Psychologische Theorien innerhalb der Sozialisationsforschung. Eine kritische Analyse der Psychoanalyse und des Behaviorismus


Hausarbeit, 2016

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Psychologische Theorien in der Sozialisationsforschung: Psychoanalyse & Behaviorismus
2.1 Die klassische Psychoanalyse nach Sigmund Freud
2.2 Die Weiterentwicklung der Psychoanalyse nach Erik Erikson
2.3 Kritische Reflexion der psychoanalytischen Theorien nach Freud und Erikson
2.4 Der Behaviorismus nach John Watson und Burrhus Skinner
2.5 Kritische Reflexion des Behaviorismus nach Watson und Skinner

3 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Diese Arbeit beschaftigt sich im Rahmen der Sozialisationsforschung mit den psychologischen Theorien Psychoanalyse und Behaviorismus. „Sozialisation" ist ein Begriff der in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen verwendet und untersucht wird, zuerst in der Soziologie und Psychologie auftauchte, und spater in die Padagogik bzw. Erziehungswissenschaft Eingang fand (vgl. Hurrelmann / Bauer 2015:11).

Fur die heutige Erziehungswissenschaft spielt der Begriff der „Sozialisation" - neben den Grundbegriffen „Erziehung", „Bildung" und „Lernen" - eine zentrale Rolle und ist nicht mehr wegzudenken (vgl. Zimmermann 2006: 9).[1]

„Sozialisation" ist nicht nur ein wissenschaftlicher (Schlussel-)Begriff, sondern mittlerweile auch in der Alltagssprache angekommen. Man versteht allgemein und vereinfacht unter ihm, dass man Werte und Normen der Gesellschaft ubernimmt - im weitesten Sinne beschreibt er den Prozess des Werdens in der Gesellschaft (vgl. Hurrelmann / Bauer 2015:11; Hurrelmann / Ulich 1991:3).

Einen Oberblick uber die Literatur der Sozialisationsforschung zu geben, ist nur schwerlich moglich, da sie mittlerweile uferlos ist, und es somit sinnvoll ist, eine differenzierte Auswahl zu treffen (vgl. Zimmermann 2006: 9). Dazu gibt es auch keine einheitliche und unstrittige wissenschaftliche Definition von „Sozialisation". Der Begriffwird kontrovers diskutiert und die Herangehensweise, wie man sich dem Komplex der Sozialisation nahert, ist demnach auch unterschiedlich.

Die entscheidende Grundsteinlegung der Sozialisationstheorie wurde um 1900 durch die Soziologen Georg Simmel (1858-1918) und Emile Durkheim (1858-1917) gelegt (vgl. Geulen 1991: 22). Wenig spater stellte der Nervenarzt Sigmund Freund eine Theorie der menschlichen Bedurfnisse und Triebe dar und John B. Watson eine Theorie des menschlichen Lernens. Obwohl weder Freud noch Watson den Begriff der „Sozialisation" benutzten, haben sie wichtige Aspekte herausgearbeitet, die fur die Sozialisationsforschung von Bedeutung sind: Die Entwicklung der menschlichen Personlichkeit als Individuum in Zusammenspiel mit der sozialen Umwelt (vgl. Hurrelmann / Bauer 2015: 57).

Hurrelmann und Bauer - um eine moderne Definition zu nennen - verstehen unter dem Begriff der „Sozialisation" (2015), eine Personlichkeitsentwicklung, die man als „eine standige Interaktion zwischen individueller Entwicklung und den umgebenden sozialen Strukturen" (Hurrelmann / Bauer 2015:15) ansehen kann. Diese Jnteraktionserfahrungen" werden aktiv und produktiv verarbeitet und werden einerseits mit den (inneren) physischen und psychischen und andererseits mit den externen sozialen und physischen Gegebenheiten standig austariert (vgl. Hurrelmann / Bauer 2015:15).

Die Sozialisationsforschung verwendet verschiedene Theorien, um moglichst viele Erkenntnisse zu erhalten. Grundlegend sind dabei psychologische, soziologische und (jungst auch) neurobiologische Theorien. Vor allem die soziologischen und psychologischen Theorien spalten sich wiederum in verschiedenste Ansatze bzw. Schulen auf, sodassjede einzelne Theorie verschiedene Aspekte mal mehr, mal weniger beleuchtet. Zimmermann vergleicht Theorien oder theoretische Modelle mit „Brillen", mit deren Hilfe wir die Realitat wahrnehmen: „Wie eine Brille je nach Form und Starke des Glases beeinflusst oder auch bestimmt, wie wir sehen, so bestimmt eine Theorie, wie und unter welchen Aspekten die Wirklichkeit gesehen, d.h. erklart wird." (Zimmermann 2006:19)

Eine Brille, die fur alle Augen passend ware, gibt es nicht, sowenig wie es eine allgemeine und allumfassende Theorie der Sozialisation gibt. Das, was Sozialisation ausmacht (bzw. wir dafur halten), muss also durch verschiedene Theorien (verschiedene Brillen) betrachtet werden, um verschiedene Aspekte zu erkennen (vgl. Zimmermann 2006:19). Insofern ist ein Theorien-Pluralismus notwendig und sinnvoll, um den KomplexderSozialisation moglichst differenziert zu untersuchen und zu erklaren.

Im Folgenden werden zuerst die psychoanalytischen Theorien von Sigmund Freud und Erik Erikson vorgestellt und analysiert. Im Anschluss erfolgt eine kritische Reflexion dieser Theorien auf ihrer Aktualitat und heutige Gultigkeit. Nach der Bearbeitung dieser beiden psychoanalytischen Theorien wird der Behaviorismus behandelt, der von Watson begrundet und von Skinner weiterentwickelt wurde. Nach diesen Ausfuhrungen erfolgt eine kritische Reflexion der Erkenntnisse beider Vertreterdes Behaviorismus. In der Schlussbetrachtung werden die wichtigsten Erkenntnisse - im Kontext der Sozialisation - zusammengefasst und ein Fazit gezogen.

2 Psychologische Theorien in der Sozialisationsforschung: Psychoanalyse & Behaviorismus

2.1 Die klassische Psychoanalyse nach Sigmund Freud

Die Psychoanalyse wurde von Sigmund Freud (1856-1939) gegen Ende des 19. Jahrhundert (ca. um 1890) begrundet. Freud selbst hat mehrfach definiert, was unter Psychoanalyse zu verstehen sei. Die Psychoanalyse, so Freud 1923, sei (1) ein Verfahren zur Untersuchung „seelischer Vorgange", die sonst kaum zuganglich waren, (2) eine Behandlungsmethode fur „neurotische Storungen" und (3) eine Reihe von psychologischen Einsichten, die langsam zu einer„neuen wissenschaftlichen Disziplin" heranwachsen (vgl. Freud 1989:19). Die Psychoanalyse hat eine vielfaltige Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung erfahren, wie etwa durch Erik Erikson, Erich Fromm (u.v.m.). Auch die Frankfurter Schule, die einen Einfluss auf die deutsche Sozial- und Erziehungswissenschaft hatte und hat, ist durch die Psychoanalyse stark beeinflusst.

Das wohl innovativste Moment der Psychoanalyse ist, dass unbewusste psychische Prozesse angenommen werden, die wiederum den Hintergrund fur offenbar rationale und intentionale Handlungen darstellen. Die Aufklarung dieser „unbewussten Teile unseres Seelenlebens", sei Hauptaufgabe der Psychoanalyse alsWissenschaft (vgl. Zimmermann 2006: 20).

Sigmund Freud, derviele wichtige Begriffe eingefuhrt und popularisiert hat (wie etwa das Unbewusste, Verdrangung, Neurose, Sexualentwicklung) und zudem die Bedeutung der fruhen Kindheit fur die Entwicklung des Menschen betonte (vgl. Zimmermann 2006: 20), verwendet zwar nicht den Begriff der Sozialisation, aber er war bestrebt, die Entwicklung der menschlichen Personlichkeit, durch die Wechselwirkung des Individuums mit der sozialen Umwelt, zu erklaren. Insofern bezeichnen Hurrelmann und Bauer Freud als einen „ersten Sozialisationstheoretiker" (neben John B. Watson) innerhalb der Psychologie (vgl. Hurrelmann / Bauer 2015: 57). In der psychoanalytischen (Personlichkeits-) Theorie setzt sich Freud vertieft mit den biologischen Trieben (Libido) und den psychischen Bedurfnissen des Menschen auseinander und bezieht diese auch auf die Zwange der Gesellschaft.

Es sind also Triebe, die Menschen zum Handeln und zu einem bestimmten Verhalten fuhren. Triebe konnen als Spannungen oder Erregungen interpretiert werden, die uns veranlassen, diese zu entspannen bzw. zu befriedigen, also tatig zu werden. Durch die Bedurfnisbefriedigung wird der Spannungszustand beendet (vgl. Zimmermann 2006: 20).

Nach Freud[2]gibt es drei „psychische Instanzen": Das „Es", das standig „Libido" - also Spannungen, Lustanspruche, Triebe - produziert und damit Quelle fur sexuelle und aggressive Triebe darstellt und demnach dem Lustprinzip folgt. Das Verhalten, das aus dem „Es"folgt, ist unbewusst, irrational und kennt keine Moral. Das„Ich", als weitere psychische Instanz, vermittelt zwischen den Trieben und den Anspruchen der realen Welt und kann als Vermittlungsinstanz (Realitatsprinzip) angesehen werden. Die dritte psychische Instanz, das „0ber-Ich", ist die Instanz des Gewissens (gesellschaftliche Werte und Normen sind hier berucksichtigt), hat also eine moralische Funktion (Moralitatsprinzip). Das 0ber-Ich beeinflusst als Moralitatsinstanz auch, inwiefern die Triebe bzw. Anspruche von „Es" und „Ich" vereinbart werden. Nur wenn die drei psychischen Instanzen, die einen „psychischen Apparat" (Freud 2009: 41) ergeben, im Zusammenspiel funktionieren, kann ein gesellschaftliches Zusammenleben gelingen. Gerade dieses Zusammenspiel ist beim Menschen nicht einfach vorgegeben, sondern es muss sich im „Prozess der Sozialisation" entwickelt. Die Psychoanalyse nennt dies die „psychosexuelle Entwicklung", in der gerade „uberdauernde Merkmale der Personlichkeit" entwickelt werden (vgl. Zimmermann 2006: 20f.; Hurrelmann / Bauer 2015: 59f.).

Freud entwickelte ein Phasenmodell der Entwicklung (vgl. Freud 1991; Freud 2009), in dem er den „psychischen Apparat" - „Es", „Ich" und „0ber-Ich" - berucksichtigt. Sigmund Freud nahm an, dass die Entwicklung der Personlichkeit, sich durch die „Sexualenergie" der Kinder von dem einen auf den nachstens Lebensabschnitt ausdehnt (vgl. Zimmermann 2006: 21; Hurrelmann / Bauer 2015: 60).

Die psychosexuellen Phasen sind die (1) orale Phase (erstes Lebensjahr), die (2) anale Phase (zweites bis drittes Lebensjahr), die infantil-genitale Phase (drittes bis sechstes Lebensjahr), die (4) Latenzphase (funftes bis dreizehntes Lebensjahr) und die (5) genitale Phase (vierzehntes bis einundzwanzigstes Lebensjahr).

In dieser Subjetentwicklung muss das Kind ganz bestimmte Probleme bewaltigen: In der oralen Phase erhalt der Saugling ein Lustempfinden uber den oralen Bereich (Lippen, Mund). Der orale Bereich wird nicht nur zur Nahrungsaufnahme verwendet, sondern auch zur Erkundung der AuRenwelt (z.B. durch Einnehmen, Festhalten, BeiRen). In der oralen Phase ist das „Es" die entscheidende Instanz. In der analen Phase wird die Aufmerksamkeit des Kindes vom oralen in den analen Bereich verlegt. Dem Kind geht es um Kontrolle der Entleerung des Darms - es erlernt erste Grenzen und Verhaltensregeln, indem es angeleitet wird, den Stuhlgang nur in einer bestimmten Situation (wenn das Kind auf dem Topf sitzt) durchzufuhren. In der infantil-genitalen Phase stehen die Geschlechtsorgane im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sexuelle Wunsche, auch dem gegengeschlechtliche Elternteil gegenuber, regen sich und werden von der sozialen Umwelt sanktioniert. Dadurch entstehen „innere Widerstande", die sich in Ekel-, Scham- und Moralgefuhle auRern. Fur die anale und infantil- genitale Phase spielt das Ich eine wesentliche Rolle. In der Latenzphase ruht die Sexualitat des Kindes, d.h. sie wird - aufgrund der inneren Widerstande - verdrangt, sodass sexuelle Bedurfnisse und Aktivitaten nicht zugelassen bzw. ausgefuhrt werden. Sexuelle Triebe werden vor allem durch Freundschaftsbeziehungen umgelenkt. In der genitalen Phase erwacht die Sexualitat wieder und die erogenen Zonen gewinnen wieder an Bedeutung. Die Sexualitat dient nun auch der Fortpflanzung, indem sexuelle Aktivitaten aufgenommen werden. In der Latenzphase und der genitalen Phase spielt das Ober-Ich eine grundlege Rolle (vgl. Zimmermann 2006: 22f.).

Im Rahmen der Sozialisationsforschung - Wolfgang Mertens nennt die moderne Psychoanalyse „eine Theorie der Sozialisation" (Mertens 1991: 77) - ist Freuds klassisches Modell insofern von Bedeutung, dass ein undurchsichtiger Bereich der inneren Realitat des Menschen erklart wird. Es wird versucht, die Dynamik von „Personlichkeitseigenschaften und menschlichen Handlungen" auf unbewusste Triebe zuruckzufuhren, die mit den menschlichen Bedurfnissen verknupft sind. Korperlichkeit und Emotionen werden hier sehr stark betont. Freuds Theorie, so Geulen, eroffnet der Sozialisationsforschung, dass Erziehung

[...]


[1]Werner Helsper sieht den Begriff der „Sozialisation" als einen Grundbegriff der Erziehungswissenschaft an, da er einerseits „eine sozialwissenschaftliche Reformulierung der Erziehungswissenschaft ausloste" und zum anderen verweise Sozialisation „auf Grundlagen von Bildung und Erziehung", die schon am Anfang der Padagogik von Bedeutung waren (vgl. Helsper 1998: 71).

[2]Sigmund Freud stellte sein „Instanzenmodell" 1923 in seiner Schrift „Das Ich und das Es" vor (vgl. Freud 1969: 246-289). In seiner letzten Schrift, Abrifi der Psychoanalyse (1938 geschrieben, 1940 veroffentlicht), versucht er diesen „psychischen Apparat" noch starker in Zusammenhang mit der „Entwicklung der Sexualfunktion" zu erortern (vgl. Freud 2009).

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Psychologische Theorien innerhalb der Sozialisationsforschung. Eine kritische Analyse der Psychoanalyse und des Behaviorismus
Hochschule
Universität zu Köln  (Humanwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Sozialisation im Jugendalter
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
21
Katalognummer
V342889
ISBN (eBook)
9783668329003
ISBN (Buch)
9783668329010
Dateigröße
466 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychoanalyse, behaviorismus, sozialisationsforschung, psychologie, Sigmund Freud, Erikson, Watson, Skinner
Arbeit zitieren
Alexander Fichtner (Autor:in), 2016, Psychologische Theorien innerhalb der Sozialisationsforschung. Eine kritische Analyse der Psychoanalyse und des Behaviorismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342889

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