Ritualisierung im Fußball am Beispiel Frankfurt am Main


Bachelorarbeit, 2014

40 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einführung

2. Theorie und Begriff des Rituals
2.1 Definition des Begriffes ,,Ritual''
2.2 Theorie der Übergangsriten von Arnold van Gennep
2.3 Theorie der Liminalität und Anti-Struktur von Victor Turner

3. Charakterisierung des Rituals
3.1 Bedeutung und Funktion
3.2 Formale Kriterien
3.3 Symbolcharakter

4. Das Stadion
4.1 Aufbau des Stadions
4.2 Inneres Geschehen

5. Charakterisierung des Fans

6. Fußball und Rivalität
6.1 Herstellung von Rivalität
6.2 Gewalt im Stadion

7. Fazit und Schlussbemerkungen

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang

Abbildungsverzeichnis

1.Einführung

Den Antrieb für diese Arbeit erhielt ich durch mein Nachdenken über die Frage, warum Sportveranstaltungen, wie dem Fußballspiel im Stadion, so viel öffentliche und mediale Aufmerksamkeit geschenkt wird. Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften und Radio - sie alle berichten und reden über Fußball. Der Massenandrang in den Stadien ist aktuell so groß, wie noch nie in der Geschichte der deutschen Fußball-Bundesliga. Die Zuschauerzahlen in den Stadien werden von Jahr zu Jahr übertroffen. Nahezu alle Stadien der ersten Fußball-Bundesliga sind Woche für Woche ausverkauft. Daher fragte ich mich, wie ein ganz gewöhnliches Fußballspiel zum Anziehungspunkt von Massen werden kann. Egal ob Sonne, Regen oder Schnee, ob Sommer oder Winter - die Fans sind im Stadion. Somit verschrie ich mich dem Thema des Massenphänomens ,,Fußball im Stadion''.

Dem Titel meiner Arbeit, fügte ich einen, für dieses Ereignis wie ich finde, würdigen Begriff hinzu. Aufgrund der wöchentlichen, für neutrale Außenstehende teils kurios anmutenden und dennoch für Fußballfans völlig gewöhnlichen Geschehnisse und Eigenschaften der Spiele, im und um ein Stadion herum, fügte ich den Begriff ,,Ritual'' hinzu. Der Gedanke, dass Fußball ein Ritual sein könnte, war zu diesem Zeitpunkt für mich noch umstritten. Durch eigene Stadionbesuche aber, und spätestens durch meine eigenen Forschungseindrücke im und um das Stadion der Frankfurter Commerzbank-Arena herum, wurde mir bewusst, dass Fußball nicht nur ein Ritual sein kann, sondern eine ganze Reihe ritueller Handlungen und Vorkommnisse aufweist, die sich in aller Regelmäßigkeit auch in meiner Forschung wiederholen sollten. Daher wurden alle Geschehnisse und Untersuchungen bei Fußballspielen von mir unter dem Titel ,,Ritualisierung im Fußball'' zusammengefasst. Anhand des Beispieles Frankfurt am Main, zu dem ich wie schon angeklungen, diese Thematik erforscht habe , wird der Titel meiner Arbeit schlussendlich komplettiert.

Die Wahl der Methode in meiner eigenen Forschung, wurde durch den Forschungsgegenstand und die Fragestellung bestimmt. In meiner Forschung war sehr viel Symbolik und auffälliges Verhalten der Individuen zu beobachten. Das Zentrum meiner Arbeit bildet die Frage nach der Art und der Bedeutung des Rituals ,,Fußball''. Die dabei untersuchten Gegenstände waren das Stadion und die Veränderung des Individuums auf dem Weg zum Stadion. Dabei sollte der Übergang in eine ,,eigene Welt'' betrachtet werden. Des weiteren beschäftigte ich mich mit dem Verhalten der Fans und deren Merkmale, sowie mit der Rivalität beim Fußball und deren Folgen.

Fußballerisches Wissen bezüglich der Spielergebnisse und Zugehörigkeiten der Spieler war im Vorfeld vorhanden. Über den Hintergrund bei Fußballveranstaltungen und das Geschehen auf den Rängen und vor dem Stadion, am Tag eines Fußballspieles, hatte ich mir indessen nie wirklich Gedanken gemacht. Daher war das eigene Wissen darüber kaum vorhanden. Ich bediente mich innerhalb der qualitativen Forschung, dem Mittel des ethnographischen Schreibens. Mit Hilfe dieser Technik, gelang es mir möglichst bildhaft, aber auch hautnahes dabei Sein, schildern zu können. Meine Aufenthalte unter den Fans gestalteten sich zu Beginn meiner Forschung schwierig, da ich häufig als Journalist wahrgenommen wurde. So wurde oftmals seitens der Fans die Frage gestellt, ob ich von der Presse sei. Die Befragung der Fans war aus verschiedenen Gründen problematisch.

Bei den Interviews ergab sich das Problem von lediglich kurzen und knappen Antworten, die ich auf meine Fragen erhielt. Gerade zu Beginn meiner Forschung, konnte ich die Befragten nur geringfügig zum erzählen animieren. Die von mir zur Befragung erwarteten Fans, hielten aber auch Terminabsprachen nicht immer zuverlässig ein oder wollten nicht das erzählen, was ich hören wollte und erfragte. Beispiele hierfür waren Fragen zur Bedeutung des Stadions für sie persönlich, Empfindungen auf dem Weg dorthin, Aktivitäten und die eigene Vorbereitung auf Fußballspiele.

Hierbei wichen Fans aus, kamen vom Thema ab und erzählten sogar von ihrer Kindheit bzw. einen Teil ihrer Lebensbiografie. Gruppendiskussionen waren aus meiner Sicht ineffektiv. Einzelne Interviews bewiesen sich dagegen als Aufschluss reicher. Der Grund für den Erfolg der Einzelgespräche, lag in der Fokussierung auf eine Person und ihre Stellungnahme. Somit entstand einerseits kein Redeschwall und andererseits kein Schweigen innerhalb der Gruppe. Trotz der genannten Probleme, die sich im Laufe der Forschung ergaben, konnte ich Interviews konstatieren, die sich für meinen jetzigen Erkenntnisstand zum Thema, als gewinnbringend erwiesen. Die von mir für diese Arbeit genutzten Stellungnahmen der Fans, durften einvernehmlich verwendet werden. An Stellen, in denen kein Nachname oder weder Vor- noch Zuname von den von mir Befragten zitiert werden, ist es mir nicht gestattet eben jene zu verwenden.

Weshalb das Thema der Ritualisierung im Fußball nicht nur für meine Lehrforschung interessant war, sondern gesellschaftliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit erlangt, wurde mir spätestens bei der Bearbeitung dieser Arbeit deutlich. Das Thema zur Ritualisierung im Fußball, ist anhand der Erkenntnisse von Arnold van Gennep, auf dessen Theorien ich im weiteren Verlauf meiner Arbeit detaillierter eingehen werde, und der Erkenntnisse von Emile Durkheim relevant. Die Erforschung von Ritualen findet oftmals im Zusammenhang mit dem Begriff ,,Mythos'' oder ,,Religion'' statt.

Für Emile Durkheim lagen die Schwerpunkte der Forschung im Funktionszusammenhang zwischen Ritual, Religion und Gesellschaftsstruktur. Victor Turner dagegen hob die Bedeutung von Ritualen hervor. Einer meiner Schwerpunkte der Arbeit, befasst sich ebenso mit der Bedeutung des Rituals Fußball. Meine Absicht wird es sein, die soziale Bedeutung von rituellem Geschehen beim Fußball aufzuzeigen. Es gilt dabei den Nachweis zu führen, dass das Fußballspiel im Stadion ein Ritual ist.

Die Aktualität des Themas spiegelt sich in der Opposition zwischen Freiheit und Zwang in unserer Gesellschaft wieder (Schäfer, Wimmer 1998: 13). Beispiele aus dem alltäglichen Leben, sind die Zerrissenheit zwischen dem Geld auf dem Arbeitsmarkt verdienen wollen und müssen, um die eigene Existenz zu sichern oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen zu wollen oder müssen, um an das eigene Ziel zu gelangen. Zerrissenheit besteht auch bei den Fans. Einerseits wird die Entscheidungskompetenz und ein freier Entschluss der Ausführenden zur Teilnahme am Ritual ,,Fußball'' vorausgesetzt. Andererseits werden sie im Stadion zum Akt der Ausführung von anderen Teilnehmern, dem Verein und durch die Erwartung neutraler Beobachter aufgefordert.

Es handelt sich beim Ritual ,,Fußball'' um ein gesellschaftlich relevantes Thema, aufgrund der Untersuchungen von Emile Durkheim. Er forschte zum Spannungsverhältnis von Individuen und Gruppen. Dabei nahm er Bezug auf das Verhalten primitiver Gesellschaften. Seine Schlussfolgerung war, dass ein einzelner Mensch mit allen anderen in Kommunion tritt, wenn er in kultischen Handlungen und rituellen Vorschriften mit der Gruppe verschmilzt (Durkheim 1981: 315). In modernen Gesellschaften gibt er zu bedenken, dass in jeder Gesellschaft das Bedürfnis existiert, kollektive Gefühle und Ideen zum Leben zu erwecken und auszuleben (ebd.: 571). Dies trifft nicht nur auf Demonstrationen oder Festivals, sondern auch auf Fußballspiele zu, wie ich in meinen weiteren Ausführungen schildern werde. Eines der Schwerpunkte meiner Arbeit wird es sein, Fußball als ein modernes Ritual nachzuweisen. Dies nachzuweisen, gilt es insbesondere anhand der eigenen Erkenntnisse meiner Forschung. Dazu begleitend, wird die Theorie der Übergangsriten von Arnold van Gennep, sowie darauf aufbauende und weiterführende Gedanken von Victor Turner unter die Lupe genommen und auf das Geschehen bei Fußballspielen hin auf Gültigkeit überprüft. Dabei werde ich aufzeigen und interpretieren, welche Art von Ritual für die Veranstaltung ,,Fußball'' zutreffend ist. Anschließend wird der Charakter des Rituals ,,Fußball'' und seine formalen Kriterien aufgezeigt, sowie die Bedeutung und Funktion des Rituals herausgehoben.

Nach der Vergegenwärtigung der Bedeutung und des Charakters des Rituals, wird der Ort der Fußballveranstaltungen, das Stadion genauer betrachtet. Es bildet das Zentrum des Rituals, da sich in ihm die Teilnehmer versammeln und die zahlreichen rituellen Handlungen sichtbar praktizieren.

Hierbei soll vor allem der Aufbau und das innere Geschehen analysiert werden. Die dort am Ritual teilnehmenden Fans bilden den darauf folgenden nächsten Schritt dieser Arbeit. Hierbei soll aufgezeigt werden, welche Menschen den neutralen Beobachter im Stadion erwarten.

Zum Abschluss meiner Arbeit wird es um die Erzeugung von Rivalität gehen. Dabei wird das ambivalente, streitbare Thema ,,Gewalt im Stadion'' den Rahmen bilden. Mein Fazit aus den Untersuchungen der eigenen Forschung, sowie dem erarbeiteten Wissen aus der von mir verwendeten Literatur soll die Arbeit zum Abschluss bringen.

2. Theorie und Begriff des Rituals

2.1 Definition des Begriffes ,,Ritual''

Nicht jede habituelle Handlung wie z.B. das Hände schütteln, Zähne putzen oder das allabendliche Fernsehen, sollte Ritual genannt werden. Wenn für solche Handlungen der gleiche Begriff, wie für Initiation verwendet würde, bestehe kein Unterschied und das Wesentliche würde auf der Strecke bleiben (Michaels 1999: 29). Jede regelmäßige Handlung als Ritual zu bezeichnen ist Unsitte (ebd.). Michaels äußert an dieser willkürlichen Benutzung des Begriffes ,,Ritual'' erhebliche Kritik.

Jede gewohnheitsmäßige Handlung wie z.B. der Fünfuhrtee, das Händeschütteln oder das Zähneputzen, wird als Ritual betrachtet. Das Beifall klatschen ist kein Ritual, sondern Gewohnheit. Die Ruderfahrt ist kein Ritual, sondern ein Spiel. Diese beinahe alltäglichen Handlungen, die Michaels aufzählt, könnte man endlos fortführen. Fußball auf dem Rasen an sich ist ein Spiel, kein Ritual. Aber die Veranstaltung Fußball, mit Fans im Stadion, und die Art und Weise es zu zelebrieren und inszenieren, ist dagegen ein Ritual. Damit der Begriff ,,Ritual'' im Zusammenhang mit Fußballspielen also nicht willkürlich erscheint, möchte ich an dieser Stelle einige Definitionsversuche, u.a. von Dörthe Gebhardt, mit der Vorstellung ,,Fußball als Ritual'' verknüpfen. Dörthe Gebhardt (Gebhardt 2001:21) sieht im Ritual eine, im Rahmen eines Kultes vorgenommene Handlung.

Eigenschaften des Rituals sind die bestehende äußere Form, an der man erkennen kann, ob der beabsichtigte Inhalt Gegenstand des Vorganges ist (ebd.). Innerhalb des Rahmens Fußballspiel, bildet das Stadion mit seinen Rängen und seiner Spielfläche, die für das Ritual fungierende äußere Form. Rituale beinhalten Vorschriften für das Verhalten der Teilnehmer. In der Fanszene des Frankfurter Stadions ist einer dieser Vorschriften, das Huldigen des Fan-Lieblings und der Vereinsikone Alexander Meier. Sein Name wird nach Toren, der Mannschaftsaufstellung oder nach Auswechslungen mit dem inoffiziellen, von den Fans verliehenen Titel ,,Fußballgott'' hinausgeschrien. Schimpftiraden und Pfiffe gegen den Gegner und Schiedsrichter gehören ebenso zu den Vorschriften, wie die Unterstützung der eigenen Mannschaft mittels Gesang. Ein Ritual ist erkennbar an der Einhaltung der Form, dem Anlass des Rituals und Statuswechseln, sowie der vorhandenen Öffentlichkeit. Anlässe für Rituale sind hierbei zeitlich oder räumlich (ebd.: 22).

Christian Wulf (Wulf 1997: 1015) definierte Rituale als Handlungen. Voraussetzung für rituelles Handeln, ist allerdings das Wissen der Teilnehmer eines Rituals, in ein solches eingebunden zu sein (Brandstetter 1999: 128ff.). Das Ritual als körperliche Bewegung, besitzt ein Anfang und ein Ende. Es vollzieht sich im Raum und wird von mindestens einer Gruppe ausgeführt (Wulf 1997: 1015). Aufgrund der Formalisierung und wenigen Abweichungen der Handlungen eines Rituals, nimmt jede Handlung die Qualität des Rituals an (Gebhardt 2001: 47).

Dies hat eine Ritualisierung zur Folge, bei der die Handlungen zur gewohnten Routine werden.

Ein Beispiel hierfür ist der Gang ins Stadion mit mehr als 30.000 Zuschauern, welcher seitens der Fans keine Impressionen mehr auslöst. An dieser Stelle, möchte ich einen Auszug aus einem, von mir geführten Interview mit einem Eintracht-Frankfurt-Fan, nach einem Fußballspiel im Europapokal gegen APOEL Nikosia wiedergeben. Die Initialen SO stehen für den Namen des Befragten und FS für meine Wenigkeit (siehe Anhang, Interview). Anhand dieser Aussagen kann man zwar ableiten, dass der Blick auf ein volles Stadion wahrgenommen wurde, allerdings keine Emotionen wie Ehrfurcht oder Staunen hervor rief. Der Gang ins Stadion nimmt demnach gewohnte Züge an. Würde diese Wanderungsbewegung der Menschen, wenn sie ins Stadion gehen, in einem anderen Zusammenhang als ein Fußballspiel stattfinden, könnte man dies vermutlich als Völkerwanderung interpretieren. Diese Wanderung zur Versammlung der Menschen im Stadion, findet in einem bestimmten Rhythmus von 4 bis 7 Wochentagen statt. Schechner, der die Struktur von Ritual, Theater, Spiel und sozialer Interaktionen analysierte (Schechner 1990: 218), spricht von einer Ausgrenzung von bestimmten Orten für bestimmte Zwecke. Dies lässt sich auch auf den Austragungsort des Rituals übertragen. Das Stadion befindet sich geschlossen und abseits, am Rande der Stadt Frankfurt und wird umgeben vom städtischen Wald.

Das Stadion wurde bewusst an jenen Ort erbaut, denn es soll den Desinteressierten, nicht teilnehmenden Teil der Stadt ausschließen. Dem Begriff ,,Ritual'' wird in einer weiteren Definition in Bezug auf seinen Charakter als Handlung, der Begriff ,,Performance'' angehängt. Das Ritual ist eine geplante Performance (Belliger 2008: 15). Performance ist ein komplexer Begriff, der ein Geschehen suggeriert (Kotte 2012: 150). Meist werden Performance-Konzepte im Sinne von Darstellen, Machen, Aufführung, Ausstellen oder Herstellen eines Ereignisses angewandt (ebd.).

Bei einer Performance ist die geplante Handlung so wichtig, wie das Unvorhergesehene wie z. B. Tumulte im Stadion, Schiedsrichter-Fehlentscheidungen oder nackte Fans, die auf das Spielfeld rennen. Das Ritual schafft, nicht zuletzt aufgrund seines performativen Charakters, Übergänge. Rituale finden allerdings nur dort statt, wo Grenzüberschreitungen, Veränderungen oder Wechsel stattfinden (Gebhardt 2001: 22). Was hiermit gemeint ist, sind z. B. die Wechsel zwischen Dichotomien wie alt-neu oder geordnet-chaotisch. Diese Wechsel, aber auch Veränderungen und Grenzüberschreitungen innerhalb eines Rituals, werde ich im Fortlauf meiner Arbeit, anhand der Theorie von Arnold van Gennep, zu den Übergängen von Ritualen, verdeutlichen.

Hierbei sollen meine eigenen Erfahrungen aus meiner Forschung, die Thesen van Genneps stützen. Van Gennep erwähnte in seiner Theorie, dass ein Ritual mit einer Statusveränderung einher geht. Diese wird mit gesellschaftlichen Konsequenzen erworben (ebd.). Um in einem Ritual teilzunehmen, muss sich das Individuum aufopfern und Dinge teilen. Wer am Ritual teilnehmen möchte, muss sich also so verhalten, wie die Teilnehmer des Rituals. Dies ist gleichbedeutend mit Begeisterungsfähigkeit, die zum Ausdruck gebracht werden muss. Sofern dies geschieht, ist man in der Gruppe anerkannt und gewinnt neue soziale Interaktionspartner.

Die Theorie van Genneps und die Art und Weise, in der die Transformation von Beteiligten in einen anderen Zustand stattfindet, soll nun thematisiert werden und Fußball als Übergangsritual darstellen.

2.2 Theorie der Übergangsriten von Arnold van Gennep

Rituale sind Handlungen. Jede Handlung ist eine Veränderung. Also stellt jedes Ritual eine Veränderung dar. Zu jenen Überlegungen verfasste Arnold van Gennep das Buch ,,Les rites de passage'' im Jahr 1909. Van Gennep machte die Übergangsriten zum Titel seiner Arbeit. In ,,Les rites de passage'' beschreibt van Gennep die Funktion und Struktur von Ritualen, um sie besser zu verstehen. Van Gennep bestimmt Übergangsrituale als Riten, die Orts-, Zustands-, Positions- oder Altersgruppenwechsel begleiten. Die Notwendigkeit von Ritualen sieht van Gennep in diesen Veränderungen begründet. In jeder Gesellschaft besteht das Leben eines Individuums darin, nacheinander von einer Altersstufe zur nächsten und von einer Tätigkeit zur anderen überzuwechseln. Wo immer zwischen Alters- und Tätigkeitsgruppen unterschieden wird, ist der Übergang von einer Gruppe zur anderen von speziellen Handlungen begleitet. Jede Veränderung im Leben eines Individuums erfordert teils profane, teils sakrale Aktionen und Reaktionen, die reglementiert und überwacht werden müssen, damit die Gesellschaft als Ganzes weder in Konflikt gerät, noch Schaden nimmt. Es ist das Leben selbst, das die Übergänge von einer Gruppe zur anderen und von einer sozialen Situation zur anderen notwendig macht (van Gennep 1986: 15).

Zu Ereignissen solcher Übergänge gehören Zeremonien, deren Ziel identisch ist. Das Individuum soll aus einer genau definierten Situation in eine andere genau definierte hinüber geführt werden (ebd.). Van Gennep, der die Übergangsrituale als absolut notwendig erachtet, unterschied zwischen den Phasen der Trennung, Schwelle und Angliederung. Die erste Phase als Trennungsphase, ist geprägt von der Loslösung einzelner oder einer Gruppe, vom früheren Punkt der Sozialstruktur oder kultureller Bedingungen. Fußball gilt somit als Trennungsritual, denn van Gennep schlägt vor Riten, die die Trennung von der alten Welt gewährleisten, sollten als Trennungsriten bezeichnet werden (ebd.: 29). Die zweite Phase, die Phase des Schwellenzustandes, ist durch eine ambivalente Situation des Subjekts gekennzeichnet. Dabei sind weder Merkmale vergangener, noch zukünftiger Situationen gegeben (Wulf 1997: 1031).

Jeder der sich von einer Sphäre in die andere begibt, befindet sich eine Zeit lang sowohl räumlich als auch magisch-religiös in einer besonderen Situation, denn er schwebt zwischen zwei Welten (van Gennep 1986: 27). Diese Situation bezeichnet van Gennep als Schwellenphase. In der dritten Phase erfolgt schließlich die Angliederung an die neue Situation. Van Gennep schlussfolgert, dass ein Individuum gleichzeitig oder nacheinander verschiedenen sozialen Kategorien angehörig ist.

Um von einer in die andere Kategorie überzuwechseln und sich mit Individuen anderer Sozialgruppen verbinden zu können, muss es sich Zeremonien unterwerfen, die der Form verschieden, der Funktion aber ähnlich sind (ebd.: 181). Der Übergang in die 2.Phase, wird auch mit einem räumlichen Übergang gleichgesetzt, wie z. B. mit dem Überqueren von Straßen und Plätzen. Rituell wird dieser räumliche Übergang mit dem Hindurchgehen durch ein Tor zum Ausdruck gebracht (ebd.: 184). Dieses Tor muss auch im Frankfurter Beispiel passiert werden.

Die Stadiontore befinden sich am Eingang der Commerzbank-Arena auf der westlichen, sowie östlichen Seite des Stadions, welche direkt vor den Aufgängen stehen und in Richtung der Tribünen zeigen. Das faszinierende Moment der Transformation, findet spätestens nach dem Durchqueren der Stadiontore statt. Schnyder verwendet dafür den Begriff ,,Initiation'' (Schnyder 1999: 196).

Der ethnologische Terminus wurde auf alltägliche Handlungen übertragen und wird als stets Wiederholbares begriffen. Die Initiation ist der Ritus, der die Veränderung des Status vom Nichtmitglied zum Mitglied einer sozialen Einheit begleitet (Hirschberg 1988: 231). Im Leben der Fußballfans sind Fußballspiele im Stadion, Riten der Initiation. Bei diesen wird der Übergang vom beruflichen Alltag in das freizügige Dasein als Fan markiert. Dies geschieht, indem sich die teilnehmenden Individuen von den Normen und Pflichten der alltäglichen Gesellschaft los reißen. Sie verwandeln sich als Fans mit teilweise problematischen Verhalten, und gliedern sich nach dem Spiel im Stadion als vollwertiges, gut situiertes Mitglied der Gesellschaft ein. Der Weg zum Stadion ist dabei gleichbedeutend mit dem Ablösungsprozess von der alltäglichen Gesellschaft und wird meist symbolisch durch verschiedene Formen der Versetzung in einen Rauschzustand, wie z. B. mit dem Konsum von alkoholischen Getränken oder anderen Rauschmitteln, dargestellt. Die Phase des Überganges dient zunächst dazu, dem Alltagsstress zu entfliehen und so den Druck in der Berufswelt zu bewältigen. Hierbei wird aber auch Verlässlichkeit, Solidarität und völlige Hingabe auf die Probe gestellt, vor allem unter den organisierten Fanclubs. Mittels nicht-alltäglicher Kleidung wie den Kutten, Trikots, Hüten, Sonnenbrillen und Schals, wird der Umwelt der Statuswechsel der Initiierten mitgeteilt. Das Übergangsritual Fußball beginnt schon mit dem Weg zum Stadion. Bei den Übergängen, die zweifelsfrei stattfinden, stellt sich allerdings die Frage des Zeitpunktes. Jeder Fan kann sich zum Zeitpunkt des Ganges zum Stadion in seiner eigenen, individuellen Phase befinden. Ein Individuum kann schon in der Bahn betrunken sein, ein anderes lässt sich erst vorm Stadion oder im Stadion völlig gehen. Hierzu möchte ich meine eigenen Erfahrungen einfließen lassen, die ich auf dem Weg zum Fußballstadion der SG Eintracht Frankfurt gesammelt habe und in meinem Projektbericht wie folgt schilderte:

Sobald ich mich auf dem Weg zum Spiel der Eintracht begab, war das Gefühl dicht an dicht gedrängt zu sein. Auf geringem Raum in der S-Bahn ab der S-Bahnstation Hauptwache fahrend, über den Hauptbahnhof bis zur Station Stadion, standen die Menschen Körper an Körper. Schwitzende Menschen schaukelten aneinander. Eine klaustrophobische Enge musste Waggon für Waggon ertragen werden. Die Menschen waren über 10 Minuten mit Oberkörper und Gesicht hauteng entweder zueinander, oder an den Türen der S-Bahn geschmiegt. Kinder drohten teilweise erdrückt zu werden, die Luft wurde dünn, und dennoch fuhr die Bahn unentwegt. Sobald der Ausstieg aus der S-Bahn am Stadion erfolgte, gab es keinen Weg mehr zurück. Menschen strömten zu Hunderten Richtung der S-Bahn-Unterführung, als würden sie nur eine Richtung kennen. Wenn man zu jenem Zeitpunkt einen Weg zurück finden will, geht man das Risiko ein, überrannt zu werden. Der Weg der Menschenmassen bahnt sich dann in die Unterführung, wo an den Seiten schon Pfandflaschensammler mit riesigen Müllsäcken auf die Menschen und die Abgabe ihres Leergutes warten. Eine Stunde vor dem Spiel ist schon unglaublich viel Fan- und Polizeiaufgebot auf den Beinen. Es strömen bis kurz vor Spielbeginn, aus jeder an der S-Bahnstation ,,Stadion'' ankommenden Bahn, hunderte von Fans aus, welche mit Fan-Utensilien, alkoholischen Getränken und gesungenen Parolen auf sich aufmerksam machen. In der Unterführung riecht es nach Rauschmitteln wie z. B. Marihuana, und nach Verlassen des Treppenausganges kann man gigantische Rauchwolken über den Köpfen der Massen sehen, da gefühlt nahezu jede zweite Person eine Zigarette und ähnliches raucht. Einerseits fühlte ich mich unglaublich stark, im Gleichschritt mit einer riesigen Menschenmasse entlang diesen Unterführungstunnels zu laufen, andererseits war es unglaublich ergreifend und ließ mich vor Ehrfurcht erstarren. Ich fühlte mich wie ein Soldat in einem bewaffneten Krieg, zog mit den Massen durch die Unterführung hindurch und spürte wie mein Herz raste. Ich marschierte in einer Reihe mit Menschen, als gäbe es eine Mission, die es zu erfüllen galt. Es gibt verschiedene Arten des Gehens, wie z.B. das Wandern oder das gemütliche Spazieren. Der Gang durch die Unterführung glich eher einem Marsch. Die großen gleichmäßigen Schritte ließen mich allerdings nicht ausschließlich wie ein Soldat fühlen. Als die Unterführung passiert wurde und es ins Tageslicht hinaus ging, fühlte ich mich sogar etwas unfrei, schließlich war ich umschlungen von Menschenmassen, die um mich herum und mit mir marschierten. Gewissermaßen war ich ein Gefangener der Fans, denn sie gaben die Richtung vor, von der ich bis zur Flughafenstraße nicht abweichen durfte, sofern ich nicht überrannt werden wollte. Sie machten mich aufgrund ihrer Lust nach Fußball unbewusst zu ihrem Gefangenen oder sogar Sklaven. An der Flughafenstraße sieht man dann entlang der Straße, unglaublich viele Wurst-und Bierstände aneinandergereiht.

Die ganze Flughafenstraße ist nass, ohne dass es auch nur ansatzweise geregnet hätte. Der Weg ist einfach geflutet durch Bier, das in Bechern und Flaschen verschüttet wurde. An nahezu jedem Fleckchen Weges, sieht man Dosen, Fässer und ähnlichen Abfall. Die Frankfurter Commerzbank-Arena befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Stadtwald. Der Wald der für gewöhnlich als ein Symbol für Idylle, Ruhe und Entspannung gilt, ist alles andere als erholsam, zumindest aus Sicht neutraler Beobachter. Hunderte von Menschen urinieren an den Bäumen, den Ästen und noch freien Flächen. Die Fans treten einer nach dem anderen, in die Lachen aus Urin und Bier. Der Geruch der in der Luft steht, setzt sich aus einer Mischung aus Bier, Urin, Schweiß, Tabak und Grillkohle zusammen. Es werden lautstarke Eintracht-Parolen im Wald hinaus geschrien, Stöcke und Tannenzapfen durch die Luft getreten und Bierflaschen in den Wald geschmissen. Die Flughafenstraße, der Wald und die Sicherheitskontrolleingänge am Stadion gleichen einer Müllkippe. Der Schwellenzustand der Fans wird mir eindrucksvoll durch ihr Verhalten bestätigt. Anstatt sich über sozial tabuisierte Taten zu echauffieren, wie dem lautstarken Rölpsen, das als unanständig im Alltag empfunden wird, werden sie hier sogar gefordert oder auch gefeiert. Das Rölpsen ist ein Vorgang, der oftmals auf dem Weg im Stadion entweder mit dem Ausruf ,,Schulz'' oder mit ,,Wohlsein'' und ähnlichem honoriert wurde.

[...]

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Ritualisierung im Fußball am Beispiel Frankfurt am Main
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Ethnologie)
Note
2,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
40
Katalognummer
V343096
ISBN (eBook)
9783668332935
ISBN (Buch)
9783668332942
Dateigröße
895 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ritualforschung, Fußball, Victor Turner, Übergangsrituale, Arnold van Gennep
Arbeit zitieren
Fabian Schönrock (Autor:in), 2014, Ritualisierung im Fußball am Beispiel Frankfurt am Main, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/343096

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