Sparpolitik ohne Alternative? Akteurszentrierter Blick auf Krisendiskurse in Deutschland


Forschungsarbeit, 2016

34 Seiten, Note: 1,0

Mathis Lucka (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
Kontext und Fragestellung
Theoriegerüst
Methodisches Vorgehen

2. Empirische Analyse
Akteurszentrierte Beobachtungen allgemein
Event-Analyse

3. Fazit

4. Literatur und Quellen

1. Einleitung

Kontext und Fragestellung

So unterschiedlich die Analyse und Interpretation der Krise(n) ausfällt, in einem Punkt sind sich die meisten Experten einig: Die mittlerweile einige Jahre andauernde Phase, welche die Europäische Union (EU) seit ca. 2008[1] durchläuft, ist wohl die gefährlichste seit Gründung des Friedens- und Wohlstandsprojektes. Während sich viele Studien mit der Bekämpfung der Krisensymptome – z.B. der Prekarisierung von Lohn- und Beschäftigungsverhältnissen; der hohen Jugendarbeitslosigkeit; der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, aber auch zwischen Nord- und Südeuropa (vgl. Demirovic et.al. 2011, S.93 ff.; Busch et. al. 2012, S.5) – auseinandersetzen, kann man in Bezug auf empirische Untersuchungen der krisenpolitischen Maßnahmen einen analytischen Mangel konstatieren. Obwohl die vielfach als „Austeritätspolitik“ bezeichneten staatlichen Sparmaßnahmen schon weit vor der Krise zum wirtschafts- und haushaltspolitischen Mainstream gehörten, erfuhren sie in der Krise eine ungeahnte Renaissance: Spätestens mit dem auf EU-Ebene beschlossenen Fiskalpakt hat sich die Sparpolitik als Instrument zur (vermeintlichen) Krisenlösung re-etabliert. Damit konsolidierte sich der Neoliberalismus als ökonomisches, aber auch politisch vorherrschendes Projekt in Europa – und das, obwohl nach weitverbreiteter Ansicht (selbst unter neoliberalen Ökonomen) genau jenes entscheidend zum Aufkommen der Krise(n) beigetragen hat. Ein und dasselbe Rezept scheint also zugleich Problem wie Problemlösung zu sein. Die Unwirksamkeit[2] der Maßnahmen der EU, angeführt von Deutschland als den tonangebenden Agenda-Setter der europäischen Krisenpolitik, wird inzwischen ausgerechnet vom Internationalen Währungsfonds (IWF) konstatiert – einer Institution, die als Mitglied der sogenannten „Troika“ ebenjene Sparpolitik forcierte und deren Umsetzung insbesondere in Griechenland streng überwachen sollte (Kroll 2014, S.2). Mittlerweile ist sogar ein Scheitern der EU als Ganzes – was u.a. das Erstarken rechtspopulistischer bzw. –extremer Kräfte zeigt – kein undenkbares Szenario mehr. Im gegebenen Rahmen vermag die Analyse zwar nicht in die Diskussion über die Wertung der Maßnahmen einzutreten. Jedoch soll zur Erhellung des Verlaufes des Krisendiskurses in Deutschland beigetragen werden, indem folgender Forschungsfrage nachgegangen wird: Inwiefern verfestigte sich der Diskurs der zentralen politischen Akteure in Deutschland im Verlauf der Finanz- und Staatsschuldenkrise hin zum Dogma der strikten Sparpolitik?

Theoriegerüst

Wir schlagen einen heterodoxen theoretischen Ansatz vor – nicht etwa um ideologische Glaubenskämpfe auszutragen, sondern vielmehr um die nötigen Grundlagen für die empirische Analyse zu schaffen, die hier im Zentrum stehen und schließlich zur zufriedenstellenden Beantwortung der Forschungsfrage beitragen soll. Hierfür ist ein kritisches Theoriegerüst abseits des politökonomischen Mainstreams aus unserer Sicht gut geeignet, da es ja gerade um die Frage von Alternativen und deren (Nicht-)Artikulation im politischen Raum geht. Im Großen und Ganzen rekurrieren wir auf den neogramscianischen Ansatz der Internationalen Politischen Ökonomie, der die Hegemonie bestimmter gesellschaftlicher Gruppen und deren Ringen um Deutungshoheit, insbesondere auch in der politischen Arena, untersucht (vgl. Buckel et.al. 2012). Was aber bedeutet Hegemonie ? Der Frankfurter Politikwissenschaftler Alex Demirovic begreift das Konzept der Hegemonie im Geiste Antonio Gramcis als die – nicht nur diskursive – Durchsetzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen und die Verallgemeinerung ihrer Interessen mittels Kompromiss und Zugeständnis an die unterlegenen Gruppen. Letztere werden oft als „subaltern“ bezeichnet (Demirovic 2008, S.17 f.). Im Grunde geht es um „weiche“, unterschwellig wirkende Herrschaft, nicht so sehr auf der Basis ihrer physisch-gewaltsamen Durchsetzung, sondern eher durch psychisch-argumentative Herrschaftsausübung. Gerade neoliberale Vertreter aus Wissenschaft und Praxis sprechen oft von scheinbar neutralen Sachzwängen oder einem allübergreifenden, aber subtilen Zwang ökonomischer Vernunft. Mit einer solchen hegemonialen Strategie lassen sich ursprünglich hochpolitische Diskurse, wie solche der Bearbeitung von kontinentalen und globalen Krisen, gewissermaßen entpolitisieren und damit in die von der/n hegemonialen Gruppe(n) gewünschte Richtung lenken. Der Diskurs um Krisenpolitik wurde, so lautet unsere Forschungshypothese, aufgrund neutral dargestellter Notwendigkeiten hegemonial entschieden, indem er nur zu einem gewissen Grad – nämlich lediglich im Streit um Nuancen – zugelassen bzw. ab einem bestimmten Zeitpunkt „beendet“ wurde. Die Konstitutionalisierung des Neoliberalismus in Form des Fiskalpaktes für die Länder der Eurozone im Jahr 2011 stellt für uns ebendiese Beendigung des Krisendiskurses dar, der 2008 mit dem 200 Mrd. Euro schweren European Economic Recovery Plan (EERP) als erstes konzertiertes Maßnahmenbündel zur Behebung der (damals noch[3] ) Weltwirtschafts -krise ins Leben gerufen wurde.

Der schon angesprochene Neoliberalismus ist nach Altvater zum einen eine historisch wirkmächtige Denkschule und zum anderen eine politische Praxis mit globalem Geltungsanspruch (Altvater 2008, S.50). Bevor die wichtigsten theoretischen Axiome vorgestellt werden, ist es wichtig, kurz auf die geschichtliche Einordnung einzugehen und zu verstehen, wie der Neoliberalismus diese Geltungskraft entwickeln konnte. Das hegemoniale Konzept vor dem Neoliberalismus war der sogenannte Keynesianismus, der in vielen Ländern für den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit ab den späten 1940er-Jahren verantwortlich war. Die ursprünglich vom britischen Namenspatron John Maynard Keynes als wirtschaftswissenschaftliche Theorie einer nachfrageorientierten Marktwirtschaft konzipierten Überlegungen fußen auf einem System fester Wechselkurse und damit auf einer eingeschränkten Konvertierbarkeit von Währungen sowie damit zusammenhängenden Kapitalverkehrskontrollen. Hierdurch gab es nach dem Zweiten Weltkrieg nur wenig internationale Kapitalzirkulation, was nationalen Institutionen wie den Zentralbanken oder Finanzministerien enorme Souveränität in fiskal- und gelpolitischen Fragen verschaffte (ebd., S.51). Volkswirtschaftliche Ziele konnten so durch staatlich-institutionelle, makroökonomische Eingriffe in die Wirtschaft erreicht werden, was zunächst auch vielerorts gelang. Die Steuerungsfähigkeit des keynesianischen Erfolgsmodells wurde von den sogenannten „Bretton-Woods“-Institutionen – IWF und Weltbank – international koordiniert und abgesichert. Im Verlaufe der disruptiven Veränderungen in den 1970er Jahren – v.a. die Ölkrise und die damit einhergehende, neue Macht der OPEC-Staaten sowie der Zusammenbruch des Systems der festen Wechselkurse – wurde jedoch das keynesianische Modell durch das neoliberale abgelöst, auch um die Hegemonie der westlichen Industriestaaten unter Führung der USA zu reproduzieren. Im geistigen Umfeld der Liberalisierung und Internationalisierung der Märkte – zumal im Interesse des Westens – brachten gesellschaftliche (Ökonom Milton Friedman als gewissermaßen „organischer Intellektueller“ des Neoliberalismus) und politische (Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA) Akteure die neoliberale Transformation voran. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war gar die Rede vom „Ende der Geschichte“, was dem Siegeszug des liberaldemokratischen Kapitalismus gewissermaßen Ewigkeitsstatus verleihen sollte, da die „große Alternative“ der sozialistischen Planwirtschaft gescheitert war (vgl. Fukuyama 1992). Die berühmte Floskel der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, „There is no alternative“, beschreibt genau jenes machtpolitische Konzept der scheinbaren Alternativlosigkeit, mit welchem der Neoliberalismus letztlich bis hin zu seiner konstitutionellen Absicherung den Status der Unwiderruflichkeit erlangen konnte. Sebastian Dullien hat das in seiner Analyse über die Sparprogramme in Griechenland eindrucksvoll beschrieben: „Lässt man als Beleg für den Erfolg der Austerität gelten, dass es keine Alternative zu dem eingeschlagenen Kurs in Griechenland gab, so kann ein Austeritätsprogramm logisch nie ein Misserfolg sein.“ (Dullien 2015, S.236) Wichtige neoliberale Dogmen nach Altvater (2008, S.53; 60ff.) sind insbesondere:

a) Die Hauptannahme einer grundsätzlichen Stabilität des privaten Sektors, der nur dann instabil oder krisenanfällig sein kann, wenn staatliche Institutionen (zu stark) in die Systematik des Marktes intervenieren.
b) Die staatliche Fiskalpolitik hat auf lange Sicht hin keinen Einfluss auf die Wachstumsrate der Wirtschaft oder den Beschäftigungsgrad der Bevölkerung und sollte deshalb dem Ziel der Geldwertstabilität folgen – und nicht, wie im Keynesianismus der Vollbeschäftigung.
c) Der Markt als quasi-mechanistisches Koordinationsinstrument, mit welchem das Optimum eines Gleichgewichtszustandes als Maßstab aller Dinge erreicht werden soll, lässt in dieser „ver-naturwissenschaftlichten“ Sicht auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse gar keine Alternative zu.

Die politisch-realen Konsequenzen aus diesen (eigentlich) theoretischen Modellvorstellungen sind zum einen ein gesteigerter Standortwettbewerb um die besten Produkte und Verfahren sowie staatliche Deregulierung, Liberalisierung und Internationalisierung von Märkten, zum anderen aber auch die Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen (z.B. Wasserversorgung, Energie und Infrastruktur), was langfristig zu einer allumfassenden Stabilität führen soll (ebd. 2008, S.61). Der damit einhergehende Abbau des Sozialstaates bzw. strikte staatliche Haushaltsdisziplin gerade in Fragen sozialen Ausgleichs, der gesteigerte Wettbewerb unter den Marktteilnehmern und das Verlangen nach den günstigsten Spiel regeln wurde vom keynesianischen Ökonom Paul Krugman als „Wettlauf der Besessenen“ beschrieben, da die Logik der Wirtschaft und die der Gesellschaft im Allgemeinen immer mehr nach dem Prinzip des „Nullsummenspiels“ zu funktionieren schien – das, was A gewinnt, verliert B (ebd., S.61, vgl. Krugmann 1994). Die deregulierten Märkte waren schließlich mit dem Platzen der Immobilienblase in den USA 2007 der Ausgangspunkt der Krisenspirale, welche die in der neoliberalen Theorie nicht für möglich gehaltene Instabilität – trotz oder gerade wegen der Deregulierung u.a. – verursachte. Wichtig für das Verständnis des Neoliberalismus ist nach Michel Focault allerdings die Tatsache, dass der Markt nicht einfach einmalig „entgrenzt“ wird und sich sodann völlig frei von politischen Implikationen verselbständigt. Im Gegenteil: Bewusste, marktkonforme Politik soll geeignete Rahmenbedingungen für den Wettbewerb schaffen (Foucault 2004, S.174). Die oben angesprochene Entpolitisierung des Diskurses um Alternativen kann, so paradox es klingt, demnach als politisch-hegemoniale Strategie begriffen werden. Zudem gibt es auch im Neoliberalismus, und das ist für die empirische Analyse von zentraler Bedeutung, die Möglichkeit von Staatsinterventionen bzw. staatlichen Investitionen. Das vorrangige Ziel ist allerdings nicht Vollbeschäftigung oder Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, sondern die Wiederherstellung des Marktmechanismus an sich und der (Geldwert-)Stabilität (Demirovic 2008, S.25). Aus unserer Forschungshypothese lässt sich die Teilhypothese ableiten, dass die sogenannten „Rettungspakete“ in diesem Lichte zu sehen sind und damit eher der Stabilität des Euro als vorteilhafte Währung für die Geberländer dienen und nicht, wie es vielfach hieß, in erster Linie der griechischen Wirtschaft zu Gute kommen sollten. Vor der Überprüfung dieser Teilhypothese ist es allerdings wichtig, zwischen den Investitionsbegriffen im Keynesianismus und Neoliberalismus zu unterscheiden. Nachdem, wie oben angerissen, bei letzterem vor allem der Geldwertstabilität und der Reaktivierung bestehender Marktverhältnisse mit Hilfe von (kurzfristigen) Investitionen im Krisenfall Rechnung getragen wird, geht es bei der keynesianisch orientierten Investitionspolitik darum, das Hauptziel der Vollbeschäftigung zu erreichen. Dazu muss die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage steigen, bei welcher die Investitionsgüternachfrage eine entscheidende Bedeutung hat, da sich steigende Investitionen positiv auf Arbeitsplätze und Einkommen auswirken. Nach Ansicht des Keynesianismus muss die staatliche Nachfrage in Krisensituationen die private ersetzen, um die Unterbeschäftigung und den schwachen Konsum zu bekämpfen (Bpb 2013). Staatsausgaben sollen also zu einer Belebung der Wirtschaft führen und nehmen aus dieser Perspektive einen prominenten Platz ein, während im Neoliberalismus Investitionen von staatlicher Seite die Ausnahme von der Regel – nämlich der Regel der Selbstregulation und Gleichgewichtsherstellung des Marktes durch den Wettbewerb der Individuen – sein sollten. Des Weiteren soll ebenso Sparpolitik als zweiter wesentlicher Begriff für unser methodisches Vorgehen keynesianisch und neoliberal interpretiert werden. Im Keynesianismus steht vor allem die sogenannte Defizitfinanzierung im Vordergrund: In Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs soll der Staat die gesamtwirtschaftliche Nachfrage mit Hilfe von Schulden beleben, die im Aufschwung durch Steuererhöhungen getilgt werden sollen (ebd. 2013). Im Neoliberalismus dagegen zielt Sparpolitik wegen der unterschiedlichen Ursachenanalyse – sprich: expansive Lohn- und Sozialpolitik hätten in Staaten wie Griechenland in die Krise geführt und nicht die deregulierten Finanzmärkte – in die entgegengesetzte Richtung. Eine Senkung der Neuverschuldung, die zunächst die realwirtschaftliche Krise verschärft, in Verbindung mit einer Anpassung auf der Angebotsseite (Lohn- und Preissenkung aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit), soll langfristig zu einer Stabilisierung des Finanz- und Währungssystems und zu einer gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft führen (Busch 2014). Da in der Praxis bei Weitem nicht so klar unterschieden wird, ob Investitions- oder Sparprogramme keynesianisch oder neoliberal inspiriert sind – zumal letzterer Begriff oft eine pejorative Konnotation hat – muss im Einzelnen der Tenor der zu bewertenden Aussagen auf die jeweilige Zielrichtung hin abgewogen werden.

Methodisches Vorgehen

In diesem Abschnitt legen wir unsere methodische Vorgehensweise an die beschriebene Problematik an. Dazu wird detailliert auf die einzelnen Arbeitsschritte eingegangen und umfassend dargestellt, welche methodischen Strategien uns für die Bearbeitung des Themas geeignet erscheinen. Grundsätzlich ruht diese Arbeit – im Sinne der Triangulation (Flick 2004) – auf drei methodischen Säulen. In einem ersten Schritt wird eine Kontextanalyse durchgeführt, die den zeitlichen Ablauf der Krisenbearbeitung in Deutschland deutlich macht und eine wichtige Grundlage für die nächsten Arbeitsschritte liefert. In einer quantitativ-qualitativen Analyse werden dann mittels political claims analysis wichtige Tendenzen in der deutschen Krisendebatte herausgearbeitet und zentrale Akteurspositionen empirisch identifiziert. In einem dritten Schritt wird eine qualitativ-interpretative Auseinandersetzung mit den Inhalten der Krisendebatte vollzogen, um wichtige Konfliktlinien und zentrale Argumentationsstränge herauszuarbeiten.

Quantitativ-Qualitative Analyse:

Die vorliegende Arbeit stützt sich vornehmlich auf die Methode der political claims analysis (PCA). Dieser methodische Ansatz wurde von Koopmans und Statham (1999) entwickelt und befindet sich an der Schnittstelle zwischen sozialer Bewegungsforschung und politischer Diskursanalyse. PCA ist eine Form der Medienanalyse und untersucht „strategic demands made by collective actors within a specific contested issue field” (Koopmans und Statham 1999, S. 206). Während Protest Event Analysis (Koopmans und Rucht 2002) nur Ereignisse politischen Protests aufnimmt und Diskursanalyse ein viel breiteres Spektrum politischer Aussagen behandelt, stellt PCA eine sinnvolle methodische Ergänzung dieser beiden Ansätze dar. PCA codiert dabei nur die faktischen Statements und Handlungen politischer Akteur*innen, während die Kommentare von Reporter*innen und Journalist*innen nicht als Teil eines Claims codiert werden (Koopmans und Statham 1999, S. 207). Zum besseren Verständnis dieser Methode seien hier zwei fiktive Beispiele angeführt, die erklären, was im Rahmen von PCA als Claim betrachtet wird und was nicht:

a) Beispiel-Claim: „Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte auf dem EU-Gipfel einen Schuldenschnitt für Griechenland“.

Erklärung: Die Aussage ist hier eindeutig einer bestimmten Person zuzuordnen, für einen validen Claim können Aussagen allerdings auch Kollektivakteur*innen zugeordnet werden (beispielsweise der Bundestag, Protestierende, etc.). Darüber hinaus impliziert das Verb „forderte“, dass hier ein Sprechakt der Bundeskanzlerin vorgelegen hat. Der Claim kann also als politischer Akt behandelt werden.

b) Kein Claim: Aus Regierungskreisen heißt es schon lange, dass man über einen Schuldenschnitt Griechenlands nachdenke.

Erklärung: Hier ist nicht zuzuordnen, woher die Aussage kommt, „aus Regierungskreisen“ ist dabei nicht präzise genug. Darüber hinaus ist auch nicht klar, ob hier ein Sprechakt vorliegt oder irgendeine andere politische Handlung. Diese Aussage kann so also nicht als Claim codiert werden und würde nicht in die Analyse einbezogen werden.

PCA findet zunehmend Anwendung, um komplexe politische Sachverhalte und öffentliche Debatten empirisch zu untersuchen. Die Methode wurde dabei von Beginn an empirisch erprobt (Koopmans und Statham 1999) und wird vielfach zur Untersuchung verschiedener Politikfelder angewandt (van der Broug et al. 2015) und wurde gerade im Bereich der EU-Forschung umfassend erprobt (Auel und Raunio 2014).

Datengrundlage:

Um ein gutes Abbild der politischen Debatte in Deutschland zu bekommen, haben wir uns dazu entschieden, die beiden überregionalen Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und Süddeutsche Zeitung (SZ) als Datengrundlage zu verwenden. Wir verfolgen damit die Annahme, dass die wichtigsten Positionen der relevanten politischen Akteur*innen in diesen Zeitungen publiziert werden. Weitere Publikationen könnten unter Umständen zu einer dichteren Analyse führen, angesichts des Umfangs dieser Arbeit halten wir die Berücksichtigung der beiden größten deutschen Qualitätszeitungen allerdings für ausreichend.

Der Datenzugriff erfolgte dabei über die APA Online Manager Library, in der beide Publikationen tagesaktuell verfügbar sind. Für die Suche nach relevanten Artikeln haben wir zunächst Begrifflichkeiten identifiziert, die mit Krisenpolitik und Sparmaßnahmen oder aber mit Investitionspolitik in Verbindung stehen. Diese Begriffe haben wir anschließend zu zwei Suchclustern zusammengeführt, die mittels bool’scher Operatoren eine gezielte Suche in der verwendeten Datenbank erlauben. Folgende Suchbegriffe kamen dabei zur Anwendung:

[...]


[1] Das Jahr 2008 ist unserer Auffassung nach ein sinnvoller Start für die Analyse von Krisenerscheinungen in der EU, da in diesem Jahr mit dem sog. European Economic Recovery Plan in Höhe von 200 Mrd. Euro erstmals drastische Maßnahmen zur Behebung der Krisenzustände auf den Plan gerufen wurden (s. Stützle 2013, S.330 ff.)

[2] Gewiss lässt sich zu einem gewissen Grad über die unterschiedliche (Un-)Wirksamkeit der Sparmaßnahmen in den sog. GIPSI-Ländern (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien) streiten, wie Dullien 2015 darlegt.

[3] In dem Maße, wie die Krise identifiziert wurde - nämlich zunächst als Immobilien-, dann als Weltwirtschafts-, im Anschluss als (europäische) Banken-/Finanz- und schließlich als Staatsschuldenkrise - konnte man auch einen Wandel in der Krisenpolitik feststellen. Zum Krisenverlauf gibt es Erhellendes von Stützle 2013, S.312 ff.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Sparpolitik ohne Alternative? Akteurszentrierter Blick auf Krisendiskurse in Deutschland
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Forschungspraktikum Krisenpolitik in Deutschland und Spanien
Note
1,0
Autoren
Jahr
2016
Seiten
34
Katalognummer
V344439
ISBN (eBook)
9783668361829
ISBN (Buch)
9783668361836
Dateigröße
1131 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Krise, Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Schuldenkrise, Staatsschulden, Austerität, Keynes, Neoliberalismus, Sparpolitik, Deutschland, Europa, Alternativlosigkeit, Diskursanalyse, Political Claims Analysis, Investitionspolitik, Konsolidierung
Arbeit zitieren
Mathis Lucka (Autor:in)Benjamin Weiser (Autor:in), 2016, Sparpolitik ohne Alternative? Akteurszentrierter Blick auf Krisendiskurse in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/344439

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