Theologische Deutungsmuster und obrigkeitliche Vorstellungen von Reinheit in den Hauslehren des 16. und 17. Jahrhunderts

Am Beispiel der Haußpolicey des Aegidius Albertinus und der Oeconomia Christiana des Justus Menius


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

30 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Hausväterliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts

3. Kirchenzucht und Reinheitsdiskurs in der Reformationszeit

4. Die Konstruktion von Ehe und Jungfrauenschaft in den Hauslehren des 15. und 16. Jahrhunderts am Beispiel von Aegidius Albertinus und Justus Menius
4.1 Die Jungfrauenschaft in derHaußpoliceydes Aegidius Albertinus
4.1.1 Aegidius Albertinus (1560-1620)
4.1.2. DieHaußpolicey
4.1.3 Dedicatio
4.1.4 Die Jungfrauenschaft bei Albertinus
4.2 Die Ehe in derOeconomia Christianades Justus Menius
4.2.1 Justus Menius (1499-1558)
4.2.2 Die Oeconomia Christiana
4.2.3 Dedicatio
4.2.4 Die Ehe bei Justus Menius

5. Fazit und Ausblick

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Und wir aber uns/ unnsers Göttlichen anbewohlhenen ampts der Landesfürstlichen Oberkait halben schuldig unnd pflichtig erkennen solchen verbottenen [,] unrechten und Got[t] mißfeligen leiblichen vermischungen [...] mit sondern grossem an angelegenem ernst zu begegnen [...].“[1]

Betrachtet man diesen kurzen Auszug aus der Eheordnung der Fürstentums Neuburg aus dem Jahr 1577, so mag man sich doch etwas wundern. Die weltliche Obrigkeit sieht sich aufgrund ihrer Stellung und ihrer christlichen Aufgabe dazu veranlasst, eine Eheordnung aufzusetzen, um die Beziehung zwischen den Geschlechtern zu regeln. Was in diesem kurzen Ausschnitt aus der Quelle jedoch in den Vordergrund zu treten scheint, ist die Unterbindung der Unzucht.

Die Frage danach zu stellen, wie und vor allem wo die Unzucht zu unterbinden und die Reinheit zu finden sei, damit stand die Obrigkeit in Neuburg keineswegs allein. Die Eheordnung reihte sich in eine lange Reihe von Ordnungen und Erlässen in verschieden Territorien ein, die das Geschlechterverhältnis auf der normativen Ebene neu beschreiben und ordnen sollten. Die Historikerin Susanna Burghartz hat in ihrem Aufsatz „Umordnung statt Unordnung?“ darauf hingewiesen, dass „[die] Regelung der Geschlechterverhältnisse von der Gesellschaft als grundlegende Ordnungsaufgabe verstanden [wurde]“[2]. Bei der Beschäftigung mit diesem Thema stößt man auch auf andere Abhandlungen und Schriften, die sich mit eben diesem Ordnungssystem beziehungsweise mit der Konstruktion einer Ordnung beschäftigen, in der das Geschlechterverhältnis geregelt wird.

Zu diesen Schriften gehören auch die sogenannten Hauslehren oder die Hausväterliteratur. Im Rückgriff auf die antike Traditionen der Ökonomie und Landwirtschaftsliteratur[3]sollten die Ausführungen Auskunft darüber geben,„Warauff die haushaltung zu richten sey.“[4].Dies leisten sie auch, doch sie beschränken sich nicht auf die Problemstellungen des christlichen Haushaltes, sondern sind gleichzeitig Spiegel der konfessionellen Vorstellungen in Hinsicht auf die Weltauffassung und die Idealvorstellungen der Geschlechterordnung.

Diese Arbeit soll sich mit zwei Hauslehren und den darin entworfenen Konzepten von Sexualität und Geschlechterverhältnissen beschäftigen. Dabei soll zum Einen eine katholische und zum Anderen eine protestantische Hauslehre herangezogen werden. Die Auswahl liegt darin begründet, da es zur Zeit der Reformation zu einem großen Streit um die richtige oder falsche Lebens- bzw. auch Deutungsweise von Sexualität zwischen den Konfessionen kam.[5]Es ging darum, die eigene Definition dieses Verhältnisses gegenüber der jeweils anderen Konfession durchzusetzen.

DieOeconomia Christianades Justus Menius von 1529 und dieHaußpoliceydes Aegidius Albertinus von 1602 stellen die Quellengrundlage der Arbeit dar. Menius, der sich in seinem Werk mit dem Ehestand beschäftigt wird im Rahmen dieser Arbeit für die protestantische Position herangezogen und Albertinus’ Konzept der Jungfrauenschaft soll die katholische Perspektive näher beleuchten. Beim Studium der genannten Quellen fällt auf, dass nicht nur die Vorzüge der eigenen Position dargestellt werden, sondern davon ausgehend jeweils eine Weltordnung konstituiert wird. Beide Autoren zeigen, wie ein geordnetes und christliches Leben in der Welt aussieht. Beide greifen hier jedoch auf unterschiedlichste Legitimationsfiguren und Weltanschauungen zurück, die im Fokus der folgenden Ausführungen stehen sollen. Somit steht die Arbeit unter der Fragestellung: Wie sind die Ehe bei Menius und die Jungfrauenschaft bei Albertinus konstruiert? Im Anschluss an die Beantwortung sollen Thesen dazu aufgestellt werden, welche Rolle die Hausväterliteratur im Kontext der Sozialdisziplinierung gespielt hat.

Eine erste Überlegung bestand darin, die Konzepte in ihrem Nutzen für den Staat zu untersuchen. Die Idee wurde jedoch verworfen. Die Begründung dafür von dieser ursprünglichen Untersuchungsperspektive abzuweichen liegt darin, dass zur Zeit der beiden Autoren Menius und Albertinus noch nicht von einem gänzlich ausgebildeten Staat gesprochen werden kann.[6] Mit dem Konzept der Sozialdisziplinierung lässt sich dieses Problem umgehen. Dadurch müssen die Ordnungen und Konzepte nicht auf bestimmte feste weltliche Institutionen zurückgeführt werden, sondern es wird möglich, die Erscheinungsformen der Disziplinierung als Beschlüsse einer Obrigkeit für ein „Kollektiv“[7]zu betrachten. Diese Obrigkeit darf jedoch nicht als zentralistische Regierung eines klar umgrenzten Gebietes gewertet werden. Deshalb ist der Ausdruck „Kollektiv“, den Flüchter verwendet, hier passend.[8]Es wird innerhalb dieser Arbeit eine klare Distanzierung zu einem modernen Staats- oder Regierungsbegriff zugrunde gelegt.[9]

Zum Forschungsstand ist zu sagen, dass der Unzuchtdiskurs und die normativen Vorstellungen von Sexualität im Rahmen vieler Untersuchungen aufgegriffen worden sind. An dieser Stelle sind zum Beispiel Antje Flüchter und Susanna Burghartz zu erwähnen. Flüchter konzentriert sich in ihrer Dissertation auf die Deutungsmuster des Priesterzölibats in Jülich und Berg im 16. und 17. Jahrhundert. Dabei greift sie auch auf die normativen Grundlagen dieser Deutungsmuster zurück, behandelt diese jedoch nicht im Schwerpunkt. Burghartz hat in ihrer Arbeit über Basel zeigen können, welche Bedeutung die sexuelle Reinheit für die juristischen und alltäglichen Handlungsräume hatte. Anders ist der Fall bei Ulrike Strasser gelagert. In „State of Virginity“ beschäftigt sie sich mit der bayrischen Politik der Gegenreformation und kann zeigen, dass religiöse Deutungsmuster vom Staat bewusst eingesetzt wurden, um die Untertanen an denselben zu binden.[10]Über die Ehe- und Moralvorstellungen im Protestantismus liegt eine Arbeit von Lyndal Roper vor.[11]Sie beschäftigt sich mit Augsburg. Sie zeigt, wie die Politik der Sittenzucht stückweise dazu führte, dass die Frau domestiziert wurde. Ihre Annahmen lassen sich jedoch auch auf andere Gebiete übertragen.

DieHaußpoliceyund dieOeconomia Christiana, die die Basis der Arbeit bilden, sind auf die Frage nach der Konstruktion ihrer Konzepte noch nicht untersucht worden. Ulrike Hörauf-Erfle untersuchte 1991 die Rolle der Frau in der Hausväterliteratur. Dabei nahm sie jedoch nur die Frau in den Blick und behandelte nicht die Konzeptionen der Geschlechterverhältnisse in Gänze.[12]Jedoch ging sie auch auf Menius ein.

Die Haußpolicey des Aegidius Albertinus ist von Guillaume van Gemert, wie auch die anderen Werke des Albertinus auf den Gebrauch von antiken Traditionen untersucht worden. Die Schriften werden von van Gemert nicht unter einer bestimmten Fragestellung untersucht, sondern er trägt sie lediglich zusammen.[13]

Eine Edition derOeconomia Christianaist von Ute Gause und Stephanie Scholz herausgegeben worden.[14]

Zur Beantwortung der Forschungsfrage soll zuerst auf die Quellengattung eingegangen werden. Anschließend soll der Reinheitsdiskurs der Reformationszeit in seinen Grundzügen erläutert werden. Da dies im Rahmen der Arbeit von Bedeutung ist, wird auf das Konzept der Sozialdisziplinierung eingegangen. In der folgenden Analyse der Primärliteratur werden die Ideen unter besonderer Berücksichtigung der Legitimationsfiguren und der zugrundeliegenden Weltanschauung untersucht. Im abschließenden Fazit sollen Thesen darüber formuliert werden, welche Funktion die Hausväterliteratur für die Sozialdisziplinierung hatte.

2. Die Hausväterliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts

Die Hauslehren stellen einen besonderen Typus der Quelle dar, da sie einen stark idealistischen Charakter aufweisen, aber auch „ die Sicherung des Lebensunterhalts [zu ihrem Gegenstand machten]“[15]. Sie sind zum einen an der Lebenswelt der Leser orientiert und gleichzeitig ein normatives Medium, dass eine Idealvorstellung vermittelt. Hans Gottwald schrieb 1988 beispielsweise über die Intention des Justus Menius und des Aegidius Romanus:

„Beide zugrundeliegenden Quellen sind in der Absicht verfasst worden ihre Adressaten vornehmlich in bezug auf ihr innerfamiliales und wirtschaftliches Verhalten zu unterweisen.“[16]. Zwar nimmt Gottwald beide Bereiche, den normativen und den praktischen, ebenfalls auf, konzentriert sich dann jedoch auf die wirtschaftlichen Aspekte, die Menius abhandelt.[17]Anhand dieser Beispiele wird bereits deutlich, dass die hier genutzten Quellen ein relativ breites Spektrum an Forschungsfragen abdecken können. Zum Kreis der Adressaten ist zu sagen, dass sich die Quellen wohl zunächst an den „dominierenden adlig-bäuerlich Stand [...]“[18]gerichtet hatten. In der späteren Zeit verbreiterte sich der Kreis der Leserschaft bis in die bürgerlichen Stände. Dies wurde von den Autoren wohl auch intendiert.[19]

Wichtig ist es, eine Unterscheidung zwischen den Literaturformen des 16. und 17. Jahrhunderts vorzunehmen. In der klassischen Ökonomieliteratur sind die Traditionen der antiken Schriften noch deutlich zu sehen. Sie sind Teil der antiken Rezeption des 16. Jahrhunderts. Dies ist auch in der Schrift des Justus Menius ersichtlich. Menius zieht durch die Einbeziehung der Politia in die Hauslehre eine Traditionslinie zu Xenophon.[20]In der späteren „moralphilosphischen“[21]Literatur, die sich im 17. Jahrhundert zunehmend etablierte, werden die Bezüge zum Christentum stärker in den Leserfokus gerückt. Es schien aber auch Menius bereits im 16. Jahrhundert wichtig gewesen zu sein, sich von der antiken Vorlage abzugrenzen, denn er schrieb:

Nu[n] haben die Philosophi und weltweisen leute auch viel [...] geschrieben und geleret/ wie man sich beyde in haushaltung und landregirung recht und wol schicken sol/ Es hats aber doch yhr keiner noch nie recht treffen können [...]/ als nemlich/ das sie nicht erkant noch geleret haben [...] das solch regiment auch Gottes reich/ werck und ordnung were [...].“[22]

An dieser Stelle zeigt Menius, dass sich das Handeln der Menschen in der Welt auf Gott zurückführen lässt. Im Gegensatz zu den antiken Texten dieser Gattung, wird das sakrale Element fokussiert. Die Abgrenzung von den Vorbildern der Antike wird damit vollzogen.[23]

Es wurde dargelegt, dass mit der Hausväterliteratur auf unterschiedliche Art und Weise gearbeitet werden kann, und die darin verwandten Konzeptionen auf verschiedene Forschungsfragen eine Antwort geben können. Des Weiteren wurde gezeigt, dass die Literatur sich ihres Aufbaus und Adressatenkreises betreffend im Laufe ihres Bestehens veränderte. Diese Veränderungen sind zu berücksichtigen. Denn es handelt sich bei diesen Werken im Untersuchungszeitraum zwar um christlich-normative Werke, doch es gilt dabei nicht aus den Augen zu verlieren, dass es sich auch um Texte handelte, die auf eine Tradition bis in die Antike zurückblicken. Besonders entscheidend ist dies für die Legitimation bei der Verwendung im Christentum. Das Potenzial der Hauslehren für die Sozialdisziplinierung ist nicht explizit dargestellt worden. Dies soll im Folgenden nun beispielhaft geschehen.

3. Kirchenzucht und Reinheitsdiskurs in der Reformationszeit

Das Konzept der Sozialdisziplinierung stellt für die Frühneuzeitforschung ein wichtiges Instrument der Analyse dar. In der Arbeit wird auch der Begriff der „Kirchenzucht“[24]verwendet, der das gleiche Phänomen bezeichnet. Gerhard Oestereichs Konzept wurde vor allem in den 1990er Jahren heftig diskutiert.[25]Die Idee Oestereichs war, dass alle Institutionen im späteren frühneuzeitlichen Staat und die Obrigkeit daran interessiert waren, die Bevölkerung zu disziplinieren.[26]Im Laufe der Forschungsdebatte setzte sich jedoch die Meinung durch, dass die von Oes-tereich entworfene Konzeption zu kurz greift und schlicht zu „etatistisch“[27]ist. Es wurde argumentiert, die Kontrollinstanzen nicht nur auf der staatlichen Ebene zu suchen, sondern auch auf der lokalen Ebene nach den Mechanismen der Sozialkontrolle Ausschau zu halten. Denn die lokale Ebene ist in der Forschung bis in die 1990er Jahre unterschätzt worden. Die Forderung, die lokalen Instanzen und den Alltag der Menschen hervorzuheben, die Schilling ausgehend von dieser Feststellung deutlich machte, wird von Heinrich Richard Schmidt 1997 geteilt. Schillings Unterteilung in „makro- und mikrohistorische Perspektive“[28]hält er jedoch für zu gering und fordert, dass die beiden Perspektiven auf die gleiche Stufe gesetzt werden müssen. Denn mit einer solchen Unterteilung werde der Staat, der bei Schilling die makrohistorische Perspektive darstellt, gegenüber den Untertanen, der mikrohistorischen Perspektive[29], weiterhin bevorzugt.[30]Es sei hier erwähnt, dass die Disziplinierung durch die Obrigkeit in der Zeit der Reformation kein Novum darstellte. Schilling hält die Nutzung dieses Potentials eher für eine „Wiederentdeckung“[31].

Auf die Perspektive kommt es bei der Erforschung von Maßnahmen der Disziplinierung entscheidend an. Ob eine obrigkeitliche Instanz ein Gesetz erlässt oder ob diese Gesetze durch Gerichte auf der lokalen Ebene beziehungsweise durch Einrichtungen in der praktischen Anwendung genutzt werden, stellt einen Unterschied dar. Doch nur im Zusammenwirken von beiden Instanzen ergibt sich ein „tiefenscharfes Bild von frühneuzeitlichen Diziplinierungsvorgängen“[32]. Auf welcher Ebene die beiden Hauslehren angesiedelt sind, die in dieser Arbeit verwendet werden, lässt sich nicht eindeutig festlegen. Zum einen stellen sie, wie in der Untersuchung noch zu zeigen sein wird, Schriften dar, in denen sich ein Herrschaftsanspruch manifestierte. Zum anderen jedoch sind die Ausführungen der Autoren Menius und Albertinus auch keine von der Obrigkeit erlassenen Gesetze. Auch ihr Wirkungsbereich liegt nicht auf einer juristischen Ebene, sondern offenbart lediglich einen „Erziehungsanspruch“[33]seitens der Obrigkeit. Es sei angemerkt, dass die Quellen und Formen der Kirchenzucht vielfältig waren und das sich auch mit einer Trennung oder Gleichsetzung der Perspektiven, die diesen Quellen inhärent sind, nicht immer eindeutig sagen lässt, aus welcher „Richtung“ die Maßnahmen kommen.

Die Kirchenzucht als solche konzentrierte sich auf die Ordnung von Sexualität und Geschlechterverhältnissen. Das Interesse an diesen Fragen des gesellschaftlichen Lebens trat jedoch nicht plötzlich auf, sondern ist eingebettet in einen Streit zwischen den Konfessionen, den unter anderem Susanna Burghartz eingehender für Basel untersucht hat. Sie zeigt darin, dass die Diskurse rund um Ehe und Sexualität keinesfalls neu waren. Vielmehr sei es, so Burghartz, dem gesteigerten Interesse der Obrigkeit geschuldet, dass der Diskurs nun wieder neue Relevanz erhielt.[34]Die Obrigkeit nutzte die Haushaltsmetapher dafür, ihre Herrschaft als legitime zu kennzeichnen, denn der Haushalt und seine „Struktur“[35]galten seit jeher als die ursprünglichste Form der Organisation eines Gemeinwesens und damit ist der Haushalt die erste Form eines legitimen Herrschaftsbereichs. Im Falle des Hauswesens gilt es noch zu bedenken, dass eine strikte Trennung von öffentlichem und privatem Bereich in der frühen Neuzeit noch nicht vollzogen war. Die modernen Vorstellungen des Hauses als private Sphäre sind daher nicht auf die Strukturen und Gegebenheiten der Neuzeit zu übertragen. Vielmehr gilt es, die Organisation des Hauses als die Ordnung einer politischen Institution zu betrachten.[36]Was bei allen Konzeptionen rund um die Sexualität und Normierung der Strukturen heraussticht, ist der Anspruch der jeweiligen Konfession, die Orthodoxie zu verkörpern, beziehungsweise die Deutungshoheit über diese Teilbereiche der Gesellschaft inne zu haben.[37]Zwei Konzeptionen stellen sich in diesem Streit als die wichtigsten heraus. Während die katholische Position weiterhin von dem Gedanken an die sexuelle Enthaltsamkeit bestimmt wird, kommt es im Protestantismus zu einer Aufwertung der Ehe. Auch wenn sich Theoretiker auf katholischer Seite mit der Ehe und deren Ausgestaltung befasst haben, bleibt sie doch in ihrer Bedeutung hinter dem zölibatären Leben weit zurück.[38]Somit liegt der Vergleich der beiden Positionen innerhalb dieser Arbeit nicht nur aus dem Grund ihrer Zielsetzung, nämlich der Ordnung der Sexualität nahe, sondern es handelt sich auch um die zwei Konzepte, die im anhaltenden Streit um die gesellschaftliche Ordnung unmittelbar miteinander konkurrierten.

[...]


[1]Ehordnung des Fürstenthumbs Newburg : [Actum Newburg an der Thonaw den andern tag des Monats Januarij ... Tausent fünffhundert sibentzig vn[d] siben Jar], Laugingen 1577, URL: http://www.zvdd.de/dms/load/met/?PPN=urn%3Anbn%3Ade%3Abvb%3A12-bsb00061511-5 S. 1-2, [Letzter Zugriff 19.03.2016].

[2]Susanna Burghartz, Umordnung statt Unordnung. Ehe, Geschlecht und Reformationsgeschichte, in: Helmut Puff und Christopher Wild (Hrsg.), Zwischen den Disziplinen? Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Göttingen 2003, S. 168.

[3]Vgl. Jürgen Donien, Hausväterliteratur, in: Enzyklopädie der Neuzeit [Onlineausgabe], URL: http://referenceworks.brillonline.com/entries/enzyklopaedie-der-neuzeit/hausvaterliteratur-a1618000?s.num=0&s.f.s2_parent=s.f.book.enzyklopaedie-der-neuzeit&s.q=hausväterliteratur, [Letzter Zugriff 19.03.2016]. Die Lemma der Onlineausgabe sind mit denen der Printausgabe identisch.

[4]Justus Menius, An die hochgeborne Furstin fraw Sibilla Hertzogin zu Sachsen, Oeconomia Christiana: das ist von christlicher Haußhaltung, Wittenberg 1529 URL: http://www.zvdd.de/dms/load/met/?PPN=urn%3Anbn%3Ade%3Abvb%3A12-bsb00023063-7, S. 28. [Letzter Zugriff 19.03.16].

[5]Dieser Streit wird im Folgenden auch als Reinheitsdiskurs bezeichnet. Zwar spielt die Diskurstheorie hier keine gesonderte Rolle, doch soll der Begriff hier definiert werden, wie dies Susanna Burghartz tut:„Der Kampf um Richtig und falsch, war ein Kampf um die Definitionsmacht“.Susanna Burghartz, Zeiten der Reinheit – Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der frühen Neuzeit, Paderborn 1999, S. 9.

[6]Vgl. Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: Historische Zeitschrift, Bd. 246, München 1988, S. 14-30: Schilling charakterisiert hier drei Phasen der Konfessionalisierung. Die letzte und damit die vollständige zentralistische institutionelle Etablierung der Kirchen in einem festen Staatsapparat beginnt erst 1620 und fällt somit weder in die Zeit der Schrift von Menius oder Albertinus.

[7]Vgl. Antje Flüchter, Der Zölibat zwischen Devianz und Norm. Kirchenpolitik und Gemeindealltag in der Herzogtümern Jülich und Berg im 16. und 17. Jahrhundert, (= Norm und Struktur, Bd. 25), Köln 2006, S. 17.

[8]Vgl. Susanna Burkhartz, Umordnung statt Unordnung?, S. 169.

[9]Aus Ermangelung an geeigneteren Termini werden im Laufe der Arbeit die Begriffe Obrigkeit und Bevölkerung verwendet, obwohl ihnen ein modernes Staatsverständnis anhaftet.

[10]Vgl. Ulrike Strasser, State of Virginity. Gender, Religion an Politics in an Early Modern Catholic State, (= Geoff Eley (Hrsg.) Social History, Popular Culture and Politics in Germany), Michigan 2004, S. 7.

[11]Vgl. Lyndal Roper, Holy Household. Women and Morals in Reformation Augsburg, Oxford 1989, S. 3.

[12]Vgl. Ulrike Hörauf-Erfle, Wesen und Rolle der Frau in der moralisch didaktischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, (= Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Reihe III., Bd. 482), Frankfurt a. Main [u.a.], 1991, S. 1.

[13]Guillaume van Gemert, Die Werke des Aegidius Albertinus (1560-1620). Ein Beitrag zur Erforschung des deutschsprachigen Schrifttums der katholischen Reformbewegung in Bayern um 1600, (= Hans Pörnbacher (Hrsg.), Geistliche Literatur der Barockzeit, 1. Sonderband), S. 385-387.

[14]Ute Gause und Stephanie Scholz (Hrsg.), Ehe und Familie im Geist des Luthertums, (= Angela Berlis [u.a.] (Hrsg.) Historisch theologische Genderforschung, Bd. 6), Leipzig 2012 S. 35-136.

[15]Ulrike Hörauf-Erfle, Wesen und Rolle der Frau, S. 16.

[16]Heinz Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik des Aegidius Romanus und Justus Menius. Ein Beitrag zum Verhältnis von Glaubenslehre einerseits und Wirtschaftsethik sowie den Sozialgebilde „Familie“ andererseits, (= Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Reihe III. Bd. 378), Paris [u.a.] , 1988, S.7: Gottwald spricht von zwei unterschiedlichen Ökonomien.

[17]Ebd. S. 20.

[18]Ulrike Hörauf-Erfle, Wesen und Rolle der Frau, S. 16.

[19]Ebd.

[20]Ute Gause und Stephanie Scholz, Ehe und Familie im Geist des Luthertums, S. 17.

[21]Ebd.

[22]Justus Menius, Oeconomia Christiana, S. 14.

[23]Vgl. hierzu weiter: Ute Gause und Stephanie Scholz, Ehe und Familie im Geist des Luthertums, S. 18.

[24]Vgl. Lars Behrichs, Sozialdisziplinierung, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 12, Stuttgart und Weimar 2010, Sp. 226.

[25]Ebd., Sp. 222: Behrichs greift hier einige Kritikpunkte natürlich sehr verdichtet, aber anschaulich auf.

[26]Ebd. Sp. 220.

[27]Vgl. Heinz Schilling, Die Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Europa in interkonfessionell vergleichender und interdisziplinärer Perspektive – Eine Zwischenbilanz, in: Heinz Schilling (Hrsg.) Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, (= Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 16), Berlin 1994, S. 13.

[28]Vgl. Heinrich Richard Schmidt, Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung, in: Historische Zeitschrift, Bd. 265, München 1997, S. 644.

[29]Vgl. Heinz, Schilling, Die Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Europa, S. 23.

[30]Vgl. Heinrich Richard Schmidt, Sozialdisziplinierung?, S. 644.

[31]Heinz Schilling, Die Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Europa, S. 15.

[32]Vgl. Heinz Schilling, Die Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Europa, S. 24.

[33]Frank Konersmann, Kirchenregiment und Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Kleinstaat, (= Schriftreihe des Vereins für rheinische Kirchengeschichte, Bd. 121), Köln 1996, S 19.

[34]Vgl. Susanna Burghartz, Zeiten der Reinheit, S. 16- 17.

[35]Ebd. S. 10.

[36]Vgl. Ulrike Strasser, Wie die Jungfrau zum Staate kam: Religiöser Wandel, Herrschaftszentrierung und Geschlechterordnung in München des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Oberbayrisches Archiv Bd. 128, München 2004 (8), S. 50.

[37]Vgl. Susanna Burghartz, Zeiten der Reinheit, S. 15.

[38]Vgl. Antje Flüchter, Zöllibat, S. 90.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Theologische Deutungsmuster und obrigkeitliche Vorstellungen von Reinheit in den Hauslehren des 16. und 17. Jahrhunderts
Untertitel
Am Beispiel der Haußpolicey des Aegidius Albertinus und der Oeconomia Christiana des Justus Menius
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Geschichte, Philosophie und Theologie/ Abteilung Geschichte)
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
30
Katalognummer
V342833
ISBN (eBook)
9783668326378
ISBN (Buch)
9783668326385
Dateigröße
588 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Policey, Haußpolizei, Eheordnungen, Hauslehren, Frühe Neuzeit, Obrigkeit, Deutungsmuster, Normierung
Arbeit zitieren
Malte Wittmaack (Autor:in), 2016, Theologische Deutungsmuster und obrigkeitliche Vorstellungen von Reinheit in den Hauslehren des 16. und 17. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342833

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