 16. gibt an, schon häufig davon gehört zu haben. Aus den Angaben lässt sich ableiten, dass in der Wahrnehmung der Lehrkräfte Fälle ausgesprochen selten vorkommen, bei denen Schülerinnen oder Schüler von sexuellem Missbrauch betroffen waren. Selbst wenn diese Wahrnehmung als nicht zutreffend angesehen wird, muss man unterstellen, dass die Lehrkräfte solche Fälle nicht bewusst registriert haben und auch keine Anzeichen wahrnahmen, die bei ihnen vielleicht einen Verdacht ausgelöst hätten.

Interessant ist dann die Abhängigkeit der Reaktionen vom Geschlecht der Lehrkräfte, weil sich damit die Frage beantworten lässt, wer wohl am häufigsten von sexuellem Missbrauch an Kindern gehört habe. Das Ergebnis einer Überprüfung der Geschlechtsunterschiede mittels χ²-Test ist in Abbildung 2 auf der nächsten Seite dargestellt.

Von der Stichprobenverteilung der Geschlechter weichen vor allem die Ankreuzungen bei den Kategorien „eher selten“ und „gar nicht“ ab. Dabei zeigt sich aber, dass die Kategorie „gar nicht“ überzufällig oft von Frauen gewählt wurde, während es bei der Kategorie „eher selten“ gerade umgekehrt ist. Der Frauenanteil bei der Kategorie „gar nicht“ beträgt 90,1%, der der Männer nur 9,9%. Im Vergleich zur Stichprobenverteilung waren die Männer hier deutlich unter-, die Frauen überrepräsentiert. Bei der Kategorie „eher selten“ liegt der Männeranteil dagegen bei 59,7%, der der Frauen aber nur bei 40,3%. Bei den beiden weiteren Kategorien sind erneut die Männer etwas weniger bei „häufig und sehr häufig“ und in etwa erwartungsgemäß bei „nicht häufig“. Da sich die Meinungsunterschiede nur zum Teil kompensieren, bleibt in der Gesamtschau festzuhalten, dass nicht von einer erwartungsgemäßen Verteilung der Geschlechter der Reaktionen auf alle Kategorien sprechen kann (χ²= 65,94; df= 3, p< .01).

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Abbildung 2: Geschlechtsdifferenzen bei der Frage 7

Bei der nächsten Frage 8, ob den Lehrkräften an einer ihnen bekannten Schule jemals ein Fall von sexuellem Missbrauch durch eine Lehrkraft zu Ohren gekommen ist, bestätigen 22 (6,51%), von solch einem Fall gehört zu haben. Es kann also einerseits konstatiert werden, dass sexueller Missbrauch durch Kolleg*inn*en im Wesentlichen außerhalb ihres Erfahrungshorizonts liegt, und dass andererseits solche Fälle von sexuellem Missbrauch tatsächlich nur in seltenen Ausnahmefällen vorkommen. Belastbare Zahlen zu solchen Fällen liegen nicht vor. Pressemeldungen zu solchen Fällen aus dem Bereich bekannter Internatsschulen (Spiegel online 2014 c, d + e; Süddeutsche Zeitung 2010) führten bei den befragten Lehrkräften nicht dazu, hierbei zu Überschätzungen zu neigen.

4.2 Geschlechtszugehörigkeit betroffener Kinder

Bei der Frage nach der Geschlechtszugehörigkeit betroffener Kinder gingen die Meinungen der Lehrkräfte weit auseinander. Der Streubereich der Anteilsangaben für die Mädchen reichte von 30% bis 100%. Im Mittel lag der geschätzte Prozentanteil für die Mädchen bei 67,6% (Median = 70%). Da die Angaben für die Jungen bis auf eine Ausnahme jeweils komplementär zu den Mädchen lagen und sich zu 100% ergänzten, liegt das Mittel für die Jungen bei 32,4% (Median = 30%). Am häufigsten wurde die Verteilung 70:30 für die Mädchen genannt (27,5%), gefolgt von dem Verhältnis 60:40 (22,8%) und dem Verhältnis 80:20 (15,1%).

Die überwiegende Anzahl der Lehrkräfte ist davon überzeugt, dass mehr Mädchen als Jungen von sexuellem Missbrauch betroffen sein könnten. In der Tat deuten die Ergebnisse von Untersuchungen in diesem Bereich darauf hin, dass Mädchen tatsächlich häufiger als Betroffene identifiziert wurden. So schreibt Engfer (2004): „In den frühen achtziger Jahren ging man davon aus, dass der relative Anteil von Mädchen und Jungen unter den Opfern des sexuellen Missbrauchs einem Zahlenverhältnis von 9:1 entspricht. Neuere Studien belegen demgegenüber ein Zahlenverhältnis von 2:1 bis 6:1, in der Mehrzahl der Studien überwiegen weibliche Opfer.“ (S. 13). Ging man also noch in den achtziger Jahren davon aus, dass 90% der Betroffenen Mädchen wären, so nähert sich heute das Verhältnis eher dem Wert ⅔ Mädchen und ⅓ Jungen. In dem Sinne liegt die durchschnittlich ermittelte Schätzung der Lehrkräfte mit 67,6% erstaunlich nah an den tatsächlich für möglich gehaltenen Verhältnissen.

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Abbildung 3: Geschätzter %-Anteil der Mädchen an den von Missbrauch betroffenen Kindern

Trotzdem muss aber festgestellt werden, dass es doch immerhin 10 Lehrkräfte (2,96%) auch für wahrscheinlich hielten, dass sogar mehr Jungen als Mädchen von sexuellem Missbrauch betroffen sein könnten. 30 Lehrkräfte (8,88%) glaubten dass in etwa gleich viele Jungen wie Mädchen sexuellen Missbrauch erleiden. Da in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher wurde, dass zunächst der Anteil missbrauchter Jungen unterschätzt wurde, ließe sich auch die Meinung vertreten, dass sexueller Missbrauch bei Jungen und Mädchen gleich häufig vorkommt, dass allerdings Jungen aus vielerlei Gründen ihren Missbrauch nur seltener offenbaren. Boehme (2002) weist darauf hin, dass für den „offensichtlichen Widerstand [gegen ein Bekenntnis zum Missbrauch] … das immer noch weit verbreitete Geschlechtsrollenklischee vom wehrhaften Jungen bzw. Mann“ (S. 245) verantwortlich sein könnte. Engfer (1995, S. 1010) verweist darauf, dass missbrauchte Jungen sich davor fürchten als homosexuell angesehen zu werden, da auch hier die Täter meist männlich seien. Zwar hat sich das Bild des Homosexuellen in unserer Gesellschaft inzwischen etwas verändert, aber es werden immer noch viele Witze über sie erzählt, und kein Junge möchte als Witzfigur angesehen werden. Und schließlich erwähnt Engfer (1995) auch die Tatsache, dass Jungen als Opfer in der Vergangenheit oft schlicht übersehen wurden.

4.3 Alter zu Beginn des Missbrauchs

Bei der Frage danach, wann die Wahrscheinlichkeit für Kinder am größten ist, erstmals missbraucht zu werden, wichen wir von der freien Antwortmöglichkeit ab und gaben Antwortkategorien vor. Unsere Befürchtung war, dass die Einschätzung hier für die Lehrkräfte zu schwierig hätte sein können. Dabei war uns klar, dass Missbrauch grundsätzlich nicht an ein Alter des Kindes gebunden sein muss. „Von sexuellem Missbrauch betroffen sind Kinder aller Altersgruppen“ (Engfer 1995, S. 1010).

Betrachtet man die Häufigkeit der Antworten in Abbildung 4, dann fällt zunächst ins Auge, dass die Kategorie 9-12 Jahre, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zutreffend ist, auch von den Lehrkräften am häufigsten gewählt wurde. Diese 147 Lehrkräfte stellen 43,5% der Stichprobe dar. 103 Lehrkräfte (30,5%) vermuten, dass die Wahrscheinlichkeit erstmals sexuell missbraucht zu werden, im Altersbereich 6 bis 8 Jahre am größten ist. 43 Lehrkräfte (12,7%) halten den Missbrauch im Alter von 12 bis 14 Jahren für am wahrscheinlichsten, während nur 2 von ihnen (0,6%) vermuten, dass die Kinder dann schon 15 oder älter sind. Erstaunlich ist, dass immerhin 26 Lehrkräfte (7,7%) trotz der Vorgabe der Kategorien sich nicht in der Lage sahen, eine der Kategorien anzukreuzen. Die Tatsache, dass so viele Lehrkräfte hier zutreffende Angaben machten, darf wohl darauf zurückgeführt werden, dass diese selbstselektive Stichprobe aus den vermutlich eher vorinformierten Lehrkräften bestand, denn nur ca. 20% der Lehrkräfte beteiligten sich überhaupt an der Untersuchung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Einschätzung, wann erstmals mit sexuellem Missbrauch zu rechnen ist

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Abbildung 5: Geschlechterverteilung bei den Alterskategorien

Bei der Einschätzung der Frage, in welchem Alter der sexuelle Missbrauch von Kindern am häufigsten beginnt, lassen sich einige geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen. So darf zunächst einmal gesagt werden, dass bei den Lehrkräften die keine Angaben gemacht hatten, die Lehrer überrepräsentiert waren (χ²= 7,02; p< .01; s. Abb. 5). Bei der Alterskategorie „6 bis 8 Jahre“ zeigte sich, dass der Frauenanteil signifikant höher lag als man hätte erwarten können (χ²= 8,56; p< .01), während die Männer hier seltener als erwartet ihr Kreuz setzten. In allen anderen Kategorien lagen die Abweichungen von der Geschlechterverteilung der Stichprobe im Zufallsbereich.

4.4 Wer sind die Täter

Bei dieser Frage wollten wir die Denkrichtung der Lehrkräfte nicht durch die Vorgabe von Kategorien beeinflussen und formulierten darum als offene Frage: „Bei den Tätern handelt es sich meist um welche Personen?“ Die Antworten der Lehrkräfte wurden von uns kategorisiert und ausgezählt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Vermutete Tätergruppen bei sexuellem Missbrauch

Schaut man sich die Kategorien an, die mit größerer Häufigkeit gewählt wurden, so muss man den Lehrkräften attestieren, dass sie genau die Personengruppen erwähnten, die auch in der einschlägigen Literatur am häufigsten als Tätergruppen identifiziert wurden (Dyer & Steil 2012; PKS 2013; Volbert & Galow 2010; Engfer 2005; Bange 1992). Immer wieder wird betont, dass sexueller Missbrauch aus dem Nahbereich der Kinder heraus geschieht. Insofern erwähnen auch die Lehrkräfte die Mitglieder der engeren und weiteren Familie als potentielle Täter. Zum Nahraum der Kinder gehören aber ebenso die Freunde und Bekannten der Familie und die Betreuer von Kindern wie Jugendleiter oder Trainer, denen die Kinder mit Offenheit und Vertrauen begegnen.

Die Lehrkräfte verwendeten hier meistens die männliche Form der Begriffe, weil ihnen wohl klar war, dass sexueller Missbrauch zum überwiegenden Teil von Männern begangen wird. Dass auch weibliche Personen sexuellen Missbrauch ausüben können und das manchmal auch tun, war den antwortenden Lehrkräften entweder nicht bewusst, oder sie empfanden es wegen des deutlichen Überwiegens der Männer als Täter als nicht erwähnenswert. Kavemann & Braun (2002) berichten, dass u.U. bis zu 15% der Täter weiblichen Geschlechts sind (S. 122). Diese Möglichkeit erscheint aber den Lehrkräften vermutlich noch als so ungeheuerlich, dass sie das als praktisch unmöglich erachten. Ähnliches ist auch bei den Personen festzustellen, die als Mitglieder der weiteren und engeren Familie direkt erwähnt werden, nämlich Väter, Brüder, Onkels, Vetter, Großväter. Weibliche Familienmitglieder wurden nie erwähnt.

Dass die Familienkonstellation der „Patchwork-Familie“ eine besondere Rolle spielen könnte, scheint auch den Lehrkräften deutlich bewusst zu sein. Immerhin 80 Personen (23,7%) erwähnten den Stiefvater oder den neuen Partner einer Frau als möglichen Missbraucher. Und in der Tat ist die Missbrauchswahrscheinlichkeit bei dieser Personengruppe offenbar deutlich größer als bei den Mitgliedern der engeren Familie, respektive dem Vater. Die Mär der „Väter als Täter“ muss deutlich relativiert werden, wenn man erfährt, dass nach ausländischen Studien etwa 2 bis 3% der Mädchen von ihrem leiblichen Vater missbraucht werden (Engfer 1995, S. 1010). Bange (1992) teilt einen Prozentsatz von 1,9% mit für seine Befragung an deutschen Studentinnen. Wenn Russell (1986) z.B. berichtet, dass das Risiko vom Stiefvater oder einem neuen Partner der Mutter missbraucht zu werden etwa siebenmal so groß sei im Vergleich zum Risiko durch den leiblichen Vater missbraucht zu werden, dann muss man davon ausgehen, dass sich der Prozentsatz der gefährdeten Mädchen in solchen Familienkonstellationen im Bereich zwischen 15 und 20 % bewegt.

Dass auch Lehrkräfte als Täter in Frage kommen können, wird von 46 Personen (13,6%) für möglich gehalten. Hier hätte man einerseits wohl auch eine größere Anzahl von Lehrkräften erwarten können, zumal die Verfehlungen von Lehrkräften an bekannten Internatsschulen große Aufmerksamkeit in den Medien fanden. Andererseits wurde nach den Personen gefragt, die meist als Täter in Erscheinung traten, und in dieser Hinsicht ist die Vermutung, dass es sich dabei um Lehrkräfte/Vorgesetzte handelt, vermutlich eher überschätzt. Die Anzahl der Lehrkräfte, die Schülerinnen oder Schüler missbrauchen, wird relativ gering sein. In der Literatur wird erwähnt, dass der direkte Zugang zu den Kindern in der Schule und in pädagogischen Einrichtungen dazu führt, dass auch Lehrkräfte der Versuchung erliegen können, übergriffig zu werden. Enders (2002) beschreibt, dass manchmal sogar schon die Berufswahl von potentiellen Tätern und Täterinnen gezielt vorgenommen wird, um den Kontakt zu den Kindern als selbstverständlich erscheinen zu lassen. „Mitarbeiter (Mitarbeiterinnen) pädagogischer und psychosozialer Arbeitsfelder gelten gemeinhin als rechtschaffende Bürger und als Autoritäts- und Vertrauenspersonen, die im Sinne des Kindeswohls tätig sind.“ (S. 205)

Auf die allermeisten Lehrerinnen und Lehrer trifft dies sicher zu, aber es ist auch nicht auszuschließen, dass in einzelnen Fällen Menschen gerade diesen Beruf ergreifen und sich u.U. sogar in besonderem Maße engagieren, um Missbrauchsversuche vorbereiten und starten zu können. Eine besondere Aufmerksamkeit weckte der Fall einer amerikanischen Lehrerin, die sich mit einem zwölfjährigen Schüler auf eine sexuelle Beziehung einließ, schwanger wurde, schließlich aus dem Dienst entfernt wurde und für siebeneinhalb Jahre ins Gefängnis musste. (Schwäbische Zeitung 23.5.2005) Auch an baden-württembergischen Schulen kamen Missbrauchsfälle durch Lehrer vor. So berichtete die Schwäbische Zeitung (7.12.1999) über einen Lehrer aus Mosbach, der deswegen verurteilt wurde, und über den Rektor einer Sonderschule in Buchen (22.1.2002), der sogar für 22 Monate ins Gefängnis musste, weil er übergriffig geworden war. Ein Jahr zuvor war dort ein anderer Lehrer bereits verurteilt worden.

75 Lehrkräfte (22,2%) geben mit Recht an, dass Trainer, Betreuer von Jugendgruppen und ähnliche Personen häufiger zu sexuellem Missbrauch neigen könnten. Enders (2002) bezeichnet es als nicht verwunderlich, „dass sich einige Missbraucher (Missbraucherinnen) gezielt z.B. als Jugendgruppenleiterin, Sporttrainer, Messdienerführer, Betreuerin auf Ferienfreizeiten, Gerätewart im Sportverein engagieren.“ (S. 205) Aus dieser Position heraus lassen sich leichter Strategien entwickeln, die eine – auch sexuelle – Annäherung zu den Kindern als auch von den Kindern gewollt erscheinen lassen, obwohl die Initiative dazu eindeutig von den Amtsträgern ausgeht.

Zum nahen Umfeld des Kindes, aus dem heraus die Gefahr eines sexuellen Missbrauchs drohen kann, gehört natürlich auch die Nachbarschaft der Familie. Immerhin 57 Lehrkräfte geben diese Gruppe als mögliche Missbraucher an und liegen damit durchaus richtig (Deegener 1995). Allerdings haben weniger Lehrer diese Personengruppe genannt als es ihrem Stichprobenanteil entspräche, während mehr Lehrerinnen diese Kategorie wählten (χ²= 5,14; p< .05). Offenbar ist den Lehrerinnen das Bedrohungspotential dieser Gruppe deutlicher bewusst.

36 Personen (10,7%) gaben an, dass meist Priester in den sexuellen Missbrauch von Kindern involviert sind. Und in der Tat sind in den vergangenen Jahren wiederholt Fälle bekannt geworden, in denen sich Priester an Kindern vergriffen haben. Ob man aber Priester als Personengruppe darstellen darf, die meist am sexuellen Missbrauch von Kindern beteiligt sind, erscheint doch eher problematisch. Ähnlich wie im Bereich der pädagogischen Einrichtungen lässt sich nicht leugnen, dass immer wieder einmal Priester sexuellen Missbrauch begangen haben. Im Verhältnis zur großen Zahl der Priester muss man aber wohl die Zahl der auffällig gewordenen als eher gering betrachten. Es erscheint als angebracht, nicht die nahezu gesamte Priesterschaft unter Generalverdacht stellen. Auf einem anderen Blatt steht natürlich die Frage, wie z.B. die katholische Kirche mit Verdachtsfällen in diesem Bereich umgegangen ist und aktuell damit umgeht, denn dass Missbrauchsfälle in den Reihen der Priesterschaft vorkamen und vorkommen, steht inzwischen außer Zweifel. Bemühungen um Aufklärung führten zu einem Eklat, als das damit betraute Kriminologische Institut Hannover Einsicht in Unterlagen verlangte, die die Kirche verweigerte (Decker 2013; Süddeutsche Zeitung 2014). Inzwischen wurde die Aufgabe einem neuen Wissenschaftlerteam übertragen. Mittlerweile bittet sogar der Papst die Missbrauchsopfer offiziell um Vergebung (Spiegel online 2014a), nachdem solche Fälle in der Vergangenheit nur zu gern vertuscht wurden.

Ebenfalls 36 Lehrkräfte (10,7%) vermuten, dass die Missbraucher unter den etwa gleichaltrigen Freunden und Bekannten des Kindes zu suchen sind. Damit beziehen sich diese Lehrerinnen und Lehrer auf einen Trend, der in jüngerer Zeit immer deutlicher zutage tritt. Eine weit verbreitete Definition des sexuellen Missbrauchs stammt von Kempe und Kempe (1980). Sie sprechen von „zumeist männlichen Erwachsenen“ als Tätern. Das „zumeist“ lässt zwar auch andere Täter wie z.B. Kinder und Jugendliche zu, erwähnt sie aber nicht explizit. Die Tatsache, dass auch Kinder und Jugendliche sexuelle Übergriffe starten, trat erst in jüngerer Zeit ins Bewusstsein (Freund & Riedel-Bredenstein 2006a). Auch aus der Arbeit der Beratungsstelle „Brennessel“ in Ravensburg wird z.B. immer deutlicher, dass auch und gerade Kinder und Jugendliche, die altersmäßig als gleich oder nur wenig älter einzustufen sind, als Täter in Erscheinung treten. Aus diesem Grunde wurde beim 20jährigen Jubiläum der „Brennessel“ Ende 2014 Ulli Freund zu einem Vortrag zum Thema: „Kinder als Täter“ eingeladen. Hier ist an die Achtsamkeit der Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen zu appellieren, denn manchmal werden auch unterrichtliche Situationen, wie z.B. das Umziehen vor und nach dem Sportunterricht, von Schülerinnen oder Schülern für Übergriffe genutzt.

Mit 26 Nennungen (7,7%) wird auf Fremde und Unbekannte als potentielle Täter verwiesen. Die Tatsache, dass nur so wenige Lehrkräfte diesen Täterkreis nennen, steht im Einklang mit den Erfahrungen bei den polizeibekannten Fällen, bei denen immer wieder deutlich wird, dass die meisten Täter eben aus dem näheren Umfeld des Kindes stammen und damit Menschen sind, die es kennt und denen es auch oft vertraut (PKS 2013), und dass Fremde weit weniger als Täter zu identifizieren sind. Trotzdem wird den meisten Menschen noch die Warnung vor dem fremden Mann in Erinnerung sein, mit dem man auf keinen Fall mitgehen dürfe. Eine Prävention, die sich auf die Warnung vor Fremden beschränkt, hat weder in der Vergangenheit eine Wirkung gehabt, noch wird sie in heutiger Zeit eine Schutzwirkung haben. Sie erzeugt eine diffuse Angst bei den Kindern und verschleiert, dass es viel wahrscheinlicher ist, Missbrauch durch Verwandte und Bekannte der Familie zu erleiden.

9 Personen (2,7%) antworten auf die Frage, wer meist die Täter sind, schlicht mit einem Wort „Männer“! Sie haben natürlich Recht, dass in der Tat davon auszugehen ist, dass zwischen 85 und 90% aller Täter männlichen Geschlechts sind (Engfer, 1995).

Damit kommen wir zu den zahlenmäßig geringen Nennungen von Tätergruppen, die man durchaus problematisieren muss. Wenn drei Personen (0,9%) meinen, dass introvertierte und/oder selbstunsichere Menschen sexuellen Missbrauch begehen, dann haben sie sicher in der Weise Unrecht, dass von den vielen introvertierten und selbstunsicheren Menschen die meisten nie einen Missbrauch begehen würden. Prospektiv wäre diese Annahme also falsch. Betrachtet man die Sache aber retrospektiv, so lässt sich festhalten, dass unter den Tätern eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass auch introvertierte und selbstunsichere Personen darunter sind. Ähnlich ist die Nennung der psychisch Kranken zu sehen (2 Personen – 0,6%). Nur retrospektiv gibt es Sinn, wenn man feststellt, dass unter den Tätern manchmal auch psychische Kranke sind. Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu: Wer krank ist, kann ja nichts dafür! Sollte die Nennung psychisch Kranker vielleicht eine Entschuldigung sein dafür, dass ein solcher Mensch etwas getan hat, für das er selbst nichts kann? Das sollte den Lehrkräften, die diese Nennung abgegeben haben, natürlich nicht unterstellt werden.

Wenn schließlich eine Person (0,3%) wenig differenziert Ausländer als potentielle Missbraucher betrachtet, dann schlagen sich hier vermutlich deutlich spürbar Vorurteile gegen fremde Menschen nieder. Ob es wirklich belastbare Zahlen gibt, die Auskunft über die Beteiligung von Ausländern an sexuellen Übergriffen geben, ist uns im Moment nicht bekannt. Trotzdem würden wir diese Äußerung eher der Angst vor allem Fremden zuschreiben, die Menschen gern als bedrohlich erleben. Erst die nähere Beschäftigung mit Fremden, respektive Ausländern, führt dazu, sie besser zu verstehen und zu begreifen, dass solche Menschen meist ähnliche Bedürfnisse und Gewohnheiten haben wie die Einheimischen auch. Es ist unwahrscheinlich, dass andere kulturelle Hintergründe sexuellen Missbrauch begünstigen könnten.

4.5 Missbrauchshandlungen

In der Frage 12 wollten wir von den Lehrkräften wissen, welche Handlungen sie als sexuellen Missbrauch einstufen. Da auch hier keine Antwortkategorien vorgegeben wurden, um nicht von vornherein die Aufmerksamkeit der Lehrkräfte auf bestimmte Handlungen zu lenken, mussten die Eintragungen nachträglich kategorisiert und zusammengefasst werden.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass bei dieser Frage nur 27 Lehrkräfte (8%) keine Missbrauchshandlungen vermerkten. Unter diesen Lehrkräften waren tendenziell mehr Männer als Frauen vertreten (χ²= 2,95; p< .10) in Bezug auf das Geschlechterverhältnis in der Stichprobe.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8: Als sexuellen Missbrauch identifizierte Handlungen

Erstaunlicherweise stellte sich heraus, dass die intensivsten Formen sexuellen Missbrauchs, nämlich die vaginale, orale oder anale Penetration oder Begriffe wie Koitus, Beischlaf, Vergewaltigung nicht explizit genannt wurden. Hier könnte man vermuten, dass sich die Lehrkräfte scheuten, solche Handlungen konkret zu benennen. Trotzdem wird man nicht unterstellen können, dass solche Handlungen ihnen nicht bewusst wären. Sie sind vermutlich in der zweithäufigst (203 Lehrkräfte, 60,1%) genannten Kategorie „sexuelle Handlungen ohne Zustimmung“ subsumiert. Trotzdem liegt der Schwerpunkt bei dieser Kategorie wohl eher bei der fehlenden Zustimmung des Kindes zu allen möglichen sexuellen Handlungen, einschließlich Penetrationen, denen das Kind entweder nicht zustimmen wollte, oder deren Auswirkungen es nicht einschätzen konnte (s. Definition von Kempe/Kempe, 1980).

Die am häufigsten genannte Kategorie bezieht sich auf intime Berührungen, die das Kind erduldet oder vielleicht auch ausführen muss. Wenn allein 242 Lehrkräfte (71,6%) diese Kategorie wählen, dann muss man davon ausgehen, dass sie zunächst an nicht ganz so intensiven sexuellen Missbrauch denken. Zwar muss man diese Formen des Missbrauchs zu denen mit Körperkontakt zählen (s. Becker, 2012, S. 13), aber im Vergleich zu Handlungen wie Vergewaltigung oder Penetrationen werden sie eher als „mittelschwer“ (Engfer, 1995) eingestuft.

Als deutlich schwerwiegender sind sicher Handlungen einzuschätzen, die sich auf die Stimulation oder Manipulation der Geschlechtsorgane des Kindes beziehen. Solche Übergriffe werden von 117 Lehrkräften (34,6%) eindeutig als sexueller Missbrauch eingestuft, denn sie werden vermutlich vom Täter zur eigenen sexuellen Erregung vorgenommen. Diese steht vor allem dann im Vordergrund, wenn der/die TäterIn das Kind zur Stimulation oder Manipulation der eigenen Sexualorgane auffordert, was 109 Lehrkräfte (32,2%) als Missbrauchshandlung erwähnen. 79 Lehrerinnen und Lehrer werten auch die Selbstbefriedigung in Gegenwart des Kindes als Missbrauchshandlung. Im Prinzip wäre das zwar eine Handlung ohne Körperkontakt (Becker, 2012) zwischen TäterIn und betroffenem Kind, aber man wird davon ausgehen müssen, dass Kinder, die in eine solche Situation geraten, das meist ohne eigenen Wunsch und Zustimmung und ohne Ausweichmöglichkeit erleben. Ähnlich verhält es sich auch bei der Aufforderung des Kindes, sich in Gegenwart des/der Täters/in selbst zu befriedigen. Hier handelt es sich um eine Missbrauchshandlung ohne Körperkontakt, sie ist aber als starker Eingriff in die Intimsphäre des Kindes zu werten. Allerdings erwähnen nur 3 Lehrkräfte (0,9%) diese Möglichkeit.

Dass erzwungener Geschlechtsverkehr mit einem Kind zu den schlimmsten Formen des sexuellen Missbrauchs zählt, dürfte fast allen Lehrkräften so klar sein, dass es an dieser Stelle nicht explizit erwähnenswert erschien. Aber selbst wenn solche Handlungen ohne direkten Zwang geschehen, werden sie von 77 Lehrkräften (22,8%) als sexueller Missbrauch angesehen. Damit schließen sich diese Lehrkräfte der Meinung von Kempe und Kempe (1980) an, die darauf hinwiesen, dass eine vermeintliche Zustimmung des Kindes nicht als wirkliche Zustimmung zu werten ist, weil in der Regel Kinder die Tragweite solcher Handlungen noch nicht einschätzen können. Ihre „Zustimmung“ kann also nicht als „verantwortliche Zustimmung“ angesehen werden. Oftmals werden die TäterInnen mit Verlockungen und Versprechungen die Kinder dazu verleiten, sich nicht gegen solche Handlungen zu wehren. Wenn ein Kind so etwas geschehen lässt, hat es deshalb noch lange nicht dem so zugestimmt, dass ihm (dem Kind!) dafür die Verantwortung zugeschoben werden könnte.

Ob Kinder anzügliche Gespräche und sexuell gefärbte Witze als Missbrauchshandlung erleben, ist nicht gewiss, denn dafür wäre eine gewisse, vor allem auch intellektuelle Reife Voraussetzung. Insofern trifft die Einstufung solcher Handlungen als Missbrauch vor allem auf Jugendliche und erwachsene Menschen, vor allem auf Frauen zu. Die Feministinnen, die seinerzeit einmal den Anstoß zur öffentlichen Beschäftigung mit dem Thema „sexueller Missbrauch“ angestoßen haben (Engfer, 1995), bewerteten alles, was von der Außenwelt an sie herangetragen und als störend oder beleidigend aufgefasst wird, als sexuellem Missbrauch, also auch Bemerkungen und Witze, in denen sie als Sexualobjekte herabgesetzt werden und die sie auf sich selbst beziehen können. Inwieweit Kinder Bemerkungen und Witze in dieser Weise auf sich beziehen ist unklar. Oft werden Kinder darüber eher etwas verlegen mitlachen, aber es sind sicher auch Situationen denkbar, in denen selbst Kinder sich dadurch herabgewürdigt fühlen, und dann wären diese auch zu Recht als Missbrauch zu werten. Immerhin stufen 48 Lehrkräfte (14,2%) solche Dinge auch als sexuelle Missbrauchshandlung ein.

39 Lehrkräfte (11,5%) stufen den Exhibitionismus als eine Form des sexuellen Missbrauchs ein. Auch hier geht es um eine Handlung ohne direkten Körperkontakt, aber zweifellos wird der Anblick eines unbekleideten Menschen in der Öffentlichkeit manch ein Kind erschrecken und damit belasten. Man darf vermuten, dass Kinder, die Nacktheit in ihrem Elternhaus als etwas Natürliches erleben, Exhibitionismus dann als nicht so dramatisch empfinden. Anders dürfte es aussehen, wenn Exhibitionisten in der Öffentlichkeit sich sexuell erregen und stimulieren, weil vielen Kindern solche Handlungen noch nicht bekannt sind. Besonders in solchen Fällen besteht natürlich immer die Möglichkeit, dass Kinder befürchten, von diesem angefasst und einbezogen zu werden. In diesen zuletzt genannten Fällen geht der Straftatbestand der Erregung öffentlichen Ärgernisses durchaus über in den des sexuellen Missbrauchs. Eltern können ihre Kinder vor der Dramatik solcher Erlebnisse schützen, indem sie sie sexuell aufklären, auf die Möglichkeit solcher Begegnungen hinweisen und erklären, wie sich das Kind dann verhalten soll.

Damit sind die in den Augen der Lehrerschaft wichtigen Handlungen genannt. Alle weiteren Nennungen werden nur von wenigen Lehrkräften genannt. Einige Handlungen stehen mit der Mediennutzung und dem Internet in Verbindung und dürfen darum in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Nur 16 Lehrkräfte (4,7%) bezeichnen das Filmen und Fotos Herstellen von Kindern in sexualisierten Positionen als Missbrauchshandlung. Nicht differenziert wird zwischen der Aufnahme solcher Bilder für den eigenen Gebrauch, der schon schlimm genug ist, und der Verbreitung solcher Bilder ohne Zustimmung des betroffenen Kindes im Internet, vielleicht sogar verbunden mit finanziellen Interessen. Ins Internet gestellte Fotos oder Videoclips sind meist nicht mehr kontrollierbar in ihrer Verbreitung. Kinder, deren Bilder auf diese Weise veröffentlicht werden, müssen sich u.U. ein Leben lang damit abfinden, dass solche Bilder immer wieder in irgendwelchen Tauschbörsen auftauchen. Eine besondere Brisanz erhält ein solches Verhalten, wenn es nicht von erwachsenen, sondern von gleichaltrigen Tätern ausgeführt wird, oft verbunden mit dem Wunsch, die Dargestellten öffentlich zu verletzen und zu mobben. Ein überwiegender Teil der Kinder und Jugendlichen verfügt heute über Handys mit Aufnahmefunktion, mit denen sie - mit oder oft auch ohne Wissen und Zustimmung - Alterskameraden nackt oder in verfänglichen Situationen fotografieren, um die entsprechenden schnell ins Internet hochzuladen. Solche Bilder wieder zu löschen ist nicht mehr möglich, weil man nicht wissen kann, wer sich in der Zwischenzeit die Fotos oder Filme abgespeichert hat, um sie anderen Verwendungen zuzuführen. Hier wird nicht nur gegen das Recht auf Selbstbestimmung in Bezug auf das eigene Bild verstoßen, sondern oft auch gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, und das ist dann wirklich ein sexueller Missbrauch, selbst wenn das nicht in der Absicht der Täter lag.

14 Lehrkräfte (4,1%) bezeichnen das Vorführen von erotischen und erotisierenden Bildern oder Filmen als eine Form des sexuellen Missbrauchs. Pornografisches Bildmaterial ist heute fast überall leicht verfügbar, seit entsprechende Seiten im Internet für jeden einsehbar geworden sind. Selbst Kinder und Jugendliche brauchen heute nur bestimmte Begriffe in die Suchmaske des Handys oder des Computers einzugeben, und schon finden sie eine reichhaltige Auswahl unterschiedlichster sexueller Darstellungen, die sie sich anschauen können. Ob man als Erwachsener solche Wünsche von Kindern unterbinden soll, hängt von dessen individueller Erziehungshaltung ab, führt aber vermutlich bei Kindern und Jugendlichen dazu, ihren Wissensdurst und ihre voyeuristischen Tendenzen in aller Heimlichkeit und außerhalb der Kontrolle von Erziehungspersonen zu befriedigen. Manche Erzieher sind bereit, solche Verhaltensweisen zu tolerieren, weil das aufsuchende Verhalten von Kindern und Jugendlichen deren Wünschen entspricht. Veranstalten aber Erwachsene Vorführungen solchen Materials, nutzen sie die Neugier von Kindern und Jugendlichen aus und verbinden damit u.U. Interessen, die darauf abzielen, bei den Betrachtern sexuelle Erregung zu erzeugen, die die Hemmschwelle herabsetzen, wenn die Erwachsenen einen Missbrauch zur eigenen sexuellen Befriedigung einleiten möchten. Das Vorführen solcher Bilder und Filme wird gern als „Türöffner“ genutzt, um sexuellen Missbrauch einleiten zu können.

Kinder und Jugendliche sind es gewöhnt, den Aufforderungen der Eltern und der weiteren Familie Folge zu leisten und Onkel, Tante, Oma und Opa ein Küsschen zur Begrüßung zu geben, selbst wenn sie das manchmal gar nicht selbst wollen. Gegen ein Küsschen auf die Wange ist im Prinzip ja auch nichts einzuwenden, aber wenn der Kuss auf den Mund erfolgt und dazu noch in einen Zungenkuss ausartet, verhalten sich Kinder oft ablehnend. Eltern sollten das Recht der Kinder tolerieren, selbst zu entscheiden, wem sie ein Küsschen geben wollen und wem sie es verweigern. Zungenküsse sind gleichzusetzen mit sexualisierten Küssen, bei denen Kinder das Gefühl haben, dass da etwas nicht ganz richtig ist, weil die doch eher der Erregung des Erwachsenen dienen. Ein Kuss ist zwar keine sexuelle Vergewaltigung, kann aber leicht dazu genutzt werden, eine solche ein Stück weit vorzubereiten. Insofern sind also sexualisierte Küsse, die von 18 Lehrkräften (5,3%) als Ausprägungsform sexuellen Missbrauchs genannt werden, durchaus als Maßnahme zur Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs zu verstehen.

12 Lehrkräfte (3,6%) erwähnten die körperliche Annäherung an das Kind als mögliche sexuelle Missbrauchshandlung. Hier haben vermutlich die Lehrkräfte sich gescheut, eindeutigere Bezeichnungen für sexuellen Missbrauch zu verwenden. Bei diesem Hinweis haben die Lehrkräfte wohl an unangemessene Formen der körperlichen Annährung gedacht, denn körperliche Nähe an sich ist ja für Kinder und Jugendliche durchaus positiv zu werten. Auch als Lehrkraft berührt man doch seine Schülerinnen und Schüler, man streicht ihnen über den Kopf, nimmt sie in bestimmten Situationen einmal tröstend in den Arm, setzt sich zu ihnen, um bei Aufgaben Hilfestellung zu leisten usw. Die Frage ist dann natürlich, ab wann ein Kind die körperliche Annährung als unangenehm empfindet, und wie es dem Erwachsenen klar machen kann, dass es die Annährung jetzt nicht wünscht. Auf keinen Fall sollten Lehrkräfte die körperliche Nähe zu ihren Schülerinnen und Schülern vermeiden, weil sie befürchten, dass die als missbräuchlich angesehen wird. Trotzdem wäre es für Lehrerkollegien sinnvoll, sich zu überlegen, welche Situationen auftreten können, in denen Kinder körperliche Nähe als Verletzung ihrer Privatsphäre ansehen könnten. Solche Überlegungen wären zumindest für Sportlehrer wichtig, um nicht fälschlicherweise in den Verdacht zu geraten, den Kindern zu nahe getreten zu sein. Körperliche Annährung selbst ist vermutlich noch nicht als sexuelle Missbrauchshandlung zu werten, sie kann aber in manchen Fällen durchaus als ein Schritt auf dem Weg hin zu einem Missbrauch angesehen werden.

7 Lehrkräfte (2,1%) sind der Meinung, dass die Aufforderung Erwachsenen beim Geschlechtsverkehr zuzusehen, einem sexuellen Missbrauch gleichkommt. Wenn Kinder oder Jugendliche hier zum Zuschauen genötigt werden, erfüllt das allerdings den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs.

Jeweils 6 Lehrkräfte (1,8%) schrieben Bemerkungen nieder wie „wenn psychischer Druck ausgeübt wird, um die Tat geheim zu halten“ oder „wenn Erwachsene oder Überlegene Macht oder Kompetenz ausnützen, um die Kinder zu etwas zu zwingen“. Hier werden zwei Elemente der Missbrauchsdefinition von Kempe und Kempe (1980) angesprochen, die, wenn sie in Verbindung stehen mit sexuellen Kontakten, eine zentrale Rolle spielen. Zunächst wird wohl meist der Vorsprung an Macht und Kompetenz genutzt, um einen Missbrauch einzuleiten und durchführen zu können, und dann wird psychischer Druck ausgeübt, bis hin zu massiven Drohungen, um den Missbrauch nicht bekannt werden zu lassen. Zwar werden psychischer Druck und Machtausübung Kindern in vielfältigen Facetten im Rahmen ihrer Erziehung begegnen, sie sind also per se keine sexuellen Missbrauchshandlungen, so sehr sie auch abzulehnen sind, aber im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch sind sie konstitutive Bestandteile.

Schließlich signalisierten 4 Lehrkräfte (1,2%), dass sie das Ausziehen und oder nackt Spielen von oder mit Kindern als sexuelle Missbrauchshandlung ansehen. Erneut ist die gedankliche Richtung dieser Angaben gut nachvollziehbar, aber es muss auch gesehen werden, dass es durchaus Situationen geben kann, in denen Erwachsene – und hier vor allem auch Lehrkräfte – einmal Kinder ausziehen müssen. Im Bereich der Grundschule kommt es schon einmal vor, dass ein Kind einnässt. Da ist eine entsprechende Hilfestellung der Lehrkraft durchaus nachvollziehbar, wenn sie das Kind aus- und umzieht. Ebenso lässt sich vorstellen, dass beim Umziehen vor dem Schwimmunterricht Grundschüler oder Grundschülerinnen einmal Hilfe benötigen. Das Problem läge dann vor allem darin, dass sich die Lehrkraft in solchen Fällen absichert gegen einen fälschlichen Verdacht, diese Hilfestellung aus sexuellen Erwägungen heraus begonnen zu haben. Sexuelle Missbrauchshandlungen definieren sich ja gerade daraus, dass eine erwachsene Person ein Kind auszieht, um sich selbst sexuell zu erregen. Implizit haben die Lehrkräfte, die dieses Verhalten so einstuften, vermutlich diese Motivationen gemeint. Ähnlich ist auch beim Hinweis zu argumentieren, wenn das nackte Spielen als sexuelle Missbrauchshandlung angegeben wird. Erneut sollte bedacht werden, dass eigentlich erst dann eine Missbrauchshandlung daraus wird, wenn ein Erwachsener ein Kind dazu auffordert, um sich sexuell zu erregen, er also eigene Befriedigung aus diesem Spiel bezöge. Sind die Spielpartner dagegen eher Gleichaltrige, könnte das nackt Spielen auf das gegenseitige Interesse an der Körperlichkeit des anderen Kindes begründet liegen. Ganz besonders Kinder in den ersten Klassen der Grundschule können durchaus noch ein ungezwungenes Verhältnis zu Nacktheit auch im Spielzusammenhang haben. In solchen Fällen sollten auch Lehrkräfte nicht überreagieren! Wichtig wäre es abzuschätzen, ob die Kinder in gegenseitigem Einverständnis so spielen mögen. So wird klar, dass der Hinweis auf nacktes Spielen zwischen Erwachsenen und Kindern anders zu bewerten ist als dasselbe Verhalten zwischen gleichaltrigen Kindern. Es ist nachvollziehbar, wenn bei Erwachsenen, die in dieser Weise mit Kindern spielen, sexuelle Motivationen unterstellt werden. Erwachsene sollten diese Möglichkeit bedenken und darauf achten, dass die situativen Bedingungen keinen Anlass zu Missverständnissen geben. Erwachsene, die auf einem FKK-Gelände nackt mit Kindern spielen, sind wohl anders zu beurteilen als solche, die möglicherweise abseits der Öffentlichkeit gleiches mit Kindern tun.

4.6 Missbrauchshandlungen unter Kindern

In der Frage 12 unseres Fragebogens forderten wir die Lehrkräfte auf anzugeben, ab wann sie bei sexuellen Handlungen unter Kindern von sexuellen Übergriffen sprechen würden. Die Nennungen sind in Abbildung 9 zusammengefasst. Zu bedenken ist, dass die Lehrkräfte die Möglichkeit hatten, auch mehrere Angaben zu machen, wovon etliche Gebrauch machten. Insgesamt konnten 668 Eintragungen ausgewertet werden, im Schnitt somit knapp zwei (1,98) pro Lehrkraft.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9: Angaben zu Missbrauchshandlungen unter Kindern

Zunächst sei wieder darauf hingewiesen, dass 51 Lehrkräfte (15,1%) keinerlei Angaben machen. Die Weigerung, hier etwas einzutragen, kann auf die große Unsicherheit zurückzuführen sein, die vor allem solche Lehrkräfte gespürt haben, die sich mit dem Thema „Sexueller Missbrauch“ noch nicht so intensiv auseinander gesetzt haben. Interessanterweise befinden sich unter den 51 Lehrkräfte tendenziell mehr männliche Kollegen als weibliche Kolleginnen (χ²= 4,69; p< .05) bezogen auf Ihren Stichprobenanteil.

Konstituierendes Merkmal der Übergriffigkeit auch unter relativ gleichaltrigen Schülerinnen und Schülern ist sicher das fehlende Einverständnis eines betroffenen Kindes. Darauf weisen auch Freund und Riedel-Bredenstein (2006a+b) hin. Wenn vor allem Kinder im Kindergarten oder der Grundschule das eigene Geschlecht und das anderer Kinder erforschen, wird aus solchen Spielen wohl erst dann ein sexueller Übergriff, wenn Kinder durch Überredung, Bestechung oder Gruppendruck dazu bewegt werden, sich an solcherlei Spielen zu beteiligen. Entsprechend lautet die Definition von Freund und Riedel-Bredenstein (2006b ): „ Ein sexueller Übergriff unter Kindern liegt dann vor, wenn sexuelle Handlungen durch das übergriffige Kind erzwungen werden bzw. das betroffene Kind sie unfreiwillig duldet oder sich unfreiwillig daran beteiligt. Häufig wird dabei ein Machtgefälle zwischen den beteiligten übergriffigen und betroffenen Kindern ausgenutzt, indem z.B. durch Versprechungen, Anerkennung, Drohung oder körperliche Gewalt Druck ausgeübt wird. (S. 19) Mit 214 Lehrkräften schließt sich die Mehrheit (63,3%) dieser Auffassung an. Allerdings kann festgestellt werden, dass in dieser Gruppe der Lehrkräfte die Frauen deutlich überrepräsentiert sind (χ²= 4,80; p< .05). Männliche Kollegen wählten diese Verhaltensweise seltener als es zu erwarten gewesen wäre.

Von 155 Lehrkräften (45,9%) werden intime Berührungen unter Kindern an zweiter Stelle als Übergriffshandlung unter Kindern genannt. Diese Einschätzung kann nur dann als zutreffend angesehen werden, wenn gleichzeitig angenommen wird, dass kein Einverständnis beim betroffenen Kind vorlag. Gerade bei jüngeren Kindern spielen die Erkundung des eigenen Geschlechts und das anderer eine wichtige Rolle. Wenn sich also Grundschüler und Grundschülerinnen in aller Unbefangenheit und im gegenseitigen Einverständnis auch an intimen Stellen berühren, darf man das nicht als sexuellen Übergriff werten. Erst wenn ein Kind mit Bemerkungen wie z.B. „Dann bist du nicht mehr meine Freundin“ oder „Du kriegst dann auch was von meinen Bonbons“ dazu veranlasst wird, intime Berührungen zuzulassen, wäre der Tatbestand eines Übergriffs erfüllt. Allerdings bekommen Lehrkräfte oftmals solche Ereignisse erst in dem Moment mit, wo sie die Kinder eventuell sogar unbekleidet dabei erwischen, wie sie intime Berührungen ausführen. Hier wäre es wichtig, dass Lehrkräfte nicht vorschnell eine solche Situation überinterpretieren. Einfühlsame Gespräche mit den Kindern können Aufklärung über Motive geben. Als Lehrkraft sollte man solche Ereignisse nicht dramatisieren, aber auch nicht bagatellisieren! Freund und Riedel-Bredenstein (2006b, S.8) führen dazu aus: „ Konkret heißt das: Den Körpererfahrungen einen breiten Raum im Alltag zu geben, sexuelle Aktivitäten nicht zu tabuisieren, zu verbieten oder gar zu bestrafen, aber darauf zu achten, dass sich die kindliche Sexualität ohne Gewalt und Grenzverletzungen durch andere Kinder oder Erwachsene entwickeln kann.“ Intime Berührungen unter Kindern sind sicher immer ein guter Anlass für Gespräche!

Wenn 99 Lehrkräfte (29,3%) an dieser Stelle die Ausnutzung von Kompetenzvorsprüngen oder körperlicher Überlegenheit nennen, liegen sie damit auf der Linie der Definition von Freund und Riedel-Bredenstein (2006b). Neben der Ausnutzung von Kompetenzen und Überlegenheit zum Zweck eines sexuellen Übergriffs können diese Mittel selbstverständlich auch eingesetzt werden, um in anderen Bereichen Kinder zu Handlungen zu zwingen, die sie freiwillig nicht tun würden. Kindern muss bewusst gemacht werden, dass mit Kompetenzvorsprüngen und körperlicher Überlegenheit verantwortungsvoll umzugehen ist.

Der Versuch, einen Geschlechtsverkehr nachzuspielen oder tatsächlich auszuführen, wurde von 85 Lehrkräften (25,1%) als sexueller Übergriff angesehen, aber die Frage ist natürlich, ob man das Nachspielen mit dem Ausüben gleichsetzen darf. Dazu erklären Freund und Riedel-Bredenstein (2006b): „Wenn Kinder erwachsene Sexualität praktizieren, wenn sie also vaginalen, analen oder oralen Geschlechtsverkehr ausüben, handelt es sich immer um einen sexuellen Übergriff.“ (S. 25) Werden solche Handlungen allerdings nachgespielt – vor allem ohne Penetrationsversuch – bezeichnen es Freund und Riedel-Bredenstein (2006b) als „eine Art Rollenspiel, ähnlich den vielen anderen Spielen, bei denen Kinder versuchen, Erwachsene nachzuahmen. Dieses Verhalten gehört zu den kindlichen sexuellen Aktivitäten – natürlich nur wenn kein Kind gezwungen oder seine Unterlegenheit ausgenutzt wird.“ (S. 26, Hervorhebungen durch Autor). Für eine Lehrkraft wird es nicht ganz leicht sein, diese sexuell aufgeladenen Verhaltensweisen immer richtig unterscheiden und einordnen zu können.

Sexualisiertes Verhalten der Kinder anderen Kindern gegenüber wird von 56 Lehrkräften (16,6%) als übergriffiges Verhalten eingestuft. Eine offene Frage bleibt dabei, was Lehrkräfte genau unter sexualisiertem Verhalten verstehen. Hier gibt es vermutlich deutliche Überschneidungsbereiche mit der Kategorie „intime Berührungen“, „sexualisierte Sprache“, „versuchter Geschlechtsverkehr“ oder „Selbstbefriedigung vor anderen“. Im Prinzip könnte man aber den Lehrkräften zustimmen, wenn sie sexualisiertes Verhalten als eine Form sexueller Übergriffigkeit unter Kindern ansehen. Ein Eingreifen der Lehrkraft wäre dann zu empfehlen, wenn dieses sexualisierte Verhalten als Hinweis auf erlittenen sexuellen Missbrauch zu werten ist.

Deutlich stärker muss man vermutlich die unausgesprochenen Konnotationen der Lehrkräfte mit einbeziehen, wenn man verstehen will, warum 26 von ihnen (7,7%) den großen Altersunterschied als sexuelle Übergriffshandlung ansehen. Blendet man einmal aus, dass der Altersunterschied keine Handlung ist, so interagieren die Kinder auf dem Schulhof immer wieder mit anderen, die einen mehr oder minder großen Altersunterschied aufweisen, ohne dass das etwas mit sexueller Übergriffigkeit zu tun hat. Im Falle gemeinsamer sexueller Aktivitäten spielt dann aber der Altersunterschied zwischen den Beteiligten eine wichtige Rolle, weil die körperliche Überlegenheit und ein intellektueller Entwicklungsvorsprung, also ein Kompetenzvorsprung, dazu beigetragen haben können, dass das jüngere Kind sich nicht wirklich freiwillig an solchen Aktivitäten beteiligt. Hier wird man die Motivationen der Beteiligten genauer analysieren müssen, um herauszufinden, wer hier wen bedrängt hat. Es ist ja nicht von vornherein auszuschließen, dass auch einmal ein jüngeres Kind ein älteres bedrängt. Dass beim sexuellen Übergriff allerdings das Macht- und Kompetenzgefälle zwischen den Kindern eine wichtige Rolle spielt, darauf verweisen sowohl Freund und Riedel-Bredenstein (2006b) als auch Kempe und Kempe (1980) in ihren Missbrauchsdefinitionen.

[...]


[1] In Anlehnung an einen Fragebogen, den K. Mücke (2013) Journalist/inn/en zur Beantwortung vorgelegt hatte.

[2] Übernommen aus einer Publikation des Deutschen Jugendinstituts (2010).

[3] GHWRS = Grund-, Haupt- und Werkrealschule, einige wenige Lehrkräfte der Gemeinschaftsschule wurden der Einfachheit halber hier dazu gezählt.

[4] RS = Realschule

Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Sind Lehrer über das Thema „sexueller Missbrauch an Kindern“ wirklich informiert?
Untertitel
Planung und Durchführung einer Befragung von Lehrkräften
Hochschule
Pädagogische Hochschule Weingarten  (Fach Pädagogische Psychologie)
Autor
Jahr
2016
Seiten
92
Katalognummer
V344493
ISBN (eBook)
9783668342385
ISBN (Buch)
9783668342392
Dateigröße
2093 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sind, lehrer, thema, missbrauch, kindern, planung, durchführung, befragung, lehrkräfte
Arbeit zitieren
Peter Birkel (Autor:in), 2016, Sind Lehrer über das Thema „sexueller Missbrauch an Kindern“ wirklich informiert?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/344493

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